Der ultimative Guide zum Thema Wintergewand

Ich weiß schon, was jetzt kommt… „Was will er mit einem Winter-Guide, jetzt wo der Frühling an die Tür klopft“? Naja, ganz einfach: Wer wie ich die Dinge auch wirklich testen, ausführen und ausprobieren möchte, braucht den ganzen Winter, um das zu tun. Und nachdem man nach zwei Kilometern noch keinen vollständigen Eindruck von Funktionen und Möglichkeiten haben kann, führt man die Dinge am besten gleich ein paar Mal aus. Und das ist insofern wenig dramatisch, denn der nächste kalte Tag kommt sicher noch und der nächste Winter sowieso. Und die meisten (alle?) der hier besprochenen Dinge, sind auch über eine Saison hinweg gültig - auch wenn sich da und dort vielleicht die Farbe eines Kleidungsstücks verändern wird.

Sich im Winter fürs Radeln anzuziehen ist jedenfalls eine eigene Wissenschaft. Bei mir hat es Jahre gedauert, um halbwegs geeignete Outfits für die unterschiedlichen Anforderungen des Winters zu entwickeln. Als eher „Erfrorener“ habe ich lieber eine Schicht mehr an als zu wenig, möchte gleichzeitig aber nicht schweißgebadet bei Minusgraden durch die Gegend fahren, das Zwiebelprinzip trägt mir oft zu sehr auf und ich hab ein Faible für gute technische Lösungen und moderne Materialen (oder auch die moderne Interpretation traditioneller Materialien). Hier ist schon ein ganz wesentlicher Punkt erkennbar: Sich fürs Radeln im Winter anzuziehen ist eine sehr individuelle Angelegenheit und daher wohl kaum pauschal und generell zu beantworten. Jede*r hat eigene Bedürfnisse, einen eigenen Fahrstil, individuelle Ziele. Aber genau deshalb soll es hier um „Möglichkeiten“ und „Varianten“ gehen und nicht um diese eine „richtige“ Version…

Bevor es aber an - wenn man so will - "Musteroutfits" geht, möchte ich ein paar meiner Erfahrungen teilen, die sich eher um Kleinigkeiten und das "Rundherum" drehen. Denn oft sind es nicht die großen Dinge (Oberteile oder Hosen), die über Komfort, ausreichend Wärme und Spaß am Radfahren entscheiden, sondern vermeintlich unwesentliche Kleinigkeiten.

1. Baselayer

Ist Wintergewand insgesamt schon eine Wissenschaft, sind es Baselayer als solches noch einmal! Es gibt unterschiedliche Längen, Dicken, Materialien und Einsatzzwecke. Ich persönlich bin kein großer Fan eines allzu exzessiv ausgelebten Zwiebelprinzips, das wird mir dann irgendwie zu viel am Körper. Ich versuche daher, für jede Ausfahrt den am besten geeigneten Baselayer zu verwenden. Zwischen 5 und 10 Grad vertraue ich auf einen Merino-Baselayer, der verbindet in der Regel gutes Klima mit ausreichendem Wärmeschutz. Darunter (also bei Temperaturen rund um den Gefrierpunkt) ist mir der Merino-Baselayer insofern zu riskant, als er sich tendenziell irgendwann mit Schweiß vollsaugt und dann nicht mehr wärmt - in diesem Fall greife ich daher lieber auf Mischfasern (mit Merino) zurück und nicht auf reine Woll-Shirts.

2. Schuhe/Winterschuhe

Anziehen für den Winter-Ride ist eine schweißtreibende Angelegenheit - spätestens dann, wenn man sich in voller Montur kurz vorm Verlassen der Wohnung noch Überschuhe anziehen möchte. Um das zu verhindern und gleichzeitig auch einen idealen Wetterschutz zu haben, fahre ich schon seit mehreren Jahren nur noch mit dezidierten Winterschuhen. Diese sind schnell angezogen, bieten Schutz vor Kälte und Nässe und tragen meistens auch nicht so dick auf wie Schuhe plus Überschuhe. Bei letzterem ist es mir bei einigen Rädern schon passiert, dass ich mit der Innenseite des rechten (Über)Schuhs an der Kurbel streife. Auch bei Winterschuhen gibt es natürlich Qualitätsunterschiede - hier ist darauf zu achten, dass die Schuhe auch eine entsprechende Innensohle haben, die nach unten hin abdichtet oder isoliert. Von Übersocken halte ich hingegen wenig - einerseits verstehe ich den Nutzen nicht ganz, andererseits war das eine Paar, das ich mal in Verwendung hatte nach einer Ausfahrt reif für die Mülltonne.

3. Handschuhe

Die Velits-Brüder von Isadore haben einmal erwähnt, dass ein Handschuh das am schwierigsten zu fertigende Bekleidungsstück beim Radeln ist. Form, Größe, Materialien, Nähte, Touchscreen-Fingerkappen, und und und... Ich persönlich habe auch nach vielen Jahren und Wintern auf dem Rad noch keine definitive Lösung für meine Finger gefunden und kalte Finger bedeuten zwangsläufig irgendwann auch, dass einem am ganzen Körper kalt wird. Ich verwende daher wenns hart auf hart kommt tatsächlich noch meine Radhandschuhe, die ich vor 20(!) Jahren zum Mountainbiken angeschafft habe.

4. Ärmlinge/Beinlinge

Auch Ärmlinge und Beinlinge geben immer wieder Stoff für Diskussionen. Ich bin kein Fan davon und bevorzuge eigentlich immer lange Ärmel und Beine, wenn es die Witterung erfordert. Einzig bei Ausfahrten im Frühling oder Herbst nehme ich ab und zu Ärmlinge mit, um etwas flexibler zu sein. Ansonsten fällt mir zum Thema nur eine Aussage von Tom Boonen ein, der einmal gemeint hat, man erkenne am Start der Frühjahrsklassiker an den Beinlingen, ob ein Fahrer in die Flucht geht oder nicht - hat er sie über die Hose gezogen, wird er sie schnell und bald ausziehen, um in die Flucht zu gehen. Alle, die sie unter dem Hosenbund haben, können es gemütlicher angehen lassen. Weiß nicht ob das so stimmt, klingt aber irgendwie plausibel - am besten wir schauen uns das bei den kommenden Eintagesrennen an.

5. Buffs

Gegen Buffs habe ich mich lange gewehrt, weil ich nicht gerne etwas um den Hals gewickelt habe. Mittlerweile habe ich die Vorzüge erkannt, schätze Buffs sehr und führe zumindest immer einen mit - egal ob in Trikot-, Lenker- oder Rahmentasche. Das kleine Stück Stoff ist dabei sehr vielseitig einsetzbar und man darf nie ein trockenes und wärmendes Stück Stoff am Körper unterschätzen.

6. Hauben

Merino, über die Ohren, nicht zu dick - das sind die wesentlichen Punkte, die es bei Hauben zu beachten gilt. Gerade unter dem Helm sollte nichts drücken oder quetschen, daher am Besten gemeinsam mit dem Helm probieren. Merino habe ich an dieser Stelle lieber als Mischfasern, weil sie sich am Kopf und an den Ohren geschmeidiger anfühlen und die Schweißproblematik am Kopf (bei mir zumindest) nicht so groß ist. Und die Brillenbügel unter dem Haubensaum öffnen den Raum zu den Ohren hin und machen Platz für kalten Fahrtwind - ich trage daher die Brillenbügel immer über der Haube.

7. Helme

Wir bleiben noch kurz am Kopf mit einem vermeintlichen No-Brainer: Wer die Auswahl zwischen unterschiedlichen Helmen hat, kann im Winter auf einen Aero-Helm zurückgreifen. Die haben in der Regel weniger Luftschlitze und Öffnungen und halten daher eher warm als das gut belüftete Sommermodell. Und ein paar Aero-Gains können auch im Winter nicht schaden ;)

8. Socken

Auch hier setze ich persönlich gerne auf Merino - die Wolle hält warm, trocknet gegebenenfalls schnell und fühlt sich gut und komfortabel an. Wichtiger als das Material ist bei den Socken fast mehr die Frage, ob diese über oder unter der Hose getragen werden. Styletechnisch bin ich in der Über-der-Hose-Fraktion zuhause, nur wenn es richtig kalt ist kommen sie unter das Hosenbein, denn dort scheint mir die Isolation und die Wirkung der warmen Socken noch eine Spur besser zu sein.

9. Farben

Farben sind mir ein wichtiges Thema! Zum einen finde ich schwarz langweilig, zum anderen finde ich, dass Farbakzente das Leben schöner machen. Ganz abgesehen davon, dass gerade im Winter und bei schlechterer Sicht die Sichtbarkeit von Farben weitaus höher ist, als das klassische Anthrazit und Schwarz. Ich freue mich auch, dass mehr und mehr Marken nicht nur bunte oder farbenfrohe Trikots anbieten, sondern zunehmend auch Hosen (siehe unten!). (PS: Weiße Hosen gehen nach wie vor nicht - ich hoffe, das wird nie ein Trend..)

10. Nachhaltigkeit und Materialien

Auf den ersten Blick mag das nicht das wichtigste Kaufargument sein, aber der Stellenwert von Nachhaltigkeit und der Wertigkeit und Herkunft von Materialien steigt immer mehr, ebenso wie Fertigungsorte und -bedingungen. Das Bewusstsein der Konsument*innen und Marken steigt hier glücklicherweise von Jahr zu Jahr, auf den Homepages der Hersteller findet man in der Regel ausführliche Informationen zu Zertifikaten, Siegeln, und dergleichen, wobei hier - wie immer - auf eine kritische Lesart zu achten ist. Das eine oder andere "Gütesiegel" kann sich auch schon mal als Mogelpackung erweisen.

11. Streckenwahl und Intensität

Zum Abschluss der kleinen Erfahrungen noch etwas, was erst auf den zweiten Blick mit dem Thema zu tun hat. Denn auch die Streckenwahl, das Tempo, die Intensität und vielleicht auch die Wahl des Rads (Rennrad, Gravel, MTB) wirken sich auf das Wintererlebnis im Sattel aus. Bei Minusgraden wird man sich am Anstieg nass schwitzen und in der anschließenden Abfahrt mit großer Wahrscheinlichkeit erfrieren - da fährt man also lieber mit geringerer Intensität und wählt ein flaches Streckenprofil. Wind Chill und ähnliches machen vielleicht das "langsamere" Gravelbike zur besseren Wahl für den Winterride.

Doch genug der allgemeinen Rederei... Ich habe für euch fünf Serviervorschläge vorbereitet und diese einen Winter lang getestet und probiert. Außerdem hab ich versucht, das Ganze in unterschiedliche Kategorien zu unterteilen, sodass für jeden Einsatzzweck und Geschmack etwas dabei ist.

Outfits:

RH77 - Das Performance-Paket

René Haselbacher und sein Team bringen viel Erfahrung aus dem Profiradsport mit - und vielleicht noch wichtiger: Erfahrungen von unzähligen Trainingsstunden im Sattel bei jedem möglichen Wetter.

Offiziell als Jacke tituliert, hat man bei der "Sub-Zero Winter Membran" eher den Eindruck, ein Langarmtrikot zu tragen. Dementsprechend fühlt sich das ganze recht leicht an und trägt nicht auf. Das Material ist sehr stretchy und passt sich gut dem Körper an. Mit einem langärmligen Baselayer reicht der Wetterschutz für kurze bis mittellange Ausfahrten, wer länger unterwegs sein möchte oder zusätzlichen Wetterschutz benötigt, kann ein dünnes Langarmtrikot zwischen Baselayer und Jacke anziehen. Das Material saugt sich nicht mit Schweiß voll und hält daher auch bei intensiveren Rides warm (bis zu einer Dauer von 2-2,5h). Das Design schreit nach Aufmerksamkeit und man wird von weithin wahrgenommen - auf winterlichen Straßen ein Pluspunkt. Sollten die Bedingungen doch etwas harscher werden, helfen die Wind- und Wasserbeständigkeit und der ausklappbare Spritzschutz am unteren Rücken.

Die Hose kommt in einem schönen Blau und bietet damit eine willkommene Abwechslung vom schwarzen Einheitsbrei. Der Wetterschutz ist auch hier eingebaut, allerdings nicht so ausgeprägt wie beim Trikot. Aber das Thermomaterial an der Innenseite hält für die Dauer von kurzen und mittellangen Ausfahrten angenehm warm. Sitzpolster sind ja an sich ein sehr individuelles Thema und für jede*n unterschiedlich komfortabel. Hinsichtlich Qualität und Komfort der RH77-Polster herrscht allerdings seltene Einigkeit über viele Personen hinweg - diese sind bei dieser Winterhose genauso gut wie bei den RH77-Sommerhosen.

Wer übrigens in und rund um Wien in RH77 unterwegs ist, wird Teil einer eigenen Community und wer weiß, vielleicht kreuzt man hie und da auch die Wege von René Haselbacher selbst...


Isadore - Das Sub-Zero-Paket

Auch bei Isadore werken bekanntlicherweise im Hintergrund Ex-Profis. Die beiden Brüder Martin und Peter Velits waren beide in der World Tour unterwegs und haben gegen Ende ihrer Karrieren damit begonnen, Radbekleidung herzustellen. Isadore setzt in großem Maße auf Merino als Material und legt gleichzeitig großen Wert auf Nachhaltigkeit und Regionalität - davon kann man sich in zahlreichen Artikeln auf deren Homepage überzeugen. Neben der performance-orientierten "Echelon" Kollektion gibt es bei Isadore zwei Eskalationsstufen von Winter, die ich - als "Erfrorener" - gerne in Anspruch nehme. Das "Thermerino"-Jersey gemeinsam mit den Medio Tights bieten Schutz und Wärme knapp über Null Grad, die Merino Membrane Softshell Jacke mit der Ovada Deep Winter Tight auch bis weit unter Null. Die Materialien sind dabei so angelegt, dass sie Wärme, gute Isolation und Witterungsschutz bieten, allerdings eher für weniger intensive Einheiten. Vor allem ein (an sich positiver) hoher Merinoanteil sorgt bei Isadore oft dafür, dass bei höherer Intensität durch Schweiß Nässe und damit in der Folge Kälte entsteht.

Die Merino Membrane Softshell Jacke hat nur einen geringeren Merino-Anteil und außen komplett abweisendes Softshell-Material - damit kommt man auch über längere Zeit durch Winter und tiefste Temperaturen. Auch hier benötigt es darunter im Wesentlichen nur einen guten Baselayer oder ein dünnes Trikot, um den vollen Schutz und Komfort zu haben. Vor Überhitzung oder zur besseren Regulierung sorgen zwei Schlitze auf Brusthöhe, die mittels Reißverschluss zu öffnen sind - damit muss man nicht die komplette Jacke aufzippen, um dem Körper Frischluft zu gönnen.

Die "Osram"-Variante der Jacke ist außerdem noch mit eingelassenen Leuchtstreifen ausgestattet, die über eine interne Verkabelung und eine Stromquelle in der Rückentasche zum Leuchten gebracht werden können. Dies erhöht die Sichtbarkeit und damit Sicherheit im Winter und im Dunkeln massiv - allerdings ist die Verkabelung und das notwendige Mitführen einer kleinen Powerbank im Alltag unpraktisch. Und es ist dabei auch eine der Rückentaschen belegt und damit nicht mehr wirklich frei für das Zeug, das man eigentlich einstecken möchte. Die Jacke ist auch ohne die Leuchtelemente erhältlich, in meinen Augen ist das die bessere Wahl.

Die Ovada Deep Winter Tight ist ein großartiges Stück Winterkleidung für jene, die diese Extraportion Witterungsschutz und Wärme haben möchten. Das Material ist dick und vermittelt schon in den Händen gehalten ein Gefühl von Sicherheit und Komfort. Angezogen fühlt sich die Hose nicht so dick und klobig an wie befürchtet und schmiegt sich gut an den Körper an. Das Thermomaterial und die schützende Aussenschicht sind vorne weit über den Schritt hochgezogen, damit entfällt die gerötete und erfrorene Haut am unteren Bauch, mit der man so oft nach Winterrides nach Hause kommt. Auch der Rücken ist weit hochgezogen, sodass man mit dieser Hose fast auch schon einen zweiten Layer am Oberkörper trägt. Beide Thermohosen sind übrigens eher auf der engeren Seite und sollten tendenziell eine Nummer größer bestellt werden.


Löffler - Das Offroad-Paket

Abseits der Straßen bietet der Winter unzählige Möglichkeiten und wie oben schon erwähnt, sind Gravel- und Mountainbike hier mehr als nur eine gute Alternative. Offroad zählen andere Faktoren als Schnittigkeit und Windschlüpfrigkeit und hier tritt Löffler auf den Plan. Die Firma aus dem oberösterreichischen Ried im Innkreis legt großen Wert auf Nachhaltigkeit und Regionalität und hat seine Wurzeln im Wintersport. Dementsprechend überrascht es nicht, dass einzelne Technologien auch ihren Weg in die Radkollektionen gefunden haben und hervorragend für winterliche Ausflüge geeignet sind.

Die Bike Jacket PL Active ist mit Primaloft gefüllt und bietet eine tolle Isolierung und damit einen warmen Oberkörper egal wie tief das Thermometer absackt. Die Außenhülle ist dabei gleichzeitig wind- und wasserabweisend. Die Passform ist - wie bei Löffler üblich - weniger sportlich als bei den dezidierten Rennrad-Marken, man fühlt sich weniger in einem Langarm-Trikot als mehr in einer Winterjacke. Das mag psychologisch einer flotten Rennradrunde im Weg stehen, für einen winterlichen Offroad-Ausflug ist das allerdings genau das richtige. Gute Abschlüsse an Ärmeln und Kragen sorgen dafür, dass die Jacke an allen Enden dicht ist und warm hält. Am Rücken gibt es nur eine große Tasche, in der man auch die Jacke selbst verstauen kann - ich persönlich habe lieber drei vollständige Taschen am Rücken, die ich mit meinem Kleinkram befüllen kann. Als Ersatz bietet Löffler dafür eine Tasche mit Zip an der Vorderseite, in der man Kamera und/oder Wertsachen verstauen kann.

Wetterschutz steht an erster Stelle bei den Bike Overpants GTX Active, wobei es sich hierbei eigentlich weder um eine eigenständige Radhose noch um eine dezidierte Winterhose handelt. Die Overpants GTX sind als Überhose konzipiert, das heißt man muss darunter schon eine Bib-Short anhaben. Neben dem Rad schaut man eher ungelenk und “patschert” aus - der Bund der Hose ist niedrig, die Knie sind massiv ausgebeult. Sobald man aber im Sattel sitzt, ist alles an seinem Platz und dank GoreTex trotzt man auch dem schlimmsten Regen, Matsch und Schnee. Die Atmungsaktivität leidet da naturgemäß etwas darunter, aber normalerweise ist man in solchen Situationen nicht allzu intensiv unterwegs, damit wird dem drohenden Bad im eigenen Schweiß wiederum etwas der Schrecken genommen. Die Hosen wären grundsätzlich auch als sinnvolles Equipment für einen Bikepacking-Urlaub in Betracht zu ziehen, der Einsatzbereich ist hier nicht ausschließlich im Winter zu suchen.


Sportful - Das Frühjahrsklassiker-Paket

Sportful und Castelli kommen aus dem gleichen Haus und beide haben ein besonderes Pferd im Stall - bei Castelli heißt es Gabba, bei Sportful "Fiandre". Was bei Sportful liebevoll mit Flandern umschrieben ist, markiert im Wesentlichen die Frühjahrsklassiker mit ihrem unsicheren Wetter, dem Schmutz der Feldwege, der Brutalität des Kopfsteinpflasters und der Verwegenheit der Frauen und Männer, die sich über die berühmten Parcours und Hellingen kämpfen. Aufs Material und die Bekleidung umgelegt bietet die Fiandre-Kollektion eine Lösung für die Übergangszeit, den kalten Frühling, die frostigen Morgen, die wechselnden Wetterbedingungen, den vereinzelten Regenschauer, unerbittlichen Wind und alle anderen Rahmenbedingungen, die das Frühjahr auszeichnen. In einem Vergleich von Wintergewand kämpft man hier mit etwas stumpfen Waffen, allerdings ist es ja nicht den ganzen Winter so richtig winterlich (genauso wie es nicht den ganzen Sommer sommerlich ist). Ehrlicherweise werden die sogenannten Übergangszeiten immer länger und gerade für diese vielfältigen und schnell wechselnden Anforderungen sind diese Stücke hier gemacht.

Die Jacke (Fiandre Pro Jacket) besitzt an der Innenseite aufgerauchtes Polartec Neoshell Material - klingt technisch, ist in der Praxis aber warm und kuschelig. Nach außen hin ist die Jacke wind- und wasserfest. Der Sitz ist eher eng (auch bei Sportful sollte man vor dem Kauf genau auf die Größe achten und im Zweifel eher eine Nummer größer gehen), die Bündchen schließen perfekt ab. Der Kragen ist mit einer Extra-"Lamelle" ausgestattet und etwas hochgezogen. In der Praxis ist die Jacke warm und schützt vor dem Wetter, spielt aber ihre Stärken eher bei leichten Plusgraden (5-10 Grad) aus, darunter kann man zu anderen Jacken greifen. Die drei Taschen am Rücken sind groß und gut zugänglich, einzig die Frage, warum die beiden äußeren Taschen mit Netzmaterial ausgeführt sind (und damit Wasser und Schmutz durchlassen!) wird wohl niemals beantwortet werden.

Die Hose ähnelt - sowohl in Farbe als auch Aufbau - jener von RH77. Auch hier ist das Blau eine angenehme Abwechslung, auch hier ist der Temperaturbereich eher in den Plusgraden zwischen 5-10 Grad zu suchen, darunter wird's eher kalt auf den Schenkeln.


Trikoterie - Die Wiener Variante

Etwas außer Konkurrenz aber als tolle Alternative obenrum läuft das "Hide & Seek"-Oberteil von Trikoterie. Von Wiener Künstler*innen designte Trikots stechen hier aus der Masse heraus und bringen auch farblich etwas Abwechslung in den Alltag.

Das Hide & Seek-Jersey kommt in einem coolen Herbst/Winter-Design, die Augen reflektieren übrigens und sorgen somit für eine bessere Sichtbarkeit im Winter Das Trikot fällt klein aus und sollte im Zweifelsfall eine Nummer größer genommen werden.

Tour de Franz 2020

36,7 Grad. Damit ist jedoch nicht die Temperatur gemeint, vielmehr ist es ein regnerischer und frischer Tag hier in Kärnten. Die Temperaturangabe blinkt - begleitet von einem wohlmeinenden Signalton - auf grünem Hintergrund auf dem Display des Fieberthermometers auf, das mir gerade an den Kopf gehalten wurde. Wir schreiben das Jahr 2020, es ist sowieso alles anders als in den Jahren zuvor, insofern wundert man sich auch nicht mehr großartig, wenn die Vitalzeichen kontrolliert werden, um ein Startpaket zu bekommen. Denn während viele Dinge gerade schwieriger sind oder sich nicht unbedingt zum Besseren verändert haben, ist eines umso wichtiger: Zusammenhalt! Und dass dieser durchaus auch freudig ausgelebt werden kann, beweist auch dieses Jahr die Tour de Franz.

Geografisches

Terminlich um ein Monat nach hinten verschoben fällt sie - zufällig? - mit der Tour de France zusammen, für eine kleine Namensverwirrung während des Frühstücks ist damit schon gesorgt. Nicht nach Frankreich geht es, sondern nach Hirt bei Michelbach. Ich bin hier schon einige Male mit dem Auto vorbeigefahren, der nördlich gelegene Neumarkter Sattel ist eine der wichtigen Nord-Süd-Verbindungen bzw. in diesem Fall eine Achse von Judenburg hinunter nach Klagenfurt. Fürs Radfahren hatte ich die Region bis dato nicht wirklich auf dem Schirm, zu abschreckend wirkt der Schwerverkehr, der sich täglich über diese Route wälzt.

Aber hier südlich von Friesach öffnen sich die Gurktaler Alpen langsam hin zum Klagenfurter Becken, damit wird die Landschaft weiter und es gibt - im Gegensatz zum Neumarkter Sattel - eine Vielzahl von kleinen Straßen und Wegen, die einen großen Variantenreichtum für Radtouren in sich bergen. Noch etwas weiter südlich durfte ich das schon bei einigen Touren mit meinem Schwager erleben.

Menschliches

Bei der Tour de Franz bin ich nach 2019 zum zweiten Mal und bereits im Vorjahr habe ich mit Freude festgestellt, welche Absichten hinter dem - auf den ersten Blick vermeintlich lustigen oder gar oberflächlich wirkenden - Projekt stehen. Viele Teilnehmer*innen, einige Prominente und teilweise auch ganz gut gefüllte Brieftaschen mögen für einen Seitenblicke-Beitrag ausreichen, hier wird aber für einen guten Zweck gearbeitet! Unter der Schirmherrschaft von Abfahrts-Olympiasieger Franz Klammer wird zwar auch vorzüglich geradelt und gespeist, aber eben auch fleissig gesammelt und gespendet. Die dabei zusammenkommenden Beträge kommen lokalen Initiativen zugute und helfen auf diese Weise mit, Einzelschicksalen entsprechend unter die Arme zu greifen. Und waren es zu Beginn der Aktion im Jahr “nur” 13.000 Euro, so konnten in den letzten Jahren großartige Beträge von über 30.000 Euro gesammelt werden, wodruch die Hilfe auf mehrere Projekte aufgeteilt werden konnte. Karin und Ronny sorgen dabei für eine großartige Organisation im Vorfeld und eine tolle Abwicklung während der veranstaltung selbst.

Sportliches

Dass nicht nur angestoßen und gegessen wird, steht außer Frage - es wird natürlich in erster Linie Rad gefahren! Startpunkt ist die Brauerei Hirt bei Micheldorf in Kärnten und bereits während des Zusammentreffens der Teilnehmer*innen öffnet der Himmel seine Pforten. Knapp 100 Freiläufe surren synchron die ersten Kilometer hinunter ins sogenannte “Krappfeld” - der historischen Kornkammer Kärntens -, wo der erste Teil der Route über eine Schleife auf Nebenstraßen führen würde. Aber der stärker einsetzende Regen und noch dünklere Wolken am Horizont bewegen die Organisatoren (die an vorderster Front auf dem Rad mit dabei sind), die Route spontan zu ändern und den ersten Teil der Strecke etwas abzukürzen. Und nicht wenige freuen sich, dass es nun bereits nach 19 Kilometern Fahrt die erste Pause und Labe gibt :)

Während sich die Fahrer*innen in Althofen stärken, wird der Regen wieder schwächer und einer Weiterfahrt sollte nichts mehr im Wege stehen. Es geht zurück Richtung Norden und beim Schloss Pöckstein hinein ins Gurktal. Das Schloss kennt man ebenfalls vom Vorbeifahren und der äußere Zustand der Fassaden spiegelt in keinster Weise die Schätze wieder, die im Inneren des Gebäudes schlummern - leider.

Das Peloton rollt auf den gut ausgebauten Radweg neben der Bundesstraße, es geht flotter dahin als im Vorjahr. Da war das Wetter aber auch besser und es war einladender, etwas zu trödeln. Hier und jetzt nieselt es da und dort noch leicht, da fährt man schon etwas zügiger. und Obwohl die Gruppe groß und der Windschatten dementsprechend reichlich vorhanden ist, muss man aufpassen, keine Lücken aufgehen zu lassen. Das Grundtempo ist flott und wieder einmal wird klar, dass hier durchaus Leute unterwegs sind, die ihre Räder auch zu fahren wissen.

Neben dem Radweg “gurgelt” der Fluss, womit auch schon die Namensgebung der “Gurk” aufgeklärt wäre. Straßburg im Gurktal sieht man schon von weitem aufgrund des riesigen Schlosses, das früher als Bischofsresidenz gedient hat, ein paar Kilometer rollt man in Gurk am berühmten Gurker Dom vorbei. Bei Sonnenschein wäre das alles hier wahrscheinlich noch um ein Vielfaches imposanter aber auch so wird einem die Relevanz dieses kleinen Tals bewusst. Gute 20 Kilometer in das Gurktal hineingerollt ist in Weitensfeld wieder Zeit für eine kurze Pause.

Während die Tour de Franz hier wieder kehrt macht und zurück Richtung Hirt rollt, merke ich mir das Gurktal jedenfalls für spätere Projekte und Touren vor. Wer hier noch weiterfährt, kann entweder Richtung Süden nach Feldkirch fahren oder aber über Deutsch-Griffen und Hochrindl in die Nockberge. Einmal geht es noch vorbei am Startpunkt der Tour in Hirt und entlang der Metnitz hinauf nach Friesach mit seinen mittelaterlichen Bauwerken. Ich erinnere mich, vor vielen, vielen Jahren einmal dort einmal bei einem Ritteressen gewesen zu sein.

Kanpp 80 Kilometer und 500 Höhenmeter stehen am Ende am Tacho, weniger als geplant aber dank der spontanen Adaptierung der Route aber trockene und entspannte Kilometer auf denen man diesen Teil Kärntens kennenlernen durfte. Für mich persönlich ist das eine großartige Art und Weise, neue Gegenden zu erkunden. Und die Art und Weise, wie die Tour de Franz organisiert ist, macht dies noch einmal zu einer schöneren Erfahrung: Guide, Begleiter, Polizeieskorte, Begleitmotorräder, Laben, Verpflegung… Vermutlich hat es ein World Tour Profi nicht so gut.

Geselliges

Apropos World Tour Profis: 2019 waren Gregor Mühlberger und Marco Haller mit von der Partie, terminlich ging sich das bei denen dieses Jahr nicht aus, waren bzw. sind sie doch schließlich bei der Tour de France im Einsatz. Auch einige andere “Promis” waren dieses Jahr nicht mit von der Partie - zum Teil vermutlich aufgrund des verschobenen Termins, zum anderen aufgrund von COVID-19. Dennoch findet sich bei der Tour de Franz immer wieder eine nette, gesellige, unterhaltsame und spannende Gruppe Menschen zusammen, die zwar alle durch das Radfahren einen gemeinsamen Nenner finden, aber alle ihre eigenen und individuellen Lebensentwürfe und -geschichten mitbringen. Und genau dieses Radfahren als gemeinsame Leidenschaft und egalisierendes Element ermöglicht es, jederzeit mit jedermann und jederfau ins Gespräch zu kommen und so gut wie jeder hat auch etwas zu sagen oder eine gute Geschichte zu erzählen.

Wohltätiges

Bei Charity-Veranstaltungen zählt am Ende des Tages natürlich auch, welche Zahl auf dem überdimensionalen Scheck steht, den man in die Kamera hält. Und da markieren die erzielten 36.850 Euro wieder einen entsprechenden Höhepunkt, mit dessen Hilfe wiederum einige Projekte umgesetzt werden können und Menschen ganz konkrete Hilfe zukommen wird. Und das ist gut so!

Fotos: Eigene und Tour de Franz/Markus Vollmeier

Bikepacking mit Hindernissen

Zwischen der Abfahrt aus Wien an einem lauen Sommermorgen und zitternden Beinen im strömenden Regen am Bahnhof Steyr ist einiges passiert: 4 Tage, 622 Kilometer, knapp 7.600 Höhenmeter und ein Haufen toller Eindrücke und Erinnerungen. Vieles ist dabei gut gelaufen, manches wiederum nicht so ganz nach meinen Vorstellungen. Wie immer habe ich eine Unmenge an Dingen im Kopf, die ich gerne in diesen Beitrag packen würde, der Übersichtlichkeit halber gibt es aber diesmal mehrere Teile. Hier und jetzt geht es einmal um die Tour, ein weiterer Beitrag wird sich um ein paar Learnings und Gedanken drehen, die mir während des Fahrens durch den Kopf gegangen sind. Aufgrund vieler An- und Nachfragen ist außerdem ein Artikel zu den Ortlieb-Taschen in Arbeit und schließlich - denn auch das war ja einer der Zwecke, der diese Tour gegolten hat - möchte ich auch noch einige Worte über mein Setup für die Race Around Austria Challenge “unsupported” vorstellen. Pfuh, viel zu tun - am besten wir starten gleich!

Die Idee einer Österreich-Tour

Normalerweise findet Anfang Juli die Österreich-Rundfahrt statt. Eines der wenigen internationalen Radrennen Österreichs war glücklicherweise auch für mich immer wieder einmal eine Gelegenheit, Fotos zu machen und Rennluft bei den Profis zu schnuppern. Corona kam, die Österreich-Rundfahrt 2020 wurde abgesagt und neben einigen tollen Initiativen mit Zukunftsperspektive (“Österreich dreht am Rad”) war es auch mir irgendwie ein Bedürfnis, eine Art Runde durch Österreich zu machen.

Die Idee war natürlich schon vorher da und auch in meinem Komoot-Ordner sind zahlreiche Variationen von Touren abgespeichert und warten nur darauf, abgerufen und realisiert zu werden. Die Frage dabei ist immer, wie viel Zeit man hat, wie gut der Trainingszustand ist und wie weit man reisen möchte.

Dass das Fahrrad das großartigste Fortbewegungsmittel ist, muss ich an dieser Stelle ja nicht mehr erwähnen… Genau die richtige Geschwindigkeit - schnell genug, um doch vorwärts zu kommen und Kilometer machen zu können. Gleichzeitig aber auch langsam genug, um Gerüche wahrzunehmen, Wetterwechsel zu spüren, jederzeit kurz stehenbleiben, die Landschaft erleben und erfahren zu können. Dinge, die einem im Auto sowieso aber auch auf dem Motorrad großteils verwehrt bleiben.

Die Planung

Ich wollte radeln, möglichst lang und möglichst stetig. Ich wollte dabei Kilometer machen ohne mich hetzen zu müssen. Ich wollte mich um nichts kümmern müssen, als ums Treten in die Pedale. Ich wollte unterschiedliche Regionen durchqueren, denn so spürt man tatsächlich, dass man “weiterkommt”. Ich wollte am Weg Freunde und Bekannte besuchen.

Eigentlich wollte ich schon Anfang Juli auf meine Tour gehen, dafür war eine tolle Runde durch große Teile Österreichs auf dem Gravelbike vorgesehen. Aufgrund der (miserablen) Wettervorhersage habe ich mein Vorhaben zum damaligen Zeitpunkt verschoben (und im Nachhein war das gut so, da die Woche nur aus Gewittern und Unwettern bestanden hat). Als neuer Termin war Mitte Juli ins Auge gefassst, aufgrund des nahenden Race Around Austria habe ich außerdem auf das Rennrad umdisponiert. Zeit im Sattel ist einer der wesentlichen Faktoren, die ich für meine Vorbereitung für das RAA festgelegt hatte, warum also nicht bei einer Bikepacking-Runde Kilometer sammeln.

Die Planung der Runde hat nicht allzu lange gedauert. Vier Tage waren schnell als Zeitraum fixiert - was innerhalb dieser Zeit möglich ist, habe ich anfangs noch sehr optimistisch ausgelegt (200km+), dann etwas realistischer und schließlich an meine tatsächliche Leistungsfähigkeit angepasst. Als Tagesziele habe ich Orte gewählt, wo Freunde von mir wohnen. Wenn man alleine (oder in einer kleinen Gruppe) unterwegs ist, wird man schnell zum Einsiedler. Das ist positiv im Sinne der Konzentration auf einen selbst, ich finde aber, dass man auch sozial einen Bezug zu seiner Umgebung herstellen muss. Freunde zu besuchen ist daher ein angenehmer “Mitnahmeeffekt”. Dass man dadurch auch in den Genuss eines potentiellen Schlafplatzes, einer warmen Dusche und einer Mahlzeit kommt, ist natürlich ebenso positiv!

Mit Komoot reicht es tatsächlich, einige wenige Punkte auf der Karte anzuklicken. Die Verbindungsstücke, die Komoot automatisch erstellt, sind eine gute Auswahl. Ich kann an dieser Stelle vorwegnehmen, dass mich der Algorithmus lediglich über einige wenige nicht asphaltierte Abschnitte geschickt hatte (was in meinen Augen kein wirkliches Problem ist und sie waren vorab entsprechend gekennzeichnet). Und umgekehrt hat Komoot mich über touristische, sehenswerte, verkehrsarme und schöne Wege geleitet, die ich ohne das Programm wohl nicht gefunden hätte. Ein ganz wesentlicher Punkt in meinen Augen ist jedoch, dass man sich zu einem gewissen Grad dann doch entscheiden muss, ob man “schön” oder “schnell” fahren will. Nimmt man die schönen Ecken mit, die malerischen Wege und die tollen Aussichten, so bedeutet das fast immer, dass die Geschwindigkeit sinkt, man extra Meter abspult oder später an sein eigentliches Ziel kommt. Das soll kein Plädoyer für die schnelle Bundesstraße sein, es ist lediglich zu bedenken, wenn man an der Routenplanung sitzt und vorgegebene Zielorte erreichen möchte.

Das Equipment

Im Sinne einer Vorbereitung auf mein Race Around Austria habe ich viele jener Dinge eingepackt, die ich auch beim RAA nutzen möchte.

Rad

Meine BMC Roadmachine wird mich auch rund um Oberösterreich begleiten. Mit der eher komfortablen Auslegung des Rahmens und der damit verbundenen Gutmütigkeit ist ein derartiges Rad eigentlich eine optimale Wahl für solche Vorhaben. Am üblichen Setup habe ich eigentlich nichts verändert, ein Service bei PBike hat den Antriebsstrang noch einmal auf Vordermann gebracht. 25 Millimeter breite Reifen sind bei mir grundsätzlich immer die richtige Wahl, da ist der Mittelweg aus Komfort und Rollwiderstand am besten. Für längere Ausfahrten und Touren ist natürlich umso wichtiger, dass man gut auf dem Rad sitzt bzw. entsprechend darauf gefittet ist. Nach vielen Kilometern oder mehrtägigen Belastungen spürt man Schwachstellen umso mehr oder aber es entstehen welche, die man vorher noch nicht gekannt hat.

Taschen

Die Bikepacking-Serie von Ortlieb besteht grundsätzlich aus Sattel-, Rahmen- und Oberrohrtasche, außerdem noch einer Lenkerrolle, die wiederum noch mit einer Zusatztasche versehen werden kann. Mit der Rahmentasche habe ich schon bei meinen Festive 500 sehr gute Erfahrungen gemacht - vor allem hinsichtlich Qualität, Bedienung und Wasserfestigkeit -, daher waren die anderen Taschen dieser Serie für mich von Beginn an gesetzt. Zu den Taschen werde ich noch einen eigenen Artikel posten, vorab sei jedoch schon einmal festgehalten, dass die Ortlieb-Taschen auf ganzer Linie überzeugt haben.

Gewand

Bekleidung ist ein komplexes Thema und außerdem eine sehr individuelle Angelegenheit. Ich habe mich für den Trip für zwei RH77-Sets entschieden. Die Bibs haben in meinen Augen einen der besten Polster - nicht unwesentlich, wenn man vier Tage im Sattel sitzen möchte. Bei den Trikots hab ich außerdem das “AUT”-Trikot ausgewählt - passend für eine Fahrt durch Österreich. Als Backup außerdem eingepackt waren Ärmlinge, Handschuhe, Gilet und Regenjacke.

Für die Zeit abseits des Rads waren noch eine kurze Hose, zwei Funktionsshirts, ein Thermo-Gilet und eine kurze Schlafhose an Bord. Kein klassisches Kleidungsstück ist die Maske (bzw. der “Mund-Nasen-Schutz”) aber auch von denen hatte ich zwei mit dabei.

Elektronik

Für die Navigation habe ich auf einen Garmin 1030 Plus zurückgegriffen, den ich gerade zum Testen habe. Auch wenn ich traditionell mit manchen Funktionen von Garmin (oder im Fall des 1030 Plus mit dem schieren Überangebot an Funktionen!) so meine Schwierigkeiten habe, die Akkulaufzeit von 24 Stunden war ein Superargument für dieses Unterfangen. Und welchen besseren Test gibt es für so ein Gerät als eine mehrtägige Bikepacking-Tour?

Mit der Absicht, am Rande des Trips auch mein Lichtsetup für das Race Around Austria zu testen, hatte ich auch eine Lupine Neo am Lenker montiert, gepaart mit dem großen Lupine-Akku und einem kleinen Rücklicht an der Sattelstütze. Dass ich nicht dazugekommen bin, das Licht zu verwenden, bedeutet, dass ich das alles umsonst mitgeschleppt habe - und der Akku ist nicht gerade leicht :)

Verpflegung

Essen und Trinken ist für mich ein schwieriges Thema! Während ich so gut wie alles essen kann und auch gut vertrage, brauche ich recht große Abwechslung. Mir war nach dem ersten Riegel und dem ersten Gel schon klar, dass ich mich nicht ausschließlich davon ernähren werde können. Der Gedanke an klebrige, süße Riegel und die Konsistenz von Gels lässt mich erschaudern - auch wenn die Produkte als solches gut sind und zweifellos auch ihre Funktion hervorragend erfüllen. Die Menge an Riegel und Gels, die ich von Beginn an mithatte, hätte also bedeutend kleiner sein können - auch hier also mehr oder weniger unnötiger Ballast. Viel reizvoller waren da die diversen Stopps an Tankstellen oder Kaffeehäusern unterwegs, bei denen man (nicht nahrhaftere) aber auch für die Seele hilfreichere Verpflegung findet.

Sonstiges

Apropos Ballast: Ich wollte versuchen, mit Isomatte und Schlafsack draußen zu übernachten. Es war von Anfang an fraglich, ob ich das tatsächlich mache, ob ich mich überwinden kann und eine geeignete Stelle finde, um mich niederzulassen. Der Regen, Gewitter und überraschend niedrige Temperaturen haben dieses Unterfangen aber von Anfang an unterbunden - daran, draußen zu übernachten, konnte und wollte ich an keinem der Abende denken. Die Lenkertasche, gefüllt nur mit Isomatte und Schlafsack, war daher ein treuer aber völlig nutzloser und Luftwiderstand produzierender Begleiter auf dieser Tour.

Etwas Werkzeug (Multitool), zwei Schläuche und Patronen, eine Minipumpe, Ladekabel, Zahnbürste und ein kleines Schloss (um das Rad kurz absperren zu können) waren ebenso mit von der Partie.

Etappe 1

Patrizia gibt mir Begleitschutz bis an den Wiener Stadtrand, bis dorthin wo das Radwegnetz endet und man sich zwielichtige Ausfallstraßen mit morgengrantigen Lieferwagenfahrern teilen muss. Es dauert rund 15 Kilometer bis Stadt und Speckgürtel hinter einem liegen, dafür beginnt dort gleich die schöne Landschaft und umgeben von Feldern und Wäldern kann man eben Richtung Süden rollen. Nach 60 Kilometern ist Wiener Neustadt durchquert, ab jetzt geht es in die Bucklige Welt - diese steht synonym für tolle kleine Straßen, steile Anstiege, massig Höhenmeter und großartige Ausblicke! Autos (oder andere Radfahrer oder Menschen) sieht man hier keine mehr, man ist mit sich alleine und den immer wieder aufeinanderfolgenden Anstiegen und Abfahrten, Anstiegen und Abfahrten.

Wenn ich schon in der Gegend bin, möchte ich beim “Eis-Greissler” vorbeifahren. Einst wussten die dort nicht, was sie mit der Schulmilch während des Sommers tun sollten, heute ist es das beste Speiseeis, das in und rund um Wien erhältlich ist. Ich bin mit der romantischen Vorstellung dorthin gefahren, dass dort eine kleine Hütte steht, in der vielleicht auch noch jemand gerade mit der Hand mein gutes Eis herstellt… Tatsächlich handelt es sich hier bei Krumbach eher um einen groß angelegten Erlebnispark, der inmitten der Stille der Buckligen Welt fast etwas deplatziert wirkt. Meine geplante gemütliche Pause wird kurzfristig in einen kurzen Verpflegungsstopp umgewandelt, dann geht es weiter. Die Bucklige Welt ist hier mehr oder weniger zu Ende und damit auch ein erster Abschnitt meiner Reise - im Sinne des ersten Landschafts- und Regionswechsels.

Der Anstieg nach Mönichkirchen am Wechsel markiert den Eingang in die Voralpen. Bevor es die Autobahn gab, war diese Bundesstraße wohl eine Hauptverkehrsader, heute sind davon nur noch sehr breite Straßenquerschnitte und das eine oder andere Rasthaus übrig, das ob seiner Dimensionen eher fehl am Platz wirkt. Ein anderer Wechsel vollzieht sich jedoch gleichzeitig: War es bislang heiß und sonnig, zieht es hier zu, erste Regentropfen klatschen auf meinen Helm und meine Brille und der Wind frischt auf - Willkommen in der Oststeiermark.

Die Landschaft bleibt weiterhin herrlich und pittoresk, sie zu genießen fällt allerdings zunehmend schwer. Rund um Rohrbach an der Lafnitz wird der Regen stärker, ich verbringe eine halbe Stunde in einer geräumigen Busstation aus Holz und warte auf Besserung. In genau so einer Busstation - es ist ein Häuschen aus Holz - hätte ich mir vorstellen können, mit Isomatte und Schlafsack zu übernachten, so wie man es von Geschichten vom Transcontinental Race kennt.

Der Regen wäre nicht das Problem, dafür bin ich mit meiner Regenjacke gut ausgerüstet und Radgewand trocknet schnell. Was mir jedoch Sorgen bereitet ist der Donner, der regelmäßig über die Hügel hallt. Das Wetter fühlt sich hier sichtlich wohl und macht keine Anstalten weiterzuziehen. Ich nütze die erste Regenpause, um bis Vorau weiterzufahren, nur um dort im nächsten - noch heftigeren - Gewitter zu landen. Ich finde mich in der Garage eines Bauernhofs wieder, neben mir klappern die Geschirre der Kühe im Stall. Diesmal dauert es fast eine Stunde, bis auch nur ansatzweise an eine Weiterfahrt zu denken ist. Mein geplantes Tagesziel werde ich heute nicht mehr erreichen, gleichzeitig muss ich erkennen, dass auch meine vermeintlich konservative Tageskilometerplanung etwas zu optimistisch war.

Als es langsam zu dämmern beginnt, zücke ich mein Telefon und suche mir über booking.com eine Unterkunft in der Nähe. In sechs Kilometern Entfernung wartet nun ein Zimmer auf mich, die Fahrt dorthin durch strömenden Regen und mit nach wie vor einigen Höhenmetern ist eher spaßbefreit. Im Hotel angekommen heißt es, sofort aus den nassen Sachen zu schlüpfen, warm zu duschen und die Wunden zu lecken. Ärger wäre aber falsch am Platz, es gibt hier weder etwas zu gewinnen noch zu beweisen - die Gesundheit geht vor und umplanen ist kein Problem.

Etappe 2

Ich bin dort hängengeblieben, wo ich vor zwei Jahren mit der Österreich-Rundfahrt unterwegs war - im oststeirischen Joglland. Wunderschön bei Sonnenschein, rustikal und eher urig, Hügel und Berge soweit das Auge reicht. Der Ausblick ist aber auch am Morgen des zweiten Tages getrübt, bis nach meinem Frühstück regnet es weiter.

Die erste Regenpause wird sofort für die Weiterfahrt genützt und während ich die wolkenverhangenen Hänge des Tals bewundere, muss ich klar anerkennen, dass ich den Rest der geplanten ersten Etappe vermutlich niemals geschafft hätte. Es geht gleich zu Beginn über einen Sattel auf 1.150 Metern, der - wie die meisten hier in der Gegend - weder sonderlich bekannt noch außergewöhnlich spektakulär ist - aber in Summe jegliche Energie erfordert, die die Beine hergeben. Ich bin froh, dass ich diesen Anstieg halbwegs frisch in der Früh fahre und nicht durchnässt und müde am Abend des ersten Tags. Eine lange Abfahrt bringt mich schließlich hinunter zur Mur bei Pernegg, von dort ist es auf der alten Bundesstraße (dank Schnellstraße daneben ohne Verkehr!) nur ein Katzensprung bis Bruck an der Mur und damit der nächsten Zäsur auf meiner Tour.

Ab hier kenne ich den Weg von früheren Touren, es liegt ein halbwegs entspannter Tag vor mir, was die sportlichen Herausforderungen angeht. Die ursprünglich geplante Routenführung habe ich in der Früh schon adaptiert, damit ich die verlorenen Kilometer des ersten Tages wieder einholen kann. Über Leoben und vorbei am Voest-Stahlwerk in Donawitz geht es über Trofaiach ins Liesingtal. Autos und Transit sind hier auf der Autobahn unterwegs, als Radfahrer genießt man daher die alte (wenig befahrene) Bundesstraße oder die zahlreichen parallel verlaufenden Güterwege. Für die Ortschaften im Tal bedeutet die Schnellstraße aber auch, dass nicht mehr allzu viel los ist in den Zentren und Kaffeehäusern und ganz generell. So pedaliert man recht einsam durchs Tal, wechselt immer wieder Seiten mit der Eisenbahn, der Schnellstraße und dem Fluß. Einen kurzen Regenschauer nutze ich für eine Pause inklusive Pizza!

Wald am Schoberpass (der kein richtiger Pass ist), Gaishorn, Trieben und Rottenmann lässt man schnell zurück, nach Selzthal befindet man sich schließlich im größeren und etwas belebteren Ennstal. Dort wird man recht früh vom mächtigen Grimming begrüßt, einem Berg, der ob seiner Form und Größe deutlich heraussticht und wie ein Wächter über das Tal schaut. Am Horizont - also dort wo mich meine Route hinführt - kann man vor lauter Regen die Berge nicht mehr erkennen, bis zu meinen Freunden in Schladming möchte ich heute trotzdem noch fahren. Auch das letzte Mal, als ich mit dem Rad zu Besuch war, waren die letzten Kilometer eine Regenschlacht. Mit Regen aber immerhin ohne Gewitter schlängelt man sich durch das Ennstal - eine zugegebenermaßen nicht ganz einfache Aufgabe, ist doch der Radweg nicht durchgehend asphaltiert, die Bundesstraße stark befahren und teilweise mit Fahrverbot für Radfahrer beschildert und die zahlreichen Nebenwege bergen das Risiko, in kurzer Zeit viele zusätzliche Höhenmeter zu fahren.

Nach 200 Kilometern und gut acht Stunden im Sattel rolle ich auf den Hof meiner Freunde und bin auch an diesem Tag froh, gleich in eine heiße Dusche steigen zu können. Aber ich bin wieder im Plan und guter Dinge für das was noch kommt. Die Beine fühlen sich schwer aber erstaunlich gut an. Ich finde es faszinierend, wie schnell sich der Körper auf derartige Anforderungen und Belastungen einstellen kann. Mein Schnitt ist nicht berauschend bzw. fühlt sich das Ganze noch weit langsamer an, als es dann schwarz auf weiß auf Strava steht, aber es geht voran. Unterschätzt habe ich jedenfalls den Effekt, den das zusätzliche Gewicht der Taschen und des Gepäcks auf das Fahren haben. Auch wenn es “nur” 5-6 Kilogramm mehr sind - das Rad hatte bei der Abfahrt ohne Flaschen 13,7 Kilo -, die Anstiege sind ungemein schwerer zu fahren.

Etappe 3

Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, dass ich beim Augenöffnen das leise Plätschern von Regen höre - der erste Blick durch die aufgesetzte Brille ist da gar nicht mehr notwendig, um auch eine optische Bestätigung dafür zu bekommen. Der majestätische Dachstein, der eigentlich vor meinem Fenster zu sehen sein sollte, ist in Wolken gehüllt, die Straßen sind nass und Nachschub von oben kommt laufend. Die ersten Kilometer sind ein Albtraum - auf der Bundesstraße B320 bei starkem Regen und Morgenverkehr fällt es schwer, die Contenance zu behalten. Die Alternativen wären jedoch nur der nicht asphaltierte Radweg oder viele zusätzliche Höhenmeter über Filzmoos im Norden oder Forstau im Süden. Also Augen zu und durch…

Der Verkehr verlässt bei Eben im Pongau die Bundesstraße und verlagert sich dort auf die Tauernautobahn - dieser Moment des Glücks wird von einem Ende des Regens begleitet und als Draufgabe auch noch einem Regenbogen! Hinunter nach Bischofshofen rollt es großartig auf mittlerweile nur noch feuchter Straße, vorbei an der Festung Hohenwerfen und durch den immer etwas schaurig anmutenden Einschnitt beim Pass Lueg - hier stapeln sich Autobahn, Eisenbahn und Bundesstraße über dem Fluss und zwischen den rauen Berghängen und man fühlt sich sehr klein zwischen den schroffen Felswänden die an diesem Tag noch dazu tief wolkenverhangen sind. Gleich dahinter in Golling öffnet sich das Tal Richtung Salzburg, doch mein Plan führt mich weiter in die Berge. Nach einem kurzen Stopp bei einer weiteren Tankstelle geht es ins Lammertsal Richtung Abtenau.

Es soll dies so etwas wie die Königsetappe meiner Tour sein - nicht unbedingt kilometermäßig sondern eher aufgrund der landschaftlichen Abwechslung, der Durchquerung mehrerer Bundesländer und natürlich der Postalm. Hier war ich nun schon einige Male um Fotos zu machen - wunderbar schmiegen sich da die Serpentinen in die Landschaft. Doch mit dem Rad bin ich hier noch nicht drüber gefahren, Zeit also das nachzuholen! Es ist zwar die “falsche” Seite des Anstiegs aber die gut 750 Höhenmeter auf 11,5 Kilometern Länge stellen trotzdem eine gute Prüfung dar. Und die Ausblicke auf Lammertal und das Tennengebirge sind großartig, umso mehr als immer wieder Nebel und Wolken durchziehen und so der Landschaft noch einen mystischen Zusatzanstrich verpassen. Oben auf der Postalm werde ich unmittelbar hinter dem höchsten Punkt von Regen begrüßt - bei 12 Grad ist die Freude zu verweilen eher eingeschränkt, daher geht es direkt in die Abfahrt hinunter zum Wolfgangsee.

Dort geht es über großartige Güterwege Richtung Bad Ischl, immer wieder unterbrochen von kurzen Regenschauern. Zum Salzkammergut gehört der Regen ja aber irgendwie dazu, Tradition ist Tradition. Durch die Kaiserstadt Ischl, entlang der Traun und dann links ins Weissenbachtal führt meine Route, hinüber zum Attersee, der auch dieses Jahr (hoffentlich) wieder Bühne für den großartigen King of the Lake werden wird. Die letzten 30 Kilometer dieses Tages sollen mich nach Sankt Georgen führen, dem Start- und Zielort des Race Around Austria und für diesen letzten Abschnitt unterstützt mich Michi Nussbaumer, Organisator des RAA. Aber auch er kann nicht verhindern, dass wir wenige Kilometer vor dem Ziel noch von einem letzten heftigen Regenschauer eingeholt werden. Zumindest haben wir etwas zu Besprechen und Plaudern, während wir gemeinsam in der Busstation auf das Ende des Schauers warten. Im August werde ich auf diesen Metern hoffentlich das Race Around Austria hinter mir haben und die letzten Züge meines Rennens genießen können.

Etappe 4

Ich bin glücklich, auch an diesem Tag in einem weichen und warmen Bett aufzuwachen. Die Idee, draußen zu schlafen war ohnehin schon in weite Ferne gerückt - das hebe ich mir wohl für ein andermal auf. Und um gleich reinen Tisch zu machen, miste ich meine Taschen aus, räume alles aus, was ich für den letzten Tag nicht mehr brauche und deponiere meine abmontierten Taschen in Sankt Georgen. Übrig bleiben nur die Rahmen- und die Oberrohrtasche, also jene Teile, die ich voraussichtlich auch für mein Race Around Austria einsetzen werde.

Vorbei am Attersee geht es Richtung Regau und Laakirchen - eigentlich wäre für heute vorgesehen gewesen, bis nach Wien zu fahren, doch angesichts des Wetters wirken die vorgenommenen 260 Kilometer eher illusorisch. In meinem Kopf existiert bereits der Plan B, bis zum Sonntagberg zu fahren - einer weiteren Ikone der Österreich-Rundfahrt - und dort bei Amstetten in den Zug Richtung Wien zu steigen. Diese Aussicht entspannt mich und nimmt mir etwas Druck aus der Tagesplanung, sodass ich gerne auf einen spontanen Kaffee bei BORA-Fahrer Lukas Pöstlberger vorbeischauen kann, ohne dass mich das in meinem Plan zu weit zurückwirft. Es ist spannend, Einblick in die aktuelle Situation eines Profis zu bekommen, für den Corona und die damit verbundenen Konsequenzen einen ebenso harten Einschnitt darstellen. Es wird jedenfalls spannend, wenn in Kürze wieder die ersten Rennen gefahren werden.

Zurück im Sattel wird die Situation allerdings immer düsterer. Der Regen hat sich im oberösterreichischen Voralpengebiet festgesetzt und wird laut Wettervorhersage dort auch für den Rest des Tages bleiben. Ich fahre vorerst noch weiter, der Regen stört mich noch nicht so sehr. Die Temperaturen liegen bei rund 14 Grad und sind damit genau in einem Bereich, in dem ich in meiner Regenjacke wohltemperiert bin. Oft ist es ja so, dass man in einer guten Regenjacke zwar von außen trocken bleibt, aber von innen fast einen Hitzschlag bekommt.

Vorchdorf, Pettenbach, Wartberg an der Krems, Bad Hall und Sierning sind im Wesentlichen nur noch Ortstafeln, die in meinem Augenwinkel vorbeiziehen. Meine Kamera und mein Telefon habe ich mittlerweile in der wasserdichten Rahmentasche verstaut, um größeren Schaden zu vermeiden. In Gedanken schwanke ich minütlich zwischen “Bad Ass”-Weiterfahren und “Holt mich hier sofort raus”. Als kurz vor Steyr der Regen noch einmal zulegt, ist für mich der Entschluss gefallen - nämlich der, es hier und jetzt (nach gut 90 Kilometern Fahrt) gut sein zu lassen. Ich muss niemandem etwas beweisen und die vergangenen Tage hatten so viele schöne Momente parat, dass ich nicht auf Biegen und Brechen weiterfahren muss und dabei vielleicht auch noch eine Verkühlung mit nach Hause bringe.

Durchnässt und zitternd steige ich in Steyr in den Zug und in Sankt Valentin in die Westbahn Richtung Wien. Natürlich wäre es schöner gewesen, mit eigener Kraft die Runde zu beenden und mit dem Rad dorthin zurückzukehren, wo man vor einigen Tagen losgefahren ist aber nach Stunden des Regens bin ich auch froh, wieder nach Hause zu kommen.

Die Nachsorge

Es war anstrengend, zwischendurch auch mal etwas brenzlig, sehr nass, ich hatte Muskelschmerzen, teilweise hat der Allerwerteste protestiert und ich habe unnötig Equipment durch die Gegend geführt. Auf der anderen Seite möchte ich keine Minute missen - na gut, außer vielleicht die letzten Kilometer kurz vor Steyr im Schüttregen. Aber ich konnte am Weg so viele Eindrücke sammeln, ich war (im positiven Sinn) auf mich alleine gestellt, durfte Freunde besuchen und treffen und musste mich um nichts anderes kümmern, als in die Pedale zu treten. Ich hab vieles gelernt über Routenplanung, Equipment und Packlisten, über meinen Körper, meine Leistungsfähigkeit und meine Grenzen.

Und wie es nach Rennen, Events oder Projekten fast immer ist, liegt man am ersten Tag danach mit Muskelkater auf der Couch und fragt sich, warum man so einen Blödsinn macht. Nur um am nächsten Tag schon wieder den Routenplaner zu öffnen oder sich für das nächste Event anzumelden. Und so wird es auch mit mir und dem Bikepacking sein - ich spüre, dass dies erst der Anfang einer längeren Beziehung war…!

King of the Lake 2019

Wie soll ich diesen Blogpost über den King of the Lake 2019 beginnen, wo ich doch schon im vergangenen Jahr alle verfügbaren Superlative gebraucht habe… Daher hier die Kurzfassung für alle, die sich nicht durch die Details meines Blogposts wühlen möchten:

Der King of the Lake ist eine der tollsten Veranstaltungen, die ich mir nur vorstellen kann - (gesperrte) Strecke, Organisation, Menschen, Landschaft und alles Drumherum sind perfekt. Wer noch nicht dabei war oder nicht verstehen kann, warum jeder so von der Veranstaltung schwärmt, der oder die stelle sich unbedingt einmal an die Startlinie! Punkt.

Du möchtest doch noch mehr lesen? Na gut, starten wir von vorne :)

Es ist mein dritter King of the Lake, wobei King werde ich auch dieses Jahr nicht werden. Ich habe große Konkurrenz: neben meiner Wenigkeit stehen auch noch mein Trainingsrückstand, mein launischer unterer Rücken und mein Schlafmangel am Start - es wird ein hartes Match. Um kein Risiko einzugehen, habe ich materiell noch einmal aufgerüstet. Nach meiner grandios gescheiterten Premiere am Zeitfahrer im Jahr 2017 und einer - wie ich meine ganz soliden - Fahrt mit dem Rennrad 2018, steht 2019 wieder ein Zeitfahrer in meinem Hotelzimmer im Litzlberger Keller. Die neue BMC Time Machine Disc schreit “schnell” und “schnittig” und es wird wohl ein langer Weg werden, bis der Pilot ebenjener Maschine auch nur ansatzweise die selbe Dynamik versprühen wird - aber egal. Bekanntermaßen macht es (zumindest mir) mehr Spaß auf schönem Material und wo wenn nicht hier am wunderschönen Attersee beim größten Einzelzeitfahren Europas.

Am Attersee

An den Attersee finde ich schon blind, verbringe ich doch mittlerweile schon mehrere Tage oder fast Wochen meines Radjahres hier in der Gegend. Mondsee-Radmarathon, die Staatsmeisterschaften 2019, das Race Around Austria, der Mohrenwirt in Fuschl - es ist hier eine besondere Ecke entstanden mit engagierten Menschen, die auf eine unaufgeregte aber zielstrebige Art und Weise den Rad(breiten)sport in Österreich vorantreiben. So wie auch ganz Oberösterreich mittlerweile eine tolle Vorreiterrolle eingenommen hat - nicht zuletzt die vielen oberösterreichischen Profis oder jene Fahrerinnen und Fahrer, die sich anschicken, solche zu werden, zeugen davon, dass es sich um einen guten Boden handelt.

Über den King of the Lake selbst wurde schon viel gesagt und geschrieben. Es ist die größte Veranstaltung ihrer Art in Europa - das Konzept geht nächstes Jahr in seine zehnte Ausgabe, was man am Weg dorthin geschafft und erlebt hat, können Worte wohl schwer beschreiben. Knapp 1.300 Starterinnen und Starter haben sich im Frühjahr 2019 um die Startplätze bemüht, innerhalb von wenigen Stunden waren diese dann auch schon wieder vergeben. Die gesperrte Bundesstraße rund um den See ist so etwas wie das Aushängeschild der Veranstaltung und OK-Chef Erwin Mayer muss jedes Jahr einen großen Teil seiner Energie darauf verwenden, dass dies auch so bleibt. Und das ist ihm unendlich hoch anzurechnen, sind doch die Interessen der Bevölkerung mannigfaltig und ein Radrennen ist halt trotzdem in der Wahrnehmung vieler immer noch “nur ein Radrennen” und unter diesen Rahmenbedingungen an einem Samstag für gut sechs Stunden die einzige Straße rund um den See komplett zu sperren, ist eine entsprechende Leistung. Polizei und Feuerwehr helfen tatkräftig mit, die Gemeinden tragen das Event ebenso und haben über die Jahre auch dessen Nutzen erkannt.

Warm-Up

Der Freitag ist traditionell der Anreise und einem geselligen “Warm Up” am Abend gewidmet. 2019 bietet sich dafür eine neue Möglichkeit - auch im weiteren Sinne des Radsports -, hat doch die Mutter von Bora-Profi Lukas Pöstlberger ein altes Wirtshaus in Schörfling übernommen. So mischt sich lokale Wirtshauskultur mit deftigem Essen, dass sich ein World Tour-Profi am Tag vor dem Rennen wohl nicht in derartigen Mengen gönnen würde. Aber wenn man schon mal hier ist… Neben dem Organisationskomitee, Vertretern der Gemeinden und einigen Journalisten sitzen auch Marcus Baranski - der letztes Jahr noch mit seinem “Doper stinken. Alle. Immer”-T-Shirt einen großen Auftritt auf dem Podest neben Georg Preidler hatte - und Nora alias “Unicorn Cycling” am Tisch, die sich auf dem Rennrad auf die Umrundung des Sees begeben wird.

System-Check

Nach einem derartig “carbo-geloaded” mediokren Schlaf steht Samstag Vormittag die obligatorische Testfahrt auf dem Programm. Systemcheck des Rads, kurzes In-Erinnerung-Rufen der mühsamen Stellen des Kurses auf der Westseite des Attersees. Während es ja auf der “Hinfahrt” auf der Ostseite (im Uhrzeigersinn) recht flach und entsprechend flott dahingeht, stellen sich ab der Südspitze nach und nach mehr oder weniger fiese kurze Rampen in den Weg. Schließlich wollen zwischen Start und Ziel rund 250 Höhenmeter gesammelt werden. Die entsprechenden Stellen vorab zu kennen, hilft ungemein beim Einteilen der Kräfte.

Ein weiterer Punkt, der den KOTL nämlich so besonders macht - zumindest bei jenen, die sich leistungstechnisch auch annähernd in diesen Sphären bewegen können - ist die Tatsache, dass eine Fahrzeit von etwas mehr als einer Stunde bedeutet, hier an seiner individuellen Leistungsschwelle unterwegs zu sein, den berühmten FTP-Wert also unter Realbedingungen einer Bewährungsprobe auszusetzen. Dementsprechend groß ist die Häufung von Leistungsmessern, um den Output messen und entsprechend steuern zu können.

Nicht allerdings an meinem Rad, dafür war die Zeit vor dem KOTL leider etwas zu kurz und die Lieferzeiten meines Wunsch-Powermeters etwas zu hoch. Alles in allem bin ich wiederum nur solala vorbereitet. Auf dem Zeitfahrer bin ich rund fünf Mal gesessen, nachdem dieser aber bei Pbike auf mich gefittet wurde, passt zumindest die Sitzposition. Als Ziel für die Umrundung nehme ich mir grob 1:15h vor, im Glauben, dass ich meine Rennrad-Zeit von 1:20 recht locker unterbieten sollte, wenn ich es schaffe, am TT in Aero-Position durchzufahren. Die großspurige Formulierung traue ich mir hier nur zu, weil ich dieses Ziel später nicht erreichen werde, aber dazu gleich mehr.

Die vormittägliche Testfahrt endet mit Gregor Mühlberger, der auf dem Rückweg zum Hotel plötzlich neben mir fährt. Und so geht es mir immer am Attersee: Irgendwie kennt man jeden, diesen hat man schon mal gesehen, mit dem anderen ist man in Wien schon mal eine Runde gefahren, du bist die von Strava - Das King of the Lake-Wochenende ist ein Familienfest mit der ganzen Radsportsippe - umso besser, dass das Festzelt im Zielbereich ausreichend dimensioniert ist.

Auch schon traditionell vertreibe ich mir meine Zeit bis zu meinem Start (dieses Jahr um 16:13) mit dem Ansehen der Starts der Rad-Bundesliga, den Vierer-Teams und den ersten Solo-Startern. Am Rückweg zu meinem Hotel kann ich noch ein paar Fotos schießen - auch hier der eine oder andere Aha-Moment, wenn man in den Vierer-Teams bekannte Gesichter entdeckt. Umziehen, Fertigmachen, zum Start rollen. Die verbliebenen Minuten widme ich einem Besuch beim “Fahrerlager” des VICC-Vienna International Cycling Club, der mit knapp 30 Mitgliedern am Start steht.

Und los!

5, 4, 3, 2, 1 - und es geht runter von der Startrampe. Gleich nach dem Start geht es kurz bergauf, aber lieber mal etwas langsamer machen - die erste Hälfte sollte man grundsätzlich eher ruhiger angehen lassen. Ich beschließe - angesichts fehlender Leistungsdaten und unsicheren Leistungsniveaus - nach Gefühl zu fahren und es nicht zu übertreiben. Diesen Gedanken in meinem Gehirn fertigformuliert, taucht auch schon an meiner linken Seite ein Auto auf, Fotografin Tana Hell beugt sich aus dem Fenster und drückt ab. Und bevor ich es noch merke, trete ich plötzlich stärker in die Pedale, gebe Gas, überhole Fahrer - mache also alles, was ich nicht tun wollte… Alles für das Foto! :)

Foto: Tana Hell

Als das Auto (endlich) weiterfährt, schalte ich erstmal einen Gang zurück. Wir sind auf Höhe Weißenbach am Attersee - das bedeutet, dass die ersten Höhenmeter auf dem Programm stehen. Ich matche mich mit dem Starter vor mir - immer wieder taucht seine Startnummer 1012 und sein gelbes Trikot auf. Bergauf überholt er mich, in der Ebene rolle ich wieder an ihm vorbei - immer mit dem notwendigen Abstand natürlich. Er ist wohlgemerkt auf dem Rennrad unterwegs, aber das kümmert mich nicht. Die Mischung aus Rennrad und Zeitfahrer, alt und jung und stark und stärker ist erfrischend und sorgt für Abwechslung.

In Unterach ist mit einem kurzen Stich hinauf zur Umfahrungsstraße der Wendepunkt im Süden erreicht, die darauffolgende Abfahrt bietet eine kurze Erholungspause bevor die Namen folgen, die ich mir in Gedanken notiert habe: Parschallen, Nußdorf und Buchberg. Dort geht es steiler und länger bergauf, als man “kurz einmal drüber drücken” könnte. Der Wind, der klassischerweise auf der zweiten Hälfte eine Rolle spielt, ist auch dieses Jahr wieder Begleiter (von vorne), aber die befürchteten Böen sind ausgeblieben.

Endspurt

Es ist immer ungefähr bei Kilometer 37 oder 38, wo das Rennen etwas “lang” wird. Man ist schon einige Zeit unterwegs, die Tanks werden langsam leer, die Strecke lang. An dieser Stelle muss man beißen, es sind nur fünf Kilometer, die man überstehen muss - der Knackpunkt ist der kurze Stich in Buchberg. Dort hat sich die Race Around Austria-Fanzone breitgemacht - die Stimmung ist gut, die Anfeuerungen helfen dabei, die kurzen 13% zu übertauchen. Und dann geht es - wie schon in den Jahren zuvor - plötzlich schnell! Das Gelände ist kupiert, es rollt kräftig dahin, über kurze Wellen rollt man mit Schwung und gut 50 km/h. Und dann purzeln die Anzeigetafeln mit den verbleibenden Kilometern nur noch so - 4, 3, 2. Eine kleine Prüfung steht noch auf dem Programm, die letzte Rampe zum Hotel Attersee, danach ist es aber wirklich vorbei. Vollgas hinunter nach Seewalchen, wohltemperiert durch die 90-Grad-Kurve, über die Agerbrücke und 300 Meter in Richtung Ziellinie. Im Nachhinein verfliegen die letzten Kilometer geradezu.

Dann ist es auch schon wieder vorbei. Am Wahoo die Fahrt beenden, Luft holen, bevor man es merkt, wird einem der Zeitnehmungschip abgeknipst. Die Wahrscheinlichkeit, dass man auf den ersten Metern aus dem Zielkanal ein bekanntes Gesicht trifft, ist sehr groß - aufmunternde, interessierte oder euphorische Worte inklusive. Auf meinem Radcomputer steht am Ende 1:16:57 und damit mehr, als ich mir erhofft hatte. Die 1:15 zu erreichen, war - ohne großartig darüber nachzudenken oder die Notwendigkeiten dafür genau zu analysieren - doch nicht so einfach, wie ich mir das vielleicht vorgestellt hätte. Andererseits muss ich mir ja für das nächste Jahr noch etwas Verbesserungspotential erhalten.

Zeit für Ärger oder Gram bleibt ohnehin keiner - zu schön ist der Attersee, zu spannend das Eventformat, zu gesellig der Abend im Festzelt. Objektiv betrachtet bewundere ich einerseits jede und jeden, die/der sich auf den Weg um den See macht und sich auf diese Weise misst. Andererseits werden von den schnellen Fahrerinnen und Fahrern gewaltige Leistungen abgeliefert, die Zeiten unter 1:00 werden immer mehr und die Zeiten sind schlichtweg beeindruckend!

So nehme ich mir mein Ziel von 1:15 mit ins Jahr 2020, hoffe auf wiederholtes Kaiserwetter, nette Gesellschaft und ein weiteres großartiges Wochenende am Attersee - King of the Lake werde ich zwar wieder nicht werden, aber genauso viel King oder Queen wie jeder, der sich auf den Weg macht!

Strava

Fotos (wenn nicht selbst aufgenommen oder gekennzeichnet): Sportograf

Foto: Tana Hell

Die Teilnahme am Rennen erfolgte auf Einladung des Veranstalters.

VeloRun 2019

Die Sonne steht schon früh am Himmel aber knackige 10 Grad verheißen ein baldiges Ende des (Spät)-Sommers. Die Teilnehmer*innen des Velorun, die sich am Ortsende von Baden und gleichzeitig am Beginn des Helenentals an der Startlinie versammelt haben, sind jedenfalls auf unterschiedliche Weise gegen die morgendliche Kälte gewappnet – so wie auch im Alltag erkennt man die Kälteresistenz (oder vielerorts nicht vorhandenes, kuschelig wärmendes Körperfett) an der Menge der Lagen, der Dicke der Westen, an Kopfbedeckungen und teilweise sogar Handschuhen. Oder man nimmt – so wie ich – noch möglichst viel Bettwärme mit zur Startlinie, entledigt sich kurz vor dem Startschuss schnell des Gilets und hofft – in kurz-kurz – auf schleunig steigende Temperaturen.

Vor wenigen Jahren hätte ich das mit der Bettwärme noch besser hinbekommen, habe ich damals doch in Baden gewohnt. Ich habe am Rande des Wienerwalds meine Kindheit und Jugend verbracht, bin (später) viele Male mit dem Rennrad in den nahen Wäldern unterwegs gewesen und sehe daher den Velorun trotz mittlerweile Wohnsitz in Wien als Heimrennen an. Die Straßen, die der Velorun befährt sind mir gut bekannt, allerdings durchwegs in einem gemütlicheren Tempo und meistens in anderer Konstellation – die Kombinationsmöglichkeiten sind im Wienerwald schier endlos. Auf der anderen Seite habe ich schon damals versucht, das Helenental und den dort doch recht regen Verkehr möglichst zu meiden. Nur wenige wissen, dass die Bundesstraße ins Helenental ursprünglich als Autobahn A21 konzipiert bzw. im Gespräch war. Die zuerst vier- dann zweispurige Umfahrung von Baden zeugt noch heute von der beginnenden Realisierung dieses Plans. Widerstände im Bereich des Stifts Heiligenkreuz haben das Projekt damals übrigens endgültig zu Fall gebracht. Lange Rede, kurzer Sinn: Auch wenn das Helenental keine Autobahn geworden ist, die Bundesstraße erinnert doch noch manchmal daran, wenn große Mengen Autofahrer, Busse und NÖM-LKWs auf den engen Straßen unterwegs sind und Radfahrer*innen wie leider üblich versuchen müssen, auf den Restflächen zu überleben. Während des Veloruns ist das Helenental bis Mayerling gesperrt! – ein riesiger Pluspunkt für die Veranstaltung, der die ohnehin immer stressigen und unfallträchtigen Kilometer eines Radrennens zumindest vom Faktor Straßenverkehr befreit. Der Veranstalter hat außerdem dazugelernt und auf eine Teilung der Fahrbahn für die darauffolgenden Läufer (mittels Verkehrshütchen) verzichtet.

„Laufen“ ist ein wichtiges Stichwort, wenn es um den Velorun geht, steckt der Begriff doch schon im Namen der Veranstaltung. Es hat auch einiges an Erklärungsarbeit gebraucht, immer wieder darauf hinzuweisen, dass es sich beim Velorun nicht um einen Duathlon handelt, sondern um einen vielseitigen Strauß an Wettbewerben. Diese zeitlich, räumlich und organisatorisch unter einen Hut zu bringen, gelingt den Veranstaltern seit der ersten Austragung hervorragend. Auch wenn die Berührungspunkte zwischen Radler- und Läufer*innen nicht die größten sein mögen, es versammeln sich am Start unzählige Sportler*innen, denen die Freude an der Bewegung und dem Wettkampf gemein ist, die Veranstaltung genießen und eine gute Zeit verbringen wollen. Im Zeitplan schaut es stressig aus, in der Realität verläuft alles ganz geschmeidig: Um 8:30 starten die Radler*innen des Marathons über 85 Kilometer, um 8:35 die Teilnehmer*innen des gemütlicheren Radausflugs, weitere fünf Minuten später die Läuferinnen und Läufer über 10 Kilometer sowie jene des Halbmarathons. Die Konzentration mehrerer Bewerbe und Sportarten auf engem Raum schafft einen tolle Atmosphäre, die Zuschauer feuern natürlich alle Bewerbe an, ganz zu schweigen von Vorteilen in der Logistik!

Mein Rennen ist trotz Streckenkenntnissen eine Premiere, bin ich doch zum ersten Mal im flotteren Tempo auf der Strecke unterwegs. Den Velorun habe ich zwar in meiner Liste von absolvierten Rennen stehen, allerdings war es die Premierenaustragung auf der damals noch kürzeren Strecke über knapp 40 Kilometer. Im Jahr danach war ich verkühlt und konnte nur als Fotograf und Zaungast dabei sein, im letzten Jahr dann eine Terminkollision mit dem King of the Lake.

Schon vor dem Rennen die schwierige Frage nach der Zielzeit, die Startblöcke sind nach Zielzeiten unter bzw. über 2:30 getrennt. Es fällt mir schwer, eine realistische Zielzeit abzuschätzen, obwohl ich das Terrain ganz gut kenne. Der Fitnesslevel und – gerade am Anfang der Strecke im Helenental – das Fahren im Pulk machen eine Hochrechnung schwierig. Ich entscheide mich für das ambitioniertere Ziel „unter 2:30“, die Aussicht auf eine flotte Gruppe aus dem ersten Block auf den ersten flachen Kilometern bis Klausen-Leopoldsdorf klingt zu verlockend.

Die Nähe zu Wien und die schönen Eckdaten des Rennens sind außerdem ein Garant, dass man in Baden alle möglichen Freunde, Kollegen und (wer solche hat) auch Konkurrenten trifft. Die einen nützen das, um die tolle und familiäre Stimmung zu genießen, andere können sich endlich schwarz auf weiß mit anderen messen. Am Start treffe ich daher wenig überraschend viel bekannte Gesichter – so in einen Radmarathon zu starten, macht mich grundsätzlich froh, ab da kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Na gut, auch die Aussicht auf ein Mittagessen bei meiner Mutter in Baden nach dem Rennen hilft. ;)

Nach dem Startschuss geht es für wenige Kilometer neutralisiert aus Baden hinaus, wie üblich merkt man ohnehin recht wenig von der Neutralisation – Tempo 45 und Hektik gehören halt zu einem Radrennen dazu. Der Urtelstein – ein kurzer Tunnel oder Durchbruch nach der Ortstafel von Baden – markiert den Beginn des Rennens und die Einfahrt ins für den Verkehr gesperrte Helenental. Wo früher Kurgäste ihre Spaziergänge absolvierten, surren nun Fahrradketten und pfeifen Hochprofilfelgen die Schwechat entlang. Unterbrochen bzw. getrübt wird diese Harmonie nur von aufwimmernden Bremsgeräuschen, jedes Mal wenn vorne im Pulk einer ausschert, es knapp hergeht oder – leider – dann doch einmal jemand zu Sturz kommt. Jeder kennt das Lied vom „Kleinen Wegerl im Helenental“, dieses ist dem Liedtext zufolge „für alte Ehepaare viel zu schmal“ – die Straße im Helenental wird offenbar trotz Totalsperre für manche Radler zu schmal. Es ist immer einfach, in solchen Situationen zu schimpfen - man hört dann Dinge wie „es geht doch um nichts“, „reißts euch zam“ und „sowas unnötiges“. Ich verstehe das natürlich und auch ich ärgere mich, wenn ich in riskante Bremsmanöver gezwungen werde oder nur knapp einer brenzligen Situation entgehen kann und wenn jemand so eine Situation bewusst oder grob fahrlässig herbeiführt, dann regt mich das auch gehörig auf. Auf der anderen Seite bemerke ich aber auch, dass derartige Situationen sehr schnell entstehen können und – wie es mir später im Rennen dann noch selbst widerfahren soll – wird man auch schnell einmal zum potentiellen Auslöser. Das soll jetzt weder dramatisieren noch relativieren sondern nur bedeuten, dass ein gegenseitiges Aufpassen eminent wichtig ist, auf allen Seiten, immer!

Es geht flott durch Sattelbach und Mayerling, wo ein besonders geschickt abgestelltes Polizeiauto nicht nur den Gegenverkehr aufhält sondern auch das Feld zur quasi Vollbremsung zwingt. Durch Alland geht es flott, bis Klausen-Leopoldsdorf noch so gut wie flach, auch wenn man bis dahin – eigentlich ohne es zu merken – schon gut 150 Höhenmeter gesammelt hat. Ab Klausen-Leopoldsdorf beginnt es langsam anzusteigen Richtung Forsthof, wobei die Steigung stetig zunimmt, „es schmiert“, wie man so schön sagt – aus 2 Prozent werden 3, dann 5 und kurz vor Forsthof dann noch ein wenig mehr. In solchen Abschnitten ist es ganz praktisch, kurz die Streckenbeschaffenheit mit der derzeitigen Fitness auf Übereinstimmung zu kontrollieren und dann – und das ist der wesentliche Punkt! – zu urteilen, ob man mit einer flotten Gruppe weiterfahren (und sich eventuell schon frühzeitig vernichten) soll oder doch lieber sein eigenes Tempo wählt. Auch wenn die Anstiege des Velorun nicht die längsten und steilsten sind, sie sind da und dort schon etwas gemein und summieren sich über den Verlauf des Rennens zu einem Gesamtpaket, das man nicht unterschätzen sollte.

Hinter Forsthof geht es hinunter nach Brand-Laaben, von dort wieder „schmierend“ bergauf Richtung Klammhöhe. Vor zwei Monaten war ich genau dort mit der Österreich Rundfahrt unterwegs und den Profis ging es – auf einem völlig anderen Niveau natürlich – genauso. Wer mit einer zu schnellen Gruppe unterwegs war und über seine Verhältnisse fuhr, wurde recht rasch entsprechend bestraft. Die Abfahrt von Klammhöhe hinunter Richtung Triestingtal habe ich in bester Erinnerung, eine kurvige, wellige, geschmeiduge Abfahrt, in der man auch schon Mal in einen Flow kommen kann. Unterbrochen wird dieser Glückszustand von einem gemeinen Stich nach Sankt Corona am Schöpfl - nach den wenigen aber gemein steilen Metern bietet sich normalerweise eine kurze Kaffeepause beim Seniorenheim St. Corona an, aber nicht heute. Es geht flott bergab Richtung Altenmarkt, ein paar hundert Meter auf der Bundesstraße entlang der Triesting und dann hinauf zur Wallfahrtskirche Hafnerberg. Bis dahin kann ich in einer kompakten und flotten Gruppe mitfahren, am Anfang des Hafnerbergs fährt plötzlich Rene Haselbacher neben mir, es ist sein Geburtstag! Der Geburtstag ist für einige Momente wichtiger als das Rennen, man muss immerhin Prioritäten setzen! Den Hafnerberg hinauf – mit seiner schönen Kehre in der Mitte des Anstiegs – fahren wir gemeinsam, Leo Hillinger gesellt sich zu uns, kurz fühlt es sich eher nach einem Coffee Ride an. Aber die beiden sind Vollprofis, beide legen den Turbo ein und wir fliegen geradezu Richtung Neuhaus. Man kann von Leo Hillinger denken was man will, mit seiner ihm eigenen Art mag er da oder dort polarisieren. Was allerdings außer Frage steht, ist, dass dieser Mann am Rad eine Maschine ist! Mit 55 km/h fährt Leo vor mir in der Ebene bzw. leicht bergauf einen dicken Gang, ich kann mit Müh’ und Not im Windschatten mitfahren, die vorhin „vertrödelten“ Minuten holen wir auf diese Weise aber schnell wieder auf.

Der letzte Anstieg ist meiner Meinung nach der gemeinste. Von Neuhaus nach Schwarzensee geht es auf gut einem Kilometer mit 10 Prozent bergan, nach 60 Kilometern spürt man jedes Prozent doppelt. Oben angekommen heißt es noch, einige verwinkelte Kurven in der Abfahrt zu meistern und danach flach durchs Helenental wieder Richtung Baden zu radeln. Als wir zu einer der gefinkelten Kurven kommen, liegen dort bereits mehrere Fahrer am Boden, es ist in der Sekunde nicht ganz klar, ob das gerade erst passiert, jemand verletzt und gegebenenfalls die Rettungskette schon in Gang gesetzt worden ist. Wir bremsen ab, auf den ersten Blick schaut es danach aus, als wären die Gestürzten zumindest nicht schwerer verletzt und – am wichtigsten – es stehen schon Helfer an der Seite. Im Nachgang und auf Strava findet man später Gerüchte über ein gebrochenes Schlüsselbein. Leo Hillinger dürfte kurz stehengeblieben sein, offenbar hat er während dieser Momente aber genug Kraft getankt, um nun im Alleingang unsere Gruppe wieder nach Baden zurückzuziehen. Der Schnitt ist wieder hoch, das Rollen etwas weiter hinten in der Gruppe vergleichsweise entspannt. Noch einmal durch den Urtelstein – diesmal von der anderen Seite – und nach 85 Kilometern und 1.100 Höhenmetern geht es über die Ziellinie des Velorun 2019.

Mit meiner Zeit von 2:31 bin ich zufrieden, auch wenn ich den angestrebten 169. Platz (so wie bei jedem Rennen übrigens) nicht erreichen konnte. Im Ziel trifft man sich ohnehin wieder - alle die vor einem gestartet sind, alle die man auf der Strecke getroffen hat und all jene, die etwas später über die Linie rollen. Gut versorgt mit Speis und Trank und bei mittlerweile sommerlichen Temperaturen kann man gemeinsam über das Erlebte sinnieren, Manöverkritiken besprechen und Pläne für die kommenden Monate oder die nächste Velorun-Austragung schmieden.

Die Organisation des Velorun verdient in meinen Augen volles Lob, die Absicherung der Strecke gelingt sehr gut, das Konzept der unterschiedlichen Bewerbe geht auf und „stört“ die einzelnen Disziplinen in keinster Weise. Alles Gute zum Geburtstag, Rene! Alles Gute zur gelungenen Durchführung des Velorun 2019 an das Organisationsteam! Ich freue mich auf die kommenden Austragungen – nächstes Jahr dann unter 2:30 ;)

Strava: https://www.strava.com/activities/2710089514

Alle Fotos: Sportshot.de

Tour de Franz

Im Schlepptau von René Haselbacher und seiner Marke RH77 finde ich mich plötzlich in Villach wieder. Die Tour de Franz steht auf dem Programm - eine Institution, die 2019 bereits in ihre 13. Auflage geht. Dass ich davon bis dato nicht allzu viel mitbekommen habe, liegt vielleicht daran, dass ich derartige Veranstaltungen sonst eher aus dem Fernsehen (um 19:57 auf ORF 2?) kenne. Wobei es dem Event allerdings sehr unrecht tun würde, das Ganze als „Seitenblicke“-Veranstaltung abzutun. Unglücklicherweise sind ja fast alle Initiativen, die sich mit dem Beiwort „Charity“ schmücken, schnell einmal in eine Ecke gestellt, stigmatisiert und teilweise nicht mehr ernstgenommen. Doch stellen wir das einmal richtig! (Außerdem geht es ja auch ums Radeln!)

7. August, 9:00, Atrio Villach. In der Lobby des Einkaufszentrums im Süden Villachs versammeln sich über 100 Radlerinnen und Radler. Auf den Stangen, die für das Abstellen der Räder vorbereitet sind, hängen S-Works, neben feinen Simplons, BMCs und ein paar spannenden Exoten. Dieser Rad-Showroom gepaart mit den rasierten und durchwegs sehr fit aussehenden Waden, die mich umgeben, lassen erste Befürchtungen an der Aufgabe hochkommen, die da heute vor uns steht. Irgendwo hat es geheißen „100 Kilometer und 1.000 Höhenmeter nehmen wir heute unter die Räder“. Lässt man die Blicke von den Waden etwas weiter nach oben schweifen, erspäht man das einheitliche Trikot von RH77, das jedes Jahr für die Tour de Franz neu designt und aufgelegt wird und im Startpaket enthalten ist.

150 Euro sind für die Teilnahme an der Ausfahrt zu berappen, klingt auf den ersten Blick nach viel, ist es auch. Angesichts des Trikot-Sets, der Verpflegung, den Goodie-Bags (Mehrzahl!) und dem illustren Mitfahrendenkreis relativiert sich der Betrag wieder etwas. Die meisten legen außerdem ohnehin noch etwas drauf - Stichwort Charity! Der Grund, warum sich - neben der gemeinsamen Liebe zum Radfahren - die Menschen hier versammeln, ist, gemeinsam zu helfen. Ski-Legende Franz Klammer höchstpersönlich ist Schirmherr der Veranstaltung und wählt gemeinsam mit den Organisatoren der Ausfahrt jedes Jahr Projekte aus, für die das gesammelte Geld gespendet wird. Zumeist sind das Familien bzw. Kinder aus Kärnten, die aufgrund persönlicher Umstände, Krankheiten oder Schicksalsschlägen, den einen oder anderen Euro im Haushaltsbudget ganz gut brauchen können.

So entdeckt man im Atrio in Villach - an der Startlinie quasi - einige bekannte Gesichter oder hört die eine oder andere prägnante Stimme aus dem Menschenbündel heraus. Franz Klammer begrüßt „seine“ Gäste, Armin Assinger erklärt mit Mikrofon in der Hand den Ablauf des Tages, Otto Retzer (Schauspieler und Regisseur) „führt Schmäh“, so wie man es von ihm erwarten würde. Außerdem gut vertreten die Welt des Wintersports - Matthias Mayer, Felix Gottwald, Peter Rungaldier, darüberhinaus noch Firmenverteter der Sponsoren (aus Rad- und sonstiger Welt) und - damit im Notfall auch jemand Windschatten geben kann – die beiden Rad-Profis Marco Haller und Gregor Mühlberger. Kurzweil und interessante Gespräche sind da garantiert.

Dass es auch um den gesellschaftlichen Teil gehen soll, merkt man am anfangs angeschlagenen Tempo. Hinaus aus Villach Richtung Arnoldstein geht es mit einem gemütlichen 21er-Schnitt, in einer Gruppe von über 100 Leuten muss hier nur noch sporadisch mitgetreten werden. Aber keine Sorge, am Ende war es ein 25er-Schnitt und auf den Schlussanstieg kommen wir ohnehin noch zu Sprechen. Aus Villach hinaus rollt also die große Gruppe erstmal gemütlich entlang der Gail durch Oberschütt, einen Schleichweg entlang der Autobahn Richtung Arnoldstein, am Rande der Karawanken durch Fürnitz und Finkenstein nach Faak am See. Nach einer Umrundnung des Faaker Sees finden wir uns auf der Strecke der Rad-WM 1987 wieder – wenn auch nur auf Teilen und gegen die damals gefahrene Richtung. Damals gewann Stephen Roche im strömenden Regen den Titel auf dieser knapp zwölf Kilometer langen Schleife zwischen Faaker See und Maria Gail.

Wir gehen es gemütlicher an als Roche und seine damaligen Konkurrenten Sean Kelly, Didi Thurau oder Jeannie Longo, die das Damenrennen für sich entscheiden konnte. Knapp 50 Kilometer sind abgespult, Zeit für eine Labe. Das Tempo ist in der Zwischenzeit flotter geworden, durch das Plaudern auf dem Rad wird das Fahren extrem kurzweilig, die Kilometer verfliegen, die Anstrengung tritt in den Hintergrund. So stellt man sich eine Gruppenausfahrt vor, ein Social Ride im eigentlichen Sinne. Nach ausgedehnter Pause mit Speis und Trank geht es zurück in den Sattel, wieder hinaus aus dem Großraum Villach – leider kann ich meine Kamera nicht schnell genug zücken, um eines der Highlights des (meines) Tages, nämlich das Ortsschild von „Tschinowitsch-Turdanitsch“ zu fotografieren.

Wieder auf der WM-Strecke von 1987 geht es über Kleinsattel Richtung Osten bevor die Gruppe nach Nord-Osten schwenkt und über die („stillgelegte“) Drauschleife, vorbei an der eindrucksvollen Burg Landskron und dem Ufer des Ossiachers Sees Richtung Drautal fährt. Das Best-Of der Region rund um Villach ist damit vollständig abgegrast, viel mehr kann man dort in einer einzelnen Runde nicht unterbringen. Als Abschluss hat man sich für dieses Jahr etwas Besonderes ausgedacht: Das Ende der Ausfahrt ist eine Bergankunft am Geburtsort Franz Klammers, in Mooswald. Dass bis dorthin noch 600 Höhenmeter auf knapp sechs Kilometer zurückzulegen sind, haben alle Teilnehmer*innen im Hinterkopf, seit der erste Pedaltritt diese Ausfahrt gestartet hat… Doch der Eindruck vom Morgen dieses Tages hat nicht getäuscht, die Mitfahrer*innen sind tatsächlich fit und so wälzt sich ein auseinandergezogenes, buntes Fahrerfeld über 17% steile Rampen hinauf, durch enge Kehren, über saftige Wiesen und hinauf zum Zielbogen vor Franz Klammers Geburtshaus, wo neben der rettenden Schlusslabe auch eine Blasmusikkapelle die Teilnehmer*innen in Empfang nimmt.

Am Ende des (sportlichen) Tages zeigt der Wahoo 118 Kilometer und 1.355 Höhenmeter an – ein solide Tour, die dank der großen Gruppe weitaus weniger anstrengend war, als wenn man diese Runde alleine in Angriff nehmen würde. Der Schnitt von 24 km/h belegt, dass viel geplaudert und getratscht wurde – übers Radfahren, Essen & Trinken, Kärnten, noch mehr Radfahren, den Profi-Zirkus, Sportlerkarrieren, Räder, Komponenten und Gott und die Welt. Das Ende des karitativen Teils des Tages konnte ich aus Termingründen leider nicht mehr miterleben und lässt mir daher kein abschließendes Urteil über die anfangs erwähnte Charity-Welt zu. Fakt ist jedoch, dass im Zuge dieser entspannten und unterhaltsamen Ausfahrt knapp 40.000 Euro an Spendengeldern traditionell auf einen überdimensional großen Papierscheck geschrieben wurden! Ich denke, es gibt jedenfalls unerfreulichere Wege, Spenden zu sammeln als während einer Radausfahrt! In diesem Sinne, bis zum nächsten Jahr.

Fotos (sofern nicht selbstgemacht): Tour de Franz / Markus Vollmeier
Strava

Wachauer Radtage 2019

Traditionen wollen hochgehalten werden! Zum Beispiel die Tradition, dass ich bei der Österreich Rundfahrt mit der Kamera dabei sein kann, dass man Mitte Juli bei den Wachauer Radtagen am Start steht oder auch dass man sein Leistungslevel über- und die Strecke unterschätzt… Nach einer guten mittleren Distanz 2018 – in der Nomenklatur der Radtage nennt sich das „Raiffeisen Power Radmarathon“ – fiel die Wahl 2019 auf die lange Distanz, den „Krone Champions Radmarathon“. Ehrlicherweise hab ich mich im Vorfeld nicht wirklich mit der Strecke und den dahinterliegenden Daten befasst - 150 irgendwas Kilometer und die üblichen Höhenmeter. Ich habe mir angewöhnt, im Hinterkopf immer den Faktor 10 auf die Kilometerzahl draufzulegen, um auf die Höhenmeter zu kommen – solange dieses Verhältnis halbwegs eingehalten wird, ist es schaffbar. Auf den Jauerling war ich bis zu dem Zeitpunkt auch noch nicht unterwegs, aber ein höchster Punkt von knapp 800 Meter über Null wird wohl kein allzu großes Hindernis darstellen, oder?

Die Woche vor den Wachauer Radtagen ist für mich die Woche der Österreich Rundfahrt. In diesem Jahr war ich dort mit Kamera und Telefon bewaffnet unterwegs, um Schnappschüsse zu machen und die Social Media-Kanäle der Rundfahrt zu befüllen. Die zweite Etappe von Zwettl nach Wiener Neustadt führte übrigens durch die Wachau, den Seiberer hinunter, die Donau entlang über die Brücke bei Mautern und dann weiter Richtung Stift Göttweig. Während dieser Etappe war ich im Auto vom Team Hrinkow unterwegs und gemeinsam stellten wir fest, dass speziell die Abfahrt vom Seiberer ein Traum ist, dass man sich das wohl außerhalb der Tour mal in Ruhe anschauen sollte. Dass ich hier ein paar Tage später rauffahren muss, war mir zu dem Zeitpunkt nicht klar - Vorbereitung 1A… Die Ö-Tour endet am Freitag auf dem Kitzbüheler Horn, ich verbringe noch eine Nacht bei der Familie in Lienz und bin Samstag spätabends wieder in Wien. Essen herrichten, Gewand herrichten, Rad checken, sporadisch die Beine rasieren – ich möchte zumindest stilvoll langsam fahren ;)

Los gehts!

Sonntag, 7:30 in Mautern und alle sind da. Schon auf den ersten Metern freut man sich, bekannte Gesichter zu treffen. Meine Nachbarn sind da, Vereinskollegen vom PBIKE.AT Racing Team, viele VICC-Trikots. Max Kuen vom Team Vorarlberg Santic, der leider krankheitsbedingt kurzfristig die Teilnahme an der Österreich Rundfahrt hatte absagen müssen, fährt wieder mit seiner Freundin - außerdem einige Gesichter, die mit mir die letzte Woche bei der Ö-Tour verbracht haben, allen voran Martin Böckle, der mit Alpentour-TV mittlerweile dafür sorgt, dass fast jeder Marathon seine (Live-)Übertragung und damit entsprechende Präsenz bekommt. Die Startunterlagen sind schnell geholt, Nummern montiert und Trinkflaschen gefüllt. Ich bin früher dran als in den Vorjahren, erkennbar daran, dass ich diesmal einen Platz innerhalb des Startblocks finde und nicht außerhalb auf den Planken, die hinauf zur Straße führen. Der Blick nach vorne zeigt auch, dass das Starterfeld auf der langen Distanz vergleichsweise kompakt ist – die meisten Starter sind auf den beiden kürzeren Distanzen zu finden. Die Laune ist gut, die Stimmung fast familiär, man kennt sich mittlerweile untereinander doch schon recht gut – so macht das Ganze gleich noch mehr Spaß. Und letztendlich spielt auch das Wetter mit, die vorhergesagten Regenschauer sind erst für den späteren Nachmittag angesagt.

Am Start noch ein Lächeln übrig … ;)

Bei Sonnenschein fällt also um 9:00 der Startschuss, die beiden längeren Strecken starten gemeinsam - vorne weg der Champions Marathon über 159 Kilometer, gleich dahinter der Power Marathon über 92 Kilometer. Von der angekündigten Neutralisierung auf den ersten Kilometern ist weiter hinten im Feld nicht viel zu spüren. Ehrlicherweise ist es bei Radmarathons mit vielen Starten aber auch immer ein Balanceakt – „zu schnell“ macht die Neutralisation obsolet, „zu langsam“ erzeugt Staus und brenzlige Situationen weiter hinten. Die ersten elf Kilometer führt die Strecke entlang des nördlichen Donauufers Richtung Weißenkirchen, erst an dieser Stelle erfolgt die Feld-Teilung zwischen langer und mittlerer Strecke. Die Straße ist zwar in unserer Fahrtrichtung für den Verkehr gesperrt, vereinzelt tauchen aber auf der Gegenfahrbahn Autos auf. Diese weichen zwar – höflich bis leicht verängstigt – der Radlermeute an den Straßenrand aus, aufgrund der Masse an Radlern wird es allerdings trotzdem stellenweise recht eng. Die Spitze der mittleren Distanz möchte zur Spitze der langen Distanz, die zuvor gestartet ist, nach vor wollen sowieso alle, es vermischen sich schnellere mit langsameren Fahrer*innen, das wird dann mitunter schon recht viel auf einmal. Im Grunde ist es ähnlich wie bei allen Startphasen von Marathons, bei denen die Starter*innenzahlen in die höheren Hunderterbereiche gehen. Übermotivierte wird man immer finden, weniger talentierte womöglich auch, oft ist es aber einfach Pech, wenn etwas passiert. Die Kalamitäten in der Wachau halten sich absolut in Grenzen, es sind eher abrupte Bremsmanöver der Gruppe, die den Puls in die Höhe schnellen lassen. Auf Nachfrage erfährt man vom Veranstalter, dass eine Genehmigung des Rennens nur unter der Voraussetzung erfolgen kann, dass die betreffende Bundesstraße 3 für den Verkehr offen bleibt. Dass praktisch eh kein einziges Auto ungehindert durch- oder vorbeifahren kann, macht diese Behördenvorgabe zu einem Feigenblatt, erhöht aber massiv mein Verständnis gegenüber dem Veranstalter, der hier schlicht und ergreifend nicht aus kann.

Ins Waldviertel

In Weißenkirchen ist das alles kein Thema mehr, die lange Strecke biegt nach Norden ab, lässt die Donau hinter sich, taucht in malerische Weinberge ein und Fahrer nach Fahrer beginnt den Anstieg auf den Seiberer. Schlagartig geht es gemütlicher zu, das Tempo ist unten, der verfügbare Platz um Potenzen gesteigert. Die Sonne brennt vom Himmel und der Schweiß tropft auf Oberrohr und Asphalt – schon nach wenigen Kilometern habe ich ein Deja-Vu meines mäßig erfolgreichen Anstiegs zum Plöckenpass im Rahmen des Super Giro Dolomiti. Ganz so schlimm ist es glücklicherweise nicht, aber bei einer Steigung von 7% auf einer Länge von fünf Kilometern kann man schon einen ersten zarten Eindruck davon bekommen, wie der weitere Tag verlaufen könnte. Meine Oberschenkel gehen auf, ich spüre die vergangene Woche im Auto und ohne Bewegung, die Erkenntnis, dass dies wohl ein längerer Tag werden wird, setzt sich nach und nach in meinem Kopf fest. Da ich sowieso nicht auf irgendein Ergebnis fahre, stellt diese Erkenntnis kein Problem dar, ich lasse meine PBIKE-Kollegen ziehen und trete vor mich hin Richtung Waldviertel.

Es folgt ein knapp 50 Kilometer langes Auf und Ab durch das Waldviertel, es ist selten flach, die Anstiege sind tendenziell immer etwas zu steil, um halbwegs souverän „drüberdrücken“ zu können. Gefühlt kommt nach jedem Anstieg eine viel zu kurze Abfahrt bevor es gleich wieder in den nächsten Hügel hineingeht. Bergauf, bergauf, bergauf! Das Feld ist recht zerfetzt, es finden sich immer wieder Gruppen aus maximal 3-6 Fahrer*innen, die ein Stück des Weges gemeinsam bestreiten. Hier sollte man – neben guten Oberschenkeln – auch im Kopf halbwegs fit sein. Bzw. wie in meinem Fall, wenn man in den Oberschenkeln nicht fit ist, kann man sich mit einem fitten Kopf noch mit etwas Würde über die Anstiege retten. Es ist jener Teil der Strecke, den ich mir im Vorfeld überhaupt nicht angeschaut und daher am meisten unterschätzt habe und nun dafür entsprechend büßen muss. Es kommt etwas Wind dazu, Wolken haben sich mittlerweile vor die Sonne geschoben, dafür sind die Temperaturen angenehm frisch.

Kilometer 80 markiert die Hälfte der Strecke, das Ende des hügeligen Waldviertels, den Fuße des Jauerling und – glücklicherweise – auch jene Stelle an der Nachbar Gerald mit frischem Proviant auf seine Freundin und Vereinskollegin Patrizia wartet und dankenswerterweise auch für mich ein Musette mit frischen Flaschen und Gels bereithält. Ich nütze diese Gelegenheit für eine kurze Pause, einen Plausch über das bisher Erlebte, und dafür, den recht zwickenden Rücken etwas durchzustrecken. Die Hälfte eines Rennens oder einer Strecke ist für mich grundsätzlich immer etwas Besonderes, fährt man ab diesem Zeitpunkt ja „nur noch zurück“ oder „ab jetzt nach Hause“.

“J-aua!-ling”

Es geht also auf den Jauerling, jene Unbekannte für mich, von der ich zwar schon viel gehört habe, selbst aber noch nie einen Tritt des Anstiegs gefahren bin. Die Zahlen verheißen nichts Gutes, auf dem Display meines Wahoo baut sich im Höhenprofil eine Wand auf, die so schnell wohl nicht mehr enden wird. Später lese ich auf Strava 9% auf sieben Kilometern Strecke, die ersten vier Kilometer haben überhaupt eine Steigung von durchschnittlich zehn Prozent. Ab in den ersten Gang und hinaufkurbeln, aber nach dem Auf und Ab des Waldviertels und den doch schon 80 Kilometern in den Beinen, fällt auch das nicht mehr so einfach. In solchen Fällen schalte ich in meinen Not-Modus, blende fast alles rund um mich aus, konzentriere mich auf jeden einzelnen Tritt, leide innerlich, was gleichbedeutend ist mit „man muss da jetzt durchkämpfen, um diesen Anstieg oder Berg zu bezwingen“ – diesen Kampf, den ich mir da einrede, gewinne ich meistens, das Konzept geht also auf! ;) Ich treffe auf bekannte Gesichter – Patrizia zieht an mir vorbei (sie wird am Ende des Rennens den 8. Platz der Damen belegen!), Jean und Vejko rollen von hinten auf mich auf, mit vertrauten Gesichtern und Stimmen ist es auch gleich wieder etwas anderes. Der Jauerling ist ein harter Gegner – da wo der Anstieg vermeintlich zu Ende ist, durchfährt man eine kleine Ansiedelung, die gleich in den nächsten Anstieg mündet, fährt um eine Kurve, die wieder eine weitere Rampe verborgen hat. Und auch dort, wo der Berg tatsächlich einmal ein Ende genommen hat, ist die Freude der Abfahrt nur kurz – der Anstieg nach Nonnersdorf zieht auf 140 Höhenmetern noch einmal heraus, was in den Oberschenkeln eventuell noch vorhanden war.

Nach der Labe bei Kilometer 100 bin ich plötzlich alleine. Es geht endlich leicht bergab Richtung „Am Schuss“, einem Ortsnamen, der sich bei mir schon in den letzten Jahren der Wachauer Radtage eingeprägt hat. Die Strecke ist hier bis zur Donau hinunter identisch mit den Vorjahren, endlich etwas kalkulierbares auf dieser Strecke! Ich rolle mit knapp 35 Km/h Richtung Donau, schaue mich immer wieder nach Fahrer*innen um, die von hinten auf mich auffahren könnten – alleine möchte ich dieses Rennen nicht zu Ende fahren. Kurz vor Schloss Leiben sind wir dann zu fünft – mit dabei Alejo im VICC-Trikot, wie schon zuvor hilft es mir, auf bekannte Gesichter zu treffen. In der Gruppe geht es gleich einfacher und entsprechend flott nach Emmersdorf zur Donaubrücke. 40 Kilometer sind noch ausständig, zwei Anstiege kommen noch – nicht vergleichbar mit dem Jauerling aber in meinem aktuellen Zustand und mit doch recht schweren Beinen werden auch diese noch zur Herausforderung. Dementsprechend lasse ich mein Gruppe ziehen, sobald die Straße auch nur geringfügig ansteigt – hier jetzt mitzufahren, wäre keine gute Idee. Der Hügel bei Mauer bei Melk bzw. Umbach ist schnell bewältigt, es folgt noch eine Abfahrt Richtung Aggsbach, bevor es zum letzten Anstieg nach Maria Langegg geht. Die Abfahrt verbringe ich großteils im Stehen, mein Rücken wehrt sich dagegen, auf dem Rad weiter eingespannt zu sein – Autofahren als Vorbereitung für ein Radrennen scheint nicht optimal zu sein… Ich treffe wieder auf Jean, gefühlt zum fünften oder sechsten Mal – lustig, wie man im Verlauf eines Rennens mit Pausen, Laben und anderen Zwischenhalten immer wieder zusammenkommt, getrennt wird und sich dann wieder trifft. Hinauf nach Maria Langegg geht es auf drei Kilometern mit 8 % Steigung – langsam und gemächlich, die Tanks sind leer, die Ambitionen beschränken sich darauf, das Ziel erreichen zu wollen. Oben eine Labe, dann noch ein paar kleinere Wellen – die hab ich noch vom Vorjahr in Erinnerung.

Nass und fertig

Unvermittelt formen sich neben meinem Rad auf dem Asphalt handtellergroße Flecken – platsch, zuerst einer, dann mehrere. Es ist dieser Moment, in dem man weiß, was hier gleich losbrechen wird - Blitz und Donner und prasselnder Regen. Ich werfe mir mein Gilet über, stehenbleiben oder gar warten ist keine Option so kurz vor dem Ziel. Es ist 15 Uhr, jener Zeitpunkt, für den der Regen vorhergesagt war – nur wollte ich zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon im Ziel sein. Die Abfahrt zurück zur Donau wird im Schneckentempo bestritten, es wäre dumm und unnötig, jetzt auf regennasser Fahrbahn noch einen Sturz zu provozieren. Die Abzweigung auf die B33 ist für mich so etwas wie meine persönliche Ziellinie – vorbei mit Bergen, Abfahrt, Anstiegen, Kurven. Ab diesem Zeitpunkt geht es nur noch flach auf einer Länge von knapp fünf Kilometern Richtung Ziellinie.

Jean hängt sich an einen überholenden Fahrer an, mir fehlt die Kraft, diesen kurzen Antritt mitzugehen. Weniger später ist mein Rennen aber auch offiziell beendet – ich rolle zufrieden aber sehr, sehr erschöpft über die Ziellinie, hinein in den Zielbereich, der leider vom durchziehenden Regenschauer fast komplett leergeräumt wurde. Schnitzelsemmel, Kuchen und anerkennende Ansprache im Ziel hilft mir, wieder zu Kräften zu kommen. 2.901 Höhenmeter auf meinem Wahoo belegen, dass es heute keine Kaffeefahrt war. Nass und kalt geht es zurück zum Auto, hinein in die trockene Trainingshose und ab nach Hause, next Stop: Badewanne!

Der Erkenntnisgewinn dieses Renntages ist massiv: Bestätigt fühle ich mich in meiner Meinung von den Wachauer Radtagen – die Veranstaltung ist hervorragend organisiert. Als Fahrer, der dann doch eher weiter hinten im Gesamtfeld unterwegs war, kam ich in den Genuss, bei JEDER Kreuzung oder Kreisverkehr Ordner oder Polizisten vorzufinden, die einem den Weg weisen und den Verkehr kurz aufhalten, damit man ungehindert passieren kann. Ebenfalls bestätigt wurde die landschaftliche Schönheit der Wachau und des südlichen Waldviertels, wobei das Hinterland auf mich hier einen größeren Reiz ausübt, als die „klassische“ Wachau direkt an der Donau. Wobei wenn man den Seiberer herunterkommt und zum ersten Mal das Panorama der Donau erblickt, wird man schon kurz andächtig.

Wundenlecken

Die andere Erkenntnis betrifft mich und meine Leistungen. In den letzten Jahren habe ich viele Dinge „einfach gemacht“ und dabei hat fast alles immer so funktioniert, wie ich mir das vorgestellt habe. Dieses Jahr – und der „Jungvater“ soll hier jedenfalls nicht als Ausrede dienen! – muss ich mit meine Kräften und meinen Ressourcen haushalten. Bis in die letzten Ecken meines Kopfes hat sich das aber noch nicht durchgesetzt, mit dem Ergebnis, dass ich momentan dazu neige, meine Leistungsfähigkeit zu über- und gleichzeitig die sportlichen Herausforderungen zu unterschätzen. 160 Kilometer am Rad sind 2019 einfach etwas anderes für mich als 2018 oder gar 2017. Das mindert natürlich weder meinen Spaß am Radfahren noch an meinen Plänen oder Projekten, aber spätestens jetzt habe ich verstanden, dass ich die Dinge vielleicht etwas anders angehen muss. Eine Entscheidung ist allerdings vor diesem Hintergrund schon gefallen: Meine Teilnahme an der Race Around Austria Challenge werde ich vorerst einmal auf 2020 verschieben.

Aus der Wachau komme ich mit positiven Eindrücken zurück. Und die Schmerzen in Rücken, Knien und Oberschenkeln sind nach einem ausgiebigen Vollbad schon fast wieder vergessen, das Fluchen und innerliche Weinen der mühsamen Kilometer verdrängt und das Anmeldeformular für das nächste Jahr quasi schon wieder ausgefüllt. Danke Wachauer Radtage, bis nächstes Jahr!

Disclaimer

Die Teilnahme am Rennen erfolgte auf Einladung des Veranstalters. Alle Fotos: Sportograf.

"DNF" beim Super Giro Dolomiti

Oft heißt es ja, Geschichten des Scheiterns wären besser und spannender als jene der Sieger… In diesem Geiste möchte ich das Wochenende des Super Giro Dolomiti aufarbeiten, das mir das erste „DNF“ meiner sogenannten Rennkarriere beschert hat.

Giro

Es hat großartig begonnen, so wie eigentlich jeder Tag und jedes Wochenende in Osttirol immer positiv verläuft! Das Wochenende vor dem Rennen gastierte der Giro d´Italia in Südtirol, da lag ein Ausflug nach Olang zum Start natürlich nahe. Das Panorama der Dolomiten gepaart mit Profiradsport ist ein herrlicher Mix und näher an die österreichische Grenze kann eine Grande Tour auch gar nicht kommen. Auch wenn die Situation am Start etwas unübersichtlich war (der Parkplatz mit den Teambussen und Fahrern befand sich rund 2-3 Kilometer von der Startlinie entfernt) und damit nur die Möglichkeit blieb, die Fahrer am Weg zur Startaufstellung kurz abzupassen – der Start einer Giro-Etappe ist immer ein Ereignis, in Italien noch einmal mehr, da die Menschen auf die Straße gehen, gerne mittendrin dabei sind und Radsport dann doch noch etwas mehr l(i)eben, als wir das tun.

Bora

Zeitgleich waren auch die Fahrer des Teams Bora-Hansgrohe in Osttirol – Höhentrainingslager stand dort auf dem Programm. Mit von der Partie unter anderem die österreichische Phallanx Konrad, Pöstlberger, Mühlberger. Spontane Einfälle bringen oft die besten Ergebnisse, der Kamerarucksack war ohnehin dabei – und so ergab sich die Möglichkeit, die Jungs von Bora auf einer Trainingsfahrt auf den Glockner zu begleiten. Fotomotive der besten Art tun sich auf und der Auslöser der Kamera rattert nur so vor sich hin! Dass ich bei all dem Fotografieren nicht zum Radfahren komme, ist eine andere Geschichte – aber dazu kommen wir noch…

Dolomitenrundfahrt

Leser*innen von 169k wissen mittlerweile, dass ich oft und liebend gerne in Osttirol bin. Die Dolomitenradrundfahrt, die jedes Jahr Anfang Juni stattfindet, war daher schon immer etwas Besonderes in meinem Kalender – ist sie doch so etwas wie mein zweites Heimrennen. Die Strecke über den Gailberg, durchs Lesachtal und zurück nach Lienz kenne ich mittlerweile ganz gut – sowohl die positiven als auch die weniger positiven Aspekte. Wobei „weniger positiv“ natürlich eine Frage der Perspektive ist. Mit genügend Training und mentaler Stärke, kann einem das Lesachtal nichts anhaben. Erst wenn man angeschlagen, müde oder nicht ganz so fit ist, rächen sich die rund 20 „Hügel“, die sich in einem ständigen Auf und Ab auf einer Länge von rund 40 Kilometern aneinanderreihen. Irgendwo müssen diese 1.400 Höhenmeter ja auch versteckt sein. Die Lesachtalrunde bin ich also schon ein paar Mal gefahren, sowohl als Trainings- oder Genussrunde als auch im Rennen bei der Dolomitenradrundfahrt. Am Rennwochenende steht allerdings noch eine zweite Option zur Verfügung, der Super Giro Dolomiti.

Super Giro Was?

Viele verwechseln ihn beim ersten Mal Hören mit dem Maratona d´les Dolomites, dieser Riesenveranstaltung jenseits der Grenze, die immer Anfang Juli auf dem Programm steht und mit mehreren tausend Teilnehmern, Fernsehübertragung und mythenbehafteten Anstiegen zu einem der größten Radsportevents der Welt zählt. Der Super Giro Dolomiti gibt sich da weitaus bescheidener, obwohl er sich nominell keineswegs verstecken muss. Um ein anderes großes Radsportevents als Vergleich heranzuziehen – der Super Giro weist ungefähr die gleichen Zahlen auf wie der Ötztaler Radmarathon. Auf rund 230 Kilometern versammelt der Super Giro rund 5.000 Höhenmeter, die Charakteristik der Strecke ist allerdings eine andere als beispielsweise beim Ötztaler. Die Anstiege sind mitunter kürzer, die Belastung abwechslungsreicher, die Steigungen giftiger. Die Tatsache, dass der Super Giro Anfang Juni stattfindet, setzt zudem voraus, dass man recht fit aus dem Frühjahr kommt.

Die „Ur-Strecke“ des Super Giro führt über Gailberg und Plöckenpass nach Italien, über den Lanzenpass – eine alte, schmale Militärstraße mit bis zu 19% steilen Rampen – weiter Richtung Osten bevor man über das Nassfeld wieder nach Österreich gelangt und schließlich durch Gail-, Lesach- und Pustertal zurück nach Lienz fährt. Je nach Definition eines „Berges“ sind derer fünf oder sechs zu überwinden, von kurz & flach über länger & flach bis hin zu kurz & sehr steil und lange & steil. Die Gegend südlich der Dolomiten bzw. Karawanken ist allerdings eine raue und als solche jeden Winter aufs Neue unzähligen Wettersituationen ausgesetzt, die einem einwandfreien Zustand der Straßen nicht unbedingt zuträglich sind. Schnee, Eis, Unwetter, Felsstürze und allerlei mehr sind dort keine Seltenheit, dementsprechend musste auch der Super Giro mit seiner Strecke schon mehrmals ausweichen. Kein Problem, stehen doch im näheren Umkreis Alternativen zur Verfügung, die auch Hand und Fuß haben – hat da jemand „Zoncolan“ gesagt? Der Lanzenpass ist dabei so etwas wie das schwächste Glied – schon in seiner Grundauslegung als alte Militärstraße nicht gerade für den Massenverkehr dimensioniert, besteht außerdem bei Schäden, Felsstürzen und Ähnlichem bei den italienischen Behörden keine allzu große Dringlichkeit, Dinge dort schnell wieder zu richten. 2016 wurde deshalb schon einmal auf den Monte Zoncolan ausgewichen – bei wem an dieser Stelle keine Alarmglocken klingeln, der schau sich auf Youtube einmal ein paar Videos zum Monte Zoncolan an oder das Strava-Segment des Anstiegs von Ovaro aus!

Ende 2018 wurde dann noch das halbe Lesachtal bei Unwettern weggespült, die Spuren davon sind auf den Straßen bis heute sichtbar. Im Besonderen in Form einer Ersatzstraße, die vor Maria Luggau errichtet werden musste, um die Passage des Lesachtals überhaupt erst zu ermöglichen. Für das Rennen 2019 kursierten im Vorfeld daher unterschiedliche Varianten. Zuerst wurde kommuniziert, dass die „Ur-Strecke“ aufgrund von massiven Schäden am Lanzenpass nicht befahren werden kann und es wurde der Monte Zoncolan (analog zu 2016) als Ersatz auserkoren – ein Raunen und eine Mischung aus Angst und Begeisterung ging durch die Foren. Kurz darauf wurde allerdings der Zoncolan wieder von der Karte gestrichen, da auch dieser angeblich Frost- und andere Winterschäden aufweisen würde. Es wurde eine Ersatzschleife über Arta Terme und Paularo entworfen, die dann allerdings für die hartgesottenen „Höhenmeterfresser“ fast an eine Enttäuschung grenzte – so war es zumindest in vereinzelten Postings zu lesen. Andererseits war die neue Strecke mit rund 210 Kilometern und 4.800 Höhenmetern für Leute wie mich noch immer eine sehr große Nummer und angesichts eines regnerischen Frühjahrs und dadurch fehlenden Trainingskilometern nicht ganz unwillkommen!

Das Rennen!

Im Vergleich zur kürzeren Dolomitenradrundfahrt ist das Starterfeld des Super Giro Dolomiti noch etwas überschaubarer. Das hat Nachteile – die Wahrscheinlichkeit, in einer späteren Phase des Rennens noch mit einer gut funktionierenden Gruppe fahren zu können, sinkt dramatisch - aber auch Vorteile: Die Startphase ist entspannt und völlig unproblematisch. Ohne jegliche Zwischenfälle oder brenzlige Situationen rollt das Feld aus Lienz hinaus in Richtung Oberdrauburg. Die Temperaturen zum Start um 6:30 sind frisch und angenehm bei rund 13 Grad - warm genug, um die Jacke schon vor dem Start auszuziehen und auf Ärmlinge zu verzichten. Das Wetter ist ein wesentlicher Faktor – auch da gab es in den vergangenen Jahren schon alles, was der Himmel zu bieten hat. Gewitter, Wolkenbrüche, Temperaturstürze, große Hitze, Wind – die hohen Berge der (Lienzer) Dolomiten sind hier nicht zu unterschätzen, eine Nofall-Jacke mitzuführen ist grundsätzlich eine intelligente Option.

Bis Oberdrauburg gilt es, das Rennen zu genießen und in der großen Gruppe mit knapp über 40 Km/h Schnitt dahinzugleiten – es wird dieser Abschnitt der erste und letzte sein, in dem man in den Genuss eines ausgeprägten Windschattens kommt. Ab dem Gailberg – also den Bergen – wird nunmehr jede*r ihr und sein Tempo fahren, größere Gruppen werden sich keine mehr finden. Der Gailberg ist nominell keine allzu große Herausforderung, je nachdem in welchem Tempo man ihn befährt. Erfahrungsgemäß sind es ja oft die kleineren Hügel oder sogar die Flachpassagen, in denen man sich vernichtet – während alles und jeder auf die großen Prüfungen vorbereitet ist, vergisst man nur allzu oft, dazwischen mit seinen Kräften zu haushalten. Nach dem Gailberg geht es hinunter nach Kötschach-Mauthen, von hier entstammt meine Mutter – Grund genug, dort jedes Mal kurz unbestimmt in die Gegend zu winken, wenn ich vorbeifahre. Durch Kötschach geht es weiter Richtung Süden und für mich auf unbekanntes Terrain. So oft ich schon in Lienz und im Gailtal war, noch nie hat es mich hier über die Grenze verschlagen. Den Anstieg auf den Plöckenpass habe ich mir im Vorfeld auf Strava angeschaut, auch hier war nichts dabei, was mich nominell riesig erschreckt hätte. Umso mehr überraschen mich die hohen Steigungsprozente im Anstieg, die ihren Höhepunkt im stockfinsteren Tunnel vor der Passhöhe erreichen – 17%? Der Wahoo hat kein Signal mehr und jegliche Messung von Geschwindigkeit und Anstieg bleibt stehen. Ich werde nie erfahren, wie steil es dort wirklich ist, gefühlt zu steil, um gemütlich bergauf zu kurbeln. Mir schwant Böses, vielleicht waren die durchschnittlichen Steigungen auf Strava ein Ergebnis der nicht aufgezeichneten Steigungen in den Tunnels? Dann müsste ich auch meine Einschätzung über die Südseite des Plöcken erneuern, dort hat Strava überhaupt nur 4% Durchschnittssteigung ausgegeben! Aber alles zu seiner Zeit, davor gilt es noch, andere Prüfungen zu meistern.

Bei der Labe oben am Plöcken fülle ich meine Flaschen auf und richte einen Riegel her, den ich dann während der Abfahrt essen kann. Dabei hab ich ein neues System entwickelt: Ich nehme den Riegel (z.B. meinen ClifBar) aus der Verpackung und stecke nur den Riegel unter den Beinabschluss meiner Hose. Von dort kann ich jetzt Stück für Stück vom Riegel abbrechen und in Ruhe essen. Es hat mich immer gestresst, den Riegel komplett in der Hand halten zu müssen während dem Fahren, vor allem weil die ClifBars ja keine Riegel sind, die man schnell einmal kaut und hinunterschluckt. Im Vorfeld habe ich mich ja mit meiner Ernährungsberaterin Caro vorbereitet und auch für dieses Rennen ein paar Dinge ausprobiert. Die Ernährung während des Rennens war ein Teil davon, wann ich welche Riegel und Gels zu mir nehmen soll, entnehme ich vertrauensvoll dem Plan, den mir Caro noch per Mail zugeschickt hat.

Es geht vom Plöcken hinunter Richtung Paluzza, es rollt gut, der Tacho zeigt immer irgendetwas über 40 an. Habe ich die Abfahrt noch alleine begonnen, haben sich rund um mich nun noch ein paar Fahrer zusammengefunden, gemeinsam geht’s dann doch nochmal schneller und im Nu ist der südlichste Punkt der Strecke bei Arta Terme bzw. Cedarchis erreicht. Es geht sofort wieder bergauf auf eine kleine Straße, die sich den Hang entlang schmiegt und moderat aber stetig ansteigt. Der plötzlich fehlende Fahrtwind lässt mich recht unvermittelt spüren, dass es mittlerweile recht heiß geworden ist. Die Sonne strahlt am blauen Himmel, wir sind südlich der Karnischen Alpen, es hat knapp unter 30 Grad. Zu viert fahren wir die Straße entlang, das Tempo nicht sonderlich hoch, der Weg an sich nicht besonders anspruchsvoll. Ich lasse die kleine Labe aus, an die wir gemeinsam kommen – blöde Idee, wie sich später herausstellen soll. Bevor ich allerdings über die Tragweite irgendwelcher Entscheidungen nachdenken kann, beginnt eine abwechslungsreiche Zwischenabfahrt durch kleine Dörfer, vorbei an gutbesetzten Cafés, durch flowige Kurven, weiter hinein ins Tal. Paularo erscheint am Ende des Tals, der Wendepunkt der Strecke – auf der Originalstrecke würde man hier zum Lanzenpass abzweigen. Ich habe mir vor dem Rennen ein paar Abschnitte der Strecke auf Google Street View angesehen – nicht wegen irgendwelchen Details sondern um einen generellen Eindruck zu bekommen. Von Paularo ist mir in Erinnerung geblieben, dass es sehr steil zur Kirche hinauf geht, dann aber oben eine Art Hochplateau kommen soll. Wäre meine Recherche da nur mal ausführlicher gewesen… Den Stich zur Kirche von Paularo hinauf – mit seinen knapp 20% Steigung – konnte ich da noch irgendwie überwinden, dass danach allerdings kein Hochplateau sondern weitere fünf Kilometer mit rund 12% folgen würden, war fatal!

Worst comes to worst

Da war ich nun im Anstieg von Paularo nach Ligosullo. Manche jener, die sich im Vorfeld noch beschwert hatten, dass der Monte Zoncolan nicht Teil der Strecke war, sind hier wohl eines Besseren belehrt worden. Gut, der Monte Zoncolan ist noch einmal ein Kaliber ärger, aber das war mir persönlich in diesem Moment nicht einmal ein schwacher Trost. Und spätestens hier dämmerte mir auch zum ersten Mal, dass ich bis dorthin viel zu wenig getrunken UND zusätzlich auch noch die letzte Labe ausgelassen hatte - Bravo, Martin! Caro hatte mir im Vorfeld auch gesagt, ich solle viel trinken – „No na…“, aber warum mach ich es dann nicht? Die Flüssigkeitsreste aus meinen Flaschen hatte ich am Ende des Anstiegs schon längst bis auf den letzten Tropfen in mich geleert, mein Flüssigkeitshaushalt und damit auch mein Kreislauf waren an dieser Stelle allerdings schon nachhaltig beleidigt. Da half auch die Akut-Ration Extra-Wasser und Iso-Drink bei der nächsten Labe nichts mehr. Ich kenne meinen Körper mittlerweile ganz gut und weiß in den meisten Situationen, wie ich gewisse Signale zu deuten habe.

Und dann kam noch ein Punkt dazu, den ich ganz ohne Gram und Reue akzeptieren muss: ich hatte im Jahr 2019 einfach noch nicht genug Kilometer in den Beinen. Mit etwas mehr Fitness und Power wären solche Tiefs noch eher zu übertauchen gewesen, hätte ich über den schmerzenden Rücken und Nacken eher hinweggesehen, wären die noch bevorstehenden (100) Kilometer weniger respekteinflößend gewesen.

Nach der Labe in Ligosullo waren Downhill-Kilometer angesagt - immer eine willkommene Gelegenheit, sich etwas auszuruhen und oft schaut die Welt nach einer kurzen Abfahrt schon wieder ganz anders aus als wenn man gerade erst am Ende eines Anstiegs erschöpft aus dem Sattel gestiegen ist. Waren bei der Labe noch einige Leute um mich herum, war ich in der Abfahrt plötzlich mutterseelenalleine. Erste Zweifel kamen auf, ob ich denn noch auf der richtigen Strecke war – die Abfahrt war verwinkelt, die Kehren eng, bei einer der etlichen Abzweigungen hätte man schon falsch abbiegen können… Endlich kam aber wieder eines der Streckenmarkierungsschilder in den Blick und die Fahrt konnte ungehindert fortgesetzt werden – ich hätte da keinen Meter wieder bergauf zurückfahren wollen.

In Paluzza war schließlich die Bundesstraße wieder erreicht, auf der wir eine Stunde zuvor hinuntergekommen waren. „What went down, must go up“ – oder so ähnlich, die gleiche Strecke wieder hoch zu müssen, auf der man zuvor runtergefahren ist, kann eine psychische Herausforderung sein. An dieser Stelle war ich ohnehin schon eher im Sparmodus unterwegs, daher: in den ersten Gang schalten und locker den Berg raufkurbeln. Die Aussicht auf 16 Kilometer Anstieg hinauf bis zum Plöckenpass und zur nächsten (notwendigen) Labe haben mich dann allerdings gebrochen. Die Temperaturanzeige am Wahoo begann bei 30 Grad im noch halbwegs geschützten Paluzza und zeigte einen Maximalwert von 38 Grad mitten im Anstieg zum Plöcken, auf den direkt vom Süden schön die Sonne draufknallte. Auch wenn der Wahoo hier mehr Grad anzeigte, als es wirklich waren… 20 Grad mehr als beim Start wenige Stunden zuvor und meine wenig intelligente Flüssigkeitsversorgung taten das ihrige. Es dauerte gefühlt mehrere Stunden, bis ich oben am Plöcken Richtung Labe rollte. Der Entschluss, das Rennen nicht fertigzufahren, war zu diesem Zeitpunkt schon gefällt – ich hatte ja genug Zeit, im Anstieg meine Gedanken zu sortieren, Argumente abzuwägen und Optionen durchzudenken. Ich kenne das Lesachtal und weiß, welche Herausforderungen dort noch auf die Fahrer*innen warten - auch wenn ich weiterfahren hätte wollen, es wäre nicht wirklich zielführend gewesen. 1.400 Höhenmeter noch bis ins Ziel? – zu viel für mich an diesem Tag.

Oben am Plöcken reicht ein kurzer Anruf bei der Familie in Lienz und der Abholservice setzt sich dankenswerterweise in Bewegung. Die Abfahrt vom Plöcken nehme ich noch mit, quasi Ausrollen denke ich mir. Der (wirklich) schlechte Belag in der Abfahrt und die wenigen kurzen Gegensteigungen räumen die letzten Zweifel aus, ob ich nicht doch weiterfahren hätte sollen. Ich bin müde und fertig, rolle am Streckenposten in Kötschach vorbei, der mich verzweifelt auf die (richtige) Strecke zurücklotsen will.

Mein privates Taxi rollt auf den Kirchenvorplatz von Kötschach während ich auf der Mauer liege und meine Beine hochlagere. Mein Schwager ist so lieb und holt mich ab, reagiert verständnisvoll und tröstet mich mit Aussicht auf die bevorstehende Grillerei im Garten. Wobei Trost brauche ich an dieser Stelle keinen, das Rennen vorzeitig zu beenden stürzt mich weder in eine existenzialistische Krise noch lässt es mich am meiner grundsätzlichen Leistungsfähigkeit oder am Spaß des Radfahrens zweifeln.

Ursachen?

Die Ursachenforschung ist ebenso schnell erledigt bzw. hatte ich genügend Zeit, im Anstieg zum Plöcken darüber nachzudenken.

Nummer 1: Ich habe schlecht gehaushaltet. Während die feste Ernährung gut funktioniert hat, habe ich einfach nicht genug getrunken. Und da kann mir eigentlich keiner helfen, Caro kann noch so oft sagen „Viel trinken“. Man sollte sich halt auch daran halten! So reizvoll es auch ist, an Laben flott vorbeizufahren, stehenbleiben und nachfüllen stellt die bessere Lösung dar – vor allem, wenn es um die Entscheidung zwischen Gesamtrang 245 und 238 geht.

Nummer 2: Ich habe schlicht und ergreifend zu wenig Kilometer gesammelt in meinem bisherigen Jahr 2019. Egal, wo die Gründe dafür liegen und warum es sich da und dort vielleicht nicht so ausgegangen ist, wie es geplant war. Ein Rennen über 210 Kilometer mit etlichen Höhenmetern bedarf einfach eines gewissen Trainingszustands, hier habe ich das Ganze vielleicht etwas zu sehr auf die leichte Schulter genommen.

Wie geht’s weiter?

Googelt man „DNF“ kommen Ergebnisse wie „Disjunktive Normalform“, „Deutsch-Norwegische Freundschaftsgesellschaft“ oder „Duke Nukem Forever“. Leider lässt sich aus keinem dieser Akronyme ein unterhaltsamer Schlusssatz für diesen Blogpost basteln. Ich probiers einfach mal mit „Dieses Rennen Nochmal Fahren“!

Disclaimer

Die Teilnahme fand auf Einladung des Veranstalters statt, die Rennfotos wurden durch Sportograf gemacht.

Mini-Drome by citybiker.at

Dieses Wochenende stand ganz im Zeichen des ARGUS Bike Festivals am Rathausplatz in Wien!

Eines der Highlight dabei ist jedenfalls das "Mini-Drome" by citybiker.at - ein 25m langer Kreisel, in dem alleine Jagd auf die beste Zeit oder aber im Head-to-Head aufeinander Jagd gemacht wird. Spektakuläre Rennen und Spannung sind da garantiert.... :)