2022 - was nun?

Jahresrück- oder -vorausblicke sind ja eigentlich ein bisschen lästig, irgendwie auch negativ behaftet - vor allem in den letzten beiden Jahren. Und COVID nervt, in welcher Form auch immer - wobei hier natürlich reale und teils auch tragische Schicksale dahinterstecken und die Tatsache, dass derzeit keine Gruppenausfahrten möglich sind, stellen wohl eher ein Luxusproblem dar, wenn auf der anderen Seite Leute sterben…Negativ und negativ also, das macht ja bekanntlicherweise positiv. Und genauso möchte ich auch das Jahr 2022 beginnen und gleich zu einer dementsprechenden Sichtweise einladen. Man könnte die Kurve der aktuellen Infektionszahlen ja wie ein Höhendiagramm lesen, das machen wir Radlerinnen und Radler ja ohnehin regelmäßig. Über einen kleinen ersten Hügel im Frühjahr 2020, ein paar Bergwertungen höherer Kategorien während des letzten Jahres und der großen Bergprüfung („Hors Categorie“), vor der wir jetzt gerade stehen. Aber wie beim Radeln, können wir auch diese Prüfung überwinden, durch Beständigkeit und etwas Zusammenhalt. Es geht ja auch in einem Group Ride vieles einfacher als alleine.

Und natürlich macht man Pläne für das neue Jahr und für die kommenden Monate - egal, wie die derzeitige Situation gerade aussieht. Schließlich sind Pläne und Perspektiven ja etwas, woran man sich orientieren und aufbauen kann, auf die man sich freut und die dem (sportlichen) Leben etwas Struktur geben können. Kommen wir also zum Inhaltlichen, was eröffnen sich für Möglichkeiten?

Rahmenbedingungen

Klammern wir Corona einmal aus, sind wir ja noch mit weiteren Veränderungen konfrontiert. Dass diese eventuell auch indirekt mit Corona zusammenhängen oder dadurch induziert werden, ist nochmal eine andere Geschichte. 

Materialmangel

2020 und 2021 hat noch keiner genau sagen können, wie sich der Radmarkt entwickeln wird und über das steckengebliebene Containerschiff Evergreen hat man anfangs noch geschmunzelt. Händler hatten nur bedingt die Möglichkeit auf die neuen Rahmenbedingungen zu reagieren, Großhändler sind nur Mittelsmänner und Hersteller haben unterschiedliche „Strategien“ gewählt, um aus der Krise zu kommen. Nun materialisieren sich gerade die konkreten und spürbaren Auswirkungen. Einzelne Teile sind seit Monaten ausverkauft oder nicht lieferbar, von Dura Ace-Ketten kursieren erste Fälschungen und der eine oder andere Rad-Aufbau muss unverrichteter Dinge im Eck der Werkstatt dahinfristen. Dabei fehlt es ja tendenziell an Kleinigkeiten - Schrauben, Federn oder andere Kleinteile verhindern die Fertigstellung oder Produktion von Komponenten. Und auch der allseits bekannte Chipmangel wirkt sich auf die Radindustrie aus. Glücklich die bzw. der mit einem ausgestatteten Fuhrpark. Wer auf der Suche nach einem Rad ist, muss sich entweder auf Verfügbares konzentrieren, den Gebrauchtmarkt studieren oder eben Lieferzeiten in Kauf nehmen, die nicht selten 12 Monate übersteigen.

„Ride like Han“ -> Solo!

Ich war schon immer gerne und oft alleine mit dem Rad unterwegs - aber eben nicht immer. Ich genieße Gruppenausfahrten mit Vereinskolleginnen und Freunden, über Facebook-oder WhatsApp organisierte Fahrten und auch das eine oder andere „Social Event“ abseits des Sattels. Von alldem haben wir uns in den letzten Monaten zwangsweise etwas entwöhnt. Manchen fällt das schwerer als anderen. Dennoch müssen wir uns nicht im Einsiedlertum verstecken, auch das wird sich wieder ändern. Aber es ist alleine schon an der Zahl der offen ausgeschriebenen Events und Ausfahrten erkennbar, dass sich hier (leider) ein gewisser Wandel eingestellt hat.

Events und Rennen

Am spannendsten finde ich die Entwicklungen, die sich in den letzten Monaten auf der Seite der Events verfestigt haben. Ich habe hier leicht reden, bin ich doch keiner der klassischen Veranstalter, insofern möge man mir die Flapsigkeit meiner Aussagen verzeihen, stehen doch hinter jedem Event zahlreiche Menschen, Ressourcen und am Ende immer auch Existenzen. Dennoch glaube ich, dass der klassische Radmarathon seit Corona und seinen Begleiterscheinungen ein ernsthaftes Problem hat. Es ist vermutlich kein existenzielles Problem, es werden sich auch weiterhin viele Radsportlerinnen und Radsportler finden, die sich an die Startlinie eines Radmarathons oder Rennens stellen. Und es gehört vielleicht irgendwie auch zum Lebenslauf von Radfahrenden, sich das eine oder andere Mal an so einer Veranstaltung zu versuchen. Aber was im letzten Jahr an Bikepacking-, Gravel- und Individual-Events aus dem Boden gesprießt ist, zeigt in meinen Augen ganz deutlich, dass sich der ganze Bereich stark diversifiziert und aufgegliedert hat. Ganz zu schweigen von Abenteuern und Unternehmungen, die man als Einzelperson, Verein oder Freundeskreis unternimmt. Das alles gräbt klassischen Veranstaltungen das Wasser ab - manche Organisatoren haben Rezepte, auf solche Entwicklungen zu reagieren, andere eher nicht. Bei einer insgesamt wachsenden Zahl an Radsportbegeisterten sehe ich persönlich diese Entwicklung als grundsätzlich positiv, gibt es doch genug Publikum und Konsument*innen für jegliche Form von Veranstaltung. Aber ich bin sehr gespannt, wie sich die Veranstaltungsseiten a la radmarathon.at in den künftigen Monaten und Jahren entwickeln und welche Events dort aufscheinen werden.

169k in 2022

Dann bleibt noch meine persönliche Jahresvorschau…. Die war in den letzten Jahren auch immer schon ein erratischer, willkürlicher und gleichzeitig optimistischer Ausschnitt aus meiner ewig langen To-Do-Liste. Diese Liste enthält alles mögliche, was mir gefällt, was ich machen möchte, was ich interessant finde, was ich mir körperlich zutrauen kann und auch vieles, was vermutlich nie über ein Ideenstadium hinausgehen und diese Liste verlassen wird. Doch wie eingangs erwähnt, möchte ich jedenfalls optimistisch in das Jahr 2022 starten, schließlich sind Ziele etwas gutes, stabilisierendes und etwas, das Planung erlaubt (und erfordert). Und auch wenn sich Homeoffice und (Semi-)Lockdowns schon wieder einen Gutteil dieses Frühjahrs unter die Nägel zu reißen scheinen, plane ich doch munter drauf los, nach dem Motto „Viel hilft viel“ - wenn man am Ende ein paar der vorgenommenen Punkte realisieren konnte, ist es auch gut.

Konkretes?

Ich bin angemeldet für eine vermeintlich gemütliche Fahrt von Wien nach Nizza - besser bekannt als Three Peaks Bike Race. Auf der Homepage des „TPBR“ steht - für mich etwas rätselhaft -, es handle sich um ein tolles „Einsteigerevent im Ultracycling“ oder aber um eine „Vorbereitung für ein mögliches Hauptevent“. Tja, so sehr können sich Wahrnehmungen voneinander unterscheiden. Für mich wird das ein Riesen-Projekt, jedenfalls mein Hauptprojekt 2022 und auch eine ordentliche Herausforderung. Als frischgebackener zweifacher Vater möchte ich aber dennoch beweisen, dass man ein derartiges Event auch als 42-Jähriger Familienvater mit regulärem Job absolvieren kann. Soweit zumindest der Plan! 2.200 Kilometer und 35.000 Höhenmeter werden versuchen, mich daran zu hindern, aber wie gesagt: „Aim high“ :)

Und weil es dann eh schon egal ist, schweben noch das Race Around Niederösterreich und das Race Around Austria in meinem Kopf herum. Beim „RAN“ war ich schon in jeder Funktion dabei, außer als aktiver Fahrer und es wäre ein guter Probelauf bzw. eine Möglichkeit, Dinge vor dem TPBR auszuprobieren. Und beim „RAA“ im August bin ich sowieso wieder als Fotograf mit von der Partie, warum also nicht wieder einen Tag selber rund um Oberösterreich fahren. 

Und das war es dann schon im Wesentlichen mit größeren Events (außer dem King of the Lake natürlich!). Mein Jahr wird sich - ganz im Sinne der Ausführungen über Events oben - eher um individuelle Dinge drehen. Ich habe mir schon lange angewöhnt, in freien Minuten oder als Fingerübung zwischendurch, Routen zu planen oder nach Highlights und möglichen Touren Ausschau zu halten. Dementsprechend ist mein Komoot-Account mit hunderten (tatsächlich: hunderten!) Routen und Touren gefüllt. Von Historischem („Rund um Niederösterreich 1933“), über Abenteuerliches (dreitägige MTB-Umrundung des Großvenedigers) bis hin zu Radreisen in alle Himmelsrichtungen, eintägig, zweitägig, dreitägig, was auch immer. Veneto Trail, Tuscany Trail, Torino-Nizza-Rally - man kann schon erahnen, wohin die Reise geht.

Ich bin sehr gespannt und freue mich schon auf viele spannende und aufregende Kilometer im Sattel! Wir sehen uns auf der Straße!

Fotos: 169k, Race Around Austria, Sportograf, Nora Turner

Pläne für 2021? Pläne für 2021!

2020/2021

Noch nie war ein Ausblick auf das kommende Jahr schwieriger als dieses Mal - und wir reden hier einmal „nur“ vom Radfahren... Ich wollte mit meinem traditionellen Jahresausblick bis Mitte/Ende Jänner warten, da für diesen Zeitpunkt ein Ende des 3. Lockdowns vorhergesagt war. Nun schaut es nicht danach aus, als würde sich in nächster Zeit die gewünschte „neue Normalität“ einstellen. Nach dieser Logik wird sich auch nicht allzu schnell aufklaren, wie das Jahr 2021 in radsporttechnischer Sicht ablaufen wird - insofern starte ich einfach mal ins neue Jahr, komme was da wolle.

Veranstalter, Organisatoren, Fahrerinnen & Fahrer müssen zu einem gewissen Grad ja auch so tun, als würde alles (schnell) gut - sonst müsste man ja den Kopf in den Sand stecken und von Anfang an resignieren. Das wollen wir alle nicht!

Ich habe schon zum Ende des ersten Corona-Lockdowns im Mai 2020 geschrieben, welche Veränderungen das Virus mit sich bringt bzw. wie sich unser Verhalten und unsere Gewohnheiten in Bezug auf das Rad verändern könnten. Jetzt ist bald ein Jahr vergangen, seit Corona seinen Anfang genommen haben und es ist noch immer nicht klar, wohin die Reise gehen wird. Und wie das berühmt-berüchtigte „New Normal“ aussehen wird, traut sich auch keiner zu sagen. Das Mindeste wird sein, dass wir auf Group Rides künftig das Schnäuzen nach hinten verbieten werden... :)

Indoor

Glücklich wer einen Smart Trainer besitzt oder noch rechtzeitig ergattern konnte. Lockdowns, Ausgangsbeschränkungen und Social Distancing legen nahe, zuhause zu bleiben und die Trainingseinheiten auf dem Indoor Trainer zu absolvieren. Zwift und die anderen Virtual Cycling-Plattformen haben dementsprechend massiven Zulauf. Und was jetzt noch zu einem großen Teil auch den widrigen Wetterbedingungen geschuldet ist, wird uns wohl auch noch ein Stück weit in den Frühling begleiten. Glücklicherweise ist das Fahren auf der Rolle mit Zwift & Co kurzweilig und spannend - zahlreiche Rennen, organisierte Events und Serien sorgen dabei zusätzlich für Abwechslung.

Und dann ist da noch die Geschichte mit dem „e-Cycling“. Ob Zwiften jetzt e-Sports ist oder nicht, was e-Sports bedeutet (oder nicht) und ob sich ein künftiger Zwift-Weltmeister mit professionellen World of Warcraft-Spielern vergleichen muss, lasse ich jetzt einmal ausgeklammert. Fakt ist jedoch, dass e-Cycling gekommen ist, um zu bleiben. Egal ob das die WM auf Zwift ist oder die vom Radsportverband initiierte e-Cycling Liga in Österreich. Sicher sind es andere Fähigkeiten, die erfolgreiche Fahrer*innen mitbringen müssen, sicher wird e-Sports das klassische Radrennen über Kopfsteinpflaster nicht ersetzen und auch einige Dinge rund um e-Doping und technische Rahmenbedingungen sind noch nicht restlos geklärt. Aber es wäre in meinen Augen ein Fehler, sich dem Thema vollständig zu verschließen.

Handel

Ein Wort noch zu jenen, die keinen Smart Trainer mehr ergattern konnten: 2021 wird uns wohl auch im Handel vor eine bis jetzt unbekannte Situation stellen. Der Radhandel ist zwar grundsätzlich mit einem blauen Auge durch die Corona-Krise gekommen. Viele Menschen haben Bewegung und Sport für sich entdeckt, dementsprechend wurden alle verfügbaren Räder, Helme und Teile verkauft, um diese Bedürfnisse zu stillen. Dieser enormen Nachfrage steht aber insofern ein geringeres Angebot gegenüber, als auch sämtliche Hersteller (vor allem zu Beginn der Pandemie in China) ihre Produktion einstellen oder drosseln mussten. Und dieser Rückstand wurde bis heute nicht aufgeholt. Ich bin gerade dabei, dieses Thema noch genauer aufzuarbeiten (für einen eigenen Beitrag), aber im Endeffekt werden wir 2021 keine bis wenig Teile und Räder in den Läden sehen.

Events

Der klassische Radmarathon wird es wohl auch 2021 noch schwer haben, gibt es doch weiterhin zahlreiche Unwägbarkeiten, was die Durchführbarkeit von Großveranstaltungen betrifft. Der einhellige Tenor der Veranstalter ist dennoch - natürlich! -, dass man die Events wie vorgesehen plant und vorbereitet. Dazu sind die Organisatorinnen und Organisatoren zu leidenschaftlich bei der Sache, als dass sie die Zeit tatenlos verstreichen lassen würden... Wir werden daher in den nächsten Wochen und Monaten zahlreiche Termine und Einladungen zu Radmarathons und Rennen sehen - von den großartigen Rennen der Austria Top Tour über das Race Around Austria bis hin zu King of the Lake und In Velo Veritas. Und ich für meinen Teil werde auch gerne einige dieser Rennen in meinen Kalender eintragen und mich anmelden. Ich bin optimistisch, dass wir in irgendeiner Form ab Sommer doch Rennen fahren werden, ich möchte auf der anderen Seite aber auch die Veranstalter in ihrer Anstrengung unterstützen. Neben dem klassischen Wochenendevent, in dem man - Lenker an Lenker - an der Startlinie steht, werden aber auch zahlreiche Alternativen sprießen. Die Salzkammergut-Trophy hat es im Vorjahr musterschülerartig vorgemacht und ich war nur einer von sehr, sehr vielen, die die „Trophy individuell“ in Angriff genommen haben. Veranstaltungsvarianten, in denen man auf eigene Faust eine ausgeschilderte oder vielleicht gezeitete Strecke befährt, werden zwar „richtige“ Rennen nicht ersetzen können, es gibt aber auch eine große Zahl an Radlerinnen und Radlern, die genau so ein Format bevorzugen. Toll, wenn es hier in Zukunft vielleicht immer zwei Formate gibt, aus denen man das für sich passende wählen kann.

Bucket List

Aber 2020 hat noch etwas anderes gezeigt, nämlich den Trend zu selbstorganisierten Trips, dem Erkunden der näheren Umgebung und einen gewissen Hedonismus des Radfahrens. Und so habe ich für mich eine lange „Bucket List“ verfasst. Also in Gedanken hatte ich sie schon länger, aber jetzt habe ich erstmals ein paar Dinge niedergeschrieben. Deshalb hier - ohne viel Erklärung und Tam-tam - meine unvollständige, lose, unzusammenhängende und chaotische To-Do-Liste, aus der ich 2021 nach Lust und Laune wählen kann:

- Ich habe mich 2020 in die Dolomiten verliebt. 2021 werde ich wieder Richtung Cortina und Corvara aufbrechen und mich - langsam aber voll Genuss - über zahlreiche Dolomitenpässe arbeiten. Valparola, Fedaia und Pordoi - ich komme! #WaitforIT

- Mein BMC-Gravelbike hat mich im abgelaufenen Jahr über Wege und zu Orten geführt, die ich mit dem Rad nicht wirklich am Schirm oder für möglich gehalten hatte. Auf viele verrückte, hochalpine, geländegängige und abenteuerliche Gravel-Rides mehr in 2021!

- Die „Wandrer“-App hat meine Neugier geweckt, neue Regionen und Ecken zu erkunden. So habe ich beispielsweise von 4.400 Kilometern Wegenetz in Wien bereits rund 1.400 „erfahren“ und dabei neue Facetten und Gesichter meiner Heimatstadt kennengelernt. Prädikat wertvoll.

- Ich möchte beginnen, die „Monsters of Carinthia“ zu befahren, jene einsamen und steilen asphaltierten Wege zu den KELAG-Kraftwerken und -Stauseen im Kärntner Mölltal. Was Dümmeres kann ich mir zwar nicht aussuchen - 87 Kilogramm vertragen sich eben nur schwer mit 15 Prozent durchschnittlicher Steigung auf 9 Kilometern -, aber egal... Die Ausblicke sollen schön sein :)

- Dolomiti Superbike ist so etwas wie die italienische Variante der Salzkammergut Trophy - dort möchte ich einmal starten.

- Beim King of the Lake steht ein Start im Vierer-Team auf meiner Wunschliste - idealerweise mit meinen Vereinskollegen vom PBIKE-Racing Team. Die können mir vielleicht eher verzeihen, wenn sie mich auf den letzten Kilometern Richtung Ziel ziehen müssen...

- Vrsic und Mangart stehen schon länger auf meiner Bucket List, als dieser Blog existiert. Kleines Augenzwinkern an dieser Stelle an meine Verwandtschaft in Kärnten, die mir die Begleitung auf dieser Tour zugesagt hat. ;)

- Ich möchte mein Rad mitnehmen, wenn ich in Österreich unterwegs bin, eventuell einmal am Weg stehenbleiben und irgendwo eine Runde drehen. Es gibt so viele schöne Ecken und ich denke mir so oft - egal ob aus dem Zug oder dem Auto heraus: hier würde ich gerne eine Runde fahren.

- Ich möchte mehr fotografieren und filmen - auf dem Rad, neben dem Rad, Shootings, Organisiertes und Spontanes. Wer Lust und/oder Ideen hat, immer nur her damit: martin@169k.net

- Stelvio, Ventoux, Nivolet... Ach! Die Liste könnte noch ewig weitergehen...

Bleibt gesund und hoffnungsvoll! Ich freue mich auf ein weiteres tolles Jahr, denn am Ende des Tages muss man auch anerkennen, dass wir alle gemeinsam den schönsten Sport überhaupt ausüben. Alleine das sollte uns schon eine kleine Portion Glück bescheren. Ich freu mich auf viele tolle Aktionen, Events, Ausfahrten, Fotos, Videos, Podcast, Group-Rides, Workshops und auf euch! Ride On!

King of the Lake 2020

Dass ich hier am Attersee um 15:26 auf der Startrampe stehe - übrigens fast auf die Minute die gleiche Startzeit wie beim Race Around Austria ein Monat früher - ist im Jahr 2020 nichts Selbstverständliches. Und dass die Atterbiker unter der Leitung von OK-Chef Erwin Mayer alles erdenklich Mögliche in die Wege geleitet haben, um den großartigen King of the Lake nicht zum Corona-Opfer werden zu lassen, ist ihnen sehr, sehr hoch anzurechnen. Angesichts steigender Infektionszahlen und strengerer Maßnahmen war es doch eine Zitterpartie für den Veranstalter, der neben Festzelt, großen Siegerehrungen und Ziellabe auch Dinge wie die große Videowall im Zielbereich zum Opfer gefallen sind.

Dabei kommt dem King of the Lake sein ureigenstes Konzept zugute, das ihn auch weltweit so einmalig macht - das Einzelzeitfahren, mit Betonung auf ein coronafreundliches “Einzel”! Alleine schon die Abstandsregeln beim Überholen und das strikte Windschattenverbot implizieren einen infektionsmindernden Mindestabstand zwischen den Teilnehmenden.

Außer der gestaffelten Abholung der Startunterlagen, den strengen Zutrittskontrollen zum Startbereich und dem fehlenden Sich-gegenseitig-vor-dem-Start-wahnsinnig-machen ist alles beim Alten. Der See ist noch immer wunderschön, das Wetter - jetzt schon ein fast bedrohliche Strähne lang - schön, die Straße um den See für den Verkehr gesperrt. Und auch der Reiz der 47,2 Kilometer langen Strecke, den eigenen FTP-Wert auf seinen Realitätsgehalt zu überprüfen ist noch immer da. Fast 1.400 Starterinnen und Starter sind auf der Nennliste angeführt, erstmals dabei ist zum zehnjährigen Jubiläum des “KOTL” eine Kategorie für 10er-Staffeln.

Reduziert aufs Maximum

Es ist der KOTL an sich schon eine reduzierte Sache - im Sinne des einsamen Kampfes, der klaren Aufgabenstellung und der Tatsache, dass es nicht wirklich Ausreden und Ausflüchte gibt. Unter dem Corona-Regime ist das Konzept noch einmal gestraffter. Man geht zum Start, kämpft sich um den See, schnappt nach der Ziellinie kurz nach Atem und fährt wieder vom Start-/Zielbereich weg. Das mag einsam und unromantisch klingen, ist es aber in keinster Weise, vielmehr spiegelt es ganz gut den Kampf gegen sich selbst wider, den man beim KOTL zu führen hat.

Man trifft sich danach ohnehin mit seinen Freunden, Kollegen oder Partnern, spricht über das Geschehene, vergleicht die Leistungen und denkt darüber nach, was man vielleicht noch anders hätte machen können. Gut, im Festzelt ginge das in größerer Runde, zwangloser und feucht-fröhlicher. Aber aus meiner Sicht ist es absolut verkraftbar, in diesem Jahr auf das Zelt zu verzichten, wenn das heißen würde, dass es den KOTL sonst gar nicht geben würde.

Das Rennen

Die bekanntermaßen flachere und einfachere erste Hälfte der Strecke lädt zum Über-Pacen ein. Man fühlt sich noch frisch, der Wind unterstützt zumeist etwas und man fühlt sich an, als würde man die Welt niederreißen. Nach 20 Kilometern ist man am Südende des Sees angelangt und die kleinen Hügel beginnen, zuerst harmlos und zum Drüberrollen, dann mit der Umfahrung Unterach der erste “richtige” Anstieg. Spätestens hier bekommt man dann zum ersten Mal eine Indikation, wie der Körper an diesem Tag wirklich tickt. Und es befällt einen die erste Ahnung, dass die restlichen 20 Kilometer wohl nicht die angenehmsten des Tages werden dürften. Direkt am Ufer fährt man den See entlang, der Wind kommt nun von schräg vorne - die Straße ändert ständig die Richtung, der Wind ebenso.

In Parschallen wartet die aus meiner Sicht schwerste Prüfung des gesamten Kurses, die zuerst noch schmierend ansteigende Straße endet in einem kurzen Stich hinauf in den Ort. Für mich ist das jedes Jahr der größte Rhythmusbrecher und so etwas wie der Anfang vom Ende. Zell, Nussdorf, Altenberg, Attersee und Unterbuchberg vollstrecken dann eigentlich nur noch, was zuvor schon begonnen hat. Es sind keine langen Anstiege sondern vielmehr kleinste und kleine Rampen, schmierende Abschnitte, die hier sukzessive und nachhaltig alles aus den Beinen ziehen, was da eventuell noch vorhanden wäre.

Und während ich auf den ersten 30 Kilometern des Rennens gefühlt noch ganz gut dabei war, sinken meine Wattzahlen und meine Durchschnittsgeschwindigkeit mit beeindruckender Konsequenz und Schnelligkeit nach unten. Das langsame Sterben manifestiert sich auch an den immer zahlreicheren Fahrerinnen und Fahrern, die an mir vorbeirauschen - wer hier noch fest aufs Pedal drückt, hat entweder sehr gut trainiert oder sich das Ganze auch um einiges besser eingeteilt. Oder beides.

In Buchberg wartet noch der berüchtigte Stich mit 13%, der zwar nominell abschreckt, wenn man aber mit einem gewissen Tempo dorthinkommt, kann man sich mit einigen festen Tritten recht souverän über den Hügel retten. Danach ist man gefühlt schon fast im Ziel, muss nur noch beim Hotel Attersee bei der Einfahrt nach Seewalchen Fassung bewahren und danach ins Ziel hinunterrollen. Die gut verteilt stehenden Zuschauer*innen sorgen dafür, dass man auf den letzten Metern noch einmal in den Oberschenkeln nach ein paar Watt sucht und dann ist es auch schon wieder vorbei.

Wunden lecken?

1:17:39 sind 40 Sekunden langsamer als meine Zeit von 2019. Letztes Jahr hatte ich weniger Jahreskilometer in den Beinen, war generell etwas schlechter drauf und hatte auch mehr Probleme mit der Position am Zeitfahrer. Insofern bin ich mit meiner 2020er-Zeit nur bedingt zufrieden oder hätte mir eigentlich eine Verbesserung erwartet. Ausreden hätte ich genug bzw. hab ich mir die schon haufenweise während der letzten Kilometer des Rennens zurechtgelegt: Zu viele Ausdauer-Kilometer fürs Race Around Austria trainiert, stressige zwei Wochen vor dem Rennen gehabt, zu wenig gegessen vor dem Start und natürlich immer der Wind (diesmal nicht - wie gewohnt - recht gerade aus dem Norden sondern seltsam schräg und etwas drehend).

Aber eigentlich brauche ich gar keine Ausrede. Ich bin sehr froh, dass der King of the Lake 2020 überhaupt stattgefunden hat und schätze das Engagement und das Durchhaltevermögen des Veranstalters sehr, sehr hoch! Ob es für mich am Ende der 455. Platz ist oder der 369. oder der 214. ist nebensächlich. Ich möchte - wie immer - mit mir selbst zufrieden sein und wenn man weiß, was man (theoretisch) noch besser machen könnte, kann man auch leichter damit umgehen. Ob man die Lust und Energie hat, diese theoretischen Potentiale auch zu heben, ist Geschmackssache.

Diejenigen, die sich mit solchen profanen Fragen nicht auseinandersetzen (müssen), waren auch dieses Jahr wieder schnell und sehr schnell unterwegs. Kurz vor Renn-Ende sah es schon danach aus, als würden alle Kings und Queens des Vorjahres ihre Kronen behalten dürfen, bis ganz am Ende dann mit Tobias Häckl ein neues Gesicht ganz oben stehen durfte.

2021?

Wie es mit Corona weitergeht, wissen wir alle noch nicht. Dass ich bei einem King of the Lake 2021 wieder am Start stehen möchte, weiß ich jedoch mit absoluter Sicherheit! Und jetzt wo die Race Around Austria Challenge von meiner Bucket List gestrichen ist, entsteht plötzlich Raum für etwas Neues - vielleicht ein paar mehr Stunden auf dem Zeitfahrer und etwas zielgerichtetes Training auf die Stundenbelastung? Wer weiß… ;)

Disclaimer

Die Teilnahme erfolgte auf Einladung des Veranstalters.

Fotos: Eigene und Sportograf

Die Fotos, die ich vor und nach meinem Rennen gemacht habe, sind auf der Facebook-Seite von 169k in einem Album gesammelt!

Ortlieb Bikepacking Taschen

Was haben meine Festive 500, die Bikepacking-Tour durch Österreich und die Race Around Austria Challenge Unsupported miteinander zu tun? Ja - lange Distanzen, Anstrengung und eine kleine Portion Masochismus. Aber auch die Bikepacking-Taschen von Ortlieb.

Begonnen hat es damit, dass ich für die Festive 500 im Winter ein "Notfallpaket" mit dabei haben wollte, das die Kapazitäten meiner Trikottaschen jedenfalls gesprengt hätte. Bei Pbike - dem Shop meines Vertrauens - war schnell eine Ortlieb Framebag besorgt und schon nach der ersten Ausfahrt war ich in das Teil verliebt - einfach anzubringen, wasserfest, robust und praktisch. In der Eiseskälte Osttirols waren im Frame-Pack immer Ersatzkleidung, Essen und Werkzeug dabei. Ich, der ich normalerweise ohne Taschen am Rad auskomme und über mehrere Jahre eine ausgeklügelte Raumaufteilungsstrategie für meine Trikottaschen entwickelt habe, war überrascht über die neue Freiheit, nichts am Rücken tragen zu müssen, alles dabei haben zu können und dabei auf nichts zu verzichten.

Mit der Umplanung des Jahres 2020 infolge der Corona-Pandemie ist bei mir dann - wie bei so vielen anderen auch - Bikepacking als wunderbare Alternative aufgekommen. Es war schon lange auf meiner To-Do-Liste aber Wochenenden während des Sommers waren schon in den vergangenen Jahren meistens immer für Events, Rundfahrten oder Marathons "blockiert". Für meinen Bikepacking-Ausflug hat die Ortlieb-Rahmentasche dann auch entsprechend Zuwachs bekommen - eine Satteltasche, die Lenkerrolle plus zusätzlicher Add-On-Tasche und die kleine Oberrohr-Tasche. Vollgepackt war ich damit durch Österreich unterwegs - während ich wetterbedingt nicht meine ganze Ausrüstung zum Einsatz bringen konnte (und damit wohl auf einiges an Gepäck verzichten hätte können...), so war der Regen zumindest dafür gut, die Wetterbeständigkeit der Taschen zu erproben!

Und letztendlich noch die Race Around Austria Challenge, bei der ich ebenfalls mit Rahmen- und Oberrohrtasche unterwegs war. Nach langem Hin- und Herüberlegen war das für mich die ideale Kombination. 

Foto: Race Around Austria

Die Ortlieb Taschen im Detail

Frame-Pack Toptube

Für mich das Herzstück des Setups ist die Rahmentasche. Diese wird unter dem Oberrohr ins Rahmendreieck gespannt, steht damit nicht im Wind und stört auch sonst in keinerlei Weise. Das Volumen gibt Ortlieb mit vier Litern an, tatsächlich passt recht viel hinein: Werkzeug, Schlauch, Regenjacke, Baselayer, Riegel und Gels, Wertsachen-Beutel oder aber auch sechs Flaschen Ensure-Flüssignahrung! ;)

Zu beachten ist, wie man die Tasche packt bzw. was man wohin steckt. Die Tasche besitzt keine Innenaufteilung oder innenliegende Fächer. Wirft man daher alles nur wahllos hinein, besteht die Gefahr von Klumpenbildung und die wiederum kann die Tasche so ausbeulen, dass man im schlimmsten Fall mit den Oberschenkeln daran streift. Aber es ist keine Wissenschaft… - einfach die Dinge zusammenrollen, überlegt verstauen und etwas Tetris-Skills anwenden, dann passt das alles gut!

Der Reissverschluss ist - zumnidest bei meinem Modell - schwergängig, ein irrtümliches Öffnen ist ausgeschlossen. Umgekehrt empfiehlt es sich jedenfalls stehenzubleiben, wenn man etwas aus der Tasche braucht - eine Bedienung während der Fahrt habe ich ausprobiert, empfehlen kann ich sie aber nur bedingt.

Die Befestigung im Rahmendreieck erfolgt einfach mittels Klettverschlüssen - drei am Oberrohr, jeweils ein zusätzlicher nach vorne zum Steuerrohr und einer nach hinten. Damit kann man alles auf so gut wie jeden Rahmen einstellen, einzig der vordere Klettverschluss wird etwas kurz, wenn - wie bei modernen Karbonrahmen mittlerweile üblich - ein sehr dickes Steuerrohr verbaut ist. Genauer hinsehen sollte man bei kleineren Rahmen. Hier kann es sein, dass sich bei montierter Rahmentasche keine oder nur noch eine Trinkflasche ausgeht. Kalkuliert man das von Beginn an ein, lohnt sich vielleicht eher ein alternatives Trinksystem - dann kann man auch gleich zur Rahmentasche greifen, die das gesamte Rahmendreieck ausfüllt.

Wie für alle anderen Produkte aus der Ortlieb-Bikepacking-Serie gilt, dass die Tasche wasserdicht ist - die Nähte sind versiegelt, das Außenmaterial abweisend. Schlaues Detail ist ein kleines Loch am Ende des Reissverschlusses, durch das man beispielsweise das Kabel des Lampen-Akkus stecken kann. Und der Griff des Reissverschlusses wird in einer passenden Lasche verstaut, so baumelt dieser während der Fahrt nicht herum oder kommt dem Oberschenkel in die Quere.

Handlebar-Pack

Die Lenkerrolle gibt es mit 9 oder 15 Litern Volumen. Wer mit dem Rennrad oder Gravel-Bike unterwegs ist, wird sich für die kleinere entscheiden (müssen), denn nur diese passt zwischen einen Rennrad- oder Gravellenker. Auch hier geht die Montage leicht von der Hand. Klett- und zusätzliche Klick-Verschlüsse werden am Oberlenker angebracht, für extra Halt sorgt ein Band um das Steuerrohr. Im Lieferumfang enthalten ist außerdem ein kleiner Spacer aus Schaumstoff, der die Tasche vom Steuerrohr fernhält und so Kontaktpunkte und Reibung mit dem Rahmen reduziert. Befestigt man Lenkerrolle und Rahmentasche gleichzeitig, muss man darauf achten, dass sich die beiden Bänder ums Steuerrohr nicht in die Quere kommen bzw. überlegen, welche Tasche man unterwegs eventuell vom Rad abnehmen möchte, sodass man nicht jedesmal von Neuem die Befestigungen übereinander schlichten oder auseinander dividieren muss :)

Die neun Liter Volumen reichen für eine kompakte Isomatte und einen Schlafsack, die man eingerollt leicht in der Tasche unterbringen kann. Alternativ kann man natürlich auch Gewand dort unterbringen, alles was gut “stopfbar” ist. Beim Packen und Verschließen sollte man darauf achten, dass man zum Unterlenker hin noch etwas Platz lässt, damit man dort auch den Lenker gut greifen kann. Bei (Gravel-)Lenkern mit Flare ist das weniger ein Thema. Dort funktioniert auch das Aus- und Einpacken der Tasche besser wenn diese noch am Rad montiert ist. Bei einem konventionellen Rennradlenker muss man die Tasche in der Regel abnehmen um sie auszuräumen, da man die seitlichen Verschlüsse sonst nicht ausrollen kann.

Auch hier ist die Tasche absolut wasserdicht, die Roll-Verschlüsse an beiden Seiten sind abgedichtet und alles was in der Tasche ist, bleibt gut geschützt. Wer mit einer Lenkerrolle unterwegs ist, muss sich natürlich darüber im Klaren sein, dass diese “im Wind steht”, und zwar richtig. Der Luftwiderstand des Systems wird merklich erhöht.

Accessory-Pack

Wem der Luftwiderstand eh schon egal ist und noch zusätzlichen Stauraum benötigt, kann an der Lenkerrolle noch eine Zusatztasche anbringen. Diese ist mit den integrierten Ösen und Haken kinderleicht und schnell montiert (und unterwegs auch wieder abgenommen). Die Zusatztasche eignet sich daher sehr gut für jene Dinge, die man eher schneller zur Hand oder immer bei sich haben möchte.

Der Verschluss der Tasche erfolgt mit einem zentralen Gurt in der Mitte der Tasche. Das ist einfach in der Handhabung, erfodert aber viel Sorgfalt beim Einrollen des Obermaterials - bei mir waren fast immer unschöne Ecken vorhanden, die dann nach oben wegstehen. Ehrlicherweise habe ich das aber bis dato nur im Stehen ausprobiert - für meine Touren war die Tasche bis jetzt noch nicht im Einsatz, weil ich den zusätzlichen Stauraum nicht gebraucht habe.

Seat-Pack

Die klassische Satteltasche gibt es ebenfalls in zwei Größen: 11 oder 16,5 Liter, wobei die größere zwei (statt einem) Befestigungsgurte hat und zusätzlich elastische Gummizüge an der Oberseite, um zum Beispiel leichte Schlapfen oder Flip-Flops zu befestigen. Ich persönlich bin ja kein Freund von allzu großen und weit ausladenden Satteltaschen, weil diese beim Fahren und vor allem im Wiegetritt zum Schwanken neigen. Für mich reicht daher das kleinere Modell mit elf Litern aus, wobei das schon eine beträchtliche Menge ist und die Tasche mit den diversen Gurten sehr gut anpassbar ist auf die jeweilige Beladung. Benötigt man nur den halben Stauraum, zurrt man die Tasche einfach auf die halbe Größe zusammen. Besonders schlau finde ich den verschließbaren Luftauslass an der Oberseite - diesen öffnet man vor dem Packen, dann räumt man seine Habseligkeiten in die Tasche, verschließt sie, drückt noch einmal alles fest zusammen und hört zu, wie die Luft aus dem Ventil entweicht. Auf diese Weise erhält man eine kompakte Satteltasche, die eben möglichst klein baut und dadurch nicht unnötig Schwungmasse aufbauen kann.

Der Verschluss wird eingerollt und zugeklippt, dadurch ist auch dieses System wasserdicht. Reflektoren an der Rückseite bieten zusätzliche Sicherheit und an den Schlaufen an der Rückseite lässt sich ein Licht montieren.

Cockpit-Pack

Am vielseitigsten und alltagstauglichsten wäre prinzipiell die kleine Oberrohrtasche namens “Cockpit-Pack”, leider ist diese aber auch der schwächste Teil der Serie (ausgehend von einem hohen Niveau allerdings). Zwei Dinge stören mich an der kleinen Tasche, die an sich ein perfekter Begleiter wäre - wasserdicht, kompakt und griffbereit. Zum einen ist da die Befestigung, die nicht so optimal funktioniert wie bei den anderen Taschen. Ein Klettverschluss um das Oberrohr sowie ein weiterer um das Lenkrohr bzw. die Spacer unterm Vorbau sollen die Oberrohrtasche an ihrem Platz halten. In der Praxis war der feste Halt allerdings nicht immer gewährleistet - nicht dass die Tasche runterfallen würde sondern dass sie leicht schief stand oder etwas zur Seite kippte. Das ist dann auch tatsächlich deswegen ein Problem (und das ist der zweite Punkt). weil die Tasche durch ihre Form sehr breit ist und bei einer leichten Schrägstellung dann die Oberschenkel die Tasche berühren. Das kann beim Fahren stören - bei meiner Österreich-Runde war das beispielsweise im Wiegetritt der Fall, weil ich dabei das Rad seitlich hin und her bewege. Was die Befestigung betrifft, so hätte mein Gravel-Bike am Oberrohr sogar zwei Schrauben, an denen man noch Zubehör montieren könnte, aber offenbar gibt es hier in der Industrie noch keine Verständigung auf eine gemeinsame Vorgehensweise - vielleicht werden wir hier für bestimmte Segmente in naher Zukunft einen Standard sehen.

Die Tasche selbst ist in Bezug auf Qualität und Verarbeitung einwandfrei - wasserdicht, mit einer hohen Gummilippe am Verschluss und einem Reissverschluss, der auch während der Fahrt bedient werden kann. Ein iPhone passt mit Ach und Krach gerade noch hinein, Riegel, Gels und Kreditkartenetui und dergleichen aber jedenfalls sehr gut. Bei meinen Erkundungen waren dort außerdem diverse kleine Kabel und Adapter verstaut, die ich gegebenenfalls schnell bei der Hand haben wollte und die ich nicht endlos in den Untiefen der größeren Taschen suchen wollte.

Einen Vielseitigkeits-Sonderpreis verdient das Cockpit-Pack für die Möglichkeit, auch als Satteltasche verwendet werden zu können. Bei einem Mountainbike-Urlaub in Osttirol hatte ich keinen Flaschenhalter am Rad (nicht fragen warum…), die Flasche wandete kurzerhand in die Trikottasche, das Werkzeug und die Jacke von ebendort direkt in die unter dem Sattel montierte Oberrohrtasche. Michael von Starbike ist mit diesem Setup sogar sein Race Around Austria so angegangen.

Meine Erfahrungen und was ich wofür verwende

Jede*r packt anders und das ist auch gut so, ist es doch auch eine recht individuelle Sache. Ich für meinen Teil richte mich natürlich nach der Herausforderung und dem Projekt. Als erstes schnalle ich die Rahmentasche aufs Rad, danach zusätzlich die Oberrohrtasche. Das ist für mich ein Setup, das das Verhalten meines Rades nicht bis wenig beeinflusst. und dabei kann man trotzdem das Wichtigste mit sich führen. Schließlich bin ich so auch meine Race Around Austria Challenge gefahren. Danach schnalle ich die Rahmentasche auf die Sattelstütze, diese bietet viel zusätzlichen Stauraum und durch die flexibel Größe auch eine gute Variabilität. Erst wenn die Satteltasche voll oder zu schwer wird, würde ich zur Lenkerrolle greifen. Bei der Lenkertasche ist der zusätzliche Luftwiderstand doch so spürbar, dass ich diese erst als “last resort” verwenden würde.

Was man wo hineinpackt, auch darüber lässt sich vortrefflich diskutieren und es wird auch hier individuelle Vorlieben geben. Eine gemeinsame Sichtweise ist aber insoweit vorhanden, als man üblicherweise schwere(re) Dinge in die Rahmentasche packt, Schlafsack und Isomatte in die Lenkerrolle und Gewand in die Satteltasche. Wertsachen sind üblicherweise in einer Oberrohr- oder Zusatztasche gut aufgehoben.

Bei meinen Touren mit den Ortlieb-Taschen war das Wetter jeweils recht “bescheiden”, von daher kann ich jedenfalls die Wasserfestigkeit der Produkte bescheinigen. Bei der Oberrohrtasche bürge ich auch für eine Wasserdichtheit, wobei diese weniger vom Wetter selbst auf die Probe gestellt wurde sondern eher durch sturzbachartige Schweißströme von meinem Kopf und Oberkörper.

Die Qualität ist hervorragend und die Verarbeitung einwandfrei. Nichts ist unsauber vernäht, nichts steht weg oder ist im Weg. Die Montage ist eigentlich selbsterklärend, bei jedem Gurt und Klettverschluss ist klar, was dieser zu tun hat und wo dieser hingehört. Hängt man sich allerdings alle Taschen zugleich ans Rad, kann es schon einmal recht eng werden - da sollte man sich kurz Gedanken machen, in welcher Reihenfolge man was montiert und wo jeder Gurt am Ende liegen wird. Besondern rund ums Steuerrohr sammeln sich dann eine Vielzahl von Gurten und Verschlüssen. Auch die Positionierung von Radcomputer und Lichtern will überlegt sein - so ist logischerweise die Lenkerrolle jeder Lichthalterung unter dem Vorbau oder unter dem Computer-Mount im Weg.

Recht viele Gurte und Klettverschlüsse :)

Ortlieb liefert zu den Taschen auch diverse Ersatz- und Zusatzgurte mit. So kann man notfalls auch eine improvisierte Halterung oder Befestigung basteln. Umgekehrt sind die vorhandenen Gurte (vor allem an Lenkerrolle und Satteltasche) teilweise recht lang, sodass stellenweise nicht mehr ganz klar ist wo diese hingehören oder verstaut werden sollen. Das letzte was man möchte, sind schlackernde Gurte oder am Ende sogar Dinge, die sich in den Laufrädern verfangen können.

Ebenfalls ein Thema sind empfindliche Karbonrahmen, die eventuell durch die Befestigungsgurte der Taschen abgenützt oder sogar beschädigt werden könnten. Ortlieb selbst gibt an, dass die eigenen Produkte auch für Karbonrahmen und -sattelstützen geeignet sind. Ich selbst konnte an meinen Rädern keinerlei Abnützung oder Spuren entdecken. Die Klettverschlüsse und Gurte haben in der Regel eine “weiche” Seite, im Normalfall wendet man diese dem Rahmen zu und nicht den aufgerauhten Klettverschluss. Wer hier auf Nummer sicher gehen möchte, kann unter den Befestigungen noch transparente Kleber anbringen, dann kommt der Rahmen gar nicht mehr mit den Taschen in Berührung.

Im “täglichen” Gebrauch wird vor allem die Rahmentasche für mich eine tolle Erweiterung bleiben, sobald das mitgeführte Gepäck die Kapazität der Trikottaschen übersteigt. Satteltasche und Lenkerrolle werden mich hingegen nur auf ausgedehnten Touren begleiten. Und von denen hab ich noch einige vor - bin ich doch gerade erst auf den Geschmack gekommen… ;)

Disclaimer

Handlebar-Pack, Accessory-Pack, Seat-Pack und Cockpit-Pack wurden mir von Ortlieb für diesen Test zur Verfügung gestellt.

Race Around Austria Challenge Unsupported

01:30 Uhr ist keine gute Zeit für wohlüberlegte Entscheidungen - vor allem wenn man schon seit zehn Stunden im Sattel sitzt, noch 330 Kilometer bis zur Ziellinie fehlen und man in einem Wartehäuschen einer Busstation liegt und darauf wartet, dass sich der Kreislauf erfängt... Doch wie ist es soweit gekommen??

# Prolog

Nach drei Jahren des Fotografierens beim Race Around Austria war 2020 das Jahr der Teilnahme - irgendwann kommt man einfach nicht mehr aus. Und die neue Kategorie "Unsupported" war genau der richtige letzte Anreiz für eine Teilnahme - kein Team, das man organisieren muss, kein Auto, das man mieten muss, keine Verpflichtungen anderen gegenüber.

Ich weiß nicht genau, ob man meine Vorbereitung auch so nennen kann. Ich habe versucht, zwischen Corona, Homeoffice und Familie möglichst viel Zeit im Sattel zu verbringen. Das war in meinen Augen wichtiger und sinnvoller als ein strukturierter Trainingsplan, der wohl nicht so gut mit meiner (zwangsläufig) spontanen Zeitplanung funktioniert hätte. Bis zum RAA sind es dann doch rund 6.000 Kilometer geworden - ein Wert, der mich grundsätzlich recht optimistisch auf den August zugehen hat lassen. Zwei Dinge konnte ich nicht wie geplant oder gewünscht umsetzen: Ich wollte mehr lange Ausfahrten machen, um mich und meinen Körper an längere Belastungen zu gewöhnen - geworden ist es dann nur eine richtig lange Ausfahrt, der 300er nach Mariazell. Ebenfalls nicht ausprobieren konnte ich längere Nachtfahrten - sowohl als Test für meine Lampen und deren Akkus als auch für mich in psychologischer Hinsicht.

Ausreichend (oder wahrscheinlich zu viel) habe ich in Gedanken über mein Equipment investiert. Das Streckenstudium auf diversen Karten hat mir viel Spaß gemacht und war fast so gut wie eine echte Probefahrt (auch wenn man natürlich kein richtiges Gefühl für die Route bekommt...). Auch in Detailfragen wie Akkulaufzeiten, Kalorienbilanzen, Taschenvolumen und Pack-Varianten hab ich mich mit großer Freude vertieft, einiges vermutlich schon "zer-dacht" und da und dort über das Ziel hinausgeschossen.

Am Ende kommt das Event dann schnell näher und näher und so richtig bereit wird man nie sein... Die Ungeduld, endlich losfahren zu können und nicht mehr an dieses oder jenes denken zu müssen hat die letzten zwei Wochen vor dem Rennen überwogen. Dass ich die ersten beiden Tage der RAA-Woche noch die anderen Teilnehmer fotografieren konnte, war als Ablenkung durchaus willkommen und hilfreich. Mit Nora und ihrem Team und Michael, der wie ich in der Unsupported-Kategorie am Start stand, konnte man sich außerdem noch vortrefflich die Stunden vor dem Rennen schön gestalten. Die Stimmung war zwischen Vorfreude und Begeisterung bis hin zum gegenseitigen "Anstacheln" wie es früher in der Schule vor wichtigen Schularbeiten üblich war.

# I: St. Georgen - Schärding

Um 15:28 am Mittwoch sind alle diese Gedanken und Unsicherheiten wie verflogen. Moderator und Freund Oliver schickt mich mit motivierenden Worten die Startrampe hinunter und schon nach den ersten Metern durch St. Georgen ist man plötzlich ganz alleine, tritt beständig in die Pedale und es ist schlicht und ergreifend nicht greifbar, was da nun vor einem liegt. 560 Kilometer und 6000+ Höhenmeter sind eine Kategorie, die so einfach nicht fassbar ist, wenn man zuvor noch nie solche Distanzen zurückgelegt hat. 300 sind mittlerweile eine Kategorie, an der sich viele abgearbeitet haben. Aber sind 560 nun so wie 300 nur etwas länger? Kommt man in einen Flowzustand und die Kilometer verfliegen nur so? Oder sind 560 einfach fast doppelt so viel wie 300 und es wird einfach eine einzige große Quälerei?

Die ersten 100 Kilometer des Rennen führen durch das relativ flache Innviertel, das Terrain liegt mir - dennoch bin ich etwas überrascht, dass beim ersten Stop bei einer Tankstelle bei Suben ein 30er-Schnitt auf meinem Tacho aufscheint. Verbunden mit den heißen Temperaturen des späten Nachmittags dräut mir, dass das eventuell ein zu schneller und zu ressourcenraubender Start ins Rennen war.

# II: Sauwald (Schärding - Passau)

Aus Schärding klettert man kurz über eine 16%-Rampe die Stadt hinaus, nach 100 Kilometern des Drückens im Sitzen sind die ersten Höhenmeter fast eine Erleichterung. Es ist ca. 19:30 und ich radle in einen wunderbaren Sonnenuntergang, die Felder rechts und links von mir scheinen golden und es wirkt wie eine schöne, lange Ausfahrt, die gemütlich in den Abend hineinführt. Kurz vor Schardenberg treffe ich auf Sylvia aus dem Wiener Verein Mitzi and Friends, die mit Familie am Straßenrand steht und alle Fahrerinnen und Fahrer anfeuert - das gibt Kraft und wird nur der erste von vielen Momenten sein, in dem man Energie aus großartigen Anfeuerungen erhält. Die Abfahrt Richtung Passau - hinunter zur Donau - fließt dahin und flott bin ich bei Kilometer 130 angelangt.

# III: Passau - Niederranna

Es folgen 30 Kilometer entlang der Donau, die Szenerie - obwohl landschaftlich sehr ansprechend - wird eintöniger: links Donau, rechts Wald. Die Sonne zeichnet sich mittlerweile nur noch als dunkelroter Streifen am Horizont hinter mir ab, ansonsten senkt sich jetzt die Nacht über mich. Seit 20:00 gelten die Nachtregeln des Rennens, das bedeutet, dass vorne und hinten am Rad die Lichter eingeschaltet sein müssen. Und während die Fahrer mit Betreuerfahrzeug im Scheinwerferlicht desselben unterwegs sind, müssen die Lampen der Unsupported-Fahrer*innen so stark sein, dass sie ein gefahrloses Vorankommen auch in der finstersten Nacht ermöglichen (entsprechende Akkukapazitäten inklusive).

Um 21:00 erreiche ich die Donaubrücke bei Niederranna, die das Ende der flachen Kilometer markiert und den Beginn des berühmt-berüchtigten Mühlviertels. "Ende" ist auch ein Stichwort, das mein Körper sich denkt. Als Familienvater habe ich mich in den letzten zwei Jahren an eher frühes Schlafengehen gewöhnt, dementsprechend zeigt mein Körper recht wenig Bereitschaft, weiterhin vollen Betrieb zu ermöglichen.

# IV: Mühlviertel (Niederranna - Ulrichsberg)

Müde und mit einem von den hohen Temperaturen zu Beginn des Rennens ermatteten Kreislauf kurble ich die erste größere Steigung des Rennens hinauf - rund vier Kilometer direkt von der Donau hinauf in ein Dorf namens "Dorf". Oben angekommen brauche ich erst einmal eine Pause, irgendwie hat die Akklimatisierung an Nacht und frischere Temperaturen noch nicht funktioniert. Ich setze mich zu einer Busstation, entspanne meinen Rücken, trinke ein Ensure und beobachte die Challenge-Fahrer*innen, die in der Deckung ihrer Betreuerfahrzeuge an mir vorbeirollen. Ich habe übrigens zu keinem Zeitpunkt - auch später im Rennen - nie den Eindruck, "überholt" zu werden wenn jemand an mir vorbeifährt. Vielmehr ist es ein Miteinander, ein gemeinsames Bewältigen dieser Prüfung, man sitzt auf gewisse Art und Weise im gleichen Boot.

Die Landschaft des Mühlviertels und dessen Schönheit kenne ich von früher - jetzt ist alles was ich sehe, der Lichtkegel meiner Lupine Piko und weiter als 10-20 Meter reicht der auf höchster Stufe auch nicht. Aus der Finsternis rechts und links von mir tönt jedoch immer wieder spontanes Klatschen oder Johlen. Und dann sind da noch die Fan-Zonen: Von der Stimmung in Julbach hat man schon vor dem Start gehört, dass jedoch in so gut wie jedem Ort auf dem Weg dahin auch schon Menschen auf den Straßen stehen und alles und jeden anfeuern, was dort vorbeikommt, darauf war ich keinesfalls vorbereitet. Anfeuerungen, Musik, Klatschen, Rattern, Jugendliche, die über hunderte Meter mitlaufen - das alles verleiht einem vielleicht keine Superkräfte aber es hilft enorm, die schwierigen Stunden in der Nacht leichter absolvieren zu können. Wie soll man stehenbleiben oder schlappmachen, wenn alle 500 Meter jemand steht, der sich für einen die Seele aus dem Leib brüllt...

Nach harten 35 Kilometern ständigen Auf und Abs (ständig!), ist Ulrichsberg erreicht, die erste Timestation des Rennens und mit knapp 200 Kilometern ist zumindest schon ein gutes Drittel absolviert.

# V: Ulrichsberg - Vorderweißenbach

Die Strecke von Ulrichsberg bis Vorderweißenbach bin ich - etwas abgeändert und großteils in die andere Richtung - schon einmal gefahren aber mitten in der Nacht bringt einem die vermeintliche Streckenkenntnis nicht wirklich viel. Und haben die Fans im Mühlviertel noch für Zerstreuung und Kurzweil gesorgt, ist man nun endgültig alleine mit dem Geräusch der Wildwarnvorrichtungen an den seitlichen Fahrbahnbegrenzern, die einen mit einem freundlichen Piepsen begrüßen, sobald der Lichtstrahl auf die Sensoren fällt. Seit Beginn des Mühlviertels hat sich mein Kreislauf nicht wirklich erfangen und dass ich um diese Zeit sonst üblicherweise sanft vor mich hin schlummere, macht die Situation nicht besser. Die Essensaufnahme wird zunehmend schwieriger - ein Thema, auf das ich besonderen Wert legen wollte, weiß ich doch von mir selbst, dass hier meine größte Achillesferse liegt. Meinen Mix aus Riegeln, Gels und Ensure-Flüssignahrung habe ich auf nur noch Ensure reduziert, beim Gedanken an einen der süßen Riegel wird mir schlecht. Unterbrochen durch einige kleinere Pausen von zwei bis drei Minuten arbeite ich mich bis Haslach vor, kurble noch stetig den Anstieg nach St. Stefan und Afiesl hinauf, nur um auf der darauffolgenden Abfahrt zu merken, dass ich wohl doch eine etwas längere Pause einlegen sollte. Der Körper ist im Notbetrieb, es ist kalt geworden und statt im untersten Bereich weiterzutreten möchte ich meinem Körper die Möglichkeit bieten, sich zu erholen. In einem geräumigen Bushäuschen irgendwo bei Vorderweißenbach drehe ich meine Lampen ab, knülle mein Gilet zu einem Polster zusammen und stelle mir einen Timer auf 20 Minuten ein. Ich schlafe tatsächlich in der Sekunde ein und erst der Ton des Telefons weckt mich wieder auf. Ich stelle noch einen Timer - diesmal 15 Minuten -, doch die warte ich nicht mehr zur Gänze ab. Schlafen geht nicht mehr, ich zittere ob der Kälte und merke, dass ein längerer Stop an dieser Stelle keine positiven Effekte mehr bringen würde.

# VI: Vorderweißenbach - Freistadt

Die ersten Meter nach der Pause sind etwas beschwerlich, der Körper ist abgekühlt und das grundsätzliche Gefühl, dass ich jetzt gerade in einem kuscheligen Bett besser aufgehoben wäre, ist nicht verflogen. Die folgenden 25 Kilometer sind für mich mit die schwersten des Rennens - es ist stockfinstere Nacht, andere Teams sind weit und breit nicht zu sehen und die Topographie hat sich zwar etwas gemäßigt, auf und ab geht es trotzdem noch die ganze Zeit. Die einzige Ablenkung bietet ein Unsupported-Kollege, dessen Licht auszugehen droht und das er - mangels USB-Kabel - nicht nachladen kann. Nach einem beruhigenden Blick auf den Ladestand meines Test-Garmin 1030 Plus verschenke ich mein USB-Kabel und setze meine Fahrt fort. Ich habe in den den letzten Stunden in Gedanken immer wieder einmal kurz nach potentiellen Ausreden gesucht, erfundene Defekten und Probleme durchgespielt - ohne Konsequenzen. Aber dass jemand tatsächlich ohne Licht im Mühlviertel strandet und mit der Weiterfahrt auf das Ende der Nachtphase um 06:30 warten muss, das möchte ich dann doch verhindern.

In Rainbach im Mühlkreis erwachen die Sinne dann wieder - zwangsläufig. Wer hätte gedacht, dass tschechische Sattelschlepper, die einem auf Autobahnausweichrouten ansonsten eher versuchen, das Leben zu nehmen, in diesem Fall eher für das notwendige Zurückkehren ins Leben sorgen...

In Freistadt treffe ich auf Nora und ihr Team, ein großartiger Lichtblick in dieser düsteren Nacht! Sie haben mich während meiner Ruhepause im Bushäuschen überholt. Ich geselle mich dazu, mache eine kurze Pause und schnorre Wasser von ihren Begleitern. Meine nächtliche Krise ist - hier in Freistadt um 04:00 Uhr früh durchstanden!

# VII: Freistadt - Enns

Die folgenden 40 Kilometer geht es tendenziell bergab, soviel habe ich mir vom Höhenprofil gemerkt. Und auch die Worte von Erwin Mayer - dem Organisator des King of the Lake - hallen in meinen Ohren: er meinte, bis Freistadt muss man überleben, danach fährt man sinngemäß nur noch heim. Ab Pregarten spielt sich am Horizont ein leichter Anflug von Dämmerung ab, das Ende der Nacht ist damit absehbar und diese große Prüfung damit vor ihrem Ende. Beginnender Pendlerverkehr Richtung Enns zeugt vom baldigen Beginn der 06:00 Uhr Frühschicht, meine Schicht dauert an dieser Stelle bereits zwölf Stunden, in denen ich allerdings auch die Hälfte der Distanz der RAA Challenge zurückgelegt habe. Der Blick auf die Zahlen am Display des Radcomputers ist damit gar nicht so schlecht und im Wesentlichen ganz zufriedenstellend, wenn es denn in dieser Manier so weitergeht.

Bei Mauthausen wird die Donau gequert, starker Frühverkehr mit hohem LKW-Anteil setzt ein. Bei einer JET-Tankstelle ist es Zeit für etwas Festes zwischen den Zähnen. Auch wenn ein Speck-Käse-Mayonaise-Baguette nicht wirklich im Sinne der Leistungsentfaltung ist, die Seele dankt es in hohem Maße.

# VIII: Enns - Steyr

Von Enns bis Steyr ist man kurz in Niederösterreich unterwegs - übrigens nicht der einzige Ausflug in ein Nachbarbundesland bei der Race Around Austria Challenge (zu Beginn ist man kurz in Salzburg unterwegs, der Fuß des Hengstpasses liegt in der Steiermark). Knapp 40 Kilometer geht es in den ersten Morgenstunden zwischen goldenen Feldern hindurch und über kleine Wege und Straßen Richtung Voralpen. Die Licht-Stimmung ist ähnlich wie rund um Schärding rund 12 Stunden zuvor und ich lasse kurz die Gedanken schweifen, was in dieser Zeitspanne alles passiert ist. Immer wieder ertappe ich mich, wie ich in Gedanken die fehlenden Kilometer durchgehe, darüber nachdenke, was noch alles kommt, noch alles fehlt und wie "mühsam" das alles werden würde. Diese Gedanken gilt es sofort und in der Sekunde beiseite zu schieben. Es zählt immer nur der nächste Stop, das nächste Zwischenziel, das ich mir auf meinem Aufkleber auf meinem Vorbau notiert habe, die nächste Tankstelle oder der nächste Brunnen. Reicht schon, dass mein Körper und meine Beine nie wieder so richtig aus dem Not-Modus zurückgekehrt sind. Da muss zumindest der Kopf noch weiterhin einwandfrei funktionieren!

In Steyr ist Kilometer 340 erreicht, bei der Firma Hrinkow Bikes ist das sogenannte Depot situiert. Der Veranstalter des RAA hat - hauptsächlich aus Sicherheitsgründen - eine Möglichkeit vorgesehen, Vorräte, Gewand oder was auch immer man benötigt, in einer Box in Steyr zu hinterlegen. Puristen mögen an dieser Stelle einwenden, dass das Ganze dann nicht mehr unsupported ist. Auf der einen Seite haben sie damit recht, auf der anderen Seite ist es aber auch egal, weil gleiche Möglichkeit für alle und für die erste Austragung eines derartigen Rennens ist eine Rückfallebene sicher kein Fehler. In Steyr stehend ist mir das in diesem Moment aber ohnehin gleichgültig! Ich fasse aus meiner Box neue Ensure-Flaschen, die mich bis ins Ziel ausreichend versorgen sollen, Riegel und Gels greife ich erst gar nicht mehr an. Frische Flaschen ersetzen die klebrigen, schmutzigen, benützten. Ein Blick auf die Boxen, die außer meiner noch im Depot auf ihre Abholung warten, zeigt mir, dass ich platzierungstechnisch wohl nicht mehr allzu viel herausholen kann. Aber das war von Anfang an nicht der Plan also wird auch dieser Gedanke wieder verworfen.

# IX: Steyr - Hengstpass

Über die folgenden 60 Kilometer durch das Ennstal möchte ich am liebsten gar nicht allzu viel schreiben! Es würde mich entweder traurig oder aggressiv machen... Irgendwie hatte ich diesen Abschnitt in meiner Rennplanung entweder nicht genau genau angeschaut (auf der Karte und im Höhenprofil) oder ich habe mich massiv verschätzt. Gerechnet habe ich mit einer zwar mühsamen aber annehmbaren Anfahrt auf das Gesäuse, die mit ein paar wenigen Steigungsprozenten dahinschmiert. Tatsächlich geht es dort in einem durch bergauf und bergab, kleinere Hügel, größere Hügel, lange Geraden, kleinere Hügel, größere Hügel. Uhrzeitbedingt war der Verkehr recht stark und auch die mittlerweile aufgegangene Sonne sorgte wieder für höhere Temperaturen. Geholfen haben mir die Challenge-Teams, die rund um mich - einmal vor mir, einmal hinter mir - unterwegs waren. Geholfen haben sie mir sowohl physisch - durch Wasser in meine leeren Flaschen -, als auch psychisch, durch deren Anwesenheit. Martin und Ariane "kenne" ich etwas besser von Instagram und Strava, hier ist es ungemein hilfreich, wenn jemand in der Nähe ist. Nicht, dass sie mir großartig helfen könnten aber es ist schon ein gutes Gefühl, dass da noch jemand unterwegs ist, der vielleicht in einer ähnlichen Situation ist wie man selbst.

# X: Hengstpass - Micheldorf

Altenmarkt markiert das Ende des Ennstals und das Tor zur nächsten Prüfung. Der Hengstpass ist nominell keine allzu große Herausforderung, einzig die Länge von mehr als 20 Kilometern schreckt ab. Die Steigung ist zu Beginn sehr moderat und zieht erst im oberen Teil an, dann ist es aber auch schon wieder vorbei. Problem an der Sache ist eher, dass man an dieser Stelle bereits 400 Kilometer in den Beinen hat. Wie Nora in ihrem Blogbeitrag ganz richtig angemerkt hat, sind die schnellen Fahrer*innen hier unterwegs, wenn es gemütliche Nacht- oder Morgentemperaturen hat. Ist man - so wie ich - dort kurz vor Mittag, dann steht dort schon einmal die Luft bei lauschigen 30 Grad. Aber auch da waren wieder Challenge-Fahrer in meiner Nähe, die mir das Gefühl geben konnten, nicht alleine in diesem Boot zu sitzen.

Am Hengstpass angekommen gibt es die Möglichkeit für eine kurze Pause und das Auffüllen der Flaschen. Ensure reinhauen und weiter gehts! Die Abfahrt nach Windischgarsten ist schön aber zu kurz, als dass man sich hier großartig erholen könnte. Wie die Auffahrt zum Hengstpass ist auch die Abfahrt nicht mit großen Steigungsprozenten gesegnet, insofern rollt man nicht allzu lange gemütlich dahin sondern muss recht bald wieder kräftig in die Pedale treten.

Apropos kräftig in die Pedale treten: War bei der Anfahrt zum Hengstpass nach Süden noch ein lästiger Gegenwind zu spüren, so hätte man für den Abschnitt vom Hengstpass weg (Richtung Norden!) dann wohl Rückenwind erwarten können. Aber weit gefehlt, auch die 35 Kilometer Richtung Kirchdorf an der Krems kam der Wind von vorne und bremste die letzten Anflüge von Leistungsentfaltung nachhaltig. Bei der Tankstelle in St. Pankraz hatte ich schon vor dem Rennen eine Rast eingeplant, Tankstellen nahe Autobahnabfahrten sind nicht nur 24 Stunden geöffnet sondern bieten auch ein gutes Sortiment. Ein Coca Cola und ein Croissant später sieht die Welt fast immer etwas besser aus - so hangelt man sich von Kilometer zu Kilometer, Station zu Station. Den Rest der Strecke kenne ich vom Fotografieren der Challenge recht gut - ob das nun ein Vorteil oder Nachteil ist, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht restlos geklärt.

# XI: Ziehberg - Hochlecken

"Noch 100 Kilometer!" war der Gedanke beim Blick auf den Garmin, die Übersetzung ("Bei deinem Schnitt bist du also noch gute vier Stunden unterwegs") galt es wiederum schnell zu verbannen. Der Ziehberg war einfacher zu fahren als befürchtet, beim Fotografieren und Befahren mit dem Auto hat sich dieser tatsächlich schwieriger "angefühlt". Einzig die 38 Grad, die der Garmin anzeigte, ließen mich kurz an dem Vorhaben zweifeln. Aber schwarze Wolken am Horizont waren schon zu diesem Zeitpunkt ein recht deutlicher Indikator dafür, dass zumindest das Hitzeproblem alsbald gelöst sein sollte.

Ein Salzstangerl in einer Bäckerei in Scharnstein sorgte für etwas zu Kauen und eine kleine Portion Salz, die Abfahrt nach Gmunden für etwas Abwechslung und das nahende Donnergrollen für etwas Aufregung. Aus Gmunden hinaus zieht sich der Anstieg Richtung Hochlecken recht mühsam dahin, jedoch wünscht man sich, dass es lang so schmierig weitergegangen wäre, wenn man vor der kurzen 13%-Rampe steht, die es am Weg zum Attersee noch zu überwinden gilt. Einsetzender Regen sorgte für Abkühlung, Bedingungen an die ich mich bei vielen Ausfahrten in den letzten Wochen und Monaten gewöhnen konnte. Nora wollte beispielsweise gar nicht mehr mit mir fahren gehen, weil es bei mir immer zu regnen beginnt...

Heimweh setzte dann auch noch meine internen Sicherheitsregularien außer Kraft und so konnte ich es auf regennasser Fahrbahn hinunter zum Attersee noch einmal richtig krachen lassen. ;)

# XII: Attersee - St. Georgen

In Steinbach am Attersee geht es auf die Uferstraße und plötzlich taucht vor mir ein Unsupported-Kollege auf, den ich in den vergangenen Stunden schon mehrmals in unterschiedlichen Situationen getroffen habe. Wir plaudern kurz nebeneinander fahrend - er ist zweimal gestürzt, hat auch mehrere Krisen durchlebt. Es klingt blöd, aber es beruhigt, dass es anderen auch nicht viel besser geht als mir. Der Sieger der Unsupported Kategorie ist übrigens seit fast sieben Stunden im Ziel - er hatte also "nur" eine längere Ausfahrt, während wir hier in den Genuss einer bewusstseinserweiternden, tageüberdauernden, lebensverändernden Erfahrung kommen.

Es ist dies die Strecke des großartigen King of the Lake, das bedeutet, dass man hier eigentlich nicht gemütlich fahren kann, sondern irgendwie draufdrücken "muss". Der kurze Anstieg in Unterach, dann Richtung Mondsee, noch ein kleiner Schupfer - hier bin ich wenige Wochen zuvor erst bei meiner Österreich-Tour gefahren, bekanntes Terrain also. Bei der Abzweigung in Innerschwand sehe ich mich quasi schon im Ziel. Und wie als Strafe ziehen mir die letzten Meter bergauf hier noch einmal alles aus den Beinen, was da noch irgendwo im letzten Winkel versteckt war. Erst bei Kilometer 556 - also nach dem letzten Anstieg bei Oberwang - ist das Rennen tatsächlich in trockenen Tüchern. Naja, "trocken" nicht, denn es regnet mittlerweile wieder aber die letzten Meter bis zur Ortstafel von Sankt Georgen geht es bergab und das Heimweh mobilisiert noch einmal ein paar Körner. Meine "Zieldurchfahrt" bei der Ortstafel absolviere ich alleine, eigentlich wird man hier abgeholt und eskortiert. Aber auch mein Tracker war müde und hat eine Pause eingelegt, daher war auch die RAA-Crew überrascht, als ich plötzlich vor ihnen gestanden bin. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht werde ich dann von drei Motorrädern über die Hauptstraße St. Georgens Richtung Ziel geleitet, Menschen klatschen und feuern an - egal wie schnell oder langsam man war, ob man vorne ist oder hinten, Erster oder Letzter. Die Ankunft auf der Bühne - auf der ich 26,5 Stunden früher losgestartet bin - rührt mich sehr, in drei Jahren Race Around Austria ist doch eine große Zugehörigkeit zu diesem Event und den großartigen Menschen dahinter entstanden!

# Epilog

Duschen, ins Bett legen und 13 Stunden später wieder aufwachen - das ist direkt nach meinem Zieleinlauf passiert. Schmerzen in Händen/Handgelenken und dem Allerwertesten, die mich die letzten Stunden des Rennens plagten, waren am nächsten Tag im Wesentlichen wieder verflogen. Geblieben ist ein tiefsitzender subtiler Schmerz im Nacken und Rücken, der einfach durch die lange Position am Rad zustandekommen ist. Nie zuvor hatte ich auf einer Ausfahrt Schmerzen in den Fußsohlen, beim RAA allerdings schon nach wenigen Stunden - den Grund kenne ich bis heute nicht, meine linke Sohle hat sich allerdings knapp eine Woche lange etwas bamstig angefühlt. Oft heißt es "Schmerzen vergehen, der Ruhm bleibt" oder so ähnlich... Das stimmt natürlich, auch wenn der "Ruhm" ein grundsätzlich überschaubarer ist. Die Wertigkeit einer Aufgabe wie der Race Around Austria Challenge legt man grundsätzlich selbst fest. Ich mache mir wenig aus Trophäen oder Urkunden, mir ist wichtiger, dass ich mit mir selbst zufrieden bin und mich in die Spiegel schauen kann. Und das kann ich auf jeden Fall.

Mein Körper ist recht bald in einen Modus gegangen, in dem er eine beständige Leistung erbringen kann. Dass diese beständige Leistung im Endeffekt recht niedrig war und viel niedriger als das, was ich unter "normalen" Umständen zu leisten vermag, ist eine andere Geschichte. Ernährung wird immer ein Thema sein, an dem ich arbeiten kann, die Geschichte mit dem "Arbeiten in der Nacht" könnte man im Vorfeld sicher auch besser trainieren. Sehr zufrieden bin ich mit meiner mentalen Leistung und darin liegt wohl auch einer der Schlüssel zu derartigen Vorhaben. Nicht das Handtuch zu werfen, wenn Dinge schwierig werden, wenn etwas weh tut, wenn die Aussichten nicht rosig sind und die Herausforderung fraglos eine große ist, das habe ich glücklicherweise geschafft. Es ist wohl dieses Zusammenspiel von Geist und Körper - gute Leistungen wird man nur erbringen können, wenn beides passt. Je besser man trainiert ist, desto besser der Output des Körpers (und wenn es nur der Notmodus ist) - je stärker der Kopf, desto "einfacher" wird die Herausforderung bewältigt. Mein Respekt vor den Sportler*innen, die die Challenge, die 1.500 Kilometer oder die Extreme-Distanz über 2.200 Kilometer absolvieren, ist durch meine eigene Teilnahme noch einmal enorm angewachsen. Mir war vorher schon klar, dass hier unglaubliche Leistungen erbracht werden, aber auch meine kühnsten Vorstellungen waren noch recht weit von der Wahrheit entfernt. Das alles hilft mir dabei, gute Fotos von den Sportler*innen zu machen - was ich übrigens im nächsten Jahr beim Race Around Austria wieder machen werde... ;)

Strava

Fotos: Race Around Austria, Elisa Haumesser, Reinhard Eisenbauer, Wolfgang Haidinger

Bikepacking mit Hindernissen

Zwischen der Abfahrt aus Wien an einem lauen Sommermorgen und zitternden Beinen im strömenden Regen am Bahnhof Steyr ist einiges passiert: 4 Tage, 622 Kilometer, knapp 7.600 Höhenmeter und ein Haufen toller Eindrücke und Erinnerungen. Vieles ist dabei gut gelaufen, manches wiederum nicht so ganz nach meinen Vorstellungen. Wie immer habe ich eine Unmenge an Dingen im Kopf, die ich gerne in diesen Beitrag packen würde, der Übersichtlichkeit halber gibt es aber diesmal mehrere Teile. Hier und jetzt geht es einmal um die Tour, ein weiterer Beitrag wird sich um ein paar Learnings und Gedanken drehen, die mir während des Fahrens durch den Kopf gegangen sind. Aufgrund vieler An- und Nachfragen ist außerdem ein Artikel zu den Ortlieb-Taschen in Arbeit und schließlich - denn auch das war ja einer der Zwecke, der diese Tour gegolten hat - möchte ich auch noch einige Worte über mein Setup für die Race Around Austria Challenge “unsupported” vorstellen. Pfuh, viel zu tun - am besten wir starten gleich!

Die Idee einer Österreich-Tour

Normalerweise findet Anfang Juli die Österreich-Rundfahrt statt. Eines der wenigen internationalen Radrennen Österreichs war glücklicherweise auch für mich immer wieder einmal eine Gelegenheit, Fotos zu machen und Rennluft bei den Profis zu schnuppern. Corona kam, die Österreich-Rundfahrt 2020 wurde abgesagt und neben einigen tollen Initiativen mit Zukunftsperspektive (“Österreich dreht am Rad”) war es auch mir irgendwie ein Bedürfnis, eine Art Runde durch Österreich zu machen.

Die Idee war natürlich schon vorher da und auch in meinem Komoot-Ordner sind zahlreiche Variationen von Touren abgespeichert und warten nur darauf, abgerufen und realisiert zu werden. Die Frage dabei ist immer, wie viel Zeit man hat, wie gut der Trainingszustand ist und wie weit man reisen möchte.

Dass das Fahrrad das großartigste Fortbewegungsmittel ist, muss ich an dieser Stelle ja nicht mehr erwähnen… Genau die richtige Geschwindigkeit - schnell genug, um doch vorwärts zu kommen und Kilometer machen zu können. Gleichzeitig aber auch langsam genug, um Gerüche wahrzunehmen, Wetterwechsel zu spüren, jederzeit kurz stehenbleiben, die Landschaft erleben und erfahren zu können. Dinge, die einem im Auto sowieso aber auch auf dem Motorrad großteils verwehrt bleiben.

Die Planung

Ich wollte radeln, möglichst lang und möglichst stetig. Ich wollte dabei Kilometer machen ohne mich hetzen zu müssen. Ich wollte mich um nichts kümmern müssen, als ums Treten in die Pedale. Ich wollte unterschiedliche Regionen durchqueren, denn so spürt man tatsächlich, dass man “weiterkommt”. Ich wollte am Weg Freunde und Bekannte besuchen.

Eigentlich wollte ich schon Anfang Juli auf meine Tour gehen, dafür war eine tolle Runde durch große Teile Österreichs auf dem Gravelbike vorgesehen. Aufgrund der (miserablen) Wettervorhersage habe ich mein Vorhaben zum damaligen Zeitpunkt verschoben (und im Nachhein war das gut so, da die Woche nur aus Gewittern und Unwettern bestanden hat). Als neuer Termin war Mitte Juli ins Auge gefassst, aufgrund des nahenden Race Around Austria habe ich außerdem auf das Rennrad umdisponiert. Zeit im Sattel ist einer der wesentlichen Faktoren, die ich für meine Vorbereitung für das RAA festgelegt hatte, warum also nicht bei einer Bikepacking-Runde Kilometer sammeln.

Die Planung der Runde hat nicht allzu lange gedauert. Vier Tage waren schnell als Zeitraum fixiert - was innerhalb dieser Zeit möglich ist, habe ich anfangs noch sehr optimistisch ausgelegt (200km+), dann etwas realistischer und schließlich an meine tatsächliche Leistungsfähigkeit angepasst. Als Tagesziele habe ich Orte gewählt, wo Freunde von mir wohnen. Wenn man alleine (oder in einer kleinen Gruppe) unterwegs ist, wird man schnell zum Einsiedler. Das ist positiv im Sinne der Konzentration auf einen selbst, ich finde aber, dass man auch sozial einen Bezug zu seiner Umgebung herstellen muss. Freunde zu besuchen ist daher ein angenehmer “Mitnahmeeffekt”. Dass man dadurch auch in den Genuss eines potentiellen Schlafplatzes, einer warmen Dusche und einer Mahlzeit kommt, ist natürlich ebenso positiv!

Mit Komoot reicht es tatsächlich, einige wenige Punkte auf der Karte anzuklicken. Die Verbindungsstücke, die Komoot automatisch erstellt, sind eine gute Auswahl. Ich kann an dieser Stelle vorwegnehmen, dass mich der Algorithmus lediglich über einige wenige nicht asphaltierte Abschnitte geschickt hatte (was in meinen Augen kein wirkliches Problem ist und sie waren vorab entsprechend gekennzeichnet). Und umgekehrt hat Komoot mich über touristische, sehenswerte, verkehrsarme und schöne Wege geleitet, die ich ohne das Programm wohl nicht gefunden hätte. Ein ganz wesentlicher Punkt in meinen Augen ist jedoch, dass man sich zu einem gewissen Grad dann doch entscheiden muss, ob man “schön” oder “schnell” fahren will. Nimmt man die schönen Ecken mit, die malerischen Wege und die tollen Aussichten, so bedeutet das fast immer, dass die Geschwindigkeit sinkt, man extra Meter abspult oder später an sein eigentliches Ziel kommt. Das soll kein Plädoyer für die schnelle Bundesstraße sein, es ist lediglich zu bedenken, wenn man an der Routenplanung sitzt und vorgegebene Zielorte erreichen möchte.

Das Equipment

Im Sinne einer Vorbereitung auf mein Race Around Austria habe ich viele jener Dinge eingepackt, die ich auch beim RAA nutzen möchte.

Rad

Meine BMC Roadmachine wird mich auch rund um Oberösterreich begleiten. Mit der eher komfortablen Auslegung des Rahmens und der damit verbundenen Gutmütigkeit ist ein derartiges Rad eigentlich eine optimale Wahl für solche Vorhaben. Am üblichen Setup habe ich eigentlich nichts verändert, ein Service bei PBike hat den Antriebsstrang noch einmal auf Vordermann gebracht. 25 Millimeter breite Reifen sind bei mir grundsätzlich immer die richtige Wahl, da ist der Mittelweg aus Komfort und Rollwiderstand am besten. Für längere Ausfahrten und Touren ist natürlich umso wichtiger, dass man gut auf dem Rad sitzt bzw. entsprechend darauf gefittet ist. Nach vielen Kilometern oder mehrtägigen Belastungen spürt man Schwachstellen umso mehr oder aber es entstehen welche, die man vorher noch nicht gekannt hat.

Taschen

Die Bikepacking-Serie von Ortlieb besteht grundsätzlich aus Sattel-, Rahmen- und Oberrohrtasche, außerdem noch einer Lenkerrolle, die wiederum noch mit einer Zusatztasche versehen werden kann. Mit der Rahmentasche habe ich schon bei meinen Festive 500 sehr gute Erfahrungen gemacht - vor allem hinsichtlich Qualität, Bedienung und Wasserfestigkeit -, daher waren die anderen Taschen dieser Serie für mich von Beginn an gesetzt. Zu den Taschen werde ich noch einen eigenen Artikel posten, vorab sei jedoch schon einmal festgehalten, dass die Ortlieb-Taschen auf ganzer Linie überzeugt haben.

Gewand

Bekleidung ist ein komplexes Thema und außerdem eine sehr individuelle Angelegenheit. Ich habe mich für den Trip für zwei RH77-Sets entschieden. Die Bibs haben in meinen Augen einen der besten Polster - nicht unwesentlich, wenn man vier Tage im Sattel sitzen möchte. Bei den Trikots hab ich außerdem das “AUT”-Trikot ausgewählt - passend für eine Fahrt durch Österreich. Als Backup außerdem eingepackt waren Ärmlinge, Handschuhe, Gilet und Regenjacke.

Für die Zeit abseits des Rads waren noch eine kurze Hose, zwei Funktionsshirts, ein Thermo-Gilet und eine kurze Schlafhose an Bord. Kein klassisches Kleidungsstück ist die Maske (bzw. der “Mund-Nasen-Schutz”) aber auch von denen hatte ich zwei mit dabei.

Elektronik

Für die Navigation habe ich auf einen Garmin 1030 Plus zurückgegriffen, den ich gerade zum Testen habe. Auch wenn ich traditionell mit manchen Funktionen von Garmin (oder im Fall des 1030 Plus mit dem schieren Überangebot an Funktionen!) so meine Schwierigkeiten habe, die Akkulaufzeit von 24 Stunden war ein Superargument für dieses Unterfangen. Und welchen besseren Test gibt es für so ein Gerät als eine mehrtägige Bikepacking-Tour?

Mit der Absicht, am Rande des Trips auch mein Lichtsetup für das Race Around Austria zu testen, hatte ich auch eine Lupine Neo am Lenker montiert, gepaart mit dem großen Lupine-Akku und einem kleinen Rücklicht an der Sattelstütze. Dass ich nicht dazugekommen bin, das Licht zu verwenden, bedeutet, dass ich das alles umsonst mitgeschleppt habe - und der Akku ist nicht gerade leicht :)

Verpflegung

Essen und Trinken ist für mich ein schwieriges Thema! Während ich so gut wie alles essen kann und auch gut vertrage, brauche ich recht große Abwechslung. Mir war nach dem ersten Riegel und dem ersten Gel schon klar, dass ich mich nicht ausschließlich davon ernähren werde können. Der Gedanke an klebrige, süße Riegel und die Konsistenz von Gels lässt mich erschaudern - auch wenn die Produkte als solches gut sind und zweifellos auch ihre Funktion hervorragend erfüllen. Die Menge an Riegel und Gels, die ich von Beginn an mithatte, hätte also bedeutend kleiner sein können - auch hier also mehr oder weniger unnötiger Ballast. Viel reizvoller waren da die diversen Stopps an Tankstellen oder Kaffeehäusern unterwegs, bei denen man (nicht nahrhaftere) aber auch für die Seele hilfreichere Verpflegung findet.

Sonstiges

Apropos Ballast: Ich wollte versuchen, mit Isomatte und Schlafsack draußen zu übernachten. Es war von Anfang an fraglich, ob ich das tatsächlich mache, ob ich mich überwinden kann und eine geeignete Stelle finde, um mich niederzulassen. Der Regen, Gewitter und überraschend niedrige Temperaturen haben dieses Unterfangen aber von Anfang an unterbunden - daran, draußen zu übernachten, konnte und wollte ich an keinem der Abende denken. Die Lenkertasche, gefüllt nur mit Isomatte und Schlafsack, war daher ein treuer aber völlig nutzloser und Luftwiderstand produzierender Begleiter auf dieser Tour.

Etwas Werkzeug (Multitool), zwei Schläuche und Patronen, eine Minipumpe, Ladekabel, Zahnbürste und ein kleines Schloss (um das Rad kurz absperren zu können) waren ebenso mit von der Partie.

Etappe 1

Patrizia gibt mir Begleitschutz bis an den Wiener Stadtrand, bis dorthin wo das Radwegnetz endet und man sich zwielichtige Ausfallstraßen mit morgengrantigen Lieferwagenfahrern teilen muss. Es dauert rund 15 Kilometer bis Stadt und Speckgürtel hinter einem liegen, dafür beginnt dort gleich die schöne Landschaft und umgeben von Feldern und Wäldern kann man eben Richtung Süden rollen. Nach 60 Kilometern ist Wiener Neustadt durchquert, ab jetzt geht es in die Bucklige Welt - diese steht synonym für tolle kleine Straßen, steile Anstiege, massig Höhenmeter und großartige Ausblicke! Autos (oder andere Radfahrer oder Menschen) sieht man hier keine mehr, man ist mit sich alleine und den immer wieder aufeinanderfolgenden Anstiegen und Abfahrten, Anstiegen und Abfahrten.

Wenn ich schon in der Gegend bin, möchte ich beim “Eis-Greissler” vorbeifahren. Einst wussten die dort nicht, was sie mit der Schulmilch während des Sommers tun sollten, heute ist es das beste Speiseeis, das in und rund um Wien erhältlich ist. Ich bin mit der romantischen Vorstellung dorthin gefahren, dass dort eine kleine Hütte steht, in der vielleicht auch noch jemand gerade mit der Hand mein gutes Eis herstellt… Tatsächlich handelt es sich hier bei Krumbach eher um einen groß angelegten Erlebnispark, der inmitten der Stille der Buckligen Welt fast etwas deplatziert wirkt. Meine geplante gemütliche Pause wird kurzfristig in einen kurzen Verpflegungsstopp umgewandelt, dann geht es weiter. Die Bucklige Welt ist hier mehr oder weniger zu Ende und damit auch ein erster Abschnitt meiner Reise - im Sinne des ersten Landschafts- und Regionswechsels.

Der Anstieg nach Mönichkirchen am Wechsel markiert den Eingang in die Voralpen. Bevor es die Autobahn gab, war diese Bundesstraße wohl eine Hauptverkehrsader, heute sind davon nur noch sehr breite Straßenquerschnitte und das eine oder andere Rasthaus übrig, das ob seiner Dimensionen eher fehl am Platz wirkt. Ein anderer Wechsel vollzieht sich jedoch gleichzeitig: War es bislang heiß und sonnig, zieht es hier zu, erste Regentropfen klatschen auf meinen Helm und meine Brille und der Wind frischt auf - Willkommen in der Oststeiermark.

Die Landschaft bleibt weiterhin herrlich und pittoresk, sie zu genießen fällt allerdings zunehmend schwer. Rund um Rohrbach an der Lafnitz wird der Regen stärker, ich verbringe eine halbe Stunde in einer geräumigen Busstation aus Holz und warte auf Besserung. In genau so einer Busstation - es ist ein Häuschen aus Holz - hätte ich mir vorstellen können, mit Isomatte und Schlafsack zu übernachten, so wie man es von Geschichten vom Transcontinental Race kennt.

Der Regen wäre nicht das Problem, dafür bin ich mit meiner Regenjacke gut ausgerüstet und Radgewand trocknet schnell. Was mir jedoch Sorgen bereitet ist der Donner, der regelmäßig über die Hügel hallt. Das Wetter fühlt sich hier sichtlich wohl und macht keine Anstalten weiterzuziehen. Ich nütze die erste Regenpause, um bis Vorau weiterzufahren, nur um dort im nächsten - noch heftigeren - Gewitter zu landen. Ich finde mich in der Garage eines Bauernhofs wieder, neben mir klappern die Geschirre der Kühe im Stall. Diesmal dauert es fast eine Stunde, bis auch nur ansatzweise an eine Weiterfahrt zu denken ist. Mein geplantes Tagesziel werde ich heute nicht mehr erreichen, gleichzeitig muss ich erkennen, dass auch meine vermeintlich konservative Tageskilometerplanung etwas zu optimistisch war.

Als es langsam zu dämmern beginnt, zücke ich mein Telefon und suche mir über booking.com eine Unterkunft in der Nähe. In sechs Kilometern Entfernung wartet nun ein Zimmer auf mich, die Fahrt dorthin durch strömenden Regen und mit nach wie vor einigen Höhenmetern ist eher spaßbefreit. Im Hotel angekommen heißt es, sofort aus den nassen Sachen zu schlüpfen, warm zu duschen und die Wunden zu lecken. Ärger wäre aber falsch am Platz, es gibt hier weder etwas zu gewinnen noch zu beweisen - die Gesundheit geht vor und umplanen ist kein Problem.

Etappe 2

Ich bin dort hängengeblieben, wo ich vor zwei Jahren mit der Österreich-Rundfahrt unterwegs war - im oststeirischen Joglland. Wunderschön bei Sonnenschein, rustikal und eher urig, Hügel und Berge soweit das Auge reicht. Der Ausblick ist aber auch am Morgen des zweiten Tages getrübt, bis nach meinem Frühstück regnet es weiter.

Die erste Regenpause wird sofort für die Weiterfahrt genützt und während ich die wolkenverhangenen Hänge des Tals bewundere, muss ich klar anerkennen, dass ich den Rest der geplanten ersten Etappe vermutlich niemals geschafft hätte. Es geht gleich zu Beginn über einen Sattel auf 1.150 Metern, der - wie die meisten hier in der Gegend - weder sonderlich bekannt noch außergewöhnlich spektakulär ist - aber in Summe jegliche Energie erfordert, die die Beine hergeben. Ich bin froh, dass ich diesen Anstieg halbwegs frisch in der Früh fahre und nicht durchnässt und müde am Abend des ersten Tags. Eine lange Abfahrt bringt mich schließlich hinunter zur Mur bei Pernegg, von dort ist es auf der alten Bundesstraße (dank Schnellstraße daneben ohne Verkehr!) nur ein Katzensprung bis Bruck an der Mur und damit der nächsten Zäsur auf meiner Tour.

Ab hier kenne ich den Weg von früheren Touren, es liegt ein halbwegs entspannter Tag vor mir, was die sportlichen Herausforderungen angeht. Die ursprünglich geplante Routenführung habe ich in der Früh schon adaptiert, damit ich die verlorenen Kilometer des ersten Tages wieder einholen kann. Über Leoben und vorbei am Voest-Stahlwerk in Donawitz geht es über Trofaiach ins Liesingtal. Autos und Transit sind hier auf der Autobahn unterwegs, als Radfahrer genießt man daher die alte (wenig befahrene) Bundesstraße oder die zahlreichen parallel verlaufenden Güterwege. Für die Ortschaften im Tal bedeutet die Schnellstraße aber auch, dass nicht mehr allzu viel los ist in den Zentren und Kaffeehäusern und ganz generell. So pedaliert man recht einsam durchs Tal, wechselt immer wieder Seiten mit der Eisenbahn, der Schnellstraße und dem Fluß. Einen kurzen Regenschauer nutze ich für eine Pause inklusive Pizza!

Wald am Schoberpass (der kein richtiger Pass ist), Gaishorn, Trieben und Rottenmann lässt man schnell zurück, nach Selzthal befindet man sich schließlich im größeren und etwas belebteren Ennstal. Dort wird man recht früh vom mächtigen Grimming begrüßt, einem Berg, der ob seiner Form und Größe deutlich heraussticht und wie ein Wächter über das Tal schaut. Am Horizont - also dort wo mich meine Route hinführt - kann man vor lauter Regen die Berge nicht mehr erkennen, bis zu meinen Freunden in Schladming möchte ich heute trotzdem noch fahren. Auch das letzte Mal, als ich mit dem Rad zu Besuch war, waren die letzten Kilometer eine Regenschlacht. Mit Regen aber immerhin ohne Gewitter schlängelt man sich durch das Ennstal - eine zugegebenermaßen nicht ganz einfache Aufgabe, ist doch der Radweg nicht durchgehend asphaltiert, die Bundesstraße stark befahren und teilweise mit Fahrverbot für Radfahrer beschildert und die zahlreichen Nebenwege bergen das Risiko, in kurzer Zeit viele zusätzliche Höhenmeter zu fahren.

Nach 200 Kilometern und gut acht Stunden im Sattel rolle ich auf den Hof meiner Freunde und bin auch an diesem Tag froh, gleich in eine heiße Dusche steigen zu können. Aber ich bin wieder im Plan und guter Dinge für das was noch kommt. Die Beine fühlen sich schwer aber erstaunlich gut an. Ich finde es faszinierend, wie schnell sich der Körper auf derartige Anforderungen und Belastungen einstellen kann. Mein Schnitt ist nicht berauschend bzw. fühlt sich das Ganze noch weit langsamer an, als es dann schwarz auf weiß auf Strava steht, aber es geht voran. Unterschätzt habe ich jedenfalls den Effekt, den das zusätzliche Gewicht der Taschen und des Gepäcks auf das Fahren haben. Auch wenn es “nur” 5-6 Kilogramm mehr sind - das Rad hatte bei der Abfahrt ohne Flaschen 13,7 Kilo -, die Anstiege sind ungemein schwerer zu fahren.

Etappe 3

Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, dass ich beim Augenöffnen das leise Plätschern von Regen höre - der erste Blick durch die aufgesetzte Brille ist da gar nicht mehr notwendig, um auch eine optische Bestätigung dafür zu bekommen. Der majestätische Dachstein, der eigentlich vor meinem Fenster zu sehen sein sollte, ist in Wolken gehüllt, die Straßen sind nass und Nachschub von oben kommt laufend. Die ersten Kilometer sind ein Albtraum - auf der Bundesstraße B320 bei starkem Regen und Morgenverkehr fällt es schwer, die Contenance zu behalten. Die Alternativen wären jedoch nur der nicht asphaltierte Radweg oder viele zusätzliche Höhenmeter über Filzmoos im Norden oder Forstau im Süden. Also Augen zu und durch…

Der Verkehr verlässt bei Eben im Pongau die Bundesstraße und verlagert sich dort auf die Tauernautobahn - dieser Moment des Glücks wird von einem Ende des Regens begleitet und als Draufgabe auch noch einem Regenbogen! Hinunter nach Bischofshofen rollt es großartig auf mittlerweile nur noch feuchter Straße, vorbei an der Festung Hohenwerfen und durch den immer etwas schaurig anmutenden Einschnitt beim Pass Lueg - hier stapeln sich Autobahn, Eisenbahn und Bundesstraße über dem Fluss und zwischen den rauen Berghängen und man fühlt sich sehr klein zwischen den schroffen Felswänden die an diesem Tag noch dazu tief wolkenverhangen sind. Gleich dahinter in Golling öffnet sich das Tal Richtung Salzburg, doch mein Plan führt mich weiter in die Berge. Nach einem kurzen Stopp bei einer weiteren Tankstelle geht es ins Lammertsal Richtung Abtenau.

Es soll dies so etwas wie die Königsetappe meiner Tour sein - nicht unbedingt kilometermäßig sondern eher aufgrund der landschaftlichen Abwechslung, der Durchquerung mehrerer Bundesländer und natürlich der Postalm. Hier war ich nun schon einige Male um Fotos zu machen - wunderbar schmiegen sich da die Serpentinen in die Landschaft. Doch mit dem Rad bin ich hier noch nicht drüber gefahren, Zeit also das nachzuholen! Es ist zwar die “falsche” Seite des Anstiegs aber die gut 750 Höhenmeter auf 11,5 Kilometern Länge stellen trotzdem eine gute Prüfung dar. Und die Ausblicke auf Lammertal und das Tennengebirge sind großartig, umso mehr als immer wieder Nebel und Wolken durchziehen und so der Landschaft noch einen mystischen Zusatzanstrich verpassen. Oben auf der Postalm werde ich unmittelbar hinter dem höchsten Punkt von Regen begrüßt - bei 12 Grad ist die Freude zu verweilen eher eingeschränkt, daher geht es direkt in die Abfahrt hinunter zum Wolfgangsee.

Dort geht es über großartige Güterwege Richtung Bad Ischl, immer wieder unterbrochen von kurzen Regenschauern. Zum Salzkammergut gehört der Regen ja aber irgendwie dazu, Tradition ist Tradition. Durch die Kaiserstadt Ischl, entlang der Traun und dann links ins Weissenbachtal führt meine Route, hinüber zum Attersee, der auch dieses Jahr (hoffentlich) wieder Bühne für den großartigen King of the Lake werden wird. Die letzten 30 Kilometer dieses Tages sollen mich nach Sankt Georgen führen, dem Start- und Zielort des Race Around Austria und für diesen letzten Abschnitt unterstützt mich Michi Nussbaumer, Organisator des RAA. Aber auch er kann nicht verhindern, dass wir wenige Kilometer vor dem Ziel noch von einem letzten heftigen Regenschauer eingeholt werden. Zumindest haben wir etwas zu Besprechen und Plaudern, während wir gemeinsam in der Busstation auf das Ende des Schauers warten. Im August werde ich auf diesen Metern hoffentlich das Race Around Austria hinter mir haben und die letzten Züge meines Rennens genießen können.

Etappe 4

Ich bin glücklich, auch an diesem Tag in einem weichen und warmen Bett aufzuwachen. Die Idee, draußen zu schlafen war ohnehin schon in weite Ferne gerückt - das hebe ich mir wohl für ein andermal auf. Und um gleich reinen Tisch zu machen, miste ich meine Taschen aus, räume alles aus, was ich für den letzten Tag nicht mehr brauche und deponiere meine abmontierten Taschen in Sankt Georgen. Übrig bleiben nur die Rahmen- und die Oberrohrtasche, also jene Teile, die ich voraussichtlich auch für mein Race Around Austria einsetzen werde.

Vorbei am Attersee geht es Richtung Regau und Laakirchen - eigentlich wäre für heute vorgesehen gewesen, bis nach Wien zu fahren, doch angesichts des Wetters wirken die vorgenommenen 260 Kilometer eher illusorisch. In meinem Kopf existiert bereits der Plan B, bis zum Sonntagberg zu fahren - einer weiteren Ikone der Österreich-Rundfahrt - und dort bei Amstetten in den Zug Richtung Wien zu steigen. Diese Aussicht entspannt mich und nimmt mir etwas Druck aus der Tagesplanung, sodass ich gerne auf einen spontanen Kaffee bei BORA-Fahrer Lukas Pöstlberger vorbeischauen kann, ohne dass mich das in meinem Plan zu weit zurückwirft. Es ist spannend, Einblick in die aktuelle Situation eines Profis zu bekommen, für den Corona und die damit verbundenen Konsequenzen einen ebenso harten Einschnitt darstellen. Es wird jedenfalls spannend, wenn in Kürze wieder die ersten Rennen gefahren werden.

Zurück im Sattel wird die Situation allerdings immer düsterer. Der Regen hat sich im oberösterreichischen Voralpengebiet festgesetzt und wird laut Wettervorhersage dort auch für den Rest des Tages bleiben. Ich fahre vorerst noch weiter, der Regen stört mich noch nicht so sehr. Die Temperaturen liegen bei rund 14 Grad und sind damit genau in einem Bereich, in dem ich in meiner Regenjacke wohltemperiert bin. Oft ist es ja so, dass man in einer guten Regenjacke zwar von außen trocken bleibt, aber von innen fast einen Hitzschlag bekommt.

Vorchdorf, Pettenbach, Wartberg an der Krems, Bad Hall und Sierning sind im Wesentlichen nur noch Ortstafeln, die in meinem Augenwinkel vorbeiziehen. Meine Kamera und mein Telefon habe ich mittlerweile in der wasserdichten Rahmentasche verstaut, um größeren Schaden zu vermeiden. In Gedanken schwanke ich minütlich zwischen “Bad Ass”-Weiterfahren und “Holt mich hier sofort raus”. Als kurz vor Steyr der Regen noch einmal zulegt, ist für mich der Entschluss gefallen - nämlich der, es hier und jetzt (nach gut 90 Kilometern Fahrt) gut sein zu lassen. Ich muss niemandem etwas beweisen und die vergangenen Tage hatten so viele schöne Momente parat, dass ich nicht auf Biegen und Brechen weiterfahren muss und dabei vielleicht auch noch eine Verkühlung mit nach Hause bringe.

Durchnässt und zitternd steige ich in Steyr in den Zug und in Sankt Valentin in die Westbahn Richtung Wien. Natürlich wäre es schöner gewesen, mit eigener Kraft die Runde zu beenden und mit dem Rad dorthin zurückzukehren, wo man vor einigen Tagen losgefahren ist aber nach Stunden des Regens bin ich auch froh, wieder nach Hause zu kommen.

Die Nachsorge

Es war anstrengend, zwischendurch auch mal etwas brenzlig, sehr nass, ich hatte Muskelschmerzen, teilweise hat der Allerwerteste protestiert und ich habe unnötig Equipment durch die Gegend geführt. Auf der anderen Seite möchte ich keine Minute missen - na gut, außer vielleicht die letzten Kilometer kurz vor Steyr im Schüttregen. Aber ich konnte am Weg so viele Eindrücke sammeln, ich war (im positiven Sinn) auf mich alleine gestellt, durfte Freunde besuchen und treffen und musste mich um nichts anderes kümmern, als in die Pedale zu treten. Ich hab vieles gelernt über Routenplanung, Equipment und Packlisten, über meinen Körper, meine Leistungsfähigkeit und meine Grenzen.

Und wie es nach Rennen, Events oder Projekten fast immer ist, liegt man am ersten Tag danach mit Muskelkater auf der Couch und fragt sich, warum man so einen Blödsinn macht. Nur um am nächsten Tag schon wieder den Routenplaner zu öffnen oder sich für das nächste Event anzumelden. Und so wird es auch mit mir und dem Bikepacking sein - ich spüre, dass dies erst der Anfang einer längeren Beziehung war…!

Wallfahrt nach Mariazell

Ich habe viele Wochen Urlaub meiner Kindheit auf einem Bauernhof kurz vor Mariazell verbracht. Ich habe dort im Stall gespielt, Tiere gefüttert, hab mit dem Hund des Hofs den Kopf in den Bach gesteckt auf der Suche nach Fischen, war dabei, wie ein Schwein geschlachtet wurde, war auf der nahegelegenen Alm auf der Hütte oder bei Festen, habe mich mit dem Nachbarsjungen angefreundet, frische Kuhmilch getrunken, hab im Auto meiner Eltern geweint, als wir am Kreuzberg nach Mariazell im Schnee stecken geblieben sind und war jedesmal glücklich über den Geruch von Lebkuchen, wenn man vor der Lebzelterei Pirker steht. Diese Liste könnte ich noch lange weiterführen, es dürfte daher verständlich sein, dass ein Besuch in Mariazell für mich immer etwas besonderes war und sein wird. Während andere wallfahren gehen und sich den Weg nach Mariazell (zum Beispiel auf der Via Sacra) pilgernd erarbeiten, habe ich nun bereits mehrmals meine Leidenschaft Radfahren benützt, um dorthin zu kommen.

Mariazell, 1982

Während meine bisherigen Besuche mit dem Rad immer eine Übernachtung oder einen Transfer zurück vorsahen, war dieses Mal die Hin- und Rückfahrt an einem Tag geplant. Auch im Hinblick auf mein Saison-Highlight - die Race Around Austria Challenge - brauche ich die Kilometer und Stunden im Sattel ohnehin. Und die geschätzte Distanz von rund 300 Kilometern entsprechen auch dem, was zwischen Sonnenauf- und untergang halbwegs gut unterzubringen ist.

Ich frage in der WhatsApp-Gruppe meines Vereins “PBIKE” nach potentiellen Mitfahrern und ein paar spontane Rückmeldungen deuten darauf hin, dass meine Idee und das Unterfangen wohl nicht so absurd sein dürfte… Die Route ist mithilfe von Komoot schnell gebastelt, orientiert sich bei der Hinfahrt an jener Strecke, die ich auch in meiner Kindheit im Auto meiner Eltern erlebt habe. Die Rückfahrt wiederum verläuft auf einigen Abschnitte des Sankt Pöltener Radmarathons und führt am nördlichen Rand des Wienerwalds zurück nach Wien.

Der Wettergott ist uns gnädig gesinnt, während der Pfingstsonntag noch stark verregnet war, begrüßt mich der Pfingstmontag mit blauem Himmel und frischen 11 Grad. Das Rad ist vorbereitet und meine Ortlieb Rahmentasche ist gut gefüllt mit Ersatzgewand, Lampen, Werkzeug und Verpflegung. Schon beim Packen am Vorabend scheint mir das eine oder andere Teil redundant oder zu viel zu sein, aber im Hinblick auf das Race Around Austria im August möchte ich ein paar Dinge ausprobieren. Wieviel passt wirklich in eine Rahmentasche? Was kann ich mitnehmen und was muss zuhause bleiben? Reicht das Setup auch für 24 Stunden?

Bei der Wiener Oper stößt Matthias zu mir, am Gürtel Sebastian und in Brunn am Gebirge noch Jojo. Damit ist das Quartett komplett und nach einem Kaffee an der Tankstelle geht es los Richtung Südwesten. Die ersten Kilometer sind bekanntes Terrain und kein Meter Straße kann hier noch überraschen. Sehr wohl überraschend ist jedoch der starke Wind, der uns recht ungeniert direkt ins Gesicht bläst. Solange dieser am Rückweg als Rückenwind dient, tolerieren wir das… Das Tempo ist anständig, alleine würde ich die ersten Hügel wohl etwas langsamer hinauffahren, doch die Gruppendynamik ist in solchen Situationen ein Hund. Vor allem auf langen Distanzen kann sich das schon mal auswirken - ob man möchte oder nicht.

Nach rund 60 Kilometern - auf “dem Hals” zwischen Pottenstein und Pernitz springt der Höhenmeterzähler über die 1.000 und es sollen noch einige folgen. Der blaue Himmel ist zunehmend grau geworden und dicke Wolken haben sich über unsere weitere Route gelegt. Dass wir den ganzen restlichen Tag keine Regentropfen spüren werden obwohl permanent schwarze Wolkenbänke im Blick waren, wird uns noch einige Male verwundern. Bis auf den Wind also ideale Bedingungen fürs Radfahren - Thermo-Bibs und mein mittlerweile liebgewonnenes Sportful Fiandre-Trikot, das wie gebaut ist für solche Rahmenbedingungen.

Von der Wirkungsstätte Ferdinand Raimunds - Gutenstein -, geht es die “Haselrast” hinauf. Dabei handelt es sich um ein Kleinod der Voralpen - geographisch sitzt man hier etwas zwischen den Stühlen: nicht mehr Wienerwald, etwas Voralpen, gerade noch Kalkalpen. Autoverkehr ist hier eine ausgesprochene Seltenheit, ehrlicherweise gibt es auch nicht allzu viele Destinationen, die man hier ansteuern könnte. Motorradfahrer sind hier schon häufiger, glücklicherweise ist das Wetter nicht (noch) besser - sonst würden sich hier scharenweise Biker Richtung Kalte Kuchl bewegen, einem bekannten Treffpunkt der Szene. Jojo absolviert an der Spitze unserer Vierergruppe ein etwas ambitioniertes Intervall und schon sind wir am Gasthaus Kalte Kuchl vorbeigerollt, welches sich an sich ideal für eine Pause angeboten hätte. (Wer dort stehenbleiben möchte: —> Buchteln mit Vanillesauce!!)

Nach dem Ochssattel geht es auf einer schnellen und flowigen Abfahrt hinunter nach Sankt Aegyd am Neuwalde, von dort - entweder auf der Bundesstraße oder dem parallel verlaufenden Radweg auf der alten Bahntrasse - weiter nach Kernhof, vorbei am - ob seiner Skurrilität weithin bekannten - Kameltheater (inkl. Pizzeria “Don Kamelo”) und zum Fuße des “Gscheid”. Das Gscheid markiert eine Art Landschaftswechsel, man bewegt sich am Göller entlang - einem Berg, der vor allem unter Wanderern und Skitourengehern viele Anhänger hat. Während die Straße auf den letzten Kilometern bereits merklich nach oben “geschmiert” hat, man also die Steigung zwar etwas spürt, tendenziell aber immer etwas zu schnell und über seine Verhältnisse fährt, stellt sich die Straße aufs Gscheid am Ende vor einem auf. Die Steigungsprozente gehen unvermittelt ins Zweistellige, 13 Prozent auf ein paar hundert Metern sind nach 115 Kilometern schon eine spürbare Herausforderung. Auf der anderen Seite des Gscheid fährt man hinunter nach Terz, überquert die Grenze zwischen Niederösterreich und der Steiermark und befindet sich quasi schon im Landeanflug auf Mariazell. Einzig der Kreuzberg, bestehend aus einigen Kehren und knapp 100 Höhenmetern ist noch zu überwinden und schon rollt man unter dem Schild “Willkommen in Mariazell” durch, das an diesem Tag dem Wertungsbogen einer großen Rundfahrt gleichkommt.

Mariazell selbst bedarf keiner Vorstellung, dafür ist der Wallfahrtsort zu bekannt - die Basilika in ihrem markanten Rot-Weiß mit den drei Türmen, der Lebkuchengeruch, die Rivalität um den ältesten Magenbitter zwischen den Häusern am Platz (Pirker und Arzberger), die Devotionalien-Stände auf dem Kirchenvorplatz und die Hotels und Kaffees, vor denen sich Ausflügler, Motorradfahrer und Pilger sammeln. Unsere Wahoos zeigen 140 Kilometer und 2.200 Höhenmeter, also rund die Hälfte dessen, was wir uns für diesen Tag vorgenommen haben. Kaffees, Säfte, Toasts und Kuchen wechseln von der Hand des Kellners in Windeseile auf unsere Tische und von dort weiter in unsere Mägen - die Ernährung ist einer der Schlüssel bei solchen Unterfangen und auch eine der größten Herausforderungen, wenn ich an mein Race Around Austria im Sommer denke.

Kein Mariazell-Besuch ohne Erlaufsee! Zum Zeitpunkt der Routenplanung habe ich einen kurzen Sprung in den Erlaufsee als Zwischenstopp eingeplant gehabt, die jetzigen Temparaturen machen darauf allerdings eher weniger Lust. Bleibt also die Ehrenrunde von Mariazell zum Erlaufsee, bevor wir uns Richtung Ötscher auf den zweiten Teil unserer Reise machen. Zwischen Bürger- und Gemeindealpe (diesen semantischen Kontrast hab ich schon immer gemocht) rollt man auf der Mariazeller Bundesstraße gen Norden, die nächsten Kilometer werden wir uns den Pfad mit der Mariazeller Bahn teilen. Diese Schmalspurbahn ist gleichzeitig eine Art Exit-Szenario, sollte man keine Lust mehr, einen Defekt oder Einbruch haben - auch auf Touren in weniger gut erschlossene Regionen ist es angenehm, einen Plan B zu haben. Den markanten Gipfel des Ötscher und damit die höchste Erhebung des Mostviertels bekommen wir nicht zu Gesicht, dunkle Wolken haben sich davor geschoben. Dennoch sind zahlreiche Wanderer unterwegs, die Ötschergräben sind ein beliebtes Wanderziel - auch wenn die selbst verliehene Bezeichnung “Grand Canyon Österreichs” vermutlich (und aus eigener Erfahrung) etwas zu hoch gegriffen ist.

Die wellige Strecke Josefsberg - Wienerbruck - Reith teilen wir uns mit zahllosen und sportlich bewegten Motorrädern, die wie wir in den Genuss einer gut ausgebauten und vor allem fein trassierten Straße kommen wollen. Die Kurvenradien verbunden mit leichten Überhöhungen in den Kurven oder zumindest den richtigen Neigungen machen mit dem Rad große Freude. Kurz vor Annaberg biegen wir zur Bergwertung des Tages ab - der Name könnte mit “Wastl am Wald” nicht schöner sein. Der Anstieg ist stetig und führt bis auf 1.110 Meter, eigentliches Highlight ist allerdings die Abfahrt nach Puchenstuben, die einen wunderbaren Flow erzeugt. Zurück auf der Bundesstraße befindet man sich im Pielachtal, auch wenn vorerst noch die Nebenflüsse Laubenbach und Nattersbach neben einem dahinplätschern. Leicht bergab geht es flott und mit dem zu Beginn erhofften Rückenwind hinaus aus den Voralpen. Ebenfalls “hinaus” will leider die Luft aus Jojos Schlauchreifen, der irgendwo bei Kilometer 190 dann seinen Dienst endgültig quittiert und das Quartett zu einem Trio macht. Nachdem der Tagesplan keine allzu großen Verzögerungen zulässt und der Abholdienst nach einem kurzen Telefonat schon auf dem Weg ist, lassen wir Jojo beruhigt zurück.

Nach Kirchberg an der Pielach sorgt Komoot indirekt für das erste Highlight. Von der Bundesstraße abgebogen geht es über Tradigist und Eschenau Richtung Traisen. Auch diese Verbindung bedient nur wenige Siedlungen und Ortschaften, dementsprechend können wir dort die Straße für uns genießen - ein langer und flacher Anstieg auf der einen Seite, eine flotte und kurvige Abfahrt auf der anderen. Im Traisental angekommen durchfahren wir auf der Bundesstraße Wilhelmsburg (oder wenn es nach dem Verkehr geht eher Williamsburg) und biegen dann doch lieber auf den Traisenradweg, der parallel dazu verläuft und um einiges entspannter er-radelt werden kann. 225 Kilometer stehen auf der Uhr, der Tag dauert schon recht lang aber es geht dahin. Sitzt man mehrere Stunden im Sattel, verliert man zunehmend das Gefühl für Zeit und Distanzen. Nicht, dass die Zeit schneller vergehen würde oder die Kilometer “von selbst” purzeln, vielmehr spult man das in einer Art Flow ab.

Achtet man nicht auf sich und seine Umgebung und gibt sich nur diesem Flow hin, vergisst man zwangsläufig irgendwann einmal zu essen und/oder zu trinken. Und ein halbvoller oder gar leerer Tank wiegt bei längeren Distanzen schwerer als auf der kurzen Feierabendrunde. Wenn ich den Tag in der Retrospektive betrachte, liegt das “Problem” eigentlich schon beim Wegfahren. Bis wir alle als Quartett vereint waren - und im engeren Sinne “startklar” - waren schon fast eine Stunde und 20 Kilometer vergangen. “Nur 20 Kilometer locker am Stadtrand” würde man sagen, aber natürlich isst und trinkt man auf diesen Kilometern des Einrollens nichts. Und dennoch kann das schon ein Beginn eines Defizits sein, das man über den ganzen Tag irgendwie nicht mehr losbekommen kann. Und Essenpausen in Restaurants oder bei Tankstellen bringen zwar Abwechslung in die Einheitskost aus Gels und Riegeln, der Schinken-Käse-Toast meldet sich allerdings spätestens 10 Minuten nachdem man wieder im Sattel sitzt wieder und protestiert dagegen, nicht ordentlich verdaut und zwischen Oberkörper und Oberschenkel eingeklemmt zu werden. Man sollte glauben, dass man solche Dinge mit der Zeit lernt, bei mir ist es jedoch irgendwie nicht der Fall. Für mein Race Around Austria muss ich mir daher einbläuen, laufend zu essen und zu trinken - abgesehen von einer etwas überlegteren Ernährungsstrategie. Und den Cappuccino werd ich wohl auch eher weglassen (oder auf Espresso umsteigen).

Südlich von Sankt Pölten ist man aus den Voralpen und den Bergen draussen - der Wind, den wir zu Beginn ins Gesicht geblasen bekamen, schiebt uns jetzt kräftig von hinten an. Mit müder und müder werdenden Beinen ist das nur gut und angenehm! Von Pyhra nach Böheimkirchen sind wir fast geflogen, die Jubelschreie waren aber nicht nur dem Rückenwind geschuldet sondern auch Komoot, dessen Algorithmus uns auf diesen Weg geführt hatte und den Beinen von Sebastian und Matthias, die wie Lokomotiven vorne weg marschierten.

Nach einer Eis-Pause in Böheimkirchen trat ein Phänomen auf, dass ich schon von anderen längeren Ausfahrten kannte und vor allem von meiner Fahrt nach Kärnten vor einigen Jahren. Fährt man nach der Arbeit noch eine Runde, dann sind 50 Kilometer viel, wenn man allerdings seit über 10 Stunden unterwegs ist und schon 250 Kilometer in den Beinen hat, dann sind 50 Kilometer eher “wir sind eh schon fast zuhause”. Und dieser Trugschluss ist gleichsam eine beliebte Falle, denkt man sich doch meistens, “ach, die 50 Kilometer fahren wir noch schnell fertig”. Dass dem nicht so ist, wenn man sich nicht um seine Tanks kümmert und trotzdem noch weiter isst und trinkt, dass lernt man auf die harte Tour. Bei meiner Fahrt nach Kärnten musste ich deshalb knapp 15 Kilometer vor meinem Ziel noch eine “richtige” Pause einlegen und mich um meine Ernährung kümmern. Am Rückweg aus Mariazell und einige wenige Kilometer von Wien entfernt, hatte ich glücklicherweise noch zwei Mitstreiter, die sich meiner annahmen. Die letzten 40 Kilometer hatten nur noch zwei kleine “Schupfer” aufzuwarten - einmal in Neulengbach, der andere bei Rekawinkel. Auch diese wenigen Höhenmeter waren für mich nur im Schneckentempo zu absolvieren, dazwischen konnte ich den Windschatten von Matthias und Sebastian genießen. Wäre ich alleine unterwegs gewesen, hätte ich hier wohl noch einmal eine längere Pause zum Auffüllen einlegen müssen - oder weniger Eis essen…

Pünktlich wie die Sonnenuhr und begleitet von einem wunderbaren Sonnenuntergang trennten sich unsere Wege an der Westeinfahrt von Wien nach 288 gemeinsamen Kilometern. Es ist entlang der Strecke nichts außergewöhnliches passiert - keine Regenbogen, keine Einhörner, keine Epiphanien (auch wenn man das bei Mariazell schon erwarten hätte können). Dennoch war es ein Tag, den man wohl als “episch” bezeichnen würde und es war ein Tag und ein Erlebnis, das man mit Freunden teilen konnte. Die gemeinsame Zeit auf der Straße, das Erleben des Wetters, der Umgebung, der Landschaft, der Temperatur, des Zustands der Mitfahrer, das Auf und Ab, die Gemeinschaft und das “Zusammen” sind wohl Dinge, die man nur auf diese einzige Art und Weise erfahren kann. Die Motorradfahrer sind zwar gemeinsam unterwegs, können aber nur punktuell miteinander kommunizieren und sind außerdem (viel) zu schnell unterwegs. Der Wanderer oder Pilger ist mir persönlich wiederum etwas zu langsam unterwegs, auch wenn er dabei vielleicht mehr Zeit hat, in sich zu gehen. Mit dem Auto fehlt der direkte Bezug zur Umgebung. Ohne das Auspowern und das Vorankommen durch den eigenen Körper fehlt eine wichtige Komponente, durch die man merkt, zu was der eigene Körper imstande ist. Gut, jetzt ist es doch noch etwas emotional geworden am Ende… Mariazell eben!

Route auf Komoot: https://www.komoot.de/tour/195544736

Was bringt 2020?

Mit Vorsätzen für das neue Jahr ist es so eine Geschichte… Der Schwung, Elan und Idealismus aus den wenigen freien und hoffentlich entspannten Tagen rund um Weihnachten und Neujahr ist in der zweiten Jännerwoche oft schon wieder zur Gänze verflogen - und damit auch die guten Vorsätze. Grund genug für mich, mit meinen Plänen für das Jahr 2020 erst dann herauszurücken, wenn das Jahr wieder in seine normale Ordnung zurückgekehrt ist, der Alltag erneut funktioniert und auch die eine oder andere Idee wieder sanft auf dem Boden der Realität angekommen ist.

2019 war gut zu mir und meinen Projekten - darüber können auch kleine Rückschläge, DNFs und Weh-Wehchen nicht hinwegtäuschen. Die Möglichkeiten, hier meine Erlebnisse mit anderen zu teilen, haben mir im vergangenen Jahr große Freude bereitet und werden das auch in den kommenden Monaten tun. An der Mischung aus Rennberichten, Tests, Fotos und - seit kurz vor Weihnachten - Podcasts wird sich 2020 also nichts Wesentliches ändern. Jedes Format kommt dort zum Einsatz, wo es am besten passt.

169k

An der sportlichen Front habe ich mein großes Ziel aus dem letzten Jahr kurzerhand ins neue Jahr mitgenommen. Die Teilnahme an der Race Around Austria Challenge ist 2019 noch an meinem bescheidenen Fitnesslevel und den mangelnden Trainingsstunden gescheitert, für 2020 sind die Rahmenbedingungen bessere. Das Training - sowohl in Struktur als auch Umfang - ist schon jetzt auf das Highlight des Jahres ausgerichtet, dafür habe ich sogar einen Teil meiner Freigeistigkeit aufgegeben und mich einem Leistungstest und dazugehörigen Trainingsempfehlungen unterworfen. Zusätzliche Motivation erhalte ich aus dem Rennmodus der RAA Challenge, die dieses Jahr zum ersten Mal in einer “Unsupported”-Variante bestritten werden kann. Dabei verzichtet man auf Begleitfahrzeug, Crew und Support und begibt sich alleine auf die 560 Kilometer lange Distanz rund um Oberösterreich. Ich war bei der Testfahrt im Oktober dabei und habe mir dort meinen letzten Gusto geholt - auch wenn mich die Anstiege im Mühlviertel kurz zweifeln haben lassen. Besonders freut mich, dass der Virus Race Around Austria auch in meinem Umfeld zu wirken begonnen hat - so finden sich in und rund um Wien mehrere Mitstreiter und Teams, die man wohl an der Startlinie in Sankt Georgen treffen wird. Das RAA wird mich - und dadurch auch alle Leser/Hörer/Seherinnen von 169k - das Ganze Jahr über in unterschiedlichen Formaten begleiten - von einem Videotagebuch über einen RAA-Nightride in Wien bis hin zu RAA-”Stammtischen”, die Teilnehmer*innen und Interessierte unkompliziert zusammenbringen.

Ob und in welcher Form ich auch beim zweiten Rennen “Rund um…”, dem Race Around Niederösterreich nämlich, dabei sein werde, ist derzeit noch Thema von Verhandlungen und Überlegungen. Fix hingegen sind einige andere Termine: Gespannt bin ich auf den Radmarathon Bad Kleinkirchheim, der als Teil der Austria Top Tour in den Rennkalender zurückkehrt. Wir erinnern uns, vor wenigen Jahren gab es dort einen Unfall, eine darauffolgende Klage eines Teilnehmers und als Rattenschwanz bleiben uns heute noch dutzende Formulare und Haftungserklärungen, die wir vor jedem Rennen und Marathon zu unterzeichnen haben. Umso bewundernswerter finde ich, dass die Organisatoren rund um den Radclub Feld am See die Segel nicht endgültig gestrichen sondern mit voller Kraft weitergemacht haben und dieses Jahr wieder ein Rennen stellen. Auch Teil der Top Tour ist der Super Giro Dolomiti, mit dem ich bekanntermaßen ja noch eine Rechnung offen habe - dass ich diese Scharte ausgerechnet über den Monte Zoncolan ausmerzen soll, macht die Sache nicht einfacher aber der Blogpost wird so oder so ein guter werden - da bin ich zuversichtlich.

Noch ein weiterer Baustein der Austria Top Tour - wenn auch auf anderem Untergrund - ist die Salzkammergut Trophy in Bad Goisern. Nachdem ich seit letztem Jahr nebenbei wieder auf dem MTB sitze und in Mondsee auch mein erstes diesbezügliches Rennen bestritten habe, steht der Plan, hier 2020 mehr zu machen. Zwar hat mir das Event in Mondsee aufgezeigt, dass für MTB-Rennen noch einmal andere Anforderungen gelten und ich dabei nicht besser sondern eher noch etwas weiter hinten unterwegs bin, dennoch überwiegt der Spaß und die Lust an den breiten Reifen. Noch ist nicht klar, an wieviele Startlinien ich mich stellen werde - es gibt im MTB-Sport zahlreiche spannende Rennserien -, aber das eine oder andere wird da schon dabei sein. Und abseits des organisierten Fahrens freue ich mich darauf, mit dem MTB in alpinere Regionen vorzustoßen - der Stoneman Dolomiti ist da so ein Projekt, das mich sehr reizen würde.

Und auch zwischen Rennrad und MTB bleibt noch etwas Platz - für ein Gravel Bike nämlich. Nachdem ich das BMC URS nunmehr bei zwei Gelegenheiten ausgiebig testen durfte und mein eigenes Exemplar innerhalb der nächsten Wochen bei mir zuhause stehen sollte, freue ich mich auf spannende und abenteuerliche Ausfahrten. Der Variantenreichtum der möglichen Routen und die Flexibilität unterwegs machen ein Gravelbike zu einem spannenden Begleiter und ich habe einige Projekte im Sinn, über die ich aber noch nicht allzu viel verraten möchte… ;)

Events & Fotos

Veranstaltungen und Fotos nehmen auf 169k einen großen Platz ein und das wird auch im Jahr 2020 der Fall sein. Zu spannend, vielfältig und unterhaltsam sind die Geschichten und Bilder, die sich bei derartigen Gelegenheiten auftun, als dass man nicht über sie berichten sollte. Die Österreich Rundfahrt steht wieder auf meinem Menüplan, die Rad-WM findet 2020 in der Schweiz statt - nahe genug also, um eventuell vorbeizuschauen, der Giro d´Italia startet in Budapest - mit dem Zug schnell erreicht und auch Tour of the Alps oder die eine oder andere kleinere Rundfahrt in einem unserer Nachbarländer ist in Schlagdistanz.

Nicht ganz so groß aber nie und nimmer weniger abwechslungsreich sind die kleinen Rennen in und um Wien, zum Beispiel der Kriterium-Cup auf der Donauinsel, der auch 2020 wieder vom VICC - Vienna International Cycling Club mitorganisiert wird oder das großartige Wiener Bahnorama, das regelmäßig und niederschwellig für tolle Unterhaltung auf der Wiener Radbahn sorgt.

Videos & Podcasts

Ich habe länger darüber nachgedacht, welche Kanäle wieviel Zuwendung brauchen und welche Formate wieviel Aufwand erzeugen. Dabei geht es mir natürlich nicht um Gewinnmaximierung (denn den gibt es nicht) oder Aufwandsminimierung (denn sonst würde ich das Ganze hier nicht machen) sondern darum, für die richtigen Inhalte auch das am besten geeignete Format zu finden. 2020 wird es daher alles geben, von Text über Fotos bis hin zu Videos und Podcasts. Hier auf der Homepage wird alles zusammenlaufen, werden alle Informationen und Formate gesammelt abzurufen sein. Feedback und Anregungen sind immer willkommen, gerade in der Anfangsphase neuer Formate freue ich mich über Rückmeldungen von euch und dir.

Zwift

Mit meinen zeitlichen Ressourcen muss ich nach wie vor haushalten. Sobald zwischendurch oder abends etwas Zeit bleibt, möchte ich diese für Trainings und Radeln nützen und dabei die Zeit am Rad maximieren. Das heißt im Umkehrschluss, dass ich mir bei Dunkelheit, Kälte und Wetter das umständliche Anziehen, Herrichten und Vorbereiten spare und mich auf die Rolle setze. Im Gegensatz zu manch anderen - die mir diesbezüglich schon eine Art Störung attestieren wollen - macht mir das Rollentraining wirklich Spaß. Ich habe kein Problem damit, stundenlang im Kreis zu fahren, vermeintlich monoton dahinzurollen oder meinen Geist anderen Prüfungen zu stellen. Die Abwechslung und Kurzweile von Zwift helfen mir, die Kilometer abzuspulen, die ich für meine RAA-Vorbereitung brauche. Zusätzlich schmökere ich regelmäßig durch die unzähligen Trainingspläne und -programme auf Zwift, um mir das eine oder andere strukturierte Training zu suchen. Events auf Zwift - wie die derzeit laufende Tour de Zwift - bieten zusätzliche Motivation. Und wenn wir schon (wieder) vom Race Around Austria sprechen: Ich habe mir auf Komoot bereits die Route des RAA abgespeichert und zurechtgelegt und werde die Funktion des Wahoo Kickr ausprobieren, einen “echten” GPS-Track am Trainer nachzufahren. Die Steigung und die Streckenbeschaffenheit werden dabei wie gewohnt vom Kickr gesteuert. Vielleicht bekommt man so etwas Gefühl für die Strecke - und in der Vorbereitung für das RAA ist mir jedes Hilfsmittel recht.

Rides

Damit ich nicht immer nur alleine unterwegs bin, möchte ich 2020 schließlich wieder mehrere Rides ausschreiben. In den letzten beiden Jahren ist die Zahl der organisierten oder ausgeschriebenen Social- und Community-Rides stark zurückgegangen. Die Gründe dafür kann ich mir nur zusammenreimen - ich denke, es ist eine Mischung aus dem Aufwand, der mit der Organisation eines Rides natürlich verbunden ist, und zum anderen - unter Berücksichtigung der teils eher angespannten Situation auf den Straßen - auch eine gewisse Belastung, sich für eine Gruppe in gewisser Weise verantwortlich zu fühlen.

Etwas entschärfen lässt sich diese Situation, wenn man auf einen tollen Verein zurückgreifen kann, der bei solchen Dingen (und bei anderem Blödsinn) immer gerne dabei ist. Auch 2020 bin ich wieder Teil des PBIKE.AT Racing Team, obwohl ich mich vom Wortteil “Racing” nur bedingt angesprochen fühle… Es wird in diesem Sinne mehrere Veranstaltungen geben, bei denen 169k und Pbike gemeinsam auftreten werden - Kräfte zu bündeln, macht hier jedenfalls Sinn.

Feedback

Ich freue mich auf das Jahr 2020, ganz egal, ob die oben genannten Dinge eintreten werden oder nicht. Denn ich weiß jetzt schon, dass ich Freude haben werde, bei dem was ich machen darf. Und ich werde weiterhin die 169k-Kanäle mit Inhalten füllen. Wenn es Wünsche, Anregungen, Kritik, Beschwerden, Tipps oder Feedback gibt, bitte Immer her damit! Wir sehen uns auf der Straße - Ride On!

Titelbild aufgenommen von Nora!

Race Around Austria - Challenge "Unsupported"

(Autor: Race Around Austria)

Oftmalig wurde der Wunsch vieler Athleten an uns herangetragen, das Race Around Austria auch “unsupported”, also ohne Betreuer und Begleitfahrzeug zu absolvieren. Schon alleine aufgrund von Sicherheitsbedenken haben wir bisher immer davon Abstand genommen, ein Rennen mit einer Länge zwischen 560 und 2.200 Kilometer ohne Betreuer auszutragen. Richtig ernsthaft befasst haben wir uns mit diesem Thema dann zu Jahresbeginn 2019, zumal die Rennen in Europa vermehrt auch eine derartige Kategorie anbieten. In Italien ist dies schon länger der Fall, auch die Tortour in der Schweiz ermöglicht eine unbegleitete Teilnahme an der Challenge seit geraumer Zeit.

Für uns als Veranstalter war klar, dass wir eine solche Kategorie nur dann andenken, wenn wir Sicherheitsbedenken auf ein absolutes Minimum reduzieren können. Dazu zählt einerseits die Ausrüstung, andererseits aber auch ein sinnvoller Modus und eine 100%ige Sicherheit hinsichtlich technischer Voraussetzungen. Wir führten einerseits zu diesem Thema Gespräche mit unserem GPS-Partner Perfect Tracking und überlegten uns gemeinsam mit dem Amt der OÖ Landesregierung, ob eine Durchführung rechtlich möglich und genehmigungsfähig ist, denn das RAA ist ein Rennen und daher auch mit zahlreichen Auflagen genehmigungspflichtig. Gleichzeitig klärten wir mit der Landespolizeidirektion ab, welche Ausrüstung am Rad erforderlich sein muss und holten hier eine Stellungnahme ein. Vor allem die Nachtfahrt in entlegenem Gebiet ohne notwendige Infrastruktur und Versorgungsmöglichkeit zwischen 19:00 Uhr und 07:00 Uhr stellt nicht nur Organisation, sondern auch Teilnehmer vor eine Herausforderung. Natürlich benötigt es dazu auch ein Sicherheitskonzept: Was tun, wenn es einen Tag lang stark regnet und die Temperaturen stark fallen? Auch hier ist man als Veranstalter gefordert, egal ob ein Teilnehmer mit oder ohne Begleitfahrzeug unterwegs ist.

Zur „Pro“-Entscheidung haben uns mehrere Aspekte bewogen:

• GPS-Tracker für 30h am Rad: Von unserem GPS-Dienstleister gibt es ausfallsichere, autarke und gleichzeitig leichte GPS-Geräte, die am Rad fixiert werden können und mit akzeptablem Gewicht (ähnlich eines Mobiltelefons) idente Sendeleistungen und Sendeintervalle wie unsere herkömmlichen Tracker besitzen. Im Falle eines wirklichen Ausfalls können wir auf Standortapps zurückgreifen. Das Mitführen eines Smartphones mit Powerbanks ist unbedingt erforderlich.

• Ein praktikabler Startmodus: Die Challenge Unsupported wird vor der eigentlichen RAA Challenge, und zwar um 15:00 Uhr gestartet. Sollte es also zu Notfällen auf der Strecke kommen, kann man damit rechnen, dass auch in entlegenen Gebieten jemand vor Ort ist und ein gewisser „Betrieb“ herrscht.

• Nicht zuletzt sind mittlerweile die Licht- und Navigationsgeräte technisch weit ausgereift.

• Ein Depot bei Halbzeit des Rennens: Schon bei der Planung wurde uns klar, dass das Credo „Eine Tankstelle hat in Österreich zwischen 06:00 Uhr und 22:00 Uhr offen“ nicht unbedingt Gültigkeit hat. Viele Tankstellen wurden auf Automatentankstellen umgestellt, die meisten schließen an unserer Strecke bereits um 19:00 Uhr. Spätestens nach unserer Testfahrt sind wir uns sicher, dass die Möglichkeit, bei Start und Ziel eine Kiste befüllen zu können, die dann bei der Firma Hrinkow Bikes in Steyr hinterlegt werden kann, eine wichtige – auch sicherheitstechnische – Komponente mitten in der Nacht ist, vor allem dann, wenn das Wetter nicht mitspielt. Das Depot ist auch für die Rennleitung wichtig: Während beim Rennen mit Begleitfahrzeug die Crew jederzeit entscheiden kann, ob der Teilnehmer die Fahrt fortsetzen kann, ist dies beim Unsupported-Rennen nicht der Fall. Alleine deshalb ist zumindest ein Checkpoint gerade zu dieser Uhrzeit notwendig.

Nicht zuletzt wollten wir die Challenge Unsupported auch testen, deshalb haben wir vergangenes Wochenende (12/13. Oktober) unseren Moderator Oliver auf die Strecke geschickt. Begleitet wurde er von einem Media Car, das aber nicht in die Fahrt eingriff und keine Betreuungsaufgaben übernahm.

Trotz Oktober hatten wir für die Testfahrt unnatürlich schönes und trockenes Wetter. Klar ist, dass ein Unsupported-Rennen gerade bei Regen extrem werden kann. Die Temperaturen waren auch in der zweiten Nachthälfte noch erträglich und nur knapp unter dem zweistelligen Bereich. Kein Regen, kein Nebel, im Gegenteil: Am Morgen wehte kräftiger Südföhn, der vor allem vom Hengstpass bis Kirchdorf unser Versuchskaninchen ordentlich beschleunigte. Das waren zugegebenen Normbedingungen, mit denen man beim Rennen selbst nicht unbedingt rechnen kann.

Trotzdem konnten wir für unsere ersten Unsupported-Teilnehmer einiges mitnehmen:

Bekleidung

Das Depot in Steyr eignet sich für das Hinterlegen von Bekleidung (mit Ausnahme bei Regenwetter) kaum, höchstens als Backup. Generell muss die Bekleidung für das Rennen wohl sehr kurzfristig gewählt werden, nachdem man aber im August wohl damit rechnen kann, dass man sich um 20:30 Uhr für die Nacht, und um 08:00 für den Tag an- und umziehen muss, ist alles an Bekleidung am Rad mitzuführen. Zuviel Risiko würden wir nicht eingehen, aber ob Regen oder nicht, darauf kann man sich mit einer guten Vorschau sicher einstellen.

Verpflegung

Wie oben schon erwähnt ist die Servicedichte auf der Strecke sehr eingeschränkt, auch am Tag. Hier heißt es vorausplanen und ein gutes Konzept zurechtlegen. Gesehen haben wir, dass jeder Supermarktbesuch wirklich viel Zeit kostet. Hier kommt wieder unser Depot ins Spiel, das so ausgelegt wurde, dass man sich mitten in der Nacht, genau bei Halbzeit die Taschen wieder gut füllen kann und mit der entsprechenden Ernährung möglicherweise sogar bis zu 200km weit kommt. Schwierig könnte allerdings auch die Suche nach Trinkwasser werden. Die Brunnendichte ist keine hohe, die meisten Ortsbrunnen sind mit „Kein Trinkwasser“ versehen. Ein Tipp sind mitunter Friedhöfe, hier gibt es oft eine Füllmöglichkeit. Auch hier heißt es: Gut planen, denn oftmalig kommt man gar nicht in Ortszentren, sondern fährt auf Umfahrungen, abseits von Geschäften.

Taschen

Sehr bewährt hat sich die große Satteltasche und die Tasche am Oberrohr.

Beleuchtung und Strom

Vorgeschrieben sind zwei Garnituren Licht. Je heller desto besser, vor allem beim Rücklicht. Mit der Strecke am Computer gab es kaum Navigationsprobleme, wenn man sich die Strecke zudem gut einprägt, erwischt man auch intuitiv schnell die richtige Abzweigung. Ohne ordentliche Powerbank geht sich die Navigation am Computer allerdings nicht aus. Auf das Routebook als Backup wurde kaum zurückgegriffen, viel mehr wurde es dafür genutzt, sich hinsichtlich Kilometer zu orientieren. Eventuell schadet hier eine eigene Marschtabelle am Oberrohr nicht.

Sichtbarkeit

Auch hier gibt es die klassischen RAA-Regeln und zusätzlich notwendige Ausrüstung (permanente Warnweste, auch am Tag). Mit unserem Media-Car haben wir aber gesehen, dass man gerade auf den Beinen, an den Rohren und am Helm (!) nie genug gute Reflektoren haben kann. Kein Autofahrer rechnet um 03:00 Uhr mit einem Radfahrer, zusätzliche Leuchtaufkleber schaden daher nie. Bei Warnwesten ist darauf zu achten, dass diese mit zahlreichen Reflektoren versehen ist. Ein gelber Anstrich alleine ist in der Nacht nicht sichtbar, hier zählt alleine die Reflektorfläche. Nachträglich würden wir sicher auf einen Warngurt zurückgreifen, der z.B. auf Amazon gut erhältlich ist, weniger Wind-Angriffsfläche hat und besser reflektiert als der bekannte Warnlatz, den man auf den Bildern sieht. Zudem ist er stufenlos einstellbar und je nach Bekleidung (Hitze mit 30°C oder mit einer Jacke) gut zu tragen.

Okt. 12 2019 DSCF6057.jpg

Dass das neue Format eine durchaus interessante Kategorie werden wird, davon sind wir nach unserer Testfahrt jedenfalls überzeugt. Nicht als Konkurrenz zur klassischen Challenge, vielmehr als Ergänzung und Möglichkeit, mit weniger technischem Aufwand beim Race Around Austria dabei zu sein. Mit einem klaren Fokus auf den Finishergedanken. Wir freuen uns auf 2020!

Daten und Fakten

CHALLENGE UNSUPPORTED
Modus: Einzelstart ohne Windschatten, ohne aktive Hilfe von außen, 1 Depot bei KM 330
Start: Mittwoch, 12. August 2020 (voraussichtlich 15:00-16:00 Uhr) im Minutentakt
Ort: St. Georgen im Attergau
Länge: 563km
Karenzzeit: 29 Stunden (1 Stunde mehr als bei der klassischen Challenge)
Erforderlicher Schnitt: 19,41 km/h
Kontingent: Max. 50 Solostarter
Anmeldestart: 15. Februar 2020, 09:00 Uhr

Infos: www.racearoundaustria.at

Race Around Austria 2019

Es war die 11. Ausgabe des Race Around Austria und meine dritte. Nachdem ich 2017 und 2018 - mit meinen Kameras ausgestattet – durch die Lande gerast bin, mit der Livetracking-Seite auf dem Telefon geöffnet, immer Ausschau haltend nach den Fahrerinnen und Fahrern, idealerweise auch noch an einer fototechnisch günstigen Stelle, hätte 2019 mein erstes Mal im Sattel werden sollen. Schon bei meinem Erstkontakt mit dem RAA bin ich dem Reiz des „Weitradlfoarns“ (wie Christoph Strasser es so schön nennt) erlegen und wollte seitdem immer selber in die Pedale treten. Die Strapazen, Anstrengungen und Entbehrungen, die man auch als Fotograf beim RAA mitbekommt und an vielen Gesichtern leicht ablesen kann vermengen sich zu einem Amalgam, das wohl nur leibhaftig „erfahren“ werden kann, so wie auch der Jubel und die Freudenmomente jener, die mitten durch das Attergauer Marktfest nach langer Fahrt wieder zurück zur Start- und Zielbühne rollen. Die Leistungen der Finisher*innen kann man bewundern, man kann sich mit ihnen freuen – was es aber wirklich bedeutet, nach 560, 1.500 oder gar 2.200 Kilometern wieder am Startort anzukommen, bleibt nur jenen vorbehalten, die sich tatsächlich auf die Reise machen.

Genau das wollte ich machen, erfahren und spüren. Allerdings war meine Vorbereitung, die ich in klassischer 169k-Manier etwas zu sehr auf die leichte Schulter genommen hatte, von Beginn an zu wenig ambitioniert, meine Konsequenz nicht ausgeprägt genug, die zeitlichen Ressourcen nicht ausreichend. Beim Super Giro Dolomiti im Juni dann der Weckruf, dass mit der bisherigen „Vorbereitung“ wohl kein Rennen zu gewinnen sein wird – der Rücken tat nach wenigen Stunden weh, die Beine waren schwer. Ohne Gram musste ich anerkennen, dass im Vorfeld für eine Herausforderung wie die Race Around Austria Challenge mehr Anstrengung und Training stehen muss, als ich mir bis dahin vorgestellt hatte. Zusätzlich fiel mir noch ein Satz aus Christoph Strassers Buch ein, der sinngemäß aussagt, dass viele Leute ihre (vermeintliche) mentale Stärke als Ausrede verwenden, um über körperliche Defizite (zu wenig Training, zu wenig KM, …) hinwegzutäuschen. Ein Umstand, mit dem man sich im Endeffekt keinen Gefallen tut. Während der Österreich Rundfahrt im Juli konnte ich Christoph noch einmal persönlich zu diesem Satz befragen und sein kurzes Nicken hat bei mir innerlich einen kleinen Schalter umgelegt, mit dem ich meine Pläne für die Challenge 2019 mehr oder weniger ad acta gelegt habe. Diese kleine „Bestätigung“ von außen habe ich offenbar gebraucht, um Sicherheit über meine bereits länger gewälzten Gedanken zu gewinnen. (Nicht falsch verstehen! Christoph hat mir das RAA nicht ausgeredet und ich habe auch keinen externen „Schuldigen“ gesucht oder gebraucht, aber mit jemandem darüber zu reden, war jedenfalls sehr hilfreich.) Und so packe ich Anfang August meine Koffer und Taschen und fahre statt auf Trainingsrunden lieber noch mit der Familie auf Urlaub, statt Ausdauernahrung ist Reiseproviant im Gepäck, die Tasche mit den Rad-Ersatzteilen weicht dem Fotorucksack – und das ist gut so. Es ist die Rolle, die ich bereits seit zwei Jahren kenne, in der ich mich wohlfühle und die mir beim Race Around Austria bis jetzt schon immer tolle Momente gebracht hat - #wecreateemotion eben.

12. August und die ersten Starterinnen und Starter rollen von der Rampe im Zentrum von Sankt Georgen. An den Eckdaten des Rennens hat sich nichts Grundlegendes geändert: Die Race Around Austria Challenge führt über eine Distanz von 560 Kilometern einmal rund um Oberösterreich und stellt so etwas wie den Einstieg ins Ultracycling dar, benötigt man für diese Strecke doch ungefähr 24 Stunden. Die beiden größeren Runden spannen hingegen den Bogen weiter – auf 2.200 Kilometern umrundet man Österreich in seiner vollen Pracht, auf der etwas kürzeren 1.500 Kilometer-Runde „erspart“ man sich den (angeblich etwas bergigen) Westteil der Strecke über Gerlos, Kühtai, Silvretta, Hochtannberg und Fernpass. An den Startzeiten und –blöcken hat das OK-Team des Rennens etwas geschraubt, sodass alle Teilnehmer möglichst rund um das Marktfest in Sankt Georgen von Samstag auf Sonntag ankommen. Es ist dieses Marktfest, das neben einigen anderen Aspekten, die Einzigartigkeit dieses Rennens ausmacht und stellvertretend für die tolle Stimmung steht, die den Fahrerinnen und Fahrer dabei hilft, die scheinbar unglaubliche Zahl an Kilometern abzuspulen. Während beim größten und wichtigsten Ultracycling-Rennen der Welt, dem Race Across America – außer den eigenen Betreuern und ein paar wahrlich eingefleischten Fans so gut wie niemand bei Start und Ziel vorzufinden ist, tragen die ganze Gemeinde Sankt Georgen, das Umland, das Bundesland und auch einige Stationen entlang der weiten Strecke rund um Österreich das Rennen voll und ganz mit, unterstützen die Organisation und helfen auf diese Weise mit, das Rennen für alle Beteiligten zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen. Man merkt meine Liebe zu diesem Rennen, und dabei bin ich es noch nicht einmal gefahren… ;)

An dieser Stelle möchte ich auch schon aufhören zu schwadronieren und lieber die Bilder der diesjährigen Austragung des Race Around Austria sprechen lassen!

Am Start

Unterwegs auf der Strecke

Im Ziel

Christoph Strasser beim RAAM

Wenige Tage vor dem Start des Race Across America hat Christoph Strasser noch die Zeit gefunden, ein paar Fragen zu beantworten und plaudert dabei - gewohnt sympathisch und offen - aus dem Nähkästchen… Über das Race Across America, Rekorde, Ziele und die Zeit danach.

Das Race Across America (RAAM) steht vor der Tür, wie haben die letzten zwei Wochen für dich ausgeschaut?

Genau zwei Wochen vor dem Start bin ich in Kalifornien - genauer in Borrego Springs - bei ca. Kilometer 140 der RAAM Strecke, das ist quasi der erste Ort, den man in der Wüste passiert. Ich hab mir schon lange abgewöhnt, über das Wetter zu jammern, aber man kann ganz nüchtern feststellen, dass das Wetter in Österreich sehr bescheiden war und hier ist es doch sehr warm und der Sprung ist recht groß und darauf muss man sich einstellen. Es hat hier momentan „nur“ 100 Grad Fahrenheit, das sind rund 37 Grad, wir hatten aber auch schon mal 40 Grad. Die Trainings, die jetzt schon noch fünf bis sechs Stunden umfassen, laufen eher puls- als wattgesteuert, weil der Puls viel höher ist und nach zwei bis drei Stunden stark zu steigen beginnt. Aber das wird von Tag zu Tag besser. Ich mache noch mittelschwere Intervalle bei 75-80 % FTP, außerdem Anstiege im Kraftausdauerbereich aber keine Spitzenintervalle mehr. Die letzten Wochen zuhause (ca. 1 Monat vor dem Rennen) habe ich einen Peak von 38 Wochenstunden gehabt, in Borrego Springs bin ich noch bei ca. 25, das geht runter auf 20 und die letzten Tage vor dem Start sind es dann nur noch zwei Stunden.

Unser Motel hat einen kleinen Pool, in dem man gut regenerieren kann. Und außerdem eine kleine Küche, in der wir immer selbst kochen. Da sind mir frische Zutaten und viel Gemüse wichtig. Niemals essen gehen, weil man da nie weiß, was man genau bekommt. Es darf auch schon mal ein Burger sein, zumindest einmal gehört das als Ritual dazu. Wir sind jetzt zu dritt da, zwei Betreuer mit mir, die jetzt auch selber noch etwas zum Radeln kommen - sie sind dann eh acht Tage eingesperrt im Auto, jetzt bekommen sie noch ein bisschen Auslauf. Wir haben die drei Räder mit, die werden alle testgefahren, dann gibt es ein kleines Service (Kette tauschen, putzen, Reflektoren aufkleben, Satteleinstellungen, Reservesattel testen - da gibts viele Stellschrauben an denen man dreht). Das sind die Dinge, die neben meinen Trainings-Einheiten die Tage vor dem Rennen füllen. Am Start muss man absolut erholt und klar im Kopf stehen.

Es ist deine neunte Teilnahme und du visierst den sechsten Sieg an (und wärst damit alleiniger Rekordhalter). Du musst das Rennen mittlerweile auswendig kennen und weißt auch, welche Strapazen auf dich zukommen. Wie motivierst du dich (noch immer) für das Rennen?

Es stimmt, dass ich es auswendig kenne - das liegt daran, dass sich die Strecke jetzt quasi seit einem Jahrzehnt nicht geändert hat. Der Vorteil ist, dass man weiß, worauf man sich einstellt, man kann jeden Streckenabschnitt optimieren, weiß wo man auf welches Rad wechseln soll, kennt alle Parkbuchten, weiß Plätze für Pausen, wo das Wohnmobil für eine Stunde Schlaf in Ruhe stehen kann. Natürlich wäre es attraktiver und spannender, wenn sich die Route wieder mal ein wenig ändern würde. Wolfgang Fasching ist beispielsweise einmal im Norden in Portland gestartet und ist in Florida ins Ziel gefahren, da war die Route eine ganz andere. Da kann man dann allerdings die Zeiten überhaupt nicht miteinander vergleichen - andere Berge, andere Landstriche, ein anderes Rennen.

Ich kenne großteils die Strapazen, die auf mich zukommen - auch wenn immer wieder neue Dinge passieren, mit denen man nicht rechnet. Ich kenne aber auch die positiven Aspekte, die immer wieder bei einem Rennen auftreten und die eigentlich auch immer überwiegen. Das ist schon eine sehr, sehr große Motivation. Es ist ein sehr angenehmer und aufregender Ausnahmezustand, in dem man da ist. Man trainiert das ganze Jahr darauf hin und es ist sehr erfüllend, sich jeden Tag seinem Ziel nach und nach anzunähern. Das Erlebnis des Rennens an sich, die Hochs und Tiefs, die man mit seinem Team erlebt und durchsteht, die vielen Menschen, die man trifft und die einen anfeuern - es sind nicht viele Fans, aber die wenigen, die das mitverfolgen sind dafür umso enthusiastischer und intensiver dabei. Es ist jedes Jahr anderes Wetter, teilweise andere Betreuer, neue Konkurrenten - es ist immer ein anderes Rennen, eine neue Challenge und eine neue Erfahrung!

Man kann den Vergleich anstellen mit einem Schifahrer, der jedes Jahr den Nachtslalom in Schladming bestreitet oder die Hahnenkammabfahrt runterfährt. Es ist trotzdem jedes Jahr eine große Sache, beim größten Radrennen der Langstreckenszene dabei zu sein, das ist eine große Ehre. Und wenn ich mich dafür entscheide, eine Saison zu fahren, dann möchte ich da auch die größten oder das größte Rennen fahren und das ist halt das RAAM - vom Mythos her, vom Stellenwert her. Dass das Race Around Austria (RAA) beispielsweise von den Zuschauern vor Ort, von der Organisation und der Professionalität her in einer höheren Liga ist und einfach einzigartig geil ist, muss natürlich auch erwähnt werden.

Ich schaue gerne Tennis, ich schaue gerne Fussball - es gibt in vielen Sportarten Leute, die schon viel gewonnen haben, ob das Nadal, Federer oder Djokovic sind (wie jetzt gerade bei den French Open) und seit Jahrzehnten das Ganze dominieren. Die spielen im Prinzip glaube ich alle, weil sie den Sport lieben, das Leben mit dem Sport lieben, das ist die Grundmotivation. Und so ist das auch bei mir. Nur auf Erfolge und Rekorde loszugehen, würde zu wenig Motivation bringen. Ich hab auch unter dem Jahr Wege gefunden, mich zu motivieren, an mir zu arbeiten, im Training alles zu geben, mit meinem Coach Trainingsziele zu definieren. Mir sind auch kleinere Rennen wie z.B. das Zeitfahren in Mörbisch oder der King of the Lake wichtig, weil ich darauf hintrainieren kann, darin einen Sinn sehe, ein besserer Radfahrer zu werden. Wenn ich etwas machen würde, nur um meinen Bekanntheitsgrad zu steigern oder das marketingtechnsich auszuschlachten, dann dürfte ich schon lang nicht mehr beim RAAM mitfahren, weil im Prinzip jedes Jahr die gleiche Geschichte für die Medien nicht wirklich mehr interessant wäre. Ich mache das aber nicht aus diesem Grund, sondern weil ich das Rennen geil finde!

Wie wichtig ist dir der Rekord der meisten RAAM-Siege?

Der Rekord ist mir ehrlich gesagt schon wichtig. Es waren mir die letzten Jahre viele Dinge nicht wichtig, wenns um Erfolge und Rekorde geht. Ich mache das, was ich gerne mache und wenn man sich dabei selbst treu ist und über Jahre etwas konsequent und langfristig macht, dran bleibt und eine Ausdauer hat in seiner mentalen Einstellungen, dann kommen die Erfolge sowieso früher oder später. Die sind nicht das Ziel an sich, sondern die Folge davon, wenn man tut was man mag.

Aber jetzt ist ein Punkt erreicht, wo mir das schon wichtig ist, einen sechsten Sieg zu schaffen, weil ich selber eigentlich noch immer nicht glauben kann, dass ich überhaupt schon fünf mal gewonnen heb. Ich hab das noch so lebhaft in Erinnerung vor mir, als ich vor mittlerweile zehn Jahren zum ersten Mal am Start gestanden bin. Und irgendwie schließt sich jetzt zehn Jahre später der Kreis und es gibt diese einmalige Chance, vor allem auf drei Siege in Folge - das ist für mich etwas ganz Besonderes. Es ist sehr selten, das jemand die Möglichkeit für so etwas hat - und das hat bis jetzt noch niemand geschafft, weil es glaube ich auch ein Problem mit der Langzeitmotivation ist. Wenn man schon ein paar Siege auf seinem Konto hat, schrumpft irgendwie der Hunger, an sich zu arbeiten.

Startest du danach noch weiter beim RAAM?

Das kann oder will ich jetzt noch nicht sagen. Ich konzentriere mich jetzt einmal voll und ganz auf dieses Rennen. Was sicher ist: Wenn es mir heuer nicht gelingt, dann möchte ich beim RAAM auf jeden Fall wieder teilnehmen. Und ich möchte heuer so fahren, als wäre es mein letztes Mal, als wäre es meine letzte Chance dort etwas ganz geniales abzuliefern und mein bestes zu geben. Ob es dann das letzte Mal ist, wird man sehen. Sollte aber ein sechster Sieg gelingen, dann werde ich sicher darüber nachdenken, ob ich in Zukunft nicht andere sportliche Herausforderungen beim Ultracycling (also andere Rennen) in Angriff nehme. Aber das ist alles noch zu weit weg - jetzt heißt es einmal, nächste Woche fit am Start zu stehen, vielleicht so fit wie noch nie zuvor und einfach acht Tage Vollgas „owedrucken“.

Wie ordnest du dich rund um Wolfgang Fasching ein – seinen Rekord, bei jeder Teilnahme aufs Podium zu fahren – kannst du ja nicht mehr erreichen?

Da möchte ich etwas weiter ausholen. Es hat viele große Fahrer gegeben, die gerade dem RAAM einen Stempel aufgedrückt haben. Zum Beispiel Franz Spilauer, 1987 Dritter und 1988 Sieger, war der erste Österreicher, der das Rennen bei uns bekannt gemacht und der erste Europäer überhaupt, der das RAAM gewonnen hat. Er hat definitiv Pionierarbeit gearbeitet und damit dazu beigetragen, dass das RAAM bei uns in Österreich so bekannt ist. Und Wolfgang Fasching hat dann mit acht Teilnahmen, drei Siegen und einem Podium bei jeder Teilnahme natürlich ganz was Einzigartiges geschafft - immer ins Ziel zu kommen und immer ganz vorne dabei zu sein. Das ist wiederum von der sportlichen Leistung her wesentlich höher einzuschätzen.

Unter dem Aspekt muss ich auch meine derzeitigen Leistungen sehen. Mir ist schon bewußt, dass ich rein von den Zahlen her jetzt schon gewaltige Sachen geschafft habe, aber ich muss auch Danke sagen an meine Vorgänger, die Ultracycling in Österreich bekannt gemacht haben. 2003 war der letzte Sieger aus den USA beim RAAM, seitdem gab es sechs Siege für Österreich, fünf für Slowenien durch Jure Robic, drei mal Schweiz und einmal Deutschland durch Pierre Bischof. Seit 2003 waren nur diese Länder erfolgreich und dort finden auch die meisten 24h- und Ultra-Rennen statt, dort ist der Sport erfolgreich. Es gibt die Veranstaltungen, die neuen Fahrer kommen nach - das ist glaube ich der Grund, warum diese Nationen dort so gut sind. Wolfgang ist immer noch ein großes Vorbild - sportlich und menschlich - und deshalb glaube ich auch, dass man unsere Leistungen nicht unbedingt vergleichen kann.

Es hat aber natürlich in der Zeit seitdem auch viele technischen Fortschritte gegeben. Und das ist jedenfalls eine Stärke von mir, meinem Team und meinem Ausstatter Specialized. Der hat mich beispielsweise überredet, das Rennen einmal mit einem Zeitfahrer zu versuchen, und seitdem ist es quasi Standard, dass jeder Fahrer ein Rennrad und ein Zeitfahrrad dabei hat. Wir haben sehr viele Dinge ausprobiert, verfeinert und dazugelernt, die es zu Zeiten von Wolfgang Fasching in dieser Form noch nicht gegeben hat oder noch nicht Stand der Technik waren.

Welche Menschen 1. allgemein und 2. auf dem Rad inspirieren und motivieren dich?

Inspirierende Menschen sind für mich ganz allgemein Menschen, die trotz Schicksalsschlägen oder Unfällen mit Verletzungen und/oder Behinderung - vielleicht im Rollstuhl sitzend - nicht aufgeben und darum kämpfen, ein gutes Leben zu führen. Das ist für mich immer etwas sehr bewegendes, vor allem wenn solche Menschen z.B. dann auch an Langstreckenradrennen erfolgreich teilnehmen. Das ist immer sehr, sehr bewegend.

Ein persönliches Vorbild für mich im Sportbereich ist der Tennisspieler Roger Federer. Extremsportler, Kletterer oder ähnliche Charaktere faszinieren mich nicht so stark wie er. Federer vereint sehr viel in seiner Persönlichkeit. Er hat mittlerweile wirklich alles gewonnen, trotzdem ist er nach wie vor hoch motiviert, findet immer wieder neue Methoden, verschließt sich keiner neuen Herangehensweise, entwickelt neue Schläge und Spielweisen. Er ist ein echter Sir, höflich, cool, nett, am Boden geblieben - wenn man nach den Medien geht und Menschen, die sein Umfeld kennen. Sein Verhalten ist absolut edel und ich finde er ist eine riesengroße Inspiration auch für mich, der mit Tennisspielen im Grunde überhaupt nichts am Hut hat, außer dass ich alle Tennisspiele der Saison verfolge. Das ist ein cooler Sport, wo Mann gegen Mann, Persönlichkeit gegen Persönlichkeit antritt - alle Hochs und Tiefs und wie sich das abwechselt, das finde ich sehr faszinierend.

Einen Radfahrer als besonderes Vorbild habe ich auch, das war natürlich Jure Robic. Mit dem habe ich mich in meinen Anfangsjahren oft gemessen - Wolfgang Fasching hat ja mit dem Radfahren aufgehört, bevor es bei mir richtig gut gelaufen ist. Robic hat zwei Dinge vereint: zum einen ein absolut netter Mensch, umgänglich, cooler Typ, lustig - aber wenn er am Rad gesessen ist, war er eine Kampfmaschine, da ist nur nach vorne geschaut worden, keine unnötigen Pausen, kein Smalltalk, keine unnötigen Höflichkeiten, das ist nur Vollgas gefahren worden. Und das Ganze mit einem Tempo und einer Intensität, wo ich mir früher gedacht habe, das ist ja unglaublich, bei einem derart langen Rennen wie dem RAAM. Mittlerweile hab ich selber am eigenen Köper erlebt, dass man - mit richtig gutem Training und vielen Jahren im Sport - irrsinnig schnell und sehr, sehr lange fahren. Aber er war für mich insofern ein Vorbild: „Sei ein netter Kerl, aber wennst am Radl bist: sei a Maschin!“ In beiderlei Hinsicht hab ich immer versucht, mir von ihm eine Scheibe abzuschneiden.

Was sind die wichtigsten Punkte, die du aus deinen bisherigen Teilnahmen gelernt hast und jetzt umsetzen möchtest?

Gelernt hab ich soviel, dass das mittlerweile ein Buch gefüllt hat. Die wichtigste Sache ist die körperliche Fitness, das wird oft unterschätzt. Man hört sehr oft, es spielt sich das meiste im Kopf ab - das möchte ich etwas relativieren. Im Kopf musst du wissen, „warum mache ich das, wo will ich in ein paar Jahre stehen, und wie wichtig ist das für mich und vielleicht mein weiteres Leben“. Man muss über gewisse Dinge Klarheit im Kopf haben, darf keine offenen Fragen oder Konflikte mit sich herumtragen. Mentale Stärke wird aber oft als Ausrede verwendet, für Leute, die körperlich vielleicht nicht so fit sind oder nicht so viel Zeit zum Trainieren haben. Aber die körperliche Fitness brauchst du, das ist die absolute Basis und du kannst nur dann richtig schnell fahren, wenn du irrsinnig viel trainiert hast. Da hab ich mich von Jahr zu Jahr weiterentwickelt, denke ich.

Ich habe auch gemerkt, wie wichtig ein eingespieltes Team ist - du hast es glaube ich in deinem Bericht über das RAN ansatzweise miterlebt, was das ausmacht. Das Team muss so eingespielt sein, dass man ein gemeinsames Ziel hat, es darf keine unterschiedlichen Interessen im Betreuerteam geben. Ein eigenes Kapitel sind natürlich die Abläufe - wie das Team arbeitet, dass man nicht unnötig irgendwo eine Minute steht, dass man keine Fehler macht. Zwischenmenschliche Fähigkeiten sind notwendig, wenn die Phasen kommen, in denen der Radfahrer verwirrt, übermüdet und dünnhäutig wird - dann braucht man einfach Leute, die mit solchen Situationen auch umgehen können.

Ausrüstung ist natürlich auch eine eigene Thematik. Es ist mittlerweile etabliert, mit einem Zeitfahrrad und einem Rennrad unterwegs zu sein, ich habe sogar drei Räder - das Roubaix, das Tarmac und das Shiv, von meinem Ausstatter Specialized zur Verfügung gestellt. Komfort, Leichtigkeit und Aerodynamik sind die drei wichtigsten Punkte bei den Rädern.

Man braucht ein großes Ziel, aber man muss auch flexibel sein. Es gibt so viele Faktoren, die das von außen beeinflußen, das Ziel möglicherweise verhindern. Dann muss man im Kopf in der Lage sein, auf Plan B oder C umzuschalten, was dann schwierig ist, weil man sich natürlich unterbewusst auf ein Ziel einstimmt. Und wenn man nach zwei oder drei Tagen merkt, ich kann das nicht mehr erreichen, weil gewisse Faktoren nicht mehr mitspielen, dann besteht die Gefahr, dass man frustriert ist. Da arbeite ich sehr stark an mir selbst, dass ich - auch wenns nicht so gut läuft wie erträumt - trotzdem dranbleibe und nicht beginne zu resignieren.

Hat sich zu den Vorjahren etwas verändert? (Streckenänderungen oder ähnliches)

Nein, es gibt keine Änderungen. Die Strecke ist gleich, hie und da eine Baustelle, hie und da eine Umleitung. Das Wetter war sehr schlecht, es gab Überflutungen und einige Straßen sind kaputt. Man muss schauen, wie das Wetter wird, was die Wochenverfassung hergibt - wobei das mit der Trainingssteuerung gut auf den Punkt gebracht werden kann. Ansonsten werden wir das gleich angehen wie im Vorjahr, hoffentlich gleich gut und im Idealfall noch um eine Spur schneller.

Welchen Stellenwert hat das Team für dich und allgemein bei einem derartigen Unterfangen?

Einen unglaublich hohen Stellenwert. Ich hab für mich eine Aufschlüsselung, die lautet: 33% körperliche Fitness, 33% geistige Fitness und Motivation (auch unter dem Jahr, um zu trainieren) und 34% das Team. Weil die können mir - wenns mir körperlich und mental schlecht geht - helfen, achten auf meine Gesundheit, entscheiden, wann Pause gemacht wird, überwachen meine Nahrungsaufnahme… Im Prinzip tun die alles für mich - mein Job ist nur, rechts und links runterzutreten, munter zu bleiben, aufs Team zu hören und keinen Starrsinn zu entwickeln. Und ich glaube es ist eine meiner und unserer größten Stärken, dass ich loslassen und vertrauen kann und nicht alles unter Kontrolle haben muss. Viele andere Radfahrer können das nicht, wollen immer selbst alle Entscheidungen treffen, und das hat nach meinen Beobachtungen nie oder nur sehr selten zum Erfolg geführt.

Woran denkt man nach ein paar Tagen auf dem Rad – wie lenkt man sich ab, oder ist man in einer Art Trance?

Das ist einfach erklärt - hoffentlich an gar nichts. Idealerweise hat man Freude, hat Betreuer die einen Spaß machen, Musik, die man hören kann, Gespräche, die einen ablenken. Wenn man zum Nachdenken anfängt, ist das schlecht! Man muss aber eigentlich die Frage anders stellen, nämlich wie man das ein ganzes Jahr lang aushält, in der Vorbereitung. Wenn sieben Stunden Ergometertraining am Plan stehen, das sind die wirklich harten Geschichten - wo ich mich oft selber frage, wie schaffe ich das. Aber da hab ich ein Ziel vor Augen und Ablenkung (Fernsehen, Trainingskollegen, Musik…) und im Rennen ist es dann eigentlich recht spannend, weil es Konkurrenten, Zwischenstände und Berichterstattung in den sozialen Medien gibt. Über Facebook kommen Nachrichten und Kommentare, Leute teilen mir mit, wie sehr sie durch meine Leistungen motiviert werden und wie sehr sie mir die Daumen drücken. Der Zuspruch von außen hilft mir schon sehr - aus ganz eigener Kraft würde ich niemals so eine Leistung abrufen können oder mit so wenig Schlaf durchkommen.

Ernährungstechnisch setzt du weiterhin auf Ensure Flüssignahrung? Wie individuell ist Ernährung, wie findet jede*r am besten heraus, was ihm/ihr am besten passt?

Ja, ich setzte weiterhin (und das mittlerweile seit einem Jahrzehnt) auf Ensure Flüssignahrung, und auf das GS High Energizer Getränk, bei dessen Entwicklung ich mit dabei war - das sind die zwei Dinge, die ich zu mir nehme, abgesehen von einigen Nahrungsergänzungen (z.B. Panaceo mit Guarana, was beim Munterbleiben hilft, Magnesium, Salztabletten…) Aber Ernährung ist individuell, so wie auch Trainingsplanung individuell ist - es verträgt nicht jeder das gleiche. Aber ein Grundmotto sollte immer gelten - auch wenn es nicht Flüssignahrung ist: so leicht verdaulich, wie möglich (da ist Flüssignahrung natürlich optimal, weil der Magen nichts zu tun hat und mehr Energie für die Muskulatur zur Verfügung steht) und es sollten damit 300-500 Kalorien pro Stunden geliefert werden, damit man seine Leistung aufrecht erhalten kann. Welche Produkte da genau passen, muss man aber einfach ausprobieren.

Was sind deine Pläne für 2019 nach dem RAAM?

Ich möchte auf jeden Fall beim Race Around Austria dabei sein, eventuell in einem Zweierteam, wobei sich das erst nach dem RAAM final entscheiden wird. Im September findet der King of the Lake statt und eine Woche später gibts in Holland eine Art Monster-Zeitfahren über 140 Kilometer - das möchte ich gerne machen. Ich möchte aber auch noch einmal versuchen, in 24h die 1.000 Kilometer zu knacken. Es ist da tatsächlich noch nichts konkretes geplant aber darauf will ich mich nach dem RAAM vorbereiten. Die Frage wird sein, wo man sowas machen kann - auf der Indoorbahn wird das nicht funktionieren, vielleicht eine Outdoorbahn oder irgendein lässiger, abgesperrter Kurs. Viele Fragezeichen noch, ich bin mir aber sicher, dass es bei körperlich und ausrüstungstechnisch perfekten Bedingungen möglich ist, die 1.000 km an einem Tag zu knacken. Das ist noch eines meiner Lebensziele, das ich mit dem Radfahren erreichen will.

Wohin geht dein Weg mittel/langfristig? Ist das RAAM noch steigerbar (ohne dass es irgendwann „absurd“ wird – Stichwort DecaUltraIronmans usw.)

Da hab ich noch keinen genauen Plan. Ich konzentriere mich aufs Hier und Jetzt, aufs jeweils nächstgrößere Ziel. Wenn ich zu weit in die Zukunft denke, habe ich zu wenig Zeit für das Hier und Jetzt. Ich werde sicher weiter Radfahren, auch wenn das RAAM dann nicht mehr mein Saisonhöhepunkt sein sollte. Das RAAM ist grundsätzlich schon steigerbar, ich sehe das nicht von der Distanz her - man sieht bei anderen Menschen, dass weiter fahren kein Problem ist und ich weiß auch, dass ich weiter fahren könnte. Ich frage mich aber eher, wie schnell ich noch fahren kann auf den langen Distanzen. Für mich wäre es ein größerer Erfolg, bei einem 24h Rekordversuch noch ein paar Kilometer draufzulegen, bei einem RAAM die Durchschnittsgeschwindigkeit um noch ein paar Zehntel zu erhöhen oder nochmal unter acht Tagen zu bleiben. Das zu schaffen hat für mich mehr Reiz und hat einen größeren Stellenwert als eine doppelte oder dreifache Strecke zu fahren, was funktionieren würde, aber mich in der Form nicht unbedingt interessiert.

1.000km in 24h? Möglich bzw. dein nächstes/ultimatives Projekt?

Für mich ist es ein Ziel, wie richtige Radfahrer in der Pro Tour, Rennfahren auf die lange Strecke zu bringen. Ich glaube, dass man das auf 1.000 Kilometern in 24 Stunden auch zuspitzen kann. Aber wie vorhin schon gesagt, die Dinge sind hier erst in Planung. Es wird wieder Windkanaltests bei Specialized usw. geben, aber die größte Frage betrifft natürlich die Streckenwahl.

Gibt es andere Bereiche des Radsports, die dich reizen?

Sehr stark Zeitfahren - auch die kürzere Strecken, weil ich die Physik dahinter sehr spannend finde, die Mischung aus Aerodynamik und Leistung. Es ist die ehrlichste Disziplin, kein Taktieren, kein Windschatten, es gibt nur die Strecke, das Rad und dich. Vielleicht interessiert mich das auch besonders, weil ich dagegen Langzeitbelastungen (Schlafentzug, lange Zeiträume) schon so oft erlebt habe und da schon viel herausgefunden habe, wie man das schaffen kann. Aber die neuen Herausforderungen sind für mich diese klassischen Zeitfahren, die finde ich echt, echt cool.

Interessieren dich „Michael Strasser-Projekte“?

Ich hab den Wettkampf sehr gerne, ich finde es so cool, wenn Rennen stattfinden, wenn man sich auf einen fairen, ehrlichen, sich gegenseitig respektierenden Wettkampf einlässt, sich mit anderen Leuten misst, die gleiche Strecke absolviert und Wetterbedingungen hat und dann einfach schaut, wer kann schneller die Strecke zurücklegen. Das ist für mich der Grundgedanke des sportlichen Wettkampfs und das würde mir bei derartigen „Abenteuern“ etwas fehlen.

Michael Strasser macht das wirklich gut, er hat eine gute Vermarktung, eine Charity-Aktion dabei, von anderen in dieser Szene hört man eher weniger. Überhaupt ist die Vermarktung ein Schlüssel bei Projekten dieser Art: Wolfgang Fasching ist quer durch Russland und dabei 480 Kilometer am Tag gefahren. Amanda Coker - eine junge Amerikanerin - hat über ein Jahr lang täglich 380 km zurückgelegt, da hat kaum einer etwas davon mitbekommen. Da ist die Vermarktung ein ganz wichtiger Faktor, und das macht der Michi Strasser ganz großartig. Trotzdem bin ich persönlich mehr begeistert von Rennen und werde in Zukunft auch bei Veranstaltungen bleiben oder bei der Auslotung, was in 24h auf einer vorgegebenen Strecke möglich ist, wo es auch schon seit Jahrzehnten immer wieder Rekordversuche gibt, ähnlich dem Stundenweltrekord bei den Straßenfahrern.

Stichwort Zeitfahren: Ausbaufähig für dich? King of the Lake, Neusiedler bist du ja ganz vorne dabei. Wie schaffst du es (zb beim KOTL) über eine Stunde so gut zu sein, obwohl du ja vermutlich mehr für die lange Belastung trainierst?

Ich arbeite hart daran, ein paar Watt zuzulegen und ein paar Sekunden dazuzugewinnen. Extrem viel herausholen werde ich nicht mehr - ich bin jetzt 36 Jahre alt, da wird man nicht mehr so viel schneller. Ich werde bei der Sitzposition noch einiges herauskitzeln - alleine auch schon für die 1.000 Kilometer. Ich trainiere viel im intensiven Bereich nachdem ich jahrelang hauptsächlich Ausdauer trainiert habe, mittlerweile sind viele hochintensive Einheiten dabei.

Und warum ich auf eine Stunde so schnell fahren kann ist auch zusätzlich leicht erklärt: Ich wiege 80 Kilo und kann 400 Watt treten, das sind 5 Watt/Kg und damit ein Wert, den viele gut trainierte Radfahrer schaffen. Das heißt, das ist kein besonders außergewöhnlicher Wert, sonst würd ich die Tour de France fahren können. Mit 5 Watt/Kilo ist man aber ein guter Zeitfahrer - ich mag Zeitfahren und finde es cool, bin viel am Zeitfahrer unterwegs und arbeite an meiner Position. Außerdem bin ich mir sicher, dass man nur dann ganz schnell sein kann bei Langstreckenrennen, wenn man auch Zeitfahren trainiert, denn dort lernt man auch in der Ebene anzudrücken. Am Berg ist es viel einfacher ein Intervall zu trainieren… Die langen Rennen werden hauptsächlich in der Ebene entschieden und nicht in den Bergen, dort kann man sich maximal zerstören. Speed und Tempo macht man aber im Flachen!

Wie wichtig ist es für dich, deine Leistungsdaten und Trainingsumfänge offenzulegen, nach außen zu kommunizieren? Und was bekommst du da für Feedback?

Offenlegen von Trainingsdaten finde ich wichtig, auch wenn ich Strava nicht am Handy installiert habe, mich nur alle drei Monate einlogge, mein Passwort immer vergesse und dort auch nur einer Person folge. Aber zusätzlich zu WhatsApp, Facebook, Instagram usw. ist mir das als zusätzliche Plattform ehrlicherweise auch zu viel. Trotzdem möchte ich viele Sachen offenlegen und zeigen, welches Training dahintersteckt, warum diese guten Leistungen auf der Langstrecke zustande kommen. Zu verheimlichen gibt es nichts, es muss ohnehin jeder für sich selber trainieren, es gibt ja auch keinen fixen Trainingsplan, der zum Erfolg führt. Um sein letztes Potential auszuschöpfen bedarf es jedenfalls einer individuellen Trainingsplanung.

Tauscht du dich regelmäßig mit irgendwelchen anderen Radsportlern aus, hast du gute Freunde im Radsport als solches – oder „arbeitest du das ganze Jahr alleine vor dich hin“?

An sich sehr gerne, „Problem“ ist, dass ich das als Vollzeitjob mache und da nur sehr wenig Andere mitkönnen, vor allem auch vom Zeitbudget her. Da bleibt dann nichts anderes über, als alleine zu trainieren. Ich habe aber im Keller eine zweite Walze stehen, wo wir im Winter oft zu zweit fahren und plaudern können und dabei auch jeder sein eigenen Tempo fahren kann.

Bemerkst du einen „Boom“ (oder zumindest Zuwachs) bei Ultraradsportevents (RAN, RAA, Glocknerman usw.), wie siehst du die zunehmende Massentauglichkeit solcher Veranstaltungen?

Der Boom ist definitiv sichtbar, die absolute Dichte an der Spitze ist aber eher wieder etwas weniger geworden. 2013 waren z.B. sechs Österreicher beim RAAM am Start, das war quasi der Gipfel der Leistungsdichte. Durch die Rennen - v.a. RAA, 24h-Rennen - finden sich auch in Österreich immer mehr Teilnehmer, trotzdem ist es nicht wirklich möglich, den Sport - wie das z.B. beim Trailrunning der Fall ist - richtig zu boomen. Rennen wie ein RAAM bringen einfach so einen logistischen Aufwand mit sich, dass hier nie ein derartiger Massenmarkt entstehen wird können. Wahrscheinlich würde auch der Charme, das Puristische und Abenteuerliche etwas verloren gehen, insofern ist es glaub ich auch gut wie es ist.

Die RAA Challenge ist sicher ein Format, das tauglich und schaffbar für eine größere Menge an Menschen ist. Umso länger und selektiver die Rennen werden, desto geringer die Teilnehmerzahlen. Aber der ganze Sport hat sich im letzten Jahrzehnt prächtig entwickelt und ich hoffe, dass es in dieser Tonart weitergeht.

Ist “Weitradlfahren” das „bessere“ Wettkämpfen (also „besser“ als „Schnellfahren“) (was macht für dich den Reiz der Langstrecke aus)?

Es ist einfach eine andere Art von Wettkampf. Für mich ist auch der Vergleich mit den anderen Fahrern wichtig, aber der Fokus liegt auf dem Bewältigen der Strecke und weniger im Besiegen der Gegner. Es ist leichter zugänglich, man braucht keine Teams, in denen man sich qualifizieren muss, es ist ein sehr puristischer und individueller Sport und das ist sehr schön so. Und es ist dann doch auch ein Erfolg über sich selbst, über den inneren Schweinehund, die Zweifel, die Tiefs, die man zwischendurch erlebt. Sich da durchzukämpfen, ist ein sehr persönlicher Erfolg, den jeder für sich feiern kann, ganz unabhängig von der Platzierung, die dann in der Rangliste steht. Und das macht den Sport so beliebt - weil es zweitrangig ist, ob man in der Rangliste einen Platz weiter vorne oder hinten ist. Für mich ist das natürlich schon ein anderes Thema, weil ich das zu meinem Lebensmittelpunkt gemacht habe.

Welchen Stellenwert hat (gutes) Material auf der Langstrecke? (Beim RAA zb. wird ja teilweise mit Shimano 105 oder ähnlichem gefahren, während man im Wienerwald manchmal den Eindruck gewinnt, man könne ohne Dura Ace und Hochprofilfelgen keinen Meter fahren…) ;)

Material ist an sich schon sehr wichtig, aber erst, wenn man sein absolutes Leistungspotential ausschöpfen oder seine Performance maximieren will. Für einen RAA- oder RAAM-Sieg braucht es sicher Topmaterial, aber das hindert natürlich niemanden, mit einem alten Stahlrad an den Start zu gehen um ein persönliches Ziel zu erreichen. Man wird vielleicht hie und da weniger „Hinternweh“ haben, weniger eingeschlafene Finger, ein bissl schneller Bergauffahren können - aber das ist für ein persönliches Finish überhaupt nicht wichtig. Material ist da das Mittel zum Zweck aber nicht die Voraussetzung. Der Ultraradsport ist da grundsätzlich recht unprätentiös.

Kann man mentale Stärke trainieren? Gibt es Tricks, zu fokussieren/sich zu konzentrieren, die du anwendest oder empfehlen kannst?

Das kann man definitiv trainieren und ist ein ganz wichtiger Faktor. Es ist eine gute Sache zu wissen, warum man etwas macht, weil Momente kommen, wo es einem schlecht geht, wo man keine Lust mehr hat, keinen Sinn mehr darin sieht. Und wenn man sich erst einmal die Sinnfrage stellt, hat man schon ein massives Problem. Die Sinnfrage für sich schon im Vorfeld zu klären, ist extrem wichtig. Man muss sie beantworten können („Warum tu ich mir den Schas an?“), wenn man mitten in der Nacht aufgeweckt wird.

Man kann sich in der Hinsicht auch mit mentalen Übungen verbessern, da geht es viel um die Definition des eigenen Ziels. Zum Beispiel aufzuschreiben, welche kleinen Schritte man schafft, weil man am Schluss dann sieht, was man dafür investiert hat und das Ziel wird dadurch einen höheren Stellenwert bekommen. Wenn ich mir bewusst bin, dass ich jahrelang für Etwas gearbeitet habe, dann werde ich es auch nicht so schnell aufgeben - im Gegensatz zu „Schnell-Schnell-Aktionen“. Umso mehr auf dem Spiel steht, umso eher wird man durchbeissen. In meinem Fall steht sehr viel auf dem Spiel - dass ich davon leben kann, dass ich Vorträge halten kann, Sponsoren finde… da ist Aufgeben keine Option!

Eine gute Übung ist - egal ob am Heimtrainer oder auf der Couch - zehn Minuten die Augen zu schließen und den Moment zu visualisieren, wenn man über die Ziellinie fährt - wie es sich anfühlen wird, was die Betreuer sagen werden, wie es dort riechen wird, was man sich dort gönnen wird, wie der Moment dieser Ankunft ausschauen wird. Wenn diese Momente im inneren Kopfkino immer wieder erlebt werden und man quasi abspeichert, wie schön dieser Moment sein wird, dann kann man darauf zurückgreifen, wenn es dann mal nicht so rund läuft. Dann wird das Unterbewusstsein sagen, wie toll das im Ziel sein wird, genau so, wie man sich das vorgestellt hat und die Motivation weiterzumachen wird da sein. Eine ganz einfache Übung, mit der man sich sehr viel helfen und Gutes tun kann. Am besten einfach mal auf dem Heimtrainer zehn Minuten die Augen zumachen und sich das Ganze vorstellen - und zehn Minuten mit geschlossenen Augen sind eine lange Zeit!

Wie hast du dir deine Bescheidenheit und „Erdung“ erhalten über die Jahre?

Das selbst zu beantworten, ist schwierig. Grundsätzlich ist es einen Persönlichkeitsfrage - ich wollte immer das machen, was mir Spaß macht, Radfahren! Dass mit der Zeit diese Bekanntheit entstanden ist und ich für viele Leute eine Vorbildfunktion einnehme, das stresst mich ehrlicherweise auch manchmal. Ich habe etwas gefunden, was ich gerne mache und was gut läuft - ich bin aber deshalb kein besserer Mensch, und hab deshalb keinen Grund zu glauben, besser zu sein als jemand anderer. Ja, ich kann schnell und weit Radfahren, aber ich kann viele andere Sachen nicht gut - so hat jeder Mensch seine Stärken und Schwächen und braucht aus diesem Grund nicht glauben, dass er oder sie anderen Menschen überlegen ist.

Danke Christoph für das Interview und Alles Gute für das Race Across America!

Unter diesem Link ist die Livetracking Seite des Race Across America zu finden, am 11.06. um 12 Uhr Ortszeit fällt im kalifornischen Oceanside der Startschuss. Begleitet Christoph (virtuell) auf seinem Rennen über den Kontinent und schickt ihm eure Nachrichten und Unterstützung auf den Social Media-Kanälen!

Ernährung (Teil II)

Während ich diese Zeilen schreibe, esse ich mein gestern Abend angesetztes Birchermüsli. Das Mittagessen für heute habe ich schon in eine Tupperware-Dose gepackt, auch die Jause ist schon verstaut. Endlich ein adäquater Einsatzbereich für meine Musettes – die praktischen kleinen Umhängetaschen, die auch im Profi-Peloton an den Versorgungsstationen an die Fahrer gereicht werden.

Mehr als vier Monate ist es nun schon her, dass ich bei Caroline Schlinter-Maltan “Büro für Ernährung” meine Ernährungsberatung begonnen habe. Wie sich das angelassen hat, ist hier im ersten Teil zu lesen. Es ging mir von Anfang an um zwei Aspekte, die natürlich miteinander zusammenhängen aber von der Motivation her grundsätzlich schon unterschiedlich sind. Punkt 1 ist das allgemeine Wohlbefinden, die alltägliche Ernährung, die Frage nach dem „Richtig“ oder „Falsch“, dem „Gut“ und Böse“. Ich wollte Varianten und Alternativen zu meinen eingefahrenen Gewohnheiten, neue Impulse und Hinweise. Punkt 2 betrifft die sportliche Leistungsfähigkeit, speziell im Hinblick auf den Ausdauersport und – ganz persönlich – in der Vorbereitung auf meine Race Around Austria Challenge.

Wohlbefinden

Fangen wir mit dem allgemeinen Wohlbefinden an – was habe ich in den vergangenen vier Monaten gelernt? Eines gleich vorweg: Ich habe meine Ernährung nicht unbedingt grundlegend umgestellt. Ich gehe nach wie vor (aber seltener) zum Burgerbrater mit dem goldenen M, ich esse nach wie vor einen Schokoriegel, wenn ich darauf Lust habe und ich „brauche“ nach wie vor ab und zu meine Portion Chips (meistens um ein grottiges Fernsehprogramm am Hauptabend zu kompensieren). In meinem Hinterkopf war und ist noch immer irgendwie verankert, dass ich mich nicht einschränken, nicht auf Dinge verzichten möchte, die ich mag. Ob ich diese Dinge tatsächlich brauche oder ob es da nicht bessere Alternativen gibt, beginne ich übrigens nach und nach zu hinterfragen. An dieser Stelle bin ich besonders gespannt, was nach dem halben Jahr Ernährungsberatung am Schluss herauskommen wird. Der Mensch ist – gerade auch bei der Ernährung – ein Gewohnheitstier. Und so schnell man sich gewisse Dinge abgewöhnen kann (auch wenn das manchmal „weh tut“), so schnell freundet man sich auch mit neuen an.

Ein zweiter Aspekt, der für mich absolut zentral ist und der sich über die letzten Monate herauskristallisiert hat, heißt, sich bewusst zu machen, was man isst! Bei mir haben dazu in sehr großem Maße die Ernährungsprotokolle beigetragen, die ich während der ersten Monate meiner Ernährungsberatung geführt habe. Aufzuschreiben, was man isst, wieviel und wann, ist nicht nur für die Ernährungsberaterin relevant, sondern öffnet einem auch selbst die Augen. Sich zu belügen hat an dieser Stelle natürlich keinen Sinn, das würde jeglichen Verbesserungsprozess zunichtemachen. Sobald man aber – vielleicht auch noch in einem deutlichen Muster – sieht, wo etwaige Defizite in der Ernährung liegen, ist man schon einen großen Schritt weiter. Egal ob das regelmäßig schwere Mahlzeiten am späten Abend sind, Süßigkeiten oder irgendetwas anderes, was einem im Ernährungsprotokoll auffällt. Diese Dinge zu erkennen, muss noch nicht zwangsläufig heißen, diese sofort abzudrehen oder beheben zu müssen – in meinen Augen geht es vorrangig einmal darum, zu wissen, was man macht. Beim Aufzeigen entsprechender Alternativen ist dann ja glücklicherweise die Ernährungsberaterin zur Stelle.

Und wenn wir schon beim Bewusstmachen sind… Natürlich geht es in einem weiteren Schritt auch darum, welche Qualität an Lebensmitteln man zu sich nimmt. Auch dabei kann das Ernährungsprotokoll sehr hilfreich sein. Wie hoch ist der Anteil an verarbeiteten Lebensmittel, die man zu sich nimmt? Welche Zutaten stammen aus biologischem Anbau? Woher kommt mein Essen eigentlich? Ohne hier in irgendwelche dogmatischen Positionen und Anschauungen zu verfallen – es sollte ohnehin jede*r für sich entscheiden, was am besten passt -, ein paar Dinge sind schon aus purer Logik zu hinterfragen: Wie kann ein Hühnerschnitzel im Supermarkt 99 Cent kosten und unter welchen Bedingungen können Lebensmittel derartig billig produziert werden – und dann kostet auch das Katzen- oder Hundefutter mit Hühnerfleisch noch das Doppelte… Naja.

Maßnahmen

Was habe ich also konkret gemacht? Ehrlicherweise (noch) nicht allzu viel konkretes. Viele Dinge sind mir bewusst geworden (siehe oben), die tatsächlichen Änderungen in meinen Gewohnheiten waren aber bis dato vermeintlich gering.

Ich habe genau genommen sogar mehr gegessen – nämlich mehr zum Frühstück und vor allem zu Mittag. Was erst einmal paradox klingt, hat bei mir allerdings die Auswirkung gehabt, dass ich insgesamt satter war und dadurch häufig auf meine Vormittags- und/oder Nachmittagsjause verzichten konnte. Dass diese eingeschobenen Zwischen-Snacks oft Plunder oder Süßes waren, muss ich an dieser Stelle nicht extra erwähnen... Der Gusto war noch immer da aber die Notwendigkeit nicht mehr so oft. Und wenn man dann diesen klitzekleinen Moment des Schwachwerdens übertauchen kann, hat man schon gewonnen – immerhin ist es nur ein Gusto, kein Hunger! Beim Frühstück habe ich ein gewisses Maß an Variation eingeführt – das traditionelle Marmeladenbrot wird nun ab und zu durch Porridge oder Haferflocken-Mischungen mit Joghurt und Früchten ersetzt. Ehrlicherweise sättigen mich diese Dinge immer sehr unterschiedlich - speziell wenn ich am Vorabend Sport gemacht habe, stellen sich nach einem solchen Frühstück oft schon früher wieder Hungergefühle ein. Und das wars dann eigentlich auch schon für den Moment. Manche Dinge muss man sich erst langsam erarbeiten, Gewohnheiten nach und nach abbauen, sich auf Neues einlassen. Aber was das betrifft, ist meine Reise ja noch nicht zu Ende.

Die Waage

Mein keksinduziertes Wintergewicht von knapp über 90 Kilogramm ist eines, das mir bei der Bewältigung von Anstiegen mit dem Rad nicht unbedingt entgegenkommt. (Dass sich dieses Gewicht auf 1,94 Meter verteilt, lässt das Ganze vielleicht weniger plump wirken, ändert aber nichts an der grundlegenden Geschichte). Trotzdem war Gewichtsabnahme für mich kein vorrangiges Thema. Einerseits weil ich durchs Radfahren im Frühling immer recht schnell wieder bei meinem „Sommergewicht“ von rund 86 Kilogramm lande, andererseits bringt eine bewusstere Ernährung fast zwangsläufig eine kleine Gewichtsreduktion mit sich. Um das Ganze schwarz auf weiß zu haben, wurde ich im Februar bei meinem ersten Termin bei Caroline gewogen – inkl. Körperfett, viszeralem Fett, Verteilung des Fetts, Knochen- und Muskelmasse, Körperwasser und vielem mehr. Bei meiner letzten Sitzung stand wiederum die Waage da, auch um einen möglichen (und hoffentlich vorhandenen) Fortschritt zu messen und die Maßnahmen daran entsprechend auszurichten. Und siehe da: alle Werte haben sich in geringem Maß verbessert - manche schneller als gedacht, bei anderen wird noch etwas Arbeit notwendig sein. Aber ein Stoffwechselalter von 25 Jahren klingt schon mal nicht so schlecht. ;)

Leistung

Neben dem Wohlbefinden und dem guten Gewissen zählen aber auch sportliche Leistungen. Nachdem die Eckpfeiler der Ernährungsberatung durch Caroline perfekt abgesteckt waren (Ernährungsprotokolle, langsames Heranführen an Alternativen im Alltag), war der Radsport das nächste große Thema. Es gibt im Internet unzählige Artikel, Meinungen und Weltanschauungen, was ernährungstechnisch richtig, falsch, gut und böse ist. Wie immer ist es schwierig, sich in diesem Wulst an Meinungen zurechtzufinden, professionelle Hilfe daher unerlässlich. Ich zähle und verlasse mich dabei voll und ganz auf Caroline, sie hat viel Erfahrung mit AusdauersportlerInnen und außerdem: Probieren geht über Studieren.

Das große Ziel für 2019 ist das Race Around Austria. Ein 24-Stunden-Rennen stellt an den menschlichen Körper außergewöhnliche Anforderungen. Davon konnte ich mich auch noch einmal selbst überzeugen, als ich Anfang Mai Philipp Reiterits als Betreuer beim Race Around Niederösterreich begleiten durfte. Alleine schon zu sehen, wie und was er während des Rennens aß und trank, war aufschlussreich – egal ob es jetzt zu wenig oder zu viel war, ob Flüssignahrung besser oder schlechter als Riegel oder Gels ist. Mir ist jedenfalls klar, dass für ein derartiges Unterfangen die Ernährung von elementarer Bedeutung ist. Der Körper braucht Treibstoff, diesen zur Verfügung zu stellen und dann idealerweise auch noch in der richtigen und bekömmlichen Form, ist Ziel meines Unterfanges „sportliche“ Ernährungsberatung. Im Idealfall fühlt man sich während der Anstrengung nicht müde und leer sondern – im wahrsten Sinne der Wortes - immer „gut gefüllt“ und versorgt.

Super Giro Dolomiti

Doch bis zum RAA dauert es noch (wenn ich gerade darüber nachdenke eigentlich nur noch erschreckend kurze) zwei Monate. Jedenfalls Zeit genug, im Vorfeld noch ein paar Dinge auszuprobieren. Es macht ja auch wenig Sinn, bei einem 24h-Rennen erstmals etwas Neues zu versuchen – da sollte im Vorfeld schon klar sein, was funktioniert und was nicht. Das bringt uns zum Super Giro Dolomiti, der am 9. Juni im Kalender eingetragen ist. Gut 200 Kilometer und knapp 5.000 Höhenmeter sind dabei durch Osttirol, Kärnten und das benachbarte Italien zurückzulegen. Eine hervorragende Gelegenheit, einen vorher abgestimmten Ernährungsplan für das Rennen auszuprobieren.

Caro hat mir vor mehreren Wochen eine Liste mit ihrer Meinung nach wertigen Riegeln und Gels zukommen lassen. Es lag an mir, einige davon auszuwählen und bei lockeren Ausfahrten zu testen. Der Geschmack muss passen, die Konsistenz, die Handhabung – alles Faktoren, die einen Einfluss darauf haben, ob man ein Produkt mag oder nicht. Dies ist keine Werbung oder Einschaltung, aber ich werde beim Super Giro Dolomiti mal mit Clif Bar Gels und Riegeln an den Start gehen, in meinen Flaschen sind Iso-Pulver von High5 und Winforce verrührt. Es gilt, diese Mischung im Rennbetrieb über rund acht Stunden auszuprobieren (vielleicht werden es auch neun…). Eine Schwierigkeit bei langen Rennen ist, dass man nur schwer die Möglichkeit hat, unterwegs auf seine eigenen Produkte zurückzugreifen. Eine Variante wäre, alles Essen in die Trikottaschen zu stopfen, aber für die Trinkflaschen ist das nicht möglich. Labestationen an der Strecke sind zwar vorhanden, manchmal aber eher unberechenbar in Bezug auf deren „Verpflegungsqualität“. Ich versteh übrigens nicht, warum immer mehr Marathons dazu übergehen, an Laben zugeschraubte 0,5 Liter Mineralwasserflaschen zu verteilen… Ist da jemals schon selbst wer mit dem Rad gefahren? Idealerweise hat man ein Team oder Freunde im Gepäck, die sich bereitwillig an die Strecke stellen und einen an geeigneten Punkten mit frischen Flaschen versorgen.

Vorbereitungswoche

Eigentlich hätte ich es mir denken können, ich war aber dennoch etwas überrascht, als mir Caro dann einen Ernährungsplan für die Woche vor dem Wettkampf schickte. Darin ist minutiös und aufs Gramm genau aufgelistet, was ich wann zu essen habe – wie zum Beispiel das Birchermüsli jetzt gerade. Mit einer derartigen Vorgabe war ich – planloses Wesen… - noch nie konfrontiert. Zwei Tage dieser Woche abgespult, kann ich nun – unzählige Einkäufe und Vorkochen später – sagen, dass ich mich zurechtfinde im Ernährungsplan, mich vorbehaltslos auf den Plan eingelassen habe und irrsinnig gespannt bin, ob und welche Wirkung diese Vorbereitungswoche am Renntag entfalten wird. Und Gott sei Dank hat Caro nichts draufgeschrieben, was ich partout nicht runterbringe…

Mahlzeit! Fortsetzung folgt!

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Race Around Niederösterreich 2019

Weitra, 19 Uhr, die Frisur hält schon lange nicht mehr. Der Regen hat gerade etwas nachgelassen, seit mehreren Stunden streifen wir bereits durch die Stadt, im Hintergrund dumpf hörbar eine Lautsprecherstimme, die nach und nach Rennfahrer auf die Strecke schickt. Warum Weitra, wer sind „wir“ und welches Rennen ist hier im Gang?

Ich kenne Philipp Reiterits jetzt schon mehrere Jahre - wir lernten uns vor dem Race Around Austria 2017 zufällig auf der Großglockner Hochalpenstraße kennen, ich fotografierte ihn beim RAA 2017, im Jahr darauf wiederholte sich das Ganze. Ich verfolgte mit Interesse, dass er sich für die Premiere des Race Around Niederösterreich anmeldete, als er dafür noch einen zusätzlichen Betreuer suchte, schlug ich zu. Die Entscheidung war spontan getroffen - oft sind das ja sowieso die besten, der Termin in meinem Kalender blockiert und die Motivation da! Auch im Hinblick auf meine eigene Teilnahme an der diesjährigen Race Around Austria Challenge war der Gedanke naheliegend, mir das Ganze auch aus Sicht eines Betreuers vorab anschauen zu können - jeder Aspekt, der mir hilft, ein derartiges Rennen zu verstehen und zu durchschauen, ist mir recht und hilfreich.

Wer weder Race Around Austria Challenge noch Race Around Niederösterreich kennt… Die Rennen ähneln sich (und dann doch wieder nicht - aber dazu später mehr). Beim Race Around Niederösterreich geht es laut Veranstalter über eine Distanz von 600 Kilometern mehr oder weniger die Grenzen von Niederösterreich entlang, dabei werden ganz nebenbei noch rund 6.000 Höhenmeter unter die Räder genommen. Start und Ziel ist in der Braustadt Weitra, eine willkommene Abwechslung - für die Radler*innen, die sonst vielleicht nicht in dieses Eck Österreichs kommen, aber auch für die Stadt und die Region, die aufgrund der jahrzehntelangen geografischen Randlage ruhig etwas mehr ins Zentrum der Ereignisse gerückt werden darf.

#ran

Es ist die Premiere des Race Around Niederösterreich, man hat sich einige Dinge beim Race Around Austria abgeschaut. Positiverweise - warum sollte man funktionierende Systeme nicht teilweise übernehmen. Womit die Veranstalter allerdings nicht gerechnet haben, ist, wieviele Enthusiasten sich an diesem Tag in Weitra versammelt haben. Es sind insgesamt fast 100 aktive Sportler*innen involviert, weit über den Erwartungen für ein Eventformat, bei dem manche nach wie vor nur den Kopf schütteln, ob der Anforderungen und Eckdaten. Neben Solostartern machen sich auch Zweier- und Dreierteams bereit, letztere sollen vor allem die Eintrittsschwelle senken und derartige Bewerbe leichter für eine größere Masse zugänglich machen.

Jetzt stehen wir also zu viert hinter dem Rathaus von Weitra und warten darauf, in der Startreihenfolge vorzurücken. Im Begleiterauto von Startnummer 53 sitzen Michael und Silvia. Michael ist - so wie ich - Neuling in einem Betreuerteam bei einem derartigen Rennen, Silvia - Philipps Mutter - hat hingegen schon mehrfache Race Around Austria-Navigationserfahrung. Allzu viel haben wir uns im Vorfeld eigentlich nicht ausgemacht, jede*r ist für alles zuständig, jede*r schaut auf alles, im Notfall macht jede*r alles. Möglichst unbelastet von diesen scheinbar nebensächlichen Fragen streunt Philipp vor dem Betreuerauto rund um sein Rad, streckt sich, dehnt sich, schaut zum Himmel - wohin die Wolken sich gerade bewegen, geht auf die Toilette, schaut sich seine Konkurrenten an, geht noch eine Runde um das Auto. Er wird gleich auf die Bühne und Startrampe des Rennens gerufen werden, einen ersten Tritt in die Pedale tun und die darauffolgenden rund 24 Stunden nicht mehr damit aufhören. Und plötzlich öffnet sich die Wolkendecke, die Sonne blendet uns in den Augen und eine wunderschöne Abendstimmung läutet ein einmaliges Erlebnis für uns alle ein.

Und schon ist Philipp im Sattel seines Cervelo, fährt durch das Tor des Stadtplatzes Weitra und weiter auf die hügeligen Landstraßen des Waldviertels. Ich springe nach ein paar Fotos vom Start in die offene Tür des Betreuerautos und wir reihen uns hinter Philipp ein. Es ist kurz nach 20:00, in der Sprache des Race Around Niederösterreich bedeutet das „Nacht“ - das wiederum heißt, dass bis zum Beginn des nächsten Tages um 6:30 das Betreuerauto hinter dem Fahrer zu bleiben hat bzw. umgekehrt der Radler sich immer im Lichtkegel des Betreuerautos befinden muss. Das heißt, möglichst nicht stehenzubleiben, denn eine Pause des Autos bedeutet auch eine für den Fahrer. Außerdem - und das ist schon die erste Erkenntnis für uns Neulinge im Betreuerauto - ist es keineswegs ganz trivial, knapp hinter einem Radfahrer herzufahren. Nicht zu viel Abstand aber auch nicht den Radler mit dem Auto überfahren, Tempowechsel antizipieren, aufmerksam bleiben.

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Die Strecke des Rennens ist grob in vier Teile gegliedert. Die Nacht verbringen wir im hügelig-kurvigen Waldviertel entlang der tschechischen Grenze, ab Retz wird es hingegen flach und gerade. Über kleinere Landes- und Bundesstraßen kämpft sich Philipp durch den Regen - die romantische Abendstimmung beim Start ist relativ schnell wieder dem Tiefdruckgebiet gewichen, dass uns auch zuvor schon den ganzen Tag begleitet hat. Im Auto ist die Stimmung gut, auf den ersten Kilometern versucht jeder für sich in seine Rolle hineinzufinden. Ohne so etwas zuvor schon gemacht zu haben, bin ich auf der Suche nach Anhaltspunkten, Aufgaben, einer Mission - fotografiert hab ich am Start, jetzt im Dunklen hinter dem Fahrer sind die Möglichkeiten endenwollend. Michael sitzt am Lenkrad, Silvia navigiert - ich fühle mich kurzzeitig etwas nutzlos auf der Rückbank. Ich erinnere mich an die Bücher von Christoph Strasser und David Misch, in denen auch die Betreuerteams und deren Aufgaben immer wieder Thema sind - auch dass der Radler serviciert werden muss, die Crew an Dinge denken sollte, um die sich der Fahrer nicht kümmern müssen soll. Meine Mission soll ab diesem Zeitpunkt lauten, mich um Philipps Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr zu kümmern. Es ist kalt und regnerisch - kein Wetter, bei dem man bereitwillig und viel trinken möchte. Dementsprechend muss Philipp nicht nur daran erinnert werden, stündlich eine Portion Ensure zu sich nehmen sondern auch, regelmäßig zu trinken. Nach vorne funken, Flaschen vorbereiten und aus dem Auto reichen - schon hat mein Betreuerleben wieder einen Sinn.

Laa an der Thaya, Poysdorf und Hohenau an der March bieten wenig landschaftliche Abwechslung, zwischen Mitternacht und 3:00 früh stehen diese Faktoren aber nicht unbedingt im Vordergrund. Kurz vor Hohenau fahren wir durch Hausbrunn, wo wir auf die eingefleischte Fanbasis von Philipp stoßen. Er kommt aus Hausbrunn und die Tatsache, dass das Rennen vor seiner Haustüre vorbeifährt, war mit ein Grund für seine Teilnahme. Während sich Philipp einen Motivationsschub von seiner Frau abholt, nützt das Betreuerteam die wenigen Minuten für eine Fahrerwechsel, ein kurzes Radservice, neue Flaschen und eine Portion „Ensure“.

Ensure“ ist ein wichtiges Stichwort, steht dieser Name doch für eine der möglichen Verpflegungsstrategien bei derartigen Herausforderungen. Eigentlich ein Flüssignahrungsmittel für Patienten nach Kiefer- und Zahnbehandlungen, schwören viele Ausdauersportler auf die einfach Verabreichung, Verdauung und Handhabung der kleinen Plastikflaschen. Einzig die bescheidene Auswahl zwischen nur zwei Geschmacksrichtungen und die mehr oder weniger Einseitigkeit der Nahrung kann man als Nachteil ins Feld führen. Auf der anderen Seite ist das “Verspeisen” von einem Gel pro Stunde nicht weniger einseitig und für die Verdauung eine ebenso große Herausforderung. Hier wird man vermutlich immer darauf hinweisen müssen, dass Ernährung bei so einem Event immer schwierig und jedenfalls immer eine individuelle Angelegenheit sein wird, die man idealerweise mehrmals ausprobiert und über einen längeren Zeitraum für sich entwickelt.

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Der Regen hat aufgehört, es ist das, was man im Allgemeinen als „stille Nacht“ bezeichnet. Es ist finster, ruhig und die Menschen, die in den unbeleuchteten Häusern entlang der Straße schlafen, merken nichts von dem, was vor ihrer Haustüre vorgeht. Bei Hohenau ist das Rennen knapp 200 Kilometer alt, mehr als viele von uns in ihrem Leben als längste Ausfahrt vorweisen können. Immer wenn man im Betreuerauto von Müdigkeit übermannt wird, blickt man kurz durch die Windschutzscheibe und sieht vor sich Philipp, wie er ruhig aber ohne Unterlass in die Pedale tritt. Die Konsequenz und Beständigkeit, mit der er nach und nach die Kilometer abspult, ist beeindruckend und dieses Gefühl wird sich im Laufe des Rennens noch verstärken.

Von Hohenau geht es Richtung Süden, wobei sich auch entlang dieser Bundesstraße die landschaftlichen Reize eher in Grenzen halten. Sierndorf, Dürnkrut, Mannersdorf an der March und Marchegg vermögen nicht, die Monotonie der Nacht zu durchbrechen - einzig die bevorstehende Donauüberquerung bei Bad Deutsch-Altenburg und die langsam beginnende Morgendämmerung versprechen Abwechslung. Für Bruck an der Leitha wird uns per WhatsApp von der Rennleitung eine kurze Kontrolle des Rads und des Betreuerautos angekündigt. Nachdem alle Teams von dieser kurzen Anhaltung betroffen sind, hat keiner davon einen Nachteil zu befürchten und Sicherheitsaspekte stehen hier jedenfalls im Vordergrund. Eine richtige Kennzeichnung der Teilnehmer*innen ist sowohl für die Sicherheit der beteiligten Personen wichtig als auch für die Genehmigungsfähigkeit (und damit den Fortbestand) von Veranstaltungen wie dem Race Around Niederösterreich.

Ich bin in und rund um Baden aufgewachsen und habe dort auch einige Kilometer am Rennrad abgespult. Gemieden habe ich dabei möglichst immer die Bundesstraße 60, die von Götzendorf über Weigelsdorf und Pottendorf Richtung Wiener Neustadt führt. Meistens dicht bevölkert von PKW- und LKW-Lenkern, die eine bedrohlich niedrige Toleranzschwelle gegenüber Radfahrenden aufweisen, hat man in der Regel versucht, auf niederrangige Landstraßen oder andere Route auszuweichen. Während der Morgenstunden dieses Samstags ist dieses Thema glücklicherweise weniger dramatisch, die Kilometer bis nach Wiener Neustadt verlaufen ruhig und auch wenn sich statt Sonne wiederum Wolken breit machen, der neue Tag bringt auch neue Energien bei Fahrer und Crew. Durch Wiener Neustadt plagen wir uns an mehreren (roten!) Ampeln vorbei auf die längste Gerade des Race Around Niederösterreich (und vielleicht sogar Österreichs?) - die Neunkirchner Allee. Gut neun Kilometer gerade wie ein Strich liegt die B17 vor uns, Motivation bieten jedoch gelbe Blinklichter, die einige hundert Meter vor uns aufblitzen und nicht weniger als ein bevorstehendes Überholmanöver und damit einen gewonnen Platz im Rennen bedeuten.

Was wir im Betreuuerauto fast übersehen haben - es ist nach 6:30, gemäß Regelbuch ist also die Nacht vorüber und wir müssen nicht mehr wie ein Schatten hinter dem Fahrer unterwegs sein. Sogenanntes „Leapfrogging“ ist ab jetzt angesagt, also Vorfahren und auf den Fahrer warten, anfeuern, gegebenenfalls verpflegen - und weiter vorfahren. Wir nützen diese Möglichkeit auf dem Weg Richtung Semmering, der nächsten Timestation und Labe, außerdem so etwas wie der Wendepunkt des Rennens. Es schüttet mittlerweile - dass am Tag nach dem Rennen im Süden Niederösterreichs leichter Schneefall herrschen wird, hilft Philipp und uns in diesem Moment auch nicht weiter. Der Anstieg auf den Semmering ist nominell nicht der schwierigste, einzig auf einer Länge von knapp einem Kilometer liegt die Steigung bei rund 10%. Während sich Philipp Meter für Meter zur Timestation vor dem Hotel Panhans bei KM 376 vorarbeitet, stoppen wir kurz in Maria Schutz - ein (oder zwei) Krapfen vom Klosterwirt gehen immer! ;)

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Ab dem Semmering geht es in die niederösterreichischen Voralpen - Adlitzgräben (mit der berüchtigten „Kalten Rinne“), Reichenau, Höllental, Kalte Kuchl, Sankt Aegyd. Motorradfahrer, die ansonsten das Leben eines Radenthusiasten in dieser Region nicht unbedingt einfacher machen, bleiben bei diesen Wetterverhältnissen aus - der Regen hat zwar wieder einmal aufgehört aber „freundlich“ geht anders und die nassen Straßen sorgen dafür, dass es in diesem Fall eben „von unten“ nass bleibt.

Philipp ist nach wie vor gut drauf, spult seine Kilometer ab, tritt seine Watt. Silvia hat noch keine Minute geschlafen, kontrolliert gewissenhaft das Routebook und wacht über jede mögliche Streckenabweichung, Michael sitzt seit dem Semmering wieder hinter dem Lenkrad. Bei einer kurzen Pause (Richtig: Ensure und neue Trinkflasche) plaudere ich mit Philipp über seinen Zustand und die bevorstehende Strecke. Er ist vorab fast die komplette Strecke in irgendeiner Form abgefahren, die Prüfung namens „Gscheid“, die nun vor uns liegt, sagt ihm allerdings zu meiner Überraschung nichts. Mir schwant Böses, bin ich doch schon einmal gröber an diesem Anstieg gescheitert (mit weit weniger Kilometern in den Beinen als Philipp jetzt). Die Sorge ist allerdings unbegründet, auch diese Prüfung wird scheinbar problemlos abgespult. Mir fällt anscheinend innerlich ein Stein von Herzen, sodass mir - zurück im Auto - innerhalb von wenigen Sekunden und nach ca. 36 Stunden Wachsein die Äuglein zufallen. Mein Schlaf wird jäh von den Worten unterbrochen: „Trinkflasche, Ensure und frische Handschuhe!“ Ich greife zur Seite, springe aus dem Auto, erledige den Job, steige zurück ins Auto und bin in der Sekunde wieder eingeschlafen - ein gewisser Automatismus schein eingekehrt zu sein.

Ich wache bei einer Tankstelle in Ybbs wieder auf, muss mich kurz orientieren, Philipp fährt nach wie vor wie eine Maschine durchs Land. Das Auto wird getankt, Verpflegung für die Crew gekauft, die Strecke gecheckt - Philipp hat uns in der Zwischenzeit überholt und die Tatsache, dass wir (bei „normalem Autofahr-Tempo) mehrere Kilometer brauchen, um ihn wieder einzuholen, unterstreicht einmal mehr seine Leistungsfähigkeit (und natürlich auch die jeder/s anderen Sportler*in in diesem Rennen).

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Nach meiner Stunde Schlaf sind wir in Ybbs wieder an der Donau angekommen, haben mehrere Regionen Niederösterreichs durchquert, unterschiedliche Landschaften gesehen und kommen nun in noch eine neue Ecke. Alleine die Tatsache, welche Vielfalt sich in 600 Kilometern Strecke verpacken lässt, birgt einen Großteil der Magie solcher Veranstaltungen. Gut, etwas ähnliches ist grundsätzlich auch schon bei 150 oder 200 Kilometer-Runden möglich aber auf einer derartigen Länge, bei der zum Beispiel vier unterschiedliche Viertel eines ganzen Bundeslands durchmessen werden können, gehen sich schon einige Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse aus. Der Abschnitt von Ybbs Richtung Norden (und damit zurück Richtung Weitra im Waldviertel) ist zusätzlich reizvoll, weil es einen normalerweise nicht so schnell in diese Gegend verschlägt - keine größeren Städte, keine Verkehrsachsen, viel Landschaft, viel zu Entdecken.

Das Yspertal beginnt lieblich, die letzten 80 Kilometer bis zum Ende der Runde scheinen machbar und keine großen Fragezeichen aufzugeben. Philipp wirkt zuversichtlich, freut sich über das trockene Wetter und den damit versöhnlichen scheinenden Endspurt. Worte, die nicht ohne Folgen bleiben - das beginnende Waldviertel begrüßt uns mit kurzen aber unerbittlichen Anstiegen, nach jedem Hügel folgt zwar eine Abfahrt, die allerdings nur darauf wartet, durch den nächsten Anstieg abgelöst zu werden. Die Wege sind schmal, die Kurven eng - bei uns fährt die Sorge mit, was nach dem nächsten Hügel auf uns warten mag. Zu allem Überfluss und wie als Strafe für Philipps Zuversicht, öffnen sich auch wieder die Schleusen des Himmels und es schüttet die letzten 2,5 Stunden des Rennens wie aus Kübeln.

Man merkt Philipp die Anstrengung an, man könnte auch vermuten, „es freut ihn nicht mehr wirklich“… Seine Beine sind seit gut 22 Stunden in Bewegung, die verbleibenden 30-40 Kilometer klingen nach „schnell mal zu Ende fahren“, bedeuten aber im Grunde gleich viel, wie eine flotte Greifenstein-Runde. Und wieder versuche ich, mich an die Lektüre meiner Strasser-Bücher und die darin enthaltenen Pflichten der Begleit-Crew zu erinnern. Die für das Rennen eingerichtete WhatsApp-Gruppe mit Philipps Familie und Freunden versorgt uns mit Motivationsbotschaften aber es ist augenscheinlich, dass drastischere Maßnahmen notwendig sind. Stichwort „Christoph Strasser“: Der erfolgreichste (und gleichzeitig sympathischste) Ultra-Radler der Gegenwart ist nicht nur eines meiner Vorbilder sondern auch ein sehr großes für Philipp. Nach einer kurzen Nachricht vibriert mein Handy und eine Audiobotschaft von Christoph trudelt via WhatsApp ein. Fenster auf, Handy raus und auf Play drücken - Philipps Augen weiten sich, eine derartige Reaktion hätten wir mit unseren Anfeuerungen nie erreichen können. Für die letzten 10-15 Kilometer ist offenbar wieder etwas Energie gefunden. Philipp weist uns an, vorzufahren - er meint, damit wir ihn an der Ziellinie erwarten können, ich glaube eher, er möchte die letzten Kilometer alleine „genießen“. Das Schloss Weitra erscheint am Horizont, die letzten Meter rollt man bergab darauf zu.

Die Ziellinie zwischen Kreisverkehr und Raiffeisen Bank weist wenige prunkvolle Elemente auf, aber wie auch die Leistung auf der Strecke zu einem Großteil im Kopf passiert, ist auch die Ziellinie in erster Linie eine symbolische. Runter vom Rad, abklatschen, Decke über den durchnässten Fahrer, Tee. Wir wissen nicht, wie lange wir im Endeffekt gebraucht haben oder welche Platzierung Philipp erzielt hat. Es ist aber auch egal - bei Philipp und auch den anderen Fahrern, die sich im Zielbereich aufhalten, ist erkennbar, dass hier mehr passiert ist, als das profane Überfahren einer aufgemalten Ziellinie.

Meine Geschichte/Philipps Geschichte

Eine kurze Beichte: Nachdem ich nun diese Zeilen (wie immer recht planlos und ungeordnet) niedergeschrieben habe, überkommt mich das Gefühl, dass ich hier „meine“ Geschichte erzählt habe, obwohl ich eigentlich über Philipps Rennen schreiben wollte. Das stimmt zu einem gewissen Grad, als dies die einzige Perspektive ist, die ich zweifellos und wahrheitsgetreu wiedergeben kann. Was in einem Menschen vorgeht - sowohl physisch als auch psychisch, der eine derartige Distanz in einem runterkurbelt, kann ich beim besten Willen nicht wiedergeben. Es war für mich absolut beeindruckend, Philipp beim Erbringen seiner Leistung zuzuschauen, ihm zu helfen und ihn - im Rahmen meiner sehr begrenzten Möglichkeiten - zu unterstützen. Die Tatsache, dass ich zwischendurch einmal völlig weggeknickt bin und einfach nicht wach bleiben konnte und Philipp in dieser Zeit munter und fleissig weitergetreten hat, weckt in mir tiefe Gefühle des Respekts.

Es tut mir leid, aber ich bin nicht qualifiziert, hier Philipps Geschichte zu erzählen - dazu muss sich wohl jede*r selbst in den Sattel setzen und sich in ein derartiges Unterfangen begeben. Ich für meinen Teil, der ich ja laut Homepage des Race Around Austria für die Challenge im August angemeldet bin, „freue“ mich schon darauf, diese Erfahrung selbst sammeln zu können. Lernen konnte ich beim RAN einiges - vom Organisatorischen über Ernährungsfragen bis hin zu ganz elementaren Erkenntnissen wie zum Beispiel, dass 24 Stunden wirklich, wirklich lang sein können.

Veranstaltung

Das Race Around Austria (mit der Challenge rund um Oberösterreich) hat nun über mehrere Jahre vorgemacht, wie das Format erfolgreich umgesetzt werden kann. Georg und Christian haben mit dem Race Around Niederösterreich dieses Konzept mehr als erfolgreich auf ein weiteres Bundesland übertragen, einiges Neues hinzugefügt und ein absolut überzeugendes Gesamtpaket geschnürt, das bereits im ersten Jahr der Austragung eine große Meute an Radler*innen angezogen hat. Der Erfolg der Veranstaltung spricht auch für den Erfolg des Formas im Allgemeinen, den Hunger der Radfahrenden nach spannenden, herausfordernden und vielleicht auch etwas abenteuerlichen Formaten. Bei allen Marathons und Rennen, die es übers Jahr verteilt gibt, verstehe und teile ich auch den Wunsch, etwas „Anderes“ zu machen, weit statt schnell zu fahren, die Grenzen des Landes und des eigenen Körpers und Geists auszuloten.

Das Race Around Niederösterreich ist also gekommen, um zu bleiben und das ist gut so. Wer möchte als nächstes Bundesland einsteigen? ;)

Leistungsmessung - Teil 1: Grundlagen und Notwendigkeiten

Vor zwei Wochen war ein Paket in meinem Postkasten, darin enthalten die neueste Auflage von Joe Friels „Trainingsbibel für Radsportler“. Dieser geradezu Orgie an Zahlen, Tabellen und daraus ableitbaren Möglichkeiten werde ich im Idealfall noch einen eigenen Beitrag widmen. Was jedoch auffällt, wenn man das Buch auch nur überfliegt: State of the Art in der Trainingssteuerung ist heutzutage Leistungsmessung. Rad-Industrie und Magazine haben hier natürlich mitgeholfen, sodass heutzutage kein Radfahrer mehr ohne Wattmesser leben kann. Aber Spaß beiseite… Auch aus trainingswissenschaftlicher Sicht spricht einiges für Leistungsmessung, ist der Watt-Output doch konstanter und unabhängiger von (Umwelt)Einflüssen als die Herzfrequenz.

Doch alles der Reihe nach… Wer diesen Blog regelmäßig verfolgt, weiß, dass ich nicht der ehrgeizigste Mensch der Welt bin. Zerstreuung, Spaß und entspanntes Abenteuer stehen für mich am Rad immer noch im Vordergrund. Ein gewisses Grundlevel an Fitness möchte ich mir dabei aber stets erhalten und auch abrufen können, damit die Projekte, die ich mir über das Jahr hinweg vornehme auch halbwegs würdevoll bewältigt werden können. Ansonsten bin ich aber so unterwegs, wie es mir gerade Spaß macht, Trainingsplan hatte ich noch nie einen. Ich hab mich immer dagegen gesperrt, meine Radgewohnheiten einem Plan von außen unterwerfen zu müssen - Fahren, wenn es regnet, Ruhetage bei schönstem Wetter, Grundlage, wenn man Lust auf was kurzes, schnelles hat, Inkompatibilität mit Gruppenfahrten… Alles Argumente, die für mich gegen einen Trainingsplan sprechen.

Unterstützt wurde diese These noch durch den ersten Leistungstest, den ich damals vor einigen Jahren gemacht habe. Ergebnis war, dass meine Werte verhältnismäßig gut sind, „wie ich denn genau trainierte“ war die Frage des Trainers. Meine Antwort war für ihn damals offenbar wenig befriedigend, lautete sie doch sinngemäß „ich fahre, was mir gerade Spaß macht“. Dann solle ich doch genau so weitermachen, wie bis jetzt, wenn sportliche Höchstleistungen nicht mein wichtigstes Ziel wären.

Fart…was? Fartlek!

Freies Fahren bietet fraglos viele Vorteile. Im vermeintlich flachen Osten Österreichs ist man tatsächlich mit einer schier endlosen Anzahl an kleineren Hügeln konfrontiert (außer man bewegt sich ausschließlich am Donauradweg auf und ab). Das Weinviertel mit seinen zuerst sanften, kleineren und dann auch etwas größeren Hügeln, der nahe „domestizierte“ Wienerwald für den klassischen Wiener Ausflügler, der ins Alpenvorland übergehende Wienerwald, der plötzlich etwas bergiger und wilder wird - nennen wir es einmal kupiertes Gelände. Im Trainings-Sprech gibt es den Begriff „Fartlek“ - aus dem skandinavischen kommend, bedeutet das soviel wie Fahrtenspiel. Dieses wiederum meint eine spielerische Abfolge von Geländeformen, Intensitäten und natürlichen Intervallen, die sich auch in der Trainingsintensität entsprechend niederschlagen. Für mich bedeutet dieses „Fahrtenspiel“, sich auszutoben, zu machen, was man will, „es laufen zu lassen“. Im Training fast nur Fartlek zu betreiben, erzeugt einen guten Allrounder - Spezialist wird man dadurch aber keiner.

Mit meinem Leistungsmesser am Rennrad nutze ich die Daten, die mir nach der Ausfahrt auf Strava ausgespuckt werden, bisher eher zu Unterhaltungszwecken als zur Steuerung. Ich freue mich wie ein kleines Kind vor dem Christbaum, wenn irgendwo vierstellige Wattzahlen stehen (obwohl diese überhaupt keinen Schluss auf eine Gesamtleistung zulassen), studiere meine Durchschnittsleistungen (gebe mich aber damit zufrieden, wenn sich diese einem Fenster von 30-40 Watt bewegen) und nutze die Zahlen in erster Linie dazu, das schwere Gefühl in meinen Beinen zu begründen. Im kleineren Rahmen und speziell bei Veranstaltungen und Rennen versuche ich natürlich schon, anhand der Daten meine Leistungen im Nachhinein zu bewerten und bestimmte Entwicklungen zu begründen. Drei Beispiele dazu (Achtung: es handelt sich dabei um meine Hobby-Analysen - ein Trainer wird da vermutlich andere Schlüsse daraus ziehen…):

Wachauer Radtage 2018

Nach sieben Tagen im Tross der Österreich Rundfahrt, die ich vor allem stehend oder im Auto sitzend verbracht habe, war ich nicht allzu optimistisch für dieses Rennen. Umso überraschender war, dass meine Beine recht frisch waren und die kleinen Watts nur so herausgesprudelt sind. Der FTP-Wert war damals noch etwas höher (und nicht winterbedingt so niedrig wie im Bild unten dargestellt), insofern stimmen die 99% Intensität nicht ganz. In Summe schaut das Muster für ein Rennen über 2,5 Stunden ganz gut aus, viel höher dürften die Wattwerte nicht sein, ansonsten würde ich vermutlich nicht über die Distanz kommen. Das wellige Streckenprofil der Wachauer Radtage kommt mir zugute, kurze Anstiege mit anschließender Möglichkeit, sich zu erholen und mitzurollen und längere flache Passagen entsprechen recht gut meinem Anforderungsprofil.

Arlberg Giro 2018

Jedenfalls weniger meinem Anforderungsprofil entspricht der Arlberg Giro mit seinen zwei großen Anstiegen. (Dennoch ist Bergfahren noch immer eine der schönsten Geschichten, die man machen kann - abseits jeglicher Leistungsmessung oder-bewertung!). Wie die Balken erkennen lassen, verschiebt sich das Ganze leistungstechnisch etwas nach unten, erklärbar durch die längeren Anstiege, in denen man eher haushalten muss und die Leistungsgrenze lieber etwas niedriger ansetzt. Lange Bergabfahrten bringen auch längere Phasen mit keinem oder weniger Leistungsoutput. Dafür fehlt die „goldene Mitte“, also jene Bereiche und Abschnitte, in denen man flott dahinrollt (Zone „Tempo“ wäre das dann). Aufgrund der Länge des Rennens (von in diesem Fall 5,5 Stunden) fehlen auch die Spitzen und die Werte „im Roten“ weitgehend, da geht es bei mir eher darum, konsistent über die Länge des Rennens zu kommen - Sprints und Ähnliches sind da für mich kontraproduktiv. Einzig ab und zu den Anschluss an eine Gruppe zu schaffen (oder diesen zu halten) ist es meiner Meinung nach wert, kurz „ins Rote“ zu gehen.

King of the Lake 2018

Eher ernüchternd ist die Analyse des King of the Lake 2018, den ich diesmal auf dem Rennrad in Angriff genommen habe. Der “KOTL” bezieht ja auch aus der Tatsache seinen Reiz, dass man annähernd an dieser magischen Stundengrenze unterwegs ist - dementsprechend also seinen FTP-Wert unter realen (und schmerzhaften) Bedingungen der Realitätsprüfung unterziehen kann. Dementsprechend sollte der Balken rund um 280-290 Watt durchgehen bis zum rechten Bildschirmrand, die Realität sieht aber anders aus. Praktisch zeigt die Analyse, dass ich den größten Teil des Rennens recht deutlich unter meinem FTP-Wert unterwegs war, die möglichen Erklärungen sind vielfältig, eine weiterführende Überprüfung wird auch dieses Jahr stattfinden :) Die Strecke des “KOTL” ist schwierig, einige - mitunter recht gemeine - Hügel wollen auf dem Kurs rund um den Attersee bezwungen werden , hier mit gleichmäßiger Leistung drüber zu fahren, ist an sich schon schwer. Zusätzlich scheint es mir schwer zu fallen, eine konstante Leistung über einen gewissen Zeitraum zu erbringen - vielleicht ist das normal, vielleicht sprechen andere Faktoren dafür oder dagegen, jedenfalls konnte ich bei diesem Rennen meinen Leistungsoutput nicht konstant (hoch) halten. Bei einer Dauer von gut einer Stunde würde ich mir erwarten, dass die Balken allesamt etwas weiter im Roten liegen, für aktive Regeneration hat man in diesem Fall nach dem Rennen genug Zeit.

Zwift

Bringen wir noch einen weiteren Faktor ins Spiel, der aus meiner Sicht beim Thema Wattmessung nicht fehlen sollte - zumindest in meiner Rad-Welt. Die allseits bekannte und beliebte Trainingsplattform Zwift lebt zu einem großen Teil von den Vorteilen von Smart Trainern, die notwendigerweise auch eine Leistungsmessung beinhalten. Wer also keinen Powermeter auf seinem Rennrad montiert hat, kommt eventuell in den virtuellen Welten von Zwift (erstmals) mit Leistungsmessung in Berührung. Ich möchte hier nicht über den Realitätsgrad von Zwift diskutieren, sondern nur feststellen, dass bei Verwendung der Trainingsprogramme in Zwift immer mit Leistungswerten gearbeitet wird. Und wenn man im Winter auf der Rolle nach Watt fährt (und Zwift wird die Intensitäten der Trainings und Intervalle nach Watt einteilen), dann wird man vermutlich auch im Sommer wissen wollen, wie man denn gerade unterwegs ist und eventuell auch sein Training ab diesem Zeitpunkt auf Basis eines Leistungsmessers abwickeln. Zwift ist daher aus meiner Sicht eine gute und naheliegende Möglichkeit, die Welt der Leistungsmessung und das darauf aufbauende Training auszuprobieren und sich quasi langsam „einzuleben“. Es bleiben gewisse Unschärfen zwischen der Leistungsentfaltung auf der Rolle und draußen auf dem Rad - die Angaben über die Unterschiede sind unterschiedlich - im Endeffekt ist empfehlenswert, einen Leistungstest zu Beginn der Freiluftsaison durchzuführen, um die tatsächlichen Leistungszonen feststellen zu können. Denn es ist jedenfalls kontraproduktiv, mit falschen Leistungszonen zu arbeiten und sein Training entsprechend (falsch) darauf auszurichten.

Was will ich damit jetzt sagen?

Ich habe bis jetzt getan, „was ich wollte“ - ohne wirkliches Ziel, ohne wirklichen Plan. (Und es hat gut funktioniert und Spaß gemacht). Ich verwende Zwift und bekomme dort meine Leistungsdaten ausgespielt. Ich habe einen Powermeter am Rennrad und komme auch dort in den vollen Genuss des „quantified selfs“. Irgendwie möchte ich da aber jetzt mehr daraus machen.

Es ist kein Geheimnis, dass ich 2019 am Start der Race Around Austria Challenge stehen werde - dabei geht es nonstop 560 Kilometer rund um Oberösterreich. Mein Ehrgeiz beschränkt sich momentan noch auf die „Besiegung des inneren Schweinehunds“ - ich möchte die Strecke innerhalb des Zeitlimits zurücklegen, dabei würdevoll bleiben und auch meinen Spaß haben und neue Erfahrungen sammeln. Gewinnen sollen andere! Während ich also grundsätzlich optimistisch bin, dieses Vorhaben mit meiner üblichen Vorbereitung (Stichwort „Fartlek - ungeplant“) bewältigen zu können, gibt es da in meinem Kopf eine Ecke, in der eine kleine Stimme wiederholt darauf hinweist, dass ich meinen Ars** doch etwas mehr bewegen sollte und das Privileg, bei so einer Veranstaltung dabei zu sein, besser nützen sollte.

Ich habe daher beschlossen, dieser Stimme Folge zu leisten und meine bisherigen Konventionen ein Stück weit über Bord zu werfen. Ich werde seit langem wieder einen Leistungstest machen, meinen Powermeter mit neuen Batterien versorgen und kalibrieren und mir einen Trainingsplan gönnen. Die Weichen dafür sind bereits gestellt, die Termine großteils organisiert, die notwendigen Ansprechpartner gefunden. Es handelt sich hier also um eine … *Trommelwirbel* … Serie von Blogposts. Bis Ende Mai folgen dementsprechend noch:

  • Teil 2: Langzeittest Garmin Vector 3

  • Teil 3: Leistungstest bei Flowsports

  • Teil 4: Training für das Race Around Austria

Ich freue mich sehr auf die nächsten Wochen - auf neue Erkenntnisse, neue Erfahrungen und eventuell ein paar Watt mehr am Ende des Tages. (Und keine Sorge: ich werden meine Hobby-Analysen auch noch vom Profi beurteilen lassen).

Ernährung (Teil I)

„Nummer 81. Nummer 81!“ ruft der junge Mann mit dem karierten Halstuch und ich trete vor an die Theke, um mein Essen entgegenzunehmen. Es sind Hüttenwochen bei McDonalds und ich mittendrin - ab nach Hause, auspacken, essen, fertig. Dass ich mich danach weder gesättigt noch besonders gut versorgt fühle hat Tradition, war aber bis jetzt kein dringender Grund, McDonalds links liegen zu lassen. Ist doch eh heimisches Fleisch, Gemüse ist auch drinnen, die Kalorienzahlen lesen sich nicht allzu dramatisch. Aber ist das der Weisheit letzter Schluss? Und was ist mit dem Schokoriegel zwischendurch, der Topfengolatsche nach dem Mittagessen und warum bin ich jetzt schon wieder aufgebläht?

Die Pläne für 2019 sind teilweise groß, die sportlichen Herausforderungen werden beträchtlich und auch wenn kein allzu großer Leistungsdruck da ist, es wäre doch schade, wenn man nicht 100% seiner Leistung abrufen kann. Bis jetzt habe ich mir keine allzu großen Gedanken über meine Ernährung gemacht, obwohl mir natürlich immer klar war, dass hier (großes) Potential schlummert, besser zu werden. Ich habe nur aus den Augenwinkeln diverse Ernährungstrends mitverfolgt - Veganismus, Paleo, Keto-Irgendwas, High Carb, Low Carb - und mir bei den meisten gedacht, dass diese keinen Bestand haben werden. Außerdem habe ich nie besonderen Leidensdruck verspürt, an meiner Ernährung etwas verändern zu müssen - ich bin kein Risikopatient, habe keine hervorstechenden Blut-, Zucker- oder Cholesterin-Werte, mein Bauch wächst - keksbedingt - über den Jahreswechsel an und wird wieder kleiner, wenn im Frühjahr die Zahl der abgespulten Radkilometer steigt.

Für 2019 habe ich mir allerdings vorgenommen, mich mit meiner Ernährung näher zu beschäftigen. Mein einjähriger Sohn bekommt jeden Tag feinstes Bio-Gemüse, hochwertige Hafer- und andere Getreideflocken, beste Zutaten von überall - und es schmeckt ihm hervorragend! Damit also ich ein Vorbild sein kann, muss ich mir ihn als Vorbild nehmen. Es geht demnach um Wohlbefinden und Gesundheit - ganz unsportlich gesehen. Weniger Zucker, bessere Inhaltsstoffe, bewusstere Entscheidungen. Zweiter Grund ist aber natürlich der Sport und die mögliche Leistungssteigerung, die man durch eine Optimierung der Ernährung erzielen kann. Dazu habe ich mir professionelle Hilfe geholt.

Anamnese im „Büro für Ernährung“

Caroline Schlinter-Maltan führt in Wien das „Büro für Ernährung“. Neben der Ausbildung als Ernährungsberaterin ist sie auf Ausdauersportler spezialisiert, genau die richtige Kombination für meine Anforderungen. Das Kennenlernen ist herzlich, Vertrauen sofort da - dieses ist aus meiner Sicht auch deshalb wichtig, weil es sich schon um eine recht intime Angelegenheit handelt, nicht im medizinischen Sinn sondern eher im Sinne einer Beichte. Sich selbst gegenüber sollte man natürlich auch ehrlich sein bzw. sein wollen und können - wer den Schokoriegel zwischendurch verheimlicht und verleugnet, wird nur bedingt erfolgreich sein.

Es beginnt mit einer Bestandsaufnahme. Das Gewicht, dass die Hightech-Waage ausspuckt, ist dabei nicht die einzig wesentliche Messgröße. Es werden Körperfett, Muskel- und Flüssigkeitsanteil, die Verteilung auf die einzelnen Extremitäten und viele andere Werte ermittelt, am Ende sieht man sich einer recht profunden Analyse des eigenen Körpers gegenüber. An dieser Stelle gibt es möglicherweise schon erste Erkenntnisse - beispielsweise wenn einer der ermittelten Werte tatsächlich weit außerhalb einer Norm oder Empfehlung liegt. Ansonsten aber sind diese Werte als Ausgangsposition zu sehen, möglicherweise als Arbeitsauftrag, jedenfalls aber als Grundlage für die weiteren Schritte. Es ist ähnlich wie mit wattgesteuertem Training - wer von einem falschen FTP-Wert ausgeht, wird permanent in den falschen Leistungsbereichen trainieren und damit wenig bis nichts erreichen. Ebenso ist es wichtig, grundlegende Werte wie den täglichen Kalorienumsatz zu kennen, um die Ernährung entsprechend darauf einstellen zu können.

Neben der Vermessung und Verwiegung dient ein ausführlicher Fragebogen der Ermittlung der mitunter lieb gewonnenen Gewohnheiten. „Süß“ mag ich, „Linsen und Bohnen“ mag ich, kommen aber in meinem Speiseplan nicht vor, „wieviel Kaffee trinkst du täglich“ - alle Bereiche und Segmente der Ernährung werden sukzessive abgeklopft. Auch mögliche Allergien und Unverträglichkeiten werden an dieser Stelle vorgebracht - bei mir sind diese glücklicherweise nicht vorhanden, andere leiden darunter recht massiv.

Dritter Puzzleteil - neben Waage und Fragebogen - sind die Ernährungsprotokolle. Als erste Hausaufgabe ist man angehalten, seine täglichen Mahlzeiten aufzuzeichnen. „Frühstück, Vormittag, Mittag, Nachmittag, Abendessen, später Abend“ - dazu sind möglichst detaillierte Angaben (in Gramm, Stücken, Portionen oder Kalorien) zu machen. Ehrlichkeit ist dabei - wie schon erwähnt - sehr wichtig, schlechtes Gewissen nicht angebracht. Umgekehrt sagt Caroline Schlinter-Maltan, dass Ernährungsprotokolle sehr oft schon eine erste Verbesserung mit sich bringen - die Bewusstmachung der täglichen Mahlzeiten, lässt einen schon viel differenzierter an die Sache herangehen, Schokoriegel werden mitunter schon alleine deswegen weggelassen, weil man sie ansonsten aufschreiben und damit dokumentieren müsste.

Ernährungsprotokolle

Ich habe also von nun an einen Pack Zettel in meiner Hand - immer und überall. Im Büro, zuhause, vor dem Computer - jede Mahlzeit, jeder Snack wird protokolliert. Am zweiten Tag stelle ich beim Frühstück eine Küchenwaage neben mich und beginne Brot, Butter und Marmelade zu wiegen. Klingt pedantisch und übertrieben? Möglicherweise, aber wer ist sich schon bewusst, wie viel 100 Gramm oder 100 Kalorien sind. Davon eine Idee zu bekommen, hilft dabei, Mahlzeiten und Mengen besser einschätzen zu können. (Nach dem zweiten Tag kann man die Waage getrost wieder in der Küche stehen lassen, es geht ja nur darum, ein Gefühl dafür zu bekommen). Mein direktes Umfeld zeigt sich übrigens schnell interessiert, das Thema Ernährung lässt offenbar keinen locker, betrifft jede und jeden. Einige schließen sich mir an und beginnen auch für sich mitzuschreiben, was sie den ganzen Tag so zu sich nehmen - rein aus Interesse.

Nach zwei Wochen Ernährungsprotokoll wird recht schnell klar, wo man ansetzten könnte. Mein Frühstück ist immer das Gleiche, Variation und andere Inhaltsstoffe können mir hier helfen, besser durch den Tag zu kommen. Es ist kein hochwissenschaftliches Geheimnis, wo die Unterschiede zwischen einfachem Zucker und langkettigen Kohlenhydraten liegen. Dass man nach der Marmelade-Semmel am Morgen spätestens um 10 Uhr vormittag wieder Hunger bekommt, ist biologisch recht einfach darstellbar - warum man es dann trotzdem nicht von selbst macht, weiß ich nicht… Schmeckt halt auch gut so ein Honigbrot! Mit mehr (=nachhaltigerer) Energie vom Frühstück erspare ich mir dann vielleicht auch meine Vormittagsjause, esse später zu Mittag und auch der Snack am Nachmittag wird vielleicht nicht mehr so wichtig und notwendig sein wie im Moment. Ich bin sehr gespannt, wie sich das die nächsten Wochen und Monate entwickeln wird.

Denn klar ist auch, dass eine derartige Entwicklung nicht von heute auf morgen passieren wird bzw. kann. Ebenso auf der Hand liegt, dass Ernährung eine sehr individuelle Geschichte ist und man deshalb nicht blindlings auf vorgefertigte oder standardisierte Pläne und Konzepte aufsetzen sollte. Mein Entwicklungshorizont ist ein moderates Abnehmen bis Juni - wobei „Abnehmen“ im Sinne des Wohlbefindens zu verstehen ist - und danach eine Optimierung meiner Nahrungsaufnahme während des Sports.

Auf dem Rad

Denn ist man oft und viel auf dem Rad unterwegs, beeinflusst das den Energiehaushalt natürlich entsprechend. Es macht keinen Sinn mit einem Ruhe-Kalorienverbrauch von 1.950 Kalorien zu rechnen, wenn man beim Training auf dem Rad noch zusätzliche 1.000 Kalorien verbrennt. Trainingshäufigkeit und -intensitäten müssen daher bei einem Ernährungsplan und einer Optimierung der Ernährung entsprechend berücksichtigt werden. Es werden auch sportliche Aktivitäten ins Ernährungsprotokoll eingetragen - sobald man seinen Puls misst, erhält man über Zwift, Strava und dergleichen auch einen (annäherungsweise richtigen) Kalorienverbrauch für ebendiese Aktivität. Auch hier ist ein großer Teil die Bewusstmachung - bei meiner 160k-Tour auf Zwift habe ich beispielsweise 3.200 Kalorien verbraucht - interessant, diesen Wert zu kennen und für andere Aktivitäten einschätzen zu können.

Neben dem Einfluss des Sports auf die allgemeine Ernährung und den Energiebedarf geht es für mich auch ganz stark um die Ernährung auf dem Rad bzw. vor und nach dem Training. Das beste Training hat keinen (oder weniger) Sinn, wenn man hungrig oder vollgestopft aufs Rad steigt, die Leistung wird nicht passen, wenn man von den falschen Lebensmitteln aufgebläht ist und wer schon einmal ein Müsli direkt vor dem Radfahren gegessen hat, weiß, dass der Körper sich dann nicht ausschließlich aufs Radeln konzentrieren wird können. Während der Aktivität gibt es mit der großen Auswahl an Nahrungsmitteln (Shots, Gels, Riegel) natürlich großen Spielraum und Variationsmöglichkeiten - aber auch hier gibt es „natürlichere“ oder „bessere“ Produkte. Und schließlich ist da noch das Essen nach dem Heimkommen - und das soll nicht in einen „Fress-Flash“ ausarten, in dem man wahllos alles in sich reinstopft, was man findet, um seine Speicher wieder zu füllen, sondern idealerweise kommen auch hier „sinnvolle“ und hochwertige Inhaltsstoffe und Produkte zur Verwendung, die einem die Weiterentwicklung ermöglichen und nicht den ganzen Trainingseffort gleich wieder zunichte machen.

Im Hinblick auf mein Race Around Austria im August stellt sich außerdem die Frage, wie man sich am Rad für eine Belastung über 24 Stunden am besten versorgt. Dabei sind die Anforderungen wiederum andere als bei kurzen Trainings auf der Rolle oder den klassischen zwei- bis dreistündigen Ausfahrten. Aber dazu kann ich im Sommer mehr sagen, schließlich läuft mein Projekt Ernährungsberatung über die nächsten Monate. Mehr dazu also im nächsten Teil der Serie - voraussichtlich wird das Ende Mai/Anfang Juni der Fall sein. Ich habe außerdem bereits in den ersten Tagen einige Nachrichten zu diesem Thema bekommen, mit Vorschlägen, Anregungen und weiteren Inputs - diese möchte ich auch in den nächsten Teilen gerne mitbehandeln.

Bis dahin: Mahlzeit!

Link:

Büro für Ernährung - Mag. Caroline Schlinter-Maltan

Alban Lakata im Interview

169k hat Alban Lakata in Lienz zum Interview getroffen, es gibt ja auch viel zu besprechen: ein neues Team, Trainingsmethoden, Strava als Social Network für Sportler, Unterschiede zwischen Mountainbikern und Radrennfahrern und Osttirol!

Titelfoto: Team Bulls (Sebastian Stiphout)

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Für die breite Öffentlichkeit mitunter überraschend hast du vor wenigen Tagen bekanntgegeben, dass du im nächsten Jahr für das Team Bulls am Start stehen wirst und nicht mehr für Canyon-Topeak. Wie ist es genau dazu gekommen?

Schon bei den Vertragsverhandlungen für 2018 wurde mir nur ein Ein-Jahres-Vertrag angeboten, angeblich weil Topeak das Sponsoring nur für ein Jahr fix weitermachen wollte und auch die anderen Sponsoren nur für diesen Zeitraum zusagen wollten. So ist es mir weitergegeben worden, das musste ich so akzeptieren, war aber für mich schon irgendwie ein Wink, dass das vielleicht in der Form nichts mehr wird und das Ende des Teams naht.

Die anderen Fahrer haben auch alle nur einen Ein-Jahres-Vertrag bekommen?

Bei den anderen Fahrern hat es ganz das Gleiche gespielt, ja. Ich hab mir nach den Vertragsverhandlungen lange den Kopf darüber zerbrochen, wie es weitergeht. Ich habe auch versucht, die Zuständigen beim Team noch einmal umzustimmen oder mit Alternativen zu kommen, die die Zukunft für mich etwas sicherer machen - aber auch diese Varianten sind fehlgeschlagen bzw. wurden nicht angehört. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war mir ganz klar, dass das wohl nicht weitergehen wird - gleichzeitig aber überhaupt nicht nachvollziehbar, weil alles gut läuft, die Marke läuft gut, das Team funktioniert gut, die Erfolge waren da (zu diesem Zeitpunkt noch mit dem WM-Titel). Außer vielleicht das Durchschnittsalter der Fahrer, aber da hätte man ein paar Junge dazu nehmen können, gemeinsam mit den Arrivierten weiterfahren bis man da einen Wandel herbeiführt.

Es war sicher nicht einfach, in dieser Saison mit diesen Gedanken Rennen zu fahren?

Im Endeffekt war das Thema das ganze Jahr im Hinterkopf und hat sehr stark dazu beigetragen, dass ich nicht 100% meiner Leistung abrufen konnte. Im September nach der Marathon-WM hat man uns dann gesagt, dass es definitiv nicht weitergehen wird. Vielleicht war der Wunsch von Canyon da, beim Teamsponsoring einzusparen, Canyon ist ja bei einigen Teams sehr engagiert - und da waren wir die ersten, bei denen die Verträge ausgelaufen sind. Jeder von uns hat geglaubt, dass es weitergeht - es wurde ja auch viel investiert: Fahrzeuge, Designänderungen, Klamotten. Von Außen war jeder erstmal überrascht, wir haben aber mit unseren Informationen schon gemutmaßt, dass es aus ist und konnten uns schon ab Saisonmitte ein bisschen umschauen.

Vor wenigen Wochen wurde bekannt, das Sky als Sponsor aus dem Radrennsport aussteigt - nach fast zehn Jahren und auf den ersten Blick weiß auch keiner warum - und da waren auch die sportlichen Erfolge vorhanden. Vielleicht steigt man als Sponsor aus, wenn man quasi alles erreicht hat? Canyon hat zwei Straßenteams, die Räder verkaufen sich von selbst…

Canyon sponsort neben Straße und Triathlon auch noch einige Teams im Offroad-Bereich wie eben uns, aber auch Cyclocross, Enduro und Downhill. Mittlerweile geht es ja nicht nur ums Material sondern da müssen auch Millionen zusätzlich reingesteckt werden. Wie auch beim Downhillteam, dass kostet schon ordentlich!

Wegen dem Materialeinsatz?

Trucks, Material und die Fahrergehälter sind richtig hoch im Downhill - das wissen oft nur Insider. Jeder denkt sich, Downhill ist so eine Randsportart aber die verdienen da richtig Kohle. Da können wir im Cross Country-Marathon nicht mithalten, vielleicht gerade einmal ein Nino Schurter, der ist ja der Topverdiener im Ausdauerbereich.

Zählt Downhill auch mehr wegen der „Red Bull“-Welt?

Das weniger, aber die kriegen da einfach richtig gute Werksverträge. Teilweise natürlich weil das Ganze auch oft im Fernsehen ist, wie auch teilweise bei den Cross Country-Rennen, das gibt einfach einen größeren Werbewert und erleichtert die Sponsorensuche. Im Cross Country-Bereich ist es derzeit aber auch eher schwierig - die Teams sprießen nicht aus dem Boden, es ist schon eher ein zähes Geschäft. Dabei ist der Marathon noch „gesegnet“, weil die Masse der Leute dahinter steht, die Kunden.

Jetzt also Team Bulls mit Karl Platt - vom Konkurrenten zum Freund quasi?

Eigentlich ist das schon ein spannende Geschichte, dass zwei, die den Marathonsport geprägt haben (ich bei Eintagesrennen, er bei Etappenrennen) so zusammengefunden haben. Wir waren Konkurrenten und auch da schon eher richtige Rivalen, weil jeder so ein bisschen die Rolle des Marathonfahrers verkörpert. Er ist ein Vieltrainierer (viele Kilometer, viele Stunden), ich trainiere wattgesteuert mit Intervallen, das hat er lange nicht gemacht. Darin sehe ich aber auch einen großen Vorteil unserer Fusion, wir können beide von unserem Erfahrungsschatz lernen. Ich kann viel von seinen Cape Epic-Erfahrungen profitierten, da hat er den Schlüssel zum Erfolg. Das ist das erste große Ziel für uns, das Cape Epic - sein Ziel ist der sechste Sieg, damit wäre er alleinstehend erfolgreichster Teilnehmer (Christoph Sauser hat derzeit auch fünf Siege). Ich bin 39 und er 40, wir sind sicher nicht die jüngsten aber mit der Motivation und mit dem Kopf voll bei der Sache. Wir motivieren und jetzt gegenseitig.

Karl Platt und Alban Lakata (Foto: Team Bulls)

Ihr ergänzt euch ganz gut oder? Besser unterschiedliche Stärken, als jeder macht und kann genau das gleiche.

Mein bisheriger Teamkollege war vom Fahrertyp anders als ich - Schnellstarter und eher auf den kürzeren Strecken gut. Karl und ich sind Typen, die eher längere Rennen bevorzugen, hinten raus schneller werden, den längeren Atem haben - da harmonieren wir richtig gut. Es ist fast hollywoodreif, dass da zwei zusammenfinden, die sonst immer Konkurrenten waren, Wissen und Know How richtig zurückgehalten haben. Jetzt können wir beide von unserem Wissen profitieren.

Hat es da diesen einen Moment gegeben, wo einer auf den anderen zugegangen ist?

Ja, bei einem Rennen in Kolumbien waren wir im gleichen Hotel untergebracht und hatten das gleiche Rahmenprogramm - da hat man Zeit zum Quatschen. Da hab ich ihm erzählt, dass es das Team nicht mehr gibt, da war auch er baff wie alle anderen. Und er hat begonnen nachzudenken, wie er da unterstützen kann. Ein Monat später kam die Frage, ob ich mir vorstellen kann mit ihm zu fahren. Wir haben dann beide intensiver darüber nachgedacht und sind zu dem Schluss gekommen, dass das richtig gut funktionieren kann, weil wir vom Fahrertyp gleich sind, ähnlich viel Erfahrung haben und auch von unserem Umfeld her recht gefestigt sind - uns wirft nichts so schnell aus der Bahn. Und das sind Faktoren, die dann auch im Rennen entscheidend sind. Und dass wir beide uns gegenseitig helfen können, etwas zu erreichen, was wir alleine noch nicht geschafft haben.

Für dich ist das das Cape Epic?

Genau, für mich das Cape Epic, für ihn eine Medaille bei einer WM. Ich möchte ihm helfen, das zu erreichen - ich stehe ja schon etwas in der Schuld, weil er mich ins Team gebracht hat und das ist schon ein geniales Paket bei Bulls, das wäre woanders nicht möglich. Ich versuche mit Infos über Material und Training etwas zurückzugeben - Nehmen und Geben ist in so einer Partnerschaft sehr wichtig. So weit ich ihn jetzt kennengelernt habe, war meine Einschätzung als Konkurrent ganz anders. Interessanter Punkt ist auch, dass man als Konkurrent immer sieht, wo einer angreifbar ist. Das kann ich ihm jetzt sagen und umgekehrt geht das auch. Er hat mir auch schon ganz klar gesagt, welche Fehler ich mache, z.B. bei Etappenrennen.

Ich habe gelesen, dass du auch überlegt hast, ein eigenes Team zu gründen, auch im Hinblick auf eine mögliche Nachwuchsförderung?

Ja, wobei das war einer der kürzesten Gedanken aber das kam aus der Not heraus. Mit einem relativ kleinen Team - und ich hätte jedenfalls einen jungen Fahrer dazugenommen und einen erfahrenen Teamkollegen für die Etappenrennen - wäre das aber trotzdem viel Arbeit gewesen und ich hätte mich nicht mehr zu 100% auf den Rennsport konzentrieren können. Das war dann auch der Entscheidungsgrund, warum ich das recht schnell verworfen hab und eher geschaut habe, dass ich ein Team mit guten Strukturen finde.

Du möchtest schon noch ein paar volle Saisonen fahren? Es wäre doch auch eine Variante gewesen, dass Cape Epic irgendwie noch zu gewinnen und dann die Karriere auslaufen zu lassen?

Pensionierung ist definitiv noch kein Thema. Ich sehe, dass eine Leistungsentwicklung über die Jahre gegeben ist. Ich trainiere mit Watt und in der Leistungsdiagnostik ist erkennbar, dass noch Potential da ist. Und ich weiß auch, wieviel der Kopf mitspielt und allein von dem her könnte ich noch relativ lange fahren. Ich fühle mich noch nicht verbraucht.

Dein neuer Vertrag läuft zwei Jahre und hat eine Option auf ein drittes?

Genau, die Dauer war mir ganz wichtig. Ich möchte idealerweise nächstes Jahr schon das dritte Jahr fix machen. Schauen wir mal, wie es nach dem Cape Epic ausschaut, ob alle zufrieden sind. Aber alleine der Wille zum dritten Optionsjahr ist für mich ein Signal, dass sie mit mir zusammenarbeiten wollen. Als Grundgedanke war wichtig, dass jetzt nicht für zwei Jahre ein Fahrer für Karl Platt ins Team kommt und dann schmeissen sie mich raus. Schon beim Erstgespräch war ganz klar die Frage, was ich danach machen will. Ich hab gesagt, am liebsten möchte ich schon noch 3-5 Jahre Rennfahrer sein, solange ich halt vorne mitfahren kann. Alter ist irgendwie so eine Sache, ich fühle mich jetzt nicht so, dass ich nur noch hinten nachfahre, sonst würde ich es schon lassen. Wichtig ist, dass man Veränderungen akzeptiert und neue Reize setzt, dass man einfach nicht stagniert.

Alban Lakata im Trikot von Team Bulls (Foto: Team Bulls)

Abgesehen von Rennen als Zweierteam: welchen Wert hat das Team in deinem Radlerleben, auch im Vergleich zum Rennradsport? Könntest du deine Leistungen auch „alleine“ erbringen?

Das Team ist nicht so wichtig wie auf der Straße, du bist von deinen Teamkollegen im Rennengeschehen nicht so abhängig bzw. ist es nicht notwendig, teamstrategisch zu fahren.

Marathon fährt man alleine.

Ja, den fährst du mehr oder weniger alleine - von Anfang bis Ende am Limit. Das ist anders als auf der Straße. Klar gibt es Situationen in einem Rennen, wo du vielleicht profitierst, wenn du in einer Gruppe oder im Team zusammenarbeitest, aber viel wichtiger sind die Supporter drumherum - Masseure, Mechaniker, Teammanager.

Wie ist die technische Umstellung von Canyon auf Bulls? Ist dir egal, worauf du sitzt oder macht es für dich einen tatsächlichen Unterschied?

Ehrlicherweise hab ich mir zu Beginn schon kurz gedacht, dass Bulls zuerst einmal ein kleiner Rückschritt sein könnte. Canyon war sehr professionell was Marketing und Werbung angeht, wobei das ja grundsätzlich nichts über das Produkt aussagt. Bei Bulls steht ein Riesenkonzern dahinter, der große Umsätze macht und sehr gesunde Finanzen hat - Bulls ist da eigentlich nur eine kleine Sparte vom Ganzen. Bei meinen ersten Fahrten - egal ob mit dem Fully oder dem Rennrad war kein Riesenunterschied zu erkennen, obwohl ich ein echter Materialfreak bin in dieser Hinsicht. Optisch natürlich ein Unterschied, aber ein Rad ist ein Rad - um es banal auszudrücken. Bei einem Rad sprechen wir ja immer auch vom Gesamtpaket, bestimmte Sponsoren wie Fox und Shimano bleiben gleich, die Reifen ändern sich von Maxxis auf Schwalbe - wenn das Gewicht des Rahmens um einen Tick schlechter ist, ist der Reifen vielleicht einen Tick besser, das Gesamtpaket verschlechtert sich da auf keinen Fall. Karl hat schon bewiesen, dass es möglich ist, mit dem Rad Rennen zu gewinnen. Auch Urs Huber hat letztes Jahr 14 oder 15 Rennen gewonnen. Mitunter sehe ich es auch als meine Aufgabe, zu helfen, das Rad weiterzuentwickeln.

Bei neuen Rädern ist das Niveau insgesamt schon sehr hoch.

Genau. Image ist halt noch so eine Sache, aber das ist bei Bulls jetzt nicht so das Riesenthema - die sind sehr gut bei E-Bikes und im Low Budget-Bereich, das ist ihnen auch sehr wichtig.

Das ist ja auch der Massenmarkt, da wo die Umsätze herkommen.

Richtig, der Highend-Bereich ist gar nicht so sehr im Fokus. Was für die Fahrer fast etwas schade ist, weil die Verkaufszahlen eines High End-Rads ja auch die Werbewirksamkeit eines Fahrers oder des Teams widerspiegeln. Aber das kann man auch anders sehen - bei Canyon hat es soweit geführt, dass es anscheinend gar kein Team mehr braucht, um das Rad zu verkaufen. Wir haben sicher die Jahre zuvor gut gearbeitet, Leistungen erbracht, und Werbung gemacht, damit sich das Produkt gut verkauft. Jetzt wird davon eine Weile profitiert.

Was sind deine Ziele für 2019 (abseits des Cape Epic)?

Worldcup gibt es ja in dem Sinn keinen im Marathon und die bestehende Marathon-Serie hat nicht allzu viel Stellenwert für mich. Wichtig sind mir die Titel, das ist auch wieder etwas für das Team. Wenn man sich mein neues Trikot anschaut, dann ist das mehr oder weniger blank, die Weltmeisterstreifen kommen noch auf den Ärmel. Mein Ziel ist es, wie ein junger Fahrer, nach und nach meine Streifen und Abzeichen an meinem neuen Teamtrikot zu erarbeiten. Klares Ziel ist auch der WM-Titel mit dem neuen Team und unter der neuen Marke, das wäre schon etwas besonderes. Auch die Österreichischen Meisterschaften sind mittlerweile eine große Herausforderung, das Niveau in Österreich ist extrem hoch. Daniel Geismayr ist letztes Jahr Vize-Weltmeister WM geworden - das zeigt schon, was wir für ein Niveau haben, da stehen noch andere auf der Liste aber es reicht schon einer, um nicht Meister zu werden. Ich habe schon ein paar Mal gesagt ich fange jetzt wieder bei Null an - das ist so natürlich nicht ganz wahr. Ich muss mich jetzt nicht zwingend beweisen aber ich möchte es! Und zeigen, was mit dem Rad, dem Team und dem Umfeld alles möglich ist. Mit dem Alter kommt auch eine Reife und damit andere Ziele - andere als ein jüngerer Fahrer, vielleicht so etwas wie eine höhere Stufe der Selbstverwirklichung.

Zum Straßenradsport - du warst 16. bei den Österreichischen Staatsmeisterschaften und einer der besten Österreicher beim Ötztaler Pro - da warst du bis zum Jaufenpass in einer guten Gruppe.

Am Jaufenpass hat sich dann die entscheidende Gruppe abgesetzt, leider ohne mich. Ich hatte da einen Hänger mit Unterzuckerung - schlecht gewirtschaftet, denn ich habe einmal meine Flasche nicht bekommen und in der fremden Flasche war ein Getränk mit Süßstoff. Man muss wissen, dass wir Mountainbiker sehr abhängig von Kohlenhydraten sind - Straßenfahrer funktionieren anders, die haben einen anderen Motor, die trainieren das auch. Bei Straßenrennfahrern ist die letzte Stunde wichtig, bei uns die Erste. Ich habe aus dem Rennen gelernt, nicht zu viel von vorne zufahren. Am Anfang bin ich viel vorne gefahren, aufs Kühtai hoch, viel im Wind - aus der Unerfahrenheit heraus. Der Ötztaler hat mich jedenfalls nicht glücklich gemacht vom Ergebnis her, auch weil ich gemeint habe, dass mir das Rennen vom Profil und den Anforderungen her liegen sollte. Ich möchte auch unbedingt nochmal starten, ob beim Pro Ötztaler oder beim normalen ist egal. Der normale kommt mir mehr entgegen, weil man da eher wie bei einen MTB-Marathon fährt - jeden Berg gleich schnell, vielleicht in einer kleinen Gruppe aber gleichmäßig an der Schwelle. Bei den Profis stellen die großen Teams halt ein paar Fahrer ab, einer von Bora ist den ganzen Brenner hoch vorne im Wind gefahren, um die Lücke zur Spitze zu schließen, das hätte ich mir nie gedacht. Der ist dann aber auch ins Auto eingestiegen und hat gesagt „Für mich ist der Job jetzt erledigt“. Ich hab daweil in der Gruppe überlegt, ob man sich da nicht irgendwie einbringen und unterstützen soll…

Das heißt, das entspricht nicht so wirklich deiner Philosophie?

Nicht wirklich. Ich hab dann schon gemerkt, dass meine MTB-Kollegen Geismayr und Pernsteiner - die zwei, die regelmäßig auch Straßenrennen fahren - sich da entsprechend zurückgehalten haben und beide sind dann gut gefahren. So ein Ergebnis hätte ich mir erwartet - dass ich gewinne war unrealistisch aber Top Ten hätte ich erwartet und da war ich halt weit davon entfernt.

Und die Österreichischen Meisterschaften Straße?

Bei der Straßenmeisterschaft habe ich taktische Fehler gemacht und auch zu wenig in die Vorbereitung investiert bzw. investieren können - da hat am Ende die Spritzigkeit gefehlt und für die Spitzen hab ich zu wenig draufgehabt. Das Zeitfahren war dafür ganz passabel.

Das heißt, Straßenrennen werden ein „Hobby“ für dich bleiben? Und Zeitfahren interessiert dich mehr?

Rennen wie der Ötztaler oder der Super Giro Dolomiti interessieren mich schon sehr, weil sie absolut meinem Fahrerprofil entsprechen und du auch nicht unbedingt abhängig bist von einem Team. Richtig professionelle Straßenrennen… klar hätte mich eine Straßen-WM in Innsbruck interessiert, zum einen in Tirol und die Strecke würde mir auch liegen…

Wo du halt alleine auf dich gestellt bist, ist das Zeitfahren,. Wenn man sich da mal ein Monat oder so darauf konzentriert, dann kann man da leistungsmäßig schon etwas abrufen. Materialmäßig hatte ich dieses Jahr zwar ein gutes Rad aber die Einstellung war suboptimal. Ich hatte gehofft, viel mit meiner Leistung und Stärke wettmachen zu können und hab auch einiges wettgemacht - aber eben nicht alles. Auch die Fahrtechnik war ein großer Punkt, ich hab knapp eine Minute in der Abfahrt liegenlassen, es war nass und regnerisch und ich hab einfach auch nicht alles riskiert. Brändle ist damals Zweiter geworden, wir sind in einer ähnlichen Gewichtsklasse und meine Wattwerte waren leicht höher als seine - das zeigt schon, dass ich da etwas weiter vorne hätte sein müssen, wenn alles gepasst hätte.

Wie gehts mit dem Zeitfahren weiter? Planst du das fix ein, entscheidest du spontan bzw. lässt deine Saisonplanung das überhaupt zu?

Das hängt davon ab, welche Freiheiten ich haben werde, ob ich mir mal drei oder vier Wochen rausnehmen kann um dafür zu trainieren. Mir schwebt auch so etwas wie der Stundenweltrekord als Projekt vor - nur um mal zu schauen, wo ich da liege. Mein aktueller Coach kennt sich da ganz gut aus und könnte mir sicher einige Tipps geben, um mit überschaubarem Aufwand ein ganz gutes Ergebnis zu erzielen. Heuer hab ich aber mal den Teamwechsel zu verdauen und dann werden wir schauen, welche Ausflüge in die anderen Sphären sich da noch vereinbaren lassen.

Wie schaut es z.B. mit dem King of the Lake aus?

Den habe ich definitiv am Schirm, zuletzt war das zeitlich schwierig, da war gleichzeitig die WM. Aber wenn es sich ausgeht, solche Sachen würden mich immer wieder mal interessieren - warum nicht!

Reizt dich die Langstrecke? Die Projekte von Christoph Strasser? Das Race Around Austria?

Vor zwei Jahren hätte ich gesagt „Sicher nicht - den „Blödsinn“ mach ich nicht“. Aber ich seh schon auch wieder einen Reiz in dem Ganzen, ich würde das nicht mehr komplett ausschließen. Das sind auch die Aspekte des Ausdauersports, wo das Alter nicht so negativ reinspielt.

Wer deine Aktivitäten verfolgt, weiß, dass du sehr aktiv auf Strava bist. War es jemals ein Thema, dass du bestimmte Daten nicht auf Strava veröffentlichst?

Ja das war Thema - wenn du einen Coach hast und viel leistungsgesteuert trainierst, dann ist es natürlich nicht ganz fair, wenn man da zu viel preisgibt. Ich versuche natürlich schon, ein transparenter Athlet zu sein und die Menschen sollen sehen, was notwendig ist, um vorne mitzufahren und was ein Profi wirklich macht. Es nützt keinem etwas, wenn ich auf Strava nur die Fahrten und ein paar Bilder hochlade und alles andere verheimliche - da gehört viel mehr dazu und die Menschen schätzen das auch.

Hast du irgendwelche negativen Erfahrungen gemacht? Wie sieht das Feedback der Follower aus?

Was ich schon gemerkt habe ist, dass man teilweise „ausspioniert“ wird. Viele Trainer schauen genau hin, die Sportler selbst schauen und gehen dann zu ihrem Trainer und sagen, sie wollen das auch so und so machen. Nach dem durchwachsenen Jahr 2018 ist die Aufmerksamkeit etwas weniger geworden, man merkt es an den Followerzahlen. Als ich 2017 Weltmeister geworden bin, ist alles regelrecht explodiert. Jetzt mit dem Teamwechsel bin ich offenbar wieder etwas interessanter geworden, das gibt einem schon ein gewisses Feedback. Ich selbst folge nicht vielen - ich habe mir ein paar herausgepickt, die interessant sind in meinem Bereich, wo ich vielleicht auch noch etwas lernen kann. Ich nütze Strava als wahres Social Media für den Radsportler, weil Leute sich da normalerweise schon für die Materie interessieren - egal ob Material oder Training. Leute kommen auf mich zu und sagen „Ich folge dir auf Strava“ - das zeigt mir, dass sie nicht nur an Canyon oder Bulls oder sonst irgendwas interessiert sind, sondern an mir und meinem Beruf. Das gibt mir das Feedback, dass ich da etwas richtig mache.

Spannend an deinem Strava-Profil finde ich den Mix aus Sportarten (Rad, Fitness, Rolle, Skitouren) - das ist für mich ein Mehrwert und eine gute Veranschaulichung, was notwendig ist im Training.

Vier Stunden Skitouren sind für mich weniger anstrengend als vier Stunden Rolle, weil es kurzweiliger ist. Viele Sportler gehen jetzt Skitouren, alle die die Möglichkeiten haben oder in den Alpen wohnen. Ich mache das schon seit ich Radsport betreibe, einfach weil es bei uns in Osttirol einfach nicht anders geht und natürlich weil es ein super Ausgleichstraining ist. Das könnte ich ja theoretisch auf Strava auch verstecken - ich verheimlich auch nicht dass ich Intervalle bei den Skitouren gehe. Ich erkläre es jetzt nicht mehr so ausführlich wie früher - wenn ich schreibe „4x10min VO2Max“ und dann noch „30-30er Intervalle“ dann fragen die Leute nach und dann geht das mehr und mehr ins Detail. Ich schreibe dann eher „VO2Max Intervalle“ oder „Harte Einheit auf der Rolle“ und das passt auch. Mir haben Leute schon Auswertungen über mich selbst geschickt, das weiß nicht einmal ich so detailliert, meine aktuelle Schwelle oder den FTP-Wert.

Alban Lakata auf Strava

Osttirol präsentiert sich als sportliche Raddestination - was bekommst du davon mit?

Es tut sich sehr viel in Lienz und in ganz Osttirol, zum Beispiel auch mit dem Bikepark am Hochstein, der weiter wächst.

Dort gibt es ja auch den Lakata-Trail.

Genau, den bin ich ich ja damals mit Peter Sagan bei der Eröffnung heruntergefahren. Das Team von Bora-Hansgrohe ist regelmäßig auf Trainingslager in Lienz, da könnte ich auch mitfahren - das ist schon ein eigenes Flair, wenn so eine große Mannschaft da auf Höhentrainingslager ist und die Gegebenheiten nutzt. Die Leute schauen auf Lienz und Osttirol - da kann man Radfahren, da gibt es die Infrastrukturen - insgesamt eine sehr gute Initiative.

Und für dein sportliches Mountainbiken?

Die Trainingsausfahrten mit großen Mannschaften sind gut, Hermann Pernsteiner war letztes Jahr für ein paar große gemeinsame Runden hier - es macht Riesenspaß, mit solchen Leuten zu trainieren. Der Bikepark kommt mir da sehr zu gute, weil ich da meine Skills trainieren kann.

Das heißt, den nützt du regelmäßig?

Ja, gerne und oft, wenn es sich ausgeht. Aber auch sonst - wir haben viele Radwege, sodass man nicht nur auf den Hauptstraßen unterwegs sein muss.

Du bist aber auch recht viel auf den Bundesstraßen unterwegs?

Ich fahre gerne die Kreuzbergrunde und die Lesachtalrunde. Es sind flüssige Schleifen, man kann teilweise die Radwege benützen, schöne vier Stunden lang. Wichtig ist, dass es Runden sind und man nicht einen Radweg rauf und runter fährt. Auf halbem Weg in Hermagor hab ich mein Stamm-Café für einen Cappuccino, bevor ich weiterfahre.

Du fährst also nicht mit dem Kopf unten am Lenker sondern schaust auch mal in die Landschaft?

Teils, teils - bei so einer Runde gibt es z.B. Strava-Segmente, die baut man ein und dann hat man während der Fahrt immer wieder kleine Herausforderungen.

KOMs (King of the Mountain-Wertungen) sind schon ein Ansporn für dich?

Ja sicher - z.B. der KOM am Gailberg gehört nicht mehr mir, der wurde bei der Dolomitenradrundfahrt unterboten. Der Kreuzberg ist extrem umkämpft, den hab ich mir kürzlich zurückgeholt. Im Gailtal gibt es ein langes flaches Segment, das ich immer wieder einmal in Angriff nehme.

Also Strava als Motivation?

Das ist ein wesentlicher Pluspunkt von Strava - die Motivation, die man daraus zieht. Man schaut, was die anderen fahren, dann kann ich halt auch einmal 4-5 Stunden in der Kälte trainieren. Mit den KOMs sehe ich aber auch, wo ich an mir arbeiten kann. Ich fahre jetzt nicht in der Welt herum, um KOMs zu sammeln, aber wenn auf einer größeren Runde z.B. der Monte Zoncolan dabei ist, dann versuche ich schon, mir den zu schnappen. Der Zoncolan von Ovaro ist seit dem Giro relativ schwierig mit der Zeit vom Froome - obwohl der hat das gar nicht hochgeladen…

Wie oft bekommst du ein Email, dass du einen KOM verloren hast?

E-Mail nicht, weil die Funktion ausgeschaltet ist, aber Benachrichtigungen schon regelmäßig, viele kommen aber auch mit dem Auto oder E-Bikes zustande. Falls ein KOM mir ehrlich abhanden kommt, dann kann das schon motivieren, beim nächsten Mal in diesem Segment etwas mehr Gas zu geben.

Auch weil du recht viel alleine unterwegs bist?

Definitiv. Und auch für den sportlichen Ehrgeiz, um andere Leute wieder zu motivieren etwas zu tun. Den KOM am Kreuzberg hab ich mir zuletzt zurückgeholt, dann hoffe ich, dass da der nächste kommt und die Zeit wieder verbessert. Man lernt nicht nur wie man schneller fährt, sondern auch auf die Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen. Man wird ein feinfühliger Fahrer, schaut wie sich der Wind verhält - über die tageszeitabhängigen Windverhältnisse auf der Rückseite des Iselsberg weiß ich mittlerweile sehr viel. Das sind so Spielereien, aber die machen das Ganze spannend und interessant. Und es geht ja im Endeffekt darum, dass es nicht fad wird.

Gutes Stichwort für ein Schlussplädoyer: trotz allem Ehrgeiz und Wettkampf gehst du gerne Radfahren und es macht dir Spaß? Es gibt ja immer wieder Interviews mit Profis oder Fahrern, die sagen, dass sie in ihrer Freizeit kein Rad angreifen würden…

Die meisten haben eine romantische Vorstellung vom Leben eines Radprofis, aber ich kann sagen, es ist mit Sicherheit nicht immer romanisch. Es macht mir schon zu 90% Spaß. Ich trainiere gerne strukturiert aber eben manchmal auch ins Blaue hinein. Spaß ist dabei ein wichtiger Motivationsfaktor - wenn man den nicht mehr hat, im Training und auch im Rennen, dann ist es bald vorbei. Ich fahre liebend gern Rennen und ich trainiere auch extrem gern. Für beides musst du Spaß daran haben, da spielt dann auch das Alter keine Rolle. Wenn du dich zum Training motivieren kannst, dann wird die Leistung nicht so schnell abfallen.

Alban, Vielen Dank für die Zeit und das Interview - Alles Gute für die kommende Saison im neuen Team Bulls.

Alban Lakata auf Facebook, Instagram, Strava und sein Steckbrief des Team Bulls:

Was bringt 2019

Wie der Keks-Teller meiner Schwiegermutter füllen sich dieser Tage auch wieder laufend jene Listen mit Vorsätzen und Plänen, die man sich fürs anlaufende Jahr vornimmt, auf die Fahnen heftet oder gar lauthals in die Welt hinausschreit (auf dass diese Verbindlichkeit nicht zum Verhängnis wird). Neben rein keks-induzierten Vorsätzen - bei mir dauert die “Reparatur” der weihnachtlichen Gewichtszunahme erfahrungsgemäß mehrere Wochen - möchte ich wie jedes Jahr einige meiner Ideen für 2019 formulieren, wie immer ohne Reihung, Wertigkeit und endgültige Verbindlichkeit. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass sich viele Dinge erst unterjährig und meistens auch recht spontan ergeben, einige davon stellen sich dann als die besten Unternehmungen heraus - besser als man sie je hätte planen können…

Zwift

Mit ein paar Ausdauereinheiten auf der Rolle werde ich erst einmal die überzähligen Kilos beseitigen, die sich zuletzt angesammelt haben. Ich setze hier wie gehabt auf Zwift, die Trainingsplattform bietet aus meiner Sicht den besten Mix aus Leistung, Abwechslung und Spaß. Um den virtuellen Welten allerdings auch einmal einen Offline-Anstrich zu verpassen, freue ich mich besonders darauf, dass die alljährliche “Zwift x Wahoo-Tour” 2019 auch in Wien Halt machen wird. Am 18. Jänner 2019 bin ich daher im “WeXelerate” zu finden, gemeinsam mit ein paar anderen Verrückten, Begeisterten und Fans.

Weitradln

Es geht chronologisch weiter und gleichzeitig bildet der Februar so etwas wie einen Startschuss in die “ernste” Saisonplanung. Ich habe mir einen Vortrag von Christoph Strasser am 16. Februar im Audimax in Wien ausgesucht, der für mich symbolisch als Startpunkt für mein größtes Vorhaben 2019 dienen soll - mein persönliches Race Around Austria. Wer soll mich geistig und psychologisch besser auf ein derartiges Projekt einstimmen, als Mr. Weitradlfoarn Christoph Strasser.

Nach zwei Jahren, die ich das Race Around Austria mit der Kamera begleitet habe, kann ich 2019 nicht mehr anders, als selbst in die Pedale zu treten. Zu verlockend war und ist das Gefühl bei jedem Starter, der die Rampe in St. Georgen verlässt, mich selbst auf den Weg zu machen. Es wird die Einsteigervariante werden - die Race Around Austria Challenge, bei der 560 Kilometer rund um Oberösterreich zurückzulegen sind. Wie das funktioniert, haben Tini und Andi von geradeaus.at im vergangenen Jahr eindrucksvoll vorgemacht. Ich hoffe, dass sie mich mit wertvollen Tipps unterstützen, genauso wie ich jede und jeden ausfragen und ausquetschen werde, der mir in den letzten Jahren beim RAA begegnet ist und mir sachdienliche Hinweise geben kann. Die Vorbereitung macht jedenfalls schon einmal Spaß, hab ich doch schon während der Weihnachtsfeiertage etwas Zeit gehabt, mir über ein paar Dinge Gedanken zu machen und Pläne zu schmieden.

Wie genau die Vorbereitung für das RAA aussehen wird, ist noch nicht fixiert. Es gibt hier weder einen Trainingsplan noch irgendwelche anderen Vorgaben, einziger Plan ist derzeit, möglichst viele Kilometer auf dem Rad zu verbringen. Der Rest ergibt sich auf der Reise dorthin - wer an dieser Stelle ob dieses Auswuchses an Chaos und Planlosigkeit die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, der sei beruhigt… Bis jetzt bin ich so ganz gut gefahren und habe auch vor, das so weiterzuführen. Mir ist nun einmal wichtig, dass auch der Weg zum Ziel Freude bereiten soll und nicht nur die Zieleinfahrt… Da wird sich aber bestimmt noch einiges tun in den nächsten Monaten und ich werde natürlich entsprechend berichten - hier und auf allen anderen Kanälen!

Rennkalender

Damit bis zum “D-Day” Mitte August auch sicher einige längere und flottere Einheiten dabei sind , hab ich den Rennkalender durchstöbert, um mir folgende Veranstaltungen vorzumerken: Osttirol im Juni bleibe ich treu, allerdings ist der Plan, statt der Dolomitenradrundfahrt auf die längere Strecke des Super Giro Dolomiti zu wechseln. Auch auf die längere Strecke wechseln werde ich bei den Wachauer Radtagen im Juli. Hier wird mein Verein - PBIKE - wohl wieder die inoffiziellen Vereinsmeisterschaften austragen, außerdem ist die Veranstaltung vor den Toren Wiens mittlerweile zu einem Fixtermin in meinem Radjahr geworden.

Wachauer Radtage (c) Sportograf

Offen ist, ob derzeit kursierende Ideen (Verbindlichkeit irgendwo zwischen Schnapsidee und Hirngespinst) Realität werden, und wir als Verein bei einem der Langstreckenrennen an den Start gehen, die Juni und Juli in den Rennkalendern zu finden sind. Glocknerman am 20. Juni oder Kaindorf am 20. Juli sind zwei dieser Möglichkeiten. Ein Start dort würde eine gute Vorbereitung auf das Race Around Austria bedeuten, außerdem nimmt das Team wohl etwas den Schrecken vor der Herausforderung. Kaindorf bietet neben dem klassischen 24h-Rennen auch die Möglichkeit eines 6h- oder 12h-Rennens, also auch eine Einstiegsmöglichkeit “light”. Hier müssen allerdings noch einige Vereinsabende vergehen, bis diese Ideen endgültig spruchreif sind und danach möglicherweise Realität werden.

Mitunter etwas gemütlicher geht es bei zwei anderen Veranstaltungen zur Sache, die ich mir ebenfalls einmal mit Bleistift in meinen Kalender eingetragen habe. Nummer 1 ist die In Velo Veritas, die Fahrt mit klassischen Stahlrennern durchs niederösterreichische Weinviertel. In den letzten Jahren stand ich vor dem schier unlösbaren Problem, dass In Velo Veritas und Dolomitenradrundfahrt immer am gleichen Wochenende stattfanden, und ich dabei (auch familienbedingt) immer Osttirol den Vorzug gegeben habe. 2019 finden die beiden Veranstaltungen an unterschiedlichen Terminen statt, Gelegenheit also, endlich wieder einmal mein Select “Weltrekordrad” auszumotten, mein Wolltrikot anzuziehen und von einer weingetränkten Labe zur nächsten zu radeln. Die gleichen Akteure sind auch beim zweiten Vorhaben am Werk, einer Fernfahrt von Wien nach Hamburg, die zur Feier des 150-jährigen Bestehens des ABC Altonaer Bicycle Club anhebt.

Mit ein paar mehr Trainingskilometern und der absolvierten Race Around Austria Challenge stehen im September schließlich noch zwei weitere Aufgaben an. Beim Velorun in meiner ehemaligen Heimatstadt Baden gilt es wieder, auf meinen damaligen Hausrunden einige “Personal Bests” in die Höhe zu heben. Und auch beim King of the Lake - dem Zeitfahren rund um den Attersee - ist eine neue Bestzeit fällig, wieder auf dem Zeitfahrer nämlich, nachdem ich ja dieses Jahr mit den Rennrad unterwegs war.

Bucket-List

Abseits von Rennen und organisierten Veranstaltungen harren auch unzählige Projekte auf meiner ganz persönlichen Rad-Bucketlist ihrer Erfüllung. Je nachdem, wann sich was und wie ausgeht, besteht die Speisekarte aus Vrsic und Mangart als Vorspeise, Stelvio als Hauptgang und ein paar Dolomitenpässen als Dessert. Auch der Mont Ventoux übt einen großen Reiz aus, hier ist aber die Anreise einfach sehr, sehr, sehr weit…

Fotos

Neben aktiver Zeit im Sattel ist mir auch Zeit hinter der Kamera wichtig. Ich bin jedenfalls wieder mit Kamera und Telefon bei der Österreich-Rundfahrt im Juli mit von der Partie - es waren tolle Erfahrungen, die ich bei meiner Premiere in diesem Jahr sammeln konnte, das möchte ich fortsetzen.

Aber auch beim Wiener Bahnorama im Dusika-Stadion, den VICC-Rennen auf der Donauinsel und wann immer es die Zeit erlaubt, werde ich mich mit der Kamera auf die Lauer legen, um den einen oder anderen Schnappschuss zu erhaschen.

Fotos werden demnach auch ein wesentlicher Pfeiler der Inhalte von 169k bleiben. Daneben möchte ich aber noch andere Bereich erschließen - erste Videos sind in Arbeit, Interviews ebenso. Für 2019 sind hier einige Neuerungen und Schmankerl vorgesehen, dranbleiben lohnt sich also!

N+1?

“Brauchen” wäre in diesem Zusammenhang sowieso das falsche Wort, “wollen” passt auch nicht so wirklich, hab ich doch für fast jeden Einsatzzweck geeignetes Gerät. Ein Zeitfahrer steht immer wieder mal auf der Wunschliste, für Race Around Austria und King of the Lake wäre so ein Rad außerdem schon ganz praktisch. Meinen Crosser habe ich hingegen ein bisschen auf “Adventure-Bike” umgebaut (näheres hier in Kürze) - die Idee dahinter ist, ein Rad für alle Einsatzzwecke zu haben (Straße, Cross und MTB light). Hier bin ich noch etwas am Tüfteln, da diese Einsatzbereiche einfach unterschiedliche Anforderungen mit sich bringen, die mitunter nicht ganz einfach unter einen Hut zu bringen sind. Abhängig davon, ob ich mit meiner derzeitigen Plattform (dem alten Crosser) das Auslangen finde oder nicht, wird es hier vielleicht ein N+1-Aufbau-Projekt geben.

So irgendwie “N+0,5” wird es im Frühjahr aber jedenfalls geben. Damit der Nachwuchs auch Radluft schnuppern kann und gleichzeitig die Trainings-Zeiteinteilung etwas effektiver wird, ist ein Radanhänger in Anschaffung - nicht für Gran Fondos, sehr wohl aber für kurze Ausfahrten auf der Donauinsel oder ähnliches. N+0,1 hingegen wird das erste Laufrad für den Junior - fast so schön, wie ein Rad für sich selbst zu kaufen!

Laufen

Sowohl aufgrund des Trainingseffekts als auch aus Zeitgründen, werde ich 2019 auch wieder öfters die Laufschuhe schnüren. Mit ein paar Kollegen wird es eine Staffel beim Vienna City Marathon im April geben, darüber hinaus möchte ich abseits ausgetretener Pfade mit Rucksack und GPS höher hinaus - in die Berge nämlich. Ob das dann Trailrunning ist oder Wandern oder schnelles Spazieren ist nebensächlich, das Naturerlebnis und die Berge stehen dabei im Vordergrund,

Neben allen Leistungen soll nämlich auch 2019 wieder die Freude als wesentlicher Antriebsgrund im Vordergrund stehen. Platzierungen sind mir seit jeher relativ egal, Rekorde sowieso - wichtiger das Erlebnis, die Erfahrung und die Erkenntnis, was man alles leisten kann und möchte (und leisten kann, WENN man es denn möchte).

In diesem Sinne einen schönen Start ins neue Jahr. Ich hoffe, den einen oder die andere (wieder) zu treffen - egal ob an einer Startlinie, bei einer Ausfahrt oder bei einer anderen Gelegenheit. Ich freu mich!

Christoph Strasser - "Der Weg ist weiter als das Ziel"

Man kann schon einmal die Jahreszahlen durcheinanderbringen… Verletzung in diesem Jahr, Triumphfahrt in jenem, das Duell mit Reto Schoch im einen, Lungenprobleme im anderen, Streckenrekord hier, „DNF“ dort. Wir befinden uns mitten drinnen in der Biographie von Christoph Strasser mit dem Titel „Der Weg ist weiter als das Ziel“. Dass Christophs Wege weit sind, ist hinlänglich bekannt, gut 4.800 Kilometer durchmisst das Race Across Amerika den nordamerikanischen Kontinent von West nach Ost. Und schnell wird klar, dass das Leben und Wirken von Strasser eng und unmittelbar mit dem „RAAM“ verknüpft ist. Das Race Across America ist aber nur ein Schauplatz, der im Buch beleuchtet wird. Ebenso wichtig und für den interessierten Leser und die Leserin umso spannender sind die Blicke hinter die Kulissen des Ultraradfahrers Strasser. Doch der Reihe nach…

Interessant und aufschlussreich beginnt die Geschichte - eine Biographie eben - bei Elternhaus, Kindheit und Jugend. Strasser erzählt launig von seinen ersten Begegnungen mit dem Rad, den mit dem Rad zurückgelegten Wegen zwischen Großeltern und Eltern, dem Aufwachsen in der steirischen Ortschaft Kraubath und dem Erwachsenwerden. Was bei diesen Episoden mitschwingt sind wichtige Zwischentöne, die helfen, den Radsportler und sein heutiges Schaffen besser zu verstehen. Auf der Suche nach grundsätzlichen Charakterzügen, Wertehaltungen und Weltanschauungen wird man nunmal am ehesten in der Jugend und dem frühen Erwachsensein fündig. Und hier zeigt sich bereits, wo die Reise für Christoph Strasser hingeht: geerdet, bescheiden, fleissig und dabei zielstrebig stellt er sich dar - und wer ihn schon einmal persönlich kennenlernen durfte, erkennt, dass er auch heute noch so ist.

Anfänge

Großartig sind die Episoden, wo Strasser mit dem alten Mountainbike seiner Jugend beim ersten 24-Stunden-Rennen an der Startlinie steht - wenig Augenmerk auf Material, Kleidung oder Aussehen. Und genau das ist es, was manche von uns heutzutage vielleicht vermissen. Die Unschuld, sich einfach aufs Rad zu setzen und loszufahren, sich nicht um Strava, Wattwerte oder Sockenfarbe kümmern zu müssen, sondern die Essenz des Sports zu spüren. Bei diesen 24h-Rennen im steirischen Fohnsdorf trifft Strasser auch zum ersten Mal auf Wolfgang Fasching - 2002 hat Fasching gerade zum dritten Mal das Race Across America für sich entschieden, ist damit also der zu diesem Zeitpunkt größte Ultraradsportler seiner Zeit.

Die Unschuld bleibt vorerst erhalten, auch wenn Strasser bei seinen Teilnahmen immer erfolgreicher wird. 24h-Kraftwerkstrophy in Theiss, Race Across the Alps, 24h von Kelheim - die Wege dorthin werden mit dem Camper in Angriff genommen, die Crews sind aus Freunden und frühen Wegbegleitern zusammengestellt und die Ergebnisse werden besser und besser. Aus losen Bekanntschaften werden Teamkollegen bzw. Crewmitglieder, die teilweise bis heute mit an Bord sind, auf sportlicher Ebene macht sich Strasser nach und nach einen Namen und steht plötzlich Seite an Seite mit vermeintlich unerreichbaren Idolen wie Jure Robic oder Marko Baloh am Podest.

Vorbilder

Jure Robic kommt große Bedeutung im Leben Strassers zu. 2007 treffen sie beim Race Around Slovenia aufeinander, fahren gegeneinander aber irgendwie auch miteinander. Grundsätzlich zieht sich durch das gesamte Buch und auch das Leben von Strasser, dass mit den meisten Fahrern und vermeintlichen Konkurrenten ein sehr gutes bis freundschaftliches Verhältnis gepflegt wird. Zu klein der Sport, zu gering die Teilnehmerzahlen, zu ähnlich die gemeinsamen Interessen und Zielvorstellungen. Freilich bekommt niemand etwas geschenkt und auf dem Rad zählen Leistungen und Ergebnisse, dennoch wiegt die gemeinsame Ausübung des Sports schwerer als kleine persönliche Animositäten. Abgesehen davon ist es auch etwas anderes, ob man sich in einem großen geschlossenen Fahrerfeld bewegt, oder aber auf sich allein gestellt bzw. mit seiner Crew mehrere hundert Kilometer lang alleine unterwegs ist.

Robic dominierte über Jahre den Ultraradsport, gewann die meisten Rennen mehrfach und souverän und war Strassers Vorbild. „War“, weil Robic leider bei einem Trainingsunfall im Jahr 2010 verstarb. Die Aufeinandertreffen von Strasser und Robic sind zahlreich: zuerst der unbekannte Rookie mit dem souveränen Meister, später der beharrliche Herausforderer, dann der tatsächliche Konkurrent auf Augenhöhe, plötzlich jener Fahrer, der die Titel wegschnappt. Die ultimativen Duelle waren aufgrund des frühzeitigen Tods von Robic nicht mehr möglich, in Erinnerung bleibt Strasser der Ausspruch von Robic: „Du wirst einmal das RAAM gewinnen“. Strasser versuchte - bewusst und unbewusst - die Lücke zu füllen, die Robic hinterlassen hatte - mit seinen Leistungen aber auch als Sportsmann und Aushängeschild einer ganzen Sportart.

Race Across America

2009 startet die Beziehung Strassers mit dem Race Across America. Der Erzählstrang des Buchs orientiert sich am Verlauf eines RAAMs und dessen Abschnitten und Time Stations. Der Start an der Westküste im kalifornischen Oceanside, die ersten Kilometer nach Borrego Springs (inkl. des berühmt-berüchtigten „Glass Elevators“, die langen Gerade durch menschenleere Landstriche, die große Hitze und die kalten Nächte, die Rocky Mountains, Kansas und wiederum lange Geraden, die Appalachen und schließlich die letzten Kilometer bis zum Ziel in Annapolis. Strassers Erzählungen sind detailliert und sparen nicht mit selbstkritischen, spannenden, aufschlussreichen und lustigen Anekdoten aus dem Sattel und dem Betreuerauto.

Dabei springen die Erzählungen recht sprunghaft zwischen den unterschiedlichen Teilnahmen (2009, 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2017 und 2018) hin und her - so schnell, dass man als Leser teilweise den Überblick verliert, wo und an welchem Zeitpunkt der Geschichte man sich gerade befindet. Das tut dem Lesespaß allerdings überhaupt keinen Abbruch, zu intensiv sind Strassers Erzählungen, man fühlt sich wie ein Betreuer oder Zuschauer, der direkt im Rennen mit dabei ist.

So lebt man mit Strasser mit, wenn er von Duellen mit anderen Fahrern erzählt, seinen Zustand am Rad sehr bildlich beschreibt oder aber über seine Gefühlswelten vor, während und nach dem Rennen berichtet. Zweikämpfe haben in der Historie der Strasser´schen RAAMs zahlreich stattgefunden. Mit Freunden - Severin Zotter, David Misch - Kollegen wie Gerhard Gulewitz und Marko Baloh oder aber mit ungeliebten Konkurrenten wie dem Schweizer Reto Schoch. Bei letzterem ist sogar dem an sich sehr besonnenen und ruhigen Strasser die Wut anzumerken, wenn es um die einschneidenden Erlebnisse des RAAM 2012 geht. Aber Strasser wäre nicht Strasser, wenn er nicht auch in diesen Erlebnissen etwas Positives sehen würde - das Duell mit Schoch und die Lehren daraus haben ihn zu einem besseren Fahrer gemacht, die Motivation zurückzukommen war ungleich größer.

Der Zielstrich des RAAM!

Die Zustände des Radlers Christoph Strasser, die dieser während den acht Tagen des RAAM durchlebt sind mit die unterhaltsamsten Geschichten im Buch, auch wenn die Dramatik der Situation und der körperliche und geistige Zustand eigentlich keinen humorigen Beigeschmack mit sich bringen. Da werden schon einmal Straßenmarkierungen zu nicht aufgerolltem Klopapier, eigene Crew-Mitglieder werden nicht mehr als solche erkannt, nach einem Lenkerbandwechsel wird auch das Rad nicht mehr als das eigene identifiziert. Einmal fragt Strasser seine Crew, warum diese ihn immer und immer wieder den gleichen Anstieg hinauf schickt, obwohl dieser natürlich jedesmal ein anderer ist, Bauarbeiter werden mit Fangruppen verwechselt und beim Anblick des RAAM-Fotografen steuert Strasser gleich direkt in einen Acker hinein (und hofft dabei, dass das wenige Meter hinter ihm fahrende Betreuerauto diesen Fauxpas nicht bemerkt hat).

Während geistige Zustände in erster Linie auf den Schlafmangel zurückzuführen sind, ist natürlich auch der Körper des Radsportlers während einem RAAM extremen Herausforderungen ausgesetzt. Ein wunder Hintern und Probleme mit den Handgelenken sind dabei noch die geringeren Probleme. Lungenerkrankungen bis hin zum Ödem - weswegen auch Strasser eine seiner RAAM-Teilnahmen abbrechen musste, Probleme mit dem Wasserhaushalt, die zu gefährlichen Einlagerungen im Körper führen können und natürlich mögliche Verletzungen als Folgewirkung von Stürzen oder Unfällen sind nicht immer vermeidbar. Der beim RAAM verpflichtende Arzt in jedem Team kann bestimmte Auswirkungen abfedern oder mildern, Vorbeugung und entsprechend richtige Reaktionen bei auftretenden Symptomen sind jedoch der Schlüssel, dass man diese Sportart auch über einen längeren Zeitraum ausüben kann und nicht nachhaltige Schäden davonträgt. Immerhin dauert es mehr als zwei Tage, bis nach einem RAAM der Gleichgewichtssinn wieder zu 100% funktioniert, Gefühl in Zehen und Fußsohlen kommt ebenfalls erst nach und nach zurück. Sechs Wochen dauert es insgesamt, bis der Körper wieder auf dem Leistungsniveau von vor dem Rennen angelangt ist.

Der Faktor Team

Ausführlich - und das absolut zurecht im Sinne der Bedeutung - wird die Notwendigkeit des richtigen Teams skizziert. Ein Team ist jedenfalls keine lose Ansammlung von Adjutanten sondern integraler Bestandteil des Unterfangens und laut Strasser (neben Körper und Geist) zu 34% verantwortlich für ein erfolgreiches Rennen. Die Menschen an Strassers Seite sind dort schon lange am Werken, haben ebenfalls bereits große Erfahrung bei Langstreckenrennen und wickeln eine derartige Herausforderung hochprofessionell ab. Die Aspekte, die die Crew dabei zu behandeln hat, sind mannigfaltig und für den gemeinen Beobachter von außen oft gar nicht sofort erkennbar. Neben eher offensichtlichen Aufgaben wie Nahrungsversorgung oder medizinischem Beistand kommt natürlich der „Unterhaltung“ und Motivation des Fahrers enorme Bedeutung zu. Dass dieser Fahrer diese Hilfestellungen manchmal nicht oder nur sehr unwillig annimmt steht auf einem anderen Blatt Papier und ist eine große Herausforderung für Crewmitglieder - hier passiert aber zumindest im Team Strasser nichts, was sich nicht durch ein Bier nach dem Rennen reparieren doer geradebiegen ließe.

Soziales

Natürlich nicht Teil des Teams sind die anderen Fahrer, die zumeist als Gegner, sehr oft aber auch als Freunde und gute Kollegen Teil der Geschichte sind. Hervorgehoben und im Buch auch entsprechend gewürdigt werden David Misch und Severin Zotter. Misch beendete das RAAM selbst als Rookie of the Year, bestritt mit Strasser gemeinsam einige Rennen im Team und - in seiner Funktion als Autor - interviewte er Strasser für sein zuletzt erschienenes Werk „Intensität“. Zotter gewann das RAAM als Strasser nicht zur Stelle war und gesundheitsbedingt das Rennen aufgeben musste. In Zotter wuchs ein ernstzunehmender Konkurrent für Strasser heran, dieser widmete sich jedoch nicht zu 100% dem Ultraradsport sondern behielt seinen Job als Sozialarbeiter und plante die Gründung einer Familie. Diese Episode ist ein spannender Einblick in das Leben eines Ultraradsportlers in dem Sinne, dass es jedenfalls schwer ist, auf mehreren Kirtagen gleichzeitig zu tanzen und die Entscheidung FÜR eine Sache mitunter auch eine Entscheidung GEGEN eine andere darstellt.

Race Around Austria

Das Race Around Austria ist nicht nur mir ein persönliches Anliegen und eine Freude sondern auch Christoph Strasser. Davon zeugen zahlreiche Teilnahmen und Siege und eine entsprechende Wertschätzung, die in einem eigenen Kapitel des Buchs zu lesen ist. Das von Michael Nussbaumer ins Leben gerufene Event in der heutigen Form gilt als eines der schwersten Ultra-Radrennen in Europa und der ganzen Welt. Zur Geschichte des RAA habe ich an anderer Stelle schon mehr geschrieben - Strasser war einer der beiden Protagonisten, die 2008 die ursprünglich von Manfred Guthardt erprobte Österreich-Umrundung auf deren Wiederholbarkeit testeten und das Race Around Austria in der heutigen Form ermöglichten.

Die Atmosphäre des Race Around Austria wird im Vergleich zum RAAM als unglaublich beschrieben - während im Ziel des RAAM ein Official und einige Team- oder Familienmitglieder warten, werden in Sankt Georgen im Attergau ja sämtliche Fahrer durch das gleichzeitig stattfindende Marktfest gelotst - ein Ankommen, das keiner der Teilnehmer so schnell wieder vergisst. Auch nicht vergessen wird Strasser wohl die Teilnahme als Vierer-Team im Jahr 2013 - die Geschichten dazu sind nicht ganz jugendfrei und sollten daher am besten im Buch selbst nachgelesen werden.

Sportliche Ausflüge

Es ist natürlich maßlose Untertreibung, an dieser Stelle von „Ausflügen“ zu sprechen, vielmehr ist jedes Unterfangen von Strasser verbunden mit körperlichen und geistigen Höchstleistungen, die keinerlei Ähnlichkeit mit entspannten Ausflügen aufweisen.

In Erinnerung bleibt jedenfalls der 24h-Weltrekord auf der Bahn im Schweizer Grenchen. Wenn Strasser selbst das Kapitel mit „Gschissn und Richtig Gschissn“ bezeichnet, dann soll das schon was heißen… Zuerst noch wegen einer Erkältung verschoben, spulte Strasser in 24 Stunden 941,8 Kilometer ab - gleichbedeutend mit 3.767 Runden auf der 250 Meter langen Radbahn. Für Strasser retrospektiv das „Irrste“, was er jemals gemacht hat. Die Rekord-Urkunde bekam Strasser vom vorherigen Rekordhalter Marko Baloh überreicht, mit ehrlicher Freude - ein unfehlbarer Indikator für das gute Verhältnis, das Strasser zu seinen Kollegen pflegte und pflegt.

Die Stadt Wien bekommt an dieser Stelle übrigens - zu Recht! - ihr Fett weg. Bürokratische Prügel, die dem Team Strasser im Vorfeld in den Weg gelegt wurden, verhinderten, dass der Weltrekordversuch im Wiener Ferry-Dusika-Stadion stattfindet.

Humorig - aber auch hier mit eigentlich ernstem Hintergrund - liest sich die Episode rund um den 24h-Weltrekord am Berliner Tempelhof. Die Strecke war nur sporadisch abgesperrt, das Wetter war nicht gerade einladend, der Wind bösartig. Trotzdem zog Strasser die Nummer durch, der Weltrekord betrug danach 896,2 Kilometer. Die magische Marke von 900 Kilometer hat Strasser in der Zwischenzeit übrigens pulverisiert - die 24h-Weltmeisterschaften in Borrego Springs fanden gerade erst im Oktober 2018 und damit nach Fertigstellung des Buchs statt.

Charakteristika eines “Weiradlfoaras”

Was ist notwendig, um Ultraradfahrer auf derart hohem Niveau zu sein? Das Buch kann diese Frage natürlich nicht erschöpfend beantworten - abgesehen davon, dass viele Aspekte absolut individuell sind und daher nicht von einer Person auf die andere gemünzt werden können. Strasser legt eine absolute und starke intrinsische Motivation an den Tag - dies spiegelt sich in allen seinen Aussagen, Ansichten und Taten wider. Stetige Verbesserung der eigenen Person und Leistungen steht absolut im Vordergrund, wobei - aus meiner Sicht absolut essentiell und mit ein Alleinstellungsmerkmal von Strasser - auch eine große Portion Bescheidenheit und Demut erhalten bleibt.

Strasser hat sich in den letzten Jahren an die Spitze des Ultra-Radsports hinaufgearbeitet. Konkurrenten oder Herausforderer sind Mangelware. Was auf den ersten Blick als Glücksfall erscheint, offenbart auf den zweiten Blick großen Druck, Motivationslöcher und viel notwendiges Durchhaltevermögen. Keiner spricht mehr von Durchkommen oder vom olympischen „Dabeisein ist alles“, sondern nur noch von Pflichtsiegen und verbesserten Streckenrekorden. Die Mutter sagt etwa „Super Junge, dann kann endlich ein anderer gewinnen“, als bekannt wird, dass Strasser 2016 nicht beim RAAM antreten kann. Ständig Favorit zu sein ist schön, aber kein Garant dafür, dass man diese Rolle auch weiterhin einnimmt. Positiv formuliert heißt das bei Strasser, immer weiter hart an sich zu arbeiten, um den Moment hinauszögern zu können, in dem ein Besserer kommt.

Kritiker werfen Strasser gar vor, die Gegner zu verhöhnen, in dem er Stunden und Tage Abstand zwischen sich und seinen Verfolgern herstellt. In seinen Augen ist allerdings genau das Gegenteil der Fall: Für Strasser zeugt es von Respekt gegenüber den anderen Teilnehmer*innen, dass er gut vorbereitet und top motiviert an die Startlinie kommt. Im Jahr 2018 war das beim Race Across America gut ersichtlich: Die Konkurrenz war „überschaubar“, der Druck des fünften Siegs groß, die Motivation aber schwierig aufrecht zu erhalten. Funktioniert hat es dann trotzdem, aber nicht „eh“ sondern „obwohl“!

Und außer Radfahren? Was sonst noch?

„Das Rad und ich - das ist etwas Längerfristiges“ meint Strasser und der Romantiker in mir frohlockt ob der einfachen aber so authentischen Botschaft. Völlig unromantisch allerdings (oder vielleicht gerade auch wieder romantisch!) ist allerdings, dass es im Ultraradsport im Wesentlichen keine Preisgelder gibt. Das erscheint auf den ersten Blick fatal und mag es aus wirtschaftlicher Sicht auch sein, andererseits erhält dieser Umstand eine gewisse Unschuld der Szene und der Rennen und - sehr wesentlich angesichts der erbrachten Leistungen - verleitet es weniger zur Verwendung unlauterer Mittel, um einen Sieg herbeizuführen. Tatsächlich wird dies durch bis dato fehlende positive Dopingergebnisse weitgehend untermauert.

Wie finanziert man sein Leben als Ultra-Radrennfahrer, wenn die sportlichen Erfolge keine entsprechende Entlohnung versprechen? Die Antwort liegt in Büchern und Vorträgen, ersteres zu erklären ist ob dieses Artikels glaube ich obsolet, zweiteres hat sich Strasser sukzessive erarbeitet. Vorab steht man vor einem Dilemma: Trainieren, um die sportlichen Erfolge zu garantieren oder mit Vorträgen und anderen Aktivitäten Geld verdienen (dafür aber Trainingszeit zu opfern)? Strasser hat einen erfolgreichen Mittelweg gefunden - offensichtlich!

Seine Vorträge handeln von seinen Abenteuern und dienen dazu, Motivation und Herangehensweise von Strasser bei seinen Projekten zu erläutern. Es sind keine klassischen Motivationsseminare - obwohl manch Aussage von Strasser durchaus Potential für ein Motivationsposter hätte („Wer glaubt etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden“, „Knappe Niederlagen gehören im Sport zum Motivierendsten, was es gibt“, „Wenn ich erfolgreich sein will, muss ich auch echte Leistung bringen“). Im Kontext seiner Erfahrungsberichte und gepaart mit der natürlichen Authentizität nimmt man ihm gerne ab, worüber er spricht. Ganz abgesehen davon ist ja wenig Hokuspokus an der Sache, meistens geht es doch nur darum, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen und von anderen zu lernen. „Wollen“ wird man schon müssen, aber wer nicht „will“, wird wohl weder dieses Buch lesen noch in einen Vortrag eines Ultraradsportlers gehen (obwohl ich es ihm oder ihr wünsche).

Gewinnspiel

Es wird ein signiertes Exemplar des Buchs “Der Weg ist weiter als das Ziel” von Christoph Strasser unter allen Teilnehmenden verlost. Das Buch wurde von Christoph Strasser, Ultracyclingshop.com und Egoth Verlag zur Verfügung gestellt.

Alle Teilnehmenden werden auch für den 169k-Newsletter eingetragen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, keine Barablöse. Die Teilnahme ist bis inkl. 20.11.2018 möglich, die Bekanntgabe des Gewinners bzw. der Gewinnerin erfolgt auf der Facebook-Seite von 169k und per Mail.

Race Around Austria 2018

Zehn Mal Race Around Austria - die Geschichte des Rennens war in Sankt Georgen allgegenwärtig. Auf dem riesigen Screen im Startbereich waren die Meilensteine der bisherigen Historie zu sehen - die Erstbefahrung von Manfred Guthardt, die Jungfernfahrt des Rennens in der heutigen Form von Christoph Strasser vor zehn Jahren und die Sieger*innen der letzten Austragungen. Das Geburtstagsgeschenk machte man sich schließlich selbst - Österreichische Meisterschaften auf der Langstrecke und damit Meistertrikots, auf die viele der Teilnehmer hofften.

Die Veranstaltung selbst ist mittlerweile großartig eingespielt. Die Impressionen und Eindrücke, die ich beim RAA 2017 sammeln konnte, haben sich dieses Jahr bestätigt bzw. noch einmal verstärkt. Eine professionelle Organisation, die auch gleichzeitig eine der nettesten und sympathischsten im Veranstaltungskalender ist, entspannte und geerdete Teilnehmer, eine Gemeinde, die das RAA mit Haut und Haar mitträgt und damit insgesamt eine positive Stimmung, die sich auf alle Beteiligten überträgt - egal ob man die 2.200 Kilometer lange Extrem-Strecke fährt, entlang der Strecke fotografiert oder als Zuschauer das Spektakel genießt.

Ich habe mein RAA 2018 anders organisiert als im Vorjahr. War ich 2017 noch alleine mit dem Auto unterwegs - immer "auf der Jagd" nach Fahrern, um diese an möglichst spektakulären Orten abzulichten - war das Motto für dieses Jahr "Weniger ist Mehr". Weniger Kilometer im Auto, weniger Stress, weniger unterschiedliche Locations - mehr Überblick, mehr Kontrolle, mehr produktive Zeit. Die daraus entstandenen Fotos und Geschichten können daher immer nur Momentaufnahmen sein, Kurzberichte vom Start, von unterwegs und aus dem Ziel, fragmentarisch, punktuell aufgenommen aber dennoch (hoffentlich) einen recht umfassenden Eindruck des Race Around Austria vermittelnd.

Die Extrem-Strecke

Die Extrem-Strecke verläuft über eine Distanz von rund 2.200 Kilometern entlang der Grenzen Österreichs, dabei werden ganz nebenbei auch noch rund 30.000 Höhenmeter abgespult. Keine einfache Herausforderung - dementsprechend sind hier die Könner des Ultracycling-Fachs versammelt und all jene, die schon eine erkleckliche Anzahl an Kilometern in ihrem Radler-Leben gesammelt haben, um diese Herausforderung absolvieren zu können. Das Jahr 2018 war klimatisch und wettertechnisch deutlich besser als das Vorjahr - 2017 war das Rennen noch von Hitze, Unwettern, Hagel, Sturm, Regen und Schnee geprägt. Entsprechend schneller waren die Teilnehmer diesmal unterwegs, die erbrachten Leistungen damit allerdings um keine Deut geringer!

Anna Bachmann

Als Rookie am Start sprintete Anna geradezu vom Start weg auf die lange Strecke. Die erste Nacht wurde noch bei starkem Regen absolviert, das tat dem spannende Zweikampf mit Isabel Pulver allerdings keinen Abbruch. Wenn man das Tracking am Computer oder auf dem Smartphone verfolgte, so lagen die zwei Punkte der Fahrerinnen fast immer neben- oder sogar übereinander. Am Ende konnte sich Anna aber doch deutlich durchsetzen und rollte mit neuem Streckenrekord bei den Damen ins Ziel zurück in Sankt Georgen.

Markus Hager

Markus konnte im Vorjahr das Rennen für sich entscheiden und war dementsprechend mit der Startnummer "1" am Start in Sankt Georgen. Ich hatte das Glück, Markus im Sommer besser kennenzulernen und fieberte daher mit ihm mit, als er die Startrampe herunterrollte und auch jedes Mal, wenn ich ihm und seinem Team auf der Strecke begegnete. Seinen Vorjahressieg konnte er 2018 trotz besserer Fahrzeit nicht verteidigen. Der Zeitgewinn ist übrigens auch zu einem guten Teil auf den Umstand zurückzuführen, dass Markus (nach bereits atemberaubenden 40 Minuten im Vorjahr) dieses Mal "0" (in Worten: "NULL") Minuten geschlafen hat - in mehr als drei Tagen!  

Patric Grüner

Patric begleitete der Nimbus des ewigen Zweiten beim Race Around Austria, finishte er doch 2014, 2015 und 2016 jeweils "nur" auf dem zweithöchsten Treppchen. Auch bei der Ausgabe 2018 sah es längere Zeit nach einem guten aber eben nicht ersten Platz aus, sogar eine Beendigung des Rennens stand im Raum. Dann sah Patric den bis dahin Führenden - Rainer Steinberger - am Straßenrand stehen und aufgeben, sagte sich "Gegen den Markus Hager verliere ich nicht noch einmal" und riskierte. In einem Höllentempo durchquerte er sein Heimatland Tirol und machte sich als Führender auf in Richtung Ziel. Der Fluch des Zweiten war also gebrochen, Patric überglücklicher Sieger des Race Around Austria 2018. 2019 steht beim ihm das Race Across America am Programm - mit einem RAA-Titel in der Tasche macht die Vorbreitung darauf sicher noch mehr Spaß!

Philipp Reiterits

Immer wieder denke ich gerne an das Kennenlernen mit Philipp zurück, als Jan und ich im Mai 2016 am Glockner auf einen Radler mit RAA-Kapperl gestoßen sind. Seitdem durfte ich letztes Jahr seine Premiere auf der 1.500er-Strecke bewundern, ihn besser kennenlernen und auch seine Vorbereitungen auf den diesjährigen Start auf der Extrem-Strecke mitverfolgen. Philipp hat das Rennen stark gestartet, musste in Vorarlberg jedoch aufgrund eines sogenannten "Shermers Neck" absteigen. Dabei ermüdet die Nackenmuskulatur dermaßen, dass man den Kopf nicht mehr hochhalten kann. Philipp hat allerdings bereits nach wenigen Tagen seinen Start beim RAA 2019 angekündigt - ich freue mich schon jetzt, ihn wieder auf der Startrampe und auf der Strecke zu treffen.

4er-Teams

Die Viererteams waren 2018 zahlreich vertreten, war dies doch eine der Kategorien, in denen ein Meistertrikot zu gewinnen war. Glamour erhielt die Startbühne durch den Start des "Hill Racing Teams", sportlich konkurrierte dieses das ganze Rennen über mit dem Team "CLR Sauwald Cofain 699" - letzteres konnte am Ende den Bewerb für sich entscheiden.

Die Challenge

Die 560 Kilometer rund um Oberösterreich gelten als "Einstiegsdroge" in den Ultra-Radsport und bieten eine gute Gelegenheit, das Ganze einmal auszuprobieren. Dementsprechend ist viel los auf der "kurzen" Strecke und es tummeln sich zahlreiche - auch bekannte - Gesichter auf der Startrampe. Zu allem Überfluss dürfte ich Michi Nussbaumer - dem Veranstalter des RAA höchstpersönlich - meine Teilnahme im nächsten Jahr zugesagt haben - so sehr lässt man sich von der tollen Stimmung am Start mitreissen.

Christoph Strasser

Über "Straps" braucht man nicht mehr allzu viele Worte verlieren - er ist der Großmeister des "Weitradlfoarns" (wie es einer seiner Hashtags ausdrückt). Mit nach eigenen Angaben noch etwas müden Beinen ist er von seinem fünften Race Across America-Sieg nach Oberösterreich gekommen, um das Staatsmeistertrikot auf der Langdistanz zu gewinnen. Fragen nach Sieg und auch Streckenrekord spielte Christoph zu Beginn noch herunter - tatsächlich kann auf der kurzen Strecke der Challenge schon ein falsches Abbiegen oder ein technischer Defekt über den Sieg entscheiden. Am Ende war es dann der erwartete Sieg auf der Challenge mit einer fabelhaften neuen Rekordzeit, die wohl in den nächsten Jahren keiner knacken wird können. Und jedes Mal, wenn ich Christoph treffe, bin ich wieder positiv überrascht, wie normal, geerdet und sympathisch er ist - trotz oder gerade wegen seiner Erfolge. In Kürze wird es übrigens auf 169k mehr von Christoph und seiner gerade erschienenen Biographie "Der Weg ist weiter als das Ziel" zu lesen geben.

Barbara Mayer

Im Palmarés von Babsi leuchtet 2018 alles bronze, silber und golden - egal ob Staatsmeisterschaften Straße, Zeitfahren, Mountainbike, Salzkammergut-Trophy... Alles was Barbara angeht, endet erfolgreich - und die WM im September kommt ja erst noch. In fabelhafter Rekordzeit umrundete sie Oberösterreich und sicherte sich damit das Staatsmeistertrikot. Und dabei war immer ein Lächeln auf ihren Lippen zu sehen - so vermittelt man Freude am Sport und an der Leistung! Meine tiefe Verneigung!

geradeaus.at

Tina und Andy bloggen gemeinsam als geradeaus.at über ihre Erlebnisse, denen sie mit der RAA-Challenge im Jahr 2018 ein großes Kapitel hinzugefügt haben. Das ganze Jahr über konnte man auf ihrem Blog alles über Training, Equipment, Vorfreude aber auch die Schattenseiten der Rennvorbereitung lesen. Am Tag X lieferten die beiden dann eine großartige Leistung ab und bewiesen am meisten sich selbst, was alles möglich ist. Ein erster emotionaler Rückblick ist auf der Seite geradeaus.at nachzulesen.

Team Chase

2017 waren sie noch als Team Chase gemeinsam am Challenge-Start, für 2018 hatte man sich ein Rennen Mann gegen Mann - Felix gegen Berni - zurechtgelegt. Die Vorbereitung verlief jedoch nicht ganz so (gleichmäßig) wie geplant, dementsprechend wurde es nicht das Rennen gegeneinander sondern "nur" gegen die Zeit und die anderen Teilnehmer. Felix konnte sich - mit einer Zielankunft an seinem Geburtstag - zudem den großartigen vierten Platz sichern. 

Die 1500er

Die mittlere Runde führt über 1.500 Kilometer entlang der Grenzen des Landes, spart aber den Westteil Österreichs aus. Logistisch und vom Timing her war das Fotografieren der 1.500er eine Herausforderung, vor die Linse bekam ich großteils nur das Führungsduo Franz Scharler und Christian Gammer. Letzterer konnte das Rennen für sich entscheiden und wurde in Sankt Georgen als Sieger gefeiert.

Lesachtal

Großglockner

Exkurs: Rennradfahren rund um Sankt Georgen

Wer so wie ich etwas früher Richtung Attersee reist, kommt außerdem noch in den Genuss großartiger Rennradstrecken. Entlang der wunderschönen Seeufer (Atter-, Mond-, Wolfgang- und Fuschlsee) ist der Verkehr zugegebenermaßen ein kleiner bis mittelgroßer Spaßhemmer, wer sich aber "eine Reihe nach hinten" begibt, kommt in den Genuss menschen- und autoleerer Güterwege, pittoresker Landschaften und herausfordernder Höhenmeter. Als Abschluss hier ein paar Bilder zur Inspiration - Oberösterreich, Attergau, Race Around Austria, wir sehen uns spätestens im August 2019!

Race Around Austria 2018 - II

Es geht weiter mit der Vorberichterstattung zum extremen Rennen rund um Österreich bzw. entlang der österreichischen Grenzen. Waren beim ersten Posting die Mannen vom Team Chase im Schweinwerferkegel, so geht es in diesem Beitrag um die Ursprünge des "RAA", die Organisation und einen Teil der Strecke. Da aber ohne Fahrer*innen bekanntlich gar nichts geht und das beste Rennen erst durch seine Teilnehmer*innen zu wahrem Leben erwacht, kommen natürlich auch diesmal die Menschen nicht zu kurz. Aber der Reihe nach...

Zeitmaschine - 1988 

Foto: Race Around Austria

Genau vor 30 Jahren wurde dieses Bild aufgenommen. Es zeigt Manfred Guthardt am höchsten Punkt der Strecke - dem Hochtor am Großglockner. Er war zu diesem Zeitpunkt dabei, sein Projekt "Rund um Österreich" zu realisieren. Er nahm sich dabei neun Tage Zeit, teilte die Strecke in entsprechende Etappen und nahm sich damals noch etwas mehr Zeit für die Nachtruhe. Dafür fuhr er penibel jede Grenzstraße Österreichs ab - während das heutige Race Around Austria "nur" mehr die grenznahen Straßen befährt und auf Sackgassen und Umwege weitgehend verzichtet. Nach etwas mehr als 2.600 Kilometern war Guthardts Projekt vollendet, der Grundstein für das Race Around Austria gelegt.

2008 wurde die Idee wieder aufgenommen, Christoph Strasser begab sich auf die Spuren des Jahres 1988 und umrundete Österreich in knapp 100 Stunden. 2018 - zehn Jahre später - steht nun die zehnte Ausgabe des RAA auf dem Programm, in voller Blüte und mit den Strecken, wie wir sie seit einigen Jahren kennen und lieben. Und bei Manfred Guthardt schließt sich dabei wieder der Kreis. Wenn einer die Idee für ein derartiges Projekt hat und sich dafür dermaßen akribisch an die Routenplanung macht, dann ist er prädestiniert dafür, Streckenchef des Race Around Austria zu sein! Wer also im August in Sankt Georgen am Attergau auf Manfred trifft, sollte sich jedenfalls einige seiner Geschichten anhören und staunen.

Mühlviertel

Standortwechsel nach Schöneben im Mühlviertel. Der Tag beginnt auf 920 Metern Höhe - wenige Meter weiter die tschechische Grenze, über uns der Aussichtsturm mit Blick auf den Moldaustausee und angenehme Temperaturen. Das Hotel Innsholz steht für Urlaub, Ausflug, Radfahren und allerlei Annehmlichkeiten im wunderschönen Böhmerwald. Die Leidenschaft fürs Weit-Radeln wird hier gelebt - Inhaber Peter Gruber ist der einzige Radler, der bis dato alle unterschiedlichen Strecken des Race Around Austria bestritten hat. Dass er dabei fast durchwegs auf dem Stockerl gestanden ist, sollte man ihm sehr hoch anrechnen und ihn dementsprechend nicht unterschätzen, wenn er in Radmontur neben einem steht. Als Sponsor des Race Around Austria trägt er außerdem auch abseits seiner sportlichen Leistungen zum Gelingen des Rennens bei. 

Schöneben klingt schön und eben - schön ist es, wunderschön sogar. Der Eiserne Vorhang war hier jahrzehntelang quasi vor der Haustür, von der einstigen Randlage in Österreich ist man aber geografisch ins Zentrum Europas gerückt. Erhalten blieb aber eine gewisse Unschuld und eine wild-romantische Landschaft. Gemeinsam mit den angrenzenden Alm- und Wiesengebieten Tschechiens, dem hügeligen Mühlviertel, pittoresken Stauseen und kleinen Ortschaften fällt es schwer, sich hier nicht wohl zu fühlen. "Eben" ist es allerdings nicht in Schöneben, bzw. braucht es einiges an Energie und Leidensfähigkeit, zum Hotel Innsholz zu kommen. Knapp 400 Höhenmeter auf gut drei Kilometern muss man von Ulrichsberg aus hinter sich bringen, bevor man sich wohlverdient auf die Hotelterrasse fallen lassen kann. 

Stiche wie diese waren es, die Manfred Guthardt auf seiner RAA-Erstbefahrung durchwegs mitgenommen hat - anstrengend aber der Mission geschuldet, die grenzen des Landes auszuloten. Heute fährt das RAA "unten" in Ulrichsberg durch - auch wenn derartige Prüfungen nicht mehr am Programm des Rennens stehen, stellt das Mühlviertel doch die erste große Prüfung des Rennens dar. Auf der langen Strecke des RAA werden hier die ersten paar tausend Höhenmeter gesammelt. Michael Nußbaumer - Organisator des Race Around Austria - erzählt oft und gerne von Teilnehmern, die sich im Glauben in Sicherheit wiegen, dass die ersten Anstiege beim Großglockner kommen. 

RAA-Weekend

Bleibt noch der Grund warum sich hier im Innsholz in Schöneben ein paar verrückte Radler*innen treffen - es ist quasi ein Feriencamp für RAA-Teilnehmer und Freunde, das hier stattfindet und die Besetzung lässt wenig zu wünschen übrig.

Darunter Markus Hager aus Bayern, der im Jahr 2017 bei seiner dritten Teilnahme den Sieg auf der Extrem-Strecke einfahren konnte. In spannenden Erzählungen und einem Vortrag am Abend teilt er gerne seine Erfahrungen, Erkenntnisse und Tipps mit Interessierten und Aspiranten. Lernen kann man dabei einiges, sich abschauen auch ein paar Dinge. Ob man allerdings auch alles so machen kann und will ist die andere Sache. Hager fuhr bei seinem Sieg rund 90 Stunden rund um Österreich, dabei legte er ganze drei Schlafpausen ein - diese dauerten jeweils unfassbare zehn Minuten. Während sich also meinereiner in der Früh noch einmal umdreht und wartet, bis das Telefon oder der Wecker erneut zu klingeln beginnt, hat sich Markus Hager in dieser Zeitspanne dermaßen erholt, dass er wieder fit genug ist, ein paar hundert Kilometer weiter zu radeln. 

Bewundernswerter ist aus meiner Sicht aber noch die Herangehensweise von Markus. Training erfolgt bei ihm regelmäßig aber verhältnismäßig unstrukturiert - ohne Trainingsplan, ohne Wattmessung, dafür mit Freude an der Bewegung und Spaß an der Sache. Das soll natürlich kein Freibrief sein, nur so vor sich hin zu fahren oder zu leben, aber zumindest für mich persönlich ist es irgendwie beruhigend, zu wissen, dass es auch ohne überbordendes "Zerdenken" und mit Spaß an der Sache geht.

2018 ist Markus wieder am Start, bereit für die Titelverteidigung des Race Around Austria. Hier bekommt er dieses Jahr allerdings Konkurrenz von Philipp Reiterits. Jan und ich waren im Mai 2017 auf dem Weg zum Hochtor, als wir auf den leeren Straßen auf einen anderen Radler trafen, der sich knapp vor uns die Straße hocharbeitete. Das Race Around Austria-Cap unter seinem Helm interpretierten wir als Einladung, über Radfahren, das RAA und unser aller Projekte zu plaudern. Wir machten ein paar Fotos als Erinnerung und wenig später trennten uns unsere Wege wieder. Jan und ich fuhren wieder zurück, Philipp setzt seine RAA-Streckenerkundung fort. Ich traf Philipp am Start des RAA im August wieder, auf der Startbühne, bereit seinen Traum umzusetzen. Philipp fuhr 2017 die 1.500 Kilometer lange Strecke, lernte dabei "Ultracycling" aus der ersten Reihe kennen - Hagel und Unwetter inklusive. 2018 geht er auf die 2.200 Kilometer lange Reise des RAA Extrem, gut vorbereitet und überlegt.

Tina und Andy sind den meisten am besten bekannt als "geradeaus.at" - dort betreiben sie einen Radblog und bieten Einblicke in ihre Touren, ihr Leben auf und neben dem Rad und garnieren das ganze mit großartigen Fotos. Die beiden haben sich Anfang des Jahres dafür entschieden, als Paar die RAA Challenge zu bestreiten - gut 560 Kilometer rund um Oberösterreich. Die Challenge stellt im Allgemeinen die Einstiegsdroge ins RAA-Universum dar - legal und in der Regel auch nicht ungesund. Auf ihrem Blog kann man alles über die intensiven Vorbereitungen für ein derartiges Vorhaben erfahren, eine Vorstellung vom notwendigen Trainingspensum bekommen, aber auch viele organisatorische Fragen (und die Antworten darauf) finden. 

169k beim Race Around Austria

Mich fasziniert seit jeher die Bewältigung längerer Strecken mit dem Rad. Letztes Jahr hatte ich die Möglichkeit, als fliegender Reporter mit Kamera und Laptop durchs Feld zu pflügen, die Protagonisten kennenzulernen und die Stimmung in mich aufzusaugen. Und ich für meinen Teil kann jedenfalls behaupten, mit dem RAA-Virus infiziert zu sein. Sobald ich im Raum mit Teilnehmer*innen bin, bekomme ich Lust darauf, mich anzumelden. Auch wenn ich Geschichten über Schlafentzug, lange Nachtschichten oder Schlechtwetter höre, mindert das nicht meine Motivation, in der Sekunde aufs Rad zu steigen. 

Nächstes Jahr werd ich dem Ruf wohl folgen. Dieses Jahr greife ich aber zuvor nochmal zur Kamera. Im August, im wunderschönen Attergau - mit hunderten anderen, deren Adrenalin und Enthusiasmus wieder auf mich überschwappen und ich werde wieder mit jedem und jeder einzelnen mitfiebern, als wenn es mein eigenes Rennen wäre! Ich freu mich schon!