"Es ist Winter und kalt draußen und unter manchen Umständen ist es einfach angenehmer, drinnen auf der Rolle zu fahren". So oder so ähnlich würde dieser Blogpost starten, wenn nicht 2020 wäre. Dieses Jahr kommen noch diverse Lockdowns, Quarantänen und Homeoffice dazu, die dem Indoor Cycling einen massiven Schub verpasst haben. Der scharenweise Zulauf zu diversen Trainings- und Unterhaltungsplattformen hat der ganzen Branche eine neue und zusätzliche Dynamik verpasst.
Platzhirsch ist fraglos Zwift, das 2013/2014 eines der ersten umfassenden Angebote auf den Markt gebracht habt. Seitdem hat sich auf Zwift viel getan und auch zahlreiche andere Player sind aufgetaucht - manche mit ähnlichen Angeboten, andere mit eigenen (guten) Verkaufsargumenten oder Alleinstellungsmerkmalen. Dass Zwift die Nummer Eins ist, haben nicht zuletzt zwei Ereignisse aus der kürzeren Vergangenheit gezeigt: Einerseits ist da die erste Virtual Cycling Weltmeisterschaft, die Anfang Dezember 2020 auf Zwift stattgefunden hat, zum anderen ein Investment von 450 Millionen US-Dollar, das Zwift im September diesen Jahres eingesammelt hat und das wohl für die Zukunft einiges an Erwartungen schürt.
Für diesen Blogpost möchte ich Zwift jedoch außen vor lassen. Ins Scheinwerferlicht werden die Alternativen gerückt. Ich habe über die letzten Wochen hinweg acht Alternativen getestet und ausprobiert und möchte meine Erkenntnisse und Erfahrungen mit euch teilen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit - jede App auf Herz und Nieren durchzutesten, würde jeglichen Zeitrahmen sprengen. Und wie immer sind meine Eindrücke und Meinungen natürlich subjektiv und meine eigenen :)
Zu jeder App bzw. jedem Programm gibt es in Folge eine kurze Zusammenfassung, dann eine Typen- und Kaufberatung und am Ende eine tolle Tabelle mit allen Informationen und zusätzlich auch noch ein Video, schließlich soll man ja auch sehen, wie das ganze in Action aussieht. Im Video gibt es darüberhinaus als Draufgabe einen "Special Guest" - da kann sogar der DC Rainmaker einpacken ;) Und weil es etwas mehr zu erzählen gibt, hier ein Inhaltsverzeichnis:
Rouvy
Kinomap
Fulgaz
Bkool
RGT Cycling (Road Grand Tours)
Sufferfest
Trainerroad
GPX am Wahoo Elmnt
Nicht getestet habe ich die Software von Tacx, die eigene Videos zum Nachfahren anbietet. Außerdem war es nicht möglich, "Velothon" zu testen - eine vielversprechende Software, die sich allerdings seit mittlerweile schon zwei Jahren im Beta-Stadium befindet.
Rouvy
Wenn man dem Gros der Stimmen aus dem Internet glauben schenken möchte, hat Rouvy die besten Karten, der Hauptkonkurrent von Platzhirsch Zwift zu sein. Das tschechische Unternehmen hat es 2020 auch geschafft, "Austragungsort" einiger offizieller Rennen zu sein, bspw. der virtuellen Flandern-Rundfahrt.
Rouvy bietet eine große und gute Auswahl an qualitativ hochwertigen (realen) Streckenvideos, man bewegt sich also auf "echten" Straßen und nicht in einer virtuellen Spielwelt. Die Videos laufen flüssig und die Synchronisation mit dem eigenen Tempo funktioniert sehr gut.
Was man auf Zwift eventuell nie hinterfragt, einem allerdings bereits bei der ersten alternativen App auffällt, ist die "Trainer Difficulty". Auf Zwift ist es nicht ungewöhnlich, auf dem großen Blatt einen sagen wir 8-10% steilen Anstieg hinaufzufahren - in erster Linie liegt das daran, dass Zwift default-mäßig den Trainerwiderstand niedrig anlegt. Auf Rouvy (und in allen anderen Apps dieses Tests) schaut das anders aus, 10% in der App fühlen sich auch an wie 10% draußen - zumindest merkt man das an der Gangwahl. Dementsprechend ist auch das Geschwindigkeitsgefühl und die Art und Weise wie man vorankommt realistisch und nahe an der Wirklichkeit.
Die Strecken und Anstiege sind in kleinere Abschnitte unterteilt, die alle ihre jeweilige Steigung hinterlegt haben. Die Steigungswechsel sind flüssig und entsprechen im Großen und Ganzen auch dem, was man am Bildschirm vor sich sieht. Wer die unmittelbaren und flüssigen Steigungsübergänge von Zwift gewöhnt ist, könnte allerdings bei den ersten Fahrten etwas irritiert sein.
Die Fahrer schauen aus wie Football Spieler, haben einen steifen Oberkörper und bewegen sich wie Roboter. Die Bewegungen wirken unnatürlich und auch die Dynamik passt irgendwie nicht zu dem was man macht - so steht der Fahrer zum Beispiel nicht auf, wenn die Trittfrequenz sehr niedrig ist. Sie schauen auf jeden Fall nicht aus wie Radfahrer - Vicenza Nibali wäre noch mehr ein Strich in der Landschaft neben einem Rouvy-Avatar - und wenn man in Ruhe das Grödner Joch hinauf fährt, irritiert der Avatar fast ein bisschen. Praktischerweise kann man den Avatar aber auch einfach ausblenden und so einen ungestörten Blick auf die Strecke erhaschen.
Andere Fahrer sind zwar (vereinzelt) auf den gleichen Strecken unterwegs und man sieht auf der linken Seite des Bildschirms ein "Leaderboard" bzw. eine Liste der Fahrerinnen und Fahrer, Interaktion ist allerdings keine möglich.
Gamifikation oder anderen Kurzweil sucht man eher vergeblich - wenn man direkt von Zwift kommt, kann das ungewohnt sein. So gibt es zwar "Wertungsbögen" auf den Strecken bei Halbzeit, dort passiert allerdings nichts weiter als dass die eigene Zeit angezeigt wird.
Reizvoll sind hingegen der Karrieremodus, in dem man Stufe für Stufe Erfahrungen sammelt und vom Rookie zum Profis heranwächst. Badges, Challenges und organisierte Rennen bieten Herausforderungen abseits des einsamen Abfahrens von Strecken. Auch Trainingsprogramme sind im Funktionsumfang von Rouvy enthalten, wenn diese auch - für mich nicht ganz nachvollziehbar - noch einmal in einer eigenen App untergebracht sind.
169k-Testergebnis: Gute Strecken und Videos und die größte Verbreitung hinter Zwift. Die Umsetzung ist gut und die App macht Spaß, aber nur wenn den ungelenken Avatar ausblendet.