Der ultimative Guide zum Thema Wintergewand

Ich weiß schon, was jetzt kommt… „Was will er mit einem Winter-Guide, jetzt wo der Frühling an die Tür klopft“? Naja, ganz einfach: Wer wie ich die Dinge auch wirklich testen, ausführen und ausprobieren möchte, braucht den ganzen Winter, um das zu tun. Und nachdem man nach zwei Kilometern noch keinen vollständigen Eindruck von Funktionen und Möglichkeiten haben kann, führt man die Dinge am besten gleich ein paar Mal aus. Und das ist insofern wenig dramatisch, denn der nächste kalte Tag kommt sicher noch und der nächste Winter sowieso. Und die meisten (alle?) der hier besprochenen Dinge, sind auch über eine Saison hinweg gültig - auch wenn sich da und dort vielleicht die Farbe eines Kleidungsstücks verändern wird.

Sich im Winter fürs Radeln anzuziehen ist jedenfalls eine eigene Wissenschaft. Bei mir hat es Jahre gedauert, um halbwegs geeignete Outfits für die unterschiedlichen Anforderungen des Winters zu entwickeln. Als eher „Erfrorener“ habe ich lieber eine Schicht mehr an als zu wenig, möchte gleichzeitig aber nicht schweißgebadet bei Minusgraden durch die Gegend fahren, das Zwiebelprinzip trägt mir oft zu sehr auf und ich hab ein Faible für gute technische Lösungen und moderne Materialen (oder auch die moderne Interpretation traditioneller Materialien). Hier ist schon ein ganz wesentlicher Punkt erkennbar: Sich fürs Radeln im Winter anzuziehen ist eine sehr individuelle Angelegenheit und daher wohl kaum pauschal und generell zu beantworten. Jede*r hat eigene Bedürfnisse, einen eigenen Fahrstil, individuelle Ziele. Aber genau deshalb soll es hier um „Möglichkeiten“ und „Varianten“ gehen und nicht um diese eine „richtige“ Version…

Bevor es aber an - wenn man so will - "Musteroutfits" geht, möchte ich ein paar meiner Erfahrungen teilen, die sich eher um Kleinigkeiten und das "Rundherum" drehen. Denn oft sind es nicht die großen Dinge (Oberteile oder Hosen), die über Komfort, ausreichend Wärme und Spaß am Radfahren entscheiden, sondern vermeintlich unwesentliche Kleinigkeiten.

1. Baselayer

Ist Wintergewand insgesamt schon eine Wissenschaft, sind es Baselayer als solches noch einmal! Es gibt unterschiedliche Längen, Dicken, Materialien und Einsatzzwecke. Ich persönlich bin kein großer Fan eines allzu exzessiv ausgelebten Zwiebelprinzips, das wird mir dann irgendwie zu viel am Körper. Ich versuche daher, für jede Ausfahrt den am besten geeigneten Baselayer zu verwenden. Zwischen 5 und 10 Grad vertraue ich auf einen Merino-Baselayer, der verbindet in der Regel gutes Klima mit ausreichendem Wärmeschutz. Darunter (also bei Temperaturen rund um den Gefrierpunkt) ist mir der Merino-Baselayer insofern zu riskant, als er sich tendenziell irgendwann mit Schweiß vollsaugt und dann nicht mehr wärmt - in diesem Fall greife ich daher lieber auf Mischfasern (mit Merino) zurück und nicht auf reine Woll-Shirts.

2. Schuhe/Winterschuhe

Anziehen für den Winter-Ride ist eine schweißtreibende Angelegenheit - spätestens dann, wenn man sich in voller Montur kurz vorm Verlassen der Wohnung noch Überschuhe anziehen möchte. Um das zu verhindern und gleichzeitig auch einen idealen Wetterschutz zu haben, fahre ich schon seit mehreren Jahren nur noch mit dezidierten Winterschuhen. Diese sind schnell angezogen, bieten Schutz vor Kälte und Nässe und tragen meistens auch nicht so dick auf wie Schuhe plus Überschuhe. Bei letzterem ist es mir bei einigen Rädern schon passiert, dass ich mit der Innenseite des rechten (Über)Schuhs an der Kurbel streife. Auch bei Winterschuhen gibt es natürlich Qualitätsunterschiede - hier ist darauf zu achten, dass die Schuhe auch eine entsprechende Innensohle haben, die nach unten hin abdichtet oder isoliert. Von Übersocken halte ich hingegen wenig - einerseits verstehe ich den Nutzen nicht ganz, andererseits war das eine Paar, das ich mal in Verwendung hatte nach einer Ausfahrt reif für die Mülltonne.

3. Handschuhe

Die Velits-Brüder von Isadore haben einmal erwähnt, dass ein Handschuh das am schwierigsten zu fertigende Bekleidungsstück beim Radeln ist. Form, Größe, Materialien, Nähte, Touchscreen-Fingerkappen, und und und... Ich persönlich habe auch nach vielen Jahren und Wintern auf dem Rad noch keine definitive Lösung für meine Finger gefunden und kalte Finger bedeuten zwangsläufig irgendwann auch, dass einem am ganzen Körper kalt wird. Ich verwende daher wenns hart auf hart kommt tatsächlich noch meine Radhandschuhe, die ich vor 20(!) Jahren zum Mountainbiken angeschafft habe.

4. Ärmlinge/Beinlinge

Auch Ärmlinge und Beinlinge geben immer wieder Stoff für Diskussionen. Ich bin kein Fan davon und bevorzuge eigentlich immer lange Ärmel und Beine, wenn es die Witterung erfordert. Einzig bei Ausfahrten im Frühling oder Herbst nehme ich ab und zu Ärmlinge mit, um etwas flexibler zu sein. Ansonsten fällt mir zum Thema nur eine Aussage von Tom Boonen ein, der einmal gemeint hat, man erkenne am Start der Frühjahrsklassiker an den Beinlingen, ob ein Fahrer in die Flucht geht oder nicht - hat er sie über die Hose gezogen, wird er sie schnell und bald ausziehen, um in die Flucht zu gehen. Alle, die sie unter dem Hosenbund haben, können es gemütlicher angehen lassen. Weiß nicht ob das so stimmt, klingt aber irgendwie plausibel - am besten wir schauen uns das bei den kommenden Eintagesrennen an.

5. Buffs

Gegen Buffs habe ich mich lange gewehrt, weil ich nicht gerne etwas um den Hals gewickelt habe. Mittlerweile habe ich die Vorzüge erkannt, schätze Buffs sehr und führe zumindest immer einen mit - egal ob in Trikot-, Lenker- oder Rahmentasche. Das kleine Stück Stoff ist dabei sehr vielseitig einsetzbar und man darf nie ein trockenes und wärmendes Stück Stoff am Körper unterschätzen.

6. Hauben

Merino, über die Ohren, nicht zu dick - das sind die wesentlichen Punkte, die es bei Hauben zu beachten gilt. Gerade unter dem Helm sollte nichts drücken oder quetschen, daher am Besten gemeinsam mit dem Helm probieren. Merino habe ich an dieser Stelle lieber als Mischfasern, weil sie sich am Kopf und an den Ohren geschmeidiger anfühlen und die Schweißproblematik am Kopf (bei mir zumindest) nicht so groß ist. Und die Brillenbügel unter dem Haubensaum öffnen den Raum zu den Ohren hin und machen Platz für kalten Fahrtwind - ich trage daher die Brillenbügel immer über der Haube.

7. Helme

Wir bleiben noch kurz am Kopf mit einem vermeintlichen No-Brainer: Wer die Auswahl zwischen unterschiedlichen Helmen hat, kann im Winter auf einen Aero-Helm zurückgreifen. Die haben in der Regel weniger Luftschlitze und Öffnungen und halten daher eher warm als das gut belüftete Sommermodell. Und ein paar Aero-Gains können auch im Winter nicht schaden ;)

8. Socken

Auch hier setze ich persönlich gerne auf Merino - die Wolle hält warm, trocknet gegebenenfalls schnell und fühlt sich gut und komfortabel an. Wichtiger als das Material ist bei den Socken fast mehr die Frage, ob diese über oder unter der Hose getragen werden. Styletechnisch bin ich in der Über-der-Hose-Fraktion zuhause, nur wenn es richtig kalt ist kommen sie unter das Hosenbein, denn dort scheint mir die Isolation und die Wirkung der warmen Socken noch eine Spur besser zu sein.

9. Farben

Farben sind mir ein wichtiges Thema! Zum einen finde ich schwarz langweilig, zum anderen finde ich, dass Farbakzente das Leben schöner machen. Ganz abgesehen davon, dass gerade im Winter und bei schlechterer Sicht die Sichtbarkeit von Farben weitaus höher ist, als das klassische Anthrazit und Schwarz. Ich freue mich auch, dass mehr und mehr Marken nicht nur bunte oder farbenfrohe Trikots anbieten, sondern zunehmend auch Hosen (siehe unten!). (PS: Weiße Hosen gehen nach wie vor nicht - ich hoffe, das wird nie ein Trend..)

10. Nachhaltigkeit und Materialien

Auf den ersten Blick mag das nicht das wichtigste Kaufargument sein, aber der Stellenwert von Nachhaltigkeit und der Wertigkeit und Herkunft von Materialien steigt immer mehr, ebenso wie Fertigungsorte und -bedingungen. Das Bewusstsein der Konsument*innen und Marken steigt hier glücklicherweise von Jahr zu Jahr, auf den Homepages der Hersteller findet man in der Regel ausführliche Informationen zu Zertifikaten, Siegeln, und dergleichen, wobei hier - wie immer - auf eine kritische Lesart zu achten ist. Das eine oder andere "Gütesiegel" kann sich auch schon mal als Mogelpackung erweisen.

11. Streckenwahl und Intensität

Zum Abschluss der kleinen Erfahrungen noch etwas, was erst auf den zweiten Blick mit dem Thema zu tun hat. Denn auch die Streckenwahl, das Tempo, die Intensität und vielleicht auch die Wahl des Rads (Rennrad, Gravel, MTB) wirken sich auf das Wintererlebnis im Sattel aus. Bei Minusgraden wird man sich am Anstieg nass schwitzen und in der anschließenden Abfahrt mit großer Wahrscheinlichkeit erfrieren - da fährt man also lieber mit geringerer Intensität und wählt ein flaches Streckenprofil. Wind Chill und ähnliches machen vielleicht das "langsamere" Gravelbike zur besseren Wahl für den Winterride.

Doch genug der allgemeinen Rederei... Ich habe für euch fünf Serviervorschläge vorbereitet und diese einen Winter lang getestet und probiert. Außerdem hab ich versucht, das Ganze in unterschiedliche Kategorien zu unterteilen, sodass für jeden Einsatzzweck und Geschmack etwas dabei ist.

Outfits:

RH77 - Das Performance-Paket

René Haselbacher und sein Team bringen viel Erfahrung aus dem Profiradsport mit - und vielleicht noch wichtiger: Erfahrungen von unzähligen Trainingsstunden im Sattel bei jedem möglichen Wetter.

Offiziell als Jacke tituliert, hat man bei der "Sub-Zero Winter Membran" eher den Eindruck, ein Langarmtrikot zu tragen. Dementsprechend fühlt sich das ganze recht leicht an und trägt nicht auf. Das Material ist sehr stretchy und passt sich gut dem Körper an. Mit einem langärmligen Baselayer reicht der Wetterschutz für kurze bis mittellange Ausfahrten, wer länger unterwegs sein möchte oder zusätzlichen Wetterschutz benötigt, kann ein dünnes Langarmtrikot zwischen Baselayer und Jacke anziehen. Das Material saugt sich nicht mit Schweiß voll und hält daher auch bei intensiveren Rides warm (bis zu einer Dauer von 2-2,5h). Das Design schreit nach Aufmerksamkeit und man wird von weithin wahrgenommen - auf winterlichen Straßen ein Pluspunkt. Sollten die Bedingungen doch etwas harscher werden, helfen die Wind- und Wasserbeständigkeit und der ausklappbare Spritzschutz am unteren Rücken.

Die Hose kommt in einem schönen Blau und bietet damit eine willkommene Abwechslung vom schwarzen Einheitsbrei. Der Wetterschutz ist auch hier eingebaut, allerdings nicht so ausgeprägt wie beim Trikot. Aber das Thermomaterial an der Innenseite hält für die Dauer von kurzen und mittellangen Ausfahrten angenehm warm. Sitzpolster sind ja an sich ein sehr individuelles Thema und für jede*n unterschiedlich komfortabel. Hinsichtlich Qualität und Komfort der RH77-Polster herrscht allerdings seltene Einigkeit über viele Personen hinweg - diese sind bei dieser Winterhose genauso gut wie bei den RH77-Sommerhosen.

Wer übrigens in und rund um Wien in RH77 unterwegs ist, wird Teil einer eigenen Community und wer weiß, vielleicht kreuzt man hie und da auch die Wege von René Haselbacher selbst...


Isadore - Das Sub-Zero-Paket

Auch bei Isadore werken bekanntlicherweise im Hintergrund Ex-Profis. Die beiden Brüder Martin und Peter Velits waren beide in der World Tour unterwegs und haben gegen Ende ihrer Karrieren damit begonnen, Radbekleidung herzustellen. Isadore setzt in großem Maße auf Merino als Material und legt gleichzeitig großen Wert auf Nachhaltigkeit und Regionalität - davon kann man sich in zahlreichen Artikeln auf deren Homepage überzeugen. Neben der performance-orientierten "Echelon" Kollektion gibt es bei Isadore zwei Eskalationsstufen von Winter, die ich - als "Erfrorener" - gerne in Anspruch nehme. Das "Thermerino"-Jersey gemeinsam mit den Medio Tights bieten Schutz und Wärme knapp über Null Grad, die Merino Membrane Softshell Jacke mit der Ovada Deep Winter Tight auch bis weit unter Null. Die Materialien sind dabei so angelegt, dass sie Wärme, gute Isolation und Witterungsschutz bieten, allerdings eher für weniger intensive Einheiten. Vor allem ein (an sich positiver) hoher Merinoanteil sorgt bei Isadore oft dafür, dass bei höherer Intensität durch Schweiß Nässe und damit in der Folge Kälte entsteht.

Die Merino Membrane Softshell Jacke hat nur einen geringeren Merino-Anteil und außen komplett abweisendes Softshell-Material - damit kommt man auch über längere Zeit durch Winter und tiefste Temperaturen. Auch hier benötigt es darunter im Wesentlichen nur einen guten Baselayer oder ein dünnes Trikot, um den vollen Schutz und Komfort zu haben. Vor Überhitzung oder zur besseren Regulierung sorgen zwei Schlitze auf Brusthöhe, die mittels Reißverschluss zu öffnen sind - damit muss man nicht die komplette Jacke aufzippen, um dem Körper Frischluft zu gönnen.

Die "Osram"-Variante der Jacke ist außerdem noch mit eingelassenen Leuchtstreifen ausgestattet, die über eine interne Verkabelung und eine Stromquelle in der Rückentasche zum Leuchten gebracht werden können. Dies erhöht die Sichtbarkeit und damit Sicherheit im Winter und im Dunkeln massiv - allerdings ist die Verkabelung und das notwendige Mitführen einer kleinen Powerbank im Alltag unpraktisch. Und es ist dabei auch eine der Rückentaschen belegt und damit nicht mehr wirklich frei für das Zeug, das man eigentlich einstecken möchte. Die Jacke ist auch ohne die Leuchtelemente erhältlich, in meinen Augen ist das die bessere Wahl.

Die Ovada Deep Winter Tight ist ein großartiges Stück Winterkleidung für jene, die diese Extraportion Witterungsschutz und Wärme haben möchten. Das Material ist dick und vermittelt schon in den Händen gehalten ein Gefühl von Sicherheit und Komfort. Angezogen fühlt sich die Hose nicht so dick und klobig an wie befürchtet und schmiegt sich gut an den Körper an. Das Thermomaterial und die schützende Aussenschicht sind vorne weit über den Schritt hochgezogen, damit entfällt die gerötete und erfrorene Haut am unteren Bauch, mit der man so oft nach Winterrides nach Hause kommt. Auch der Rücken ist weit hochgezogen, sodass man mit dieser Hose fast auch schon einen zweiten Layer am Oberkörper trägt. Beide Thermohosen sind übrigens eher auf der engeren Seite und sollten tendenziell eine Nummer größer bestellt werden.


Löffler - Das Offroad-Paket

Abseits der Straßen bietet der Winter unzählige Möglichkeiten und wie oben schon erwähnt, sind Gravel- und Mountainbike hier mehr als nur eine gute Alternative. Offroad zählen andere Faktoren als Schnittigkeit und Windschlüpfrigkeit und hier tritt Löffler auf den Plan. Die Firma aus dem oberösterreichischen Ried im Innkreis legt großen Wert auf Nachhaltigkeit und Regionalität und hat seine Wurzeln im Wintersport. Dementsprechend überrascht es nicht, dass einzelne Technologien auch ihren Weg in die Radkollektionen gefunden haben und hervorragend für winterliche Ausflüge geeignet sind.

Die Bike Jacket PL Active ist mit Primaloft gefüllt und bietet eine tolle Isolierung und damit einen warmen Oberkörper egal wie tief das Thermometer absackt. Die Außenhülle ist dabei gleichzeitig wind- und wasserabweisend. Die Passform ist - wie bei Löffler üblich - weniger sportlich als bei den dezidierten Rennrad-Marken, man fühlt sich weniger in einem Langarm-Trikot als mehr in einer Winterjacke. Das mag psychologisch einer flotten Rennradrunde im Weg stehen, für einen winterlichen Offroad-Ausflug ist das allerdings genau das richtige. Gute Abschlüsse an Ärmeln und Kragen sorgen dafür, dass die Jacke an allen Enden dicht ist und warm hält. Am Rücken gibt es nur eine große Tasche, in der man auch die Jacke selbst verstauen kann - ich persönlich habe lieber drei vollständige Taschen am Rücken, die ich mit meinem Kleinkram befüllen kann. Als Ersatz bietet Löffler dafür eine Tasche mit Zip an der Vorderseite, in der man Kamera und/oder Wertsachen verstauen kann.

Wetterschutz steht an erster Stelle bei den Bike Overpants GTX Active, wobei es sich hierbei eigentlich weder um eine eigenständige Radhose noch um eine dezidierte Winterhose handelt. Die Overpants GTX sind als Überhose konzipiert, das heißt man muss darunter schon eine Bib-Short anhaben. Neben dem Rad schaut man eher ungelenk und “patschert” aus - der Bund der Hose ist niedrig, die Knie sind massiv ausgebeult. Sobald man aber im Sattel sitzt, ist alles an seinem Platz und dank GoreTex trotzt man auch dem schlimmsten Regen, Matsch und Schnee. Die Atmungsaktivität leidet da naturgemäß etwas darunter, aber normalerweise ist man in solchen Situationen nicht allzu intensiv unterwegs, damit wird dem drohenden Bad im eigenen Schweiß wiederum etwas der Schrecken genommen. Die Hosen wären grundsätzlich auch als sinnvolles Equipment für einen Bikepacking-Urlaub in Betracht zu ziehen, der Einsatzbereich ist hier nicht ausschließlich im Winter zu suchen.


Sportful - Das Frühjahrsklassiker-Paket

Sportful und Castelli kommen aus dem gleichen Haus und beide haben ein besonderes Pferd im Stall - bei Castelli heißt es Gabba, bei Sportful "Fiandre". Was bei Sportful liebevoll mit Flandern umschrieben ist, markiert im Wesentlichen die Frühjahrsklassiker mit ihrem unsicheren Wetter, dem Schmutz der Feldwege, der Brutalität des Kopfsteinpflasters und der Verwegenheit der Frauen und Männer, die sich über die berühmten Parcours und Hellingen kämpfen. Aufs Material und die Bekleidung umgelegt bietet die Fiandre-Kollektion eine Lösung für die Übergangszeit, den kalten Frühling, die frostigen Morgen, die wechselnden Wetterbedingungen, den vereinzelten Regenschauer, unerbittlichen Wind und alle anderen Rahmenbedingungen, die das Frühjahr auszeichnen. In einem Vergleich von Wintergewand kämpft man hier mit etwas stumpfen Waffen, allerdings ist es ja nicht den ganzen Winter so richtig winterlich (genauso wie es nicht den ganzen Sommer sommerlich ist). Ehrlicherweise werden die sogenannten Übergangszeiten immer länger und gerade für diese vielfältigen und schnell wechselnden Anforderungen sind diese Stücke hier gemacht.

Die Jacke (Fiandre Pro Jacket) besitzt an der Innenseite aufgerauchtes Polartec Neoshell Material - klingt technisch, ist in der Praxis aber warm und kuschelig. Nach außen hin ist die Jacke wind- und wasserfest. Der Sitz ist eher eng (auch bei Sportful sollte man vor dem Kauf genau auf die Größe achten und im Zweifel eher eine Nummer größer gehen), die Bündchen schließen perfekt ab. Der Kragen ist mit einer Extra-"Lamelle" ausgestattet und etwas hochgezogen. In der Praxis ist die Jacke warm und schützt vor dem Wetter, spielt aber ihre Stärken eher bei leichten Plusgraden (5-10 Grad) aus, darunter kann man zu anderen Jacken greifen. Die drei Taschen am Rücken sind groß und gut zugänglich, einzig die Frage, warum die beiden äußeren Taschen mit Netzmaterial ausgeführt sind (und damit Wasser und Schmutz durchlassen!) wird wohl niemals beantwortet werden.

Die Hose ähnelt - sowohl in Farbe als auch Aufbau - jener von RH77. Auch hier ist das Blau eine angenehme Abwechslung, auch hier ist der Temperaturbereich eher in den Plusgraden zwischen 5-10 Grad zu suchen, darunter wird's eher kalt auf den Schenkeln.


Trikoterie - Die Wiener Variante

Etwas außer Konkurrenz aber als tolle Alternative obenrum läuft das "Hide & Seek"-Oberteil von Trikoterie. Von Wiener Künstler*innen designte Trikots stechen hier aus der Masse heraus und bringen auch farblich etwas Abwechslung in den Alltag.

Das Hide & Seek-Jersey kommt in einem coolen Herbst/Winter-Design, die Augen reflektieren übrigens und sorgen somit für eine bessere Sichtbarkeit im Winter Das Trikot fällt klein aus und sollte im Zweifelsfall eine Nummer größer genommen werden.

Isadore Urban Apparel

So gut wie alle Hersteller von Fahrradbekleidung haben sie im Sortiment - meistens irgendwo auf der Seite oder unten auf der Homepage, manche eher versteckt, andere vielleicht nicht ganz ernsthaft gemeint... man ist sich nicht so sicher. Es geht um Alltagsgewand von Radbekleidungsherstellern.

Jetzt kann man als zu allererst natürlich mit der Sinnfrage beginnen - Wozu? Radbekleidung für die sportlichen Stunden im Sattel ist unbestritten notwendig, hier hat sich einiges getan, was Materialen und Style betrifft in den letzten Jahren. Und spätestens wenn man einmal mit einer „falschen“ Bekleidung unterwegs war, erkennt man auch die Notwendigkeit des einen oder anderen Features. Und wir reden hier nicht von Fragen wie, ob ein Sitzpolster notwendig ist oder nicht...

Abseits von Strava und Schweiß ist die Sache allerdings anders gelagert und kann in wenigen Sätzen zusammengefasst werden - zumindest habe ich das die letzten Jahre so getan: Wenn ich Radfahren möchte, nehme ich Radgewand, für den Alltag „normales“ Gewand. Man kann hier lang und breit Argumente abwägen und darüber diskutieren, welche Aspekte wie zu priorisieren sind. Was ich persönlich beispielsweise nie wollte, war Radbekleidung für den Alltag, die ich auf dem Weg ins Büro oder zu einem Termin „artgerecht“ verwende, die dann aber den restlichen Tag - und das sind dann in der Regel ja doch ein paar Stunden - irgendwie nicht nach richtiger Alltagskleidung aussieht. Prominent platzierte Reflektorstreifen haben zweifelsfrei ihre Berechtigung, um auf den Fahrradstreifen und Straßen dieser Erde überleben zu können, in der Besprechung mit dem Chef muten diese aber eher deplatziert an. Komfortable Schnitte am Rad und Stoff an den richtigen Stellen spießen sich mit Slim Fit-Dresscodes, verstärkte Kniepartien beulen aus.

Ein weiterer Aspekt, über den sich auch stundenlang diskutieren ließe, den ich hier aber aussparen möchte, ist die olfaktorische Ebene. Die Kleidung hat hier wohlgemerkt nur einen indirekten Anteil daran, wer allerdings im Alltag entsprechend weite, anstrengende oder mühevolle Wege zurückzulegen hat, wird sich zwangsläufig auch damit beschäftigen müssen. Eine Dusche oder Waschmöglichkeit im Büro ist das eine, Kleidung zu benützen, die nicht nach fünf Minuten Anstrengung schon einer biologischen Massenvernichtungswaffe gleicht eine andere Variante.

Ich möchte daher versuchen, ein paar Punkte zusammenzufassen:

1. Radbekleidung für den Alltag soll praktischer sein als „Alltagsgewand“, sonst könnte man ja auch gleich dieses anziehen.

2. Radbekleidung für den Alltag soll aussehen wie „normale“ Kleidung, damit man nicht aussieht, wie von einem anderen Stern, wenn das Rad geparkt und der Helm abgelegt ist.

3. Features und Materialen sollen so gewählt sein, dass sich Nutzen und Aussehen nicht im Weg stehen - also nicht „form follows function“ oder „function follows form“, sondern idealerweise beides.

Viele Dinge muss man zuerst einmal ausprobieren und am eigenen Leib spüren und erleben, bevor man sich ein abschließendes Urteil bildet - manchmal braucht man dafür sogar mehrere Anläufe. Ich konnte im Frühjahr bereits einmal einen Satz Radbekleidung für den Alltag für Keller Sports testen. Damals waren es eine lange Hose, T-Shirts und ein Pullover, die dezidiert für das Rad UND den Alltag designt und produziert wurden. Mein Fazit damals war, dass die Sachen am Rad durchwegs gut zu tragen waren, praktische Features eingebaut hatten und auch in Bezug auf Materialien erstklassig waren. Einziger Nachteil war, dass es nicht 100% zu meinem allgemeinen Stil (an Kleidung) passt. Beim Sport geht man hier vielleicht noch eher Kompromisse ein, im Alltag ist es mir jedoch wichtig, dass meine Kleidung auch meinen Stil widerspiegelt, schließlich habe ich tagtäglich mit Menschen zu tun.

Zur Aufzählung von weiter oben ist daher ein vierter - elementarer - Punkt hinzuzufügen: Es muss zu einem passen! Hier beginnt die Recherche im Internet von neuem, hinein in jene Winkel der Onlineshops und Webseiten der Hersteller, wo sich die Kollektionen „Urban“, „Lifestyle“ oder „Alltag“ verstecken. Schnell findet man auf diesem Wege auch heraus, welche Wertigkeiten (oder eben nicht) diese Kollektionen bei den unterschiedlichen Herstellern haben, wieviel Leidenschaft und Ressourcen man diesem Thema widmet.

Meine Bande zu Martin und Peter Velits von Isadore Apparel sind kein Geheimnis, daher war naheliegend, erst einmal deren Homepage zu durchforsten. Zu Isadore Apparel und deren Gründer muss ich nicht mehr allzu viel sagen. Beide waren als Profis in der World Tour tätig und wissen daher, was gute Rennradbekleidung ausmachen muss. Durch ihre Zeit in Bratislava waren sie auch lang genug in einem größeren urbanen Umfeld zugange, um auch diese Dimension einfließen lassen zu können. Den pragmatischen Zugang pflegen die beiden daher auch bei ihrer „Urban“ Kollektion - keine Experimente, gedeckte Farben, intelligente Details, hochwertige Materialien und Nachhaltigkeit.

Sämtliche Kleidungsstücke (außer den etwas älteren vielleicht, die entweder alten Tapetenmustern oder aber Star Trek-Uniformen gleichen) sind alle Stücke absolut alltagstauglich und fallen auch ohne Radkontext keinesfalls aus dem Raster. Die Herangehensweise von Isadore war, Alltagsgewand herzustellen, das für die Zeit im Sattel kleine Zusatzboni gewährt oder aber den Radsport zitiert - beispielsweise die zuknöpfbare „Trikottasche“ am Rücken der Merino-Shirts. Stichwort Merino - die Materialien sind funktional, schreien aber nicht aufdringlich „Sport“ und „Radfahren“ durch die Welt. Die Stoffe sind dehnbar, wo es notwendig ist, alles ist belüftet, wo es sinnvoll ist.

Warum jetzt also Isadore Urban verwenden und nicht einfach mit dem „normalen“ Gewand commuten? Diese Frage ist berechtigt und muss im Endeffekt individuell und selbst beantwortet werden. Wer viel auf dem Rad unterwegs ist, weiß manche Dinge zu schätzen - in meinem Fall sind das vor allem Materialien und Funktionalität. Gemeinsam mit dem Stil von Isadore formt sich dabei ein stimmiges Paket - so kann und möchte ich in der Stadt unterwegs sein.

Die von mir getestete Hose „Urban Shorts“ sitzt eng und gut und bietet gute Dehnbarkeit, wo diese benötigt wird. Beim Radeln schneidet nichts ein oder behindert. Das Material ist angenehm, man schwitzt darin nicht und abseits des Rades würde keiner draufkommen, dass die Hose von einer Firma hergestellt wurde, die auf Fahrradkleidung spezialisiert ist. Gleiches trifft auf das „Urban Shirt 2.0“ zu, mit dem man sich auch ohne weiteres in wichtige Besprechungen setzen kann. Understatement ist angesagt, wenn es um Logos und Schriftzüge geht, das Material ist hier so angelegt, dass man auch bei höheren Temperaturen nicht schweißgebadet (und stinkend) ankommt. Die „Urban Merino T-Shirts“ sind schließlich so etwas wie der Klassiker in der Kollektion und auch tatsächlich allerorts einsetzbar. Ein normal geschnittenes T-Shirt aus komfortablem Merino, mit einem dezenten Schriftzug am Schlüsselbein, einem kleinen Badge am Ärmel und einer Tasche am Rücken, die als Zitat an ein Radtrikot zu sehen ist. Auch hier ist absolut egal, ob ein Rad in der Nähe steht oder nicht - Stichwort „ganz normales Gewand“.

Wer bei der Kleidung nicht Halt machen möchte, findet im Portfolio von Isadore auch zwei paar Schuhe, die einzig durch die Drehverschlüsse ans Radfahren erinnern, sonst aber klassischen Sneakern gleichen. Für experimentierfreudigere Zeitgenossen gibt es auch noch eine „Periphery“-Linie, die dann tatsächlich keine Radbezug mehr hat und eher aufgeschlossenere Kleidungsstile ansprechen soll.

Im Alltagstest

Ich lege im Wesentlichen alle meine Wege in der Stadt mit dem Rad zurück, es war daher ein leichtes, die Testgarderobe auszuführen und damit Erfahrungen zu sammeln. Die Frage, ob es denn radspezifische Bekleidung in der Stadt sein muss, kann ich klar mit “Nein” beantworten. Das spricht nicht gegen Isadore oder die Linie eines anderen Herstellers, sondern soll nur bedeuten, dass man auch mit „normalem“ Gewand in der Stadt von A nach B kommen wird. Aber wie das beim Radeln oft so ist, geht es ja nicht nur darum, was „notwendig“ ist, sondern auch um Wünsche, Vorlieben und Gewohnheiten. Und an diesem Punkt drückt die getestete Bekleidung von Isadore bei mir genau die richtigen Knöpfe. Die Zitate des Radsports erfreuen mich, die Materialien fühlen sich durchwegs fein an, das Radeln in der Stadt geht vielleicht etwas geschmeidiger vonstatten. Und nicht zuletzt - und vielleicht sogar am Wichtigsten - ist es auch ein Statement, für all jene, die die Codes zu entziffern vermögen - „Du bist ein Radfahrer? Ich auch“. ;)

Wer so wie ich blindlings die gleichen Größen bestellt wie beim Radgewand, sei darauf hingewiesen, dass die Urban-Linie mitunter etwas anders geschnitten ist bzw. man sich eher an seinem Alltagsgewand orientieren sollte. „L“ bei meinem Radgewand passt perfekt, „L“ beim Urban-Gewand ist recht eng!

169k kann grundsätzlich eher nur inhaltliche Unterstützung bieten, finanziell sei aber auf den Code „169k.net“ hingewiesen, für den es beim Checkout auf der Isadore-Homepage einen 20%-Rabatt gibt ;)

Die Testexemplare wurden von Isadore Apparel zur Verfügung gestellt.