Steiermark - Grundsätzliches

In den letzten Jahren war ich überproportional oft und viel in Oberösterreich unterwegs. Zum Beispiel bei der Race Around Austria Challenge entlang der oberösterreichischen Grenzen, wobei - und das wissen nicht alle - die RAA Challenge rund um OBERösterreich auch kurz nach NIEDERösterreich und auch nach Salzburg führt). Ich war unzählige Mal am Attersee bei King of the Lake. Und auch wenn es in und rund um das Salzkammergut immer wieder territoriale Unklarheiten gibt, ordne ich die Salzkammergut-Trophy jetzt einfach mal Oberösterreich zu. Und auch ohne Rad...: Fotografieren bei der Oberösterreich-Rundfahrt, Begleitung des RAA200, Promo-Tour bei Löffler in Ried, Micro-Escape auf der Mühlviertler Alm, und und und. All diese Aktivitäten und Veranstaltungen haben mir nicht nur viele schöne Kilometer am Rad beschert sondern auch die Gesellschaft, Bekanntschaft und da und dort sogar Freundschaft mit vielen netten Menschen - Danke dafür an dieser Stelle, you know who you are...

Und dann war da plötzlich die Steiermark!

November 2023, Oliver und Claudia theatern mich spontan in einen Ausflug in die Südsteiermark, eine „Gravel Extravaganza“ stünde auf dem Programm. Ich bin nicht ganz fit und außerdem wäre es mein Geburtstagswochenende und ich hätte schon Pläne... Aber spontane Dinge sind oft die besten und im Nachhinein betrachtet war dieses Wochenende wohl der Startschuss für meine „Steiermark-Phase“. Nicht falsch verstehen: Ich bevorzuge kein Bundesland gegenüber einem anderen, hege keinen Gram gegen das eine oder das andere und habe (mit dem Rad und abseits) schon in jedem Winkel dieses Landes (und darüberhinaus) große und kleine Schätze gefunden. Sogar in jenen Ecken, von denen man üblicherweise nicht in den höchsten Tönen spricht. Das Rad und die Art und Weise und das Tempo, mit dem Rad zu reisen, machen es möglich. 

Steiermark also, und es ist irgendwie passiert. Zuvor war die Steiermark auf meiner Rad-Landkarte ein erstaunlich weißer Fleck - keine Ahnung warum, es hat sich wohl bis dahin noch nie so richtig ergeben. Und dann eben die Gravel Extravaganza im November 2023. In der Südsteiermark rund um Gamlitz und Leutschach war ich schon oft - mit der Familie, mit Freunden - in erster Linie zum Wandern, Essen und Wein Trinken. Ich liebe die fruchtigen und spritzigen Weine der sogenannten Steirischen Klassik. Die Wein-Wissenden werden jetzt mit dem Finger auf mich zeigen, ist doch die Steirische Klassik der Wein für die Masse - eher gefällig und leicht zugänglich, quasi der Prolet aus dem Stahltank im erlauchten Kreis der Lagenweine, die gemütlich und ohne jeglichen Stress in Holzfässern vor sich hin schlummern, um ihre komplizierten Aromanoten zu entwickeln. Aber reden wir nicht über den Wein - mittlerweile nehme ich ohnehin eher Traubensaft für die Kinder mit in den 6er-Kartons im Kofferraum.

Weinlandhof Gamlitz

In Gamlitz steht der Weinlandhof, ein großes Hotel, dem man sein feines Gespür für Radfahren, Geselligkeit und „the good life“ auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so ansieht. Man muss aber nur reingehen und mit Thomas und Chrissi plaudern und schon wird man in eine neue, schöne Welt hineingesogen. Die beiden waren und sind es dann auch, die das Spektrum der Besucher erweitern woll(t)en - idealerweise zuerst einmal an den ruhigeren Saisonrändern. Radfahren und Kulinarik ist eine Kombination, die immer geht und wer sich mit beidem auskennt, hat schon mal ein gutes Paket an der Hand. Die Gravel-Extravaganza (im Oktober/November) ist quasi der Newcomer, währenddessen der Gegenpart im Frühling - das sogenannte „Woamfoahn“ - schon auf eine kurze aber eindrucksvolle Tradition zurückblicken kann. Einmal ist man auf Schotter unterwegs, beim Woamfoahn auf der Straße mit Rennrädern - die Grundcharakteristik ist aber ähnlich: Gesamtpaket vom Weinlandhof, Wellness, kulinarische Köstlichkeiten (von Rosi), Buschenschankbesuche, geführte Touren (mit tollen und kundigen Guides), Rahmenprogramm und - sorry für meinen Bias ;) - die letzten Male gabs immer auch brandneue und edle BMC-Bikes zum Testen!

Ich könnte an dieser Stelle noch recht lange weiter schwärmen von der Südsteiermark, den Routen, den Ausblicken, dem Wein, der Gastfreundlichkeit... ich war sogar im Sommer mit meiner Familie im Weinlandhof auf Urlaub - ohne Rad :)

Uncharted Territory (for me)

Aber wie gesagt, die Gravel Extravaganza im November 2023 war irgendwie nur der Anfang einer längeren Steiermark-Geschichte. Irgendwie hat es mich dann noch ein paar Mal ins grünste Bundesland verschlagen.

Zu Allererst ist hier meine „Stammstrecke“ zu erwähnen - Wohnort Wien - Schwiegereltern Osttirol. Keine andere Strecke hab ich auf Komoot öfter geplant, ich habe mittlerweile eine eigene Collection nur mit Variationen dieser einen Relation - Schotter, Straße, lang, kurz, mit Umwegen, flotter, Tourist-Mode, you name it! Aber leider ergibt sich dann nur sehr selten eine tatsächliche Möglichkeit, die Strecke auch in Angriff zu nehmen, das Verhältnis „Reise mit dem Finger auf der Karte“ vs. „Wirklich in die Pedale treten“ steht irgendwo bei 100:1 ... Und auch leistungsmäßig is so eine Strecke von doch immerhin knapp 500 Kilometern vernünftig einzuordnen. Und da ich meine jeweils aktuelle Leistungsfähigkeit mittlerweile ganz gut einschätzen kann - man lernt halt Kinder, Krankheiten und so halbwegs zu quantifizieren -, habe ich mich im Frühjahr 2024 für eine gekürzte Variante Villach - Wr. Neustadt entschieden. (Den Radweg im Drautal kenne ich schon auswendig und auf der anderen Seite habe ich auch schon die meisten Reize des Wiener Beckens erschöpfend kennengelernt). 

Lange Rede kurzer Sinn: Aus dem schnellen Blick in die Karte ergibt sich schon, dass eine südliche Verbindung Osttirol-Wien einer Steiermark-Durchquerung gleichkommt. Und während die Gravel Extravaganza oder das Woamfoahn ja eher eine punktuelle oder regionale Angelegenheit sind (in deren Fall: Südsteiermark), bin ich ja ein Riesen-Fan von „Durchquerungen“, das inkludiert ja meistens ein richtige Kennenlernen einer Region, das Annehmen von Eindrücken, das Wahrnehmen von Veränderungen von Landstrichen, lokalen Kulturen, Geografien, Topologie und Menschen. Und da war die „Heimattour“ Richtung Wien eine steirische Offenbarung. Beginnend mit kleinen Nebenstraßen über die Pack, die mir Komoot kredenzt hat - anspruchsvoll steile aber verkehrsfreie und aussichtsreiche Wege zum Packer Stausee, um die Süd-Autobahn mäandrierend also genau diese Wege, die ich aus dem Auto immer sehnsuchtsvoll ins Auge gefasst habe. 

Dann das lautmalerische Örtchen Edelschrott schon am Rande der Pack mit einem weiten Blick Richtung Grazer Becken und danach eine lange und flowige Abfahrt Richtung Krottendorf (Gößnitzstraße!) um vom bergigen ins hügelige überzugehen. Wer mit den ganzen Ortsbezeichnungen wenig anfangen kann, schaut übrigens idealerweise bei meinem Komoot-Account vorbei, dort gibts sowieso alle meine Touren! Dann eine Übernachtung Nahe Hitzendorf (kennt man vom gleichnamigen 24h-Rennen), ein Schupfer über den Plabutschtunnel (unten rauscht man mit dem Auto durch, oben zwitschern die Vögel) und ein Pflicht-Stop für großartigen Kaffee und gute Laune bei Evas „Coffee Ride“ am Franziskanerplatz (Achtung: offiziell Radfahrverbot!).

Ein paar kurze Sätze hier zu Graz an sich: Ich war zu selten da (Schande über mich) und noch viel seltener mit dem Fahrrad (noch mehr Schande über mich) - ich kann daher nicht viel mehr sagen, als das immer schon viele Radlerinnen und Radler in der Stadt unterwegs waren und mit „Veloblitz“ wohl der Rad-Botendienst mit den meisten Race Across America-Teilnahmen (und Siegen) in Graz beheimatet ist. Was ich aber in kurzer Zeit gelernt habe: Man ist schnell aus der Stadt draußen, man kann Richtung Norden den Murradweg entlangfahren oder auf die Teichalm kraxeln, Richtung Süden flach wobei sich als Tagestour locker ein Besuch in Maribor ausgeht, nach Westen hin ist es hügelig, nach Osten hin auch. Eigentlich also supervariables und vielseitiges Terrain mit unzähligen Trainingsmöglichkeiten. In der Praxis werde ich in nächster Zeit versuchen, ein paar dieser Dinge auch zu erproben. Zurück aber zu meiner Tour, denn die hat auch auf den letzten Kilometern Steiermark einiges zu bieten - vor allem nämlich einiges an Höhenmetern. Über Laßnitzhöhe geht es noch gemütlich bis nach Gleisdorf, den industrialisierten Schlurf zwischen Weiz und Gleisdorf habe ich bewusst auslassen - mit der Gegend kann ich (noch) nicht so viel anfangen. Aber dann geht der Höhenmeterzähler in die Höhe... Von Gleisdorf bis zum Wechsel ist man in einem permanenten Auf und Ab unterwegs, kreuzt jedes einzelne Tal, fährt kurz den Hügel runter, gegenüber wieder hinauf. Wer die 24h-Radchallenge von Kaindorf kennt, weiß was gemeint ist. Stetige Höhenmeter, mal schmierig, sodass man sie gar nicht richtig merkt, oft aber auch gemein und steil, wenn auch nur recht kurz. Und dort, wo sich dann Steiermark, Burgenland und Niederösterreich zu mischen beginnen, gibt es auch noch einige Schmankerl, aber dazu ein andermal mehr!

Štajerska

Eine andere mir bis dahin unbekannte Steiermark habe ich dann auch noch im Rahmen eines kurzen Bikepacking-Trips nach Slowenien und Kroatien gefunden. Von Ilz aus bin ich an der Riegersburg vorbeigeschrammt und dann über Feldbach und Jennersdorf (schon Burgenland!) nach Ungarn, Slowenien und in einem weiten Bogen über Kroatien wieder zurück Richtung Österreich gefahren. Auch da gibts einige Geschichten für ein paar andere Blogposts, aber es geht ja um die Steiermark - also bei Mureck zurück über die slowenisch-österreichische Grenze und dann gerade Richtung Norden zurück zum Startpunkt nach Ilz. Auch dort eine „neue“ Steiermark, viel Gegend, eine völlig andere Charakteristik als in der „klassischen“ Südsteiermark rund um Gamlitz oder in der neueren, fancy Süd-Ost-Steiermark rund um Klöch. (Hier und da hört man, dass die Südsteiermark touristisch gesättigt ist und der Schwarm von Wochenendgrazern und Touristen jetzt tendenziell die Weinberge und Kellerstöckln der Südoststeiermark ansteuern). Ich bin dazwischen durchgefahren - keine gschmackigen Buschenschanken sondern eher „Zwischenland“. Aber dennoch eine spannende Erfahrung (im wahrsten Sinne des Wortes), das von mir so oft beschworene und heissgeliebte Erkunden von Regionen!

Into the Unknown

Ein Kapitel hätt ich noch...! Im April war ich ja beim Unknown Race am Start. Ihr wisst schon, die Geschichte wo man unsupported rund 1.000 Kilometer in vier Tagen absolvieren soll, wobei der erste Checkpoint erst eine Stunde vor Start bekanntgegeben wird und die Koordinaten des zweiten Checkpoints stehen am ersten, und so weiter... Also war alles recht „Unknown“, als einziges halbwegs gesichert war die Wetterprognose, nämlich mit einem tiefen Wintereinbruch. Der kam dann auch so, weshalb ich das Rennen noch am ersten Abend abgebrochen habe, mehr oder weniger gestrandet in einer eher räudigen Pension in Hieflau. Von Hieflau zum nächsten Zug bei Schnee und Null Grad war eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera (und dem Fahrplan der ÖBB) - die Wahl fiel auf die „nur“ 800 Höhenmeter von Hieflau nach Leoben. Die wunderbar symmetrische Pyramide am Höhenprofil hab ich geflissentlich ausgeblendet, irgendwie musste ich ja aus dem tiefsten Gesäuse wieder rauskommen. Den „Präbichl“, den Gipfel dieser Pyramide hasse ich seither - ob es zu einem späteren Zeitpunkt eine Versöhnung geben wird, ist noch offen. Aber auch hier - Achtung Business-Bullshitting: „jede Challenge ist auch eine Chance“ - war am Ende etwas Positives rauszuholen. Bei aller Grauslichkeit des Moments - man schaue sich auf Komoot die grauenhafte Straße von Eisenerz zum Präbichl hinauf an, plus Schneefall, plus Minusgrade, plus Gepäck am Rad - hatte es aber doch auch etwas Schönes. Die Kipper des Erzbergs mit ihren Riesenmulden sind mit mir simultan die Höhenmeter hinaufgekrochen, die Bergbau-Baracken strahlen einen spannenden Lost Places-Vibe aus, ich habe mich tatsächlich gefreut (und mache das immer!), auf Straßen unterwegs zu sein, wo ich vorher noch nie gefahren bin und rein psychohygienisch habe ich diesen kleinen Gipfelsieg auch gebraucht, um das DNF des Unknown Race zu verarbeiten.

Was kommt noch?

So genug geschwafelt, wo geht die Reise hin? Was ich eigentlich sagen möchte - auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: ich liebe es, neue Wege zu befahren. Meistens sind sie schön, manchmal weniger. Das Rad bietet ein einmaliges Tempo - langsam genug, um Eindrücke aufsammeln zu können und gleichzeitig schnell genug, um auch weiterzukommen. Durch Zufall haben mich meine Wege dieses Jahr eben öfters in die Steiermark geführt und ich habe das Gefühl, als ob ich dort noch einiges zu entdecken hätte. Das wird bei vielen anderen Orten und Bundesländern auch der Fall sein, aber jetzt eben mal Steiermark. Konkreter? Mit dem Weinlandhof in Gamlitz hab ich nicht nur eine tolle Location für die Events Woamfoahn und Gravel Extravaganza gefunden, ich möchte das Hotel auch als Basis für weitere Geschichten nutzen. Die „Weinland Radtour“ führt quasi am Weinlandhof vorbei (Namensähnlichkeiten in diesem Fall übrigens zufällig!), das ist die offizielle Steiermark Radroute, wenn man sich die Vielfältigkeit der südlicheren Steiermark aus dem Sattel aus anschauen möchte. Da schwebt mir ein 3-Tages-Bikepacking Trip vor im Frühjahr. Außerdem - nochmal vom Weinlandhof - ist es nur ein Katzensprung nach Slowenien. Slowenien ist nicht Steiermark und wird auch selbst noch Teil vieler künftiger Geschichten sein, aber hey - sLOVEnia. Das Land muss man ja quasi lieben!

Und auch sonst gibts noch ganz viele vermeintliche Kleinigkeiten, die ich mir auf eine lange Liste geschrieben habe: Gesäuse mit dem Gravel- oder Mountainbike, zum „Gaberl“, um dort Gabriel in einer Story zu markieren (Gaberl kommt nämlich von Gabriel), ich möchte einen Weg über den Speikkogel und die Koralpe finden, ich möchte die Südoststeiermark näher kennenlernen - dort gibts mit Gravel 33+ auch ein spannendes Event mit - für Gravel - langer Tradition und auch wenn wir letztes Jahr schon am Großen Jogl unterwegs waren, alles gesehen habe ich dort bei weitem nicht!

Und wer es bis hierhin zum Schluss geschafft hat (Danke fürs Lesen!), dem und der sei gesagt, dass es in Zukunft wieder mehr Geschriebenes auf 169k geben wird und genau genommen sind das ja 10 Blogposts in einem... Es gibt einfach so viel zu erzählen und berichten! 

Christi Himmelfahrtskommando

Ich stehe auf der Liste für ein Unsupported Ultra-Event im Juli. Dass man bei so einer Veranstaltung weit fahren muss und mehrere Tage in Folge, war mir immer klar und eine gewisse Grundfitness sollte ich haben. Gleichzeitig bin ich mit einer recht großen Portion Optimismus ausgestattet und gehe eher unehrgeizig an Dinge heran und beim Radfahren habe ich mir in den letzten Jahren angewöhnt, das Erlebnis in den Mittelpunkt zu stellen und Leistung und Geschwindigkeit ein Stück weit bewusst in den Hintergrund zu drängen. Dazu hat vielleicht auch mein Familienleben beigetragen – mit zwei Kindern ist die Einteilung der Zeit ohnehin schon eine Challenge, sich dann auch noch in der verbleibenden Zeit selbst zu stressen, ist in meinen Augen nicht erstrebenswert.

Auf jeden Fall habe ich die letzten Wochen und Monate immer gerne mit der Routenplanung und Equipmentsuche für das Event im Juli verbracht und auf ein zielgerichtetes Training dabei aber eher verzichtet. Bis zu dem Zeitpunkt als ich mir vor ein paar Wochen eine Art Marschtabelle zusammengebastelt habe und dort plötzlich stand, dass ich zum Erreichen der Karenzzeit mindestens 238km und knapp 3.700 Höhenmeter fahren müsste – und das zehn Tage in Folge! Die Wochenenden im Mai und Juni mit Fenstertagen und Feiertagen und die steigenden Temperaturen legten eine kleine Testfahrt nahe, um Mensch und Material an diesen Anforderungen zu messen – und so wurde aus Christi Himmelfahrt kurzerhand das „Christi Himmelfahrtskommando“!

Tourenplanung

Als Startpunkt war schnell Lienz in Osttirol festgelegt, wenn die Familie dort gleichzeitig Urlaub machen kann, ist mein schlechtes Gewissen etwas kleiner, drei Tage nur mit Radeln zu verbringen. Zuerst war eine Tour nach Slowenien zu meinen Sehnsuchtsbergen Vrsic und Mangart und ein Besuch beim Giro d´Italia geplant. Mit einer miserablen Wettervorhersage wurde es im zweiten Versuch eine Tour zu einer anderen Giro-Etappe, diesmal rund um Belluno mit einer Befahrung eines anderen Sehnsuchtsbergs, des Monte Grappa. Aber auch da zogen tags darauf dicke Regenwolken über die Vorhersagekarte und so wurde abermals umgeplant – auf eine Runde durch Österreich und Südtirol. Glücklicherweise gibt es ja einen Haufen Möglichkeiten.

Equipment

Bei der Ausrüstung wollte ich jenes Equipment mitnehmen und testen, das auch für Juli vorgesehen war: die BMC Roadmachine, die dank Gravellenker mit Flare, Aufliegern und gemütlicher Sitzposition nur mehr bedingt etwas mit einem sportlichen Rennrad zu tun hat. Mein Gepäcksystem von Tailfin, das Schlaf-Equipment mit Biwaksack, Matte und Schlafsack und ein paar andere Dinge noch zusätzlich – aber dazu wird es noch eine gesonderte Geschichte geben…

Christi Himmelfahrtskommando

Etappe 1: auf den Spuren des Race Around Austria

Lienz, 6:30 morgens. Dicke Nebelwolken hängen im Tal und die Bergspitzen haben sich versteckt. Während man bei einem solchen Anblick normalerweise die Decke noch einmal über die Nasenspitze zieht und sich gemütlich umdreht, habe ich eine Mission zu erfüllen und einen Zeitplan. Außerdem habe ich mich gefühlte hundert Mal vergewissert, dass es nicht regnen wird und über den niedrig hängenden Wolken auch der eine oder andere Sonnenstrahl auf mich warten sollte. Regenjacke an, Schuhe an, Flaschen füllen und los. Ich mag das Losfahren am Morgen, wenn Körper und Geist eigentlich noch im Bett sind und man wie automatisiert vor sich hin tritt. Tempo soll in den nächsten Tagen sowieso nicht die maßgebliche Größe sein, es geht ums Weiterkommen, um stetiges In-Bewegung-Bleiben, daher brauche ich mich nicht zu stressen.

Aus Lienz geht’s über den Iselsberg, mit einem an sich wunderbaren Ausblick auf die Lienzer Dolomiten (die allerdings hier gerade im Nebel versinken), aber mit einer grauslichen Steigung und langen und breiten Geraden, die das Fortkommen noch langsamer erscheinen lassen. Glücklicherweise ist der Verkehr an einem Feiertag um 7:00 früh vernachlässigbar – hier habe ich aber auch schon bei 30 Grad in der Sonne und mit massivem Urlaubsverkehr mit jedem Meter Steigung gekämpft. Es nieselt kurz aus dem Nebel aber man merkt, dass es Ende Mai glücklicherweise schon eine gewisse Grundtemperatur hat. Hinunter nach Winklern, hinein ins Mölltal, ab Richtung Großglockner. Die Anfahrt zum Glockner erarbeitet man sich nach und nach, man gewinnt langsam an Höhe, sieht die Berge am Talschluss immer weiter wachsen – Mörtschach, Großkirchheim, Rojach. Ab Pockhorn beginnt die eigentliche Kletterei und hinter der ersten Kurve erblickt man die ikonische Kirche von Heiligenblut, hinter der man die Spitze des Großglockners erkennen kann, sofern sich nicht – wie so oft – in einem Wölkchen versteckt ist.

Die Strecke und auch die Herausforderungen bis zum Hochtor auf knapp über 2.500 Metern sind bekannt – knackiger Anstieg direkt aus Heiligenblut hinaus, kurze Ruhepause vor der Mautstation, gleich danach herausfordernde Rampen bis zum Kasereck, kurze Zwischenabfahrt bis zum Kreisverkehr (wo man zur Franz-Josefs-Höhe abbiegen kann), danach böse Steigungsprozente eigentlich durchgehend bis zum Hochtor. Ich habe mir am Vortag der Tour bei PBike noch ein 36er-Ritzel montieren lassen – ein Glücksgriff, wie ich bereits auf den ersten Metern erkennen darf. Denn zusätzlich zu meinem – durchaus noch optimierbaren – Körpergewicht schleppe ich knappe 6 Kilo an Equipment mit mir auf den Berg. Auch wenn ich im Vorfeld versucht habe, Dinge zu optimieren, den einen oder anderen Spontankauf getätigt habe und auch immer wieder Dinge wieder ausgepackt habe – auch die kleinen Dinge summieren sich zu einem signifikanten Gesamtgewicht, mit dem man dann Meter für Meter hadert.

Es geht dafür erstaunlich gut bergauf - die großartige Glockner-Landschaft, die im Sonnenschein schon den Atem raubt, offenbart bei wechselnden Bedingungen, Nebel und Wolken erst ihre spannenden Seiten. Das durfte ich auch schon bei diversen Race Around Austrias als Fotograf am Glockner miterleben. Am Hochtor ein schnelles Foto vom „Pass-Schild“ gemacht, im Hintergrund nur Nebel und Wolken, dann hinein in den eiskalten Tunnel und hinunter zum Mankei-Wirt, dort (vermutlich) ins Radar gefahren (mea maxima culpa!), und hinauf zum Fuschertörl. Bis zum Hochtor war ich quasi alleine am Glockner, hier ist plötzlich Völkerwanderung und auch ganze Heerscharen und Gruppen von Radlerinnen und Radlern bevölkern plötzlich die Straßen. Der Exkurs zur Edelweißspitze über den vermutlich höchstgelegenen Secteur Pavé der Welt gestaltet sich dementsprechend kurz – Fotos machen, Jacke anziehen und los! Die Abfahrt ist natürlich ein Traum - man kann es laufen lassen, muss aber nicht, kann die Ausblicke genießen, muss seine Bremsen managen (vor allem wenn man so viel Gewicht mit sich herumschleppt) und absolviert in 10 Minuten den gleichen Höhenunterschied, für den man auf der anderen Seite bergauf gut 2 Stunden gebraucht hat. Ferleiten, Fusch, Bruck – kommt und geht alles sehr schnell und hinterlässt – bei mir zumindest – wie immer keinen bleibenden Eindruck.

In Bruck an der Glocknerstraße geht es nach links und für die nächsten Kilometer ist die Salzach mein Begleiter. Und diese Kilometer haben etwas versöhnendes, hatte ich doch bis dato immer ein bisschen ein Problem mit der Gegend. Zu oft bin ich hier schon mit dem Auto durchgefahren, vor allem im Sommer (wiederum auch für das Race Around Austria um zu fotografieren) und immer war es eine Qual auf der Bundesstraße zwischen „zu viel los“, wahnsinnigen Urlaubsautofahrern und Staus rund um Zell am See. Und aus dem Auto nimmt man zwar eine gewisse Schönheit der Natur rechts und links an den Berghängen wahr, aber das wars dann auch schon. Auf dem Rad und vor allem auf dem wunderbar ruhigen Radweg, der größtenteils weit abseits der berüchtigten Bundesstraße verläuft, wird man aber eben versöhnt, bekommt neue Perspektiven präsentiert, ist in eine passenden Geschwindigkeit unterwegs, um die Landschaft, die Orte und die Menschen zu sehen und zu „erfahren“. Apropos Race Around Austria: Erst hier, Stunden nach meinem Start dämmert mir, dass ich – tatsächlich ungeplanterweise – auf der Route des langen Race Around Austria unterwegs bin und noch länger sein werde. Diese befährt natürlich andere Straßen und direktere Wege, aber die Grundrichtung ist die gleiche und auch die Berge und Pässe sind es.

Ab Mittersill (Tankstelle für Verpflegung!) verlässt mich die Lieblichkeit, das Tal wird enger, schroffer, wilder und irgendwann vor Krimml auch steiler. Links lässt sich der Großvenediger mit seinem Massiv erahnen – da wartet dieses Jahr noch ein anderes Projekt auf mich! In Wald im Pinzgau könnte man den „Shortcut“ Richtung Gerlos nehmen, ich entscheide mich für die Auffahrt über Krimml, vorbei an den berühmten Wasserfällen. Der Anstieg ist länger und anstrengender als gedacht, auch wenn man den bereits absolvierten Glockner aus den Beinen „rausrechnet“. Vorbei an Stausee, Gerlos und Gmünd geht es Richtung Zillertal, über eine tolle Flow-Abfahrt geht es hinunter nach Zell am Ziller und es tut sich nicht nur landschaftlich sondern auch abschnittstechnisch ein neues Kapitel auf. Das tolle an langen Ausfahrten von A nach B sind ja die Bereiche und Abschnitte, die man zurücklegt und durchwandert, die unterschiedlichen Charakteristika, die sich am Weg auftun, die Wechsel und Übergänge, die man hautnah erlebt.

Auch das Zillertal ist so ein Kandidat – kennt man vermutlich von der (teils fürchterlichen) Bundesstraße im Urlaubsverkehr, bietet rechts und links davon allerdings wunderbare Ein- und Ausblicke, ruhige Wiesen, sanfte Wellen und versteckte Kleinode. Die schönste Variante soll dem Vernehmen nach ja die Zillertaler Höhenstraße sein, aber dafür fehlen mir Zeit und Kraft – ein andermal dann! Bei Fügen habe ich die 200 Kilometer geknackt, das war das Tagesziel, alles was weiter geht, spare ich mir an den nächsten Tagen. Die Beine können und wollen noch weiter, also hole ich mir in Jenbach eine Pizza, esse eine Hälfte davon gleich, die andere ein paar Kilometer weiter am Innufer in Schwaz. Und dank Koffein und guter Lampe am Rad geht es noch bis knapp 22:00 weiter, entlang des Inns und daneben auf Begleitwegen der Inntal-Eisenbahnstrecke bis es an die Suche eines geeigneten Schlafplatzes geht. Für mich war (und ist) das immer eine der größten Herausforderungen – draußen schlafen, biwakieren, sich aussetzen (der Natur und anderen potentiellen „Gefahren“). In der Kantine des Fußballplatzes in Baumkirchen gehen gerade die Lichter aus, ich interpretiere das als Angebot, um die Ecke am Rand des Spielfeldes – geschützt durch ein großzügiges Vordach – mein Lager aufzuschlagen. Ende Mai können die Nächste noch kalt sein, am Ende wird es drei Grad haben, als ich um 5:00 aus dem Schlafsack krieche. Aber dazwischen liegen ein paar Stunden guten Schlafs – warm dank Daunenjacke und trotz Bahnstrecke in 100 Metern Entfernung.

Etappe 2: Tschüss RAA – Hallo Ötztaler!

5:30 im Tiroler Inntal, die Sonne wärmt meinen Rücken, die Tankstellencafes öffnen erst um 6:00. Durch Hall in Tirol geht es Richtung Innsbruck, dort ist das Kaffee- und Croissant-Angebot größer. Sowohl Podio, der neue Radstore in innsbruck als auch der Cycling Hub des KTM Tirol Cycling Teams sind noch geschlossen, diesen Besuch muss ich also auf ein andermal verschieben. Sonne und Temperaturen versprechen einen schöne Tag, bei der Ausfahrt aus Innsbruck am (gut ausgebauten) Innradweg dröhnt noch ein startendes Verkehrsflugzeug über meinen Kopf, ich unterquere die Inntalautobahn und habe innerhalb von wenigen Metern wieder meine Ruhe.

Von Völs geht es über Schleichwege Richtung Kematen, die Beine bewegen sich gut, der Körper hat die Anstrengungen des Vortags erstaunlich gut weggesteckt. Ich schreibe mit Lukas Pöstlberger, der heute mit Anton Palzer die Strecke des Ötztaler Radmarathons fahren wird, wir werden uns im Laufe des Tages wohl irgendwo über den Weg laufen. In Kematen steigt die Straße an Richtung Sellrain, ich bin meine letzten Meter auf der Strecke des langen Race Around Austria und gleichzeitig auf jeder des Ötztalers – wenn auch in falscher Richtung (wobei der Ötzi in den 90er ein paar Mal auch in die andere Richtung gefahren wurde). Der Weg aufs Kühtai ist für mich Neuland – wie alles andere auch ab hier. Für mich ist dieser Umstand aufregend und erfreulich zugleich, habe ich doch in den letzten Jahren ein Faible für mir noch unbekannte Straßen und „neue Kilometer“ entwickelt. Bis Gries im Sellrain plätschert alles so vor sich hin und ich finde mich schon im Glauben, dass man aufs Kühtai mehr oder weniger locker raufkurbeln kann. Ab Gries im Sellrain werde ich aber eines besseren belehrt, die Steigung nimmt zu, die Temperaturen auch und das Gewicht meines Rads inklusive Gepäck ist noch nicht weniger geworden. Die beiden Bora-Profis donnern an mir vorbei, mir gibt das einen Motivationsschub – zumindest für ein paar hundert Meter! Flaschen auffüllen in Sankt Sigmund und hinein in die letzten Kilometer, die berühmten Tunnelgallerien erscheinen, die sich allerdings länger hinziehen als gedacht, über einige Weideroste und die letzten Meter hinauf bis zum Übergang am Kühtai. Was im Winter sicher schön aussieht, bietet – wie so viele Wintersportorte – im Sommer ein trauriges Bild, auch wenn die umliegenden Berge und Gipfel beeindrucken. Fotos vor dem Pass-Schild, Jacke an und ab in die Abfahrt – das Prozedere kennen wir ja schon.

Eine tolle und schnelle Abfahrt später finde ich mich am Kreisverkehr in Ötz wieder und donnern Auto- und LKW-Kolonnen an mir vorbei, wie es im Juli oder August nicht schlimmer sein könnte (ist es aber wahrscheinlich trotzdem…). Ich fasse den Entschluss, mich über den Radweg Richtung Sölden zu arbeiten – immerhin sind es rund 30 Kilometer und gut 600 Höhenmeter und die möchte ich nicht im Verkehr und im Schneckentempo mit Gepäck absolvieren. Nachteil dieser Entscheidung ist, dass der Radweg nicht der schnellen Linie folgt, sondern mehr oder weniger erratisch rechts, links, rauf, runter geht – landschaftlich zwar schön aber ich habe das Gefühl, nicht vom Fleck zu kommen. Die Zeit rennt und gleichzeitig scheine ich nur Meter für Meter voranzukommen und Sölden und mein heutiges Tagesziel im Passeiertal scheint immer weiter in die Ferne zu rücken. Doch ein Blick auf die Uhr zeigt, dass es eigentlich erst 13:30 ist, ich bin nur schon seit acht Stunden unterwegs, langsam schlägt also doch die Müdigkeit durch.

Pausen und deren Management sind ein riesiges Thema bei Ultra-Events. Wie viele macht man, wann macht man sie am besten, was kann man alles auf dem Rad erledigen statt im Stehen? Ich bin was das betrifft jedenfalls gnadenlos untalentiert und unkoordiniert: ich mache Pause aus Müdigkeit und setze mich in eine Busstation, fahre weiter nur um einen Kilometer weiter ein Kaffeehaus zu finden, das ich für eine Stärkung nütze. Wieder im Sattel komme ich drauf, dass ich eigentlich aufs Klo muss, bleibe also wieder stehen, obwohl ich das in einem Aufwasch mit dem Kaffee erledigen hätte können. Und so geht es dahin und die Pausenzeit wird mehr und mehr und umso weniger Zeit verbringt man rollend und Kilometer machend.

War der Anblick des Winterorts Kühtai im Sommer schon bescheiden, möchte ich über Sölden hier lieber keine Worte verlieren. Die Verschandelung und Verhüttelung der Landschaft kann nicht der Gipfel der Errungenschaften der Zivilisation sein (was allerdings ein paar Kilometer in Hochgurgl ohnehin noch einmal getoppt werden wird), und etwas unterirdisch zu bauen statt an der Oberfläche Dinge zuzubetonieren, ist auch sicher keine Lösung. Also schnell durchfahren durch Sölden, hinein in den Anstieg aufs Timmelsjoch. Beim Ötztaler ist das Timmelsjoch der Henker und die letzte Prüfung für all jene, die das Ziel erreichen wollen, bei mir ist es die ultimative Prüfung bevor ich mein Tagwerk vollbracht habe (aber genauso ein Henker). Sobald man Sölden verlässt, sieht man links über sich die Straße aufs Timmelsjoch – dort muss man hin und die Straße liegt gefühlt ein paar Kilometer höher als man jetzt ist, das muss man im Kopf erstmal verdauen. Langsam kämpfe ich mich Meter für Meter nach oben – Lukas Pöstlberger und Anton Palzer kommen mir zu zweiten Mal an diesem Tag entgegen. Es ist kein sinnvoller Vergleich aber sie fahren den Ötztaler in jener Zeit, die ich für 1,5 Pässe der Strecke gebraucht habe (und viele, viele Pausen…!). In meiner Agonie bin ich noch dazu umringt von Horden an Motorradfahrern. Ich bin normalerweise ein sehr geduldiger Mensch, lasse mich von Autos und Motorrädern weder einschüchtern, noch ärgern, noch stressen. Aber an diesem Tage ist es die schiere Masse an Bikes, die lautstark an mir vorbeibeschleunigen, die mich grantig werden lassen. Ich bin wütend - auf die Veschandelung der Natur, den Lärm und die ganze Welt. Bringt nichts, ich kann die Wut auch nicht in Vortrieb umsetzen oder so. Und ich erinnere mich an den (meiner Meinung nach) Skandal des Timmelsjoch-Straßenbetreibers letztes Jahr, wo darum gebeten wurde, dass Radfahrer dem Timmelsjoch fernbleiben sollten, damit (Maut bezahlende?) Motorräder und Autos beim Überholen der Radfahrenden nicht gefährdet werden. So viele Facepalm- und Mittelfinger-Emojis kann meine Tastatur gar nicht haben, wie ich hier schreiben möchte…

Erstaunlicherweise ist ab der Mautstation absolute Ruhe und Stille eingekehrt, die Straße macht einen Schwenk weg aus dem Ötztal, es folgt die bekannte kurze Zwischenabfahrt und dann ein einsamer Kampf gegen die letzten Höhenmeter. Die Straße geht gerade aus, man sieht in der Ferne und recht weit oben eine kleine Hütte, die den Übergang markiert, außer zwei weiteren Radlern und einer Handvoll Autos ist man hier plötzlich alleine. Ich fühle in mich hinein, meine Beine sind müde, mein Kopf nach einem langen, heißen, mühsamen Tag auch. Auf dem Wahoo werden die Meter bis zur Passhöhe langsam weniger, das kann man auch noch irgendwie runterbiegen. Und sobald man nicht mehr allzu viel darüber nachdenkt, vergehen die Meter wieder und Kehre für Kehre mäandert man sich nach oben. Und dann steht man plötzlich vor dem Pass-Schild - kein Willkommens-Komitee, keine Blaskapelle, keine Fans, aber eine tiefe und manifeste Befriedigung, dass man etwas geschafft hat. Extrovertierte können hier von mir aus einen Jauchzer loslassen und auf ein Echo hoffen, ich begnüge mich in solchen Situationen damit, zufrieden in mich hinein zu lächeln!

Das Lächeln kommt aber ohnehin spätestens auf den ersten Metern der Abfahrt! Hintunter von Passo del Rombo (wir sind ab hier in Italien) geht es über zahlreiche Kehren hinunter Richtung Passeiertal. Die Abfahrt ist großartig, schnell, Kehren, Geraden, enge Kurven, langgezogene Kurven, Tunnels und immer wieder großartige Ausblicke in die umliegenden Berge. Der Blick zurück Richtung Passhöhe lässt erahnen, welche Qual dieser Anblick bei den Teilnehmer*innen des Ötztalers hervorrufen muss – auch hier sieht man bereits von weit unten den ganze Weg, der noch vor einem liegt. Aber das ist mir heute egal. In Moos im Passeier zücke ich mein Telefon, erkenne, dass die Nachttemperaturen heute wohl wieder Richtung „sehr kalt“ gehen werden und checke mir via booking.com ein Zimmer in der nächsten Ortschaft St. Leonhard in Passeier. Bis dorthin geht es nur noch bergab, ich kann also zufrieden den Tag ausklingen lassen. Radgewand im Waschbecken waschen, mich selbst duschen und herrichten, Flaschen richtig auswaschen, Powerbank und Geräte aufladen. Gute Nacht!

Etappe 3: Radwege, Radwege, Radwege

Nimmt man meine ursprünglich geplante Route her, hätte mich diese über den Jaufenpass nach Sterzing geführt und dann in Südtirol noch über Würzjoch und Furkelpass. Als ich aber in der Früh in meinem Bett aufwache, kann ich mir zwar vorstellen, mich aufs Rad zu setzen, für 4.600 Höhenmeter reicht meine Vorstellungskraft allerdings nicht aus. Ich disponiere um und suche mir eine flachere Route zurück nach Lienz, die Minimalvariante für diesen Tag hat auf 200 Kilometern dann allerdings eh noch immer knapp 2.000 Höhenmeter.

Die nette Dame an der Rezeption möchte mir etwas von meinem Nächtigungspreis zurückgeben, weil ich vor dem Frühstück abreise, kann das aber nicht, weil ja über booking.com gebucht… Stattdessen bereitet sie mir ein Lunchpaket vor, ich könne doch nicht ohne Essen weiterfahren. Mit einem kleinen Abstecher zur örtlichen Bäckerei und die Seitentaschen vollgefüllt mit Marmeladecroissants geht es die ersten gut 20 Kilometer bergab Richtung Meran. Ich drehe eine kleine Runde durch die Stadt, Meran ist ein Traum und die wenigen Mal, die ich hier war, fand ich es immer wunderschön! Nochmal rund 30 Kilometer entlang des wunderbar ausgebauten Etsch-Radwegs und man gelangt nach Bozen – eher die Industrie- bzw. Provinzhauptstadt und nicht mit riesigem Charme ausgestattet. Umso mehr Charme haben die vereinzelten und gruppenweise entgegenkommenden italienischen Radlerinnen und Radler, die merklich anders unterwegs sind als Kolleginnen und Kollege hierzulande.

Aus Bozen hinaus wird es dann plötzlich wieder laut und etwas stressig. Ich bin im Eisack-Tal gelandet, einem engen Einschnitt, in dem sich Bundesstraße, Eisenbahnlinie und Brenner-Autobahn ein intensives Match um den wenig vorhandenen Platz liefern. Dass ein Radweg hier in der Hackordnung noch eine Stufe darunter rangiert, ist klar… Richtiges Kopfzerbrechen bereitet allerdings der massive Gegenwind, der im Tal pfeift und der wohl bis Brixen – immerhin rund 50 Kilometer – nicht allzu schwächer oder besser werden wird. Es geht also zäh dahin, es ist laut, eng, der Radweg geht wiederum bergauf und bergab. Die entgegenkommenden Radlerinnen und Radler scheinen gar nicht zu bemerken, welch Privileg in Form von Rückenwind ihnen gerade zuteil wird. In Klausen besorge ich mir etwas zu trinken, dazu muss man extra in die Stadt reinfahren – erstaunlicherweise tendieren die Radwege hier, einen an der Stadt vorbei- und nicht durchzuführen. Aus touristischer Sicht kann ich das nur schwer nachvollziehen. Kurz vor Brixen darf ich einen Gastauftritt im Livestream des Race Around Niederösterreich absolvieren, ich werden von meinem 600 Kilometer-Trip zugeschaltet, während die Teilnehmer*innen des RAN gerade ihren eigenen 600 Kilometer-Trip absolvieren – wenn auch unter etwas anderen Vorzeichen.

Brixen hat eine nette Altstadt, lädt aber nicht unbedingt zum Verweilen ein, über die Bundesstraße kämpft man sich Richtung Pustertal bevor man ab Mühlbach wieder in Ruhe auf dem Radweg fahren kann. Die Pustertal-Bundesstraße ist die Hauptverbindung Sterzing – Bruneck – Innichen – Osttirol und zieht damit entsprechend viel Verkehr an – fahren auf der Bundesstraße sollte man daher eher meiden oder aber zumindest von der Tageszeit abhängig machen! Umso schöner und ruhiger wird es dafür auf dem Radweg – auf einsamen Wegen über Wiesen und Felder geht es an Niedervintl und Ehrenburg vorbei, man durchfährt Sankt Lorenzen und gelangt schließlich nach Bruneck. Hier geht es noch einmal bergauf und bergab und bergauf und bergab und nochmal bergauf. Hier hat man allerdings gar nicht die Wahl ob Radweg oder Bundesstraße, auf letzterer ist nämlich in vielen Bereichen (aufgrund von Tunnels) das Radfahren verboten. Bei Olang schlägt der Radweg dann außerdem noch einmal eine Schleife gen Berg ein, man hat ein wunderbares Panorama der beginnende Dolomiten, aber die extra-Höhenmeter brauche ich an diesem Tag nicht unbedingt. Den Stausee Olang kann man am schönsten auf rund 2 Kilometern Schotter umfahren, das bringt zumindest Abwehcslung in den Tag, der an dieser Stelle schon recht lange dauert. Und während der Gegenwind des Eisacktals schon fast vergessen war, frischt neuer Wind von vorne auf und wird mich bis zum Ziel in Lienz auf stürmische Art und Weise begleiten. Für Beruhigung sorgt hingegen, dass ich die Strecke ab hier schon oft gefahren bin und gut kenne - Toblach, Innichen, österreichische Grenze, gut ausgebauter und abschüssiger Drauradweg!

Die letzten Kilometer geben mir die Möglichkeit wieder auf meinen Körper zu achten. Viel „hineinhören“ muss ich nicht mehr, schreit es doch seit einigen Stunden eh von selbst. Die Hände schmerzen, obwohl ich sehr dankbar bin, mit dem Gravellenker und vor allem den Aufliegern zusätzliche Griffpositionen zu haben. Hintern und Nacken haben auch schon bessere Zeiten erlebt und freuen sich schon aufs Absteigen. Eine WhatsApp-Nachricht von meinem Ziel in Lienz stellt mir Palatschinken mit Marmelade (in beliebiger Anzahl) in Aussicht und während ich mich in diesem Gedanken verliere, knalle ich mit dem Hinterrad gegen die Metallkante einer Brückenauffahrt und in der Sekunden merke ich, dass der Reifen die Luft verloren hat. Und so stehe ich zwei Kilometer vom Ziel entfernt mit einem platten Hinterrad da – müde, hungrig und dann doch etwas verzweifelt… Ich schieße eine Patrone in den Tubeless-Reifen, um zu sehen, ob auf schnellem Wege etwas zu holen ist, fahre ein paar Meter und rolle bald wieder auf der Felge. Auf Reifen wechseln und Tubeless-Milch-Kleckerei habe ich jetzt keine Lust mehr. Abholen lasse ich mich auch nicht – ich wollte und will jedenfalls mit Muskelkraft wieder zum Ausgangspunt meiner Tour – da hätte ich ja auch vor vielen Kilometern schon in den Zug steigen können, der mich auch nach Lienz gebracht hätte. Also schiebe ich die letzten Meter, habe dabei noch einmal die Möglichkeit, ein paar Gedanken zu sortieren und stehe dann schließlich nach 607 Kilometern und 9.230 Höhenmetern wieder vor dem Haus meiner Schwiegereltern. Mission accomplished- alles tut weh!

Epilog

Man sagt, dass sich der Körper am dritten Tag an die Belastung gewöhnt. Das mag zum Teil stimmen, obgleich der Körper ohnehin ein Wunderwerk ist, so schnell und effektiv wie dieser Belastungen wegstecken und sich auf Situationen einstellen kann. Dennoch hat sich mein Körper nach drei Tagen im Sattel nicht so angefühlt, wie ich mir das vorstelle. Und ich habe auch ein weiteres „Referenzgefühl“ von meiner Race Around Austria Challenge 2020, wo ich mich noch ganz gut erinnern kann, was mir nach 26 Stunden im Sattel (am Stück) wie und wo weh getan hat.

Ich LIEBE die Art und Weise, wie man mit dem Rad unterwegs ist, in der richtigen Geschwindigkeit vorankommt, um Meter zu machen, gleichzeitig aber genug von der Welt rundherum mitzubekommen. Ich LIEBE die Art und Weise, wie man Strecken zurücklegen kann, wenn man den ganzen Tag nichts anderes zu tun hat, als Radzufahren, rechts und links zu treten. Ich LIEBE außerdem das tiefe Zufriedenheitsgefühl, das man verspürt, wenn man eine derartige Herausforderung geschafft hat – wobei das nicht 600 Kilometer sein müssen, das geht auch mit weitaus kleineren oder anderen Dingen!

Dennoch ist bei mir schon während des dritten Tages der Gedanke gereift, dass ich das nicht an zehn Tagen hintereinander schaffe. Wobei, schaffen würde ich es schon, aber ich will es nicht. Es würden nämlich genau diese Aspekte darunter leiden, weshalb ich solche Trips mache: stehenbleiben, fotografieren, mit Menschen reden, Dinge anschauen, Routen erforschen, die schöne Straße nehmen statt der schnellen und meinen Körper nicht zu zerstören. Wobei letzteres würde mit mehr Training und den entsprechenden Kilometern im Sattel ziemlich sicher besser und einfacher werden, aber da sind wir dann wieder bei einem anderen Punkt. Da gibt es dann wieder meine Familie und zu viele andere Dinge, die ich sehen und machen möchte (mit dem Rad und ohne), als dass ich jeden Tag trainiere. Das mögen manche als inkonsequent bezeichnen, ich nenne das mein Leben und ich möchte es genießen!

Ich werde daher im Juli alle Freunde und Bekannte anfeuern, die sich in Schönbrunn an die Startlinie des Three Peaks Bike Race stellen, danach werde ich allerdings wieder nach Hause fahren, und dann auf Urlaub mit meiner Familie und dann radeln gehen – zum Beispiel wieder auf so eine Drei-Tages-Tour durch eine Ecke des Landes, die ich vorher noch nie gesehen habe!


Die drei Etappen gesammelt in einer Collection auf Komoot:

Mühlviertler Alm mit dem Rennrad (im Gästehaus Weitblick)

Rainer ist ein Typ, der Dinge einfach macht! Sympathisch und offen geht er an Themen heran, aber auch mit der notwendigen Hartnäckigkeit und Ausdauer. In einer Region, die über Jahrzehnte an der Peripherie der Zentren gelegen ist und erst durch ein Zusammenwachsen von Menschen, Regionen und Identitäten näher ans Zentrum gerückt wurde, ist ein gewisses Durchhaltevermögen auch notwendig.

Wir befinden uns in der Region „Mühlviertler Alm“, einem Zusammenschluss an acht Gemeinden im Bezirk Freistadt zu einer gemeinsamen Tourismusregion. Und Rainer ist neben seinem Brotberuf und diversen Vereinsfunktionen noch umtriebiger Unternehmer und leidenschaftlicher Radfahrer. Um die Vorzüge seiner Heimat einem breiteren Publikum bekanntzumachen, hat er mit anderen Unternehmern der Region ein Paket aus Mountainbike- und Rennradtouren geknüpft und bringt dabei sein Know-How aus der Region ein. Und als Tüpfelchen auf dem „i“ hat Rainer das Gästehaus Weitblick in Sankt Leonhard geschaffen, eine Unterkunft, die Radfahrenden einen idealen Ausgangspunkt für Touren in die Region bietet. Und damit sind wir – mit einigen Umwegen – am Startpunkt dieser Geschichte: Ich durfte Rainer nämlich in St. Leonhard im Gästehaus Weitblick besuchen und drei seiner Touren abfahren – in einer Region, die für mich neu war, in einer Landschaft, die unberührt und pur ist und in einem Terrain, in dem man keine Angst vor reichlich Höhenmetern haben sollte.

Die Mühlviertler Alm & Sankt Leonhard

Natur, Natur, Natur! Davon gibt es zwischen Freistadt, tschechischer Grenze und niederösterreichischem Waldviertel ausreichend. Die Charakteristik der Region bietet einiges – bergig und hügelig, Almen, Hochplateaus, Moore, Wälder und Gräben, die Flüsse über tausende Jahre in die Landschaft gegraben haben. Sankt Leonhard liegt auf einer Kuppe und bildet so etwas wie die zentrale Aussichtsplattform über die Region Mühlviertler Alm. Nach Osten – Richtung Niederösterreich und Waldviertel – verdichtet sich die Natur weiter zu einem Fast-Urwald, Richtung Süden wird es etwas welliger, bis man sich im Bezirk Perg langsam der Abrisskante des Mühlviertels und dem beginnenden Donauraum nähert.

Abschalten fällt hier sehr leicht, man ist schnell bei sich und absolut ungestört. Wanderer (unter anderem auf dem Johannes- oder auch dem Jakobsweg), Wintersportler und Familien wissen das schon länger zu schätzen. Aber auch Radfahrende sollen in den Genuss der unberührten Natur und der Ruhe kommen. Für Mountainbiker gibt es bereits zahlreiche Angebote, aber auch Rennradlerinnen und Rennradlern bietet sich ein breites Spektrum an Herausforderungen. Im Osten schneidet sich die Aist mit dem gleichnamige Tal wie eine Schneise durch die Landschaft und bildet somit einen natürlichen Trenner, während rund um Freistadt die Landschaft etwas aufgeht. Und wer Richtung Norden und ehemaligen Eisernen Vorhang eine landschaftliche Zuspitzung im Sinne einer natürlichen Barriere zum Nachbarland vermutet, wird von einer sich öffnende Landschaft und wunderbar welligen Hochebenen überrascht.

Straßen & Wege, Charakteristik

Die Straßen selbst sind eher auf der schmalen Seite, dem wenigen Verkehr „geschuldet“ – wobei, das nehmen wir Radfahrenden natürlich sehr gerne zur Kenntnis. Autos und andere Verkehrsteilnehmer*innen trifft man in sehr überschaubaren Dosen, generell wird eher Rücksicht genommen. Klimatisch kann es im rauen Norden schon etwas extremer zugehen – das äußert sich dann auf unterschiedliche Art und Weise. Wo Schnee und Eis im Winter die Straßen beherrschen, kann es schon zum einen oder anderen Frostaufbruch kommen und Risse in der Fahrbahn sind nichts ungewöhnliches. Angesichts dessen befinden sich die Straßen in der Region allerdings in einem sehr guten Zustand, das Frühjahr nützt man, um Schäden zu reparieren. Apropos Auswintern: Je nach Jahreszeit ist auf den ausgebrachten Rollsplitt zu achten, der dem Radfahren natürlich nur bedingt zuträglich ist. Mitte/Ende April hat sich dieses Problem allerdings zumeist erledigt. Wie in Oberösterreich üblich – zumindest kenne ich persönlich es nur aus Oberösterreich in diesem Ausmaß – wird de facto jeder Hof, jede Siedlung und jeder Weiler von einem asphaltierten Güterweg erschlossen. Die Variationen und Kombinationsmöglichkeiten potenzieren sich damit und man kann sich in 99% der Fälle darauf verlassen, auf einer befestigten Straße seine Runden ziehen zu können. Dementsprechend macht ein Gravel-Bike in einer derartigen Region verhältnismäßig wenig Sinn – wer ins Gelände möchte, nimmt dann gleich das Mountainbike.

Wer mit dem Rad hier her kommt, sollte sich allerdings einer Tatsache bewusst sein: Es geht hier entweder bergauf oder bergab – flache Strecken sucht man hier mehr oder weniger vergeblich. Die Steigungen und Höhenmeter haben allerdings einen eigenen Charakter. Der Gradient bewegt sich häufig zwischen 2 und 6 Prozent, lassen sich also recht gut „wegdrücken“. Außerdem sind Anstiege meist eher kurz. Eurosport-Kommentatoren würden dazu „Rollerberge“ sagen. Man muss also keine (leichtgewichtige) Bergziege sein, um hier reüssieren zu können, vielmehr sammelt man oft eher unbemerkt Höhenmeter und wundert sich nach Ende der Tour, wo die 1.500 Höhenmeter genau herkommen. Natürlich muss einem auch das irgendwie liegen – wer lange und steile Anstiege gewöhnt ist, könnte auch mit so einer Charakteristik ein Problem bekommen, Radler*innen aus dem Osten Österreichs sollten solche Höhenmeter aber eigentlich liegen. Steiler und etwas knackiger werden die Anstiege im Süden der Mühlviertler Alm (beispielsweise bei Blasenstein – siehe Tour unten), wo etwas giftigere Stiche warten.

Zusammenfassend eignen sich die Straßen der Mühlviertler Alm hervorragend fürs Rennrad – die Variationsmöglichkeiten sind groß, der Verkehr gering und man hat seine angenehme Ruhe. Höhenmeter sammelt man reichlich, dementsprechend ist es jedenfalls vorteilhaft eine gewisse Fitness mit ins Mühlviertel zu bringen. Und je nachdem wie lange man unterwegs sein möchte, ist auch auf ausreichende Verpflegung zu achten, da nicht jede Ortschaft über die entsprechende Infrastruktur verfügt bzw. nicht an jeder größeren Straße eine Tankstelle auf Kundschaft wartet.

Jedenfalls meiden sollte man die Bundesstraßen B38 (Verkehrsachse Freistadt – Sandl – Karlstift – Richtung Groß-Gerungs) und die B125, die von Freistadt Richtung Linz führt – angesichts der Vielzahl an Wegen sollte das allerdings kein schwerwiegendes Problem darstellen.

„Tour de Alm“ & offizielle Routen

Wie bereits erwähnt haben Rainer und andere Herbergsbetriebe der Region ein Netzwerk an Routen entwickelt und zusammengestellt, das eine gute Auswahl für jedwede Leistungsstufe und Präferenz erlaubt. Von der 40 Kilometer-Runde bis zur Tour über 160 Kilometer ist alles dabei, auch verlängern oder verkürzen ist angesichts der vielen Querverbindungen und Wege kein Problem. Die Übersicht mit den Routen liegt in den beteiligten Betrieben auf, beim Gästehaus Weitblick von Rainer erhält man die Tracks auch gerne als GPX-Files, die man schnell auf seine Computer laden kann. Am oberen Ende der Skala befindet sich die „Tour de Alm“. In der Mountainbike-Version gibt es diese schon seit längerer Zeit, mit 188 Kilometern und 5.410 Höhenmetern als Mehrtagestour konzipiert und auf beschilderten Strecken zu befahren. Die Rennradversion der Tour de Alm wartet mit 182 Kilometern und 3.976 Höhenmetern auf, stellt also für eine Tagestour ein ordentliches Pensum dar. Dafür durchquert man dabei einmal das gesamte Gebiet der Mühlviertler Alm (inkl. einem kleinen Exkurs nach Niederösterreich) und bekommt auch das gesamte landschaftliche und kulturhistorische Spektrum der Region zu spüren (inkl. Land und Leute, Architektur und natürlich Natur!). Die Rennradtour ist im Gegensatz zur MTB-Tour (noch) nicht beschildert, aber auch hier gibt es die entsprechenden GPX-Files.

Gästehaus Weitblick

Dem Gästehaus war ein etwas holpriger Start beschieden, fiel die Eröffnung doch zeitlich mit der COVID-Krise zusammen. Doch trotz widriger Umstände und dank Rainers Leidenschaft konnte das Projekt einen erfolgreichen Start hinlegen. Sechs Zimmer bieten eine geräumige und komfortable Unterkunft, Haus und Einrichtung wurden von regionalen Betrieben gefertigt bzw. eingebaut – die Regionalität findet man übrigens in vielen Details wieder (in der ganzen Region, nicht nur im Gästehaus). Für Radlerinnen und Radler gibt es einen absperrbaren Raum, um den fahrbaren Untersatz zu verstauen, GPX-Files gibt’s (im Idealfall) vom Chef persönlich an der Rezeption, Werkzeug zum Schrauben oder für den Notfall liegt im Radraum, Schläuche im Fall eines Platten gibt es beim Automat vor der Türe, abgerundet wird das Ganze auch noch durch einen Wäscheservice. Es handelt sich um ein Gästehaus ohne Restaurant, vor den Zimmern bietet ein voll ausgestatteter Aufenthaltsraum aber Küche, Kühlschrank, Weinschrank und Pizzaofen – man wird also weder verhungern noch verdursten. Fürs Frühstück erhält man Jetons, die im Cafe gegenüber einlösbar sind – funktioniert einwandfrei, und vom Tisch des Kaffeehauses hat man übrigens einen wunderbaren Ausblick in die Region! In Summe merkt man die Freude der Betreiber, Menschen und im speziellen Radfahrende in die Region und ins Gästehaus zu locken, gleichzeitig herrscht ein angenehmer Pragmatismus vor – man hat es nicht notwendig, mit allerlei Firlefanz aufzuwarten sondern konzentriert sich aufs Wesentliche.

Mein Zimmer - circa 1,5 Minuten, nachdem ich angekommen bin…

Touren

Aus einer Auswahl von elf Touren konnte ich während meines dreitägigen Aufenthalts die „Tanner Moor-Runde“, die „Liebenau-Runde“ und die Tour nach St. Thomas am Blasenstein testen und während etwas Beschreibung natürlich nie schaden kann, sollen doch in erster Linie die Bilder und die tolle Landschaft für sich sprechen!

„Tanner Moor“

Die Runde durchs Tanner Moor ist so etwas wie die Standard-Runde, die jede Besucherin und jeder Besucher auf dem Rennrad als erste Empfehlung bekommt. Bietet sie doch auf 66 Kilometern eine kompakte und komprimierte Zusammenfassung der Vorzüge der Region und deren Vielfältigkeit. Wellig und durch Wälder geht es zuerst hinauf nach Kaltenberg, durch Unterweißenbach und dann wellig durch das Tanner Moor. Dieses bietet eine einzigartige und eigene Landschaft als Hochebene, durchzogen von kleinen Seen und Lacken mit spezifischer Vegetation – Moore sind da ganz etwas eigenes und eigentlich mit wenig anderen Landschaften vergleichbar – muss man selbst gesehen haben. In Liebenau hat man den höchsten Punkt der Tour erreicht und auch gleichzeitig einen der Dorfbrunnen, an dem man seine Flaschen gut auffüllen kann (liegt etwas versteckt neben der Straße). Zwischen Maxldorf und Schöneben tun sich spannende (Hoch-)Ebenen auf, die einen weiten Ausblick Richtung Süden und etwas Befreiung von der vermeintlichen Enge des Waldes bieten. Noch ein kleiner Anstieg nach Harrachstal und es geht bergab zurück Richtung St. Leonhard zum Gästehaus. Wie schon erwähnt liegt dieses mit einer herrlichen Fernsicht oben in Sankt Leonhard, man hat daher bei jedem Heimkommen noch ein paar Höhenmeter zurückzulegen, bevor man im Gästehaus die Füße hochlagern kann.

„Liebenau-Runde“

Die Liebenau-Runde führt vom Gästehaus und St. Leonhard aus auf einer anderen Route nach Liebenau, als das die Tanner Moor-Runde macht und bietet dabei leicht abgeänderte Perspektiven auf das, was man am Vortag gesehen hat – ein Straße weiter rechts oder links und die Dinge werden in ein anderes Licht gerückt (oder so manche Abfahrt oder Steigung). Nach Schöneben biegt man rechts auf ein Netz von kleinen Güterwegen, auf denen man großartig und ruhig vor sich hin pedalieren kann, bis man in Sandl wieder auf Zeichen von Zivilsation stößt. Und die können durchaus einen kleinen Schock hervorrufen, mündet man doch aus der angenehmen Ruhe des Waldes für wenige Meter (es sind wirklich nur 200 Meter) auf die bereits oben erwähnte Bundesstraße B38. Auf dieser donnert der Schwerverkehr zwischen tschechischer Grenze und dem Waldviertel (und weiter Richtung Zwettl) und man fühlt sich wie aus seiner Trance gerissen und kann kurz nicht verstehen, woher der Lärm und der Verkehr kommen. Ein Nahversorger lädt zum Auffüllen der Vorräte auf, bevor man schnell wieder auf die Güterwege flüchtet und mit ein paar Metern Abstand zur Bundesstraße auch gleich wieder seinen Frieden findet.

Vorbei an einem kleinen Skigebiet steigt man noch ein paar Meter an und erwartet sich insgeheim eine landschaftliche Kulmination zur ehemaligen dichten Grenze hin, allerdings geht kurz vor Windhaag die Landhscaft auf, alles wird weit, die Berge werden zu Hügeln und Wellen und die Region zeigt eines ihrer anderen Gesichter. Dementsprechend entspannter radelt es sich nun entlang der Staatsgrenze bis kurz vor Wullowitz (bekannt aus Grenzwartezeiten früherer Fernseh- und Radionachrichten) bevor die Route nach Süden schwenkt und über Rainbach Richtung Freistadt führt. Hier befindet man sich übrigens kurz auf bzw. neben der Challenge-Strecke des Race Around Austria – bei meiner Challenge war es allerdings tiefste Nacht und es war wenig von der umliegenden Landschaft zu erkennen. Wer in die Zwickmühle eines Defekts kommen sollte oder aber einfach bei einem Kaffee mit einem mehrfachen, erfolgreichen Starter bei der Österreich Rundfahrt plaudern möchte, kehrt bei Martin Fischerlehner (Radsport Fischerlehner) in Freistadt ein – die paar Meter Umweg zahlen sich aus.

Von Freistadt geht es über Lasberg (den Radweg neben der Landesstraße nutzen!) und Sankt Oswald wieder „hinein“ in die Mühlviertler Alm – man merkt den landschaftlichen Wechsel von der offenen Gegend rund um Freistadt hinein ins „Verschlossenere“. Die Straßen sind hier teilweise in etwas mäßigerem Zustand und je nach Tageszeit kann auch der Verkehr etwas zunehmen, es bleibt aber alles in erträglichem Maß. Über eine flowige Abfahrt und den (unvermeidlichen) letzten kleinen Aufstieg nach St. Leonhard gelangt man wieder zu Gästehaus.

„St. Thomas am Blasenstein“

Führten die ersten beiden Touren Richtung Norden, eröffnen sich im Süden neue Aspekte und Perspektiven. Nach einer langen und flotten Abfahrt vom Leonharder Berg ordnet man sich entlang der Waldaist ein und kommt in den Genuss einiger tatsächlich nahezu flacher Meter, bevor man links wegbiegt und über welliges Terrain nach Bad Zell gelangt. Bad Zell ist als Kur- und Wallfahrtsort bekannt, man sollte jedenfalls von der durchgehenden Hauptstraße abbiegen und über den Dorfplatz rollen, der von historischen Bürgerhäusern eingefasst ist. Wenig später quert man zum ersten Mal die Naarn – neben der Aist der zweite wichtige Flusslauf der Region –, klettert über einen anspruchsvollen Anstieg nach Rechberg und über einen weiteren kleinen (und steilen) Güterweg nach St. Thomas am Blasenstein. Neben der wechselvollen Geschichte des Ortes sticht natürlich die Pfarrkirche in prominenter Lage hervor – wer Zeit und Lust hat, kann sich dort den „luftg´selchten Pfarrer“ anschauen, eine Mumie die Mitte des 19. Jahrhunderts zum ersten mal erwähnt wurde und allerlei Anlass zu Mythen und Legenden bietet. Bei klarer Sicht kann man auch einen Blick auf den Ötscher und das Alpenvorland erhaschen.

Auf einer gut ausgebauten Straße geht es schnell bergab und flach bis kurz vor Mühltal, wo man rechts über einen steilen „Schupfer“ (kann man auch umfahren) und Pierbach ins Naarntal kommt und ab jetzt auf einem kleinen Güterweg entlang der Naarn radelt. Die Naarn biegt zwar irgendwann einmal nach rechts ab, man wird aber kurz darauf mit einem neuen Anblick belohnt – jenem auf die Burgruine Ruttenstein, die hoch über dem Weg thront. Der Weg um den Kogel, auf dem die Burg steht, steigt mehr und mehr an und nach einem letzten Blick zurück auf die Ruine erlangt die Straße wieder jene Charakteristik, die wir von der Mühlviertler Alm kennen. Waldstücke wechseln sich mit offenen Hochebenen ab, über Mötlas, Unterweißenbach und Pieberbach geht es wellig wieder zurück zum Startpunkt in St. Leonhard beim Gästehaus Weitblick.

Alle Infos zu den Routen auf meinem Komoot-Profil, alle Infos zum Gästehau Weitblick hier: https://www.gaestehaus-weitblick.at/

Die Dolomiten - Eine Liebesgeschichte

Um 7:30 morgens am Passo Valparola überkommt es mich! Die Schönheit der Landschaft übermannt mich, ich stelle das Auto ab, steige aus und genieße die noch menschenleere Passhöhe, die Steintürme ringsherum und den Ausblick auf den gegenüberliegenden Gebirgsstock. Und ich denke an den Schweizer Architekten Le Corbusier, der einmal gesagt hat: “Die Dolomiten sind die schönste Architektur der Welt!” Die Tatsache, dass ich mit dem Auto hier bin und nicht mit dem Rad ist wohl ein klassischer Anfängerfehler oder mangelnde Vorbereitung. Ich bin nämlich zum ersten Mal hier - und dass man beim ersten Mal nicht gleich alle Highlights mitnehmen kann oder einem das Eine oder Andere durch die Finger schlüpft, ist entschuldbar. Sprechen wir aber besser über jene Dinge, die ich geschafft habe!

Dolomiten

Als klassische Einleitung würden hier nun Ausführungen über die Namensgebung (der französische Geologe de Dolomieu), die räumliche Ausdehnung (Pustertal - Sextental - Piave - Valsugana - Etsch - Eisack), die Geologie (markante Riffe aus Kalkstein und Dolomit) und das Klima (angenehm von April bis Oktober) der Dolomiten stehen. Das kann ich aber gut und gerne überspringen, sind die Dolomiten doch einer jener klassischen “Sehnsuchtsorte”, die jede Radlerin und jeder Radler aus Magazinen, Zeitschriften, Filmen und von den großen Rundfahrten kennt.

Regelmäßige Leser*innen meines Blogs wissen, dass ich einen Gutteil meiner Urlaubs- und Ferienzeit in Osttirol verbringe und genau dort lag bisher - wenn man so will - das “Problem”. Die Lienzer Dolomiten sind so etwas wie ein Vorgarten der “richtigen” Dolomiten, bieten aber schon so viel Spektakuläres und Spannendes, dass man dort schon wochen- und monatelang unterwegs sein könnte. Dazu kommt noch, dass man sich ja selten eine Unterkunft in 100 Kilometern Entfernung von “Zuhause” bucht, das Urlaubsziel also quasi “zu nahe” ist… Dass diese Denkweise ein großer Fehler ist, zeigt sich grundsätzlich schon an den vielen Bildern, die man alljährlich vom Giro d´Italia sieht, den Berichten in Rennradmagazinen und auch den vielen Timelines auf Instagram und Facebook. Wie Schuppen von den Augen fällt es einem jedoch, wenn man in die Pedale einklickt, den Radcomputer startet und der Blick nach oben schweift und sich vor den Augen die Gipfel der Dolomiten auftun - höchstpersönlich und real. In diesem Moment ist sofort klar, dass hier mehr passiert als nur Radfahren.

Homebase Cortina

Die Dolomiten umfassen ein großes Gebiet und am liebsten würde man mit einigen wenigen Ausfahrten und Touren die ganze Gegend abdecken. Klickt man sich durch die einschlägigen Routenportale kommt man schnell zu der Erkenntnis, dass das so wohl nicht möglich sein wird - zu schnell überschreiten die Höhenmeterzahlen Dimensionen, die den Oberschenkeln nicht mehr zuträglich wären. Die Gegend rund um Innichen, Toblach und Bruneck kenne ich bereits, im Sinne eines sukzessiven Vorarbeitens bietet sich daher ein Start in Cortina an. Dass diese Reise nicht die letzte sein wird ist ohnehin klar - andere Ort werden daher sowieso noch folgen.

Als James Bond-Fan ist mir Cortina vor allem durch Roger Moore, die Bobbahn und das Eis-Stadion in Erinnerung (“For Your Eyes Only” wurde 1981 teilweise in Cortina gedreht). Länger zurück und definitiv (noch weiter) vor meiner Zeit waren die Olympischen Winterspiele 1956, die stark zum besonderen Status von Cortina beigetragen haben und der Stadt eine Aura verliehen haben, die sie mit anderen klassischen Wintersportorten wie St. Moritz verbindet. Und nicht zuletzt thront direkt über der Stadt die Tofana, die mit dem gleichnamigen “Tofana-Schuss” ein Highlight der alljährlich stattfindenden Herren Ski-Abfahrt bildet. Genau an dieser Stelle werden im Februar 2021 auch die alpinen Ski-Weltmeisterschaften stattfinden, auf die sich die Stadt jetzt schon sichtlich vorbereitet. Während einer Gondelfahrt auf die Tofana kann man bereits jetzt die unterschiedlichen Maßnahmen begutachten - von Sicherheitszäunen über Modernisierungen bis hin zur Revision der Gondelbahnen. Ich persönlich war auf Skiern immer recht wackelig unterwegs und das Gefälle der Abfahrtspiste kann einem den Angstschweiß auf die Stirn treiben - bei aller Schönheit des Winters und des Wintersports bleibe ich also vorerst doch lieber beim Radfahren.

Touren

Wie schon eingangs erwähnt, ist die Routenauswahl nicht gerade einfach. Hinter jeder Ecke lauert ein Highlight, dies und jenes “muss” man eigentlich mitnehmen, wenn man schon in der Gegend ist - das Gebiet ist riesig, die Möglichkeiten ebenso. Für meinen Einstieg in die Dolomiten habe ich drei Touren ausgewählt: eine vor der Haustüre von Cortina, den Klassiker “Sella Ronda” und - meiner neuen Leidenschaft Gravel Rechnung tragend - eine tolle Runde auf Schotter.

Giau & Falzarego

Von Cortina d´Ampezzo klettert man erst einmal einige Höhenmeter hinauf in den kleinen Ort Pocol, wo sich die Abzweigung zu Passo Giau und Falzarego befindet. Als Dolomiten-Neuling erhöht sich er Herzschlag bereits, wenn man die Straßen- und Pass-Schilder zum ersten Mal in den Blick bekommt. Ich entscheide mich für den Uhrzeigersinn - meine Recherchen haben ergeben, dass das offenbar die schönere Richtung sein soll. In der Anfahrt zum Passo Giau geht es zuerst etwas überraschend - bergab. Ich weiß nicht warum, aber in meiner Vorstellung oder Erinnerung war und ist der Passo Giau einer der Schwierigeren der Dolomiten - immer wieder einmal Teil des Giro d´Italia und für Hobbyfahrer eine ernsthafte Prüfung. Umso überraschender finde ich, dass man bei 8-9 Prozent durch pittoreske Kehren und mit wunderbaren Ausblicken Meter für Meter recht gemütlich nach oben kurbeln kann. Wenn man den Wald verlässt, steigt auch der Gradient, mehr als 13% zeigt der Wahoo allerdings nie an. Und knapp 9 Kilometer und 800 Höhenmeter später hat man auch schon die Passhöhe erreicht. Ein Espresso und eine kurze Pause bieten sich - wie eigentlich auf jeder Passhöhe - an, man sollte jedoch nicht außer Acht lassen, dass es auch im Sommer frisch werden kann auf 2.200 Metern Höhe. Und frisch wird es spätestens bei der grandiosen Abfahrt hinunter Richtung Caprile! Durch fast 30 Kehren arbeitet man sich zurück ins Tal, der Straßenbelag ist gut und die Kurven sind außen leicht erhöht - das ist wohl das, was man eine Flow-Abfahrt nennt! Und jetzt dämmert mir auch, dass der schwierige Anstieg auf den Giau wohl auf dieser Seite hier liegt, die Steigungsprozent im oberen Teil sind doch bedeutend höher als auf der Seite, die ich für die Auffahrt gewählt habe.

Die Straßenschilder im Tal wecken Sehnsüchte. Über Selva die Cadore, Caprile und den Passo Fedaia könnte man hier - vorbei an der Marmolada - Richtung Canazei radeln, aber das wäre zu viel für den Anfang. Hängt man an den Passo Giau noch den Falzarego dran, kann man sich den Weg ganz hinunter ins Tal sparen und am Berghang bis Cernadoi entlangradeln.

Von dort sind es rund 8 Kilometer und 700 Höhenmeter bis zum Falzarego. Über dessen Geschichte und die dazugehörige Sage vom Reich der Fanes bin ich schon vor Jahren einmal gestolpert und ich finde sie so schön, dass es geradezu fahrlässig wäre, sie hier nicht kurz zu erwähnen.

Die Fanessage schildert den Konflikt zwischen den aggressiven männlichen Angehörigen des Königshauses und den friedlichen weiblichen. Erstere sind im Bündnis mit dem Volk der Adler, letztere mit dem Volk der Murmeltiere. Die Könige der Fanes können mit ihrer Kriegspolitik das Reich der Fanes immer weiter ausdehnen. Doch dadurch entsteht ein Gegenbündnis von immer mehr Nachbarvölkern. Auf der Seite der Gegner kämpft auch der Zauberer Spina de Mul. Die Fanesleute haben als Kriegshelden Dolasilla, die Königstochter, und Ey de Net (Nachtauge). Letzterer will Dolasilla heiraten und wird daraufhin vom König verstoßen. Dolasilla hat eine Anzahl unfehlbarer Pfeile und einen weißen Panzer. Ihr wurde geweissagt, dass sie nicht in die Schlacht ziehen dürfe, sollte sich der Panzer einmal schwarz verfärben, weil sie sonst sterben müsse.

Die Entscheidungsschlacht rückt immer näher. Durch eine List kann Spina de Mul Dolasilla ihre unfehlbaren Pfeile abnehmen, die er dann an Schützen des Gegenbündnisses verteilt. Am Morgen vor der Schlacht sieht Dolasilla, dass sich ihr Panzer schwarz verfärbt hat. Doch die verzweifelten Fanesleute bedrängen sie, in die Schlacht zu ziehen. Zunächst können in der Schlacht die feindlichen Bogenschützen Dolasilla nicht finden, weil sie nach einem weißen Panzer suchen und nicht wissen, dass sich dieser schwarz verfärbt hat. Doch schließlich erkennen sie Dolasilla, schießen die unfehlbaren Pfeile auf sie ab und töten sie. Damit ist die Schlacht für die Fanesleute verloren. Mit knapper Not kann sich die Königin mit einer kleinen Schar mit Hilfe der Murmeltiere in die unterirdischen Gänge der Fanes zurückziehen. Der König aber, der verräterisch Sache mit den Feinden gemacht hat, wird zu Stein und ist seitdem als falscher König (altlad. falza rego) am Falzaregopass zu sehen.
— Sage vom Reich der Fanes (Wikipedia)

Der Schweiß tropft auf das Oberrohr, auch wenn die Steigung niemals über 10 Prozent klettert. Zuerst arbeitet man sich über lange Kehren durch den Wald hinauf, recht abrupt wechselt die Charakteristik dann auf alpin und man sieht vor sich einige Kehren und Gallerien, die man auf dem Weg zur Passhöhe noch zu bewältigen hat. Spätestens hier erscheint erstmals der “falsche König”, eine der markanten Steinspitzen, die die unverwechselbare Optik der Dolomiten ausmachen. Auf der Passhöhe gibt es neben Espresso und Panini auch eine Gondelbahn zum Lagazuoi und ein Freiluftmuseum, das den Ersten Weltkrieg zum Thema hat. Man bewegt sich hier immerhin auf historischem Boden und hier am Falzarego im Speziellen, haben doch die österreichischen Truppen Stellungen am Berg angelegt, die von den italienischen Soldaten im Fels untergraben und dann gesprengt wurden. Die Spuren der Dolomitenfront des Ersten Weltkriegs begleiten einen übrigens - sofern man sich für Geschichte interessiert - vielerorts.

Die Abfahrt vom Falzarego zurück nach Cortina ist flott und recht geradlinig, fährt man doch auf der “Dolomiten-Bundesstraße”, die eine Hauptverkehrsroute in Ost-West-Richtung darstellt. Abhängig von Jahreszeit und Wochentag ist der Verkehr hier dicht und auch der eine oder andere Linienbus verkehrt hier. Generell muss man hier etwas umdenken, wenn man es gewöhnt ist, dass Pässe und Bergstraßen sonst eher als Touristenattraktion oder Mautstraßen ausgeführt sind.

“Dolomiti Gravel”

Gravel ist mittlerweile mehr als nur ein Trend, das habe auch ich diesen Sommer sukzessive erkannt. Egal wo man unterwegs ist, ein Gravelbike eröffnet vielfältige neue Möglichkeiten und kann da, wo das Rennrad eventuell an seine Grenzen stößt, noch weitere Horizonte erschließen. Abseits der Straßen tun sich dann auch neue Welten auf, man trifft andere Menschen, ist vielleicht “leiser” unterwegs, spürt die Natur unmittelbarer und findet auch den einen oder anderen Weg, der noch nicht so oft befahren worden ist.

Damit werden auch die weitläufigen Radweg-Netze nutzbar, die sich durch alle Gegenden der Welt schlängeln und meistens auch noch gut organisiert und beschildert sind. Im Falle der Dolomiten bietet sich dafür die aufgelassene Eisenbahn-Trasse von Cortina bis Toblach an. Gleich vom alten Bahnhofsgebäude weg fährt man - getrennt von jeglichem Verkehr - in Ruhe und mit sehr moderater Steigung aus Cortina hinaus. Während einem anfangs noch andere Radler, Spaziergänger oder Läufer entgegenkommen, ist man spätestens nach drei Kilometern ganz alleine und bei sich und hat genügend Zeit und Muße, sich die Ruhe und Schönheit der Gegend anzuschauen. Bahntrassen haben ja systembedingt an sich, dass sie nur geringe Steigungen aufweisen, so rollt man entspannt am Hang auf der Schotterpiste entlang und genießt den Ausblick auf die umliegenden Berge, während unten auf der Bundesstraße der Verkehr rollt. Die Straße ist außerdem nicht im allerbesten Zustand, hier erspart man sich also doppelt etwas. Allerdings kommt man nur mit einem Gravelbike in den Genuss dieses Weges, für ein Rennrad ist der Schotter an vielen Stellen zu grob oder tief. Es geht durch ehemalige Tunnel, eine Holzbrücke überquert eine Schlucht, die Zeit vergeht wie im Flug, wenn man die Augen öffnet und die Landschaft in sich aufsaugt. Nach einigen Kilometern erreicht man den Passo Cimabanche, der mit 1.530 Metern und den wenigen Höhenmetern bis dorthin den Namen “Pass” fast gar nicht verdient. Aber hier treffen die Verkehrswege aufeinander, der weitere Radweg bis Toblach, die Straße zu den drei Zinnen, die Bundesstraße Toblach-Cortina und auch die alte Schotterstraße zur Plätzwiese nimmt dort ihren Beginn.

Auf rund sieben Kilometern sind hier gut 500 Höhenmeter zurückzulegen und man kann sich schwer vorstellen, wie hier im Ersten Weltkrieg Unmengen von Nachschub hinaufgekarrt wurden. Die Steigung ist eher unregelmäßig, ebenso ist es der Untergrund. Erstere ist unten eher flach, zieht aber stellenweise auf bis zu 15% an während über der Baumgrenze konstante 9-10% anstehen. An manchen Stellen finden sich Reste einer Art Fahrbahnoberfläche, darauf folgen grobe Schotterabschnitte durchsetzt mit felsigen Brocken, über die man eher mit breiteren Reifen rollen möchte. Ein Gravelbike mit einer kleinen Übersetzung bekommt man hier gut den Berg hinauf, das Gros der Mitfahrer und Überholten sitzt allerdings auf Mountainbikes - die fahren dann in der Regel aber auch noch weiter in die Berge hinauf…

Unter dem Blick des beeindruckenden Monte Cristallo erreicht man das Dürrensteinhaus und das Sperrwerk Plätzwiese - ein weiteres Relikt aus dem Ersten Weltkrieg. Ich bin bei Gott kein Kriegs- oder Geschichtsfan, aber wenn man sich gedanklich etwas darauf einlässt, werden einem schon die Umstände und Rahmenbedingungen bewusst, unter denen hier vor gut 100 Jahren aufs Ärgste miteinander gekämpft wurde. Und so hautnah und eingebettet hat man tatsächlich selten die Gelegenheit, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Hier oben auf der pittoresken Alm, auf der man gerade steht und den Frieden und die Ruhe genießt, haben österreichischen Truppen 1915 einfach ein eigenes Dorf komplett niedergeschossen, nur um freie Schussbahn auf den damaligen Feind zu haben - absurd und unvorstellbar.

Apropos Frieden und Ruhe: Die Plätzwiese hier auf knapp 2.000 Metern Höhe ist einer der schönsten Orte, an denen ich in meinem bisherigen Leben war. Allerdings finden das auch sehr, sehr viele andere Menschen und so empfiehlt es sich, eher in den früheren Stunden des Tages hier aufzuschlagen. Und wer wie ich über Schluderbach und die Südseite hier herauf kommt, hat auch noch die ruhigere Variante gewählt. Die Nordseite ist nämlich teilweise mit dem Auto befahrbar und diese Auffahrt ist auch asphaltiert - dementsprechend wälzen sich dort die Horden gen Berg. Ich fahre nach der Schotterpiste, die über die Alm führt, über ebenjene Straße hinunter, habe dabei keine Zeit für Fotos, bin nämlich viel zu sehr damit beschäftigt, die Kehren und Ausblicke der Flow-Abfahrt zu genießen, gleichsam froh, von den Menschenmassen wieder etwas Abstand zu gewinnen.

Ein menschenleerer Pragser Wildsee im Mai 2019

Menschenmassen sind (leider) auch ein Thema, wenn man sich mit dem benachbarten Pragser Wildsee befassen möchte. Dieser ist - ob seiner “Instagramability” - zu einem heißbegehrten Motiv und Besuchsort geworden, dementsprechend ist dieses Juwel leider überlaufen. Wer dorthin möchte, muss früh dran sein - ab einer gewissen Besucherzahl sperrt die Polizei bereits beim Kreisverkehr im Tal die Zufahrt. Im Pustertal angekommenen geht es etwas entspannter zu, auf dem Radweg parallel zur Bundesstraße radelt es sich angenehm bis nach Toblach. Birkenkofel und dahinter die Dreischusterspitze bieten die perfekte Kulisse für eine Kaffeepause in der Innenstadt, bevor es wieder in die Berge geht.

Zurück auf der aufgelassenen Bahnstrecke steigt die Strecke langsam wieder an Richtung Passo Cimabanche - dort waren wir am Beginn dieses Tages schon einmal. Man rollte am Toblacher See vorbei, passiert den Dürrensee und muss sich spätestens dort entscheiden, welches Bergpanorama imposanter ist: jenes der Drei Zinnen, des Monte Cristallo oder das des Monte Piana. Der Radweg führt über feinen Schotter und ist mit dem Gravelbike hervorragend und flott zu fahren - vorausgesetzt man achtet auf die anderen Radwegbenützer, die dort bei schönem Wetter recht zahlreich unterwegs sind. Wer möchte, kann hier auf Schotter wieder nach Cortina zurückrollen.

Als Highlight bietet sich jedoch noch eine kleine Zusatzschleife zu einer der Ikonen der Dolomiten an - den Drei Zinnen. Sanft ansteigend geht es dabei Richtung Col Sant´Angelo, nur auf den letzten Metern stellt sich hier der Berg etwas steiler auf. Am Misurina-See durchtaucht man kurz einen touristischen Hotspot - von der kurzen Rast über Souvenir-Shops bis zu einem Picknick auf einer der zahlreichen Bänke ist hier alles dabei und möglich. Hartgesottene zweigen auf die Straße zum Rifugio Auronzo ab, einer Hütte, die direkt unter den Drei Zinnen liegt. Der großartige Name der Straße - “Superstrada Panoramica” - bedeutet “super” im Sinne von Super-Aussicht aber auch super-steil und -anstrengend!

Auf der Rückfahrt nach Cortina überquert man schließlich noch den Passo Tre Croci, der an sich nicht sonderlich spektakulär oder anspruchsvoll zu fahren ist, einzig der Ausblick auf den imposanten Monte Cristallo, den man hier quasi umrundet, beeindruckt doch sehr. Flott geht es zurück hinunter nach Cortina und unter die wohlverdiente Dusche. Das Gravelbike ermöglicht in diesem Fall eine tolle Mischung aus asphaltierten und losen Oberflächen und es bleibt der Eindruck, dass es da wohl noch unzählige spannende und schöne Wege gibt, die man abseits der befestigten Straßen finden kann.

Sella Ronda

Die Runde um den Sella-Stock ist mehr oder weniger die Benchmark für eine Dolomiten-Radtour. Der große Maratona dles Dolomites nimmt die berühmten vier Pässe unter die Räder und besonders reizvoll ist der autofreie Sellaronda Bike Day, bei dem die knapp 60 Kilometer lange Runde ganz alleine den Radler*innen und Familien gehört. Wo man die Tour beginnt ist eigentlich egal, auch die vier zu überwindenden Pässe bleiben immer gleich: Grödner Joch, Sellajoch, Passo Pordoi und Passo di Campolongo.

In Corvara beginnt der Anstieg aufs Grödner Joch und im Vergleich zu Cortina geht es hier emsiger und wuseliger zur Sache - Touristen ziehen auf E-Bikes und Tourenrädern Richtung Berge, Wanderer warten auf einen der vielen Linienbusse, Motorrad-Gruppen wollen die gleichen Kurven genießen wie die Radfahrer*innen und allzu viel Platz bieten die vorhandenen Straßen nicht. Daher gilt auch hier im Wesentlichen, früh zu kommen, die Randzeiten zu nützen (da ist eh auch das Licht am Schönsten) und den August (Ferragosto!) eher zu meiden. Die Steigung aufs Grödner Joch ist sehr moderat und es kurbelt sich locker hinauf - zuerst über lange Kehren, dann über engere, gestapelte.

Vom Grödner Joch fließt die Abfahrt durch schön zu fahrende Kehren hinunter bis zur Abzweigung zum Sellajoch. Während auf der linken Seite der Sellastock mit seinem höchsten Gipfel Piz Boè residiert, liegt vor einem der monolithische Langkofel, ein Steinblock wie aus dem Bilderbuch! Die Steigung liegt meistens zwischen 5 und 10 Prozent, aber man ist ohnehin eher mit Schauen und Staunen beschäftigt, so beeindruckend ist die Landschaft rundherum. Spätestens hier wird mir klar, dass ich mein Herz an die Dolomiten verloren habe und ärgere mich fast ein bisschen, dass es so lange gedauert hat, bis ich zum ersten Mal hierher gekommen bin.

Meine Euphorie erfährt allerdings einen jähen Dämpfer, als sich unter schauerlichem Geknirsche meine rechte Pedalplatte löst, ich noch zwei Schrauben davonpurzeln höre und meine persönliche Sella Ronda am Sellajoch zu einem jähen Ende kommt. Es ist natürlich ärgerlich, wenn ein derartiger Defekt passiert. Besonders ärglich ist es allerdings, wenn man sich gerade exakt bei der Hälfte einer Runde befindet… Ich entscheide mich fürs Zurückfahren übers Grödnerjoch, weiß ich dort doch immerhin was mich erwartet und dort sollte ich auch weidwund mit einer Pedalplatte drüber kommen. Den Passo Pordoi - den höchsten Dolomitenpass - hebe ich mir einfach fürs nächste Mal auf, den möchte ich voll und ganz genießen können. Und das Auslassen des Campolongo sollte ebenso vorerst verkraftbar sein, ist dieser vierte Pass der Sella-Runde doch eher einer, den man zum “Fertigmachen” der Tour braucht.

Trotz Verkürzung meiner Sella Ronda bleiben massig Eindrücke zurück - so geballt ist alles hier versammelt. Die Berge, die Gipfel, die Straßen mit ihren unzähligen Kehren, die Menschen, die Orte und die Landschaft - nicht zuletzt treffen am Gipfel des Piz Boè drei italienischen Regionen aufeinander (Südtirol, Veneto und Trentino), wie wenn alle Linien auf diesen einen Punkt zulaufen würden. Ich fahre jedenfalls noch einmal um den Sellastock - entweder entspannt beim Bike Day oder vielleicht auch etwas ambitionierter beim Maratona!

Tipps und Erfahrungen

Ich wurde von den Dolomiten in ihren Bann gezogen! Es ist ein riesiges Gebiet, das es hier zu erkunden gilt und das an vielen Ecken ganz unterschiedliche und variantenreiche Gesichter offenbart. Unzählige Möglichkeiten habe ich hier nicht einmal ansatzweise erwähnt - Bikeparks in Cortina oder am Kronplatz, E-Bike-Touren, Langlaufen und Skifahren im Winter, Wandern, Geschichte, Kultur, Vielfältigkeit der Regionen, alte Sagen und Legenden, vergessene Völker, mythenbeladene Täler, Bademöglichkeiten oder sich einfach auf eine Bank oder Wiese zu setzen und die Landschaft auf sich wirken zu lassen. Genug, um mehrere Urlaube zu füllen und einen Haufen guter Geschichten für Zuhause mitbringen zu können.

Den August als Reisezeit - so wie ich es hier gemacht habe - würde ich in Zukunft eher meiden, während Ferragosto “gehört” das Land der eigenen Bevölkerung und der verbleibende Platz eignet sich nur bedingt zum Radfahren. Durch das milde Klima (bei aller alpiner Rauheit natürlich!) bietet sich aber bereits der frühe Mai aber auch der späte September oder sogar Oktober noch für einen Abstecher an - dort hat man dann jedenfalls mehr Platz auf den Straßen und auf den berühmten Gipfeln der Dolomiten.

Anreisetechnisch kann man sich entweder über die Südautobahn und dann über Tolmezzo und entlang des Tagliamento durch die karnischen Alpen heranarbeiten und wird dort wilde und ruhigere Gefilde vorfinden. Kommt man - so wie ich - über Osttirol und das Pustertal in die Dolomiten, findet man sich gleich im Herz der schroffen Steingebilde wieder und alle Möglichkeiten und Berge stehen einem offen. Die dritte Variante ist eine Anfahrt über die Brennerautobahn und Sterzing, wo man mit Rosengarten und Plose noch einmal eine etwas andere Charakteristik vorfindet.

Bis bald und ci vediamo! Wir sehen uns definitiv bald wieder!

Disclaimer

Die Reise fand in Zusammenarbeit und auf Einladung der Italienischen Zentrale für Tourismus in Österreich - ENIT statt.

Ortlieb Bikepacking Taschen

Was haben meine Festive 500, die Bikepacking-Tour durch Österreich und die Race Around Austria Challenge Unsupported miteinander zu tun? Ja - lange Distanzen, Anstrengung und eine kleine Portion Masochismus. Aber auch die Bikepacking-Taschen von Ortlieb.

Begonnen hat es damit, dass ich für die Festive 500 im Winter ein "Notfallpaket" mit dabei haben wollte, das die Kapazitäten meiner Trikottaschen jedenfalls gesprengt hätte. Bei Pbike - dem Shop meines Vertrauens - war schnell eine Ortlieb Framebag besorgt und schon nach der ersten Ausfahrt war ich in das Teil verliebt - einfach anzubringen, wasserfest, robust und praktisch. In der Eiseskälte Osttirols waren im Frame-Pack immer Ersatzkleidung, Essen und Werkzeug dabei. Ich, der ich normalerweise ohne Taschen am Rad auskomme und über mehrere Jahre eine ausgeklügelte Raumaufteilungsstrategie für meine Trikottaschen entwickelt habe, war überrascht über die neue Freiheit, nichts am Rücken tragen zu müssen, alles dabei haben zu können und dabei auf nichts zu verzichten.

Mit der Umplanung des Jahres 2020 infolge der Corona-Pandemie ist bei mir dann - wie bei so vielen anderen auch - Bikepacking als wunderbare Alternative aufgekommen. Es war schon lange auf meiner To-Do-Liste aber Wochenenden während des Sommers waren schon in den vergangenen Jahren meistens immer für Events, Rundfahrten oder Marathons "blockiert". Für meinen Bikepacking-Ausflug hat die Ortlieb-Rahmentasche dann auch entsprechend Zuwachs bekommen - eine Satteltasche, die Lenkerrolle plus zusätzlicher Add-On-Tasche und die kleine Oberrohr-Tasche. Vollgepackt war ich damit durch Österreich unterwegs - während ich wetterbedingt nicht meine ganze Ausrüstung zum Einsatz bringen konnte (und damit wohl auf einiges an Gepäck verzichten hätte können...), so war der Regen zumindest dafür gut, die Wetterbeständigkeit der Taschen zu erproben!

Und letztendlich noch die Race Around Austria Challenge, bei der ich ebenfalls mit Rahmen- und Oberrohrtasche unterwegs war. Nach langem Hin- und Herüberlegen war das für mich die ideale Kombination. 

Foto: Race Around Austria

Die Ortlieb Taschen im Detail

Frame-Pack Toptube

Für mich das Herzstück des Setups ist die Rahmentasche. Diese wird unter dem Oberrohr ins Rahmendreieck gespannt, steht damit nicht im Wind und stört auch sonst in keinerlei Weise. Das Volumen gibt Ortlieb mit vier Litern an, tatsächlich passt recht viel hinein: Werkzeug, Schlauch, Regenjacke, Baselayer, Riegel und Gels, Wertsachen-Beutel oder aber auch sechs Flaschen Ensure-Flüssignahrung! ;)

Zu beachten ist, wie man die Tasche packt bzw. was man wohin steckt. Die Tasche besitzt keine Innenaufteilung oder innenliegende Fächer. Wirft man daher alles nur wahllos hinein, besteht die Gefahr von Klumpenbildung und die wiederum kann die Tasche so ausbeulen, dass man im schlimmsten Fall mit den Oberschenkeln daran streift. Aber es ist keine Wissenschaft… - einfach die Dinge zusammenrollen, überlegt verstauen und etwas Tetris-Skills anwenden, dann passt das alles gut!

Der Reissverschluss ist - zumnidest bei meinem Modell - schwergängig, ein irrtümliches Öffnen ist ausgeschlossen. Umgekehrt empfiehlt es sich jedenfalls stehenzubleiben, wenn man etwas aus der Tasche braucht - eine Bedienung während der Fahrt habe ich ausprobiert, empfehlen kann ich sie aber nur bedingt.

Die Befestigung im Rahmendreieck erfolgt einfach mittels Klettverschlüssen - drei am Oberrohr, jeweils ein zusätzlicher nach vorne zum Steuerrohr und einer nach hinten. Damit kann man alles auf so gut wie jeden Rahmen einstellen, einzig der vordere Klettverschluss wird etwas kurz, wenn - wie bei modernen Karbonrahmen mittlerweile üblich - ein sehr dickes Steuerrohr verbaut ist. Genauer hinsehen sollte man bei kleineren Rahmen. Hier kann es sein, dass sich bei montierter Rahmentasche keine oder nur noch eine Trinkflasche ausgeht. Kalkuliert man das von Beginn an ein, lohnt sich vielleicht eher ein alternatives Trinksystem - dann kann man auch gleich zur Rahmentasche greifen, die das gesamte Rahmendreieck ausfüllt.

Wie für alle anderen Produkte aus der Ortlieb-Bikepacking-Serie gilt, dass die Tasche wasserdicht ist - die Nähte sind versiegelt, das Außenmaterial abweisend. Schlaues Detail ist ein kleines Loch am Ende des Reissverschlusses, durch das man beispielsweise das Kabel des Lampen-Akkus stecken kann. Und der Griff des Reissverschlusses wird in einer passenden Lasche verstaut, so baumelt dieser während der Fahrt nicht herum oder kommt dem Oberschenkel in die Quere.

Handlebar-Pack

Die Lenkerrolle gibt es mit 9 oder 15 Litern Volumen. Wer mit dem Rennrad oder Gravel-Bike unterwegs ist, wird sich für die kleinere entscheiden (müssen), denn nur diese passt zwischen einen Rennrad- oder Gravellenker. Auch hier geht die Montage leicht von der Hand. Klett- und zusätzliche Klick-Verschlüsse werden am Oberlenker angebracht, für extra Halt sorgt ein Band um das Steuerrohr. Im Lieferumfang enthalten ist außerdem ein kleiner Spacer aus Schaumstoff, der die Tasche vom Steuerrohr fernhält und so Kontaktpunkte und Reibung mit dem Rahmen reduziert. Befestigt man Lenkerrolle und Rahmentasche gleichzeitig, muss man darauf achten, dass sich die beiden Bänder ums Steuerrohr nicht in die Quere kommen bzw. überlegen, welche Tasche man unterwegs eventuell vom Rad abnehmen möchte, sodass man nicht jedesmal von Neuem die Befestigungen übereinander schlichten oder auseinander dividieren muss :)

Die neun Liter Volumen reichen für eine kompakte Isomatte und einen Schlafsack, die man eingerollt leicht in der Tasche unterbringen kann. Alternativ kann man natürlich auch Gewand dort unterbringen, alles was gut “stopfbar” ist. Beim Packen und Verschließen sollte man darauf achten, dass man zum Unterlenker hin noch etwas Platz lässt, damit man dort auch den Lenker gut greifen kann. Bei (Gravel-)Lenkern mit Flare ist das weniger ein Thema. Dort funktioniert auch das Aus- und Einpacken der Tasche besser wenn diese noch am Rad montiert ist. Bei einem konventionellen Rennradlenker muss man die Tasche in der Regel abnehmen um sie auszuräumen, da man die seitlichen Verschlüsse sonst nicht ausrollen kann.

Auch hier ist die Tasche absolut wasserdicht, die Roll-Verschlüsse an beiden Seiten sind abgedichtet und alles was in der Tasche ist, bleibt gut geschützt. Wer mit einer Lenkerrolle unterwegs ist, muss sich natürlich darüber im Klaren sein, dass diese “im Wind steht”, und zwar richtig. Der Luftwiderstand des Systems wird merklich erhöht.

Accessory-Pack

Wem der Luftwiderstand eh schon egal ist und noch zusätzlichen Stauraum benötigt, kann an der Lenkerrolle noch eine Zusatztasche anbringen. Diese ist mit den integrierten Ösen und Haken kinderleicht und schnell montiert (und unterwegs auch wieder abgenommen). Die Zusatztasche eignet sich daher sehr gut für jene Dinge, die man eher schneller zur Hand oder immer bei sich haben möchte.

Der Verschluss der Tasche erfolgt mit einem zentralen Gurt in der Mitte der Tasche. Das ist einfach in der Handhabung, erfodert aber viel Sorgfalt beim Einrollen des Obermaterials - bei mir waren fast immer unschöne Ecken vorhanden, die dann nach oben wegstehen. Ehrlicherweise habe ich das aber bis dato nur im Stehen ausprobiert - für meine Touren war die Tasche bis jetzt noch nicht im Einsatz, weil ich den zusätzlichen Stauraum nicht gebraucht habe.

Seat-Pack

Die klassische Satteltasche gibt es ebenfalls in zwei Größen: 11 oder 16,5 Liter, wobei die größere zwei (statt einem) Befestigungsgurte hat und zusätzlich elastische Gummizüge an der Oberseite, um zum Beispiel leichte Schlapfen oder Flip-Flops zu befestigen. Ich persönlich bin ja kein Freund von allzu großen und weit ausladenden Satteltaschen, weil diese beim Fahren und vor allem im Wiegetritt zum Schwanken neigen. Für mich reicht daher das kleinere Modell mit elf Litern aus, wobei das schon eine beträchtliche Menge ist und die Tasche mit den diversen Gurten sehr gut anpassbar ist auf die jeweilige Beladung. Benötigt man nur den halben Stauraum, zurrt man die Tasche einfach auf die halbe Größe zusammen. Besonders schlau finde ich den verschließbaren Luftauslass an der Oberseite - diesen öffnet man vor dem Packen, dann räumt man seine Habseligkeiten in die Tasche, verschließt sie, drückt noch einmal alles fest zusammen und hört zu, wie die Luft aus dem Ventil entweicht. Auf diese Weise erhält man eine kompakte Satteltasche, die eben möglichst klein baut und dadurch nicht unnötig Schwungmasse aufbauen kann.

Der Verschluss wird eingerollt und zugeklippt, dadurch ist auch dieses System wasserdicht. Reflektoren an der Rückseite bieten zusätzliche Sicherheit und an den Schlaufen an der Rückseite lässt sich ein Licht montieren.

Cockpit-Pack

Am vielseitigsten und alltagstauglichsten wäre prinzipiell die kleine Oberrohrtasche namens “Cockpit-Pack”, leider ist diese aber auch der schwächste Teil der Serie (ausgehend von einem hohen Niveau allerdings). Zwei Dinge stören mich an der kleinen Tasche, die an sich ein perfekter Begleiter wäre - wasserdicht, kompakt und griffbereit. Zum einen ist da die Befestigung, die nicht so optimal funktioniert wie bei den anderen Taschen. Ein Klettverschluss um das Oberrohr sowie ein weiterer um das Lenkrohr bzw. die Spacer unterm Vorbau sollen die Oberrohrtasche an ihrem Platz halten. In der Praxis war der feste Halt allerdings nicht immer gewährleistet - nicht dass die Tasche runterfallen würde sondern dass sie leicht schief stand oder etwas zur Seite kippte. Das ist dann auch tatsächlich deswegen ein Problem (und das ist der zweite Punkt). weil die Tasche durch ihre Form sehr breit ist und bei einer leichten Schrägstellung dann die Oberschenkel die Tasche berühren. Das kann beim Fahren stören - bei meiner Österreich-Runde war das beispielsweise im Wiegetritt der Fall, weil ich dabei das Rad seitlich hin und her bewege. Was die Befestigung betrifft, so hätte mein Gravel-Bike am Oberrohr sogar zwei Schrauben, an denen man noch Zubehör montieren könnte, aber offenbar gibt es hier in der Industrie noch keine Verständigung auf eine gemeinsame Vorgehensweise - vielleicht werden wir hier für bestimmte Segmente in naher Zukunft einen Standard sehen.

Die Tasche selbst ist in Bezug auf Qualität und Verarbeitung einwandfrei - wasserdicht, mit einer hohen Gummilippe am Verschluss und einem Reissverschluss, der auch während der Fahrt bedient werden kann. Ein iPhone passt mit Ach und Krach gerade noch hinein, Riegel, Gels und Kreditkartenetui und dergleichen aber jedenfalls sehr gut. Bei meinen Erkundungen waren dort außerdem diverse kleine Kabel und Adapter verstaut, die ich gegebenenfalls schnell bei der Hand haben wollte und die ich nicht endlos in den Untiefen der größeren Taschen suchen wollte.

Einen Vielseitigkeits-Sonderpreis verdient das Cockpit-Pack für die Möglichkeit, auch als Satteltasche verwendet werden zu können. Bei einem Mountainbike-Urlaub in Osttirol hatte ich keinen Flaschenhalter am Rad (nicht fragen warum…), die Flasche wandete kurzerhand in die Trikottasche, das Werkzeug und die Jacke von ebendort direkt in die unter dem Sattel montierte Oberrohrtasche. Michael von Starbike ist mit diesem Setup sogar sein Race Around Austria so angegangen.

Meine Erfahrungen und was ich wofür verwende

Jede*r packt anders und das ist auch gut so, ist es doch auch eine recht individuelle Sache. Ich für meinen Teil richte mich natürlich nach der Herausforderung und dem Projekt. Als erstes schnalle ich die Rahmentasche aufs Rad, danach zusätzlich die Oberrohrtasche. Das ist für mich ein Setup, das das Verhalten meines Rades nicht bis wenig beeinflusst. und dabei kann man trotzdem das Wichtigste mit sich führen. Schließlich bin ich so auch meine Race Around Austria Challenge gefahren. Danach schnalle ich die Rahmentasche auf die Sattelstütze, diese bietet viel zusätzlichen Stauraum und durch die flexibel Größe auch eine gute Variabilität. Erst wenn die Satteltasche voll oder zu schwer wird, würde ich zur Lenkerrolle greifen. Bei der Lenkertasche ist der zusätzliche Luftwiderstand doch so spürbar, dass ich diese erst als “last resort” verwenden würde.

Was man wo hineinpackt, auch darüber lässt sich vortrefflich diskutieren und es wird auch hier individuelle Vorlieben geben. Eine gemeinsame Sichtweise ist aber insoweit vorhanden, als man üblicherweise schwere(re) Dinge in die Rahmentasche packt, Schlafsack und Isomatte in die Lenkerrolle und Gewand in die Satteltasche. Wertsachen sind üblicherweise in einer Oberrohr- oder Zusatztasche gut aufgehoben.

Bei meinen Touren mit den Ortlieb-Taschen war das Wetter jeweils recht “bescheiden”, von daher kann ich jedenfalls die Wasserfestigkeit der Produkte bescheinigen. Bei der Oberrohrtasche bürge ich auch für eine Wasserdichtheit, wobei diese weniger vom Wetter selbst auf die Probe gestellt wurde sondern eher durch sturzbachartige Schweißströme von meinem Kopf und Oberkörper.

Die Qualität ist hervorragend und die Verarbeitung einwandfrei. Nichts ist unsauber vernäht, nichts steht weg oder ist im Weg. Die Montage ist eigentlich selbsterklärend, bei jedem Gurt und Klettverschluss ist klar, was dieser zu tun hat und wo dieser hingehört. Hängt man sich allerdings alle Taschen zugleich ans Rad, kann es schon einmal recht eng werden - da sollte man sich kurz Gedanken machen, in welcher Reihenfolge man was montiert und wo jeder Gurt am Ende liegen wird. Besondern rund ums Steuerrohr sammeln sich dann eine Vielzahl von Gurten und Verschlüssen. Auch die Positionierung von Radcomputer und Lichtern will überlegt sein - so ist logischerweise die Lenkerrolle jeder Lichthalterung unter dem Vorbau oder unter dem Computer-Mount im Weg.

Recht viele Gurte und Klettverschlüsse :)

Ortlieb liefert zu den Taschen auch diverse Ersatz- und Zusatzgurte mit. So kann man notfalls auch eine improvisierte Halterung oder Befestigung basteln. Umgekehrt sind die vorhandenen Gurte (vor allem an Lenkerrolle und Satteltasche) teilweise recht lang, sodass stellenweise nicht mehr ganz klar ist wo diese hingehören oder verstaut werden sollen. Das letzte was man möchte, sind schlackernde Gurte oder am Ende sogar Dinge, die sich in den Laufrädern verfangen können.

Ebenfalls ein Thema sind empfindliche Karbonrahmen, die eventuell durch die Befestigungsgurte der Taschen abgenützt oder sogar beschädigt werden könnten. Ortlieb selbst gibt an, dass die eigenen Produkte auch für Karbonrahmen und -sattelstützen geeignet sind. Ich selbst konnte an meinen Rädern keinerlei Abnützung oder Spuren entdecken. Die Klettverschlüsse und Gurte haben in der Regel eine “weiche” Seite, im Normalfall wendet man diese dem Rahmen zu und nicht den aufgerauhten Klettverschluss. Wer hier auf Nummer sicher gehen möchte, kann unter den Befestigungen noch transparente Kleber anbringen, dann kommt der Rahmen gar nicht mehr mit den Taschen in Berührung.

Im “täglichen” Gebrauch wird vor allem die Rahmentasche für mich eine tolle Erweiterung bleiben, sobald das mitgeführte Gepäck die Kapazität der Trikottaschen übersteigt. Satteltasche und Lenkerrolle werden mich hingegen nur auf ausgedehnten Touren begleiten. Und von denen hab ich noch einige vor - bin ich doch gerade erst auf den Geschmack gekommen… ;)

Disclaimer

Handlebar-Pack, Accessory-Pack, Seat-Pack und Cockpit-Pack wurden mir von Ortlieb für diesen Test zur Verfügung gestellt.

Martin Blum von der Mobilitätsagentur Wien im Interview

Die Mobilitätsagentur ist in Wiens erste Anlaufstelle, wenn es um Fuß- oder Radverkehr geht. Martin Blum ist in der Funktion des Radverkehrsbeauftragten in erster Linie für den Alltagsverkehr zuständig, natürlich besitzt aber auch der Freizeitverkehr (Touren, Rennrad, Mountainbike) einen hohen Stellenwert, der bei unterschiedlichen Überlegungen entsprechende Relevanz zeigt. Im Gespräch mit 169k spricht Martin Blum über Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Alltags- und Freizeitradler*innen, die Entwicklungen der letzten Jahre und Radfahren als Teil eines urbanen Theaters.

Was ist der Status Quo in Bezug auf Radfahren in Wien - bist du grundsätzlich zufrieden, worüber freust du dich, wo siehst du noch Verbesserungsbedarf?

Es wird besser und besser in Wien zu radeln, in vielen Teilen der Stadt kann man schon sehr gut voran kommen - vor allem im Alltag. Und es wird daran gearbeitet, dass auch noch jene Stellen verbessert werden, wo man sich jetzt denkt „das ist mir ein bissl zu steil, da im Alltag zu fahren…“

Woran orientiert man sich dabei sinnvollerweise im internationalen Vergleich?

Städte zu vergleichen ist immer etwas heikel, weil jede Stadt einzigartig ist, eine eigene Struktur hat, unterschiedliche Kulturen, sich unterschiedliche Verkehrsmittel etabliert haben. Sinnvollerweise schaut man eher auf das Funktionieren bestimmter Teilbereiche. Beim Radfahren ist natürlich immer ein Blick auf die skandinavischen Städte angebracht (z.B. Stockholm und Kopenhagen), die haben allerdings nur ein Drittel der Größe Wiens und sind daher auch wieder nur bedingt vergleichbar. Wir schauen natürlich auch sehr stark nach Deutschland: Hamburg, München, Berlin. Im Vergleich zu den deutschen Städten ist Wien eine sehr gute „Öffi-Stadt“ - kulturell geprägt. Und Wien hat beim Radverkehr in den 80er Jahren eigentlich wieder von Null gestartet. Es hat ja schon ein Radwegenetz gegeben, das allerdings im Zuge der Massenmotorisierung schrittweise abgebaut wurde und erst mit dem Ringradweg wiederauferstanden ist - und jetzt geht es Jahr für Jahr weiter voran.

Was sind die aktuellen Ziele und Zahlen?

Wir haben derzeit sieben Prozent Radverkehrsanteil - wobei man hier stark differenzieren muss: In den Innenbezirken sind wir bei etwa 15%, in den Außenbezirken entsprechend darunter. Während es sich also in den Innenbezirken deutlich nach oben entwickelt, haben wir in den äußeren Bereich noch viel zu tun, was schnelle und komfortable Radfahrmöglichkeiten betrifft.

Wer ist der oder die Wiener Radfahrende? Weiß man, wer das ist?

Ja grundsätzlich schon. Die Radfahrenden sind natürlich eine sehr diverse Gruppe, zusammengesetzt aus allen möglichen Schichten und Gruppen - das ergibt ein sehr buntes Bild. Man braucht auch nur einmal an einem schönen Sommerwochenende auf die Donauinsel zu schauen, was da für unterschiedliche Menschen unterwegs sind. Tendenziell ist der Wiener Alltagsradfahrer eine Spur häufiger männlich als weiblich, er ist gut gebildet (meistens Matura oder Hochschulabschluss) und hat ein überdurchschnittliches Einkommen. Was ja zu einem gewissen Grad auch paradox ist, weil Radfahren ein dermaßen egalitäres und niederschwelliges Transportmittel ist und damit gerade allen Gruppen gleichermaßen zur Verfügung steht. Man bekommt günstig Räder, man kann ohne Kosten mit dem Fahrrad unterwegs sein, wenn man etwas handwerkliches Geschick besitzt, kann mann auch ein Service oder kleinere Reparaturen selbst durchführen.

Muss ein Radfahrer gleichzeitig immer ein Kämpfer sein - sich seine Position erstreiten?

Es gibt natürlich sehr unterschiedliche Radfahrer - das Sicherheitsthema ist jedenfalls vorhanden. Allen Gruppen gemein ist, dass man entsprechend verwundbar ist - es gibt keine Knautschzone, dementsprechend ist da eine hohe Sensibilität vorhanden. Und es ist wichtig, das wir in unserer Stadtplanung und Straßengestaltung genau auf diesen Aspekt Rücksicht nehmen. Für mich ist ein positives Zeichen, wenn auf der Straße immer mehr Radfahrer*innen unterwegs sind, die auch eine gewisse Ruhe und Souveränität ausstrahlen, die „ganz normal“ Rad fahren, in der Alltagskleidung.

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Trotzdem ist das Ganze nach wie vor emotional aufgeladen - im Zusammenleben der unterschiedlichen Verkehrsarten und mitunter auch unter den Radfahrenden selbst. Welche Möglichkeiten gibt es da, weiter zu ent-emotionalisieren?

Es menschelt halt überall. Redet man mit Leuten, die in den späten 80ern in Wien mit dem Rad unterwegs waren, erzählen sie, dass sich alle Radfahrer untereinander gekannt haben. Und vom Autoverkehr wurde man damals wirklich noch geradezu physisch genötigt, teilweise abgedrängt und beschimpft. Heute ist das insofern anders, als die Radfahrenden mittlerweile schon eine kritische Masse erreicht haben. Wenn ein Auto rechts abbiegt, dann schauen Autofahrer zuerst, ob auf dem Radweg wer kommt - das ist jetzt mehr im Verhalten verinnerlicht. Redet man mit jenen, die schon seit vielen Jahren im Wiener Alltag das Rad nutzen, die spiegeln einem schon zurück, dass sich einiges stark verbessert hat. Es geht ja insgesamt auch um das Thema, eine lebenswerte Stadt für alle zu schaffen. Da gehört auch dazu, das Tempo in der Stadt zu reduzieren, dass an Hauptstraßen getrennte Radwege zur Verfügung stehen (das ist mittlerweile auch die gefestigte planerische Meinung), Lücken im Radwegenetz zu schließen (z.B. die Linke Wienzeile) und vieles mehr. Insgesamt gibt es immer noch viel zu tun - große Aufgaben warten hier noch auf uns. Eine Herausforderung ist auch, jene aufs Fahrrad zu holen, die jetzt noch nicht zu den 7 % Radverkehrsanteil gehören. Was braucht es, um die zu erreichen? Welche Voraussetzungen wünschen sich die? Das ist sehr spannend und ich hoffe, dass wir hier in den nächsten Jahren noch eine Schritt weiter kommen.

Ich würde mir ja auch wünschen, dass die Radfahrenden selbst mehr dafür tun würden, die positiven Seiten des Radfahrens nach außen zu tragen. Sicher ist es ärgerlich, wenn der Radweg zugeparkt ist, aber ich würde selbst lieber lesen wollen „bin schnell dort und dort hingekommen und hatte Spaß dabei“ …

Ja, das Fahrrad ist ein großartiges Verkehrsmittel, man ist in der Stadt schnell - wirklich schnell, und tut seiner Gesundheit etwas Gutes. Sicher, in der kalten Jahreszeit muss man sich mitunter in der Früh überwinden, aber sobald man die ersten Tritte gemacht hat, passt es. Das ist eine sehr positive Emotion und hier ist es wichtig, das nach außen zu transportieren. So kann man auch Leute gewinnen. Da kann Kommunikationsarbeit natürlich auch in großem Maße helfen, die positiven Aspekte in den Vordergrund zu stellen.

Wenn da wer lächelnd an mir vorbeifährt, dann bin ich ja eher gewillt, das auch auszuprobieren…

Ja genau! Letztendlich ist das Fahrrad auch ein bisschen eine Bühne in der Stadt. Man sitzt am Fahrrad und präsentiert sich, man ist Teil des urbanen Theaters und das ist ja was Positives. Man fährt völlig verbunden zu seiner Umgebung und in einer Geschwindigkeit die meines Erachtens nach menschen- und stadtverträglich ist.

Zum Freizeitradeln. Welchen Beitrag kann Freizeitradeln zur Masse der Radfahrenden beitragen, auch zur Verankerung von Radfahren in Kultur und Gesellschaft? Oder ist der Rennradfahrer vielleicht sogar der, der in der Freizeit Rad fährt und danach mit dem Auto in die Arbeit fährt?

Positiv ist jedenfalls, dass es eine große Gruppe an Menschen gibt, die sich in der Freizeit aufs Rad setzen. Es gibt ein riesiges Angebot, egal ob das jetzt die Donauinsel ist, das Weinviertel, Donauradweg oder Neusiedler See. Die Menschen genießen das, kaufen sich Fahrräder, um das noch besser erleben zu können. Gleich ist das bei den Rennradfahrer*innen, da hat sich in den letzten Jahren massiv etwas entwickelt, die Leute wollen etwas spüren und erleben und erfahren. Und wenn man sich dann vor Augen führt, dass es diesen Bruch gibt: „Ja, in der Freizeit schon, aber im Alltag nicht“. Liegt das an den Bedingungen in der Stadt, die aktuell vorherrschen, dass es da diesen Bruch gibt? Wenn man es in der Freizeit macht, dann sollte es ja auch im Alltag eine Freude sein…

Jede*r Freizeitradler*in ist also ein*e potentielle*r Alltagsradler*in?

Genau, da gibt es riesiges Potential! Und wenn wir die Stadt noch ein Stück radfreundlicher machen, werden sicher viele sagen „Ja , ich fahre auch im Alltag mit dem Rad!“ Es gibt auch Umfragen, die belegen, dass für viele Menschen das Fahrrad das „Lieblingsverkehrsmittel“ ist, aber nicht jenes, mit dem sie zwingend zur Arbeit fahren wollen. Diesen Umstand gilt es zu ändern, die Leute sind da jedenfalls empfänglich.

Wie verträgt sich Alltagsradeln und Freizeitradeln in Bezug auf Infrastruktur - wie groß ist das Konfliktpotential aufgrund des Nutzungsmixes? (v.a. Donaukanal, Donauinsel, usw.)

Zu Stoßzeiten oder an einem schönen Wochenende erzeugt es natürlich mitunter Stress, wenn Rennradler*innen mit hohen Geschwindigkeiten auf Radwegen oder gemischten Wegen unterwegs sind, da gibt es auch Kinderspielplätze oder andere Stellen, wo andere Dinge unvermittelt passieren können. Umgekehrt gibt es viele Zeiten, wo man absolut ungestört unterwegs sein kann.

Ich sage immer, man muss gedanklich seine Tour beim Einlaufbauwerk am Donaukanal beenden - es macht keinen Sinn, mit Tempo 35 weiterzufahren. Da wird wohl keine gemischte Infrastruktur jemals dafür geeignet sein.

Ja, das stimmt. Die dezidierte Sportausübung ist da einfach eine andere Geschichte, da appelliere ich auch an Vernunft und Verständnis der Radler*innen, dass das Flächen sind, wo man rücksichtsvoll unterwegs sein sollte.

Die Frage, was die beiden Gruppen sich voneinander abschauen können, ist dann eigentlich schon beantwortet - dass der Freizeitradler ein potentieller Alltagsradler ist und sich vielleicht inspirieren lässt, wenn er in der Stadt andere lächelnd an den Autos vorbeifahren sieht. Umgekehrt spricht natürlich nichts dagegen, dass der Alltagsradler zuhause sein Stadtrad abstellt und noch eine Runde auf dem Freizeitrad dreht.

So ist es. Was schon ein Potential hat, - da sind wir in Wien noch recht am Anfang: wir haben auf der Favoritenstraße stadtauswärts über den Laaer Berg Richtung Süden einen großen Radweg, wo man durchaus auch als Rennradfahrer*in unterwegs sein kann, weil er entsprechend großzügig geplant und gut trassiert ist. Die Stadt Wien hat ein Bündel von 13 hochrangigen Radverbindungen definiert, die das Stadtzentrum mit dem Umland verbinden, die jetzt nach und nach zur Umsetzung kommen. Und die richten sich auch an den „sportlicheren Alltagsradler“, der über längere Strecken in die Arbeit fährt. Teilweise springen auch die Unternehmen auf diesen Zug auf, es gibt Infrastrukturen von Nasszellen bis hin zu speziellen Garderoben usw. In so einem Gesamtpaket kann man die sportlichen Radfahrenden vielleicht auch für den täglichen Weg in die Arbeit gewinnen.

Mir war ja als reiner Rennradfahrer lange gar nicht bewusst, wo genau die Radwege in Wien verlaufen - zu sehr ist man auf Straßen fixiert. Da fährt man schon mal die Neuwaldeggerstraße hinein und plagt sich über Gleise und Kopfsteinpflaster, dabei wäre hinter der Alszeile ein gut ausgebauter Radweg. Seitdem ich weiß, das es diese Einfahrt nach Wien gibt, ist das Zurückkommen nach Wien entspannter und ruhiger. Da könnten sich Rennradler*innen vielleicht etwas kundiger machen, wo die Radwege sind, sofern die eben auch mit dem Renner gut nutzbar sind.

Absolut. Es gibt da tolle Dinge wie auch die Heatmap der Bike-Citizens, da sieht man auch recht gut wo die Leute unterwegs sind.

Heatmap Wien (bikecitizens.net)

Etwas ähnliches gibt es von Strava, die bieten ja tatsächlich mit ihren Daten auch Kooperationen mit Stadtverwaltungen an.

Ja es gab diesbezügliche Anfragen, aber da sind die Daten tatsächlich zu sport- und freizeitbezogen, der Alltagsverkehr war nicht entsprechend abgebildet.

Welche Initiativen gibt es konkret, um noch mehr Menschen für das Radfahren zu begeistern?

„Radelt zur Arbeit“ startet als „Wien radelt“ in einem neuen Format durch, mittelfristig soll das eine österreichweite Motivationskampagne für das Radfahren werden, die auch entsprechend durchschlagskräftig ist. Es ist sehr wichtig, den Menschen etwas Motivation zu geben. Es gibt weiterhin die jährlich aktualisierte „Radkarte Wien“ - ich freue mich immer, wenn ich jemanden sehe, der mit der Radkarte Wien in der Hand unterwegs ist - auch Touristen. Die Karte kann man übrigens bei der Mobilitätsagentur gratis bestellen. Und auch in Zeiten digitaler Karten ist eine Papierkarte noch immer eine gute Möglichkeit, um sich einen Überblick zu verschaffen über die räumliche Situation und unterschiedliche Routen. Und auf der Homepage „Fahrrad Wien“ gibt es den Rad-Routenplaner.

Durch den habe ich tatsächlich schon Radwege gefunden, von deren Existenz ich vorher nichts gewusst habe - wo ich plötzlich komplette Wege auf Radwegen zurücklegen kann statt auf Straßen.

Absolut, und man lernt dabei auch noch die eigene Stadt und neue Ecken kennen!

Das Bike Festival steht vor der Tür - welchen Stellenwert hat das Festival als Saisonstart, Statement und Symbol?

Wien kann sich als Stadt glücklich schätzen, so ein großes Rad Festival zu haben. Es ist der symbolische Saisonauftakt, eine Motivationshilfe, aufs Rad zu steigen. Die Radparade ist mittlerweile ein Fixpunkt mit mehreren tausend Radfahrenden auf der Wiener Ringstraße. Und trotz der Menge an Menschen merkt man, wie ruhig es plötzlich auf der Straße ist. Und man kann sich natürlich bei den Ständen eine Überblick verschaffen über neue Produkte und Trends.

Zum Abschluss: Wie fährst du in fünf Jahren in die Arbeit?

Mit dem Fahrrad natürlich! ;)

Dachsteinrunde

Mit 160 Kilometern und knapp 2.000 Höhenmetern ist eine Dachsteinumrundung mit dem Rennrad - rein nominell - jetzt nicht das Härteste und Außergewöhnlichste, was es gibt. Dennoch ist die Umrundung eines der bedeutendsten österreichischen Gebirgsstöcke etwas Besonderes. Vor allem bei Mountainbikern ist die ein- bis dreitägige Umrundung beliebt - auf Wegen, die teilweise auch bei der legendären Salzkammergut-Trophy unter die Stollenreifen genommen werden. Und auch Wanderer treiben sich - absolut zu recht - sehr gerne in der Dachsteinregion umher, findet man doch Wanderwege en masse und Ausblicke zum Niederknien wohin man auch schaut!

Object of Desire - Der Dachstein

Für mich besteht der Reiz dieser Runde vor allem im Erleben und Erfahren von derart unterschiedlichen Landschaften, Eindrücken und Aussichten. Man durchmisst drei unterschiedliche Bundesländer (und bemerkt das irgendwie auch!), durchquert unterschiedliche Vegetationen, überwindet Pässe, erforscht entlegene Gegenden und - zumindest für mich etwas Besonderes - man "schafft etwas". Am Ende der Runde wieder am Startpunkt anzukommen ist ein befriedigendes Gefühl wenn man daran denkt, was man zwischen Start- und Endpunkt alles erlebt hat.

Neben meinen Erfahrungen, gespickt mit zahlreichen Fotos, möchte ich euch eine kurze Streckenbeschreibung zusammenstellen, aber lest selbst (und dann FAHRT selbst!)...

Richtungsweisend...

Ich bin alle Streckenabschnitte dieser Runde auch schon in die andere Richtung abgefahren - nicht im Rahmen einer einzigen Dachsteinumrundung sondern als Teil anderer Touren. Außerdem hab ich einige - mehr oder weniger versteckte - Winkel der Region kennenlernen dürfen, die ich euch gerne vorstellen möchte. Die Dachsteinrunde kann man im Endeffekt sehr individuell gestalten - mit Abkürzungen, Umleitungen, Erweiterungen, Extraportionen und Highlights.

Schladming - Stein an der Enns

Das an sich schöne Ennstal hat ein großes Problem - und das nennt sich "B320". Man hört es, wenn man am Abend am Berghang am Balkon sitzt - man sieht es die Landschaft durchschneiden - man riecht es manchmal auch. Als Radfahrer sieht man sich spätestens mit der Bundesstraße B320 konfrontiert, wenn man im Talboden des Ennstals halbwegs flott vorankommen möchte. Ich war mit dem Rad jetzt schon oft im Ennstal unterwegs. Es gibt kleine Wirtschaftswege mit teilweise ungewissem Ende, es gibt den an sich gut ausgebauten Ennstalradweg R7, der allerdings immer wieder auch Wald-, Erd- und Schotterpassagen bereithält, es gibt stellenweise eine "alte Bundesstraße" und eben die B320. Bei jedem meiner Versuche hab ich mich bisher allerdings mindestens einmal verfahren (trotz Strava und Routenplanung), bin im Wald gelandet, musste Umwege fahren, stellenweise umkehren oder bin auf der unseligen B320 im doch recht schonungslosen (Schwer-)Verkehr gelandet. So habe ich auch dieses Mal einige Kilometer auf der B320 zurückgelegt - irgendwann werd ich ihn finden - DEN Weg durchs Ennstal. Die Variante über Stein bedeutet für die Dachsteinrunde übrigens einen kleinen Umweg und eine zusätzliche Steigung - die Direttissima würde über Gröbming führen - richtig geraten: auf und neben der B320.

Das Ennstal Richtung Haus im Ennstal - rechts der Talboden, links würde es über Birnberg Richtung Ramsau gehen

Stein an der Enns - St. Martin am Grimming

In Stein an der Enns angekommen - hier gehts rechts Richtung Sölkpass hinauf, der allerdings im Winter zumeist unpassierbar ist - biegen wir nach links ab, haben fürs Erste mal genug vom Ennstal. Wir vorher schon gesagt, um die B320 zu vermeiden, nehmen wir einen kleinen Umweg in Kauf - der zahlt sich aber jedenfalls aus! Von Stein aus klettern wir hinauf auf den Mitterberg - kein Verkehr, kleine Straßen und ein großartiger Ausblick auf die umliegenden Berge!

Kurzer aber knackiger Anstieg nach Ratting

Blick Richtung Süden, irgendwo da hinten ist der Sölkpass

15 Minuten vorher noch auf der B320, jetzt plötzlich alleine (aber noch immer im Ennstal)

Von Ratting gehts fließend bergab Richtung Tipschern, dem östlichsten Punkt der Runde und gleichzeitig unsere letzte Station im Ennstal. Die Route dreht Richtung Norden, das Panorama bestimmen der prägnante Grimming im Osten sowie der Stoderzinken im Westen. Auf Zweiteren gibts eine recht brutale Stichstraße hinauf, die lassen wir aber mal links liegen - wir haben ja noch einen weiten Weg vor uns!

Grimming voraus

Pass Stein

Von Tipschern im Ennstal nach Bad Mitterndorf im steirischen Salzkammergut führt die Landesstraße L729 - auch bekannt als Pass-Stein-Straße. Im Jahr 2003 hat ein Felssturz große Teile der Straße zerstört, die Sperre, die danach verhängt wurde besteht bis heute - und das nicht nur für KFZ sondern auch für Wanderer und eben auch Radfahrer. Die Steinschlaggefahr ist nach wie vor gegeben und auch sichtbar, die letzten 10 instandhaltungsfreien Jahre haben auch dazu beigetragen, dass die ehemalige Landesstraße nur noch in Teilen vorhanden ist. Dennoch lassen sich Radler und Wanderer nicht von den flächendeckenden Verbotstafeln und Schranken abhalten. Der landschaftliche Reiz und die Schönheit, der idyllische Salzastausee, das Fjord-artige, die Verlassenheit und das Abenteuerliche überwiegen bei weitem!

Geschwindigkeitsrekorde werden mit dem Rad dort keine gebrochen, materialschonendes Dahinrollen auf Schotter, Stein und Holz mischt sich mit Staunen und zahlreichen Fotostopps!

Steiler Stich von Tipschern hinauf Richtung Pass Stein

Die Straße wird schlechter, einmal noch der Blick auf den Grimming

Kurz vor dem Schranken samt Fahr- und Gehverbot der letzte Blick Richtung Süden, bevor es in die Schluchten des Pass Stein geht

Zwei unbeleuchtete aber kurze Tunnel werden durchfahren - Untergrund ungewiss

Das Foto kann die Dimensionen und vor allem die Stimmung nicht wiedergeben...

Als ob Schotter und Stein noch nicht genug werden, kommen auch noch Holzarbeiten dazu...

Das andere Ende des Pass Stein - die Schlucht übergibt einen an das steirische Salzkammergut

Blick zurück auf den Grimming - diesmal schon von der anderen Seite

Bad Mitterndorf - Bad Aussee

Auch hier gibts eine Bundesstraße - die B145 -, die aufgrund des Verkehrsaufkommens eher zu meiden ist. In diesem Fall ist das allerdings vollkommen unkompliziert, führt doch gleich daneben schön wellig eine parallele Straße dahin. Zeit, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen, man merkt, dass man in einer anderen Region gelandet ist.

Von Kainisch moderat hinauf Richtung Gschlössl

Zwischen Kainisch und Bad Aussee bietet sich als Alternative zur B145 die Strecke über die "Alte Salzstraße" bei Gschlössl an. Nach einem kurzen Anstieg nach Kainisch rollt man hinunter Richtung Aussee und kann dabei im Norden das tolle Bergpanorama rund um den Grundlsee und den Altauseer See genießen.

Blick Richtung Norden - rechts der Grundlsee, links der Altausseer See mit Loser

Bad Aussee bietet sich wiederum für eine kleine Stärkungspause an :)

Koppenpass

Wer "Koppenpass" liest und dabei ein mulmiges Gefühl oder gar leichte Angstzustände bekommt, ist die Strecke vermutlich schon einmal in die Gegenrichtung gefahren. Von Obertraun Richtung Aussee ist der Koppenpass ein kurzer aber berüchtigter Anstieg mit einer maximalen Steigung von 23 Prozent auf einer Länge von rund 600 Metern. In die andere Richtung schaut das Ganze um einiges gemütlicher aus. Nach der Ausfahrt aus Bad Aussee baut sich vor einem zwar eine gemein ausschauende Rampe auf, die allerdings relativ schnell und schmerzlos überwunden wird. Nach diesen wenigen Höhenmetern rollt man - wiederum durch eine neue Landschaft! - durch den Wald Richtung Hallstätter See. Der Verkehr in diesem Abschnitt ist minimal, man ist alleine mit sich und der tollen Landschaft!

Direkt nach dem Ortsschild von Bad Aussee geht´s gleich kurz zur Sache!

Koppenpass auf 690m Seehöhe

Wer sich herausfordern möchte, fährt den Koppenpass von Obertraun hinauf!

Den Koppenpass bergab heißt es "Lenker und Bremsgriffe festhalten" ehe man unten durch Obertraun rollt. Materialseilbahnen und Bergwerke zeugen von der Bedeutung dieser Region, am Ufer des Hallstätter Sees angekommen rollt man schon auf das nächste Highlight zu!

Hallstatt

Am Radweg neben der Bundesstraße rollt man gemütlich am Hallstätter See entlang bis ins Zentrum von Hallstatt. Während Autos mittels Tunnel-Umfahrung aus der Stadt verbannt wurden, fährt man mit dem Rad gemütlich durchs Ortszentrum. Wobei "fahren" relativ ist...

Bekanntermaßen wurde ja irgendwo in China eine relativ originalgetreue Kopie Hallstatts hingeklotzt, beim Durchfahren der Stadt könnte man allerdings auch meinen, sich im Fernen Osten aufzuhalten - angesichts asiatischer Touristenmassen. Wer in Eile ist oder schwache Nerven hat, sollte vielleicht einen anderen Weg durch Hallstatt suchen, ansonsten rollt man mit einem Lächeln und manchmal einem leichten Kopfschütteln durch die Heerscharen an Selfie-Sticks.

Hallstatt - Gosau

Nach der Durchfahrt von Hallstatt gehts noch ein paar Kilometer am Hallstätter See entlang Richtung Gosauzwang - ein Blick zurück auf den Hallstätter See ermöglicht noch einmal ein ruhiges Durchatmen. Danach biegt die Straße links hinauf Richtung Gosau. Von der Dachsteinrunde ist jetzt die Hälfte geschafft, die nächsten Kilometer führen durchwegs bergauf.

Der Blick zurück über den Hallstätter See - von dort hinten links sind wir gekommen

Die Straße nach Gosau windet sich als Klamm mit sehr moderater Steigung hinauf. Der Verkehr ist überschaubar, die Umgebung etwas erdrückend und einengend. Dafür öffnet sich nach einigen Kilometern wieder die Landschaft und man befindet sich in Gosau quasi auf der Rückseite des Dachsteins, der sich auch prominent vor einem ausbreitet. Ein kurzer Foto- und Verpflegungsstop ist hier durchaus angebracht.

Gosau - die "Rückseite" des Dachsteins

In Gosau bietet sich die Möglichkeit, einen kleinen Stich zu den Gosau-Seen zu fahren. Bei mir ist sich das bisher leider nicht ausgegangen, steht aber aufgrund der Schönheit der Landschaft weit oben auf meiner To-Do-Liste.

Pass Gschütt

Wie schon bei der Ausfahrt aus Aussee stellt sich auch nach der Ortstafel von Gosau unmittelbar die Straße auf - diesmal zum Pass Gschütt. Das Schild sagt 13 Prozent auf 2,5 Kilometern, Strava bestätigt das im Groben. Die Straße ist drei Spuren breit, dadurch entsteht der Eindruck zu Stehen während man im ersten Gang den Berg raufwackelt. Dafür ist es aber nach diesen 2,5 Kilometern auch schon wieder vorbei und ab dort geht´s nur noch flach und bergab dahin bis Abtenau - und das Ganze mit dem Bergpanorama des Salzburger Landes. Mit dem Pass Gschütt auf 969m Seehöhe hat man nämlich die Grenze von Oberösterreich nach Salzburg überquert. Landesschild benötigt man dafür keines, eine Grußbotschaft für Marcel Hirscher muss reichen...

Direkt nach der Ausfahrt aus Gosau geht´s weiter mit dem Höhenmetersammeln!

Dreispurig mit 13% Steigung - fühlt sich endgültig an wie Stehen

Passhöhe auf 969 Metern, Danke Marcel!

Pass Gschütt, flott bergab, die Salzburger Berge voraus

Pass Gschütt, flott bergab, die Salzburger Berge voraus

Die Abfahrt vom Pass Gschütt mündet in einen kurzen Anstieg hinauf Richtung Abtenau, unsere Route dreht Richtung Süden. Das Pass Gschütt von Abtenau Richtung Gosau ist dem Streckenprofil entsprechend flacher aber bedeutend länger - je nachdem welche Chrakteristik man bevorzugt... Für unsere Route gibts an dieser Stelle eine mögliche kurze Abkürzung - mit der kleinen Straße "Leitenhaus" entlang der Lammer kann man sich den Ansteig Richtung Abtenau ersparen.

Abtenau - Eben im Pongau

Vor Abtenau biegt die Strecke ab Richtung Süden durch das Lammertal. Damit man nicht vergisst, was man hier eigentlich macht, baut sich am Horizont wieder der Dachstein vor uns auf - diesmal mit seiner eher zerklüfteten und teilweise dramatischen Westseite. Durch das Lammertal vorbei an Annaberg und Lungötz führt uns die Straße durch den Tennengau. Die Straße ist stellenweise nicht allzu gut beschaffen, außerdem ist teilweise der Verkehr recht dicht. Industriebetriebe und die Holzindustrie induzieren zusätzlichen LKW-Verkehr. Die Straße verläuft realtiv unscheinbar und - im Vergleich zum davor Gesehenen - eher unspektakulär durch Wälder, Schluchten und kleine Ortschaften. Außerdem gewinnt man immer noch an Höhe und erreicht in St. Martin am Tennengebirge den höchsten Punkt der Runde. Noch immer unterhalb der 1.000-Meter-Marke, wobei man den höchsten Punkt wahrscheinlich woanders auf der Runde vermutet hätte.

Großartiges Dachstein-Panorama bei der Fahrt Richtung Lammertal (Abtenau im Rücken)

Zwischen Annaberg, Lungötz und St. Martin am Tennengebirge

Die luxuriöse Tankstelle in St. Martin am Tennengebirge bietet außerdem noch ein Möglichkeit für eine letzte Versorgung und Rast - die Tankstellen sind in dieser Gegend mitunter eher rar und "Nah & Frisch"-Filialen pflegen hier noch traditionelle Mittagspausen - also verpflegen, wann immer es möglich ist!

Über einen kurzen Anstieg kommt man am Ende des Lammertals nach Eben im Pongau. Hier kann man sich grundlegend entscheiden, ob man über Filzmoos und Ramsau zurück nach Schladming möchte, oder eher den Talboden bzw. das Ennstal bevorzugt. Ab hier gibt es einige Varianten mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden - die Filzmoos-Ramsau-Variante ist eine der anspruchsvolleren.

Durch Eben geht´s über die Bundesstraße durch den Ort oder über meine präferierte Variante entlang der Eisenbahn und auf dem Radweg neben der Bundesstraße.

Rechts hinter der Bahn befindet sich das Ortszentrum von Eben im Pongau - gerade voraus in der Ferne die Tauern mit Obertauern

Eben - Schladming

Von hier geht´s "nur" noch zurück nach Schladming. Wie schon gesagt, es gibt zahlriche Möglichkeiten, nach Schladming zurück zu kommen. Von Eben nach Radstadt ist die "Alte Römerstraße" zu empfehlen, damit erspart man sich einerseits den Verkehr auf der Bundesstraße, andererseits bekommt man dafür einen großartigen Ausblick.

Die "Alte Römerstraße" von Eben nach Radstadt: links im Hintergrund der Dachstein, links im Tal führt die B320 zurück nach Schladming, rechts daneben im Tal der R7-Ennstalradweg, über den "Hügel" in der Mitte führt die Straße nach Forstau, rechts geht´s Richtung Obertauern hinauf.

Im Fall dieser konkreten Runde habe ich den - meistens vorhandenen! - Westwind ausgenützt, und mich auf der an sich ungeliebten Bundesstraße 320 mit 45 km/h nach Hause tragen lassen. Der Radweg R7 ist in diesem Bereich nicht wirklich für Rennräder geeignet und führt teilweise durch tatsächliche Waldstücke auf gänzlich unbefestigten Wegen. Die Straße über Forstau ist auf diesem Abschnitt ein Zuckerl, das man mitnehmen kann aber nicht muss. Man vermeidet die Bundesstraße, bezahlt dies jedoch mit durchschnittlich 8% Steigung auf 3,4 Kilometern. Your choice.

Der schwierige Anstieg von Radstadt nach Forstau - wie immer den Dachstein im Blick

Spätestens in Gleiming bzw. Pichl kommen alle Wege ohnehin wieder zusammen. Von dort bietet sich der Radweg für die restlichen Kilometer an. Ruhig fährt man im Talboden dahin, die wenigen nicht befestigten Passagen tun dem Rennrad in keiner Weise weh.

Der Ennsradweg R7 bei Pichl

Auch der Ennsradweg R7 - fester Schotter, der auch geeignet ist für Rennräder

Wieder in Schladming angekommen, kann man seinen Erfolg genießen und sich daran machen, die gewonnenen Eindrücke zu verarbeiten - und es waren viele tolle Eindrücke!

Und wer so wie ich gerne dem Schladminger Trubel entgeht und lieber am Berg in Rohrmoos wohnt, darf auch noch einige Höhenmeter mehr abspulen - aber was tut man nicht alles für eine tolle Aussicht...!

Hier die Strava-Route, hier das Relive-Video!

Kreis geschlossen, zurück am Startpunkt, Beine hochlagern!