11 Zwift-Tips in Zeiten von Corona

“When life gives you lemons, make lemonade!” - so oder so ähnlich könnte man es ausdrücken. Für das Fahren auf der Rolle gibt es mittlerweile so viele unterschiedliche Varianten und Spielereien, dass die berühmte “weiße Wand” irgendwie ihren Schrecken verloren hat. Die derzeitige Aussicht auf mehrere Wochen Indoor-Radeln mag dennoch nicht die rosigste sein…

Ich fahre ja gerne auf Zwift und bewege mich mit Freude zwischen virtuellen Trikots, Strecken und anderen Radlern, die zeitgleich auf der ganzen Welt in ihren Kämmerchen und Kellern sitzen und genauso schwitzen wie ich. Über Trainingseffekte, Realitätsgehalt und dergleichen möchte ich an dieser Stelle nicht mehr schreiben - hier wurde bereits das meiste gesagt und ich habe aufgehört, jene bekehren zu wollen, die Zwift nur als reine Spielerei sehen wollen.

Für die kommenden Tage und Wochen brauche allerdings auch ich eine Perspektive, Ziele und kleine Incentives. Daher habe ich mir ein paar Dinge überlegt und möchte diese gerne mit euch teilen, in der Hoffnung, dass für jeden etwas Zerstreuung, Unterhaltung und Training dabei ist.

#stayathome

I - Meet-Ups

Nicht nur Großveranstaltungen und Rennen sind abgesagt, auch die wöchentliche Gruppenfahrt oder der Clubride sind unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht durchführbar. Nun ist die “Gesellschaft” auf Zwift natürlich eine andere, schließlich rollt niemand direkt neben einem. Dennoch bieten Zwift-Rides die Möglichkeit, mit Gleichgesinnten, ähnlich Trainierten und Schnellen unterwegs zu sein. Dazu stehen zahllose Zwift-Events zur Auswahl, bei denen man sich jeder erdenklichen Art von Training, Ausfahrt oder Rennen hingeben kann.

Wer es gerne etwas intimer haben möchte, kann auf die Funktion der Meet-Ups zurückgreifen. Dabei können bis zu 50 Radlerinnen und Radler zu einer gemeinsamen Ausfahrt eingeladen werden. Strecke, Länge und Tempo werden dabei vom Organisator festgelegt, das ganze erfolgt mehr oder weniger demokratisch, niederschwellig und ohne Zugangsbarrieren. (Im Vergleich dazu ist ein wahrer Kraftakt notwendig, um einen offiziell gelisteten Zwift-Ride zu bekommen). Voraussetzung ist, mit dem Organisator oder der Organisatorin des Rides auf Zwift befreundet zu sein - nur so kann man auch zum Meet-Up eingeladen werden. Die Einladungen scheinen in der App ganz oben auf und können eigentlich nicht übersehen werden (Erinnerungsfunktionen und dergleichen inklusive).

Der Ride selbst funktioniert wie gewohnt, der Ride Leader ist eindeutig als solcher erkennbar, man sieht die anderen, die Abstände und die Strecke. Einzig die Trikots werden nicht angeglichen, beim Bewegen durch die Zwift-Welten ist daher nicht auf den ersten Blick erkennbar, welcher Avatar zur eigenen Gruppe gehört und welcher nicht. Bei maximal 50 Teilnehmer*innen hat man aber ohnehin recht schnell herausgefunden, wer in der gleichen Gruppe fährt und wer nicht.

Für die kommenden Wochen sind einige Club-Ausfahrten bereits in derartige Meet-Ups “umgewandelt” - bspw. der Sonntags-Ride des Vienna International Cycling Clubs oder die Puppyton Rides. Außerdem veranstaltet beispielsweise auch das Profi-Team Hrinkow Meet-Ups, bei denen man auch noch in den Genuss des Windschattens von Radprofis kommen kann.

II - Touren & Etappenveranstaltungen

Zwift selbst bietet regelmäßig organisierte Veranstaltungen an, die motivationssteigernd wirken und zahlreiche Variationen des vermeintlich bereits bekannten Contents bieten. Allen voran ist die Tour de Zwift zu nennen, die einmal im Jahr über sieben Etappen in allen Spielwelten Zwifts stattfindet. Derzeit läuft gerade die Tour of Watopia über fünf Etappen, jeweils unterteilt in eine flache Etappe, eine Bergankunft, etwa schnelles, und so weiter. Einsteigen ist hier noch möglich, ein Nachholen von verpassten Rides natürlich auch.

Auch wenn diese Fahrten meist nicht als Rennen betitelt sind, geht es dort doch recht anspruchsvoll zur Sache. Und auch wenn man es locker angehen lassen möchte, wird man vom Herdenverhalten mitgetrieben, will den Vordermann einholen, noch eine Platzierung gewinnen und die Wattwerte in die Höhe schrauben.

III - Challenges

Ganz ohne Druck geht es hingegen bei den Challenges zu. Hier sind grundsätzlich zeitlich begrenzte Aktionen und die drei großen Zwift-internen Aufgaben zu unterscheiden. Bei letzteren gibt es zwei kilometer-bezogene Challenges, bei denen lediglich eine gewisse Distanz abzuspulen ist: “Ride California” führt dabei über 1.284 Kilometer, bei der “Tour Italy” sind dann schon 2.000 Kilometer zurückzulegen. Allseits bekannt ist hingegen die Everesting Challenge, bei der zuerst ein “normales” Everesting zu absolvieren ist und in einem weiteren Schritt dann das Erreichen von insgesamt 50.000 Höhenmetern, um an das heißbegehrte Tron Concept-Bike zu gelangen. Bei diesen drei Challenges ist zu beachten, dass gefahrene Kilometer und Höhenmeter jeweils nur für die Aufgabe zählen, die gerade aktiviert ist! Das ist auch der Grund, warum ich mein Tron-Bike noch nicht habe, weil ich sehr lange herumgefahren bin, ohne dass die Everesting-Challenge aktiv war.

Zeitlich begrenzt und meistens an aktuelle Ereignisse, Events oder Aktionen geknüpft sind hingegen jene Challenges, die immer wieder einmal in Zwift aufpoppen. Fahre “2.900 Höhenmeter mit einem MTB” und gewinne ein Scott RC Spark im Rahmen der Absa Cape Epic Challenge, “verbrenne 10.000 Kalorien in einem Monat”, fahre x Kilometer auf dieser und jener Strecke mit dem Zwift-Zeitfahrrad und ähnliches. Dabei kann man sich gut und selbst einteilen, ob, wann und wie man diese Aufgaben erfüllen möchte. Für Unterhaltung und Abwechslung ist auf diesem Wege allerdings gesorgt, besteht die Challenge doch oft aus Dingen, die man sonst wahrscheinlich nicht so schnell machen würde oder die man so einfach nicht am Radar hat.

IV - Badges

Ich bin ein großer Freund von Gamification und damit auch von Badges, Levelaufstiegen und Belohnungen. Zwift animiert die Userin und den User zu einer Vielzahl von Dingen und diese werden in der Regel auch mit einem Badge belohnt. Erzielte Wattleistungen, abgespulte Kilometer, erhaltene “Ride-Ons” und regelmäßige Zwift-Besuche - das alles wird mit virtuellen Trophäen und wertvollen XP-Points aufgewogen. Für einzelne Ziele erhält man auch neues In-Game-Equipment. “Klassiker” sind dabei natürlich die 100 und die 160-Kilometer-Challenge - für diese wäre ja jetzt gerade genug Zeit.

Recht neu und ein weites Betätigungsfeld sind die Route Achievements. Bei denen bekommt man für jede Route, die man abfährt einen Badge und XP-Points. Wer so wie ich eine ausgeprägte Sammelleidenschaft für Badges hegt, kann in diesen Tagen zum Beispiel der Reihe nach die unterschiedlichen Strecken auf Zwift abfahren und dafür gute XP-Punkte und Badges einheimsen. Wichtig dabei (und etwas umständlich) ist, dass pro Zwift-Session nur ein derartiger Route-Badge gesammelt werden kann. Will man einen weiteren Route-Badge holen, muss man vorher kurz die Aktivität beenden und eine neue starten. Eine kurze und flache Runde ist entsprechend schnell und einfach geholt, während die harten Brocken (“Four Horseman”, “Uber-Pretzel”) mit 100+ Kilometern und entsprechend Höhenmetern natürlich mehr XP bringen. Ein rascher Levelaufstieg ist auf diesem Weg garantiert.

V - Trainingsprogramme

Es steht außer Frage, dass Zwift für strukturiertes und kontrolliertes Training sehr gute Rahmenbedingungen bietet. Ohne Umwelteinflüsse, Steigungen und rote Ampeln kann man sich ohne Ablenkung auf das wattgesteuerte Training konzentrieren. Die Suche nach Streckenabschnitten, die sich für einen 20-Minunten-Test eignen erübrigen sich damit weitgehend.

Zwift bietet eine Reihe von Trainings-Sessions aber auch mehrtätigen oder sogar mehrwöchigen Trainingsprogrammen. Diese kann man sich durchaus einmal näher ansehen, alle zielen auf unterschiedliche Bereiche des Trainings oder der Leistungsentfaltung ab. Und die Rolle bietet auch die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren, die man im Freien sonst nicht so ohne weiteres versuchen kann oder möchte - zum Beispiel einseitiges Pedalieren.

VI - TT-Bikes/TT-Position

Ein Fixtermin in meinem jährlichen Renn- und Eventplan ist der King of the Lake - das einzigartige Einzelzeitfahren rund um den Attersee. Allerdings waren meine bisherigen Versuche auf dem Zeitfahrer eher von Nackenschmerzen und Positionsschwierigkeiten geprägt. Daher hatte ich schon letzten Herbst den Plan geschmiedet, mein Zeitfahrrad auf die Rolle einzuspannen und dort über den Winter etwas an der Position zu arbeiten. Wobei “an der Position arbeiten” in meinem Fall nicht bedeutet, die letzten Hundertstel rauszuholen sondern einfach meinem Rücken möglichst schonend beizubringen, dass er über eine längere Zeit in dieser Position verharren soll. Sich dabei nicht aufs Fahren konzentrieren zu müssen, sondern sich auf der Rolle statisch an diese Verrenkung heranzutasten, ist ein großer Vorteil. Und es kann ein “Projekt” sein, dem man sich in den nächsten Tagen und Wochen annimmt. Auf dass der King of the Lake im September schon wieder in jener Zeit liegt, in der Veranstaltungsabsagen kein Thema mehr sind.

In Zwift spielen Zeitfahrräder auch insofern eine besondere Rolle, als auf diesen kein Windschatten zu nützen ist. Wer daher auf Zwift die Schwierigkeit seiner Ausfahrten und Rides steigern möchte, steigt einfach mal auf ein Zeitfahrrad. Das Zwift-eigene TT-Bike ist von Beginn an freigeschaltet, die Maschinen von BMC, Specialized und Canyon (bis hin zum fürchterlich aussehenden Diamond Back) kann man hingegen freischalten bzw. in-game erwerben (dazu gleich noch mehr). Noch ein positiver Nebeneffekt: Am TT-Bike erhält man bei der Durchfahrt eines Bogens (Start, Ziel, Wertung, usw.) immer Bonus-XP.

VII - Anderes Rad - Anderer Untergrund

Doch auch noch weitere Radgattungen haben in den letzten Monaten Einzug auf Zwift gehalten. Crosser, Gravel- und Mountainbikes durchmischen die Räder des virtuellen Pelotons. Und damit diese Maßnahme nicht nur rein optischer Natur ist, wurde auch der Rollwiderstand der unterschiedlichen Untergrundbeschaffenheiten entsprechend angepasst. Die Erdfahrbahn des Jungle Circuit ist beispielsweise auf einem MTB um vieles schneller zu bewältigen als mit einem klassischen Rennrad. Einfach mal ausprobieren - auch hier sind einige Räder schon von Beginn an verfügbar, andere muss man sich erst verdienen.

VIII - Eigenen Style entwickeln

Der In-Game-Shop in Zwift ist mir grundsätzlich sehr sympathisch, nützt er doch als Währung kreditkartenschonende Schweißtropfen. Mit jedem Kilometer auf Zwift sammelt man diese und hat man sein Konto weit genug aufgefüllt, kann man sich um Schweißtropfen neue Rahmen und Laufräder “kaufen”. Voraussetzung für manche Teile ist außerdem ein gewisses Level.

Auf diesem Wege kann man sich sukzessive “seine” Teile zusammensuchen und so seinen eigenen Stil auf Zwift festlegen. Das mag vielleicht infantil und überflüssig klingen, ich schaue allerdings gerne auf einen Avatar, der mir auch gefällt. Und vielleicht fährt meine Spielfigur auch mit dem gleichen Rad wie jenes, das bei mir im Vorzimmer steht. Oder man erarbeitet sich sein virtuelles Traumrad. Brillen, Helme, Handschuhe, Sockenfarben und ein Haufen Trikots bieten nahezu unbegrenzte Kombinationsmöglichkeiten. Und auch meine grauen Haare kann ich in Zwift mit Stolz reproduzieren…

IX - Ernährung

Nicht ganz unter Laborbedingungen aber doch kontrolliert und mit einem ständigen Sicherheitsnetz (namens Küche oder Badezimmer) kann man auf der Rolle auch noch andere Dinge erproben. Ernährungsstrategien, Verträglichkeiten, Nüchterntrainings, neue Riegel und Gels, andere Geschmacksrichtungen und noch vieles mehr. All diese Dinge sollte man vor einem Rennen oder Event versucht und herausgefunden haben, warum sollte man das nicht in Ruhe und Sicherheit auf der Rolle machen. Und wo wenn nicht dort, kann man sich fünf Trinkflaschen nebeneinander aufstellen, ohne dass die Transportkapazitäten an ihre Grenzen gelangen.

X - Eigene GPX-Strecken nachfahren

Nicht 100% Zwift-relevant aber jedenfalls ein Thema für die Rolle ist das Nachfahren von Strecken über den Radcomputer. Wahoo bietet hier beispielsweise die Möglichkeit, einen vorhandenen GPX-Track schnell und problemlos nachzufahren - inklusive Simulation der Steigungen. Dabei ist es egal, ob man diese Strecke schon einmal selbst gefahren ist, sich einen GPS-Track von jemand anderem besorgt (z.B. als Download von Strava oder GPSies) oder einen Track über ein entsprechendes Routenplanungstool anlegt.

Der Wahoo verbindet sich mit dem Kickr, sobald dieser in der Nähe ist und mit wenigem Knopfdrücken steht man schon am Start der virtuellen Route. Auf diesem Wege kann man den Mont Ventoux hinaufradeln, die gewohnte Greifenstein-Runde nachfahren oder aber sich auf ein spezielles Event vorbereiten. Einfach das GPX-File eines Teilnehmers oder einer Teilnehmerin vom letztjährigen Radmarathon besorgen und schon kann es losgehen. Nicht nur Formel 1-Piloten schauen sich vorher die Rennstrecke auf der Playstation an. Ich habe mir beispielsweise die Route der Race Around Austria Challenge rund um Oberösterreich als GPX angelegt und diese Route in 40km-Abschnitte eingeteilt. Auf diesem Wege kann ich nun die Strecke meines Projekts kennenlernen - natürlich nicht mit dem 100%-igen Realitätsgrad aber zumindest als Annäherung. Vorsicht ist hier nur geboten, wenn man einen Routenplaner mit mäßiger oder schlechter Kartengrundlage verwendet, dann werden Steigungen nämlich oft nicht realitätsgetreu (sondern eher sprunghaft) dargestellt und auch entsprechend an den Rollentrainer weitergeleitet. Bei mir haben sich tatsächlich gefahrene Strecken (als gpx-File) am besten bewährt.

XI - Zwift Run

Wer den Luxus eines Laufbands genießt, kann - etwas außer Radler-Konkurrenz - natürlich auch die Lauf-Funktionen von Zwift ausprobieren. Die Lauf-Sektion der Software kommt in den Genuss ständiger Weiterentwicklungen und auch das Publikum und die Nutzer*innen werden täglich mehr. Das Lauf-Universum auf Zwift gleicht grundsätzlich jenem des Radfahrens - mit den gleichen Challenges, Badges, anderen und zusätzlichen Strecken und dem gleichen Motivationsschub, wie es auch beim Radeln der Fall ist.

Ride On!

Wer noch Tipps zum Setup von Zwift braucht, findet eventuell hier ein paar Ratschläge!

Weniger Plastik dank Keego

Rahmenformen werden im Mikrometerbereich auf Aerodynamik hin optimiert, Trikotärmel bekommen Golfball-ähnliche Wabenstrukturen verpasst und Antriebsstränge werden verbessert, um unnötige Reibungsverluste zu reduzieren. So gut wie alle Bereiche des Radsports und des Radfahrens werden laufend gescreent, evaluiert und mit teilweise nicht ganz unbeträchtlichem Aufwand optimiert. In diesem Sinne mutet es mitunter etwas seltsam an, dass die Trinkflasche seit Jahrzenten nahezu unverändert ihr Dasein fristet - gefertigt aus schnödem Plastik, ab Werk mit einem strengen Geruch ausgeliefert, der nur nach und nach durch Residuen unzähliger Iso-Drinks unterschiedlicher Geschmacksrichtungen übertüncht wird.

Genau dort setzt Keego an, deren Gründer sich wohl ähnliche Fragen gestellt haben: Warum geben Radlerinnen und Radler tausende Euro für Rad, Kleidung und Ausrüstung aus, machen Ernährungsberatungen, Bikefittings und andere Anaylsen auf der Suche nach mehr Körperbewusstsein und Selbstwahrnehmung, nur um dann Getränke aus billigen Plastikflaschen zu trinken? Und nicht erst aktuelle Klima-Debatten haben die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Themen wie Umweltverschmutzung, Nachhaltigkeit oder Mikroplastik gelenkt.

Aus meiner persönlichen Sicht liegt einer der Hauptgründe in der “Beiläufigkeit” von Trinkflaschen im Profi-Radsport. Erst vor kurzem wurden Postings der großen Profi-Teams zuerst mit Wut bedacht, nachdem bekannt gegeben wurde, wieviel Plastikflaschen pro Jahr verbraucht werden (und danach großteils im Müll landen). Geklatscht wurde kurz danach, als einige Teams Besserung gelobt hatten. Fakt ist allerdings, dass dem Profi oder der Profi-Fahrerin auf dem Rad im Rennen herzlich egal ist, ob die Flasche nachhaltig ist oder länger hält - es geht hier rein um schnelles Reichen der Trinkflaschen und ebenso schnelle Entsorgung der leeren Bidons. Anders ist das für uns, die wir großteils zur Freude im Sattel sitzen, kein Begleitfahrzeug mit frisch gefüllten Flaschen hinter uns fahren haben und die Flaschen aus unserer eigenen Tasche bezahlen müssen.

Die Idee & Kampagne

Spulen wir die Zeit zurück zum 13. März 2018, als Keego-Founder Lukas auf Kickstarter verkünden konnte, dass bereits nach sechs Stunden das geplante Investitionsziel erreicht worden war. Auf dieses Update folgten noch mehrere dieser Art und am Ende standen über 215.000 Euro als Ergebnis da und das ursprüngliche Ziel war fast um das Zehnfache übertroffen. Alleine diese Zahl soll schon als indikator dafür dienen, dass es sich auszahlen sollte, die Trinkflasche als solches zu hinterfragen und neu erfinden zu wollen.

Was ist Keego? Die Idee war, eine Trinkflasche aus Metall zu fertigen, die geschmacksneutral ist, keine Gerüche annimmt und entsprechend pflegeleicht, gleichzeitig aber “squeezable” also zusammendrückbar ist. Die scheinbare Quadratur des Kreises also, die sich jeder, der schon einmal eine Sigg-Metallfalsche oder ähnliches in der Hand hatte, schwer vorstellen konnte.

Der typische und uns allen bekannte Plastikgeruch und im schlimmsten Fall auch - geschmack entsteht, wenn sich die Bestandteile des Plastiks sukzessive herauslösen und über den Inhalt der Flasche den Weg in unsere Körper finden. Dabei ist es fast schon egal, ob es um Weichmacher (sogenannte Phtalate) oder die bekannte Abkürzung “BPA” (Bisphenol A) geht oder ob man hormonelle Veränderungen, Diabetes oder andere mögliche Auswirkungen heraufbeschwört. Fakt ist, Plastik ist nicht der ideale Aufbewahrungsort für Flüssigkeiten, umso mehr, als darüber auch entsprechende Leistung abgerufen und unterstützt werden soll. (An dieser Stelle sei außerdem noch angemerkt, dass das Prädikat “BPA-frei”, das mittlerweile viele Produkte ziert, keine Garantie für eine entsprechende Unbedenklichkeit darstellt.)

Eine Keego-Trinkflasche hingegen besteht zu 99,8 Prozent aus Titan. Dieses Material ist nicht nur beständig und leicht sondern reagiert auch nicht auf äußere Einflüsse - das ist auch der Grund, warum Titan oft für Implantate und dergleichen verwendet wird. Dazu kommen Korrosionsbeständigkeit, Schimmelresistenz und eine entsprechend leichte Reinigung!

Ein steiniger Weg

Nach der erfolgreichen Kickstarter-Kampagne kamen allerdings erstmal eine Reihe von Rückschlägen. Während Konstruktion und Materialen klar waren, konnte zuerst kein Unternehmen gefunden werden, dass die Flasche nach den Vorgaben herstellen wollte oder konnte. Spezialisierte Industrieunternehmen unterbrechen dann doch nicht so gerne ihre industriellen Regelprozesse, um Ideen kleiner Start-Ups auszuprobieren. Und um sich besser vorstellen zu können, dass nicht unbedingt der Handwerksbetrieb von nebenan in der Lage ist, eine Keego-Falsche herzustellen, sei gesagt, dass man letztendlich mit einem Unternehmen zusammenarbeitete, das üblicherweise Komponenten für den CERN-Teilchenbeschleuniger herstellt.

Neben der eigentlichen Fertigung traten zusätzlich noch Schwierigkeiten mit dem Außen-Finish der Flasche auf - der Lackierer verlangte plöotzlich den doppelten Betrag für die Fertigung und die Zeiträume konnten nicht mehr garantiert werden. Das Projektteam von Keego änderte hier kurzerhand die Zusammensetzung der Flasche und auch dieses Problem war gelöst. Gleichzeitig stiegen allerdings Druck und Erwartungen jener Kunden, die das Projekt auf Kickstarter unterstützt hatten und nun schon mehrere Monate auf ihre Flaschen warteten.

Das fertige Produkt (1.0)

Schließlich trudelten im Herbst 2018 bei mir zuhause zwei “Early-Bird”-Flaschen ein, als Ergebnis meiner Unterstützung der Kickstarter-Kampagne -in schönem Silber gehalten mit blauen Akzenten am Verschluss und den Keego-Schriftzügen. Die Lieferung erfolgte nachhaltig in Kartons, die - und das war natürlich auch der erste und wichtigste Test in der Sekunde des Auspackens! - der einzige Geruch waren, der zu vernehmen war. Die Absenz von Plastikgeruch war eine unmittelbare Bestätigung dafür, dass hier offensichtlich jemand etwas richtig gemacht hat.

Beim Blick in die Flasche schimmert das Metall, es handelt sich um eine mehrschichtige Konstruktion von dünnen Titanplatten, die außen mit einer dünnen Kunststoffschicht überzogen sind. Metall auch an der Außenseite hätte für die Trinkflasche nicht die gewünschte Widerstandsfähigkeit geboten. Außerdem sichert der Kunststoff außen auch den sicheren Halt in Flaschenhaltern am Rad. Die Form weicht von bekannten Trinkflaschen etwas ab. Keego liegt etwas größer in der Hand, die Dimensionen sind allerdings den besonderen Materialeigenschaften geschuldet - Druckverteilung, Materialspannung und der Wunsch, Metall zusammendrücken zu können haben hier zu “form follows function” geführt.

Verschluss und Ventil sind aus Kunststoff bzw. Silikon gefertigt, hier gibt es leider keine Alternativen. Ist das Mundstück hineingedrückt, kann die Flasche völlig auslaufsicher transportiert, geschüttelt und auf den Kopf gestellt werden. Beim Radeln oder vor der körperlichen Aktivität zieht man das Mundstück heraus - sobald man dann die Flasche zusammendrückt, öffnet sich das Ventil. Im Umkehrschluss tropfen und spritzen die Flaschen nicht, wenn es einmal etwas holpriger zugehen sollte.

750 Milliliter fasst die Keego-Trinkflasche und damit genau so viel, wie eine große Plastikflasche - die Unterscheidung dort lautet meist klein (=500 ml) oder groß (750 ml). Und trotz des vermeintlich schwereren Materials wiegt Keego nur 92 Gramm und damit nur wenige Gramm mehr als die vergleichbare Plastikflasche.

Serie 1 der Keego-Flaschen hatte allerdings ein gröberes Problem: Man musste unverhältnismäßig viel Kraft aufwenden, um die Flaschen zusammenzudrücken. Und ohne den notwendigen Druck - und das war ja auch am Mundstück so beabsichtigt -, kam keine Flüssigkeit aus der Flasche. Nun habe ich vergleichsweise große Hände und hatte dahingehend schon leichte Vorteile, die große Flasche entsprechend zu quetschen. Dennoch möchte man sich auf Ausfahrten oder gar in Rennen nicht sonderlich intensiv mit dem Zusammendrücken der Flasche befassen, das sollte schon nebenbei und ohne große Anstrengung vonstatten gehen können.

Der Hauptgrund, warum man sich eine Flasche aus Metall zulegt, konnte von Keego allerdings voll und ganz erfüllt werden. In mehreren Monaten der Verwendung konnte sich zu keinem Zeitpunkt irgendein Geruch oder Geschmack festsetzen, die Reinigung ging leicht von der Hand und bis auf ein paar Kratzer an der Außenseite (die üblichen Abnützungserscheinungen vom Flaschenhalter) war der Keego nichts anzusehen.

Die Evolution (2.0)

Ende 2019 fand schließlich eine - diesmal schwarze - Flasche aus der neuen Charge den Weg zu mir (ich nenne sie hier mal Version 2.0). An den grundsätzlichen Eigenschaften hat sich nichts geändert, allerdings schaffte es die Keego-Crew, die Flasche leichter quetschbar zu machen. Und diese Änderung ist deutlich spürbar - man muss nun nicht mehr sämtliche Kraft dafür aufwenden sondern einfach und normal zudrücken, wie man es bei jeder anderen Flasche auch tun würde. Womit der größte bisherige Kritikpunkt an Keego aus meiner Sicht souverän ausgeräumt ist.

Ah, Moment - da war noch ein Kritikpunkt! Eine Keego-Flasche ist mit einem ambitionierten Preis von 59 Euro veranschlagt. Das ist rund das Dreifache einer Standard-Plastiktrinkflasche aus dem Handel, rund das Zehnfache einer gesponserten Trinkflasche, die man zu einem Set Riegel und Pulver dazubekommt und um ein unendliches mehr als eine Gratis-Trinkflasche, die man häufig in einem Startbeutel eines Radmarathons findet. Nun wird dieser stolze Preis für viele ein Dealbreaker sein und trotz Liebe zum eigenen Körper, Gesundheitsbewußtsein, Leistungsgedanken und anderen Argumenten für ein neutrales Material wird man schlucken. In meinen Augen wird es eine bewusste Kaufentscheidung sein, für Nachhaltigkeit und Gesundheit. Wer - so wie ich - kein sonderlich pedantischer Reiniger seiner Trinkflaschen ist, wird die Einfachheit der Reinigung hoch schätzen. Wer einmal selbst erlebt hat, was es bedeutet, wenn die Flasche überhaupt nicht nach Plastik riecht oder schmeckt, wird das nicht mehr missen wollen. Wer einen nachhaltigen Lebensstil pflegt und vielleicht auch für den Alltag eine Trinkflasche aus Metall verwendet (die dann vermutlich auch rund 40-50 Euro gekostet hat) wird die Sinnhaftigkeit einer derartigen Investition auch im Sport verstehen. Und schließlich geht es - so wie immer - auch ein bisschen um Individualität und darum, eben nicht mit der Gratis-Trinkflasche vom letzten Marathon herumzufahren.

Das Fazit

Ich hatte nun insgesamt drei Keego-Flaschen im Einsatz, zwei davon über ein Jahr lang. Die versprochene Geschmacks- und Geruchsneutralität kann Keego jedenfalls einlösen. Auch mit wenig oder nicht sehr gründlicher Pflege sind die Flaschen innen in einem makellosen Zustand, nichts haftet, nichts klebt, nichts ist zerkratzt. Auch der Geschirrspüler, der von Keego an sich nicht zur Pflege empfohlen wird, konnte meinen Flaschen bis jetzt nichts anhaben.

Ich habe die Flaschen mit purem Wasser verwendet, mit Iso-Drinks, mit Isodrinks, in die noch zusätzlich Gels reingedrückt waren und dann wieder mit purem Wasser mit einer Messerspitze Salz. Trinken aus dem Bidon wird nie ein kulinarisches Fünf-Sterne-Erlebnis sein, aber zu wissen, dass Wasser wirklich nur nach Wasser schmeckt, ist für mich schon großartig genug. Wer viel unterwegs ist, eventuell unterschiedliche Produkte in die Flaschen füllt oder zur Reinigung nur kurz ausspülen möchte, wird mit Keego glücklich werden. Was in keinem Test und auf keiner Homepage steht, ist, dass Flüssigkeiten in der Keego-Flasche gefühlt etwas länger kühl bleiben. (Vielleicht steht es aber auch nur nirgends, weil ich es mir nur einbilde…)

Die Haltbarkeit wird von Keego mit mindestens drei Jahren angegeben. Wenn ich überlege, wie meine Plastikflaschen nach einem halben Jahr intensiven Gebrauchs aussehen, reicht mir diese Lebensdauer auf jeden Fall aus, wenn die Keego-Flaschen ihre guten Produkteigenschaften über diesen Zeitraum erbringen können.

Die schlechte “Quetschbarkeit” ist seit Version 2.0 kein gültiges Argument mehr gegen eine Keego, bis auf den Formfaktor gibt es keine wesentlichen Unterschiede zu einer herkömmlichen Plastikflasche. Es werden mittlerweile mehrere Farb-Varianten angeboten, für Firmen und Vereine gibt es außerdem die Möglichkeit, Keego-Flaschen entsprechend branden zu lassen.

Bleibt der Preis als letzter potentieller Dealbreaker. Dieser ist nicht schönzureden oder wegzudiskutieren, wer allerdings die Geschichte hinter dem Produkt kennt, den Produkteigenschaften entsprechende Wertigkeit einräumt und sein reines Wasser aus einem nachhaltigen und in Europa gefertigten Produkt konsumieren will, der schaut sich Keego am besten mal etwas genauer an.

PS: Für meine “Race Around Austria Challenge Unsupported” habe ich vor, mit Keego-Flaschen an den Start zu gehen. 1. bieten mir diese mit in Summe 1,5 Litern ein größeres Volumen als meine bisherigen Flaschen und 2. werde ich in diesen 24 Stunden so viele Pulver, Gels und was auch immer in diese Flaschen füllen, dass es nur gut ist, wenn man diese mit einem Schwapp Wasser schnell und einfach ausspülen kann!

Tour de Zwift

Alle Jahre wieder ruft Zwift zur hauseigenen Tour de Zwift. Es ist ein Weckruf, eine Motivationshilfe oder ein Unterhaltungsformat - je nachdem, wie sehr man nach dem Jahreswechsel und der Wiehnachts-Völlerei schon wieder im (Trainings-)Alltag angekommen ist. Die wachsenden Userzahlen und die mittlerweile sieben Welten machen die “TdZ” mittlerweile zu etwas großem! Group Rides mit 1.000 anderen Usern? Kein Thema! Stündliche Veranstaltungen? Logisch. Live Streams auf Youtube von TdZ-Rennen? Schaue ich persönlich mir nicht an, aber gibts auch. Die einschlägigen Facebook-Gruppen und Foren gehen über mit Tipps, Fragen und Erlebnisberichten - da möchte auch ich um nichts nachstehen. Los geht´s!

Stage 1: London

Bei manchen Vorhaben schaut man sich im Vorfeld am besten gar nicht so genau an, was auf einen zukommt, sondern legt einfach los. So habe ich es mit der Tour de Zwift 2020 gemacht. Die letzten Jahre hat es die Etappen-Veranstaltung zwar auch schon gegeben, allerdings war ich da nur sporadisch mit von der Partie. Und nachdem ich 2019 die Festive 500 abgeschlossen hatte, war ich auch motiviert, gleich die nächste strukturierte Aufgabe zu bekommen.

Es geht los in London! Zur Auswahl stehen - und Zwift versucht es hier tatsächlich, möglichst allen recht zu machen - Group Rides, Women Rides, Races und Runs. Der Modus und der Wettbewerbslevel sind also frei wählbar, in der Praxis unterscheidet sich das allerdings etwas weniger als gedacht. Während die üblichen Kategorien “A” bis “D” bei den Rennen wie gewohnt die Leistungskategorien markieren, fahren die “A”s bei den Group Rides eine längere, die “B”s eine kürzere Strecke - je nach Route sind das immer so um die 40 Kilometer auf den langen, entsprechend ca. die Hälte oder etwas mehr auf den kurzen Strecken.

Zweieinhalb Runden durch die Londoner City - vorbei am Palast, in dem sich gerade royale Abnabelungs-Dramen abgespielt haben - und zum Abschluss zur Bergwertung am Leith Hill. Es geht wie immer auf Zwift vom Start gleich flott los, es kommt nicht so wirklich dazu, dass sich Untergruppen gleicher Leistungsstärke bilden, viel eher zieht sich der ganze Pulk in die Länge und man muss schnell entscheiden, ob man mit den Vorderen mitfahren möchte oder sich zurückfallen lassen muss. 250 bis 300 Watt stehen auf dem Display, weniger werden es allerdings auch mit zunehmender Renndauer nicht. Irgendetwas in mir wird getriggert - auch wenn ich eigentlich langsamer fahren möchte, ich fahre die Lücke zum Vordermann zu, möchte an der Gruppe dranbleiben - und die Beine machen erstaunlicherweise halbwegs mit.

Ein paar Kilometer vor dem Ziel geht es Richtung Leith Hill - meiner Meinung nach der fieseste Anstieg in London. Im Anstieg sortiert sich das Feld noch einmal neu - einige ziehen vorbei, andere, die man davor noch vorne gesehen hat, fallen zurück. Ich versuche meine Leistung auch im Anstieg konstant weiterzutreten. Nach 70 Minuten ist der Spuk vorerst vorbei, 250 Watt Schnitt stehen auf der Ergebnistafel. Unter dem Rad hat sich eine große Lacke Schweiß gebildet. Während noch die Verwunderung über die Intensität des Rides überwiegt, trudelt schon das Mail von Zwift ein, in dem zum Abschluss der ersten Etappe gratuliert wird. Und schon ist die Motivation für die zweite Etappe da!

Stage 2: Innsbruck

Auch wenn die Strecke schwer ist, ich freue mich immer, wenn Innsbruck im Kalender von Zwift aufscheint. Vielleicht liegt es daran, dass es in Österreich ist, sicher aber auch daran, dass ich 2018 bei der Weltmeisterschaft vor Ort war. Und die berüchtigte Höttinger Höll des Elite-Herrenrennens ist ja nicht Teil der Strecke - mir fällt auch keine Rollen-Trainer ein, der die aberwitzige Steigung von 28% simulieren könnte.

Wie schon in London geht es zuerst drei Runden durch die Stadt - vorbei am Goldenen Dachl und den anderen Sehenswürdigkeiten der Tiroler Landeshauptstadt - und dann hinauf Richtung Patscherkofel. Da ich schon länger nicht auf der Zwift-Strecke von Innsbruck unterwegs war und dieses Mal mit dem TdZ-Group Ride noch dazu unter “offizielleren” Bedingungen, werde ich fast schon sentimental während der Fahrt. Ich kann mich noch an jede Rennsituation und Begebenheit erinnern. Das Foto von Greg van Avermaet mit den belgischen Fans kurz vor der großen Fanzone, die lange Gerade vor Lans, in der Peter Sagan den Anschluss an das Hauptfeld verlor, der Campingplatz unter der Bobbahn Igls, bei dem Marco Haller sich das Rennen angesehen hat.

Diese Gedanken lenken davon ab, dass es wiederum viel härter als geplant ist und auch die Absicht, es dieses Mal ruhiger angehen zu lassen, sofort über Bord geworfen wurde, als der Startcountdown zu Ende war. 239 Watt Schnitt über 76 Minuten sind nicht das, was ich eigentlich eher im Sinne eines Grundlagentrainings absolvieren hätte sollen, auch wenn es wieder großen Spaß gemacht hat.

Überhaupt nicht sentimental werde ich allerdings, als das iPad vor mir plötzlich beschließt, die Zwift-App upzudaten. Das Rennen war schon vorbei und ich wollte einen Screenshot vom Ergebnisbildschirm machen, da wird plötzlich der Bildschirm schwarz und die App beginnt ein Update. Hätte ich noch einen Tropfen Flüssigkeit in mir gehabt, er wäre in Form von Tränen panisch aus meinen Augen geschossen. Der Neustart der App nach dem Update, ermöglichte mir zwar, die Aktivität fortzusetzen, allerdings nicht mehr als TdZ-Group Ride sondern einfach als "Aktivität in Innsbruck”. Auch eine Nachfrage beim netten und flinken Zwift-Support konnte daran nichts ändern. So bleibt mir nichts anderes über, als noch einmal durch das schöne Innsbruck zu fahren. Nach Ablauf der regulären sieben Etappen der Tour de Zwift gibt es die sogenannten Make-Up-Tage, an denen man Versäumtes oder - wie in meinem Fall - “Verhautes” nachholen kann.

Stage 3: Watopia

Watopia ist quasi “Kernland” von Zwift - immer online und anwählbar, mit den meisten und längsten Strecken und der größten Vielfalt. Die Routenoptionen sind mannigfaltig, dementsprechend war ich gespannt, welche Strecke die Tour de Zwift unter die Räder nehmen würde. Auf 43 Kilometern der langen Gruppen-Ausfahrt waren dann dementsprechend der Epic KOM, der Jungle und eine Runde um den Vulkan untergebracht. Während bei den ersten beiden Etappen noch das Fahren in der Gruppe im Vordergrund stand, wurde durch den Epic KOM gleich zu Beginn der Watopia-Runde schon ordentlich aussortiert, sodass man im Normalfall schon nach der halben Distanz in einer kleinen Gruppe oder überhaupt alleine unterwegs war.

Verschärfend wirkte außerdem das neue Feature von Zwift, bei dem die Untergrundbeschaffenheit (im Fall der Jungle-Strecke: Schotter und Erde) sich auf das tatsächliche Fahrverhalten bzw. die Geschwindigkeit auswirken. Mit 250 Watt auf Erde ist man mit dem Rennrad plötzlich bedeutend langsamer unterwegs und es fühlt sich an, als würde man überhaupt nicht mehr vom Fleck kommen. Das Feature wurde übrigens gleichzeitig mit den MTB- und Offroad-Trainingsplänen, der MTB-Teststrecke und den neue Offroad-Fahrrädern im Drop-Shop eingeführt.

Der eine oder andere Mitstreiter bei meiner Tour de Zwift war dann plötzlich verschwunden, dann wieder da, dann wieder verschwunden und ich vermutete schon Instabilitäten des Systems bis ich jedoch überriss, dass die Leute ihre Räder wechseln. Mit dem Crosser oder gar dem MTB ist man auf den Schotterpisten doch entsprechend schneller unterwegs. Mir war das zu mühsam, außerdem wollte ich dem Gedanken der Veranstaltung entsprechen und fuhr auf dem Renner meinen Jungle Circuit zu Ende. Auch hier gilt - wie bei fast allen meinen anderen Veranstaltungen auch: es ist egal, ob man als 214. oder als 340. ins Ziel kommt.

Stage 4: Bologna

Die Straßen von Bologna hatte ich vorher noch nie in Zwift befahren, dementsprechend war ich sehr gespannt und neugierig - neue Streckenkilometer in Zwift sind ja immer etwas Besonderes. Aufgrund einer Verkühlung war der Plan, es etwas lockerer angehen zu lassen - doch wie immer wurde ich eines anderen belehrt oder besser: ich konnte mich nicht zurückhalten. In völliger Unkenntnis der Strecke hängte ich mich an die Gruppe vor mir, die in der Ebene schon mit 250 Watt+ durch das schöne Bologna raste. Ich wusste nur “Zeitfahren”, was sollte da schon groß für ein Anstieg vorkommen…

Und so dachte ich mir auch nach gut sechs Kilometern, dass es wohl gut so weiterrollen würde. Bis sich hinter einer unscheinbaren Kehre plötzlich eine Wand aufstellte. Die Punkte der anderen Fahrer auf der Minimap häuften sich zu großen Bündeln, wie eine Prozession schlängelte sich das Fahrerfeld über 15 Prozent steile Rampen nach oben. Die pittoreske italienische Architektur konnte auch nicht davon ablenken, dass es in den Beinen zu kitzeln begann.

Zwei Kilometer misst dieser Anstieg und spätestens hier darf man bereuen, dass man die lange Strecke ausgewählt hat, die nämlich zwei mal hier rauf führt. Die ersten Fahrerinnen und Fahrer kommen schon wieder den Berg herunter, während ich noch Watt für Watt gegen die 17 Prozent Steigung im steilsten Abschnitt kämpfe.

Zerstreuung finde ich in der Tatsache, dass ich vor einigen Jahren auf Dienstreise in Bologna war und dort bei einem Lauf vor meinen Terminen einen ähnlichen Berg hinaufgelaufen bin. Während des ganzen Rennens überlege ich und versuche einzelne Gegebenheiten wiederzuerkennen - wäre doch ein netter Zufall, wenn das genau hier gewesen wäre. Strava wird mich später aufklären, dass ich beim Kloster einen Hügel weiter war und nicht da, wo später der Giro drübergerollt ist.

Die Abfahrt beschert mir ein Zwift-Achievement, als ich die 100 km/h-Schallmauer durchbreche. Dass ich gleich danach mit 106 km/h durch eine Spitzkehre durchfahre ist physikalisch zweifelhaft und lässt mich kurz darüber nachdenken, ob man auf Zwift nicht doch ein bisschen den Bezug zur Realität verlieren kann. Der Rückweg zum Start, die erneute Fahrt zum Anstieg und das zweite Mal den Berg hinauf vergehen erstaunlich schnell - die Bergankunft motiviert, noch einmal richtig anzudrücken. 257 Watt Normalized Power sind in meinem Zwift-Fall immer auch 257 Watt Durchschnittsleistung, höre ich doch auf dem Kickr eigentlich nie auf zu treten. Jedenfalls die anstrengendste Etappe der diesjährigen Tour de Zwift!

Stage 5: New York

Mit New York verbindet mich eine Hassliebe - die Routen und Varianten dort sind spannend und vielseitig aber auch sehr anspruchsvoll. Und gerade die KOM-Wertung zwischen den Wolkenkratzern verlangt mit ordentlichen Steigungsprozenten einiges ab. Die Systematik der Etappen der Tour de Zwift habe ich allerdings mittlerweile durchschaut, ich kalkuliere also schon von Beginn an zwei Bergwertungen ein, das macht es im Kopf etwas einfacher.

Ich verschlafe den Start des Rides etwas, bin plötzlich 800. von knapp 900 Teilnehmern des Rides und überlege kurz, den heutigen Tag als entspannten GA1-Ride abzuwickeln. Die ersten Lücken gehen schnell auf und irgendwie macht es auch hier wieder mehr Spaß, den Vordermann zu jagen und die nächste Lücke schließen zu wollen. Es rollt fein durch den Central Park, mit entsprechendem Schwung in den kurzen Abfahrten bereiten auch die darauffolgenden kleinen “Schupfer” kein allzu großes Kopfweh. Den KOM versuche ich beide Male “ambitioniert” zu nehmen, das Mühsal also in einen positiven Trainingsanreiz zu verwandeln. (Pro Tip: Außerdem ist es schneller vorbei, wenn man schneller drüberfährt).

Dazwischen bleibt genug Zeit, beim Group-Chat mitzulesen: über die Regeln der Tour de Zwift (keine Tron Bikes in Rennen, keine Zipp-Scheibe in Rennen), über jene, die einzelne Etappen nicht nur radfahren sondern auch laufen oder die üblichen Meldungen wie “Meine Trinkflasche ist gerade runtergefallen”, die meist recht unterhaltsam kommentiert werden. Alles Dinge, die Teil des Rezepts von Zwift sind, nämlich die Zeit am Rollentrainer kurzweilig und unterhaltsam zu gestalten.

Stage 6: Richmond

Auch wenn die bisherigen Etappen - wie man so schön sagt - kein “Kindergeburtstag” waren, für Richmond wollte ich mich aus meiner Komfortzone wagen. Richmond, der Kurs der WM 2015, war kurz beliebt, dann eher unbeliebt bis verhasst, dann wieder beliebt - zumindest bei mir. Die schnellen, flachen Teile mit den drei kurzen Anstiegen haben ein Profil, das mir als Fahrer grundsätzlich ganz gut entgegenkommt und beim 23nd Street-Sprint sehe ich noch immer jedesmal Peter Sagan vor mir, wie er die entscheidenden Meter auf seinem Weg zum ersten Weltmeistertitel herausfährt.

Ich mag also Richmond, wähle diesmal “Rennen” statt “Group Ride”, eine Runde auf dem WM-Kurs entspricht 16 Kilometern. Sollte ich also im Rennen völlig am falschen Platz sein, ist der Spuk immerhin in rund 25-30 Minuten wieder vorbei. Bei der Anmeldung stehe ich vor einem Problem, das mir früher schon einmal Kopfzerbrechen gemacht hat. Die Leistungskategorien in Zwift sind nach Watt/Kilogramm unterteilt, mein derzeitiger FTP-Wert liegt genau an der Grenze zwischen den Gruppen B und C, bei rund 3,2 Watt pro Kilogramm. In der Praxis bedeutet das, entweder in Gruppe C mitzufahren und disqualifiziert zu werden, weil man über der zulässigen W/Kg-Grenze tritt oder aber bei Gruppe B mitzufahren, dort allerdings zu den Schwächeren zu gehören. Ich wähle Race Spirit und dementsprechend Gruppe B, es ist dies ohnehin ein Testlauf und eigentlich möchte ich einfach nur meine persönliche Tour de Zwift in meinem Tempo abschließen.

Rennen auf Zwift entscheiden sich in der Startphase. Kurz bevor der Startbogen sich öffnet sollte man schon recht ordentlich in die Pedale treten, damit man nicht schon auf den ersten Metern wertvollen Boden verliert. Begründet liegt dieses “Vorarbeiten” in der Tatsache, dass Zwift ein Drei-Sekunden-Mittel der Leistung heranzieht (zumnidest ist das die Default-Einstellung). Beginnt man demnach erst eine Sekunde vor Start zu treten, “fehlen” zwei Sekunden für die volle Leistung. Mit etwas über 400 Watt geht es aus dem Startbereich hinaus, hier muss man zwei bis drei Minuten ins Rote gehen, bevor sich die Gruppen finden und das ganze etwas zur Ruhe kommt. Wichtig ist, an einer Gruppe dranzubleiben - nur mit dem Draft-Effekt von Zwift kann man mit gut 45 km/h mitschwimmen. Ist man einmal aus dem Windschatten draußen, wird es schwierig.

Die knapp 25 Minuten sind intensiv, der Puls ist hoch, die Wattwerte bleiben oben. Es ist ein gutes FTP-Intervall, wenn man so will - oder wenn man die Anstiege als kleine Intervalle hernimmt, dann die sogenannten “Over and Unders”. Am Ende stehen 294 Watt Leistung im Schnitt auf dem Ergebnisblatt, gerade genug für einen 71. Rang (von 127) in der Kategorie B. Willkommen in der Leistungsgesellschaft von Zwift! Die Schweißlacke unter meinem Rad deutet an, dass mein Körper sich ausgiebig gereinigt hat - kurze intensive Einheiten haben irgendwie schon auch ihr Gutes.

Stage 7: Yorkshire

Mit dem Kurs der letzten Weltmesiterschaft in Yorkshire werde ich irgendwie nicht warm… Einerseits liegt mir die Strecke mit ihren Eigenschaften (wellig, keine allzu großen Steigungen), auf der anderen Seite bereitet es mir aber ungefähr so viel Lust dort zu fahren, wie es den Profis gefallen haben muss, durch 20 Zentimeter hohe Wasserlacken zu radeln. Vielleicht ist es aber auch die ewig lange Gerade gleich nach dem Start, die eine gewisse Monotonie suggeriert. Egal, es ist die letzte Etappe der Tour de Zwift 2020.

Zum Abschluss wähle ich noch einmal die lange Gruppen-Ausfahrt, über zwei Runden auf dem WM-Kurs geht es über knapp 30 Kilometer, es sind zur Hauptabendzeit massig Leute am Start (die Rides zwischen 18:00 und 20:00 sind am besten besucht), die Strecke garantiert ausreichend Mitfahrende und entsprechenden Windschatten.

Da mein Rennrad tatsächlich auch einmal im Ausseneinsatz (bei einer Ausfahrt mit Tini und Andy von geradeaus.at) war, kommt meinem Crosser die Ehre zu, in den Kickr eingespannt als Zwift-Rad zu fungieren. Was ich dabei allerdings nicht bedacht habe, ist die kleinere Übersetzung des Crossers, die mich bei 40x11 zu einer Einheit “Superfast-Spinning” zwingt, um meiner Gruppe folgen zu können. Aber auch diese Herausforderung kann irgendwie gemeistert werden und das Training hat unfreiwilligermaßen einen zusätzlichen Aspekt hinzubekommen.

Während andere bereits ihre virtuelle Trophäe für den Abschluss der Tour de Zwift erhalten, fehlt mir - aufgrund meines Innsbruck-Speicher-Fehlers - noch eine Etappe. Diese wird aber sogleich nachgeholt, folgen doch nach den regulären Etappen die sogenannten ”Make-Up-Days”.

Make-Up Days!

Für jene, die eine Etappe versäumt, versemmelt oder vergessen haben, bieten die Make-Up-Days die Möglichkeit, diese Scharte auszumerzen. Für jede Etappe gibt es dabei entsprechende Events, bei denen man sich nochmal an die jeweilige Startlinie stellen kann. Wäre doch schade, wenn man wegen Terminen, Erkältungen oder anderen Hinderungsgründen auf den Abschluss der Tour und die virtuelle Trophäe verzichten müsste…

Meine zweite Innsbruck-Runde bietet wenig überraschendes, viel mehr die Möglichkeit, noch einmal zurückzuschauen auf die letzten beiden Wochen, zu analysieren und vor allem zu resümieren.

Was hat es gebracht?

Wie immer wird man sich Kritik aus zwei Ecken gefallen lassen müssen:

  1. Warum tut man sich das an - für einen virtuellen Pokal, einen virtuellen Badge, ein virtuelles Trikot, ein Rad oder - wie beispielsweise auch bei den Festive 500 - für einen kleinen Stoff-Fetzen?

  2. Radfahren auf Zwift ist doch gar kein richtiges Radfahren und nützt für das “echte” Radfahren draußen nichts.

Die Replik darauf kann mannigfaltig erfolgen und spiegelt meine persönlichen Erfahrungen wider: Der Stoff-Badge, der virtuelle Pokal oder das Trikot sind kleine Freunden und Zeichen der Anerkennung, aber auch Platzhalter. Als solche stehen sie stellvertretend für einen Erfolg, den man errungen hat (immerhin ist man gerade sieben Etappen gefahren), den inneren Schweinehund, den man überwunden hat oder aber die Liter Schweiß, die man “erfolgreich” herausgeschwitzt hat. Wer diese Leistung nicht vollbracht hat, sollte am besten gar nicht urteilen (Stichwort: “Glashaus”). Durch meine Festive 500 Ende letzten Jahres habe ich (wieder einmal) vor Augen geführt bekommen, wie wichtig Training im Winter ist, wenn man im darauffolgenden Jahr gut unterwegs sein möchte. Die Grundlage, die ich mir dort erarbeitet habe, wird mir im Laufe des Jahres noch viel Freude bereiten. Und ähnlich sehe ich es auch mit der Tour de Zwift: Hier waren es nicht die Grundlagen-Kilometer sondern eher Tempo-Einheiten, aber auch diese erfüllen ihren Zweck im Trainingsalltag. Ohne die Tour de Zwift wäre ich vermutlich im Grundlagentempo auf Watopia herumgerollt - auch sinnvoll, aber ein paar knackige Tempo-Einheiten bereichern das Training enorm.

Und auch der zweite potentielle Kritikpunkt kann leicht beantwortet werden. Die Anstrengung, der Schweiß und auch die Schmerzen sind echt, die Trainingsbelastung ist real und der Effekt jedenfalls vorhanden. Wie und inwiefern man Radfahren auf Zwift mit jenem draußen vergleichen kann, darüber sollen sich Zwift-Blogs, User-Foren und Wissenschafter weiter den Kopf zerbrechen.

Für mich stellt Zwift einen wertvollen und wesentlichen Beitrag in meinem Training dar und ich habe keine Zweifel daran, dass mir die Stunden auf dem Wahoo später im Jahr helfen werden. Sicherlich fühlen sich die echten Berge anders an als Alpe du Zwift und Wattwerte von Zwift wird man eventuell auf der Straße nicht 1:1 reproduzieren können - aber so viel Realitätssinn muss im Endeffekt jede und jeder haben, dass man seine eigenen Leistungen realistisch einschätzen und auf andere Situationen übertragen kann.

In diesem Sinne: Danke, Tour de Zwift, für spannende, unterhaltsame und fordernde Stunden im Sattel. Danke, dass ich aus der Komfortzone gelockt wurde. Danke, dass ich zu regelmäßigen Einheiten “gezwungen” wurde. Danke für ein strukturiertes und durchdachtes Format, bei dem ich mich um nichts mehr kümmern muss, als ums Treten. Und danke für die Belohnung ;)

Satteldruckanalyse bei PBike

Auf dem Bildschirm vor meinen Augen bewegt sich eine undefinierte blaue Fläche, an manchen Stellen verfärben sich Teile grün, da wird ein Punkt gelb, dort einer sogar kurz rot. Mein Rad ist bei PBike neben der Bikefitting-Station eingespannt und ich trete gemütlich in die Pedale - in Oberlenkerposition, auf den Hoods und im Unterlenker. Die farbige Fläche geht von meinem Allerwertesten aus, mein Sattel ist mit einem intelligenten “Überzieher” ausgestattet, der jeden Druckpunkt, jede Bewegung und jede Veränderung penibel registriert und auf dem Bildschirm anzeigt.

Unter Druck!

Dass man sich heutzutage zu einem Radkauf (zumindest ab einer gewissen Preisklasse) ein Bikefitting gönnt, ist beinahe schon selbstverständlich. Und das ist gut so, schließlich entbehrt es einer gewissen Logik, sich um mehrere tausend Euro ein Sportgerät zu kaufen und dann darauf zu verzichten, es richtig einstellen zu lassen. Das Thema Bikefitting haben wir vor einiger Zeit schon ausführlicher gehabt (und es wird in den nächsten Wochen ein Update geben!), im Wesentlichen geht es dabei aber um die richtigen Einstellungen am Rad, um dieses an den eigenen Körper, die gewünschte Fahrweise und an anatomische oder medizinische Rahmenbedingungen anzupassen. Sattelpostition und damit eng verbunden Sitzposition sind in diesem Spiel wichtige Komponenten und oft ist der Hintern der Radlerin und des Radlers die Schwachstelle. Fragt man schnell einmal in seinem Bekanntenkreis herum, wo denn am ehesten die Probleme liegen oder sogar Schmerzen auftreten, werden sich zwei Antworten herauskristallisieren: Hände oder Gesäß - sind das doch schließlich die zwei großen (statischen) Kontaktpunkte zwischen uns und dem Rad. Mit starker Überhöhung sind die Hände und Handgelenke starkem Druck ausgesetzt und damit potentiell gefährdet. Sitzt man hingegen sehr aufrecht auf dem Rad, steigt der Druck auf den Allerwertesten. Mit einem Bikefitting kann man entweder statisch oder aufgrund der Bewegungswinkel gut ausmessen und anschließend einstellen, wie man auf dem Rad sitzt und schon auf diese Weise mögliche Probleme im Ansatz vermeiden oder minimieren.

Was bei einem klassischen Bikefitting bis jetzt aber nur angenommen wurde - oder aufgrund technischer Rahmenbedingungen nur angenommen werden konnte - ist die Druckverteilung auf dem Sattel. Während die Sitzknochenvermessung - das ist jene Geschichte, bei der man sich auf einen Karton setzt und dann den Abstand zwischen den beiden Dellen abmisst - zwar Auskunft über eine mögliche Sattelbreite geben kann, ist damit noch lange nicht sichergestellt, dass man sich auf dem Sattel auch wohlfühlt und keine Druckschmerzen auftreten.

Auftritt Satteldruckanalyse! Wer schon einmal in einem guten Laufgeschäft war und sich dort einen Laufschuh gekauft hat, ist vielleicht schon über eine Druckmessplatte gelaufen. Bei Laufschuhen wird auf diese Weise ermittelt, wo die Auftrittspunkte beim Laufen sind, wie sich der Druck verteilt und welcher Schuh geeignet ist. Bei der Satteldruckanalyse passiert im Wesentlichen etwas Ähnliches.

Wie funktioniert die Satteldruckanalyse?

Man kommt mit seinem eigenen Rad, seinem Sattel und Radgewand - schließlich sollen die Bedingungen jenen entsprechen, die man auch am Rad vorfindet. Der Sattel bekommt sodann einen Überzieher, der auf den ersten Blick eher altbacken nach einer Regenhaube für den Sattel eines Stadtrades aussieht und so gar nicht nach hochtechnologischem Messverfahren aussieht. Dann tritt man in die Pedale, wobei es nicht um Watt oder Geschwindigkeit geht, sondern um jene Position, in der man in der Regel unterwegs ist.

Auf dem Bildschirm von Christoph beginnen sofort die ersten Farbflecken zu wabern. Grau bedeutet, dass dort kein Kontakt zwischen Körper und Druckmessfolie besteht, blau und grün stellen “normalen” Druck dar, gelb und rot entsprechend höheren. Im Idealfall pedaliert man so ein paar Minuten vor sich hin, damit das System einen guten Ersteindruck und damit auch Mittelwert generieren kann - die Erstmessung ist abgeschlossen.

Schon nach wenigen Minuten hat man auf dem Bildschirm bunt auf weiß eine Erklärung für das, was man am unteren Ende des Körpers - oder besser in der Mitte… - spürt. Es folgen weitere Sessions in anderen Griffpositionen - Hoods, Oberlenker, Unterlenker, Zeitfahrposition (oder wie ich sie nenne: die “Tim Wellens-Position” mit den Unterarmen am Oberlenker aufgestützt). Je nach Griffposition ändert sich natürlich die Gewichtsverteilung zwischen Händen und Gesäß und die Sitzposition im Sattel. Die Druckverteilung und die bunten Felder auf dem Display wandern dementsprechend von vorne nach hinten (Oberlenker) und wieder zurück nach vorne auf die Spitze des Sattels (in Aero-Position). Wieder ist anhand der Farbcodes sofort erkennbar, wie groß die Druckspitzen sind, wo potentielle Problemstellen da sind.

Wer viel im Sattel sitzt und im Jahr mehrere tausend Kilometer abspult, hat im Normalfall ein gut ausgeprägtes Körperbewusstsein und “spürt sich” ganz gut. Dementsprechend erinnert man sich auch an unterschiedliche Sättel, unterschiedliche Sitzpositionen und das eine oder andere Weh-Wehchen oder Problem, das im Laufe der Jahre aufgetreten ist. Im Rahmen der Satteldruckanalyse kann man diese Erinnerungen - fast schon spielerisch - reproduzieren. So werden beispielsweise Ausweichbewegungen sofort sichtbar, seitliche Dysbalancen, man sieht das Kippen des Beckens in seiner Richtung und Ausprägung - dem unscheinbaren Sattelüberzug auf dem eigenen Rad bleibt so gut wie nichts verborgen. Was sich nicht in Farbskalen darstellen lässt, erklärt Christoph anhand der Vielzahl von Daten, die ermittel werden und in einer der vielen Ansichten im Programm verfügbar sind. Flächen, Verteilungen, Maximalwerte, Mittelwerte, Verhältnisse…

Schön und gut, aber wozu das Ganze? Wenn man “seine” Sitzposition gefunden hat und beschwerdefrei unterwegs ist, warum dann die Büchse der Pandora überhaupt öffnen? Im Wesentlichen gibt es drei Anwendungsfälle, für die eine Satteldruckanalyse gut ins Konzept passt:

  1. Bikefitting

  2. Sattelkauf

  3. Schmerzen

Schauen wir uns das kurz genauer an!

Bikefitting

Über Nutzen und Zweck eines Bikefittings brauchen wir an dieser Stelle nicht mehr zu reden - zumindest ich persönlich halte ein Fitting jedenfalls für angebracht, wenn man sich ein neues Rad zulegt oder gröbere Änderungen am bestehenden durchführt.

Während das Bikefitting - egal ob statisch oder dynamisch - die Position des Körpers am Rad festlegt bzw. gewisse Einstellungen empfiehlt, sagt die richtige Position des Sattels noch nichts darüber aus, wie sich dieser anfühlt. Mit dem Bikefitting ist aber der Sattel an der richtigen Position - immerhin schon etwas.

Als nächste geht man in der Regel an die Messung des Sitzknochenabstands, um die Breite eines möglichen Sattelmodells zu eruieren. Die Messung geht schnell, die Punkte und der Abstand dazwischen schnell vermessen und die Sattel-Hersteller bieten in der Regel unterschiedliche Modelle oder Varianten für den jeweliigen Sitzknochenabstand an. Damit ist man noch einmal einen Schritt weiter - der Sattel ist an der richtigen Position und das Modell ist grundsätzlich einmal nicht so falsch.

Mit der Satteldruckanalyse kommt noch eine weitere Ebene im Rahmen des Fittings dazu - die Druckverteilung am Sattel. Nehmen wir meinen Sattel und meinen Hintern: Mein Sitzknochenabstand beträgt gute acht Zentimeter, der dazu passende Sattel würde mich allerdings nur bedingt glücklich machen. Die Satteldruckanalyse zeigt, dass ich - in gefitteter Position - auf dem vorderen Teil des Sattel sitze, und zwar egal ob in Unter- oder Oberlenkerposition. Die Druckverteilung zeigt dementsprechend, dass ein Großteil des Drucks vor meinen Sitzknochen auf den Sattel kommt. Sich nur am Sitzknochenabstand zu orientieren , wäre in meinem Fall also irreführend - schließlich müssen meine Sitzknochen nur einen Bruchteil der eintretenden Energie ableiten.

Jetzt sind mein Equipment und mein Körper großteils ein eingespieltes Team, so dass ich - glücklicherweise - ohne große Probleme oder Notwendigkeiten ganz gut mit meinem vorhandenen Sattel unterwegs bin. Die Satteldruckanalyse hat in meinem Fall gezeigt, dass mein System gut funktioniert, dennoch sind auch hier noch Optimierungen möglich. “Optimierungen” haben nun oft schon den etwas fahlen Beigeschmack von Über-Performance, unnötigen Investitionen und Verschlimmbesserungen. Im Fall der Satteldruckanalyse ist das jedoch anders, geht es doch im weiteren Sinne auch um Komfort und Wohlfühlen und damit um den Spaß am Radeln. Das ist für mich besser und einfacher argumentierbar als die Suche nach 0,5 zusätzlichen Watt irgendwo im Antriebsstrang.

Um die Sinnhaftigkeit der Satteldruckanalyse zu verdeutlichen, habe ich als Kontrast den neuen Fizik Vento Argo auf mein Rad geschraubt. Dieser ist im Wesentlichen kurz und hinten breit, damit soll der Fahrer oder die Fahrerin zu einer aerodynamischen Position am rad “animiert” werden. Man kann mit dem Becken weiter nach vorne rutschen und trotzdem verteilt sich der Druck besser (weil vorne breiter). Ich hatte den Sattel bereits testweise für zwei Ausfahrten draußen auf dem Rad. Bei Einheiten auf dem Kickr traten bei mir aber fast schon Schmerzen auf, so unangenehm war die Sitzposition, wenn das Rad statisch in der Rolle eingespannt ist. Die Satteldruckanalyse mit dem Vento bestätigt in Farbe und Bewegung, was meine interne Sensorik schon gespürt hat - rote Punkte, ungleiche Verteilung, Wechsel der Position und Ausweichbewegungen auf der Suche nach einer schmerz- und druckfreien Sitzpoition. Dass ein derartiges Herumrutschen im Sattel, Ausweichen und Abfedern mit dem ganzen Körpern auch zu entsprechenden Leistungseinbußen führt, ist selbstverständlich.

Auch Jojo hat den Fizik Vento ausprobiert

Es macht also durchaus Sinn, die Satteldruckanalyse als Teil des “Bikefittings” zu sehen, geht es doch um ein Gesamtsystem, das mit diesem Tool um eine weitere, wichtige Ebene angereichert werden kann.

Sattelkauf

Wer kein Bikefitting braucht, sondern “nur” auf der Suche nach einem Sattel ist, kann auch von der Satteldruckanalyse profitieren. Das “nur” steht deshalb unter Anführungszeichen, weil die Suche nach dem richtigen Sattel für manche eine eigene Mammutaufgabe darstellt. Vielleicht ist das auch ein Indikator dafür, dass die Vermessung der Sitzknochen alleine eben noch nicht ausreichend ist - zumindest nicht immer.

Wenn man schon unzählige Sattel-Modelle durchprobiert hat, sich aber bei keinem der notwendige Wohlfühlfaktor einstellt, kann eine Satteldruckanalyse vermutlich die fehlenden Puzzlesteine und Informationsschnipsel liefern, um jenes Modell zu finden, das zum individuellen Hinterteil passt.

Aber auch wer zum ersten Mal in einen Sattel investieren möchte oder einfach einen neuen haben will, kann mit der Analyse eine zusätzliche Entscheidungshilfe heranziehen. In meinen Augen jedenfalls besser als beispielsweise der Sattel-Finder von (den von mir ansonsten sehr hochgeschätzen Herrschaften von) Fizik, bei dem man mehr oder weniger eingibt, für wie gelenkig man sich selbst hält, und dann spuckt das System den empfohlenen Sattel aus - aus meiner Sicht ungenügend und suboptimal, schließlich kostet so ein Sattel auch schon mal seine 150 oder 200 Euro…

Schmerzen

Im Worst Case kommt man mit Schmerzen oder Problemen zur Satteldruckanalyse. Dabei kann der Hintern selbst das Problem sein - wenn dort durch Druck Verletzungen oder Problemzonen entstehen -, oder aber es treten Schmerzen an anderen Stellen auf. Der Körper am Rad ist ein Gesamtsystem aus Einzelteilen, Winkeln und Verteilungen - sobald bei einer Komponente ein Problem auftritt, wirkt sich das auf das Gesamtsystem aus. Schmerzen können daher auch in Körperteilen auftreten, die von der eigentlichen Problemzone weit entfernt liegen.

Hier helfen wiederum die bunten Farbsegmente und die dazugehörigen Datenfelder der Satteldruckanalyse weiter, geben diese doch Auskunft über die Druckverteilung und eventuelle Druckspitzen. Nicht alle Probleme werden auf die Sitzposition und die Position am Sattel zurückzuführen sein, aber mit Hilfe der Satteldruckanalyse kann man zumindest einige dieser Quellen ausschließen. Schließlich wollen wir alle ohne Schmerzen am Rad sitzen!

So - wie bei mir auf dem Fizik - sollte es nicht aussehen… Rot und schief!

und meine anderen Räder?

Mein persönliches Resüme der Satteldruckanalyse ist ein sehr positives. Ich habe das Glück eines bereits gut funktionierenden Setups, das ich weiter verbessern kann. Ich werde - auf Basis der Empfehlung von Christoph - den Brooks Cambium C13 mit geschlossener Satteldecke auf mein Rad schrauben (mehr dazu in Kürze). Dieser führt meine Gewohnheiten weiter, bietet aber eine bessere Druckverteilung für meine individuellen Bedürfnisse.

Für meine Pläne und Herausforderungen des Jahres 2020 - räusper… Race Around Austria Challenge… - ist eine gute Sitzposition und ein funktionierendes System “Hintern-Sattel” essentiell. Auch das beste und meiste Training wird wirkungslos verpuffen, wenn nach drei oder vier Stunden das Sitzen schwerfällt. Vor dem Sommer werde ich auch noch einmal ein weiteres Bikefitting einplanen. Auch die Position und die körperlichen Rahmenbedingungen verändern sich laufend - da kann man ruhig auch zwischendurch einmal nachkontrollieren, ob noch alles passt.

Ein absolutes Luxusproblem bringt Christoph dagegen nur zum Schmunzeln. Ist man in der Situation, mit mehreren Rädern unterwegs zu sein, sind dort in der Regel auch unterschiedliche Sättel montiert. Eine Satteldruckanalyse spuckt mitunter eine Empfehlung für einen spezifischen Sattel aus, allerdings heißt das nicht automatisch, dass dieser Sattel auch auf (allen) anderen Rädern gleich gut passen wird. Gleichzeitig wäre es allerdings übertrieben, mit allen Rädern eine neue Vermessung und Druckanalyse zu machen. Die Empfehlungen der Satteldruckanalyse und der darauf aufsetzenden Analyse von Christoph geben gute Hinweise darauf, wonach man beim Sattelkauf Ausschau halten sollte.

Aktion bei PBike

Während ich bei PBike Versuchskaninchen spielen durfte, kommen auch alle anderen in den Genuss einer Einführungsaktion. Dabei gibt es die Satteldruckanalyse um einen speziellen Einführungspreis von 59 Euro. Einfach bei PBike anrufen oder vorbeischauen und Termin ausmachen.

Helm mit Ablaufdatum

Es muss 2017 oder 18 gewesen sein, als ich in Osttirol einmal von einer Ausfahrt zurück zum Haus meiner Schwiegereltern gekommen, voller Elan auf die Garage zugegangen bin und dabei die Höhe unter- (oder besser gesagt die nicht vorhandene “Clearance”) des Garagentors unterschätzt habe. Es machte einen gröberen Knall und mein Helm hatte eine tiefe Macke vom Garagentor. Klein genug zwar, dass man den Helm nicht auf den ersten Blick entsorgen müsste aber doch so groß, dass man darüber nachdenkt, wie es weitergeht. Und dabei war mir der Look meines POC Octal viel wert, sah ich im Spiegel doch immer aus wie einer dieser Super-Pilze aus Super Mario!

Ablaufdatum!

Seitens Helm-Industrie wird geschlossen darauf hingewiesen, dass ein Helm nach einem Sturz ausgetauscht werden soll. Ebenso besitzt ein Helm jedoch ein Ablaufdatum, nach diesem - auch ohne Zwischenfall - ein Austausch ansteht. Wühlt man sich durch die Homepages der Hersteller und Beipackzettel erhält man ein doch überraschend einheitliches Bild:

Die hier aufgelisteten Hersteller empfehlen, einen Helm nach 3 bis 5 Jahren auszutauschen. Wichtig ist dabei allerdings, dass dieser Zeitraum erst mit der Nutzung des Helms beginnt. Damit sind Lagerungen beim Hersteller, bei Zwischenhändlern und in Shops nicht relevant. Die Uhr beginnt erst zu ticken, wenn der Helm ausgepackt, aufgesetzt und eingesetzt wird. Dann ist er nämlich der Witterung ausgesetzt, Temperaturschwankungen, Schweiß, UV-Strahlung, Vibrationen und Erschütterungen. Diese Faktoren werden ab diesem Zeitpunkt an der Lebensdauer des Helms knabbern und sukzessive dessen Schutzwirkung reduzieren.

Degradation

Ich bin in der Materialkunde nicht genug bewandert, um den Unterschied zwischen EPS und Styropor zu benennen. Faktum ist, dass dieses sogenannte “expandierte Polystyrol” (kurz EPS) dazu da ist, unseren Kopf bei einem Aufprall zu schützen. EPS dämpft einen Schlag ab und verteilt die dabei auftretende Energie auf eine möglichst große Fläche, dadurch verringert sich die Wahrscheinlichkeit von Kopfverletzungen. Zusatzsysteme wie MIPS oder SPIN ändern an dieser Grundfunktion im wesentlichen nichts, es handelt sich dabei vielmehr um ergänzende Features, die mehr Schutz bei schrägen Einschlägen bieten sollen. Wir erinnern uns an die Sendung mit der Maus: Da ist die Melone im Fahrradhelm immer senkrecht von oben heruntergefallen. Die Realität hält sich - sofern dieser Fall überhaupt eintritt, wir hoffen es nicht! - selten an derartige Regeln, daher machen ergänzende Schutzfunktionen in meinen Augen durchaus Sinn.

EPS hat aber leider auch die Eigenschaft, nicht UV-stabil zu sein und bei Lichteinwirkung langsam aber doch zu verspröden. Aus diesem Grund haben alle Helme eine Kunststoffschicht, die über der eigentlichen EPS-Lage angebracht ist. Aber auch von innen - und dort gibt es keinen Schutz für das arme EPS außer ein paar gepolsterten Riemen - setzen wir beispielsweise mit unserem Schweiß dem Material zu. So oder so ist das Ergebnis, dass sprödes und unelastisch gewordenes EPS seine Dämpfungseigenschaften einbüßt und damit unserem Kopf bei Stürzen nicht mehr den vollen Schutz bieten kann.

Schäden durch UV-Licht sind mit freiem Auge unmöglich zu erkennen, dementsprechend ist es schwer, eine Aussage darüber zu treffen, wie sehr der eigene Helm eventuell schon in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ein Tipp der Hersteller ist die Lagerung des Helms in einem Stoffbeutel, der oft sogar mit dem Helm mitgeliefert wird. Mea maximal culpa - ich habe die Stoffbeutel meiner Helme noch nie verwendet.

Bei der Recherche für diesen Blogbeitrag bin ich ab und zu auch über Fälle gestoßen, in denen Schnallen und Riemen Probleme verursacht haben. Defekte Schnallen, nicht (mehr) funktionierende Schließsysteme am Kinnriemen oder Schäden am Innenleben der Helme (den Verstell-Riemen) können natürlich auch im Laufe der Zeit auftreten, allerdings hatte ich persönlich noch keine derartigen Probleme und kenne auch keine aus meinem Freundeskreis. Aber auch hier gilt: etwas Pflege und eine regelmäßige Kontrolle der Funktionen und Bestandteile sorgt üblicherweise für eine etwas längere Lebensdauer der Komponenten.

Sturz

Im Gegensatz dazu ist ein Helm sofort auszutauschen, wenn man damit gestürzt ist. Sind Teile des Helms zerbrochen, bei tiefen Rissen oder wenn die strukturelle Integrität des Helms in irgendeiner Art und Weise nicht mehr gewährleistet ist, muss ein neuer her. Schwieriger wird es allerdings, wenn die Schäden nicht ganz so offensichtlich sind. Laut Herstellern ist der Helm auch zu tauschen, wenn nur ein kleinerer Sturz passiert ist oder aber auch wenn dieser von der Garderobe auf den Fliesenboden heruntergefallen ist. In solchen Fällen sind die Schäden oft nicht erkennbar aber Mikrorisse im EPS können die Stabilität des Gesamtsystems beeinträchtigen. Ich verstehe den Aufschrei, gut 100-200 Euro “in den Wind zu schießen”, nur weil der Helm einmal auf den Boden gefallen ist. Und letztlich bleibt es auch eine individuelle Entscheidung, den Helm auszutauschen oder weiter zu benützen. Manch eine*r mag eine gefinkelte (und aufgrund der Einhelligkeit der Angaben auch konzertierte) Aktion der Helmindustrie sehen, andere eine Übervorsichtigkeit oder Überbehütung. Ich für meinen Teil habe beschlossen - glücklicherweise ohne dafür einen Anlassfall zu brauchen - dass mir mein Leben und meine Gesundheit dieses Geld wert sind.

Zersägen!

Dennoch wollte ich den Dingen noch etwas weiter auf den Grund gehen und in meinen Helm “hineinschauen”. Das Gerede von Mikrorissen, unsichtbaren Schäden und Materialermüdung, die man nicht erkennen kann, ist für einen grundsätzlich neugierigen Menschen wie mich unbefriedigend. Den eingangs erwähnten POC Octal habe ich nach dem Garagentor-Kontakt damals nicht weggeworfen - ein perfektes Anschauungsobjekt also für einen Helm, den man eigentlich entsorgen müsste. Und nachdem der neue und schicke POC Omne Air wundersamerweise auf die Garderobenseite meiner Freundin gewandert ist, konnte ich auch ihren alten Stadthelm als Versuchsobjekt heranziehen.

Zwei Helme also - einer beschädigt und einer über die Empfehlung des Herstellers hinaus alt -, denen ich mit der Säge zuleibegerückt bin. Die laue Nachmittagsstimmung wird von einer kreischenden und schreienden Geräuschkulisse zerschnitten, es schmerzt in den Ohren als sich das Sägeblatt langsam durch die obere Kunststoffabdeckung arbeitet. Während das EPS nachher ein Klacks für die Säge sein wird, stellt die obere Schicht ein tatsächliches Hindernis dar - hier hätte ich weniger Widerstand erwartet.

Ich nehme bei beiden Helmen die Mitte ins Visier, beim POC möchte ich mit der Säge außerdem jene Stelle erwischen, die ich damals am Garagentor etwas eingedellt habe. Es gilt herauszufinden, ob das Material dort irgendwie anders aussieht als an den unbeschädigten Stellen. Durch das EPS flitzt die Säge nur so durch, beim POC aufgrund der zahlreichen Belüftungsschlitze noch etwas schneller. Am Ende liegen zwei Helme in jeweils zwei Teilen vor mir. Der Gedanke, dass so ein Szenario nicht mutwillig durch eine Säge, sondern auf anderem Wege herbeigeführt werden könnte, ist wenig erbaulich und verschwindet schnell wieder im Hintergrund.

Auf den ersten Blick sind die Erkenntnisse meiner Säge-Aktion enttäuschend. Weder sind - rein optisch - große Unterschiede zwischen dem 60 Euro Stadthelm und dem 240 Euro Rennradhelm erkennbar, noch sichtbare Beeinträchtigungen an der eingedellten Stelle des POC. Auch finde ich keinerlei Hinweise auf mögliche Alterungserscheinungen des in die Jahre gekommenen Stadhelms. Bei näherer Betrachtung erkennt man minimale und feine Unterschiede in der Struktur des EPS, manche der einzelnen “Punkte” oder Zellen liegen hier näher beisammen oder wirken etwas komprimierter, da wo der Schaden aufgetreten ist. Ich versuche noch, mit allerlei Werkzeug und Einwirkung den einen oder anderen Effekt herbeizuführen oder eine Reaktion des Materials zu verursachen, aber es tut sich nicht allzu viel. Auch zerschnitten haben das Material und die restliche Konstruktion noch eine erstaunliche Stabilität und Härte.

Gut, ich bin nicht der TÜV, ein Messlabor oder eine andere geeichte, genormte und wissenschaftlich akkredierte Stelle. Ich kann mich gut und gerne damit zufriedengeben, dass ich aus diesem Versuch keine großartigen Erkenntnise gewonnen habe. Die Spannung, den Helm zu zerschneiden und die Freude am Experiment waren trotzdem da. Ich vertraue auf die Erkenntnisse der Hersteller und das Know-How der Materialwissenschafter und konzentriere mich auf das, was mir mehr Spaß macht - das Radfahren.

Epilog

Drei Dinge bleiben noch zu erwähnen, bevor wir uns wieder auf den Sattel schwingen und die Helme in der freien Wildbahn ausführen.

Modifikationen

Es klingt immer etwas oberlehrerhaft und ist einer jener Teile, die man in Gebrauchsanweisungen immer besonders gerne und schnell überblättert: Modifikationen am Helm führen grundsätzlich und so gut wie immer zu einem Verlust der Garantieleistung aber auch zu einer potentiellen Minderung der Schutzwirkung. Sachen auszuschneiden, umzubauen, auszuhöhlen, zu verschlimmbessern oder irgendwie anders zu verändern, ist in den meisten Fällen keine allzu gute Idee.

Etwas weniger “dringlich” ist der Hinweis, möglichst auf Aufkleber und dergeichen zu verzichten. Diese haften aufgrund des darin enthaltenen Klebstoffes, dieser kann natürlich die Oberflächen und Materialen des Helms entsprechend beeinträchtigen. Ausnahme sind Pro-Tour-Teams - die verwenden ihre Helme in der Regel aber auch nicht 3-5 Jahre.

Bleibt die Frage der montierten Action-Cams. Bei einem Sturz können diese schwere Verletzungen verursachen oder verstärken, da an jenen Stellen nicht der stoßmindernde EPS-Schaum sondern ein spitzer oder zumindest klobiger Gegenstand den Kontaktpunkt bildet. Am Rennrad sieht man Action-Cams aber ohnehin nicht so oft - erstens kostet der zusätzliche Luftwiderstand mindestens 2,39 Watt, zum anderen hält sich am Renner auch oft die aufzuzeichnende “Action” in Grenzen. (OK, ich halte mich hier auch nicht immer daran, bevorzuge aber die Freihand-GoPro-Haltung oder den Brustgurt).

Kennzeichnung

Um das Produktionsdatum eines Helmes zu finden, sucht man üblicherweise auf der Innenseite des Helms die diversen Aufkleber ab, bis man - neben Zertifikaten, Hinweisen, Firmenlogos und Gütesiegeln - auf das gesuchte Datum stößt. Bei teureren Modellen sind daneben üblicherwese noch Helmtyp, Größe und Gewicht vermerkt. Ein Blick auf die Homepage des Herstellers ist auch nie falsch.

Entsorgung

Ein spannender Punkt, zu dem ich im Zuge meiner Recherchen nur Probleme aber keine Lösungen gefunden habe, ist die Entsorgung alter Helme. Bei einem theoretischen Austausch aller Helme alle drei Jahre, kommen erkleckliche Mengen an Material zusammen und im Moment landen diese im Restmüll.

Recyclingmethoden gibt es zwar grundsätzlich, ebenso eine Hand voll Unternehmen, die derartige Prozesse grundsätzlich übernehmen würden. Allerdings steht der Nutzen des Recyclings des EPS-Materials (noch) in keiner Relation zum Aufwand, der angesichts der vergleichsweise geringen Menge an Material entsprechend hoch ist.

Am Lebenszyklus der Produkte kann man nur bedingt schrauben - wenn ein Helm ausgetauscht gehört, muss er ausgetauscht werden. Vielleicht finden die Hersteller gemeinsam Lösungen, die hier bessere Antworten geben können!

Was bringt 2020?

Mit Vorsätzen für das neue Jahr ist es so eine Geschichte… Der Schwung, Elan und Idealismus aus den wenigen freien und hoffentlich entspannten Tagen rund um Weihnachten und Neujahr ist in der zweiten Jännerwoche oft schon wieder zur Gänze verflogen - und damit auch die guten Vorsätze. Grund genug für mich, mit meinen Plänen für das Jahr 2020 erst dann herauszurücken, wenn das Jahr wieder in seine normale Ordnung zurückgekehrt ist, der Alltag erneut funktioniert und auch die eine oder andere Idee wieder sanft auf dem Boden der Realität angekommen ist.

2019 war gut zu mir und meinen Projekten - darüber können auch kleine Rückschläge, DNFs und Weh-Wehchen nicht hinwegtäuschen. Die Möglichkeiten, hier meine Erlebnisse mit anderen zu teilen, haben mir im vergangenen Jahr große Freude bereitet und werden das auch in den kommenden Monaten tun. An der Mischung aus Rennberichten, Tests, Fotos und - seit kurz vor Weihnachten - Podcasts wird sich 2020 also nichts Wesentliches ändern. Jedes Format kommt dort zum Einsatz, wo es am besten passt.

169k

An der sportlichen Front habe ich mein großes Ziel aus dem letzten Jahr kurzerhand ins neue Jahr mitgenommen. Die Teilnahme an der Race Around Austria Challenge ist 2019 noch an meinem bescheidenen Fitnesslevel und den mangelnden Trainingsstunden gescheitert, für 2020 sind die Rahmenbedingungen bessere. Das Training - sowohl in Struktur als auch Umfang - ist schon jetzt auf das Highlight des Jahres ausgerichtet, dafür habe ich sogar einen Teil meiner Freigeistigkeit aufgegeben und mich einem Leistungstest und dazugehörigen Trainingsempfehlungen unterworfen. Zusätzliche Motivation erhalte ich aus dem Rennmodus der RAA Challenge, die dieses Jahr zum ersten Mal in einer “Unsupported”-Variante bestritten werden kann. Dabei verzichtet man auf Begleitfahrzeug, Crew und Support und begibt sich alleine auf die 560 Kilometer lange Distanz rund um Oberösterreich. Ich war bei der Testfahrt im Oktober dabei und habe mir dort meinen letzten Gusto geholt - auch wenn mich die Anstiege im Mühlviertel kurz zweifeln haben lassen. Besonders freut mich, dass der Virus Race Around Austria auch in meinem Umfeld zu wirken begonnen hat - so finden sich in und rund um Wien mehrere Mitstreiter und Teams, die man wohl an der Startlinie in Sankt Georgen treffen wird. Das RAA wird mich - und dadurch auch alle Leser/Hörer/Seherinnen von 169k - das Ganze Jahr über in unterschiedlichen Formaten begleiten - von einem Videotagebuch über einen RAA-Nightride in Wien bis hin zu RAA-”Stammtischen”, die Teilnehmer*innen und Interessierte unkompliziert zusammenbringen.

Ob und in welcher Form ich auch beim zweiten Rennen “Rund um…”, dem Race Around Niederösterreich nämlich, dabei sein werde, ist derzeit noch Thema von Verhandlungen und Überlegungen. Fix hingegen sind einige andere Termine: Gespannt bin ich auf den Radmarathon Bad Kleinkirchheim, der als Teil der Austria Top Tour in den Rennkalender zurückkehrt. Wir erinnern uns, vor wenigen Jahren gab es dort einen Unfall, eine darauffolgende Klage eines Teilnehmers und als Rattenschwanz bleiben uns heute noch dutzende Formulare und Haftungserklärungen, die wir vor jedem Rennen und Marathon zu unterzeichnen haben. Umso bewundernswerter finde ich, dass die Organisatoren rund um den Radclub Feld am See die Segel nicht endgültig gestrichen sondern mit voller Kraft weitergemacht haben und dieses Jahr wieder ein Rennen stellen. Auch Teil der Top Tour ist der Super Giro Dolomiti, mit dem ich bekanntermaßen ja noch eine Rechnung offen habe - dass ich diese Scharte ausgerechnet über den Monte Zoncolan ausmerzen soll, macht die Sache nicht einfacher aber der Blogpost wird so oder so ein guter werden - da bin ich zuversichtlich.

Noch ein weiterer Baustein der Austria Top Tour - wenn auch auf anderem Untergrund - ist die Salzkammergut Trophy in Bad Goisern. Nachdem ich seit letztem Jahr nebenbei wieder auf dem MTB sitze und in Mondsee auch mein erstes diesbezügliches Rennen bestritten habe, steht der Plan, hier 2020 mehr zu machen. Zwar hat mir das Event in Mondsee aufgezeigt, dass für MTB-Rennen noch einmal andere Anforderungen gelten und ich dabei nicht besser sondern eher noch etwas weiter hinten unterwegs bin, dennoch überwiegt der Spaß und die Lust an den breiten Reifen. Noch ist nicht klar, an wieviele Startlinien ich mich stellen werde - es gibt im MTB-Sport zahlreiche spannende Rennserien -, aber das eine oder andere wird da schon dabei sein. Und abseits des organisierten Fahrens freue ich mich darauf, mit dem MTB in alpinere Regionen vorzustoßen - der Stoneman Dolomiti ist da so ein Projekt, das mich sehr reizen würde.

Und auch zwischen Rennrad und MTB bleibt noch etwas Platz - für ein Gravel Bike nämlich. Nachdem ich das BMC URS nunmehr bei zwei Gelegenheiten ausgiebig testen durfte und mein eigenes Exemplar innerhalb der nächsten Wochen bei mir zuhause stehen sollte, freue ich mich auf spannende und abenteuerliche Ausfahrten. Der Variantenreichtum der möglichen Routen und die Flexibilität unterwegs machen ein Gravelbike zu einem spannenden Begleiter und ich habe einige Projekte im Sinn, über die ich aber noch nicht allzu viel verraten möchte… ;)

Events & Fotos

Veranstaltungen und Fotos nehmen auf 169k einen großen Platz ein und das wird auch im Jahr 2020 der Fall sein. Zu spannend, vielfältig und unterhaltsam sind die Geschichten und Bilder, die sich bei derartigen Gelegenheiten auftun, als dass man nicht über sie berichten sollte. Die Österreich Rundfahrt steht wieder auf meinem Menüplan, die Rad-WM findet 2020 in der Schweiz statt - nahe genug also, um eventuell vorbeizuschauen, der Giro d´Italia startet in Budapest - mit dem Zug schnell erreicht und auch Tour of the Alps oder die eine oder andere kleinere Rundfahrt in einem unserer Nachbarländer ist in Schlagdistanz.

Nicht ganz so groß aber nie und nimmer weniger abwechslungsreich sind die kleinen Rennen in und um Wien, zum Beispiel der Kriterium-Cup auf der Donauinsel, der auch 2020 wieder vom VICC - Vienna International Cycling Club mitorganisiert wird oder das großartige Wiener Bahnorama, das regelmäßig und niederschwellig für tolle Unterhaltung auf der Wiener Radbahn sorgt.

Videos & Podcasts

Ich habe länger darüber nachgedacht, welche Kanäle wieviel Zuwendung brauchen und welche Formate wieviel Aufwand erzeugen. Dabei geht es mir natürlich nicht um Gewinnmaximierung (denn den gibt es nicht) oder Aufwandsminimierung (denn sonst würde ich das Ganze hier nicht machen) sondern darum, für die richtigen Inhalte auch das am besten geeignete Format zu finden. 2020 wird es daher alles geben, von Text über Fotos bis hin zu Videos und Podcasts. Hier auf der Homepage wird alles zusammenlaufen, werden alle Informationen und Formate gesammelt abzurufen sein. Feedback und Anregungen sind immer willkommen, gerade in der Anfangsphase neuer Formate freue ich mich über Rückmeldungen von euch und dir.

Zwift

Mit meinen zeitlichen Ressourcen muss ich nach wie vor haushalten. Sobald zwischendurch oder abends etwas Zeit bleibt, möchte ich diese für Trainings und Radeln nützen und dabei die Zeit am Rad maximieren. Das heißt im Umkehrschluss, dass ich mir bei Dunkelheit, Kälte und Wetter das umständliche Anziehen, Herrichten und Vorbereiten spare und mich auf die Rolle setze. Im Gegensatz zu manch anderen - die mir diesbezüglich schon eine Art Störung attestieren wollen - macht mir das Rollentraining wirklich Spaß. Ich habe kein Problem damit, stundenlang im Kreis zu fahren, vermeintlich monoton dahinzurollen oder meinen Geist anderen Prüfungen zu stellen. Die Abwechslung und Kurzweile von Zwift helfen mir, die Kilometer abzuspulen, die ich für meine RAA-Vorbereitung brauche. Zusätzlich schmökere ich regelmäßig durch die unzähligen Trainingspläne und -programme auf Zwift, um mir das eine oder andere strukturierte Training zu suchen. Events auf Zwift - wie die derzeit laufende Tour de Zwift - bieten zusätzliche Motivation. Und wenn wir schon (wieder) vom Race Around Austria sprechen: Ich habe mir auf Komoot bereits die Route des RAA abgespeichert und zurechtgelegt und werde die Funktion des Wahoo Kickr ausprobieren, einen “echten” GPS-Track am Trainer nachzufahren. Die Steigung und die Streckenbeschaffenheit werden dabei wie gewohnt vom Kickr gesteuert. Vielleicht bekommt man so etwas Gefühl für die Strecke - und in der Vorbereitung für das RAA ist mir jedes Hilfsmittel recht.

Rides

Damit ich nicht immer nur alleine unterwegs bin, möchte ich 2020 schließlich wieder mehrere Rides ausschreiben. In den letzten beiden Jahren ist die Zahl der organisierten oder ausgeschriebenen Social- und Community-Rides stark zurückgegangen. Die Gründe dafür kann ich mir nur zusammenreimen - ich denke, es ist eine Mischung aus dem Aufwand, der mit der Organisation eines Rides natürlich verbunden ist, und zum anderen - unter Berücksichtigung der teils eher angespannten Situation auf den Straßen - auch eine gewisse Belastung, sich für eine Gruppe in gewisser Weise verantwortlich zu fühlen.

Etwas entschärfen lässt sich diese Situation, wenn man auf einen tollen Verein zurückgreifen kann, der bei solchen Dingen (und bei anderem Blödsinn) immer gerne dabei ist. Auch 2020 bin ich wieder Teil des PBIKE.AT Racing Team, obwohl ich mich vom Wortteil “Racing” nur bedingt angesprochen fühle… Es wird in diesem Sinne mehrere Veranstaltungen geben, bei denen 169k und Pbike gemeinsam auftreten werden - Kräfte zu bündeln, macht hier jedenfalls Sinn.

Feedback

Ich freue mich auf das Jahr 2020, ganz egal, ob die oben genannten Dinge eintreten werden oder nicht. Denn ich weiß jetzt schon, dass ich Freude haben werde, bei dem was ich machen darf. Und ich werde weiterhin die 169k-Kanäle mit Inhalten füllen. Wenn es Wünsche, Anregungen, Kritik, Beschwerden, Tipps oder Feedback gibt, bitte Immer her damit! Wir sehen uns auf der Straße - Ride On!

Titelbild aufgenommen von Nora!

Festive 500-Tagebuch

24. Dezember 2019

Weihnachten! Das Fest der Liebe, des Friedens und der Familie ist gleichzeitig der Start von "Festive 500". Und während Friede (ein Gefühl, das sich bei mir im Sattel einstellt) und Liebe (eindeutige Assoziation mit dem Radeln) noch mit dem Radfahren in Verbindung gebracht werden können, steht die Familie in diametralem Gegensatz zu den Opfern, die man für die Festive 500 erbringen muss. Es gilt, 500 Kilometer zwischen Weihnachten und Silvester abzuspulen - an jenen acht Tagen also, an denen normalerweise Herumknotzen, Fernsehen und Kekse Essen im Vordergrund stehen.

500 Kilometer an acht Tagen ergibt 62,5 Kilometer pro Tag. Macht man einen Tag Pause, sind es bereits über 70 Kilometer pro Tag, bei zwei Aussetzern schon gut 80. "Veranstaltet" wird das ganze von Rapha und Strava, wobei das zwischendurch auch einmal hin- und hergewechselt hat.

Warum man sich das antun sollte? Naja, es gibt einen virtuellen Pokal auf Strava und wenn man sich entsprechend bei Rapha meldet, einen physischen Stoff-Badge, der dann - so wie alle derartigen Trophäen, die ich in meiner Laufbahn errungen habe - in irgendeiner Lade verstaubt. Wichtiger sind in meinen Augen allerdings andere "Belohnungen": der ultimative Sieg gegen den inneren Schweinehund - rauszugehen, während andere vor dem Ofen sitzen bleiben, Kalorien zu verbrennen, während andere vielleicht noch einmal auf den Keksteller greifen, sich ins Radgewand zu schmeißen, während andere den Tag im Pyjama verbringen.

Tag 1 bringt mir gut 72 Kilometer bei 750 Höhenmetern. Von Lienz aus fahre ich nach Osten, der vorhergesagte Föhnsturm hat mich meine Routenplanung adaptieren lassen, tatsächlich bleibt der Wind allerdings aus - also weder Qualen durch Gegenwind noch großartige Begünstigung durch Rückenwind. Auf der ansonsten wild befahrenen B100 durch das Drautal scheint auch eine Art Weihnachtsfrieden eingekehrt sein - während alle ihre letzten Einkäufe tätigen oder schon auf dem Weg zu den Freunden und Verwandten sind, kann ich in Ruhe auf der Bundesstraße dahinrollen. Für Abwechslung sorgen kurze Abstecher weg von der Bundesstraße und hinauf auf die benachbarten Hänge des Kärntner Drautals. Irschen, Dellach und Berg im Drautal liegen malerisch am Hang und genießen die klimatischen Vorzüge der Sonnseite - Plusgrade und herrlicher Sonnenschein, während auf der Schattseite Reif, Schnee, Eis und Grade um den Gefrierpunkt vorherrschen.

Ab Greifenburg wird das Tal weiter, der Schnee weniger und bei leichten Plusgraden fährt es sich noch einmal etwas leichter. Sachsenburg markiert den Zusammenschluss von Drau- und Mölltal, von hier aus geht es auf dem Drauradweg Richtung Spittal an der Drau. Abseits von vielbefahrenen Straßen ist man hier auf Güter- und Feldwegen, kleinen Straßen und Radwegen unterwegs. Die geplante Runde um den Millstätter See muss aufgrund von Zeitgründen ausfallen, von Spittal an der Drau gehts per Zug zurück nach Osttirol.

Tag 1: 72,4 KM; 14% der Festive 500 erreicht

25. Dezember 2019

Tag 2 meiner Festive 500 bringt die Verschärfung eines Festive 500-Aspekts, den ich im Vorfeld wohl nicht zu Ende gedacht habe. Natürlich macht es einen riesigen Unterschied, WO man die 500 Weihnachtskilometer abspulen möchte. Es gibt da in Singapur oder Indonesien diesen einen Radfahrer, der jedes Jahr in den ersten Stunden der Festive 500 die kompletten 500 Kilometer abspult. Jetzt ist die Bewältigung der großen Distanz natürlich an sich eine enorme Leistung, bei lauen und gemütlichen Temperaturen fällt dies allerdings leichter als bei jenen Witterungsbedingungen, die uns in einem durchschnittlichen Winter in den Alpen oder in Mitteleuropa begegnen. Man hat daher mit widrigen Bedingungen zu rechnen - egal ob das Regen und Nebel, Schnee und Eis oder Minusgrade sind. Ich verbringe die Feiertage mittlerweile traditionell in Osttirol - schön zum Skifahren, schön zum Langlaufen aber auf dem Rad wird man im Dezember eher schief angeschaut. Hinzu kommt, dass die letzten Jahre klimatisch sehr gutmütige Weihnachten produziert haben, schneefrei und verhältnismäßig warm. Mit diesen Erfahrungswerten bin ich im Vorfeld auch meine Touren- und Routenplanung angegangen. Die Realität von 2019 sieht allerdings anders aus: Radwege sind plötzlich gespurte Langlaufloipen, Wege im Schatten der Berge sind ob des Eises nahezu unbefahrbar und die Temperaturen sind für ein Weichei aus der Stadt wie mich doch eher außerhalb des Wohlfühlbereichs.

Meine via Komoot zusammengebastelten Routen und Wege sind daher nur bedingt brauchbar, viele von den "epischen" Bildern und Abenteuern, die ich im Sinne hatte, zerbrechen an der Realität des alpinen Winters.

Tag 2 zwingt mich wetter- und zeitbedingt zu einer meiner Standard-Runden, wenn ich in Osttirol mit dem Rad unterwegs bin, der Talboden-Runde. Dabei wird der Lienzer Talboden nach allen Seiten hin mehr oder weniger ausgefahren, mit ein paar kleinen "Schupfern" drinnen, etwas Bundesstraße und schönen Nebenwegen. Wieder ist es auf der Schattseite frisch und eisig, in der Sonne etwas wärmer und wunderschön, wie direkt von einer Postkarte abgemalt. Die Runde nütze ich gleich auch um festzustellen, welche meiner Wege und Radwege befahrbar sind oder nicht. Isel- und Pustertal fallen leider flach, einzig das Drautal kann am Radweg befahren werden. 54 Kilometer und knapp 480 Höhenmeter später werden die nassen Kleidungsstücke über den Ofen gehängt und mit der Familie gemeinsam auf Weihnachten angestoßen.

Nach zwei Tagen stehen 126 Kilometer in den Büchern, mein "Guthaben" beträgt einen Kilometer - nicht gerade ein großer Polster...

Tag 2: 125,5 KM; 25% der Festive 500 erreicht

26. Dezember 2019

Manchmal kommt es anders als man denkt... - zum Beispiel, dass nach 10 Kilometern das Vorderrad zu wabern beginnt, die Luft langsam weniger wird, das Fahrgefühl nicht mehr ganz so souverän ist. Mein BMC URS Testbike ist als Tubeless aufgesetzt, daher ist es erstmal kein Problem, weiterzufahren. Ich möchte nämlich nicht bei Minusgraden auf der Schattseite des Tals am Rad herumhantieren sondern lieber auf einer gemütlichen Bank in der Sonne. Doch auch daraus wird nichts, die Luft ist draussen. In Oberdrauburg wird der Reifen inspiziert, nachgepumpt, geflucht. Der Mantel kommt runter, Milch überall - irgendwie werde ich mit Tubeless nicht warm... Schaden am Reifen kann ich keinen finden, auch das Ventil scheint noch ganz und dicht, dennoch bleibt die Luft nicht drinnen. Ersatzschlauch habe ich natürlich einen mit, gewechselt ist auch schnell - die Finger werden in wenigen Momenten an der frischen Luft klamm. Das Aufpumpen der großvolumigen Schläuche dauert mit der Handpumpe eine gefühlte Ewigkeit und beim Abziehen der Pumpe passiert es - das Ventil geht mit und die Luft ist wieder draußen. Doch damit nicht genug, hat sich auch noch das Ventil in der Pumpe verkeilt. Mit Betteln und Bitten, Gewalt und Fluchen und meinen eiskalten Fingern bekomme ich es auch nicht mehr heraus. 19,3 statt der geplanten 120 Kilometer werfen natürlich auch meinen kompletten Festive 500-Plan über den Haufen. Aber wenn schon stranden, dann zumindest gleich neben dem Bahnhof. Also mit dem Zug zurück nach Lienz und Wunden lecken - der luftlose Walk of Shame vom Bahnhof zurück nach Hause ist genug für die geschundene Ehre.

Die Familie ist währenddessen hin- und hergerissen zwischen Empathie und Mitleid für den offensichtlich geistig umnachteten Radfahrer, unterstützender Motivation und Ärger über die stundenlangen Abwesenheiten. Dennoch stellt sich kurzfristig so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl ein, welches dann auch gleich in ein gemeinsames Brainstorming darüber mündet, wie denn die fehlenden Kilometer des heutigen Tages am besten wettgemacht werden können. Vorhergesagter Schnee, Regen und starker Wind gepaart mit der Aussicht auf einen weiteren "Patschen" führen zur Idee, in der Nähe des Zuhauses zu bleiben und hier irgendwie Kilometer abzuspulen. Unterschiedliche Runden und Varianten werden diskutiert, am Ende entscheide ich mich für eine Runde direkt vor dem Haus, auf der ich am nächsten Tag ein paar Kilometer wiedergutmachen kann.

Tag 3: 145,8 KM; 29% der Festive 500 erreicht

27. Dezember 2019

Vier Stunden sind heute eingeplant, der Blick aus dem Fenster ist nicht sehr verheißungsvoll - leichtes Tröpfeln und Wind, aber daran habe ich mich mittlerweile irgendwie gewöhnt. Und tatsächlich ist es so, dass mit der richtigen Kleidung viel vom Schrecken des schlechten Wetters verloren geht. (Und ja, ich hasse den Spruch "Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Ausrüstung"). In weiser Voraussicht habe ich meinen halben Kleiderkasten nach Osttirol mitgeschleppt, alles was nach Winter aussieht, nach Merino riecht oder mit Primaloft gefüllt ist.

An den Füßen Merino-Socken (Fingerscrossed oder Isadore), Heizpads auf die Zehen und die dicken Fizik-Winterschuhe. Zwei Hosen (RH77 und Isadore), die jeweils mit flauschigem Thermo-Material ausgeführt sind. Einzige Schwachstelle - wie leider bei fast allen Hosen, die ich bisher hatte - ist die goldene Mitte. Ich hoffe meine Zeugungsfähigkeit wird darunter nicht allzu sehr leiden.

Der Oberkörper bekommt drei Schichten gegönnt - Merino Baselayer (Isadore), Langarmtrikot (Isadore, RH77) und darüber noch eine Jacke (Isolation - RH77/Isadore oder aber die Primaloft Jacke von Löffler). Auf den Kopf kommt meine alte Rapha-Haube, die Hände bekommen auch zwei Lagen - einen Merino Liner-Handschuh von Rapha und darüber die großartigen weil langen und dichten Isadore-Handschuhe). Dieses Setup variiere und mische ich durch, je nachdem, was ich gerade für wichtig erachte - tatsächlich sind die Unterschiede allerdings gering. Am Körper selbst sind maximal die ersten Kilometer frisch, sobald man allerdings auf Betriebstemperatur ist oder stetig vor sich hin pedaliert, wird es meistens angenehm warm oder zumindest erträglich. Probleme treten dagegen an den äußeren Enden des Körpers auf: Zehen werden kalt, egal wie gut man sie verpackt, unabhängig der Zahl der Wärmepads oder der Qualität der Schuhe. Die Frage ist hier nicht "ob", sondern eher "wann". Den Moment des Erfrierens hinauszuzögern ist also die eigentliche Aufgabe. Gleiches gilt für die Hände, die - wie die Füße auch - ständig dem Fahrtwind ausgesetzt sind. Ich helfe mir mit häufigem Umgreifen am Lenker, damit nicht ständig die gleichen Stellen exponiert sind und fahre ab und zu für ein paar Meter freihändig und verstecke dabei die Hände unter den Achseln oder hinter dem Rücken.

Derart vorbereitet besteht mein 4. Tag der Festive 500 aus der am Vorabend ausbaldowerten Idee, vor der Haustüre Runden zu fahren. Der ausgesuchte Kurs ist 1,7 Kilometer lang, führt teilweise auf einem Radweg, zumeist aber - auf weihnachtsbedingt leergeräumten Straßen - durch ein nahes Gewerbegebiet. Pausen zur Verpflegung, zum Aufwärmen oder im Falle eines Defekts kann ich jederzeit zuhause einlegen - so eine Möglichkeit eines Boxenstopps beruhigt. Bei jeder Passage der imaginären Start- und Ziellinie drücke ich auf den Lap-Button meines Wahoos, dieser zeigt jeweils um die 4 Minuten Fahrzeit für die 1.740 Meter. Die Menschen, die mir auf meinem Rundkurs begegnen, auch sie schwanken zwischen Verwunderung und Mitleid - vor allem jene, die nicht innerhalb der vier Minuten Rundenzeit wieder verschwunden sind, denen ich also mehrmals begegne. Die Mitarbeiter des Autohauses an der Strecke kennen sich irgendwann gar nicht mehr aus, ignorieren aber wohl den Radler, der da seine Runden dreht. Auch die Angestellten der Bäckerei kümmern sich nicht um mich, umgekehrt weht mir aber in jeder Runde der Duft frischgebackenes Brotes um die Nase.

Bis zum Mittagessen möchte ich fahren, so viele Kilometer wie möglich für die Festive 500 hamstern. Unterwegs bleibt viel Zeit zum Nachdenken, ich erfinde das "1. Internationale Peggetz Winterkriterium" mit mir als einzigem Starter (mit dementsprechend aussichtsreichen Gewinnchancen!), rekapituliere die ersten Tage der Festive 500 und kann auch abseits des Radelns den einen oder anderen Gedanken wälzen. Das Format eines Kriteriums wird meiner Meinung nach ja wieder an Attraktivität gewinnen und hoffentlich auch eine Art Renaissance erleben. Große Attraktivität für Zuschauer gepaart mit einem erheblich geringeren Organisationsaufwand sind eine Kombination, mit denen große Rennen und Rundfahrten zunehmend ihre Probleme haben (vor allem mit zweiterem). Ein richtiges Rennen würde wohl über eine kürzere Distanz führen als mein Experiment hier, ich genieße aber die körperliche und mentale Herausforderung. Stetiges Abspulen von Runden hat mir noch nie große Probleme bereitet, so stehen am Ende dann auch 58 Runden auf dem Wahoo und mit 101 Kilometern kann ich mein Festive 500-Konto wieder etwas aufbessern.

Tag 4: 247,0 KM; 49% der Festive 500 erreicht

28. Dezember 2019

Für diesen Tag ist besseres Wetter vorhergesagt - im Sinne von weniger Wolken und mehr Sonne. Allerdings gesellen sich tiefe Temperaturen und starker Nordwestwind dazu. Die Routenplanung ergibt daher - wie schon am ersten Tag - einen "Transfer Ride", also eine Rückfahrt mit dem Zug. Noch einmal durchs Drautal zu fahren reizt mich nicht - es wäre dies das vierte Mal innerhalb von vier Tagen und den Abschnitt bis Oberdrauburg muss ich ohnehin wieder zurücklegen. Die erste Challenge des Tages soll der Gailbergsattel werden, an sich keine große Prüfung aber unter winterlichen Bedingungen und bei knappen Minusgraden doch nicht ganz so ohne. Am Gailbergsattel angekommen bläst dann tatsächlich der Wind - viel stärker als geplant und aus allen Richtungen, sodass ich kurz mein heutigen Vorhaben zu zweifeln beginne. Am Sattel selbst scheint mir die Sonne ins Gesicht und alle Zweifel sind verflogen. Ein kurzer Abstecher auf der Abfahrt vom Gailbergsattel führt mich - traditionell - zu den Wurzeln einer meiner Familienhälften nach Laas und bringt eine kurze Verschnaufpause, bevor es in die restliche Abfahrt nach Kötschach hinuntergeht. Ich rolle den Berg nur hinunter, reduziere sogar bewusst die Geschwindigkeit, weil der eisige Fahrtwind meine Finger und Zehen ans Limit bringt. Es fühlt sich an, als würden Nadeln in die Finger und Zehen stechen und das eigentlich Grausliche daran ist, dass man während der Fahrt weder durch Positionswechsel noch durch andere Maßnahmen Linderung bewirken kann.

Ich erreiche das Gailtal unter einer dicken Decke von Nebel, die zwar da und dort die Sonne durchblitzen lässt, gleichzeitig sind aber auch die Temperaturen noch weit in den Minusgraden und der Radweg, der mich gen Osten führen soll ist unter einer fragwürdigen Schnee- und Eisschicht verborgen. Die ersten 10-15 Kilometer friere ich mich über den Radweg, unter Reif und Schnee verborgene kleine Eisplatten lassen meinen Puls immer wieder kurz hochschießen. Erst kurz vor Tröpolach ist der Nebel endgültig verschwunden und die einzige Trübung der Sonne erfolgt durch die Schneekanonen des Skigebiets am Nassfeld, dass sich über meiner rechten Schulter erhebt.

Um nicht permanent auf der Schattseite fahren zu müssen und meiner Seele auch etwas Sonnenschein zu gönnen, fahre ich nicht auf dem offiziellen Radweg sondern auf einem Begleitweg der Gail. Mit meinem Gravelbike bin ich für derartigen Untergrund grundsätzlich perfekt ausgerüstet, jedoch bringt die Sonne mit sich, dass die schmelzende Schneedecke den darunterliegenden lehmigen Erdboden in eine zähe Masse verwandelt, die einiges an Kraft erfordert. Mein Durchackern dieser Wege richtet auch mein Rad entsprechend zu, URS erträgt allerdings mit stoischer Gelassenheit meine Schmutzattacken auf Tretlager, Antrieb und Rahmen und verrichtet einwandfrei seinen Dienst.

Bei Hermagor wechsle ich auf den Drauradweg 3a, eine weitere Ader des in Kärnten sehr gut ausgebauten Radwegenetzes. Auf den unberührten und mit Schnee bedeckten Wegen, die vor mir liegen, entdecke ich plötzlich Reifenspuren und wähne mich nicht mehr als einzigen Verrückten, der hier mit dem Rad unterwegs ist. Ich finde den gesuchten Radfahrer nicht, für meinen Kopf ist es allerdings eine willkommene Abwechslung - schließlich bin ich schon recht lange alleine auf meinen Wegen unterwegs.

Vor mir erhebt sich der Dobratsch, der Villacher Hausberg und damit kann ich ungefähr erahnen, wie weit mich der heutige Tag noch führt. Am Fuße des Dobratsch führt der Radweg durch wunderbare Nadelwälder, über asphaltierte und geschotterte Wege, wellig und flott geht es dahin - ich bin kurz in so etwas wie einem Flow, bin ganz bei mir selbst. Bei Arnoldstein beginnt es zu rauschen, das Geräusch kommt näher und nach dem Überqueren einer Brücke, fährt man für kurze Zeit neben der Autobahn, die sich an dieser Stelle aus Italien Richtung Villach und Klagenfurt schlängelt. Dieser Streckenabschnitt ist mir noch von der Tour de Franz im Sommer in Erinnerung, da hatte es allerdings rund 30 Grad mehr. Die Fußgeherfrequenz steigt, mit ihr auch Hunde, Pferde und andere Gesellschaft - man nähert sich der Stadt. Noch immer entlang der Gail führt der Radweg bis an den Stadtrand von Villach, das heutige Etappenziel ist erreicht. Richtung Bahnhof benütze ich einen der vielen Radwege in der Stadt, zuerst steuere ich noch fälschlicherweise den Westbahnhof an, danach den "richtigen" Hauptbahnhof. Ich überfalle eine Tankstelle am Weg und nehme alles mit, was aus Plunder, Nougat, Cola und Marmelade besteht und warte auf meinen Zug zurück nach Lienz.

Tag 5: 370,1 KM; 74% der Festive 500 erreicht

29. Dezember 2019

Es ist Sonntag und damit Tag des Herrn. Die einen gehen in die Kirche, die anderen - scheinbar nicht minder religiös - beten den österreichischen Ski-Gott an, der in Form des Damen-Skiweltcups in Lienz Halt macht. Auch ich fröhne einer Art Spiritualität beim Radfahren, obwohl der Blick aufs Thermometer eher an Kasteiung und Selbstgeißelung denken lässt. Bei -8 Grad bin ich noch nicht oft in meinem Leben nach draußen gegangen, um Rad zu fahren. Festive 500 kümmert sich allerdings nicht um derartige Befindlichkeiten und somit verlasse ich unter leichtem Kopfschütteln der Familie das Haus, um - nun bereits zum fünften Mal - im Talboden Richtung Oberdrauburg zu fahren. Dank Skirennen läuft der Verkehr nur in eine Richtung, die Bundesstraße lässt mich vergleichsweise rasch ein paar Kilometer sammeln. Auf der Rückfahrt wirft mir die Schattseite über eine knappe Stunde die vollen -7 oder -8 Grad entgegen, ich überlege kurz aufzuhören oder irgendwo einzukehren, doch Pausen machen das ganze Unterfangen nicht wirklich einfacher. Und halbwegs aufgewärmt wieder aufs Rad zu steigen ist in vielen Fällen die größere Qual als das Weitermachen.

Ich lege einen kurzen Stopp beim Zielhang des Skirennens ein, auch als Nicht-Fan haben derartige Ereignisse natürlich ihren Reiz. Der weitere Weg führt heute hinein ins Iseltal und wieder zurück. Meine Hoffnung auf einen schneegeräumten Isel-Radweg erfüllt sich leider nicht, auf der Bundesstraße ist es eher spaßbefreit aber immerhin scheint die Sonne, -4 Grad sind da schon eine bedeutende Verbesserung.

80 Kilometer stehen am Ende auf dem Wahoo, genau was ich wollte. Damit bleiben für die letzten beiden Tage noch 50 Kilometer, die für die Erreichung der Aufgabe fehlen. Und nebenbei wurde auch noch die eigene Vorgabe erfüllt, zumindest an einem der acht Tage nicht fahren zu müssen und stattdessen etwas mit der Familie unternehmen zu können.

Wie auch schon an den letzten Tagen hat sich bei niedrigen Temperaturen ein massives Problem ergeben, jenes der Verpflegung nämlich. Gels sind an sich keine Herausforderung, ihre Konsistenz ist auch bei niedrigen Temperaturen nahezu unverändert und damit auch deren Verzehr. Bei Riegeln wird die Sache mitunter schon etwas komplizierter. Wer schon einmal versucht hat, einen halbgefrorenen Clifbar oder Powerbar runterzubekommen, weiß wovon ich spreche. Mein Tipp ist so einfach wie banal, nämlich den Riegel möglichst nah am Körper zu tragen und damit warm zu halten. Die Trikottaschen unter der Jacke reichen dafür in der Regel aus, alles was außen liegt ist zu exponiert. Richtig schwer wird es allerdings mit den Trinkflaschen, diese sind permanent den niedrigen Temperaturen ausgesetzt. Ein Rucksack mit einer Trinkblase, die nahe am Körper anliegt, wäre ein gangbarer Weg aber mit Rucksack fühle ich mich am Rennrad nicht wohl. Thermo(s)flaschen sind auch eine Variante, allerdings halten derartige Flaschen die Flüssigkeit auch nur minimal länger warm (außer es sind dezidierte Thermosflaschen). Und dann gibt es da noch den Mpemba-Effekt, demzufolge es - frei interpretiert - auch keinen Sinn macht, besonders warme Getränke in normale Flaschen einzufüllen, da diese noch schneller abkühlen als kühle. Ich habe so gut wie nichts getrunken bei meinen Ausfahrten, weil meine Flaschen stets innerhalb von kurzer Zeit so kalt waren, dass nur noch kleine Schlücke möglich waren, ohne dass einem auch noch innerlich ganz kalt wird. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie man das am besten handhabt.

Tag 6: 450,3 KM; 90% der Festive 500 erreicht

30. Dezember 2019

Finale! Eigentlich bin ich ja mit allerhand Routen, Ideen und Bildern von epischen Abenteuern nach Osttirol gekommen. Man ist von Instagram und dergleichen ja mittlerweile auch schon insofern verklärt, als jedes Unterfangen "außergewöhnlich", "besonders" oder eben "epic" sein muss. Eine normale Ausfahrt in schöner Umgebung ist da vermeintlich ja schon fast nichts mehr, über das man berichten könnte. Die Realitäten des Osttiroler Winters haben mich aber in Demut gelehrt, genauso wie die Erkenntnis, dass 500 Kilometer innerhalb einer Woche keine einfache Aufgabe darstellen.

Und so mache ich mich erneut auf den Weg durch den Lienzer Talboden, die Strecken zu wiederholen und immer wieder abzufahren empfinde ich dementsprechend auch nicht als Schande sondern schlicht und ergreifend als Maximum dessen, was unter diesen Rahmenbedingungen möglich ist. Und mit dieser Einstellung fällt es auch wieder leicht, das Schöne zu sehen: die Berge, die Sonne, die Landschaft, die Kirchen an den Berghängen, die Höfe auf den Hügeln - all das, wofür es keine epischen Abenteuer braucht sondern nur den Schritt vor die Tür.

Gut 54 Kilometer später kann ich die hartnäckigen Minusgrade endgültig vergessen, den Heimathafen ansteuern aber nicht ohne vorher noch bei der Tankstelle eine Flache Sekt in meine Trikottasche zu stecken. Die Erledigung der Festive 500 soll einen würdigen Abschluss erfahren.

Ein letztes Mal den Wahoo synchronisieren, die Fotos des Tages bearbeiten und das Ganze auf Komoot und auf Strava hochladen - das ist mittlerweile zum Ritual geworden. Auf der Seite der Festive 500-Herausforderung wandert der Balken nach rechts, erreicht die 100% und überschreitet diese Grenze geringfügig. Ein Fenster poppt auf, Gratulation zur absolvierten Challenge, Halleluja.

Tag 7: 504,9 KM; 101% der Festive 500 erreicht

31. Dezember 2019

8:30, zum ersten Mal seit acht Tagen muss ich nicht darüber nachdenken, wohin ich heute fahre, was ich anziehe oder wie weit ich fahren sollte. Zum ersten Mal kann ich das machen, was der Rest der Familie und vermutlich so gut wie jeder andere Mensch in Osttirol zu dieser Jahreszeit macht, wenn er Sport machen will - in meinem Fall ein paar Runden auf den Langlauf-Skiern.

Zurück von der Skating-Runde folgt auf Strava eine kurze Krise. Plötzlich scheinen in meiner Challenge nur noch 495 Kilometer statt der tatsächlich gefahrenen 505 auf, Erreichungsgrad 98%. Schnell mache ich Screenshots von allen Mails und Nachrichten, die ich bereits bekommen hatte, in denen samt und sonders steht, dass ich die Herausforderung absolviert habe. Mal schauen, was meine Anfrage an Strava bringt... Auch bei eventuellen Ungenauigkeiten oder Neuberechnungen sollte ich mit 505 Kilometern auf der sicheren Seite sein. Was ich allerdings in den letzten Tagen erlebt habe, kann mir ohnehin keiner mehr nehmen. Ebenso wie es an sich völlig egal wäre, ob ich dafür nun ein virtuelles Abzeichen oder einen kleinen Stoff-Aufnäher bekomme. Die Tatsache, dass ich für 500 Kilometer am Rad gesessen bin, bringt ohnehin mehr mit als nur das formale Absolvieren der Challenge. Ich konnte ohne jegliches schlechtes Gewissen Kekse in mich hineinstopfen, war gemütlich im Ausdauermodus unterwegs und hab dementsprechend (hoffentlich) schon eine kleine Trainingsbasis fürs Frühjahr gelegt und hab einen großen Kampf gegen den inneren Schweinehund gewonnen.

Tipps

Abschließend möchte ich die Erkenntnisse meiner Festive 500-Woche in einige Tipps fließen lassen, für folgende Jahre und andere Radlerinnen und Radler, die eventuell etwas Inspiration brauchen.

Möglichst früh, möglichst viel

Gerade die ersten beiden Tage sind oft für Feierlichkeiten reserviert. Wer allerdings schon zu Beginn aussetzt oder Kilometer auf später verschiebt, tut sich nichts Gutes. Es steigt damit der Druck und die anfangs noch vorhandene Freude an der Herausforderung wird vermutlich zunehmend schwinden.

Routenwahl

Die Routenwahl ist aus zweierlei Gründen relevant. Einerseits hat die Tourenplanung großen Einfluss darauf, wie schnell man die 500 Kilometer erreicht - flach gewinnt vor bergig. Zweiter Aspekt ist das Klima - je nachdem, in welcher Region man unterwegs ist, kann man sich mit einer geschickten Routenwahl das Leben einfacher oder lebenswerter gestalten. Lange Abfahrten bei niedrigen Temperaturen tun dem Körper nichts Gutes.

Rad

Natürlich auch in Abhängigkeit der Region, des Terrains und der Pläne ist die Wahl des geeigneten Rads essentiell. Ich war sehr glücklich mit der Wahl des Gravelbikes von BMC, es war der exakt richtige Erfüllungsgehilfe für meine Challenge. Sich nicht um (speziell im Winter) schlechten Asphalt kümmern zu müssen, Schotter und Splitt auf der Straße ignorieren zu können und auch auf Schnee und Eis etwas mehr Sicherheit zu genießen, ist das eine. Bei der Routenwahl auch Schotter, Erde und Waldwege miteinbeziehen zu können, das andere - eine enorme Bereicherung der Routenvielfalt und des damit verbundenen Fahrspaßes.

Rücklicht

Es mag banal erscheinen aber ich habe für die Festive 500 ein neues Rücklicht angeschafft. Dieses hat Leuchtstufen, die ehrlicherweise mit keinem Gesetz der Welt mehr vereinbar sein dürften, allerdings hat es mir die Sicherheit gegeben, mit der ich auch auf viel befahrenen Bundesstraßen und bei schlechten Lichtverhältnissen beruhigt unterwegs war.

Rahmentasche

Auch neu für mich war die Rahmentasche, wobei ich mich ja grundsätzlich eher gegen allzu viel Ballast und Gepäck auf dem Rad ausspreche. Hintergedanke war, immer einen trockenen Ersatz-Baselayer mitzuführen, eine weitere Jacke und eine Außenschicht, Ersatzschlauch und Werkzeug nicht im Trikot verstauen zu müssen und auf langen Touren auch etwas mehr Verpflegung mitzuführen. Die wasserdichte Ortlieb-Tasche konnte alle diese Erwartungen erfüllen, war ein praktischer Begleiter und hat sich auf diesem Wege wohl auch für künftige Herausforderungen wie das Race Around Austria Unsupported qualifiziert.

Gesellschaft

Was ich nicht hatte, kann wohl ein großer Vorteil bei der Bewältigung von 500 Kilometern in acht Tagen sein - Gesellschaft, jemand, der mitleidet, jemand der motiviert und mitfühlt.

Familie

Die Familie kann natürlich auch motivieren und unterstützen, wird jedoch nie die "Innensicht" haben, das verstehen, was man am Rad durchlebt und die Motive, warum man das ganze auf sich nimmt. Umgekehrt ist es essentiell, der Familie auch etwas zurückzugeben - die Entbehrungen und die Abwesenheit sind immerhin beträchtlich!

Keinen Druck machen

Entspannt zu bleiben ist wohl auch ein Schlüssel zum Erfolg. Egal, ob man mit den Kilometern hinten ist, ob man ein technisches Problem hat oder aber - wie oben erwähnt - Sorge hat, weil man “nur” vermeintlich ereignislos und unberichtenswert auf allseits bekannten Wegen hin- und herrollt. Spaß haben, genießen und das Ganze zu spüren, sollte im Vordergrund stehen. Und rechtfertigen muss man sich sowieso immer nur vor sich selbst!

Genießen und Feiern

Ganz in diesem Sinne gilt es natürlich auch, den Erfolg entsprechend zu zelebrieren. 500 Kilometer sind in meinem Fall rund 10 Prozent meiner aktuellen Jahreskilometerleistung. Angesichts meines Fitnesszustands bin ich daher auch aus sportlicher Sicht mit meinen Festive 500 sehr zufrieden. Schwerer wiegen allerdings trotzdem die Erlebnisse und die Dinge, die mir durch den Kopf gegangen sind, während ich rund 21 Stunden auf dem Rad gesessen bin. Damit kann ich mit aufgeräumten Gedanken und einem durchgelüfteten Hin in ein neues Jahr starten!

Leistungsmessung - Teil 2: Leistungsdiagnostik mit HPC

Rund um den Jahreswechsel werden gerne Pläne geschmiedet - Vorsätze, Rennen, Projekte, alles, was im Rad-Jahreskalender gut aussieht. Was jedoch gar nicht sichtbar ist oder zumindest weit weniger spektakulär aussieht, ist die Basis, die man sich über den Winter legen sollte. Denn nur auf diesem Wege kann man seine Projekte dann übers Jahr auch realisieren oder - noch besser - sie genießen! Mein großes Ziel für 2020 ist die Race Around Austria Challenge, ein Vorhaben, das man nur mit etwas Vorbereitung in Angriff nehmen sollte. Die geringen Trainingsumfänge und die mangelnde Struktur meiner Aktivitäten hat mir bereits im laufenden Jahr einen Strich durch die Rechnung gemacht, ein Fehler, den ich 2020 nicht wiederholen möchte.

Gleichzeitig sperrt sich innerlich aber etwas gegen strukturiertes Training und Trainingspläne. Zu groß ist meine Sorge, mich einem rigiden Plan unterjochen zu müssen, bis hin zum völligen Verlust der Selbstbestimmung. Ich möchte fahren, wenn ich Lust habe und nicht, wenn der Plan es befiehlt. Bei schlechtem Wetter mag ich aussetzen können, bei gutem Wetter auch mal länger fahren. Sollte es mich doch einmal "jucken", werde ich Vollgas fahren, ansonsten so schnell wie ich will und nicht nach Zahlen, die mir mein Wahoo anzeigt.

Seine eigenen Fähigkeiten und Grenzen zu kennen, ist dennoch von Vorteil. Wozu hat man sich denn sonst um teures Geld einen Wattmesser ans Rad geschraubt, wenn man dann trotzdem "nur" nach Herzfrequenz oder überhaupt nur "irgendwie" fährt... Ein Leistungstest muss also her!

Vorbereitung

Den (ersten) Leistungstest macht man sinnvollerweise, bevor man sich auf ein Projekt vorbereitet. Gerne kann mitten in der Vorbereitung noch ein weiterer Test eingeplant werden, um beispielsweise Fortschritte zu prüfen. Grundsätzlich sollte man aber schon den Beginn des Trainings am entsprechenden Leistungszustand ausrichten. Beliebte Zeiten für einen Test sind daher Herbst und Winter - die Sommer- und Rennsaison ist vorbei und das Wintertraining steht vor der Tür. Und Rollentraining mit Wattsteuerung stellt sicher, dass die mitunter recht eintönig und hart erkämpfte Zeit auf der Rolle zumindest effizient genützt wird.

Bevor man sich einen Termin ausmacht, sollte man gesundheitlich auf dem Damm sein, was gerade im Herbst und Winter auch problematisch sein kann. Bei mir hat eine hartnäckige Verkühlung den Testtermin mehrfach nach hinten verschoben. Umgekehrt wäre es wenig sinnvoll, verkühlt oder anderweitig beeinträchtig zum Test zu gehen. Zum einen, weil dann die Werte entsprechend niedriger liegen können, was für die Trainingssteuerung wenig zielführend wäre. Zum anderen geht man bei einem Leistungstest üblicherweise doch nahe an seine körperliche Belastungsgrenze - das ist ja auch der Sinn eines derartigen Tests. Und in dieser Ausnahmesituation nicht 100% körperlich fit zu sein, könnte im Extremfall tatsächlich auch zu Schäden führen.

Dem Testlabor bzw. dem Testleiter zuliebe klärt man vorher auch noch kurz ab, mit welchem Rad man den Test absolvieren wird. Unterschiedliche Bremssysteme und eine Vielzahl von Achsstandards stellen mitunter auch die Tester vor Herausforderungen, schließlich soll das eigene Rad optimal in den Testaufbau passen. Standardgerät ist bei den meisten Testern nach wie vor der "Cyclus 2", der akkurat und verlässlich Leistungsdaten liefert.

Einige Labore bieten im Zuge der Leistungsmessung außerdem eine Analyse der Atemluft an, das ganze nennt sich dann "Spiroergometrie". Dabei bekommt man im Stile Hannibal Lecters eine Maske aufgesetzt, die sowohl ein- und ausgeatmete Luftmenge als auch die Zusammensetzung der Atemluft misst.

Der Test

Der Morgen beginnt mit einem Vorgespräch mit dem Testleiter, in meinem Fall Clemens von HPC - High Performance Coaching, einem Firmennamen, der meine Ambitionen natürlich um Welten übersteigt... Wir besprechend den Testablauf und gehen neben meinen persönlichen Daten auch eventuelle Krankheiten, Vorbelastungen und dergleichen durch. Während wir plaudern, werden mein Rad eingespannt, die Geräte vorbereitet und kalibriert und mein Ohr desinfiziert - hier wird mir später während des Tests tröpfchenweise Blut abgenommen werden, um meine Laktatwerte zu ermitteln.

Der Test beginnt mit einer Minute Ruhe und stillhalten, damit das System einen Referenzwert hat - das schaffe ich! ;) Danach beginnt der eigentliche Test, bei Clemens kommt ein Rampentest zur Anwendung. Dabei erhöht sich die Wattleistung, die man erbringen muss alle drei Minuten um 20 Watt, beginnend bei 100 Watt. So geht es also dahin - 100 Watt, 120 Watt, 140 Watt, 160 Watt... Jeweils zum Ende der drei Minuten nimmt Clemens mir einen Tropfen Blut ab und füttert damit seine Gerätschaften. Watt, Herzfrequenz und Laktat sind die wichtigsten Werte, anhand derer später meine Auswertung in eine Leistungskurve gegossen werden wird.

Bis knapp an die 200 Watt fällt es mir leicht, die Atmung passt, der Puls ist noch unten. Ich befinde mich im Grundlagen-Ausdauerbereich, jenen Zonen, in denen ich gefühlt ewig fahren könnte. Dies sind auch jene Zonen, die ich bei meinem Race Around Austria am sinnvollsten beanspruche möchte, um würdevoll über die 24 Stunden zu kommen. Rund 200 Watt markieren gleichzeitig das Ende dieser "Wohlfühlzone" und was sich so anfühlt kann auch wissenschaftlich belegt werden, anhand der unteren Laktat-Schwelle. Dort wo die 2 mmol-Laktat-Grenze überschritten wird, fängt der Körper an zu investieren, es wird nicht mehr auf Basis der vorhandenen Ressourcen gefahren sondern man muss Energie zuführen.

220 Watt, 240 Watt, jeweils für drei Minuten. Mein Puls steigt jetzt schneller, der Schweiß tropft nicht mehr sondern rinnt an meinem Gesicht herunter. Meine Brille läuft an und mein Blickfeld verengt sich. (Die Brille abzunehmen wäre eine Option gewesen, aber ich wollte den Bildschirm und die Werte vor mir sehen. Kontaktlinsen wären die andere Option gewesen, aber daran hatte ich vor dem Test nicht mehr gedacht.) Bei 260 Watt wird es zum ersten Mal mühsam, ich beginne die Minuten zu zählen - ein untrügliches Zeichen (unter anderem bekannt von Zwift), dass man sich langsam schwer tut.

Ungefähr 280 Watt ist in den letzten Monaten meine "FTP" (Functional Threshold Power) gewesen, also jener Wert, den ich über eine Stunde erbringen kann. "FTP" ist als Schlagwort sehr präsent, wenn man sich mit Zwift und Stammtischdiskussionen beschäftigt, Leistungsdiagnostiker hören den Begriff etwas weniger gerne, weil er nur einen Ausschnitt der eigentlichen Leistungsfähigkeit wiedergibt und viele Dinge darin nicht berücksichtigt werden können. An meiner FTP angekommen beginnen die Oberschenkel zu brennen - Willkommen Laktat! Die 4mmol-Laktat-Schwelle ist da, untrüglich daran erkennbar, dass der Körper das einschießende Laktat nicht mehr restlos abbauen kann. Fährt man dauerhaft oder über einen längeren Zeitraum in diesem Leistungsbereich gerät man in eine Schuld, die der Körper alleine nicht mehr ausgleichen kann - im anaeroben Bereich nämlich.

Die Laktatkurve steigt jetzt stark an, der Puls ist oben, die Beine brennen. 300 Watt gehen noch halbwegs souverän, 320 Watt tun schon richtig weh. Mein im Allgemeinen gerade recht bescheidener Energielevel und meine eben erst abgeklungene Verkühlung kündigen ein baldiges Ende des Leistungstests an. Der Schweiß tropft, das Atmen ist einem Röcheln und Stöhnen gewichen, die Uhr auf der Anzeige des Cyclus 2 scheint sich in Zeitlupe zu bewegen. Die dreiminütige Stufe bei 320 Watt möchte ich noch vollmachen, danach weiß ich, dass sehr schnell Schluss sein wird. Clemens gibt sein bestes, aus den Testpersonen noch das Letzte herauszuholen, mit Anfeuerungen und Ermunterungen motiviert er, noch einmal die eisernen Reserven zu mobilisieren. Aber auch seine besten Sprüche können nicht verhindern, dass meine Tanks bei 340 Watt leer sind und ich froh bin, mit dem Treten aufhören zu können.

Schnell etwas trinken, mit dem Handtuch die gröbsten Spuren des Kampfes beseitigen und locker auskurbeln. Während sich die Körperfunktionen und -werte langsam wieder normalisieren, macht sich Clemens bereits an die erste Auswertung.

Die Ergebnisse

Unter der Dusche kommen die ersten Gedanken zu dem, was gerade passiert ist. 340 Watt? Hätte ich mir mehr erwartet? Wie sind die letzten Wochen verlaufen? Was hätte ich besser oder anders machen können? 340 Watt für drei Minuten zu treten, stellt an sich kein Problem dar, mit den 30 Minuten Belastung davor allerdings schon - da summieren sich die einzelnen Leistungsstufen auf.

Clemens klärt mich bei einer Tasse Kaffee auf. Auf drei kompakten Seiten bekomme ich eine erste Bestandsaufnahme meiner Leistungsfähigkeit - oder auch dem, was nicht vorhanden ist...

Meine Zonen sind im Großen und Ganzen dort, wo sie schon die vergangenen Jahre waren, allerdings war es nach dem geringeren Trainingsumfang der letzten beiden Jahre gut zu sehen, dass noch eine gute Basis vorhanden ist. Mein FTP-Wert war schon einmal höher, aber auch da ist eine solide Basis vorhanden, die glücklicherweise nicht so schnell schwindet, wie das subjektiv manchmal erscheinen mag, wenn man in die Pedale tritt.

Ernüchternd ist hingegen die Schlussfolgerung, dass die Verschlechterung meiner Leistungsfähigkeit auf den viel geringeren Trainingsumfang zurückzuführen ist und darin eigentlich der Schlüssel liegt - so schwarz auf weiß wurde mir das bis jetzt noch nicht präsentiert.

Positiv jedenfalls die Analyse meiner Atmung, die eine gute Verstoffwechselung zeigt und vor allem eine gute Ökonomie - nicht ganz unwesentlich angesichts der Ziele für 2020.

Mein Plan

Was bedeutet das für mich? Clemens setzt erneut zur Erklärung an:

1. Trainingsumfänge steigern

2. Bi-polares Training

3. VO2-Max steigern

Dass meine Trainingsumfänge ausgedehnt werden müssen, war mir von Anfang an klar und dementsprechend wenig überraschendes Ergebnis der Leistungsdiagnostik. Vom jetzt sehr niedrigen Level an wöchentlicher Trainingszeit ausgehend werde ich meine Umfänge nach und nach steigern, um Richtung Sommer eine entsprechende Basis aufbauen zu können.

Clemens befürwortet den Aufbau einer soliden Ausdauer-Basis, dementsprechend sind auch große Teile des Trainings auf die Grundlagen-Zonen ausgerichtet. Demgegenüber stehen Intervalle an der zweiten Schwelle, um VO2-Max und Laktatschwelle entsprechend "nach rechts" zu verschieben.

Spannend und für mich in dieser Form neu ist der Themenkomplex Energiebedarf und -bereitstellung. Dabei ist auf einer Skala der Energiebedarf in Kalorien pro Stunden für den jeweiligen Wattwert aufgetragen. Für eine Herausforderung wie das Race Around Austria, wo die Energiebereitstellung und Nahrungszufuhr ein zentrales Element dabei ist, ob man dieses Rennen (erfolgreich) beendet oder nicht, ist eine derartige Auswertung natürlich extrem hilfreich. Auf diese Weise kann beispielsweise eine Ernährungsstrategie für ein Langstreckenrennen recht exakt an einen geplanten Leistungsoutput gekoppelt oder entsprechend daran orientiert werden.

Als erster Test nach einer längeren Zeit ohne eine derartige Diagnostik, kann ich nun mein Training an wissenschaftlich erhobenen Werten orientieren. Clemens wird mir außerdem Trainingsempfehlungen zusammenstellen, die ich möglichst einfach und unkompliziert in meinen Alltag einbauen kann. Hier bin ich froh, eine individuelle Beratung und Betreuung zu haben. Auf meinem Weg zu den Projekten des Jahres 2020 und dem Race Around Austria werde ich im Frühjahr jedenfalls noch einen weiteren Test einplanen, um Fortschritte und Potentiale messen und realisieren zu können.

Exkurs: Leistungstest auf Zwift

Der Wert einer individuellen und wissenschaftlich durchgeführten Leistungsdiagnostik steht natürlich außer Frage. Dennoch war es überraschend, dass die in Zwift ermittelten Werte jenen der "richtigen" Diagnostik in manchen Punkten sehr ähnlich waren. Dies spricht grundsätzlich für die Algorithmen und Logiken der Software und attestiert eine gewisse Verwendbarkeit der dort erzielten Werte. Zwift bietet sowohl einen 20-minütigen FTP-Test als auch - seit diesem Sommer - einen klassischen Rampentest in der Software an. In meinem Fall waren die Werte ähnlich, bei anderen Personen können diese Übereinstimmungen allerdings schon weniger groß sein, da Zwift einige Parameter entweder gar nicht erfassen kann oder nur bedingt in seine Berechnungen miteinbeziehen kann. Die individuelle Komponenten kann auf Zwift beispielsweise überhaupt nicht berücksichtigt werden. Laktatmessungen werden auch weiterhin der klassischen Leistungsdiagnostik vorbehalten bleiben und damit auch die fundierteren Eingangsdaten für eine wattbasierte Trainingssteuerung. Und auch die Analyse der Atemluft ist ein Asset, das man wohl noch längere Zeit nur im Rahmen einer sportwissenschaftlich durchgeführten Leistungsdiagnostik finden wird können.

HPC - Clemens Rumpl

Geräte sind nur so gut, wie die Person, die sie einstellt und bedient und Daten nur so viel Wert, wie die Person, die sie lesen und interpretieren kann. Clemens Rumpl ist mit HPC - High Performance Coaching schon einige Zeit "im Geschäft" und berät und versorgt mit seiner Leistungsdiagnostik und Trainingsberatung zahlreiche Sportlerinnen, Sportler und Mannschaften im Ausdauerbereich. Er war selbst Lizenzfahrer und als solcher weiß er auch, auf die (besonderen) Bedürfnisse von Radsportlerinnen und Radsportler einzugehen. In seinem feinen Büro in Pottenbrunn nahe Sankt Pölten steht neben Rad- auch eine Lauf-Spiroergometrie zur Verfügung. Und Clemens hatte während des Leistungstests noch Zeit, alle der hier gezeigten Fotos von mir zu machen! ;)

Traveling without moving

Ich bin recht viel unterwegs, hauptsächlich in Österreich - privat und beruflich, mit dem Zug und dem Auto, von rechts bis links, von oben bis unten. Die eine Erkenntnis daraus ist, dass ich mich glücklich schätzen kann, so ein Fleckchen Erde bewohnen zu dürfen. Schaut man etwas genauer hin und lässt sich auf die Gegenden ein, findet man so gut wie überall etwas Schönes oder Besonderes.

Nun habe ich mir über die letzten Jahre angewöhnt, die Welt durch eine Fahrrad-Brille anzusehen. Auch wenn ich nicht am Rad sitze, sehe ich daher überall potentielle Routen, Straßen und Spots. Während also die Bahnfahrt über den Semmering eine gefühlte (und auch tatsächliche) Ewigkeit dauert, lehne ich den Kopf an das Fenster und stelle mir vor, auf dem Wanderweg neben den Gleisen mit dem MTB zu fahren. Im Murtal nahe Judenburg führt eine Schotterstraße parallel zur Bahntrasse, die mir auch schon öfters aufgefallen ist. Mal verläuft sie neben der Bahn, dann verschwindet sie im Wald, dann schmiegt sie sich wieder an die Geleise, wechselt bei einer Unterführung die Seite, sodass ich sie kurz aus den Augen verliere bis sie plötzlich wieder vor meinem Fenster auftaucht.

Kurz vor Kraubath führt parallel zur Schnellstraße eine Bundesstraße durch das Murtal, eigentlich recht unspektakulär am Waldrand entlang durch die Landschaft. Bei Kraubath klingelt es aber in meinem Hirn - Christoph Strasser ist hier aufgewachsen - und schon denke ich mich auf einen Zeitfahrer und spule Kilometer für Kilometer auf dieser neben mir liegenden Bundesstraße ab. Wie großartig es sich auf den Bundesstraßen fahren lässt, die parallel dazu eine Schnellstraße oder Autobahn dazu gebaut bekommen haben, konnte ich bereits öfters am eigenen Leib erleben.

Im Drautal wiederum kann man aus dem Zugfenster die hoch gelegenen Höfe oder Siedlungen erahnen, die über kurze und meistens unmenschlich steile Stiche erschlossen sind. Wie es wohl dort oben aussieht, was folgt dahinter, kann man dort mit dem Rad fahren?

So oder so ähnlich sehe ich die Welt, durch die ich mich bewege und ich könnte noch hundert weitere Beispiele anführen, die ich sofort benennen und auch verorten kann. Dass mein Hirn dementsprechend voll ist mit derartigen Informationen und ich mir deswegen bestimmte andere Dinge nicht gut merken kann, das ist eine andere Geschichte... ;)

Was ich unterwegs sehe, versuche ich oft - zuhause am Computer - wiederzufinden, zu verifizieren, ob die Straße auch auf der Karte so lieblich aussieht wie das kurze Stück, das man unterwegs aufgeschnappt hat. Oder es geht schlicht und ergreifend darum, herauszufinden, wohin dieser Weg überhaupt führt. Auf diese Art und Weise hat sich in meinem Gehirn ein unzusammenhängendes, unstrukturiertes und zufälliges Netz an Wegen gebildet, das in mir das dringende Bedürfnis weckt, aufs Rad zu steigen und alle diese Wege abzufahren. Ob es jemals dazu kommen wird, ist eine andere Geschichte - aber dieses Netz existiert einmal.

Schreibtischtäter

Es erfüllt mich mit Glück und Zufriedenheit, abends, untertags oder auch kurz zwischendurch eine Karte auf dem Bildschirm aufzurufen und mich dort umzusehen. In der Wohnung meiner Mutter und dem Haus meiner Schwiegereltern liegt ein großer Atlas auf - immer in Griffweite, um dieses oder jenes nachzuschlagen. Waldbrand auf Sumatra? Dort! Unruhen im Südsudan? Da! Unwetterschäden im Mölltal? Hier! Für die einen mag es unnützes Wissen sein oder zumindest eines, das keinen nachhaltigen Bestand oder Nutzen hat. Für mich ist es mehr und vor allem ist es eine Art des Reisens - und das meine ich einerseits überhaupt nicht esoterisch und andererseits auch nicht im Sinne von Fantasiewelten eines Peter Pan oder einer Alice im Wunderland. So wie es für mich als Kind schon spannend war, ein Lexikon zu „lesen“, so sind es heutzutage die Karten, die mich schnell und unmittelbar in ihren Sog ziehen. Und das Radfahren hat mir dabei geholfen, neue Kategorien von Wegen wahrzunehmen - in der Realität und als Folge davon auch auf Karten. Während man (Auto)reisen eher anhand höherrangiger Wege plant, lenkt das Rad die Aufmerksamkeit auf die schönen Straßen, die kleinen Wege, die pittoresken Landschaften.

Und so finde ich mich wieder und tippe auf Straßen, setze Wegpunkte auf Routen, definiere Zwischenziele und betrachte Höhendiagramme. Das Werkzeug ist dabei variabel. Der physische Atlas in Kombination mit dem enzyklopädischen Wissen, der Erfahrung und den Anekdoten meines Schwiegervaters hat natürlich eine andere Qualität als Google Maps. Strava bietet Heatmaps und damit die kollektiven Erinnerungen einer weltweiten Community. Komoot setzt noch eins drauf und spielt zusätzliche Informationen in die Karten. Schön auch die Seite mit dem klingenden Namen „Quäl dich“, die sämtliche Aufstiege und Pässe in Europa mit Diagrammen, Fotos und Erlebnisberichten auflistet.

Traveling without moving

Auf diese Weise habe ich schon unzählige Ausfahrten absolviert und die Strecken, die ich mir da zusammengebastelt habe, fast schon gespürt. Ich weiß, wie sich 5 Prozent Steigung anfühlen, erinnere mich, wie sich ein Untergrundwechsel auswirkt, weiß was man spüren kann, wenn man 100, 150 oder schon 200 Kilometer in den Beinen hat.

Es mag vielleicht wie eine absurde Übung klingen, mir macht es jedoch großen Spaß! Die Routen habe ich gespeichert - ergibt sich eine Gelegenheit, habe ich mit großer Wahrscheinlichkeit schon ein paar Streckenvarianten vorbereitet. Es ersetzt natürlich keine reale Ausfahrt, aber in stressigen Phasen oder wenn das Gehirn kurz vor dem Overload steht, bietet sich ein derartiger Ausflug an, um kurz abzuschalten, sich in eine positive Atmosphäre zu versetzen und die Gefühle zu spüren, die man mit dem Radfahren verbindet.

Am Ende muss ich aber ohnehin raus gehen und mich auf mein Rad setzen, immerhin möchte ich meine persönliche Strava-Heatmap weiter anfärben - es sind noch zu viele Regionen und Bereiche auf der Karte weiß. Da werd ich wohl mehr ins Schwitzen kommen, als vor dem Bildschirm...

Bekleidung in der kalten Jahreszeit

Wie jedes Jahr möchte auch diesmal wieder mein persönliches Best-Of an Winterkleidung mit euch teilen. Von mir getestet, ausgeführt und begutachtet, wie immer völlig subjektiv! Und um auch diesen Punkt gleich vorwegzunehmen: Ja, einige der hier genannten Produkte habe ich über Kooperationen zur Verfügung gestellt bekommen - wenn sie allerdings ihren Zweck nicht gut erfüllen würden, wären sie weder Teil meiner Garderobe noch dieses Blogposts.

Fingerscrossed Merino Socken

Ich persönlich hab es ja gerne warm. Sobald mir kalt wird - und mit „kalt“ meine ich, dass auch nur ein Quadratzentimeter meiner Körperoberfläche unangenehme Kälte über einen längeren Zeitraum erleidet - dann werde ich unrund und habe nur noch begrenzt Spaß am Radeln. Überhitzung hingegen ist in meiner Welt nur ein selten auftretendes Phänomen, dazu fahre ich im Winter offenbar zu wenig intensiv - verausgaben kann man sich da besser bei Einheiten auf Zwift. Kopf, Finger und Zehen sind an der frischen Winterluft nicht nur bei mir die empfindlichsten Körperstellen, wie ich bei einer kurzen Blitzumfrage in meinem Freundeskreis feststellen konnte. Diesen Teilen daher wohlige Wärme zukommen zu lassen, bürgt für lang anhaltenden Spaß im Sattel. 

Für untenrum schwöre ich auf Merino-Socken. Merinowolle ist schon lange kein Geheimtipp mehr - für Wolle vergleichsweise flauschig und weich, tolle Klima-Eigenschaften und weitgehende Geruchsneutralität! Punkt. Je höher der Merino-Anteil, desto besser - vor allem die Geruchs-Neutralität steht und fällt mit diesem Umstand. Fingerscrossed ist an sich eher für bunte und gemusterte Socken bekannt, sehr diskret kommen dagegen die Deep Winter Merino Socken daher - schwarz nämlich. Sogar die obligatorische Niete am linken oberen Sockenrand ist dezent angegraut. In der extrawarmen Version sind die Bereiche von Zehen über Sohle bis über die Ferse noch mit zusätzlich flauschigem Material versehen, dadurch bleiben sogar meine Füße im Winter schön warm. Die Frage, ob Socken nun über oder unter der Hose getragen werden, möchte ich hier nicht weiter erörtern - da könnte ich ja genauso gut eine Diskussion eröffnen, ob Canon oder Nikon besser ist oder iOS oder Android oder Beatles oder Stones... (Canon, iOS und Stones, falls es wen interessiert!) 

Thermopad Zehenwärmer

Wir bleiben bei den Füßen und senken die Temperatur noch um ein paar Grad. Dann lege ich üblicherweise noch ein Scheibchen oben drauf und gönne mir einen Satz Wärmepads in meinen Schuhen. Ich habe vor zwei Jahren einen Artikel dazu auf Bikeboard.at gelesen, dann gleich die Zehenwärmer von Thermopad bestellt und sie seitdem nicht mehr losgelassen. Es handelt sich um Einwegprodukte, die Pads geben laut Hersteller bis zu 8 Stunden Wärme ab. Ob diese Dauer auch eingehalten werden kann, habe ich nicht überprüft, da wird mir vorher irgendwo anders so kalt, dass ich wieder nach Hause fahre. Aber bei meinen Ausfahrten über 3-4 Stunden funktionieren die Pads jedenfalls einwandfrei. Die Aktivkohle in den Pads wird durch Sauerstoff aktiviert, das heißt man packt die Wärmer kurz vor dem Fahren aus, lässt sie ein paar Minuten liegen und klebt sie dann auf die Zehen oder Füße. Wichtig ist, die Pads vordem Anbringen lange genug „atmen“ zu lassen - ich packe die Pads einfach aus, bevor ich mich anziehe. Ankleiden im Winter ist sowieso eine Prozedur, die ein paar Minuten dauert, bis dahin haben sich auch die Pads schön aufgeheizt. Klebt man die Pads direkt aus der Packung auf und schlüpft in den Schuh, dann kommt nicht mehr ausreichend Luft zu den Pads und diese werden nicht richtig warm. Entgegen der gängigen Anwendung und auch den Bildern auf der Homepage des Herstellers und der Verpackung, klebe ich die Pads oben auf meine Zehen bzw. meinen Vorfuß anstatt unten. Die Wärmeentfaltung funktioniert dort genauso gut, allerdings erspart man sich den „Knubbel“ unter den Zehen. Das Pad trägt schon ein paar Millimeter auf und zumindest bei mir war es so, dass ich ein unten angeklebtes Pad beim Treten bemerke. Thermopad hat außer den Zehenwärmern auch noch alle möglichen anderen Wärmer im Sortiment (von Hand über Rücken bis hin zur ganzen Fußsohle), diese habe ich allerdings nicht ausprobiert - mir reichen die warmen Zehen :)

Fizik Artica R5

Eine vermeintliche Glaubensfrage betrifft hingegen die Wahl zwischen Überschuhen und Winterschuhen. Es gibt für beide Varianten unterschiedliche Pros und Cons. Ich persönlich habe mich vor 2 Jahren am MTB für Winterschuhe entschieden, letztes Jahr dann auch am Rennrad. Überschuhe habe ich mir trotzdem behalten, aber eher für den Notfall in wärmeren Phasen des Jahres oder als Backup am Berg. Ich sehe den Vorteil der Winterschuhe in der einfacheren Handhabung: Anziehen, fertig! Wie schon oben erwähnt, wird das Anziehen im Winter ohnehin schon oft genug zur Tortur - meist ist man schon kräftig verschwitzt, bevor man überhaupt noch bei der Haustür draußen ist. In meine Winterschuhe schlüpfe ich hinein und fertig. 

Da ich auf großem Fuß lebe, besteht für mich ein weiterer Vorteil darin, dass Winterschuhe weniger dick auftragen als dicke Socken, Winterschuhe plus Überschuhe. Das habe ich zum ersten Mal gemerkt, als ich bei unterschiedlichen Rädern mit dem Fuß an der Kettenstrebe angekommen bin, weil durch Schuh + Überschuh einfach zu viel Material da war. 

Dabei hatte meine Beziehung zu Winterschuhen einen durchwachsenen Start. Meine ersten MTB-Winterschuhe von Mavic konnten sich dadurch „auszeichnen“, dass sie unten bei den Cleats ungefiltert und recht direkt die kalte Winterluft hereinließen und damit das Prinzip Winterschuh ad absurdum führten. Auch eine (nur optional erhältliche) dickere Einlegesohle konnte das System nicht retten. Die Mavic-Winterschuhe fürs Rennrad hingegen (das Nachfolgemodell) waren in diesen Belangen besser, auch wenn mir dort noch immer zu viel Luft von unten reingekommen ist. Gore Tex und Dichtheit an der Oberseite sind eben nur die halbe Miete, wenn von unten Wasser und Kälte eindringen können. Glücklich bin ich erst, seit ich bei Winterschuhen zu Fizik gewechselt bin - ich glaube der Name des Modells „Artica“ hat die Eiskönigin in mir angesprochen...

Auch wenn die „Schnürung“ des Fizik (sie ist eher ein Zugsystem) auf den ersten Blick etwas irritiert, der Fuß hat im Schuh einen sehr guten Halt. Die Isolierung ist einwandfrei, eine wasserdichte Außenhaut mit Reißverschluss besorgt den Rest. Und - oh Wunder! - von unten kommt keine Kälte an die Fußsohle, auch mit der mitgelieferten Innensohle. Das Profil an der Sohle ist ausreichend, um auch im Winter voranzukommen, wenn man einmal neben dem Rad steht und nicht darauf sitzt - wobei man auch hier, wie bei allen Radschuhen, keinen Sonderpreis für Anmut und Eleganz gewinnen wird. Bei Mountainbike-Schuhen und gleichzeitig Verwendung von Crankbrothers oder Shimano-Cleats ist mir aufgefallen, dass man aufgrund des recht hohen Profils jedenfalls die mitgelieferten Spacer unter die Cleats schrauben sollte, damit man leichter ein- und ausklicken kann. Darunter leider allerdings wiederum das angenehme Gehen in den Schuhen, weil die Cleats leicht über das Profil der Sohle überstehen - Vorsicht auf glatten Böden!

Wenn wir schon kurz über Crankbrothers reden, ich habe meine Shimano SPDs gegen Crankbrothers Eggbeater Pedale getauscht, was gerade auch im Winter und bei Schnee & Matsch von Vorteil ist. Zum einen sind die minimal schlankeren Cleats etwas weniger schmutzanziehend, vor allem aber ist der Einstieg in die Pedale leichter, da man von vier Seiten einklicken kann - da kann man fast nicht danebenhauen!

Löffler Bike ISO-Jacke Primaloft Mix 

Genug von den Füßen gesprochen, kommen wir zum Oberkörper. Auch hier habe ich in den vergangenen Jahren schon einiges ausprobiert. Das Zwiebelprinzip habe ich dabei immer angewendet, weil es am praktischsten ist und die größte Flexibilität bietet. Allerdings habe ich die Kombinationen variiert - dick über dünn, dünn über dick, Jacke direkt über Baselayer, usw. Ich werde hier auch weiterhin Dinge ausprobieren und es ist nicht ausgeschlossen, dass ich einen neuen „optimalen“ Zustand herausfinde - momentan ist aber meine Lösung für kalte Tage ein Merino Baselayer, darüber ein (eher dünnes) Langarmtrikot und außen noch eine Jacke. Die Jacke ist für die Hauptfunktion des Wetterschutzes zuständig, mit unterschiedlichen Modellen und Funktionalitäten kann man sich hier den tatsächlichen Wetterbedingungen anpassen - dünne Regenjacke, dichte Outer-Shell, gefütterte Primaloft-Jacke.

Besonders in Herz geschlossen, - wie erinnern uns an meine oben bereits erwähnte Wärme-Bedürftigkeit - habe ich Primaloft-Jacken, weil diese eine zusätzlich Isolation und damit Kuscheligkeit bieten. Für intensive Fahrten mögen diese Jacken dem einen oder der anderen zu warm und dick sein, für mich allerdings passt das in der Regel sehr gut. Es muss natürlich auch nicht „Primaloft“ sein, hierbei handelt es sich ja nur um ein Patent - andere Marken nennen ihre Technologien anders, die Funktion ist aber meistens eine ähnliche. Vorteil gegenüber der klassischen Daune ist, dass Primaloft auch bei Nässe noch funktioniert, nicht so verklumpt wie Daune und auch entsprechend schneller trocknet. Dass Primaloft-Fasern mittlerweile zu einem großen Teil aus recycelten Plastikflaschen erzeugt werden, passt außerdem auch ganz gut ins derzeitige Bild.

Auch unter dem Lichte der Nachhaltigkeit steht mein Plan, dort wo es möglich ist, auch regionale und lokale Produkte einzusetzen oder zumindest ausfindig zu machen - in Zeiten der Globalisierung ist das ja mitunter nicht so einfach. Bei Radbekleidung stößt man dabei in Österreich sehr schnell auf Löffler, einem Unternehmen, dass seinen Hauptsitz und seine Produktion im oberösterreichischen Ried im Innkreis hat. Während dazu noch ein gesonderter Blogpost in der Serie „Made in Austria“ folgen wird, soll es hier um die Primaloft-Jacke von Löffler gehen, die sämtliche kalten Temperaturen gekonnt vom Oberkörper fernhält. Dafür im Einsatz ist die „Primaloft Gold“-Faser, die die technologische Speerspitze von Primaloft darstellt und dementsprechend den höchsten Qualitätsstandard für sich beansprucht. Im Design ist die Jacke eher klassisch gehalten und in mehreren Farben erhältlich, wobei wenn schon Winter, dann in Signalfarbe! In grellem Gelb fällt es schwer, im Grau und Weiß des Herbsts und Winters übersehen zu werden - ein nicht zu unterschätzender Faktor, wenn man auch in der dunklen Jahreszeit sicher vorankommen möchte. Besonders gut gefallen mir die Abschlüsse an Armen und Hals, diese sind breit und gut verarbeitet, bieten dementsprechend sowohl Komfort als auch Schutz vor den Elementen - hatte ich in der Form noch bei keinem anderen Produkt! Die Tasche an der Brust ist praktisch, zum Beispiel für das Handy, wenn man seine winterlichen Heldentaten für Instagram festhalten möchte. ;) Sonst kann man dort kälteempfindliche oder wertvolle Dinge verstauen. Am Rücken befindet sich eine große Tasche in der Mitte, diese dient gleichzeitig als Tasche für die Jacke selbst - wird diese nicht gebraucht, kann man sie einfach „in sich selbst“ hineinstopfen und per Reißverschluss zumachen. Die Jacke ist recht weit nach unten gezogen, wenn man ansonsten eher Aero-Schnitt gewöhnt ist - bei kalten Temperaturen aber jedenfalls von Vorteil. Trotz allem ist der Schnitt sportlich, nichts ist im Weg, nichts flattert.

Weil schöne Fotos von anderen besser sind, als verwackelte Selfies: Hier Oliver in der Löffler-Jacke während der Nacht auf unserer Race Around Austria-Testfahrt rund um Oberösterreich. (Er trägt hier noch ein reflektierendes Gilet drüber!)

Noch einmal Oliver bei der RAA-Testfahrt bei knackigen Morgen-Temperaturen am Ziehberg.

Isadore Ovada Deep Winter Baselayer

Unter der Jacke ist je nach Wetter Spielraum für unterschiedliche Lösungen. Fixstarter in meinem Setup ist jedoch der Merino Baselayer von Isadore, der sich im letzten Winter bereits einen Platz in meinem Herzen erarbeitet hat. Weiches Merino, ein hoher Kragen und ein isolierter Brustbereich sind die Zutaten, die dieses Kleidungsstück für mich zum essentiellen Begleiter machen. Der Schweiß wird gut verarbeitet, der Baselayer wird nie so durchnässt sein, dass man klimatisch in eine Notlage gerät. Das Material fühlt sich auf der Haut gut an - egal ob trocken oder nass - und trocknet Merino-entsprechend schnell. Die Isolierung im Brustbereich bietet zusätzlichen Schutz, falls der Wind doch einmal irgendwo einen Weg durch die Außenschicht finden sollte. Mit dem hohen Kragen erspart man sich hingegen in vielen Fällen (bei gemäßigten Temperaturen) einen extra Buff für den Hals oder ein Halstuch. Das finde ich persönlich wieder gut, weil ich nicht gerne mit einem dicken Wulst um den Hals unterwegs bin und mich dabei irgendwie immer in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt fühle. An den Ärmel-Enden sind noch Schlaufen für die Daumen angebracht, damit auch ja nichts verrutschen kann. Ich verwende diese allerdings (auch bei anderen Kleidungsstücken) nicht bzw. kann ich diese nicht gescheit verwenden, weil meine Arme dafür irgendwie zu lange sind - große Menschen, unklare Proportionen...

Das ist übrigens der zweitwärmste/zweitbeste Merino Baselayer von Isadore ;)

Zum Abschluss - und das ist nichts Neues, weil schon bei mehreren Gelegenheiten vorgebracht - möchte ich noch mein persönliches „last resort“, mein letztes Mittel gegen die Kälte erwähnen: Coldcream! Wer sich schon einmal bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in eine längere Abfahrt begeben hat oder bei eisigem Wind unterwegs war, kennt das Gefühl, wenn die Haut auf den Wangen zu spannen beginnt und die Kälte auf der Stirn sich bis in den Kopf hinein bohrt. Etwas Kältecreme vor dem Wegfahren strategisch gut platziert auftragen, und die Welt schaut schon wieder anders aus. Wichtig ist dabei, auf Produkte zu verzichten, die auf Wasser basieren (Wasser... Minusgrade...Hm?). Wer dennoch nicht auf reine Erdölerzeugnisse setzen will (und das wäre die naheliegende Alternative), ist bei Weleda ganz gut bedient, da ist außerdem noch Honig drinnen, das pflegt und riecht gut!

Ich hoffe, die eine oder andere Ausführung kann dabei helfen, die richtige Ausrüstung und Motivation für den Winter zu finden. Es geht im Endeffekt auch nicht darum, jeden Tag draußen zu fahren - und das sagt einer, der den Großteil des Winters auf Zwift Island verbringt. Aber es sind diese einzelnen Ausfahrten im Winter und bei Kälte, die gut geplant und auch gut ausgerüstet angegangen werden wollen. Und es sind gleichzeitig die Ausfahrten, die im Nachhinein oft als besondere Erlebnisse in Erinnerung bleiben. „Kannst du dich noch erinnern? Damals als es so kalt war und wir trotzdem fahren gegangen sind, ...“

Links

Fingerscrossed Merino Deep Winter, 30,00 Euro, fingerscrossed.design
Thermopad Zehenwärmer, 1,20 - 1,79 Euro (je nach Anzahl), www.thermopad.de
Fizik Artica R5, 200,00 Euro, www.fizik.com
Löffler Bike ISO-Jacke Primaloft Mix, 199,99 Euro, www.loeffler.at
Isadore Ovada Deep Winter Baselayer, 89,00 Euro, isadore.com

Midlife Crisis (Thank you, Cycling)

Es begibt sich dieser Tage, dass ich meinen 40. Geburtstag feiere. Dabei möchte ich kein großes Fest oder irgendeine Aktion starten, dazu sind mir (meine) Geburtstage grundsätzlich nicht „feiernswert“ genug. Etwas Reflexion über sich selbst, so wie man das ohnehin regelmäßig machen sollte, ein Glas Sekt in engem Kreis vielleicht, und gut ist. Es sind eher Impulse von außen, die den bevorstehenden Jahrestag wie den Meilenstein einer fortschreitenden und unheilbaren Krankheit erscheinen lassen. „Geht es dir gut damit?“, „Wie fühlt sich das an?“ sind Fragen, die ich mir von selbst nicht stellen würde und sie verursachen mitunter, dass man in ruhigen Momenten dann doch etwas zu grübeln beginnt.

Krise

Natürlich gab es Vorzeichen! Ich wurde dieses Jahr erstmals in der Altersklasse „AK40“ gewertet - als November-Geborener ist man ja gewöhnt, dass einige Alterslogiken nicht ganz genau stimmen. Die kurze Euphorie, dass ich jetzt eventuell im Altersklassenranking ein paar Plätze gutmachen würde, hat sich beim ersten Rennen - logischerweise - auch gleich wieder in Luft aufgelöst. Schließlich werden wir alle (gleichzeitig) älter, und gerade im Ausdauersportler war es immer schon so, dass Alter nicht unbedingt etwas über Leistungsfähigkeit aussagt.

Dann war da Spotify, dessen Algorithmus einiges Tages plötzlich begann, mir Lieder aus meiner späten Jugend (man könnte schon fast sagen „alte Hadern“) in die Playlist zu legen. Wie das so ist, kippt man dann recht oft in einen Nostalgie-Trip hinein, das eine führte zum anderen - in diesem Fall zu den von mir damals und auch heute noch sehr geschätzten „Faith No More“. Musik von früher zu hören, transportiert einen immer wieder zurück in ein anderes Alter. Wer so wie ich immer gerne und intensiv Musik gehört hat, kann sich dabei auch noch etwas tiefer zurückfühlen als manch anderer. Und so geschieht es auch, dass man sich in einem schwachen Moment bewusst macht, wann genau dieses Album oder jener Song erschienen ist, man rechnet im Kopf und ist dann doch etwas überrascht, dass 1995 nicht vor 7 oder 8 Jahren war sondern vor 23! Dass einer der Songs dann auch noch „Midlife Crisis“ heißt, macht die Sache nicht einfacher.

Schließlich sprach auch noch das Buch zu mir, das gerade neben meinem Bett liegt (- keine Sorge, wir kommen gleich wieder zu etwas, das mit Radfahren zu tun hat!) Der großartige Karl Ove Knausgård schreibt im zweiten Band seines epischen Romanzyklus („Lieben“), dass „die Krise rund um den 40. Geburtstag kein Mythos“ ist. 

„In letzter Zeit traf sie Menschen in meiner Nähe und traf sie hart. Manche wurden fast wahnsinnig vor verzweifelter Sehnsucht. Wonach? Nach mehr Leben. Mit vierzig war das Leben, das man momentan lebte und das stets provisorisch gewesen war, zum Leben selbst geworden, und diese Kombination schloss alle Träume aus, nivellierte alle Vorstellungen davon, dass es das wahre Leben, für das man bestimmt war, das Große, das man vollbringen würde, andernorts gab. Mit vierzig erkannte man, dass alles hier war, im Kleinen und Alltäglichen, fertig ausgeformt, und dass es für immer so bleiben würde, wenn man sich nicht noch etwas zutraute“.
— Knausgård in „Lieben“

Gut, Knausgards spielt hier auf die private Ebene an, die Beziehungen die seine Protagonisten zu Partnern und Menschen haben. Dennoch kann man in diesen wenigen Zeilen - wenn man sich vorher schon ein paar Gedanken darüber gemacht hat - einiges wiederfinden. Und schon ist der vermeintlich ruhige und ereignislose 40. Geburtstag ein aufgeladenes und bedeutungsschweres Konstrukt.

Ausweg?

Auch wenn es vor dem Fenster kalt, nass und grau ist, möchte ich dennoch nicht schwarzmalen! Es geht mir sehr gut, ich habe eine großartige Familie, Rückzugsorte und viel Freude in meinem Leben, so wie es derzeit ist. Von einer Krise bin ich daher weit entfernt und auch die Unsicherheit und das Schicksal von Knausgård wird mir wohl erspart bleiben. Mir war daher wichtiger, herauszufinden, warum ich zufrieden bin. Und nach dieser nach allen Regeln der Dramaturgie verfassten Einleitung dieses Blogbeitrags mag es langweilig oder gar enttäuschend sein, dass ich zu keinem „besseren“ Ergebnis gekommen bin.

In der Tat ist es zu einem großen Teil das Radfahren, die Beschäftigung damit, meine Radlerkolleginnen und Kollegen und natürlich auch dieser Blog hier, der in meinem Leben einen großen und wichtigen Teil einnimmt und der zu einem gewissen Grad als Ventil und Ausgleich für vieles dient, was sich in anderen Konstellationen potentiell zu einem Problem auswachsen könnte (oder gar einer Krise).

Im Sinne des Mottos von Fingerscrossed - „Thank you Cycling“ - ist es mir wichtig, auf die Glücks-, Ausgleichs- und Hygiene-Funktion von Radfahren hinzuweisen. Sich dessen bewusst zu sein, ist essentiell. Radfahren zu können und zu dürfen ist ein großes Glück - der Spitzensportler mag sich über die verlorenen Sekunden ärgern, abseits vom Leistungsgedanken kann man aber auch ab und zu einmal einen Schritt zurück machen und sich über das große Ganze freuen. Training ist anstrengend, hinauszugehen, wenn das Wetter schlecht ist ebenso - doch ich hatte in meinem Radleben erst ganz wenige Ausfahrten, bei denen ich wirklich das Gefühl hatte, „die haben überhaupt keinen Spaß gemacht“ oder „das hätte ich mir sparen können“. An einer Hand könnte ich diese Ausfahrten aufzählen und ich erinnere mich vermutlich auch noch an jede einzelne. Auf der Haben-Seite gibt es hingegen bei jeder Ausfahrt mindestens diesen einen Moment - wenn die Beine passen, wenn das Reh über das Feld läuft, wenn man die Kuppe erreicht hat, wenn man eine Bestzeit erringt, egal... 

Gleiches gilt für die vielen Menschen, die ich dank des Radfahrens kennenlernen durfte - viele davon sind Freunde geworden. Sie alle bilden ein dichtes und engmaschiges Netz, das für Freude, Zerstreuung und Rückhalt steht. Wie soll man da in eine Krise geraten?

Und letztlich bin ich auch überglücklich, diesen Blog und die dazugehörigen Seiten betreiben und befüllen zu können. Über meine Erlebnisse zu berichten und diese fotografisch festzuhalten, macht einen großen Teil meines Lebens aus. Dass sich das alles zeitlich ausgeht, hab ich einem sehr geduldigen und toleranten Umfeld zu verdanken (DANKE an dieser Stelle)! 

Um diesen - zugegebenermaßen ungeplanten, unkoordinierten und dementsprechend chaotischen - Blogpost zu einem Ende zu bringen: Thank you Cycling! Ich bin dankbar und demütig, freue mich auf das nächste Lebensjahr von mir selbst und 169k (der Blog feiert dann zwei Wochen nach mir Geburtstag!) und gespannt, was die Zukunft bringt! „More of the same“ klingt für mich nicht nach Wiederholung sondern eher nach vielen spannenden und unterhaltsamen Abenteuern! ;)

BMC Urs im Test

Nachdem ich im Sommer diesen Jahres philosophiert und endlich - für mich selbst und nach langem Überlegen - rausgefunden habe, was "Gravel" eigentlich bedeutet, welche Möglichkeiten damit verbunden sind und wohin die Reise gehen könnte, geht es nun um das Material an sich. Dass ich mit den Versuchen, meinen Crosser umzubauen gescheitert bin, lasse ich hinter mir. Vor mir liegen hingegen einige Ideen und Projekte, bei deren Realisierung ich mich gerne eines tatsächlichen Gravel-Bikes bedienen würde - wo nämlich weder Rennrad, Crosser noch MTB-Hardtail 100% hineinpassen. Die Rede ist von längeren Touren, Bikepacking und einem Vordringen in die Berge, ohne dabei größere Kompromisse eingehen zu müssen und gleichzeitig sowohl auf Asphalt als auch auf Schotter- und Waldwegen gleichsam gut vorwärts zu kommen.

Auf die Unterschiede zwischen den Radkategorien bin ich schon an anderer Stelle eingegangen, ebenso auf die Frage ob man unbedingt ein weiteres (spezifisches) Rad braucht (grundsätzlich Nein) oder ob man das nicht auch mit dem Crosser fahren könnte (grundsätzlich Ja). Belassen wir es dabei, dass Präferenzen und Vorlieben unterschiedlich sind, jede und jeder ohnehin für sich selbst entscheiden sollte, was sie oder er braucht und will. Am besten probiert man diese Dinge auch selbst aus, so wie ich das in Osttirol mit meinem Crossbike versucht habe und erst dort - im direkten Einsatz - draufgekommen bin, was ich "brauche" und welches Material dafür am besten geeignet ist.

Apropos selbst versuchen... Während meines Selbstversuchs im Sommer war das neue BMC Gravelbike gerade erst ein paar Wochen vorgestellt. Das Konzept war damals schon vielversprechend und ehrlicherweise hatte ich das Rad schon zu diesem Zeitpunkt ein bisschen in meinem Hinterkopf. Nun konnte ich „URS“ für einige Ausfahrten testen und dabei genau jene Punkte abklopfen, die ich auf meiner geistigen To-Do-Liste gespeichert hatte. Um das, was ich mir vorab zusammengesponnen hatte, zu verifizieren oder mich eines besseren belehren zu lassen.

URS

Urs ist zweifellos Schweizer, sein Name bezieht sich allerdings nicht auf den Bären (Ursus) sondern ist ein Buchstabenwort aus "Unrestricted" und damit der Verweis auf das "Anything goes" und die übergreifenden Disziplinen, die das Rad abdecken soll.

Was unterscheidet jetzt aber URS von den bisherigen - und von mir eher kritisch gesehenen - Gravelbikes, bei denen tendenziell nur breitere Reifen in einen bestehenden Rennradrahmen gehängt wurden?

Am wichtigsten ist wohl die spezielle Geometrie und diese spielt sich in erster Linie an der Front ab. Der Lenkwinkel ist sehr flach, um mehr Laufruhe und eine gute Basis im Gelände zu haben. Die dadurch entstehende Schwerfälligkeit in der Lenkung verhindert BMC durch einen kurzen Vorbau, der die entsprechende Reaktionsfähigkeit des Vorderrads sicherstellt. Im Großen und Ganzen kennt man das von modernen Mountainbike-Geometrien (nicht nur bei BMC), den eigentlichen Ursprung hat der Trend bei den Enduro-Bikes.

Der Rahmen ist eine Neu-Entwicklung und kein adaptierter Rennradrahmen. Die serienmäßig montierten 42mm WTB-Reifen belegen die enorme Reifenfreiheit. Wie auch einige andere Hersteller verbaut BMC ein Federungssystem am Hinterbau, um den Komfort im Sattel noch weiter zu erhöhen. Dabei kommt - wie auch schon bei den Teamelite MTB-Modellen von BMC - ein Elastomer-Element zum Einsatz, dass zwischen Sitzstreben und Sitzrohr unliebsame Schläge abfedern soll. Der Rahmen weist außerdem noch einige gravel- oder geländespezifische Merkmale auf, die das Leben einfacher und sicherer machen sollen: Protektoren für den Rahmen, zusätzliche Ösen und Schrauben für Taschen und Zubehör, eine Kabelführung in der Gabel für einen möglichen Nabendynamo und vieles mehr.

Je nach Ausstattungsvariante kommen noch weitere Goodies dazu: Carbon-Felgen fürs Gelände von DT-Swiss, offroad-spezifische Schaltgruppen, und und und. Ebenfalls abhängig von Modell und Ausstattung ist das Gewicht, das Topmodell fühlt sich mit seinen etwas über 8 Kilogramm beim ersten Mal Anheben erstaunlich leicht an, was natürlich auch der Performance während der Fahrt zugute kommt.

Die Varianten des URS

URS startet bei 2.999 Euro für das Modell "Four" und gipfelt mit 8.999 Euro bei URS "One".

Die Antriebe sind durchwegs als "1x" spezifiziert, je nach Gruppe bekommt man damit 11 oder 12 Gänge. Die Kompatibilität von Cross-, Rennrad und MTB-Gruppen ermöglicht es heutzutage ohne weiteres, einzelne Komponenten unterschiedlicher Gruppen zu kombinieren und dabei auch elektronische Schaltungen einzusetzen (beim URS One und Two). Bei der Übersetzung überrascht, dass nur das Topmodell eine größere Bandbreite bietet, 38x50 ermöglicht auch in steileren Gefilden noch eher ein Fortkommen als 40x42. Die Farben sind grundsätzlich Geschmackssache, gefallen - mir persönlich - aber in ihrer Schlichtheit sehr gut. Die Kontrastfarben an den Gabelholmen sorgen für etwas Abwechslung. Neben Rahmen und Gabel teilen sich auch alle Modelle die gleichen Reifen von WTB mit einer Breite von 42mm.

Meine Eindrücke - URS in Aktion!

Schon nach wenigen Metern merkt man, dass man sich nicht auf einem "verkleideten" Rennrad befindet. Nahe am Crosser aber dennoch anders in der Geometrie, der Straßenlage, Laufruhe und Charakteristik. Auch wenn man vermeintlich nicht geglaubt hat, dass zwischen Rennrad und Crosser noch Platz ist, der URS füllt hier definitiv eine Lücke. Und dass es sich dabei um keine rein marketing-kreierte Lücke handelt merkt man, wenn man mit URS ins Gelände abbiegt. Zugegebenermaßen sind es Feinheiten, aber je länger man im Sattel sitzt und je vielseitiger die Einsatzbereiche sind, umso mehr fallen diese Kleinigkeiten ins Gewicht.

Der Rahmen ist sehr steif und gibt gutes Feedback. Alleine schon der Blick auf den massiven Tretlagerbereich gibt Auskunft über Stabilität und Steifigkeit bei kurzen Antritten als auch bei längerem Krafteinsatz. Verwindungen sind vom Rahmen her keine zu spüren, die Direktheit endet hier (naturgemäß) eher bei den breiten Reifen.

Die Geometrie ist speziell - wie oben schon erwähnt, wird durch den flachen Lenkwinkel der Vorbau kürzer, dadurch wiederum das Oberrohr länger. Wer mit der Anschaffung eines URS liebäugelt, sollte daher aus meiner Sicht vorher den Händler aufsuchen und dort gemeinsam die Maße besprechen. Blindlings die gleiche Größe wie bei anderen Rädern zu nehmen, kann unter Umständen problematisch werden. Mit meinen 1,94 m Körpergröße und einem langen Oberkörper stellt die Wahl der richtigen Größe bei mir grundsätzlich und fast immer eine Herausforderung dar - ich sitze meistens zwischen den beiden Stühlen "Large" und "X-Large". Die Geschichte mit dem flachen Lenkwinkel kenne ich schon von meinem MTB, daher weiß ich halbwegs, wie ich die veränderten Werte in der Geometrie zu interpretieren habe und was diese für die Position auf dem Rad bedeuten. Das "XL" wäre mir in der Praxis oben etwas zu lang und damit würde ich gefühlt einiges an Wendigkeit verlieren, das "L" ist mir oben fast schon etwas zu kurz, dafür fühlt es sich wendig und agil an. (Zum Glück hat PBike einen schlauen Computer mit meinen Körperdaten, um mir bei der Größenwahl zu helfen!)

Um noch kurz beim Rahmen zu bleiben, dieser hat im Tretlagerbereich viel Bodenfreiheit und bietet damit entsprechend viel Spielraum, um über Dinge drüberzufahren oder sich zumindest nicht das Kettenblatt an Mauern, Steinen oder Wurzeln zu beleidigen.

Die Flaschenhalter im Rahmendreieck sind tief positioniert, damit entsteht viel Raum, der zum Beispiel für eine Rahmentasche genützt werden kann. Und - speaking of Bikepacking - URS macht natürlich auch eine hervorragende Figur im Adventure Modus, wenn man außerdem noch Sattel- und Lenkertasche dazumontiert. Zwei Gewinde im vorderen Bereich des Oberrohrs erlauben außerdem noch, dort eine kleine Zusatztasche mitzuführen. So kann der Mehrtagestrip kommen!

Damit eine Lenkertasche oder -Rolle zwischen den Drops Platz hat, werden von BMC Lenker mit "Flare" verbaut, bei denen also die Lenkerenden nach außen gebogen sind. Weiterer Benefit dieser Lösung ist eine bessere Kontrolle über das Rad in schnellen Offroad-Passagen. Lenker mit Flare sind allerdings auch Geschmackssache, so bin ich beispielsweise kein Fan davon und würde bei meinem URS einen konventionellen Lenker draufschrauben. Mich irritiert die Griffposition eher, als dass ich einen wirklichen Nutzen erkennen könnte. Außerdem bin ich bestimmte Griffpositionen vom Rennrad gewöhnt, die ich so auch auf einem URS beibehalten wollte. Und letztlich sind in Unterlenkerposition auch die Schalthebel nicht mehr so gut erreichbar, da diese ebenfalls entsprechend nach außen geneigt sind.

Ansonsten gibt es allerdings am Cockpit absolut nichts auszusetzen: volle Integration aller Leitungen und Kabel, ein aufgeräumtes Erscheinungsbild und die schöne Halterung für Wahoos, Gopros, Garmins und sonstiges Zubehör, die bei integrierten BMC-Vorbauten ohnehin immer dabei ist.

Auf den ersten Blick fällt natürlich das Federelement im Hinterbau auf. BMC hat schon einiges an Erfahrung mit dieser Technologie bei seinen Mountainbikes gesammelt. Es gibt keine offiziellen Angaben über den Federweg oder dergleichen, in der Praxis sieht man das Element jedoch in Bewegung und ein paar Millimeter weit wird da jedenfalls gearbeitet. Die tatsächlichen Federeigenschaften zu beurteilen ist aus meiner Sicht nicht wirklich möglich, da ein weitaus größerer Anteil des Komforts im Sattel aus der ewig langen Sattelstütze und den breiten Reifen kommt, wobei man bei letzteren ja zusätzlich auch noch kräftig am Luftdruck schrauben kann. Insgesamt federt der Hinterbau Schläge und Unebenheiten sehr gut ab, auch Roubaix-artige Kopfsteinpflaster-Passagen fühlen sich so etwas weniger schlimm an. Die Tatsache, dass dem Elastomer im Hinterbau keine Dämpfung gegenübersteht, bedeutet, dass es mitunter zu einem minimalen "Hoppeln" kommen kann, vor allem wenn man in einem leichten Gang unterwegs ist und recht dynamisch mit dem Körper mitarbeitet. Verdirbt nicht den Spaß und kommt auch nur in besonderen Konstellationen vor, Abhilfe kann ein anderes Elastomer-Element schaffen, diese sind nämlich in drei unterschiedlichen Härtegraden erhältlich.

Die WTB-Reifen weisen eine Breite von 42 Millimetern auf, während Crosser traditionell (und regelbedingt) meistens "nur" auf 33ern anrollen. Ich persönlich hätte nicht für möglich gehalten, welchen Unterschied diese zusätzlichen 9 Millimeter ausmachen, sowohl was Komfort als auch Grip angeht. Man kann den Luftdruck noch einmal etwas senken, hat damit in geradezu allen möglichen und unmöglichen Situationen ausreichend Haftung und kann auf diese Weise durch Sandfelder, über groben Schotter und alles andere pflügen, was sich einem in den Weg stellt. Aber auch der Speed auf Asphalt war für diese Reifenbreite eine positive Überraschung und bestärkt mich darin, das Rad als Allzweckgerät für alle Untergründe zu sehen. 

Einige Gravelbikes am Markt bieten die Möglichkeit, 650B-Laufräder zu montieren, um die Vielseitigkeit noch weiter zu erhöhen. Beim URS ist das nicht der Fall, allerdings sehe ich dafür eigentlich auch keinen wirklichen Grund. Auf etwas Unverständnis stößt bei mir, dass BMC zum einen das Schraubenmaß der Steckachsen von 5mm auf 6mm (Inbus) erhöht hat und gleichzeitig keinen Adapter bzw. Hebel zum Lösen der Schraube mehr beilegt. Für den Reifenwechsel während einer meiner Testfahrten war daher die Einkehr in ein Lagerhaus notwendig, um den entsprechenden Inbus auszuborgen, mein Multitool endet - wie viele andere übrigens auch! - bei einem 5er-Inbus. Bei der Gelegenheit - und hier bin ich tatsächlich zu 100% selbst schuld - möchte ich auch noch erwähnen, dass man auch die entsprechenden Schläuche für 42mm-Reifen mitführen sollte. Die Rückfahrt auf einem 28mm-Schlauch war wenig erbaulich... 

Die Schaltung an dem von mir getesteten Topmodell (SRAM XX Eagle AXS Schaltwerk hinten und Red ETAP AXS Schalthebel vorne) funktioniert im Gravel-Einsatz hervorragend. Die Schalthebel von SRAM bieten - im Gegensatz zu Shimano - eine weitaus größere Fläche, sodass man auch mit Handschuhen oder "in der Hitze des Gefechts" einfacher schalten kann. Die zur Verfügung stehenden zwölf Gänge bieten eine große Übersetzungsbandbreite, vor allem das 50er-Ritzel hinten dient entweder als Rettungsring oder als Ermöglicher hoch hinausführender Abenteuer. Wie bei allen 1x-Antrieben sind die Gangsprünge teilweise merklich groß, sodass man ab und zu in die Situation kommt, dass weder der höhere noch der niedrigere Gang so richtig passt. Wer hochalpine Ausflüge oder Reisen mit viel Gepäck im Sinn hat, kann vorne auf ein kleineres Kettenblatt wechseln, damit erhöht sich die Kletterfähigkeit weiter. Schade finde ich, dass nur das Topmodell ab Werk eine größere Übersetzung mitbringt, die höhere Flexibilität würde sicher auch den anderen Modellen zugute kommen.

Als Abschluss sei noch erwähnt, dass URS ein richtiger Eyecatcher ist! Das ist einerseits seiner speziellen Form geschuldet - jeder der genauer hinsieht und vielleicht das Federelement erspäht, erkennt das Spezielle und Ungewohnte an diesem Rad. Ein anderer Faktor ist, dass auf dem gesamten Rad nur ein einziger, zwei Zentimeter großer BMC-Schriftzug angebracht ist, nämlich vorne am Steuerrohr. Keine Logos, keine Schriftzüge und Sticker erzeugen Neugier und Interesse, außerdem bekommt das Rad dadurch ein elegantes und schlichtes Auftreten. Lob an BMC auch für das Selbstvertrauen, nicht das komplette Rad mit Aufschriften zuzukleistern. 

Fazit!

In meinen Augen und nach einigen Ausfahrten auf unterschiedlichem Terrain hat BMC hier tatsächlich etwas Neues geschaffen. URS füllt eine Lücke, die man in der Regel zwar erst finden muss, die in meinem persönlichen Radleben allerdings prominent aufklafft und bis jetzt weder durch Crosser, Rennrad oder Hardtail gefüllt werden konnte.

Auf losem und groben Schotter, auf Waldwegen und Fortstraßen spielt URS seine Stärken aus. Viel Grip kommt von den Reifen, der Komfort aus Federung und Sattelstütze verschont den Fahrer und die Fahrerin und die Geometrie lädt tatsächlich zum Spielen ein - diese Böschung hinauf, hier in den Graben hinunter, warum nicht da drüber... Spaß und Radfahren sind in meinen Augen untrennbar verbunden, mit diesem Rad erweitert man die potentiellen Freundenquellen.

Bei größeren Steinen, Wurzeln und Felsen merkt man die Grenzen des Rades, die Wege bleiben natürlich fahrbar aber man ist langsamer unterwegs als mit einem MTB, muss sich gut um die Linienwahl kümmern und die Muskulatur ermüdet schneller. Auf der Straße hingegen - und mit anderen Reifen sowieso - kann URS auch für einen flotte Rennradrunde herhalten.

Foto: Nora Freitag

Was also fahren mit dem URS? Am besten alles, gleichzeitg und abwechselnd, in einem Urlaub, wo man gerne ein Rad für alles mithaben möchte, auf der Langstrecke, mit Gepäck und Satteltaschen, auf dem Weg zum Nachtlager der Dreitages-Tour, auf Forststraßen und Waldwegen, in den Bergen, wo sanfte Schotterwege dominieren, beim Crossrennen, bei der Gruppenausfahrt am Wochenende auf der Straße. "Unrestricted" hat natürlich auch seine Grenzen aber URS lotet sie auf sympathische Weise aus.

Der Preis für URS ist ein beträchtlicher, 3.000 Euro für ein Rad sind viel Geld. Wer schon fünf Räder in seiner Wohnnug stehen hat, wird sich eventuell schwer tun, noch die richtige Nische zu finden. Wer allerdings nach einem Rad sucht, mit dem man im wesentlichen alles machen kann - und zwar alles konkurrenzfähig - der sollte sich URS näher ansehen. Mir haben die Tage mit URS (außer einem kaputten Schlauch) viel Freude bereitet und ich weiß jetzt, mit welchem Rad ich einige meiner Projekte 2020 in Angriff nehmen möchte ;)

Links

BMC
PBike

Race Around Austria - Challenge "Unsupported"

(Autor: Race Around Austria)

Oftmalig wurde der Wunsch vieler Athleten an uns herangetragen, das Race Around Austria auch “unsupported”, also ohne Betreuer und Begleitfahrzeug zu absolvieren. Schon alleine aufgrund von Sicherheitsbedenken haben wir bisher immer davon Abstand genommen, ein Rennen mit einer Länge zwischen 560 und 2.200 Kilometer ohne Betreuer auszutragen. Richtig ernsthaft befasst haben wir uns mit diesem Thema dann zu Jahresbeginn 2019, zumal die Rennen in Europa vermehrt auch eine derartige Kategorie anbieten. In Italien ist dies schon länger der Fall, auch die Tortour in der Schweiz ermöglicht eine unbegleitete Teilnahme an der Challenge seit geraumer Zeit.

Für uns als Veranstalter war klar, dass wir eine solche Kategorie nur dann andenken, wenn wir Sicherheitsbedenken auf ein absolutes Minimum reduzieren können. Dazu zählt einerseits die Ausrüstung, andererseits aber auch ein sinnvoller Modus und eine 100%ige Sicherheit hinsichtlich technischer Voraussetzungen. Wir führten einerseits zu diesem Thema Gespräche mit unserem GPS-Partner Perfect Tracking und überlegten uns gemeinsam mit dem Amt der OÖ Landesregierung, ob eine Durchführung rechtlich möglich und genehmigungsfähig ist, denn das RAA ist ein Rennen und daher auch mit zahlreichen Auflagen genehmigungspflichtig. Gleichzeitig klärten wir mit der Landespolizeidirektion ab, welche Ausrüstung am Rad erforderlich sein muss und holten hier eine Stellungnahme ein. Vor allem die Nachtfahrt in entlegenem Gebiet ohne notwendige Infrastruktur und Versorgungsmöglichkeit zwischen 19:00 Uhr und 07:00 Uhr stellt nicht nur Organisation, sondern auch Teilnehmer vor eine Herausforderung. Natürlich benötigt es dazu auch ein Sicherheitskonzept: Was tun, wenn es einen Tag lang stark regnet und die Temperaturen stark fallen? Auch hier ist man als Veranstalter gefordert, egal ob ein Teilnehmer mit oder ohne Begleitfahrzeug unterwegs ist.

Zur „Pro“-Entscheidung haben uns mehrere Aspekte bewogen:

• GPS-Tracker für 30h am Rad: Von unserem GPS-Dienstleister gibt es ausfallsichere, autarke und gleichzeitig leichte GPS-Geräte, die am Rad fixiert werden können und mit akzeptablem Gewicht (ähnlich eines Mobiltelefons) idente Sendeleistungen und Sendeintervalle wie unsere herkömmlichen Tracker besitzen. Im Falle eines wirklichen Ausfalls können wir auf Standortapps zurückgreifen. Das Mitführen eines Smartphones mit Powerbanks ist unbedingt erforderlich.

• Ein praktikabler Startmodus: Die Challenge Unsupported wird vor der eigentlichen RAA Challenge, und zwar um 15:00 Uhr gestartet. Sollte es also zu Notfällen auf der Strecke kommen, kann man damit rechnen, dass auch in entlegenen Gebieten jemand vor Ort ist und ein gewisser „Betrieb“ herrscht.

• Nicht zuletzt sind mittlerweile die Licht- und Navigationsgeräte technisch weit ausgereift.

• Ein Depot bei Halbzeit des Rennens: Schon bei der Planung wurde uns klar, dass das Credo „Eine Tankstelle hat in Österreich zwischen 06:00 Uhr und 22:00 Uhr offen“ nicht unbedingt Gültigkeit hat. Viele Tankstellen wurden auf Automatentankstellen umgestellt, die meisten schließen an unserer Strecke bereits um 19:00 Uhr. Spätestens nach unserer Testfahrt sind wir uns sicher, dass die Möglichkeit, bei Start und Ziel eine Kiste befüllen zu können, die dann bei der Firma Hrinkow Bikes in Steyr hinterlegt werden kann, eine wichtige – auch sicherheitstechnische – Komponente mitten in der Nacht ist, vor allem dann, wenn das Wetter nicht mitspielt. Das Depot ist auch für die Rennleitung wichtig: Während beim Rennen mit Begleitfahrzeug die Crew jederzeit entscheiden kann, ob der Teilnehmer die Fahrt fortsetzen kann, ist dies beim Unsupported-Rennen nicht der Fall. Alleine deshalb ist zumindest ein Checkpoint gerade zu dieser Uhrzeit notwendig.

Nicht zuletzt wollten wir die Challenge Unsupported auch testen, deshalb haben wir vergangenes Wochenende (12/13. Oktober) unseren Moderator Oliver auf die Strecke geschickt. Begleitet wurde er von einem Media Car, das aber nicht in die Fahrt eingriff und keine Betreuungsaufgaben übernahm.

Trotz Oktober hatten wir für die Testfahrt unnatürlich schönes und trockenes Wetter. Klar ist, dass ein Unsupported-Rennen gerade bei Regen extrem werden kann. Die Temperaturen waren auch in der zweiten Nachthälfte noch erträglich und nur knapp unter dem zweistelligen Bereich. Kein Regen, kein Nebel, im Gegenteil: Am Morgen wehte kräftiger Südföhn, der vor allem vom Hengstpass bis Kirchdorf unser Versuchskaninchen ordentlich beschleunigte. Das waren zugegebenen Normbedingungen, mit denen man beim Rennen selbst nicht unbedingt rechnen kann.

Trotzdem konnten wir für unsere ersten Unsupported-Teilnehmer einiges mitnehmen:

Bekleidung

Das Depot in Steyr eignet sich für das Hinterlegen von Bekleidung (mit Ausnahme bei Regenwetter) kaum, höchstens als Backup. Generell muss die Bekleidung für das Rennen wohl sehr kurzfristig gewählt werden, nachdem man aber im August wohl damit rechnen kann, dass man sich um 20:30 Uhr für die Nacht, und um 08:00 für den Tag an- und umziehen muss, ist alles an Bekleidung am Rad mitzuführen. Zuviel Risiko würden wir nicht eingehen, aber ob Regen oder nicht, darauf kann man sich mit einer guten Vorschau sicher einstellen.

Verpflegung

Wie oben schon erwähnt ist die Servicedichte auf der Strecke sehr eingeschränkt, auch am Tag. Hier heißt es vorausplanen und ein gutes Konzept zurechtlegen. Gesehen haben wir, dass jeder Supermarktbesuch wirklich viel Zeit kostet. Hier kommt wieder unser Depot ins Spiel, das so ausgelegt wurde, dass man sich mitten in der Nacht, genau bei Halbzeit die Taschen wieder gut füllen kann und mit der entsprechenden Ernährung möglicherweise sogar bis zu 200km weit kommt. Schwierig könnte allerdings auch die Suche nach Trinkwasser werden. Die Brunnendichte ist keine hohe, die meisten Ortsbrunnen sind mit „Kein Trinkwasser“ versehen. Ein Tipp sind mitunter Friedhöfe, hier gibt es oft eine Füllmöglichkeit. Auch hier heißt es: Gut planen, denn oftmalig kommt man gar nicht in Ortszentren, sondern fährt auf Umfahrungen, abseits von Geschäften.

Taschen

Sehr bewährt hat sich die große Satteltasche und die Tasche am Oberrohr.

Beleuchtung und Strom

Vorgeschrieben sind zwei Garnituren Licht. Je heller desto besser, vor allem beim Rücklicht. Mit der Strecke am Computer gab es kaum Navigationsprobleme, wenn man sich die Strecke zudem gut einprägt, erwischt man auch intuitiv schnell die richtige Abzweigung. Ohne ordentliche Powerbank geht sich die Navigation am Computer allerdings nicht aus. Auf das Routebook als Backup wurde kaum zurückgegriffen, viel mehr wurde es dafür genutzt, sich hinsichtlich Kilometer zu orientieren. Eventuell schadet hier eine eigene Marschtabelle am Oberrohr nicht.

Sichtbarkeit

Auch hier gibt es die klassischen RAA-Regeln und zusätzlich notwendige Ausrüstung (permanente Warnweste, auch am Tag). Mit unserem Media-Car haben wir aber gesehen, dass man gerade auf den Beinen, an den Rohren und am Helm (!) nie genug gute Reflektoren haben kann. Kein Autofahrer rechnet um 03:00 Uhr mit einem Radfahrer, zusätzliche Leuchtaufkleber schaden daher nie. Bei Warnwesten ist darauf zu achten, dass diese mit zahlreichen Reflektoren versehen ist. Ein gelber Anstrich alleine ist in der Nacht nicht sichtbar, hier zählt alleine die Reflektorfläche. Nachträglich würden wir sicher auf einen Warngurt zurückgreifen, der z.B. auf Amazon gut erhältlich ist, weniger Wind-Angriffsfläche hat und besser reflektiert als der bekannte Warnlatz, den man auf den Bildern sieht. Zudem ist er stufenlos einstellbar und je nach Bekleidung (Hitze mit 30°C oder mit einer Jacke) gut zu tragen.

Okt. 12 2019 DSCF6057.jpg

Dass das neue Format eine durchaus interessante Kategorie werden wird, davon sind wir nach unserer Testfahrt jedenfalls überzeugt. Nicht als Konkurrenz zur klassischen Challenge, vielmehr als Ergänzung und Möglichkeit, mit weniger technischem Aufwand beim Race Around Austria dabei zu sein. Mit einem klaren Fokus auf den Finishergedanken. Wir freuen uns auf 2020!

Daten und Fakten

CHALLENGE UNSUPPORTED
Modus: Einzelstart ohne Windschatten, ohne aktive Hilfe von außen, 1 Depot bei KM 330
Start: Mittwoch, 12. August 2020 (voraussichtlich 15:00-16:00 Uhr) im Minutentakt
Ort: St. Georgen im Attergau
Länge: 563km
Karenzzeit: 29 Stunden (1 Stunde mehr als bei der klassischen Challenge)
Erforderlicher Schnitt: 19,41 km/h
Kontingent: Max. 50 Solostarter
Anmeldestart: 15. Februar 2020, 09:00 Uhr

Infos: www.racearoundaustria.at

Fotos // Grand Prix Vienna 2019

Tag 1 - 10.10.2019

Tag 2 - 11.10.2019

Isadore Urban Apparel

So gut wie alle Hersteller von Fahrradbekleidung haben sie im Sortiment - meistens irgendwo auf der Seite oder unten auf der Homepage, manche eher versteckt, andere vielleicht nicht ganz ernsthaft gemeint... man ist sich nicht so sicher. Es geht um Alltagsgewand von Radbekleidungsherstellern.

Jetzt kann man als zu allererst natürlich mit der Sinnfrage beginnen - Wozu? Radbekleidung für die sportlichen Stunden im Sattel ist unbestritten notwendig, hier hat sich einiges getan, was Materialen und Style betrifft in den letzten Jahren. Und spätestens wenn man einmal mit einer „falschen“ Bekleidung unterwegs war, erkennt man auch die Notwendigkeit des einen oder anderen Features. Und wir reden hier nicht von Fragen wie, ob ein Sitzpolster notwendig ist oder nicht...

Abseits von Strava und Schweiß ist die Sache allerdings anders gelagert und kann in wenigen Sätzen zusammengefasst werden - zumindest habe ich das die letzten Jahre so getan: Wenn ich Radfahren möchte, nehme ich Radgewand, für den Alltag „normales“ Gewand. Man kann hier lang und breit Argumente abwägen und darüber diskutieren, welche Aspekte wie zu priorisieren sind. Was ich persönlich beispielsweise nie wollte, war Radbekleidung für den Alltag, die ich auf dem Weg ins Büro oder zu einem Termin „artgerecht“ verwende, die dann aber den restlichen Tag - und das sind dann in der Regel ja doch ein paar Stunden - irgendwie nicht nach richtiger Alltagskleidung aussieht. Prominent platzierte Reflektorstreifen haben zweifelsfrei ihre Berechtigung, um auf den Fahrradstreifen und Straßen dieser Erde überleben zu können, in der Besprechung mit dem Chef muten diese aber eher deplatziert an. Komfortable Schnitte am Rad und Stoff an den richtigen Stellen spießen sich mit Slim Fit-Dresscodes, verstärkte Kniepartien beulen aus.

Ein weiterer Aspekt, über den sich auch stundenlang diskutieren ließe, den ich hier aber aussparen möchte, ist die olfaktorische Ebene. Die Kleidung hat hier wohlgemerkt nur einen indirekten Anteil daran, wer allerdings im Alltag entsprechend weite, anstrengende oder mühevolle Wege zurückzulegen hat, wird sich zwangsläufig auch damit beschäftigen müssen. Eine Dusche oder Waschmöglichkeit im Büro ist das eine, Kleidung zu benützen, die nicht nach fünf Minuten Anstrengung schon einer biologischen Massenvernichtungswaffe gleicht eine andere Variante.

Ich möchte daher versuchen, ein paar Punkte zusammenzufassen:

1. Radbekleidung für den Alltag soll praktischer sein als „Alltagsgewand“, sonst könnte man ja auch gleich dieses anziehen.

2. Radbekleidung für den Alltag soll aussehen wie „normale“ Kleidung, damit man nicht aussieht, wie von einem anderen Stern, wenn das Rad geparkt und der Helm abgelegt ist.

3. Features und Materialen sollen so gewählt sein, dass sich Nutzen und Aussehen nicht im Weg stehen - also nicht „form follows function“ oder „function follows form“, sondern idealerweise beides.

Viele Dinge muss man zuerst einmal ausprobieren und am eigenen Leib spüren und erleben, bevor man sich ein abschließendes Urteil bildet - manchmal braucht man dafür sogar mehrere Anläufe. Ich konnte im Frühjahr bereits einmal einen Satz Radbekleidung für den Alltag für Keller Sports testen. Damals waren es eine lange Hose, T-Shirts und ein Pullover, die dezidiert für das Rad UND den Alltag designt und produziert wurden. Mein Fazit damals war, dass die Sachen am Rad durchwegs gut zu tragen waren, praktische Features eingebaut hatten und auch in Bezug auf Materialien erstklassig waren. Einziger Nachteil war, dass es nicht 100% zu meinem allgemeinen Stil (an Kleidung) passt. Beim Sport geht man hier vielleicht noch eher Kompromisse ein, im Alltag ist es mir jedoch wichtig, dass meine Kleidung auch meinen Stil widerspiegelt, schließlich habe ich tagtäglich mit Menschen zu tun.

Zur Aufzählung von weiter oben ist daher ein vierter - elementarer - Punkt hinzuzufügen: Es muss zu einem passen! Hier beginnt die Recherche im Internet von neuem, hinein in jene Winkel der Onlineshops und Webseiten der Hersteller, wo sich die Kollektionen „Urban“, „Lifestyle“ oder „Alltag“ verstecken. Schnell findet man auf diesem Wege auch heraus, welche Wertigkeiten (oder eben nicht) diese Kollektionen bei den unterschiedlichen Herstellern haben, wieviel Leidenschaft und Ressourcen man diesem Thema widmet.

Meine Bande zu Martin und Peter Velits von Isadore Apparel sind kein Geheimnis, daher war naheliegend, erst einmal deren Homepage zu durchforsten. Zu Isadore Apparel und deren Gründer muss ich nicht mehr allzu viel sagen. Beide waren als Profis in der World Tour tätig und wissen daher, was gute Rennradbekleidung ausmachen muss. Durch ihre Zeit in Bratislava waren sie auch lang genug in einem größeren urbanen Umfeld zugange, um auch diese Dimension einfließen lassen zu können. Den pragmatischen Zugang pflegen die beiden daher auch bei ihrer „Urban“ Kollektion - keine Experimente, gedeckte Farben, intelligente Details, hochwertige Materialien und Nachhaltigkeit.

Sämtliche Kleidungsstücke (außer den etwas älteren vielleicht, die entweder alten Tapetenmustern oder aber Star Trek-Uniformen gleichen) sind alle Stücke absolut alltagstauglich und fallen auch ohne Radkontext keinesfalls aus dem Raster. Die Herangehensweise von Isadore war, Alltagsgewand herzustellen, das für die Zeit im Sattel kleine Zusatzboni gewährt oder aber den Radsport zitiert - beispielsweise die zuknöpfbare „Trikottasche“ am Rücken der Merino-Shirts. Stichwort Merino - die Materialien sind funktional, schreien aber nicht aufdringlich „Sport“ und „Radfahren“ durch die Welt. Die Stoffe sind dehnbar, wo es notwendig ist, alles ist belüftet, wo es sinnvoll ist.

Warum jetzt also Isadore Urban verwenden und nicht einfach mit dem „normalen“ Gewand commuten? Diese Frage ist berechtigt und muss im Endeffekt individuell und selbst beantwortet werden. Wer viel auf dem Rad unterwegs ist, weiß manche Dinge zu schätzen - in meinem Fall sind das vor allem Materialien und Funktionalität. Gemeinsam mit dem Stil von Isadore formt sich dabei ein stimmiges Paket - so kann und möchte ich in der Stadt unterwegs sein.

Die von mir getestete Hose „Urban Shorts“ sitzt eng und gut und bietet gute Dehnbarkeit, wo diese benötigt wird. Beim Radeln schneidet nichts ein oder behindert. Das Material ist angenehm, man schwitzt darin nicht und abseits des Rades würde keiner draufkommen, dass die Hose von einer Firma hergestellt wurde, die auf Fahrradkleidung spezialisiert ist. Gleiches trifft auf das „Urban Shirt 2.0“ zu, mit dem man sich auch ohne weiteres in wichtige Besprechungen setzen kann. Understatement ist angesagt, wenn es um Logos und Schriftzüge geht, das Material ist hier so angelegt, dass man auch bei höheren Temperaturen nicht schweißgebadet (und stinkend) ankommt. Die „Urban Merino T-Shirts“ sind schließlich so etwas wie der Klassiker in der Kollektion und auch tatsächlich allerorts einsetzbar. Ein normal geschnittenes T-Shirt aus komfortablem Merino, mit einem dezenten Schriftzug am Schlüsselbein, einem kleinen Badge am Ärmel und einer Tasche am Rücken, die als Zitat an ein Radtrikot zu sehen ist. Auch hier ist absolut egal, ob ein Rad in der Nähe steht oder nicht - Stichwort „ganz normales Gewand“.

Wer bei der Kleidung nicht Halt machen möchte, findet im Portfolio von Isadore auch zwei paar Schuhe, die einzig durch die Drehverschlüsse ans Radfahren erinnern, sonst aber klassischen Sneakern gleichen. Für experimentierfreudigere Zeitgenossen gibt es auch noch eine „Periphery“-Linie, die dann tatsächlich keine Radbezug mehr hat und eher aufgeschlossenere Kleidungsstile ansprechen soll.

Im Alltagstest

Ich lege im Wesentlichen alle meine Wege in der Stadt mit dem Rad zurück, es war daher ein leichtes, die Testgarderobe auszuführen und damit Erfahrungen zu sammeln. Die Frage, ob es denn radspezifische Bekleidung in der Stadt sein muss, kann ich klar mit “Nein” beantworten. Das spricht nicht gegen Isadore oder die Linie eines anderen Herstellers, sondern soll nur bedeuten, dass man auch mit „normalem“ Gewand in der Stadt von A nach B kommen wird. Aber wie das beim Radeln oft so ist, geht es ja nicht nur darum, was „notwendig“ ist, sondern auch um Wünsche, Vorlieben und Gewohnheiten. Und an diesem Punkt drückt die getestete Bekleidung von Isadore bei mir genau die richtigen Knöpfe. Die Zitate des Radsports erfreuen mich, die Materialien fühlen sich durchwegs fein an, das Radeln in der Stadt geht vielleicht etwas geschmeidiger vonstatten. Und nicht zuletzt - und vielleicht sogar am Wichtigsten - ist es auch ein Statement, für all jene, die die Codes zu entziffern vermögen - „Du bist ein Radfahrer? Ich auch“. ;)

Wer so wie ich blindlings die gleichen Größen bestellt wie beim Radgewand, sei darauf hingewiesen, dass die Urban-Linie mitunter etwas anders geschnitten ist bzw. man sich eher an seinem Alltagsgewand orientieren sollte. „L“ bei meinem Radgewand passt perfekt, „L“ beim Urban-Gewand ist recht eng!

169k kann grundsätzlich eher nur inhaltliche Unterstützung bieten, finanziell sei aber auf den Code „169k.net“ hingewiesen, für den es beim Checkout auf der Isadore-Homepage einen 20%-Rabatt gibt ;)

Die Testexemplare wurden von Isadore Apparel zur Verfügung gestellt.

Bollé Shifter - Sportbrille mit Korrekturgläsern

Ich werde älter und meine Augen werden schlechter. Stunden vor dem Computer, das Handy in der Hand, wenig Tageslicht - mein Optiker beziffert meine Fehlsichtigkeit mittlerweile mit vier Dioptrien. Brillen trage ich im Alltag seit ich mich erinnern kann, im Spiegel schaue ich fast schon fremd aus, wenn kein Gestell auf meiner Nase prangt.

Ich habe bereits einmal einen Artikel zum Thema Fehlsichtigkeit und Radfahren und den unterschiedlichen Möglichkeiten damit umzugehen, geschrieben. Das meiste davon ist nach wie vor gültig, ich bin noch immer mit einer Mischung aus Brillen und Kontaktlinsen unterwegs - je nach Lust, Laune, Wetter und Outfit. Ich habe allerdings in der Zeit seit dem letzten Blogpost meine Ausrüstung verfeinert. Und noch einen weiteren Schritt habe ich vollzogen, nämlich den einer optisch verglasten Sportbrille.

Sich einen Überblick über die möglichen Modelle zu verschaffen war nicht einfach, die Hersteller räumen dem Thema Korrekturgläser nicht die oberste Priorität ein. Für mich, der eine Brille als selbstverständlich ansieht und an dem Thema nicht vorbeikommt, ist dieser Umstand etwas unverständlich. Ein Blick in die Statistik zeigt, wieviele Menschen Sehbehelfe brauchen. Dass diese Gruppe keinen interessanten Markt darstellt, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Und wer der Statistik nicht glauben möchte, kann sich ja bei der nächsten Gruppenausfahrt einmal umdrehen und durch die Runde blicken - auch dort wird man unterschiedliche Sehbehelfe entdecken.

Die Ausgangslage war folgende:

1. Ich wollte eine dezidierte Sportbrille fürs Radfahren,

2. die Glasfläche sollte möglichst groß sein, um die Augen entsprechend zu schützen,

3. die Optik sollte „in der Scheibe drinnen sein“ - ohne Extra-Konstruktionen, Clip-Ins oder sonstigen Lösungen,

4. die Lichtdurchlässigkeit der Gläser sollte einen möglichst großen Einsatzbereich ermöglichen und

5. die Brille sollte natürlich auch gut aussehen!

Fündig wurde ich schließlich auf der Homepage von Bollé, nachdem mich ein Artikel auf Bikeboard.at darauf aufmerksam gemacht hatte, dass es dort a) ein neues Brillenmodell und b) Verglasung mit Korrekturgläsern gibt. Die Wahl fiel auf das Modell „Shifter“, das auch von den Fahrern von AG2R bei den großen Rennen getragen wird. Die Qual der Wahl hat man zwischen fünf Farboptionen für den Rahmen und ebenfalls fünf Varianten für die Gläser - diese können natürlich wild durcheinander kombiniert werden.

Bei der Wahl der Gläser lohnt es sich, kurz innezuhalten und über einige Dinge nachzudenken. Die Färbung des Glases bestimmt neben technischen Parametern wie Kontrast natürlich auch die Stimmung, wie man seine Umwelt wahrnimmt. Ich persönlich fahre ja lieber in ein weiches, sanftes Licht als in ein kühles und steriles. Dieser Faktor sollte den rein optischen Eigenschaften natürlich nachgeordnet sein, ist aber aus meiner Sicht dennoch nicht zu vernachlässigen. Polarisation hingegen verhindert weitgehend störende Lichtreflexionen und erzeugt ein glasklares und kontrastreiches Bild vor Augen. Die Lichtdurchlässigkeit wird gemeinhin in fünf Kategorien gemessen und beschreibt, wieviel Prozent des einfallenden Lichtes geblockt werden. Je höher hier der angegebene Prozentsatz ist (z.B. Kategorie 4: 92-97%), desto weniger Licht gelangt zum Auge (die Kategorie 4 ist daher auch nur für Schnee, Gletscher und Hochgebirge gedacht und weniger fürs Autofahren). Vierter und letzter Punkt sind selbsttönende Gläser, die - je nach Lichteinfall und -Intensität - ihre Tönung verändern können. Die Technologie dafür ist nicht neu, die Vorteile sind evident: Vielseitigkeit, Anpassungsfähigkeit, Komfort. Der Hauptnachteil - die Trägheit beim Wechsel der Tönung - wurde in den letzten Jahren nicht ausgemerzt aber doch stark verbessert.

Meine Entscheidung fällt auf die Phantom-Gläser in „Vemillion Gun“. „Phantom“ bezeichnet bei Bollé den höchsten Standard im Hinblick auf optische Klarheit und Kontrast, außerdem beherrschen sie die oben erwähnte Selbsttönung - in diesem Fall zwischen Kategorie 1 (11% Tönung und damit fast klar) bis Kategorie 3 (47% Tönung bei starkem Sonnenschein). Mein persönliches Ziel ist, mit dieser Brille so viele Anwendungsbereiche wie möglich abzudecken und damit Brillenwechsel oder gar das Mitführen mehrerer Modelle zu vermeiden. Durch die minimale Tönung im Anfangsbereich kann ich die Brille idealerweise auch in der Halle oder zuhause auf der Walze aufsetzen (und damit meine Alltags-Brille entsprechend schonen).

Für die Bestellung von optischen Gläsern ist das Ausfüllen eines Informationsbogens erforderlich, der neben der Anzahl der Dioptrien noch weitere Parameter enthält. Konkret geht es hier um die Position des Auges innerhalb des Brillenglases - die richtige Sehstärke soll ja an der idealen Position auftreten -, außerdem würden hier etwaige Besonderheiten des Auges angeführt werden, die bei der Fertigung der Korrekturgläser berücksichtigt werden müssen. Ich bin mit diesem Bogen schnurstracks zum Optiker meines Vertrauens gegangen, hier selbst etwas zu erfinden oder veraltete Werte einzutragen, macht keinen Sinn.

Warum viele Brillenhersteller davor zurückschrecken, selbst optische Gläser anzubieten, dürfte in der Tatsache liegen, dass es einerseits einiges an Know-How bedarf und zum anderen mit einem gewissen Aufwand verbunden ist. Besonders bei modernen Sport/Rad-Brillen, die mit riesigen Gläsern aufwarten, wird die optische Verglasung zur Herausforderung. Viele Hersteller schränken daher die optische Verglasung auf einige wenige Modelle ein, bei denen beispielsweise das Glas nicht so groß oder die Biegung der gesamten Brille begrenzt ist. Mein Optiker bestätigt, dass eine Verglasung ab einer gewissen Krümmung der Scheibe verbunden mit einer Dioptrienzahl >3.0 tendenziell problematisch ist. Machbar ja, allerdings schrumpft jener Bereich des Glases, der den richtigen Korrekturwert hat, immer mehr und mehr - mit dem Ergebnis, dass die Korrektur nur für einen Bruchteil des kompletten Sichtfelds funktioniert und das geht dann doch irgendwie am ursprünglichen Sinn der Sache vorbei.

Die Lösung besteht im Wesentlichen darin, ein „Glas im Glas“ zu bauen. Optisch korrigiert ist daher ein abgegrenzter Teil rund um das Auge, die Randbereiche der Scheibe sind nicht korrigiert. Das klingt kompliziert, ist aber in der täglichen Handhabung überhaupt kein Problem - wenn man sich nach einigen Tagen daran gewöhnt hat. Anfangs nimmt man noch die unscharfen Ränder wahr, sieht ab und zu einzelne Punkte durch den Randbereich flirren oder ist kurz irritiert, weil man auch am Rand die volle Sehstärke erwartet. Die Korrektur ist jedenfalls ausreichend vorhanden - man kommt also nicht in die Verlegenheit, in bestimmten Kopfpositionen nichts mehr zu sehen, aber gewöhnen muss man sich kurz daran.

An der Qualität und Performance der Gläser ändert sich durch die optischen Einlassungen nichts, auch die Belüftung funktioniert mit den integrierten Schlitzen einwandfrei und makellos. Bei anderen Herstellern ist das zum Beispiel ein potentiell großes Manko, da in die bestehenden Rahmen optische Gläser eingesetzt werden, die allerdings aus Stabilitätsgründen keine Lüftungsschlitze mehr aufweisen - schwierig. Wenn wir schon von Belüftung reden, diese ist bei der Bollé Shifter sehr gut und in manchen Situationen vielleicht auch schon fast etwas zu gut. In bestimmten Positionen bläst es auf der Seite am Rahmen vorbei Richtung Auge - wer hier empfindlich ist, sollte sich vorher auf eine Testfahrt machen.

Die ersten drei Monate mit der Bollé Shifter haben sich hervorragend angelassen. Brille, optische Gläser und Tönung erfüllen die vorher formulierten Erwartungen sehr gut. Auch beim Radeln auf der Rolle ist die Brille im Dauereinsatz - die minimale rötlich/rosa Färbung des Zimmers fällt gar nicht auf.

Mit dem Kunststoffrahmen und den Gläsern wirkt die Brille sehr robust, ich hätte hier keine Bedenken, die Brille auf alle meine Abenteuer mitzunehmen und den Elementen auszusetzen. Im Lieferumfang ist neben einer Art „Brillenpass“ selbstverständlich ein Hardcase dabei, das man mittels Karabiner praktisch an seinen Rucksäcken und Taschen festmachen kann, das Stoffsackerl ist gleichzeitig Putztuch und Aufbewahrungstasche.

Fazit

Ich habe hier eine schicke Radbrille mit optischen Gläsern gefunden, sodass ich mich nicht mehr (ausschließlich) um Wechselbrillen und Kontaktlinsen kümmern muss. Mit den selbsttönenden Gläsern bin ich für mehrere Lichtverhältnisse ausgestattet und kann auch sorgenfrei indoor und in den Abend hineinfahren. Die „unscharfen“ Ränder sind kurze zeit gewöhnungsbedürftig, ab dann schätzt man nur noch die optische Qualität und Zuverlässigkeit. Wer sensibel auf Zug reagiert, sollte jedenfalls probetragen oder sich eines der anderen Modell von Bollé ansehen.

Die Test-Brille wurde von Bollé zur Verfügung gestellt.

Gravel Innsbruck

Ride with passion - unter dem klangvollen Namen ging #gravelinnsbruck am vergangengen Sonntag in die erste Austragung. Wie es halt immer so ist, eine reine Gravelrunde ist fast unmöglich und so haben die Organisatoren die schönsten Abschnitte auf Teer, Schotter, Forststraßen, Waldwegen, einer Bobbahn (ja ihr lest richtig!) und naja sagen wir mal schlechten Straßenabschnitten zu einer mega Runde kombiniert. Multi Terrain Cycling Adventure wird es vom Veranstalter genannt und es wurde seinem Namen vollauf gerecht!

Ich durfte im Namen von 169k die toll angelegte Runde rund um Innsbruck in Angriff nehmen und es hat sich gelohnt!

Mit Start in der schönen Innsbrucker Altstadt und auf von der Polizei gesperrten Straßen ging es flott los Richtung Westen am Inn entlang ins Nasse Tal. "Its not a race, its a big festival" - das sahen die Damen und Herren in der ersten Gruppe wohl anders und sind uns bis zum ersten Anstieg schon mal ordentlich enteilt. Kein Problem, ich bin ja hier zum Genießen denk ich mir, aber irgendwie haben solche Gruppenausfahrten dann doch immer ein bisschen Renncharakter und man will sich ja nicht die Blöße geben. Also rein in den ersten knackigen Anstieg, hier auf Asphalt und gleich darauf finden wir uns in Götzens wieder. Wer die WM letztes Jahr verfolgt hat, egal ob live vor Ort oder vorm Fernseher kennt die tollen Panoramen rund um Innsbruck und genau diese hat man quasi durchgehend im Auge!

Ein paar Ortschaften und Weiler später finden wir uns in Mutters wieder und stürzen uns auf das erste wirkliche Highlight dieser Runde: ein Singletrail, der sich auch wirklich so nennen darf, ist die erste richtige Offroad-Herausforderung bergab. Ich staune ob der Teilnehmer, die sich hier mit Rennrädern runterhauen und das auf teilweise 25mm breiten, klassich “glatzerten” Reifen!

Wer den Ötzi schon mal gefahren ist, kennt den Abschnitt auf der Brenner Bundesstraße und den Ausblick auf die Europa-Brücke. Und da unten in der Sillschlucht beim nächsten Höhe- bzw. Tiefpunkt werden wir uns gleich wiederfinden. Vorbei am Kraftwerk Obere Sill geht es über eine alte Versorgungsstraße 2,3 km und 230 Höhenmeter hinauf nach Patsch. Es ist schon sehr beeindruckend unter der 190m hohen und damit Österreichs höchsten Brücke zu fahren. Ganz nah an den Pfeilern vorbei, gehts auf der teilweise mit schlechtem Asphalt ausstaffierten Straße in etlichen Kehren hinauf. Oben hört man dann schon von weitem Didi Senft, den weltbekannten Radsport-Teufel mit seinen Anfeuerungsrufen auf die Teilnehmer warten. Auf der gesamten Strecke gibt es keine Zeitnehmung im klassischen Sinn, jedoch befindet sich hier einer der Anstiege, die auf Strava ein eigenes Segment erhalten haben. Dadurch kann man sich, trotz Eventcharakter doch mit den anderen Fahrern battlen!

Kurze Abfahrt Richtung Igls und dann next stop: Bobbahn - ja genau, eine BOBBAHN! Hier wird das ganze wirklich einmalig: wo sonst auf der Welt habt ihr die Chance in einer olympischen Bobbahn mit dem Rad zu fahren? Richtig, nirgends! Hier muss ich auch gleich gestehen: ich hab zuerst gedacht, wir fahren die Bahn runter. Wenn man aber in dem Eiskanal ist (übrigens mit perfektem Untergrund für Radreifen, sowas griffiges findet man selten) merkt man erst, wie wenig Platz da drinnen ist. Runterfahren wäre bei dem Gefälle wohl eher keine so gute Idee, immerhin gehts mit 9% bergauf! Ein paar Steilkurven und einen Kreisel später, Ausstieg aus der Bahn und erst mal mit einem Safterl aus Fuschl gestärkt!

Von hier an gehts eigentlich schon wieder zurück Richtung Innsbruck via Sistrans und Aldrans. Über schöne Waldwege nähern wir uns dem Zentrum. Hier ist ein kleiner Kritikpunkt anzubringen: die "Ausschilderung" war an einigen Stellen nicht gut erkennbar oder schlicht nicht vorhanden. Wir kamen in Lans an einen Punkt, wo sich der Weg in drei Richtungen gabelt. Pfeil war keiner vorhanden und so ortskundig war von uns keiner, das wir wussten, wo es nun weitergeht. Jeder der manchmal offroad in unbekanntem Gebiet unterwegs ist, kennt die Situation vielleicht, wenn man irgendwo runter fährt, um dann nach ein paar hundert Metern im besten, oder mehreren Kilometern im schlechtesten Fall draufzukommen, dass es kein Weiterkommen mehr gibt. Kurzer Blick auf den Wahoo: ja schaut so aus, als kämen wir da weiter, also fahren wir einfach mal geradeaus. Wir kommen direkt oberhalb von Wilten heraus, leider auf der "falschen" Seite und haben damit den Berg Isel verpasst. Hier merkt man dann schon, das die Teilnehmer durchaus kreativ mit der Streckengestaltung umgehen und manchmal den direkten Weg zurück zum Congress am Rennweg suchen oder quer durch die Altstadt zurück zum Startpunkt radeln.

Hier angekommen könnte mein Bericht auch schon enden, man könnte nun nach ca. 50km die Ausfahrt beenden und sich bei Kasnockn und Tiroler Gröstl schon verpflegen.

Aber da war doch noch was in der Ausschreibung? Richtig, die Höll! Und die hält was sie verspricht: 2,78km, 304 Höhenmeter und stellenweise 25% steil! Puh, und das nach dem ersten Teil der Runde, der auch ganz schön knackig war! Eine Herausforderung der besonderen Art. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, was die Pros letztes Jahr gedacht haben müssen, nachdem sie schon über 5000 Höhenmeter im Renntempo in den Haxn gehabt haben und dann dort rauf mussten! "Die spinnen, die Innsbrucker!" - so oder so ähnlich wars bestimmt bei einigen! Auch hier wartet wieder Didi und schreit die Leute förmlich die letzten Meter im steilsten Stück hinauf. Ich pumpe ordentlich, die Lungen und Oberschenkel brennen! Die Strecke mit dem Gravelbike in Angriff genommen zu haben, stellt sich hier abermals als Vorteil heraus. Die von mir gefahrene Über- bzw. Untersetzung macht sich bezahlt und ich kann noch mit halbwegs angenehmer Kadenz rauftreten. Oben angekommen mache ich Halt, es wollen ja auch ein paar Fotos gemacht werden. Viele der Fahrer sind hier wirklich am Limit, aber jeder ist extrem stolz, wenn er es ohne Absteigen oder Schieben geschafft hat. Aber selbst Schieben wird zur Herausforderung und jedem, der bis hier gekommen ist, ist zu gratulieren.

Danach geht es noch rüber nach Thaur ein letztes Mal Bergpanorama bewundern und zurück nach Innsbruck.

In Summe haben sich die Veranstalter hier im Schatten der großen MTB-Touren in Tirol und der Rad-WM vom letzten Jahr etwas einfallen lassen, um dem Trend Gravel entsprechend Tribut zu zollen!

Ich zumindest würde sofort wieder mitfahren, obwohl ich sicher wieder das Gravelbike nehmen würde und nicht wie etliche andere das Rennrad. Dafür ist mir die Route dann zu sehr offroad, aber jeder wie er will.

P.S.: Eine Warnung an alle, die eine leichte E-Bike-Allergie haben: die sind hier auch zugelassen und können einem bergauf schon etwas lästig werden, wenn die, die man vorher im Flachen überholt hat dann in Schlangenlinien wieder nach vorne fahren, um oben wieder zurücküberholt werden zu müssen.

Als Verbesserungsvorschlag würde ich den Teilnehmern noch eine .gpx-Datei zur Verfügung stellen, dies kann ja gern im Zuge der Bestätigungsemail passieren nach Anmeldung, wenn man die Strecke vorab etwas unter Verschluss halten möchte.

Also: schnappt euch ein Gravel- und wahlweise Rennrad oder Mountainbike und kommt 2020 nach Innsbruck. Ride with Passion!

Alle Infos: https://gravelinnsbruck.com/

King of the Lake 2019

Wie soll ich diesen Blogpost über den King of the Lake 2019 beginnen, wo ich doch schon im vergangenen Jahr alle verfügbaren Superlative gebraucht habe… Daher hier die Kurzfassung für alle, die sich nicht durch die Details meines Blogposts wühlen möchten:

Der King of the Lake ist eine der tollsten Veranstaltungen, die ich mir nur vorstellen kann - (gesperrte) Strecke, Organisation, Menschen, Landschaft und alles Drumherum sind perfekt. Wer noch nicht dabei war oder nicht verstehen kann, warum jeder so von der Veranstaltung schwärmt, der oder die stelle sich unbedingt einmal an die Startlinie! Punkt.

Du möchtest doch noch mehr lesen? Na gut, starten wir von vorne :)

Es ist mein dritter King of the Lake, wobei King werde ich auch dieses Jahr nicht werden. Ich habe große Konkurrenz: neben meiner Wenigkeit stehen auch noch mein Trainingsrückstand, mein launischer unterer Rücken und mein Schlafmangel am Start - es wird ein hartes Match. Um kein Risiko einzugehen, habe ich materiell noch einmal aufgerüstet. Nach meiner grandios gescheiterten Premiere am Zeitfahrer im Jahr 2017 und einer - wie ich meine ganz soliden - Fahrt mit dem Rennrad 2018, steht 2019 wieder ein Zeitfahrer in meinem Hotelzimmer im Litzlberger Keller. Die neue BMC Time Machine Disc schreit “schnell” und “schnittig” und es wird wohl ein langer Weg werden, bis der Pilot ebenjener Maschine auch nur ansatzweise die selbe Dynamik versprühen wird - aber egal. Bekanntermaßen macht es (zumindest mir) mehr Spaß auf schönem Material und wo wenn nicht hier am wunderschönen Attersee beim größten Einzelzeitfahren Europas.

Am Attersee

An den Attersee finde ich schon blind, verbringe ich doch mittlerweile schon mehrere Tage oder fast Wochen meines Radjahres hier in der Gegend. Mondsee-Radmarathon, die Staatsmeisterschaften 2019, das Race Around Austria, der Mohrenwirt in Fuschl - es ist hier eine besondere Ecke entstanden mit engagierten Menschen, die auf eine unaufgeregte aber zielstrebige Art und Weise den Rad(breiten)sport in Österreich vorantreiben. So wie auch ganz Oberösterreich mittlerweile eine tolle Vorreiterrolle eingenommen hat - nicht zuletzt die vielen oberösterreichischen Profis oder jene Fahrerinnen und Fahrer, die sich anschicken, solche zu werden, zeugen davon, dass es sich um einen guten Boden handelt.

Über den King of the Lake selbst wurde schon viel gesagt und geschrieben. Es ist die größte Veranstaltung ihrer Art in Europa - das Konzept geht nächstes Jahr in seine zehnte Ausgabe, was man am Weg dorthin geschafft und erlebt hat, können Worte wohl schwer beschreiben. Knapp 1.300 Starterinnen und Starter haben sich im Frühjahr 2019 um die Startplätze bemüht, innerhalb von wenigen Stunden waren diese dann auch schon wieder vergeben. Die gesperrte Bundesstraße rund um den See ist so etwas wie das Aushängeschild der Veranstaltung und OK-Chef Erwin Mayer muss jedes Jahr einen großen Teil seiner Energie darauf verwenden, dass dies auch so bleibt. Und das ist ihm unendlich hoch anzurechnen, sind doch die Interessen der Bevölkerung mannigfaltig und ein Radrennen ist halt trotzdem in der Wahrnehmung vieler immer noch “nur ein Radrennen” und unter diesen Rahmenbedingungen an einem Samstag für gut sechs Stunden die einzige Straße rund um den See komplett zu sperren, ist eine entsprechende Leistung. Polizei und Feuerwehr helfen tatkräftig mit, die Gemeinden tragen das Event ebenso und haben über die Jahre auch dessen Nutzen erkannt.

Warm-Up

Der Freitag ist traditionell der Anreise und einem geselligen “Warm Up” am Abend gewidmet. 2019 bietet sich dafür eine neue Möglichkeit - auch im weiteren Sinne des Radsports -, hat doch die Mutter von Bora-Profi Lukas Pöstlberger ein altes Wirtshaus in Schörfling übernommen. So mischt sich lokale Wirtshauskultur mit deftigem Essen, dass sich ein World Tour-Profi am Tag vor dem Rennen wohl nicht in derartigen Mengen gönnen würde. Aber wenn man schon mal hier ist… Neben dem Organisationskomitee, Vertretern der Gemeinden und einigen Journalisten sitzen auch Marcus Baranski - der letztes Jahr noch mit seinem “Doper stinken. Alle. Immer”-T-Shirt einen großen Auftritt auf dem Podest neben Georg Preidler hatte - und Nora alias “Unicorn Cycling” am Tisch, die sich auf dem Rennrad auf die Umrundung des Sees begeben wird.

System-Check

Nach einem derartig “carbo-geloaded” mediokren Schlaf steht Samstag Vormittag die obligatorische Testfahrt auf dem Programm. Systemcheck des Rads, kurzes In-Erinnerung-Rufen der mühsamen Stellen des Kurses auf der Westseite des Attersees. Während es ja auf der “Hinfahrt” auf der Ostseite (im Uhrzeigersinn) recht flach und entsprechend flott dahingeht, stellen sich ab der Südspitze nach und nach mehr oder weniger fiese kurze Rampen in den Weg. Schließlich wollen zwischen Start und Ziel rund 250 Höhenmeter gesammelt werden. Die entsprechenden Stellen vorab zu kennen, hilft ungemein beim Einteilen der Kräfte.

Ein weiterer Punkt, der den KOTL nämlich so besonders macht - zumindest bei jenen, die sich leistungstechnisch auch annähernd in diesen Sphären bewegen können - ist die Tatsache, dass eine Fahrzeit von etwas mehr als einer Stunde bedeutet, hier an seiner individuellen Leistungsschwelle unterwegs zu sein, den berühmten FTP-Wert also unter Realbedingungen einer Bewährungsprobe auszusetzen. Dementsprechend groß ist die Häufung von Leistungsmessern, um den Output messen und entsprechend steuern zu können.

Nicht allerdings an meinem Rad, dafür war die Zeit vor dem KOTL leider etwas zu kurz und die Lieferzeiten meines Wunsch-Powermeters etwas zu hoch. Alles in allem bin ich wiederum nur solala vorbereitet. Auf dem Zeitfahrer bin ich rund fünf Mal gesessen, nachdem dieser aber bei Pbike auf mich gefittet wurde, passt zumindest die Sitzposition. Als Ziel für die Umrundung nehme ich mir grob 1:15h vor, im Glauben, dass ich meine Rennrad-Zeit von 1:20 recht locker unterbieten sollte, wenn ich es schaffe, am TT in Aero-Position durchzufahren. Die großspurige Formulierung traue ich mir hier nur zu, weil ich dieses Ziel später nicht erreichen werde, aber dazu gleich mehr.

Die vormittägliche Testfahrt endet mit Gregor Mühlberger, der auf dem Rückweg zum Hotel plötzlich neben mir fährt. Und so geht es mir immer am Attersee: Irgendwie kennt man jeden, diesen hat man schon mal gesehen, mit dem anderen ist man in Wien schon mal eine Runde gefahren, du bist die von Strava - Das King of the Lake-Wochenende ist ein Familienfest mit der ganzen Radsportsippe - umso besser, dass das Festzelt im Zielbereich ausreichend dimensioniert ist.

Auch schon traditionell vertreibe ich mir meine Zeit bis zu meinem Start (dieses Jahr um 16:13) mit dem Ansehen der Starts der Rad-Bundesliga, den Vierer-Teams und den ersten Solo-Startern. Am Rückweg zu meinem Hotel kann ich noch ein paar Fotos schießen - auch hier der eine oder andere Aha-Moment, wenn man in den Vierer-Teams bekannte Gesichter entdeckt. Umziehen, Fertigmachen, zum Start rollen. Die verbliebenen Minuten widme ich einem Besuch beim “Fahrerlager” des VICC-Vienna International Cycling Club, der mit knapp 30 Mitgliedern am Start steht.

Und los!

5, 4, 3, 2, 1 - und es geht runter von der Startrampe. Gleich nach dem Start geht es kurz bergauf, aber lieber mal etwas langsamer machen - die erste Hälfte sollte man grundsätzlich eher ruhiger angehen lassen. Ich beschließe - angesichts fehlender Leistungsdaten und unsicheren Leistungsniveaus - nach Gefühl zu fahren und es nicht zu übertreiben. Diesen Gedanken in meinem Gehirn fertigformuliert, taucht auch schon an meiner linken Seite ein Auto auf, Fotografin Tana Hell beugt sich aus dem Fenster und drückt ab. Und bevor ich es noch merke, trete ich plötzlich stärker in die Pedale, gebe Gas, überhole Fahrer - mache also alles, was ich nicht tun wollte… Alles für das Foto! :)

Foto: Tana Hell

Als das Auto (endlich) weiterfährt, schalte ich erstmal einen Gang zurück. Wir sind auf Höhe Weißenbach am Attersee - das bedeutet, dass die ersten Höhenmeter auf dem Programm stehen. Ich matche mich mit dem Starter vor mir - immer wieder taucht seine Startnummer 1012 und sein gelbes Trikot auf. Bergauf überholt er mich, in der Ebene rolle ich wieder an ihm vorbei - immer mit dem notwendigen Abstand natürlich. Er ist wohlgemerkt auf dem Rennrad unterwegs, aber das kümmert mich nicht. Die Mischung aus Rennrad und Zeitfahrer, alt und jung und stark und stärker ist erfrischend und sorgt für Abwechslung.

In Unterach ist mit einem kurzen Stich hinauf zur Umfahrungsstraße der Wendepunkt im Süden erreicht, die darauffolgende Abfahrt bietet eine kurze Erholungspause bevor die Namen folgen, die ich mir in Gedanken notiert habe: Parschallen, Nußdorf und Buchberg. Dort geht es steiler und länger bergauf, als man “kurz einmal drüber drücken” könnte. Der Wind, der klassischerweise auf der zweiten Hälfte eine Rolle spielt, ist auch dieses Jahr wieder Begleiter (von vorne), aber die befürchteten Böen sind ausgeblieben.

Endspurt

Es ist immer ungefähr bei Kilometer 37 oder 38, wo das Rennen etwas “lang” wird. Man ist schon einige Zeit unterwegs, die Tanks werden langsam leer, die Strecke lang. An dieser Stelle muss man beißen, es sind nur fünf Kilometer, die man überstehen muss - der Knackpunkt ist der kurze Stich in Buchberg. Dort hat sich die Race Around Austria-Fanzone breitgemacht - die Stimmung ist gut, die Anfeuerungen helfen dabei, die kurzen 13% zu übertauchen. Und dann geht es - wie schon in den Jahren zuvor - plötzlich schnell! Das Gelände ist kupiert, es rollt kräftig dahin, über kurze Wellen rollt man mit Schwung und gut 50 km/h. Und dann purzeln die Anzeigetafeln mit den verbleibenden Kilometern nur noch so - 4, 3, 2. Eine kleine Prüfung steht noch auf dem Programm, die letzte Rampe zum Hotel Attersee, danach ist es aber wirklich vorbei. Vollgas hinunter nach Seewalchen, wohltemperiert durch die 90-Grad-Kurve, über die Agerbrücke und 300 Meter in Richtung Ziellinie. Im Nachhinein verfliegen die letzten Kilometer geradezu.

Dann ist es auch schon wieder vorbei. Am Wahoo die Fahrt beenden, Luft holen, bevor man es merkt, wird einem der Zeitnehmungschip abgeknipst. Die Wahrscheinlichkeit, dass man auf den ersten Metern aus dem Zielkanal ein bekanntes Gesicht trifft, ist sehr groß - aufmunternde, interessierte oder euphorische Worte inklusive. Auf meinem Radcomputer steht am Ende 1:16:57 und damit mehr, als ich mir erhofft hatte. Die 1:15 zu erreichen, war - ohne großartig darüber nachzudenken oder die Notwendigkeiten dafür genau zu analysieren - doch nicht so einfach, wie ich mir das vielleicht vorgestellt hätte. Andererseits muss ich mir ja für das nächste Jahr noch etwas Verbesserungspotential erhalten.

Zeit für Ärger oder Gram bleibt ohnehin keiner - zu schön ist der Attersee, zu spannend das Eventformat, zu gesellig der Abend im Festzelt. Objektiv betrachtet bewundere ich einerseits jede und jeden, die/der sich auf den Weg um den See macht und sich auf diese Weise misst. Andererseits werden von den schnellen Fahrerinnen und Fahrern gewaltige Leistungen abgeliefert, die Zeiten unter 1:00 werden immer mehr und die Zeiten sind schlichtweg beeindruckend!

So nehme ich mir mein Ziel von 1:15 mit ins Jahr 2020, hoffe auf wiederholtes Kaiserwetter, nette Gesellschaft und ein weiteres großartiges Wochenende am Attersee - King of the Lake werde ich zwar wieder nicht werden, aber genauso viel King oder Queen wie jeder, der sich auf den Weg macht!

Strava

Fotos (wenn nicht selbst aufgenommen oder gekennzeichnet): Sportograf

Foto: Tana Hell

Die Teilnahme am Rennen erfolgte auf Einladung des Veranstalters.