Steiermark - Grundsätzliches

In den letzten Jahren war ich überproportional oft und viel in Oberösterreich unterwegs. Zum Beispiel bei der Race Around Austria Challenge entlang der oberösterreichischen Grenzen, wobei - und das wissen nicht alle - die RAA Challenge rund um OBERösterreich auch kurz nach NIEDERösterreich und auch nach Salzburg führt). Ich war unzählige Mal am Attersee bei King of the Lake. Und auch wenn es in und rund um das Salzkammergut immer wieder territoriale Unklarheiten gibt, ordne ich die Salzkammergut-Trophy jetzt einfach mal Oberösterreich zu. Und auch ohne Rad...: Fotografieren bei der Oberösterreich-Rundfahrt, Begleitung des RAA200, Promo-Tour bei Löffler in Ried, Micro-Escape auf der Mühlviertler Alm, und und und. All diese Aktivitäten und Veranstaltungen haben mir nicht nur viele schöne Kilometer am Rad beschert sondern auch die Gesellschaft, Bekanntschaft und da und dort sogar Freundschaft mit vielen netten Menschen - Danke dafür an dieser Stelle, you know who you are...

Und dann war da plötzlich die Steiermark!

November 2023, Oliver und Claudia theatern mich spontan in einen Ausflug in die Südsteiermark, eine „Gravel Extravaganza“ stünde auf dem Programm. Ich bin nicht ganz fit und außerdem wäre es mein Geburtstagswochenende und ich hätte schon Pläne... Aber spontane Dinge sind oft die besten und im Nachhinein betrachtet war dieses Wochenende wohl der Startschuss für meine „Steiermark-Phase“. Nicht falsch verstehen: Ich bevorzuge kein Bundesland gegenüber einem anderen, hege keinen Gram gegen das eine oder das andere und habe (mit dem Rad und abseits) schon in jedem Winkel dieses Landes (und darüberhinaus) große und kleine Schätze gefunden. Sogar in jenen Ecken, von denen man üblicherweise nicht in den höchsten Tönen spricht. Das Rad und die Art und Weise und das Tempo, mit dem Rad zu reisen, machen es möglich. 

Steiermark also, und es ist irgendwie passiert. Zuvor war die Steiermark auf meiner Rad-Landkarte ein erstaunlich weißer Fleck - keine Ahnung warum, es hat sich wohl bis dahin noch nie so richtig ergeben. Und dann eben die Gravel Extravaganza im November 2023. In der Südsteiermark rund um Gamlitz und Leutschach war ich schon oft - mit der Familie, mit Freunden - in erster Linie zum Wandern, Essen und Wein Trinken. Ich liebe die fruchtigen und spritzigen Weine der sogenannten Steirischen Klassik. Die Wein-Wissenden werden jetzt mit dem Finger auf mich zeigen, ist doch die Steirische Klassik der Wein für die Masse - eher gefällig und leicht zugänglich, quasi der Prolet aus dem Stahltank im erlauchten Kreis der Lagenweine, die gemütlich und ohne jeglichen Stress in Holzfässern vor sich hin schlummern, um ihre komplizierten Aromanoten zu entwickeln. Aber reden wir nicht über den Wein - mittlerweile nehme ich ohnehin eher Traubensaft für die Kinder mit in den 6er-Kartons im Kofferraum.

Weinlandhof Gamlitz

In Gamlitz steht der Weinlandhof, ein großes Hotel, dem man sein feines Gespür für Radfahren, Geselligkeit und „the good life“ auf den ersten Blick vielleicht gar nicht so ansieht. Man muss aber nur reingehen und mit Thomas und Chrissi plaudern und schon wird man in eine neue, schöne Welt hineingesogen. Die beiden waren und sind es dann auch, die das Spektrum der Besucher erweitern woll(t)en - idealerweise zuerst einmal an den ruhigeren Saisonrändern. Radfahren und Kulinarik ist eine Kombination, die immer geht und wer sich mit beidem auskennt, hat schon mal ein gutes Paket an der Hand. Die Gravel-Extravaganza (im Oktober/November) ist quasi der Newcomer, währenddessen der Gegenpart im Frühling - das sogenannte „Woamfoahn“ - schon auf eine kurze aber eindrucksvolle Tradition zurückblicken kann. Einmal ist man auf Schotter unterwegs, beim Woamfoahn auf der Straße mit Rennrädern - die Grundcharakteristik ist aber ähnlich: Gesamtpaket vom Weinlandhof, Wellness, kulinarische Köstlichkeiten (von Rosi), Buschenschankbesuche, geführte Touren (mit tollen und kundigen Guides), Rahmenprogramm und - sorry für meinen Bias ;) - die letzten Male gabs immer auch brandneue und edle BMC-Bikes zum Testen!

Ich könnte an dieser Stelle noch recht lange weiter schwärmen von der Südsteiermark, den Routen, den Ausblicken, dem Wein, der Gastfreundlichkeit... ich war sogar im Sommer mit meiner Familie im Weinlandhof auf Urlaub - ohne Rad :)

Uncharted Territory (for me)

Aber wie gesagt, die Gravel Extravaganza im November 2023 war irgendwie nur der Anfang einer längeren Steiermark-Geschichte. Irgendwie hat es mich dann noch ein paar Mal ins grünste Bundesland verschlagen.

Zu Allererst ist hier meine „Stammstrecke“ zu erwähnen - Wohnort Wien - Schwiegereltern Osttirol. Keine andere Strecke hab ich auf Komoot öfter geplant, ich habe mittlerweile eine eigene Collection nur mit Variationen dieser einen Relation - Schotter, Straße, lang, kurz, mit Umwegen, flotter, Tourist-Mode, you name it! Aber leider ergibt sich dann nur sehr selten eine tatsächliche Möglichkeit, die Strecke auch in Angriff zu nehmen, das Verhältnis „Reise mit dem Finger auf der Karte“ vs. „Wirklich in die Pedale treten“ steht irgendwo bei 100:1 ... Und auch leistungsmäßig is so eine Strecke von doch immerhin knapp 500 Kilometern vernünftig einzuordnen. Und da ich meine jeweils aktuelle Leistungsfähigkeit mittlerweile ganz gut einschätzen kann - man lernt halt Kinder, Krankheiten und so halbwegs zu quantifizieren -, habe ich mich im Frühjahr 2024 für eine gekürzte Variante Villach - Wr. Neustadt entschieden. (Den Radweg im Drautal kenne ich schon auswendig und auf der anderen Seite habe ich auch schon die meisten Reize des Wiener Beckens erschöpfend kennengelernt). 

Lange Rede kurzer Sinn: Aus dem schnellen Blick in die Karte ergibt sich schon, dass eine südliche Verbindung Osttirol-Wien einer Steiermark-Durchquerung gleichkommt. Und während die Gravel Extravaganza oder das Woamfoahn ja eher eine punktuelle oder regionale Angelegenheit sind (in deren Fall: Südsteiermark), bin ich ja ein Riesen-Fan von „Durchquerungen“, das inkludiert ja meistens ein richtige Kennenlernen einer Region, das Annehmen von Eindrücken, das Wahrnehmen von Veränderungen von Landstrichen, lokalen Kulturen, Geografien, Topologie und Menschen. Und da war die „Heimattour“ Richtung Wien eine steirische Offenbarung. Beginnend mit kleinen Nebenstraßen über die Pack, die mir Komoot kredenzt hat - anspruchsvoll steile aber verkehrsfreie und aussichtsreiche Wege zum Packer Stausee, um die Süd-Autobahn mäandrierend also genau diese Wege, die ich aus dem Auto immer sehnsuchtsvoll ins Auge gefasst habe. 

Dann das lautmalerische Örtchen Edelschrott schon am Rande der Pack mit einem weiten Blick Richtung Grazer Becken und danach eine lange und flowige Abfahrt Richtung Krottendorf (Gößnitzstraße!) um vom bergigen ins hügelige überzugehen. Wer mit den ganzen Ortsbezeichnungen wenig anfangen kann, schaut übrigens idealerweise bei meinem Komoot-Account vorbei, dort gibts sowieso alle meine Touren! Dann eine Übernachtung Nahe Hitzendorf (kennt man vom gleichnamigen 24h-Rennen), ein Schupfer über den Plabutschtunnel (unten rauscht man mit dem Auto durch, oben zwitschern die Vögel) und ein Pflicht-Stop für großartigen Kaffee und gute Laune bei Evas „Coffee Ride“ am Franziskanerplatz (Achtung: offiziell Radfahrverbot!).

Ein paar kurze Sätze hier zu Graz an sich: Ich war zu selten da (Schande über mich) und noch viel seltener mit dem Fahrrad (noch mehr Schande über mich) - ich kann daher nicht viel mehr sagen, als das immer schon viele Radlerinnen und Radler in der Stadt unterwegs waren und mit „Veloblitz“ wohl der Rad-Botendienst mit den meisten Race Across America-Teilnahmen (und Siegen) in Graz beheimatet ist. Was ich aber in kurzer Zeit gelernt habe: Man ist schnell aus der Stadt draußen, man kann Richtung Norden den Murradweg entlangfahren oder auf die Teichalm kraxeln, Richtung Süden flach wobei sich als Tagestour locker ein Besuch in Maribor ausgeht, nach Westen hin ist es hügelig, nach Osten hin auch. Eigentlich also supervariables und vielseitiges Terrain mit unzähligen Trainingsmöglichkeiten. In der Praxis werde ich in nächster Zeit versuchen, ein paar dieser Dinge auch zu erproben. Zurück aber zu meiner Tour, denn die hat auch auf den letzten Kilometern Steiermark einiges zu bieten - vor allem nämlich einiges an Höhenmetern. Über Laßnitzhöhe geht es noch gemütlich bis nach Gleisdorf, den industrialisierten Schlurf zwischen Weiz und Gleisdorf habe ich bewusst auslassen - mit der Gegend kann ich (noch) nicht so viel anfangen. Aber dann geht der Höhenmeterzähler in die Höhe... Von Gleisdorf bis zum Wechsel ist man in einem permanenten Auf und Ab unterwegs, kreuzt jedes einzelne Tal, fährt kurz den Hügel runter, gegenüber wieder hinauf. Wer die 24h-Radchallenge von Kaindorf kennt, weiß was gemeint ist. Stetige Höhenmeter, mal schmierig, sodass man sie gar nicht richtig merkt, oft aber auch gemein und steil, wenn auch nur recht kurz. Und dort, wo sich dann Steiermark, Burgenland und Niederösterreich zu mischen beginnen, gibt es auch noch einige Schmankerl, aber dazu ein andermal mehr!

Štajerska

Eine andere mir bis dahin unbekannte Steiermark habe ich dann auch noch im Rahmen eines kurzen Bikepacking-Trips nach Slowenien und Kroatien gefunden. Von Ilz aus bin ich an der Riegersburg vorbeigeschrammt und dann über Feldbach und Jennersdorf (schon Burgenland!) nach Ungarn, Slowenien und in einem weiten Bogen über Kroatien wieder zurück Richtung Österreich gefahren. Auch da gibts einige Geschichten für ein paar andere Blogposts, aber es geht ja um die Steiermark - also bei Mureck zurück über die slowenisch-österreichische Grenze und dann gerade Richtung Norden zurück zum Startpunkt nach Ilz. Auch dort eine „neue“ Steiermark, viel Gegend, eine völlig andere Charakteristik als in der „klassischen“ Südsteiermark rund um Gamlitz oder in der neueren, fancy Süd-Ost-Steiermark rund um Klöch. (Hier und da hört man, dass die Südsteiermark touristisch gesättigt ist und der Schwarm von Wochenendgrazern und Touristen jetzt tendenziell die Weinberge und Kellerstöckln der Südoststeiermark ansteuern). Ich bin dazwischen durchgefahren - keine gschmackigen Buschenschanken sondern eher „Zwischenland“. Aber dennoch eine spannende Erfahrung (im wahrsten Sinne des Wortes), das von mir so oft beschworene und heissgeliebte Erkunden von Regionen!

Into the Unknown

Ein Kapitel hätt ich noch...! Im April war ich ja beim Unknown Race am Start. Ihr wisst schon, die Geschichte wo man unsupported rund 1.000 Kilometer in vier Tagen absolvieren soll, wobei der erste Checkpoint erst eine Stunde vor Start bekanntgegeben wird und die Koordinaten des zweiten Checkpoints stehen am ersten, und so weiter... Also war alles recht „Unknown“, als einziges halbwegs gesichert war die Wetterprognose, nämlich mit einem tiefen Wintereinbruch. Der kam dann auch so, weshalb ich das Rennen noch am ersten Abend abgebrochen habe, mehr oder weniger gestrandet in einer eher räudigen Pension in Hieflau. Von Hieflau zum nächsten Zug bei Schnee und Null Grad war eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera (und dem Fahrplan der ÖBB) - die Wahl fiel auf die „nur“ 800 Höhenmeter von Hieflau nach Leoben. Die wunderbar symmetrische Pyramide am Höhenprofil hab ich geflissentlich ausgeblendet, irgendwie musste ich ja aus dem tiefsten Gesäuse wieder rauskommen. Den „Präbichl“, den Gipfel dieser Pyramide hasse ich seither - ob es zu einem späteren Zeitpunkt eine Versöhnung geben wird, ist noch offen. Aber auch hier - Achtung Business-Bullshitting: „jede Challenge ist auch eine Chance“ - war am Ende etwas Positives rauszuholen. Bei aller Grauslichkeit des Moments - man schaue sich auf Komoot die grauenhafte Straße von Eisenerz zum Präbichl hinauf an, plus Schneefall, plus Minusgrade, plus Gepäck am Rad - hatte es aber doch auch etwas Schönes. Die Kipper des Erzbergs mit ihren Riesenmulden sind mit mir simultan die Höhenmeter hinaufgekrochen, die Bergbau-Baracken strahlen einen spannenden Lost Places-Vibe aus, ich habe mich tatsächlich gefreut (und mache das immer!), auf Straßen unterwegs zu sein, wo ich vorher noch nie gefahren bin und rein psychohygienisch habe ich diesen kleinen Gipfelsieg auch gebraucht, um das DNF des Unknown Race zu verarbeiten.

Was kommt noch?

So genug geschwafelt, wo geht die Reise hin? Was ich eigentlich sagen möchte - auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: ich liebe es, neue Wege zu befahren. Meistens sind sie schön, manchmal weniger. Das Rad bietet ein einmaliges Tempo - langsam genug, um Eindrücke aufsammeln zu können und gleichzeitig schnell genug, um auch weiterzukommen. Durch Zufall haben mich meine Wege dieses Jahr eben öfters in die Steiermark geführt und ich habe das Gefühl, als ob ich dort noch einiges zu entdecken hätte. Das wird bei vielen anderen Orten und Bundesländern auch der Fall sein, aber jetzt eben mal Steiermark. Konkreter? Mit dem Weinlandhof in Gamlitz hab ich nicht nur eine tolle Location für die Events Woamfoahn und Gravel Extravaganza gefunden, ich möchte das Hotel auch als Basis für weitere Geschichten nutzen. Die „Weinland Radtour“ führt quasi am Weinlandhof vorbei (Namensähnlichkeiten in diesem Fall übrigens zufällig!), das ist die offizielle Steiermark Radroute, wenn man sich die Vielfältigkeit der südlicheren Steiermark aus dem Sattel aus anschauen möchte. Da schwebt mir ein 3-Tages-Bikepacking Trip vor im Frühjahr. Außerdem - nochmal vom Weinlandhof - ist es nur ein Katzensprung nach Slowenien. Slowenien ist nicht Steiermark und wird auch selbst noch Teil vieler künftiger Geschichten sein, aber hey - sLOVEnia. Das Land muss man ja quasi lieben!

Und auch sonst gibts noch ganz viele vermeintliche Kleinigkeiten, die ich mir auf eine lange Liste geschrieben habe: Gesäuse mit dem Gravel- oder Mountainbike, zum „Gaberl“, um dort Gabriel in einer Story zu markieren (Gaberl kommt nämlich von Gabriel), ich möchte einen Weg über den Speikkogel und die Koralpe finden, ich möchte die Südoststeiermark näher kennenlernen - dort gibts mit Gravel 33+ auch ein spannendes Event mit - für Gravel - langer Tradition und auch wenn wir letztes Jahr schon am Großen Jogl unterwegs waren, alles gesehen habe ich dort bei weitem nicht!

Und wer es bis hierhin zum Schluss geschafft hat (Danke fürs Lesen!), dem und der sei gesagt, dass es in Zukunft wieder mehr Geschriebenes auf 169k geben wird und genau genommen sind das ja 10 Blogposts in einem... Es gibt einfach so viel zu erzählen und berichten! 

Durch die kürzeste Nacht des Jahres! (mit ein paar Tipps für Nachtfahrten)

Am 21.6. - dem längsten Tag des Jahres - habe ich schon einige Male eine Fahrt in den Sonnenuntergang organisiert, um die Sommersonnenwende zu feiern. Diesmal aber geht es um die kürzeste Nacht! Naja gut, ich habe geschummelt und bin erst am Wochenende darauf gefahren - man möchte ja nicht unter der Woche völlig fertig und übernachten im Büro hängen. From Dusk till Dawn also - von Sonnenuntergang bus Sonnenaufgang. Konkret sind das gut 7,5 Stunden, von kurz nach 21:00 bis knapp vor 5:00. Ich habe mir eine ruhige und verkehrsarme Route ausgesucht, meine Vorräte aufgefüllt, die Lampen montiert und schon geht es alleine durch die Nacht. Und das ist etwas besonderes, wirkt in der Dunkelheit doch alles irgendwie anders - die Geräusche, die man hört, die Kurven, die man geglaubt hat zu kennen und alles, was so im eigenen Kopf vorgeht.

#169krides - die monatliche Gravelroute rund um Wien

#169krides sind mir eine Herzensangelegenheit! Jedes Monat gibt es eine neue Gravelroute rund um Wien, mit Liebe kuratiert und ausgewählt, mit versteckten Schätzen und Geheimtipps garniert und auf Komoot geteilt - immerhin sollen die Routen nachgefahren werden. Wie das funktioniert, wo die Routen zu finden sind und ein paar schöne Eindrücke von der Mai-Route seht ihr in diesem Video. Viel Spaß beim Anschauen und Nachfahren!

https://www.komoot.de/collection/1814201/-169k-rides

Mit dem Gravelbike beim Giro d´Italia (Roadtrip, Bikepacking, Gravelbike) - Teil 2

Der Giro d´Italia wird in der letzten Woche traditionell in den Dolomiten entschieden - was ist da naheliegender, als einen Bikepacking- und Campingtrip zu verbinden, die Orte des Giros zu besuchen und die Stimmung des großartigen Rennens hautnah einzufangen...! Im zweiten Teil des Videos feuern wir die Giro-Teilnehmer am Monte Lussari an, bei einem brutalen Einzel-Bergzeitfahren nahe Tarvis. Nach einer kurzen Überstellungsfahrt knapp hinter die slowenische Grenze mit hunderten Roglic-Fans und einer erholsamen Nacht in einer Pension in Podkoren geht es am vierten und letzten tag der Tour noch einmal zur Sache. Ich hake zwei Dinge von meiner Bucket-List ab, die dort schon recht lange draufstehen: den wunderschönen See in Bled, den ich aber aufgrund von Menschenmassen zu Pfingsten schnell wieder verlasse und die etwas sagenumwobene alte Straße über den Loiblpass, die zum Abschluss der Tour noch einmal eine richtige Härteprobe darstellt.

Mit dem Gravelbike beim Giro d´Italia (Roadtrip, Bikepacking, Gravelbike) - Teil 1

Der Giro d´Italia wird in der letzten Woche traditionell in den Dolomiten entschieden - was ist da naheliegender, als einen Bikepacking- und Campingtrip zu verbinden, die Orte des Giros zu besuchen und die Stimmung des großartigen Rennens hautnah einzufangen...! Im ersten Teil des Videos fahre ich mit Gepäck am Gravelbike von Klagenfurt nach Villach, gemeinsam mit Oliver geht es dann zu den Drei Zinnen, wo die 19. Giro-Etappe bei der Auronzohütte zu Ende geht. Am Weg dorthin gibt es zahlreiche tolle Landschaften, imposante Bergwelten, knackige Schotterstraßen, einige Höhenmeter und viel gute Stimmung! Aber seht selbst... :)

Mein neues Licht- und Powersetup fürs Bikepacking (SON-Nabendynamo, Sinewave Beacon-Frontlicht)

Wer beim Bikepacking auch in die Nacht fahren will und bei der Stromversorgung etwas unabhängiger von Steckdosen und Powerbanks werden möchte, kommt früher oder später nicht an einem Laufrad mit Nabendynamo und dazugehörigem Licht vorbei. Ich habe mit von Sorins kundigen Händen bei PBIKE ein Laufrad mit SON-Nabendynamo einspeichen lassen, hatte nach langer Recherche (und noch viel längerer Wartezeit) ein Vorderlicht von Sinewave in Händen und wiederum Sorin hat sich um die fachmännische Installation gekümmert. (Bei all den Steckern, Kabeln, Verlängerungen, Adaptern, Lötstellen und Zugführungen wollte ich nicht hineinfunken!). Aber seht selbst...!

Licht am Ende des Tunnels?

Die letzten Monate waren irgendwie seltsam - wenig Zeit, wenig Energie, mehrere Verkühlungen, grippale Infekte und was man sonst noch so aus dem Kindergarten bekommt. Und dann natürlich winterbedingt auch noch kalt, nass und dunkel!

Für mich haben daher die ersten Kilometer, die ich 2023 draußen abspulen kann, eine besondere Bedeutung und ich genieße den Wind, die Sonne und die frische Luft. Und zu einem gewissen Grad hab ich im Zuge dessen auch überdacht und neu festgelegt, was Radfahren für mich bedeutet und worauf ich in nächster Zeit meinen Fokus legen möchte.

Iron Curtain Trail - Gravel

Der Iron Curtain Trail ist Teil des Eurovelo-Netzwerks und führt von Kirkenes bis ans Schwarze Meer entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Mit dem Gravel Bike lässt sich dieser Radweg perfekt erfahren und erleben - und genau das haben wir getan: an zwei Tagen, über rund 200 Kilometer von Gmünd bis Retz entlang der niederösterreichisch-tschechischen Grenze. Das Wetter war uns auch gnädig und hat uns zwei wunderbare goldene Herbsttage geschenkt. Und dank Gabriel (@washboy_deluxe) enthält das Video um 30% mehr Wheelies! ;)

Tag 1 auf Komoot: https://www.komoot.de/tour/535371665
Tag 2 auf Komoot: https://www.komoot.de/tour/535883690

Into the Wold

Wie soll ich anfangen… Normalerweise schreibe ich an dieser Stelle Rennberichte oder Erfahrungen von Rennen oder Ausfahrten - diesmal ist das anders. Ich war als Fotograf engagiert für “Into the Wold”, ein neues Gravelevent im Bregenzerwald. Als Fotograf ist man üblicherweise nicht bei allen Programmpunkten dabei, bekommt nicht alles mit, hat nur einen partiellen Eindruck vom Geschehen. Doch Into the Wold war anders, daher möchte ich auch an dieser Stelle meine Erlebnisse teilen, auch wenn ich nicht als Teilnehmer mit dabei war!

Konzept

Gravel boomt - darüber muss man nicht mehr diskutieren. Entsprechende Events auszurichten mag auf den ersten Blick verlockend sein, schließlich kann man sich vielleicht da und dort eine Genehmigung ersparen, die Streckenabsicherung anders lösen und hat nicht mit zehn sondern nur mit vier verschiedenen Behörden zu tun. Auf der anderen Seite möchte man als Teilnehmer natürlich ein gewisses Event-Feeling haben - Verpflegung, Side-Events, Soziales und Rahmenprogramm sind daher essentiell. Gerade im letzten Corona-Jahr hat sich gezeigt, dass es oft nicht reicht, “nur” einen GPX-Track zur Verfügung zu stellen, um die Leute zum Mitfahren zu motivieren.

Irgendwo inmitten dieses Spannungsfelds, garniert mit unklaren Corona-Vorgaben, haben die Ideengeber von Into the Wold ein feines Event hervorgezaubert. Zutaten sind eine Region, die für viele (zumindest aus dem Osten Österreichs oder aus dem Süden Deutschlands) nicht allzu bekannt ist, Gravel-, Schotter- und Forstwege en masse, eine Landschaft in einer Mischung aus alpin und hügelig sowie Menschen, die eine gewisse Grundmotivation und Bereitschaft haben, Ideen zu unterstützen und mitzutragen.

Rahmenprogramm

Und plötzlich waren da Programmpunkte geboren, die man sonst in einer Event-Beschreibung vielleicht weniger vermuten würde: Yoga-Sessions, Müsliriegel-Workshops, Burgeressen vom Haubenkoch, gemeinsamer Filmabend oder aber die Architektur-Ausfahrt mit entsprechend fachkundiger Führung. Dabei richten sich diese Programmpunkte nicht nur an aktive Fahrerinnen und Fahrer, sondern auch an deren Begleiter, Partnerinnen oder aber auch an die Einheimischen, die ja schließlich auch irgendwie Teil einer Veranstaltung sind, die vor ihrer Haustür startet oder vorbeiführt. So ein ganzheitlicher Ansatz spiegelt sich dann auch entsprechend wider, wenn jeder im Ort von der Veranstaltung weiß, beim Start- und Zielbereich vorbeischaut oder - wie der Bürgermeister von Mellau höchstpersönlich - selbst mit anpackt!

Die Strecken und die Schotterpisten

Abseits jeglicher Diskussionen, ob das Gravelbike nun eine neue Erfindung, ein Marketing-Gag oder Aushöhlung der Rennrad-Kultur ist (ja/mitunter/nein), wird einem im Bregenzerwald schnell klar, welche Vorteile ein Gravelbike in einer derartigen Umgebung bietet. Es ist die Mischung aus schnellem Vorankommen auf Asphalt oder festem Untergrund gepaart mit den Möglichkeiten, auch im Gelände Spaß zu haben. Und von allem gibt es im Bregenzerwald genug, schließlich findet man dort keine engen und abgeschlossenen Täler sondern immer noch einen Hügel, wo sich gerade noch ein Weg drüber ausgeht, einen kleinen Sattel oder einen höher gelegenen Pass - damit wachsen die Möglichkeiten. Man spürt die höhere Lage von >600 Metern sowohl in der Lunge als auch optisch - die Wiesen sind dort noch saftig grün statt verdorrt wie in den niedriger gelegenen Teilen des Landes.

Variantenreichtum ist kein Problem: es gibt die klassische Fahrt ins Tal hinein (Streckenteil: Mellental), die pittoreske Hochalm (Schönenbach), die Schotter-Höhenstraße, die sich an den Berghang schmiegt und die kleinen Hinterhofwege (rund um Andelsbuch), über die man sich am Verkehr vorbeischummeln kann.

Into the Wold hatte bei der ersten Austragung zwei Streckenvarianten zur Auswahl. Dabei waren auf rund 60 oder 100 Kilometern unterschiedliche aber durchwegs auch anspruchsvolle Abschnitte vereint. Grundsätzlich muss man seine “Gravel-Wahrnehmung” immer wieder einmal nacheichen und sich bewusst machen, dass “Gravel” ein breites Spektrum abdeckt. Im flachen Osten Österreichs ist man klassische, breite und flotte Schotterpisten gewöhnt, in den Bergen kann der Untergrund auch schon mal etwas anders ausschauen. Richtige Trails bleiben Mountainbikes vorenthalten, jedoch die Möglichkeiten des Gravelbikes sind tatsächlich riesig und oft größer als die eigenen…

Soziales und Lukullisches

Radfahren ist das eine, Essen das andere…! Into the Wold ist kein Rennen im klassischen Sinn sondern eher eine gemeinsame Ausfahrt. Möglichkeiten, die anderen Mitfahrer*innen kennenzulernen gab es bereits am Donnerstag und Freitag, wo neben dem Rahmenprogramm auch schon gemeinsame Ausfahrten ausgeschrieben waren. Und genau dieses Kennenlernen veränderte die Charakteristik der samstäglichen “Hauptausfahrt” ganz maßgeblich. Dort war es nämlich plötzlich ein Gemeinschaftserlebnis - nicht mit irgendwelchen anderen Radlerinnen und Radlern, denen man in einem riesigen Startpulk gerade mal “Hallo” gesagt oder zugenickt hat, sondern mit bekannten Gesichtern, die man vorher schon gesehen, mit denen man geplaudert oder eben auch schon ein paar Meter abgespult hat. “Wir fahren morgen eh auch gemeinsam, oder?” war einer jener Sätze, die man des öfteren hörte - nicht wegen dem Windschatten, nicht wegen der Leistung, sondern weil es gemeinsam mehr Spaß macht.

Zur Freude beigetragen haben auch die Laben, die nicht nur malerisch platziert sondern auch exzellent bestückt waren. Bei Into the Wold waren in Summe sieben Hauben involviert- da kann man sich die Stärkung unterwegs getrost schmecken lassen. “Wir fahren eh gemeinsam als Gruppe weiter, oder?” ;)

Wie komme ich dazu…??

Wie gesagt, ich war “nur” der Fotograf - beim BMC-Testride, beim Rahmenprogramm und mit einem E-MTB auf der kürzeren Strecke zum Fotografieren dabei. Und natürlich beim Essen…! Für den Rest sollen lieber die Bilder für sich sprechen. ;)

www.intothewold.at

Seewinkel am Gravelbike

Das Burgenland feiert 2021 seine 100-jährige Zugehörigkeit zu Österreich - Grund genug, die Ecken des Bundeslands zu erkunden. Los geht es im Seewinkel, eingebettet zwischen Neusiedler See und ungarischer Grenze. Die Landschaft ist weit, der Wind sehr präsent aber da und dort wartet die eine oder andere Überraschung. Teilweise auch mit einer spannende Geschichte dazu, wie zum Beispiel bei der Brücke von Andau!

Festive 500 - DNF

So wie 2020 insgesamt ein recht holpriges Jahr war, so war auch mein Festive 500-Versuch von schwierigen äußeren Rahmenbedingungen geprägt. Bereits im letzten Jahr war es eine besondere Challenge, die 500 Kilometer zwischen Weihnachten und Neujahr in den Alpen abzuspulen. Die Temperaturen rund um Lienz waren herausfordernd und für mich eine besonders harte Nuss, die ich aber irgendwie knacken konnte.

2020 kamen Rekordschneefälle dazu, die zwar wie eine willkommene Abwechslung wirken mögen, tatsächlich aber hinderlich sind. Viele der Routen und Streckenvarianten fallen auf diese Weise weg - Waldwege, schlecht/nicht geräumte Seitenstraßen aber genauso Berge und Pässe (alleine schon wegen der kalten Abfahrt!). Was also romantisch und abenteuerlich wirkt, ist in Wahrheit nicht ganz so prickelnd :)

Allerdings waren auch die Temperaturen eine Herausforderung - bei bis zu minus 13 Grad kommen auch die besten Schuhe und Handschuhe an ihre Grenzen und begrenzen so die Zeit, die man draußen auf dem Rad verbringen möchte. Dennoch sind die Festive 500 jedes Jahr wieder eine schöne Motviationshilfe, aufs Rad zu steigen, wenn man sonst vielleicht eher vor dem Ofen oder dem Weihnachtsbaum liegen bleiben würde. Aber es soll eben “nur” eine Motivationshilfe sein, allzu sehr sollte man sich nicht zwingen müssen - schließlich geht es ja auch noch um den Spaß am Radfahren!

Video - Gravelride mit Pbike (Gravelbikes, Crosser und MTB vereint)

Gemeinsam mit meinen Vereinskollegen von Pbike gehts auf einen 140 Kilometer langen Gravelride entlang des Marchfeldkanals zum Schloss Hof. Da bleibt genug Zeit, um auf die Besonderheiten von Gravelbikes, Crossern und Mountainbikes einzugehen, die Unterschiede zu suchen und technische Feinheiten zu besprechen. Am Ende muss man beim Radfahren immer treten und im Gelände ist das noch einmal anstrengender als auf der Straße, aber der Untersatz spielt dabei keine so große Rolle - das gemeinsame Abenteuer steht im Vordergrund. ;)

Video - Umrüstung auf Tubeless

Gemeinsam mit Sorin, dem Mechaniker von PBike, habe ich mein Gravelbike - das BMC URS 01 - auf Tubeless umgerüstet. Was man dafür braucht, welche Schritte notwendig sind und worauf man achten muss, ist in diesem Video zusammengefasst. Nachdem ich euch nicht unnötig lange mit meiner Bob Ross-Erzählerstimme langweilen wollte, gibt es natürlich auch noch einige Informationen über dieses Video hinaus! Postet Fragen bitte gerne unter das Video, diesen Blogbeitrag oder auf einen der anderen Kanäle, ich werde mich bemühen, alle Fragen zu klären ;)

Die Dolomiten - Eine Liebesgeschichte

Um 7:30 morgens am Passo Valparola überkommt es mich! Die Schönheit der Landschaft übermannt mich, ich stelle das Auto ab, steige aus und genieße die noch menschenleere Passhöhe, die Steintürme ringsherum und den Ausblick auf den gegenüberliegenden Gebirgsstock. Und ich denke an den Schweizer Architekten Le Corbusier, der einmal gesagt hat: “Die Dolomiten sind die schönste Architektur der Welt!” Die Tatsache, dass ich mit dem Auto hier bin und nicht mit dem Rad ist wohl ein klassischer Anfängerfehler oder mangelnde Vorbereitung. Ich bin nämlich zum ersten Mal hier - und dass man beim ersten Mal nicht gleich alle Highlights mitnehmen kann oder einem das Eine oder Andere durch die Finger schlüpft, ist entschuldbar. Sprechen wir aber besser über jene Dinge, die ich geschafft habe!

Dolomiten

Als klassische Einleitung würden hier nun Ausführungen über die Namensgebung (der französische Geologe de Dolomieu), die räumliche Ausdehnung (Pustertal - Sextental - Piave - Valsugana - Etsch - Eisack), die Geologie (markante Riffe aus Kalkstein und Dolomit) und das Klima (angenehm von April bis Oktober) der Dolomiten stehen. Das kann ich aber gut und gerne überspringen, sind die Dolomiten doch einer jener klassischen “Sehnsuchtsorte”, die jede Radlerin und jeder Radler aus Magazinen, Zeitschriften, Filmen und von den großen Rundfahrten kennt.

Regelmäßige Leser*innen meines Blogs wissen, dass ich einen Gutteil meiner Urlaubs- und Ferienzeit in Osttirol verbringe und genau dort lag bisher - wenn man so will - das “Problem”. Die Lienzer Dolomiten sind so etwas wie ein Vorgarten der “richtigen” Dolomiten, bieten aber schon so viel Spektakuläres und Spannendes, dass man dort schon wochen- und monatelang unterwegs sein könnte. Dazu kommt noch, dass man sich ja selten eine Unterkunft in 100 Kilometern Entfernung von “Zuhause” bucht, das Urlaubsziel also quasi “zu nahe” ist… Dass diese Denkweise ein großer Fehler ist, zeigt sich grundsätzlich schon an den vielen Bildern, die man alljährlich vom Giro d´Italia sieht, den Berichten in Rennradmagazinen und auch den vielen Timelines auf Instagram und Facebook. Wie Schuppen von den Augen fällt es einem jedoch, wenn man in die Pedale einklickt, den Radcomputer startet und der Blick nach oben schweift und sich vor den Augen die Gipfel der Dolomiten auftun - höchstpersönlich und real. In diesem Moment ist sofort klar, dass hier mehr passiert als nur Radfahren.

Homebase Cortina

Die Dolomiten umfassen ein großes Gebiet und am liebsten würde man mit einigen wenigen Ausfahrten und Touren die ganze Gegend abdecken. Klickt man sich durch die einschlägigen Routenportale kommt man schnell zu der Erkenntnis, dass das so wohl nicht möglich sein wird - zu schnell überschreiten die Höhenmeterzahlen Dimensionen, die den Oberschenkeln nicht mehr zuträglich wären. Die Gegend rund um Innichen, Toblach und Bruneck kenne ich bereits, im Sinne eines sukzessiven Vorarbeitens bietet sich daher ein Start in Cortina an. Dass diese Reise nicht die letzte sein wird ist ohnehin klar - andere Ort werden daher sowieso noch folgen.

Als James Bond-Fan ist mir Cortina vor allem durch Roger Moore, die Bobbahn und das Eis-Stadion in Erinnerung (“For Your Eyes Only” wurde 1981 teilweise in Cortina gedreht). Länger zurück und definitiv (noch weiter) vor meiner Zeit waren die Olympischen Winterspiele 1956, die stark zum besonderen Status von Cortina beigetragen haben und der Stadt eine Aura verliehen haben, die sie mit anderen klassischen Wintersportorten wie St. Moritz verbindet. Und nicht zuletzt thront direkt über der Stadt die Tofana, die mit dem gleichnamigen “Tofana-Schuss” ein Highlight der alljährlich stattfindenden Herren Ski-Abfahrt bildet. Genau an dieser Stelle werden im Februar 2021 auch die alpinen Ski-Weltmeisterschaften stattfinden, auf die sich die Stadt jetzt schon sichtlich vorbereitet. Während einer Gondelfahrt auf die Tofana kann man bereits jetzt die unterschiedlichen Maßnahmen begutachten - von Sicherheitszäunen über Modernisierungen bis hin zur Revision der Gondelbahnen. Ich persönlich war auf Skiern immer recht wackelig unterwegs und das Gefälle der Abfahrtspiste kann einem den Angstschweiß auf die Stirn treiben - bei aller Schönheit des Winters und des Wintersports bleibe ich also vorerst doch lieber beim Radfahren.

Touren

Wie schon eingangs erwähnt, ist die Routenauswahl nicht gerade einfach. Hinter jeder Ecke lauert ein Highlight, dies und jenes “muss” man eigentlich mitnehmen, wenn man schon in der Gegend ist - das Gebiet ist riesig, die Möglichkeiten ebenso. Für meinen Einstieg in die Dolomiten habe ich drei Touren ausgewählt: eine vor der Haustüre von Cortina, den Klassiker “Sella Ronda” und - meiner neuen Leidenschaft Gravel Rechnung tragend - eine tolle Runde auf Schotter.

Giau & Falzarego

Von Cortina d´Ampezzo klettert man erst einmal einige Höhenmeter hinauf in den kleinen Ort Pocol, wo sich die Abzweigung zu Passo Giau und Falzarego befindet. Als Dolomiten-Neuling erhöht sich er Herzschlag bereits, wenn man die Straßen- und Pass-Schilder zum ersten Mal in den Blick bekommt. Ich entscheide mich für den Uhrzeigersinn - meine Recherchen haben ergeben, dass das offenbar die schönere Richtung sein soll. In der Anfahrt zum Passo Giau geht es zuerst etwas überraschend - bergab. Ich weiß nicht warum, aber in meiner Vorstellung oder Erinnerung war und ist der Passo Giau einer der Schwierigeren der Dolomiten - immer wieder einmal Teil des Giro d´Italia und für Hobbyfahrer eine ernsthafte Prüfung. Umso überraschender finde ich, dass man bei 8-9 Prozent durch pittoreske Kehren und mit wunderbaren Ausblicken Meter für Meter recht gemütlich nach oben kurbeln kann. Wenn man den Wald verlässt, steigt auch der Gradient, mehr als 13% zeigt der Wahoo allerdings nie an. Und knapp 9 Kilometer und 800 Höhenmeter später hat man auch schon die Passhöhe erreicht. Ein Espresso und eine kurze Pause bieten sich - wie eigentlich auf jeder Passhöhe - an, man sollte jedoch nicht außer Acht lassen, dass es auch im Sommer frisch werden kann auf 2.200 Metern Höhe. Und frisch wird es spätestens bei der grandiosen Abfahrt hinunter Richtung Caprile! Durch fast 30 Kehren arbeitet man sich zurück ins Tal, der Straßenbelag ist gut und die Kurven sind außen leicht erhöht - das ist wohl das, was man eine Flow-Abfahrt nennt! Und jetzt dämmert mir auch, dass der schwierige Anstieg auf den Giau wohl auf dieser Seite hier liegt, die Steigungsprozent im oberen Teil sind doch bedeutend höher als auf der Seite, die ich für die Auffahrt gewählt habe.

Die Straßenschilder im Tal wecken Sehnsüchte. Über Selva die Cadore, Caprile und den Passo Fedaia könnte man hier - vorbei an der Marmolada - Richtung Canazei radeln, aber das wäre zu viel für den Anfang. Hängt man an den Passo Giau noch den Falzarego dran, kann man sich den Weg ganz hinunter ins Tal sparen und am Berghang bis Cernadoi entlangradeln.

Von dort sind es rund 8 Kilometer und 700 Höhenmeter bis zum Falzarego. Über dessen Geschichte und die dazugehörige Sage vom Reich der Fanes bin ich schon vor Jahren einmal gestolpert und ich finde sie so schön, dass es geradezu fahrlässig wäre, sie hier nicht kurz zu erwähnen.

Die Fanessage schildert den Konflikt zwischen den aggressiven männlichen Angehörigen des Königshauses und den friedlichen weiblichen. Erstere sind im Bündnis mit dem Volk der Adler, letztere mit dem Volk der Murmeltiere. Die Könige der Fanes können mit ihrer Kriegspolitik das Reich der Fanes immer weiter ausdehnen. Doch dadurch entsteht ein Gegenbündnis von immer mehr Nachbarvölkern. Auf der Seite der Gegner kämpft auch der Zauberer Spina de Mul. Die Fanesleute haben als Kriegshelden Dolasilla, die Königstochter, und Ey de Net (Nachtauge). Letzterer will Dolasilla heiraten und wird daraufhin vom König verstoßen. Dolasilla hat eine Anzahl unfehlbarer Pfeile und einen weißen Panzer. Ihr wurde geweissagt, dass sie nicht in die Schlacht ziehen dürfe, sollte sich der Panzer einmal schwarz verfärben, weil sie sonst sterben müsse.

Die Entscheidungsschlacht rückt immer näher. Durch eine List kann Spina de Mul Dolasilla ihre unfehlbaren Pfeile abnehmen, die er dann an Schützen des Gegenbündnisses verteilt. Am Morgen vor der Schlacht sieht Dolasilla, dass sich ihr Panzer schwarz verfärbt hat. Doch die verzweifelten Fanesleute bedrängen sie, in die Schlacht zu ziehen. Zunächst können in der Schlacht die feindlichen Bogenschützen Dolasilla nicht finden, weil sie nach einem weißen Panzer suchen und nicht wissen, dass sich dieser schwarz verfärbt hat. Doch schließlich erkennen sie Dolasilla, schießen die unfehlbaren Pfeile auf sie ab und töten sie. Damit ist die Schlacht für die Fanesleute verloren. Mit knapper Not kann sich die Königin mit einer kleinen Schar mit Hilfe der Murmeltiere in die unterirdischen Gänge der Fanes zurückziehen. Der König aber, der verräterisch Sache mit den Feinden gemacht hat, wird zu Stein und ist seitdem als falscher König (altlad. falza rego) am Falzaregopass zu sehen.
— Sage vom Reich der Fanes (Wikipedia)

Der Schweiß tropft auf das Oberrohr, auch wenn die Steigung niemals über 10 Prozent klettert. Zuerst arbeitet man sich über lange Kehren durch den Wald hinauf, recht abrupt wechselt die Charakteristik dann auf alpin und man sieht vor sich einige Kehren und Gallerien, die man auf dem Weg zur Passhöhe noch zu bewältigen hat. Spätestens hier erscheint erstmals der “falsche König”, eine der markanten Steinspitzen, die die unverwechselbare Optik der Dolomiten ausmachen. Auf der Passhöhe gibt es neben Espresso und Panini auch eine Gondelbahn zum Lagazuoi und ein Freiluftmuseum, das den Ersten Weltkrieg zum Thema hat. Man bewegt sich hier immerhin auf historischem Boden und hier am Falzarego im Speziellen, haben doch die österreichischen Truppen Stellungen am Berg angelegt, die von den italienischen Soldaten im Fels untergraben und dann gesprengt wurden. Die Spuren der Dolomitenfront des Ersten Weltkriegs begleiten einen übrigens - sofern man sich für Geschichte interessiert - vielerorts.

Die Abfahrt vom Falzarego zurück nach Cortina ist flott und recht geradlinig, fährt man doch auf der “Dolomiten-Bundesstraße”, die eine Hauptverkehrsroute in Ost-West-Richtung darstellt. Abhängig von Jahreszeit und Wochentag ist der Verkehr hier dicht und auch der eine oder andere Linienbus verkehrt hier. Generell muss man hier etwas umdenken, wenn man es gewöhnt ist, dass Pässe und Bergstraßen sonst eher als Touristenattraktion oder Mautstraßen ausgeführt sind.

“Dolomiti Gravel”

Gravel ist mittlerweile mehr als nur ein Trend, das habe auch ich diesen Sommer sukzessive erkannt. Egal wo man unterwegs ist, ein Gravelbike eröffnet vielfältige neue Möglichkeiten und kann da, wo das Rennrad eventuell an seine Grenzen stößt, noch weitere Horizonte erschließen. Abseits der Straßen tun sich dann auch neue Welten auf, man trifft andere Menschen, ist vielleicht “leiser” unterwegs, spürt die Natur unmittelbarer und findet auch den einen oder anderen Weg, der noch nicht so oft befahren worden ist.

Damit werden auch die weitläufigen Radweg-Netze nutzbar, die sich durch alle Gegenden der Welt schlängeln und meistens auch noch gut organisiert und beschildert sind. Im Falle der Dolomiten bietet sich dafür die aufgelassene Eisenbahn-Trasse von Cortina bis Toblach an. Gleich vom alten Bahnhofsgebäude weg fährt man - getrennt von jeglichem Verkehr - in Ruhe und mit sehr moderater Steigung aus Cortina hinaus. Während einem anfangs noch andere Radler, Spaziergänger oder Läufer entgegenkommen, ist man spätestens nach drei Kilometern ganz alleine und bei sich und hat genügend Zeit und Muße, sich die Ruhe und Schönheit der Gegend anzuschauen. Bahntrassen haben ja systembedingt an sich, dass sie nur geringe Steigungen aufweisen, so rollt man entspannt am Hang auf der Schotterpiste entlang und genießt den Ausblick auf die umliegenden Berge, während unten auf der Bundesstraße der Verkehr rollt. Die Straße ist außerdem nicht im allerbesten Zustand, hier erspart man sich also doppelt etwas. Allerdings kommt man nur mit einem Gravelbike in den Genuss dieses Weges, für ein Rennrad ist der Schotter an vielen Stellen zu grob oder tief. Es geht durch ehemalige Tunnel, eine Holzbrücke überquert eine Schlucht, die Zeit vergeht wie im Flug, wenn man die Augen öffnet und die Landschaft in sich aufsaugt. Nach einigen Kilometern erreicht man den Passo Cimabanche, der mit 1.530 Metern und den wenigen Höhenmetern bis dorthin den Namen “Pass” fast gar nicht verdient. Aber hier treffen die Verkehrswege aufeinander, der weitere Radweg bis Toblach, die Straße zu den drei Zinnen, die Bundesstraße Toblach-Cortina und auch die alte Schotterstraße zur Plätzwiese nimmt dort ihren Beginn.

Auf rund sieben Kilometern sind hier gut 500 Höhenmeter zurückzulegen und man kann sich schwer vorstellen, wie hier im Ersten Weltkrieg Unmengen von Nachschub hinaufgekarrt wurden. Die Steigung ist eher unregelmäßig, ebenso ist es der Untergrund. Erstere ist unten eher flach, zieht aber stellenweise auf bis zu 15% an während über der Baumgrenze konstante 9-10% anstehen. An manchen Stellen finden sich Reste einer Art Fahrbahnoberfläche, darauf folgen grobe Schotterabschnitte durchsetzt mit felsigen Brocken, über die man eher mit breiteren Reifen rollen möchte. Ein Gravelbike mit einer kleinen Übersetzung bekommt man hier gut den Berg hinauf, das Gros der Mitfahrer und Überholten sitzt allerdings auf Mountainbikes - die fahren dann in der Regel aber auch noch weiter in die Berge hinauf…

Unter dem Blick des beeindruckenden Monte Cristallo erreicht man das Dürrensteinhaus und das Sperrwerk Plätzwiese - ein weiteres Relikt aus dem Ersten Weltkrieg. Ich bin bei Gott kein Kriegs- oder Geschichtsfan, aber wenn man sich gedanklich etwas darauf einlässt, werden einem schon die Umstände und Rahmenbedingungen bewusst, unter denen hier vor gut 100 Jahren aufs Ärgste miteinander gekämpft wurde. Und so hautnah und eingebettet hat man tatsächlich selten die Gelegenheit, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Hier oben auf der pittoresken Alm, auf der man gerade steht und den Frieden und die Ruhe genießt, haben österreichischen Truppen 1915 einfach ein eigenes Dorf komplett niedergeschossen, nur um freie Schussbahn auf den damaligen Feind zu haben - absurd und unvorstellbar.

Apropos Frieden und Ruhe: Die Plätzwiese hier auf knapp 2.000 Metern Höhe ist einer der schönsten Orte, an denen ich in meinem bisherigen Leben war. Allerdings finden das auch sehr, sehr viele andere Menschen und so empfiehlt es sich, eher in den früheren Stunden des Tages hier aufzuschlagen. Und wer wie ich über Schluderbach und die Südseite hier herauf kommt, hat auch noch die ruhigere Variante gewählt. Die Nordseite ist nämlich teilweise mit dem Auto befahrbar und diese Auffahrt ist auch asphaltiert - dementsprechend wälzen sich dort die Horden gen Berg. Ich fahre nach der Schotterpiste, die über die Alm führt, über ebenjene Straße hinunter, habe dabei keine Zeit für Fotos, bin nämlich viel zu sehr damit beschäftigt, die Kehren und Ausblicke der Flow-Abfahrt zu genießen, gleichsam froh, von den Menschenmassen wieder etwas Abstand zu gewinnen.

Ein menschenleerer Pragser Wildsee im Mai 2019

Menschenmassen sind (leider) auch ein Thema, wenn man sich mit dem benachbarten Pragser Wildsee befassen möchte. Dieser ist - ob seiner “Instagramability” - zu einem heißbegehrten Motiv und Besuchsort geworden, dementsprechend ist dieses Juwel leider überlaufen. Wer dorthin möchte, muss früh dran sein - ab einer gewissen Besucherzahl sperrt die Polizei bereits beim Kreisverkehr im Tal die Zufahrt. Im Pustertal angekommenen geht es etwas entspannter zu, auf dem Radweg parallel zur Bundesstraße radelt es sich angenehm bis nach Toblach. Birkenkofel und dahinter die Dreischusterspitze bieten die perfekte Kulisse für eine Kaffeepause in der Innenstadt, bevor es wieder in die Berge geht.

Zurück auf der aufgelassenen Bahnstrecke steigt die Strecke langsam wieder an Richtung Passo Cimabanche - dort waren wir am Beginn dieses Tages schon einmal. Man rollte am Toblacher See vorbei, passiert den Dürrensee und muss sich spätestens dort entscheiden, welches Bergpanorama imposanter ist: jenes der Drei Zinnen, des Monte Cristallo oder das des Monte Piana. Der Radweg führt über feinen Schotter und ist mit dem Gravelbike hervorragend und flott zu fahren - vorausgesetzt man achtet auf die anderen Radwegbenützer, die dort bei schönem Wetter recht zahlreich unterwegs sind. Wer möchte, kann hier auf Schotter wieder nach Cortina zurückrollen.

Als Highlight bietet sich jedoch noch eine kleine Zusatzschleife zu einer der Ikonen der Dolomiten an - den Drei Zinnen. Sanft ansteigend geht es dabei Richtung Col Sant´Angelo, nur auf den letzten Metern stellt sich hier der Berg etwas steiler auf. Am Misurina-See durchtaucht man kurz einen touristischen Hotspot - von der kurzen Rast über Souvenir-Shops bis zu einem Picknick auf einer der zahlreichen Bänke ist hier alles dabei und möglich. Hartgesottene zweigen auf die Straße zum Rifugio Auronzo ab, einer Hütte, die direkt unter den Drei Zinnen liegt. Der großartige Name der Straße - “Superstrada Panoramica” - bedeutet “super” im Sinne von Super-Aussicht aber auch super-steil und -anstrengend!

Auf der Rückfahrt nach Cortina überquert man schließlich noch den Passo Tre Croci, der an sich nicht sonderlich spektakulär oder anspruchsvoll zu fahren ist, einzig der Ausblick auf den imposanten Monte Cristallo, den man hier quasi umrundet, beeindruckt doch sehr. Flott geht es zurück hinunter nach Cortina und unter die wohlverdiente Dusche. Das Gravelbike ermöglicht in diesem Fall eine tolle Mischung aus asphaltierten und losen Oberflächen und es bleibt der Eindruck, dass es da wohl noch unzählige spannende und schöne Wege gibt, die man abseits der befestigten Straßen finden kann.

Sella Ronda

Die Runde um den Sella-Stock ist mehr oder weniger die Benchmark für eine Dolomiten-Radtour. Der große Maratona dles Dolomites nimmt die berühmten vier Pässe unter die Räder und besonders reizvoll ist der autofreie Sellaronda Bike Day, bei dem die knapp 60 Kilometer lange Runde ganz alleine den Radler*innen und Familien gehört. Wo man die Tour beginnt ist eigentlich egal, auch die vier zu überwindenden Pässe bleiben immer gleich: Grödner Joch, Sellajoch, Passo Pordoi und Passo di Campolongo.

In Corvara beginnt der Anstieg aufs Grödner Joch und im Vergleich zu Cortina geht es hier emsiger und wuseliger zur Sache - Touristen ziehen auf E-Bikes und Tourenrädern Richtung Berge, Wanderer warten auf einen der vielen Linienbusse, Motorrad-Gruppen wollen die gleichen Kurven genießen wie die Radfahrer*innen und allzu viel Platz bieten die vorhandenen Straßen nicht. Daher gilt auch hier im Wesentlichen, früh zu kommen, die Randzeiten zu nützen (da ist eh auch das Licht am Schönsten) und den August (Ferragosto!) eher zu meiden. Die Steigung aufs Grödner Joch ist sehr moderat und es kurbelt sich locker hinauf - zuerst über lange Kehren, dann über engere, gestapelte.

Vom Grödner Joch fließt die Abfahrt durch schön zu fahrende Kehren hinunter bis zur Abzweigung zum Sellajoch. Während auf der linken Seite der Sellastock mit seinem höchsten Gipfel Piz Boè residiert, liegt vor einem der monolithische Langkofel, ein Steinblock wie aus dem Bilderbuch! Die Steigung liegt meistens zwischen 5 und 10 Prozent, aber man ist ohnehin eher mit Schauen und Staunen beschäftigt, so beeindruckend ist die Landschaft rundherum. Spätestens hier wird mir klar, dass ich mein Herz an die Dolomiten verloren habe und ärgere mich fast ein bisschen, dass es so lange gedauert hat, bis ich zum ersten Mal hierher gekommen bin.

Meine Euphorie erfährt allerdings einen jähen Dämpfer, als sich unter schauerlichem Geknirsche meine rechte Pedalplatte löst, ich noch zwei Schrauben davonpurzeln höre und meine persönliche Sella Ronda am Sellajoch zu einem jähen Ende kommt. Es ist natürlich ärgerlich, wenn ein derartiger Defekt passiert. Besonders ärglich ist es allerdings, wenn man sich gerade exakt bei der Hälfte einer Runde befindet… Ich entscheide mich fürs Zurückfahren übers Grödnerjoch, weiß ich dort doch immerhin was mich erwartet und dort sollte ich auch weidwund mit einer Pedalplatte drüber kommen. Den Passo Pordoi - den höchsten Dolomitenpass - hebe ich mir einfach fürs nächste Mal auf, den möchte ich voll und ganz genießen können. Und das Auslassen des Campolongo sollte ebenso vorerst verkraftbar sein, ist dieser vierte Pass der Sella-Runde doch eher einer, den man zum “Fertigmachen” der Tour braucht.

Trotz Verkürzung meiner Sella Ronda bleiben massig Eindrücke zurück - so geballt ist alles hier versammelt. Die Berge, die Gipfel, die Straßen mit ihren unzähligen Kehren, die Menschen, die Orte und die Landschaft - nicht zuletzt treffen am Gipfel des Piz Boè drei italienischen Regionen aufeinander (Südtirol, Veneto und Trentino), wie wenn alle Linien auf diesen einen Punkt zulaufen würden. Ich fahre jedenfalls noch einmal um den Sellastock - entweder entspannt beim Bike Day oder vielleicht auch etwas ambitionierter beim Maratona!

Tipps und Erfahrungen

Ich wurde von den Dolomiten in ihren Bann gezogen! Es ist ein riesiges Gebiet, das es hier zu erkunden gilt und das an vielen Ecken ganz unterschiedliche und variantenreiche Gesichter offenbart. Unzählige Möglichkeiten habe ich hier nicht einmal ansatzweise erwähnt - Bikeparks in Cortina oder am Kronplatz, E-Bike-Touren, Langlaufen und Skifahren im Winter, Wandern, Geschichte, Kultur, Vielfältigkeit der Regionen, alte Sagen und Legenden, vergessene Völker, mythenbeladene Täler, Bademöglichkeiten oder sich einfach auf eine Bank oder Wiese zu setzen und die Landschaft auf sich wirken zu lassen. Genug, um mehrere Urlaube zu füllen und einen Haufen guter Geschichten für Zuhause mitbringen zu können.

Den August als Reisezeit - so wie ich es hier gemacht habe - würde ich in Zukunft eher meiden, während Ferragosto “gehört” das Land der eigenen Bevölkerung und der verbleibende Platz eignet sich nur bedingt zum Radfahren. Durch das milde Klima (bei aller alpiner Rauheit natürlich!) bietet sich aber bereits der frühe Mai aber auch der späte September oder sogar Oktober noch für einen Abstecher an - dort hat man dann jedenfalls mehr Platz auf den Straßen und auf den berühmten Gipfeln der Dolomiten.

Anreisetechnisch kann man sich entweder über die Südautobahn und dann über Tolmezzo und entlang des Tagliamento durch die karnischen Alpen heranarbeiten und wird dort wilde und ruhigere Gefilde vorfinden. Kommt man - so wie ich - über Osttirol und das Pustertal in die Dolomiten, findet man sich gleich im Herz der schroffen Steingebilde wieder und alle Möglichkeiten und Berge stehen einem offen. Die dritte Variante ist eine Anfahrt über die Brennerautobahn und Sterzing, wo man mit Rosengarten und Plose noch einmal eine etwas andere Charakteristik vorfindet.

Bis bald und ci vediamo! Wir sehen uns definitiv bald wieder!

Disclaimer

Die Reise fand in Zusammenarbeit und auf Einladung der Italienischen Zentrale für Tourismus in Österreich - ENIT statt.

10 Gedanken zum Bikepacking

Na gut, ich hab jetzt meine Vier-Tagestour absolviert, aber das macht mich bei weitem nicht zum Experten für Bikepacking und alles, was damit zu tun hat… Dennoch hatte ich während meines Dahinrollens durch die wunderschöne österreichische Landschaft genug Zeit, um über viele Sachen nachzudenken. Manche Dinge haben sich regelrecht aufgedrängt, über andere musste ich erst etwas grübeln. Auch wenn die folgenden Punkte also eine lose und absolut unvollständige Sammlung an Ideen und Gedanken sind, die auf keinerlei Grundlage basieren außer meinen eigenen Eindrücken, möchte ich sie euch dennoch nicht vorenthalten. Kann sein, dass auf der nächsten Tour schon wieder alles ganz anders ist, aber irgendwo muss man ja einmal anfangen! ;)

1/ Routenplanung

Ich kann mich stundenlang in der Routenplanung verlieren, auf Orte klicken, Verbindungslinien ziehen, Wegpunkte definieren. Das Reisen auf der Landakrte verleitet mich aber allzu oft dazu, meine tatsächlichen Fähigkeiten draußen auf der Straße zu überschätzen. 3.000 Höhenmeter? Ein Klacks. 250 Kilometer an drei Tagen hintereinander? Kein Problem. DOCH ein Problem, wie sich spätestens am ersten Tag einer solchen Tour herausstellt.

Für meine Runde habe ich erst den vierten oder fünften Entwurf der Komoot-Route genommen. Davor wollte ich zuerst durch ganz Österreich fahren, dann noch dieses oder jenes Highlight mitnehmen, die Freunde in XY besuchen und am besten noch ein paar Spots des Race Around Austrias besichtigen. Erst nach und nach hat sich glücklicherweise der Verstand durchgesetzt und mich “humanere” Routen erstellen lassen. Es ist einfach nicht möglich, alles und am besten auf einmal zu machen. Diese Erkenntnis mag anfangs schwer fallen, wenn man nur begrenzt Urlaub oder andere Verpflichtungen hat, aber man wird sich während des Trips nichts Gutes tun, wenn man ständig den Zielen hinterher läuft oder das Angstrebte nicht erreichen kann.

Daher lieber einen Gang zurückschalten, realistische Routen und Etappen wählen und mit Hausverstand vorgehen. Die Tour wird auf diese Weise ziemlich sicher größeren Spaß machen.

2/ Crosser, Gravel oder Rennrad

Eng mit der Routenplanung verknüpft ist die Wahl des Fahrrads. Ursprünglich wollte ich mich mit dem Gravelbike auf den Weg machen. Um jedoch “Sattel-Zeit” für das Race Around Austria zu bekommen, fiel die Entscheidung auf das Rennrad. In meinen Augen gibt es bei der Routenwahl fast immer einen Interessenskonflikt zwischen “schnell” und “schön”, und dieser wird durch die Wahl des Rads noch verstärkt. Für die pittoreske, erlebnis- und aussichtsreiche Runde würde ich daher beim nächsten Mal jedenfalls das Gravelbike nehmen. Damit ist es einfacher und auch entspannter, in ein Tal hineinzufahren, einmal den touristischen Schotter-Radweg zu nehmen oder auch mal irgendeinen Berg hochzufahren.

Sicher gibt es Anwendungsfälle für die schnelle Durchquerung von Ländern und Regionen mit dem Rennrad - hier zählt das schnelle Vorankommen, für das man auch das Fahren auf Bundesstraßen und weniger ansprechenden Pisten in Kauf nimmt. Im Sinne des “Erlebens” würde und werde ich jedoch beim nächsten Mal sicher die langsamere Version wählen und auf das Gravelbike setzen. Sicher - die Strava-Stats sind dann vielleicht nicht so eindrucksvoll, aber wen kümmert das schon! In einem Jahr, in dem (teilweise corona-bedingt) gefühlt jeder Dritte schon ein Everesting, ein paar KOMS und einen 300er in der Tasche hat, ist da ohnehin nicht mehr viel zu holen… Da zählen doch ein paar tolle Erinnerungen an einsame Bergseen, Alpenpanoramen und Güterwege mehr!

3/ Richtig Packen

Über Packstrategien, Taschen und Packlisten könnte man wohl unzählige eigene Artikel schreiben und vermutlich werde ich das an einer anderen Stelle auch noch tun. Ich habe eigentlich gedacht, dass ich durch viele Dienstreisen ausreichend geschult bin, kompakt und sparsam zu packen und trotzdem alles notwendige mitzuhaben. Der Bikepacking-Trip hat mich dahingehend jedoch etwas verwirrt: Dass ich aufgrund des Wetters nicht draußen geschlafen habe und das Mitführen von Schlafsack und Isomatte damit völlig umsonst war, ist eine Sache. Aber von meinem anderen Equipment - das eigentlich sehr sparsam gewählt war - habe ich auch nur knapp die Hälfte gebraucht. Riegel und Gels hätte ich beispielsweise einige Zuhause lassen können, da gab es unterwegs genug Alternativen. Durch den Zwischenstopp bei Freunden, wo ich meine Radsachen in die Schnellwäsche schmeissen konnte, hätte auch ein Set an Hose und Trikot gereicht. Ersatzteile wie Schläuche und Patronen einzusparen ist zwar ein naheliegender Gedanke aber im Falle des Falles steht man dann blöd da - auf diese Teile hätte ich dann doch nicht verzichten wollen.

Wesentlich ist wohl die Ausrichtung des Trips - ob man draußen schlafen möchte, ob man zwischendurch einmal Pause macht und dort waschen kann und so weiter. Dass es keine allgemeingültigen Regeln fürs Packen gibt ist klar, ebenso dass es eine recht individuelle Angelgenheit ist. Der sinnvollste Weg führt hier wohl über das Ausprobieren, Trial and Error, etwas Flexibilität (z.B. mit der optischen Sportbrille barfuß durchs Hotel zu laufen) und der Erkenntnis, dass man nur weiß, dass man nichts weiß…

4/ Freunde mitnehmen

Erinnerungen sind am Schönsten, wenn man sie teilen kann. Das geht im Nachhinein - so wie ich das bei meinem Trip gemacht habe bzw. mache. Wim Wenders hat sinngemäß einmal gesagt, Reisen sei wie einen Film zu belichten, entwickelt werden die Bilder erst nach der Reise in der Erinnerung. Doch Fotos herzuzeigen und Blogposts zu schreiben kann dennoch nicht ein gemeinsames Erlebnis ersetzen. Einen Sonnenuntergang zu erleben, gemeinsam eine Krise zu überwinden, im Team etwas zu schaffen ist Gold wert und jedes Teambuilding-Seminars würdig.

Etwas Hirnschmalz sollte man jedoch in die Auswahl der Mitfahrenden stecken. Kompatibilität auf mehreren Ebenen ist hier gefragt - leistungstechnisch, einstellungstechnisch und generell lebenstechnisch. Und ohne hier Illusionen zu zerstören oder langjährige Freundschaften auf die Probe stellen zu wollen: Das “sich gut verstehen” auf einer zweistündigen Ausfahrt heißt nicht automatisch, dass es auch auf einem Drei-Tages-Trip gut funktioniert…

5/ Keine Freunde mitnehmen

In diese Wunde streuen wir gleich noch mehr Salz, spricht doch auch gar nichts gegen einen Trip alleine - im Gegenteil! In meinen Augen gibt es ab und zu nichts besseres, als Zeit für sich selbst. Zehn Stunden durch die Gegend zu pedalieren, sich mit niemandem zu unterhalten, sich auf nichts konzentrieren zu müssen, leert den Kopf und das Gehirn - im positiven Sinn. Es ist plötzlich viel Raum da für Dinge, über die man schon lange einmal in Ruhe nachdenken wollte. Man kann sich in einen - Achtung: leicht esotherisch! - fast tranceähnlichen Zustand begeben (oder Flow oder wie auch immer man dazu sagen möchte) oder - und das ist mein Favorit - man denkt einfach an nichts und lässt die Dinge passieren. Dann fliegen einem plötzlich ganz von alleine Gedanken zu, es kommen Ideen und Einfälle, die in stressigen Zeiten einfach nicht den Weg zu einem finden.

6/ Stehenbleiben

Das alles muss man natürlich zulassen und wollen. Wenn man in Unterlenkerposition und mit gesenktem Haupt durch die Lande düst, wird man Schwierigkeiten haben, die Umgebung, die Menschen und die Eindrücke aufzusammeln. Umso wichtiger ist in meinen Augen das Stehenbleiben - nämlich das tatsächliche physische Stehenbleiben. Es soll nicht so oft passieren, dass man sein Etappenziel nicht mehr erreicht, es geht vielmehr darum, innehalten zu können, Dinge nicht (nur) im Vorbeifahren zu bemerken sondern sich bewusst auf etwas einzulassen. Wenn ich da nur an meine Tour denke: Beim Eis-Greissler in der Buckligen Welt? Stehenbleiben und kosten und erleben! Beim Stahlwerk der Voest in Donawitz? Stehenbleiben, absteigen, die Schautafeln vor dem Besucherzentrum ansehen und etwas über die Geschichte erfahren, die diesen ganzen Landstrich über Jahrzehnte geprägt hat. Kühe, Schafe, Ziegen am Wegesrand? Stehenbleiben und Hallo sagen! Eine außergewöhnliche Wolkenstimmung, eine imposante Autobahnbrücke, ein Badeteich, eine Raststation, Menschen am Straßenrand… Alles, an dem man schnell vorbeifährt, lässt man hinter sich - die Dinge, denen man kurz Zeit lässt, einen zu berühren, die nimmt man mit! Esotherik, Ende!

7/ Freunde besuchen

Bei allem Einsiedlertum und Zu-sich-selbst-finden kann eine Portion Erdung nicht schaden. Die holt man sich idealerweise bei Freunden, Bekannten oder Verwandten, die an der Strecke wohnen und einen vielleicht sogar auch noch mit einer Jause oder einem Schlafplatz verorgen können. Ich bin in der glücklichen Lage, über fast ganz Österreich verteilt Verwandte zu haben und in jenen weißen Flecken, die davon nicht umfasst sind, wohnen gute Freunde. Eine gute Möglichkeit zur Routenplanung wäre zum Beispiel, einige dieser Verwandten und Freunde als Wegpunkte herzunehmen und zu schauen, was dabei für eine Route rauskommt. Eine ideale Gelegenheit um verlorene Bekanntschaften wieder aufzunehmen, entfernte Beziehungen zu pflegen oder sich bei Freunden Updates über deren Leben zu holen. Facebook und Instagram schön und gut, aber das echte Leben schaut dann doch nochmal anders aus.

Und einen wichtigen Punkt habe ich oben bei der Routenplanung vergessen, aber er passt hier auch ganz gut hin: Viele Distanzen (zu Freunden, Verwandten, einstigen Urlaubszielen) kennt man mit dem Zug oder mit dem Auto. Man hat Erinnerungen an die Strecken, weiß wie lange man dorthin unterwegs war. Diese Distanzen mit dem Rad ab- oder nachzufahren, schafft einen ganz neuen Bezug zu Distanzen. (So wie es mir wichtig war, nach Mariazell zu radeln, wo wir jahrelang auf Urlaub hingefahren sind).

8/ Auf den Körper hören

Die wenigsten von uns sind in der glücklichen Lage, dauernd die Zeit für solche (mehrtägigen) Abenteuer zu haben. Dementsprechend ist der Körper derartige Belastungen wahrscheinlich nicht gewöhnt. Und auch wenn der Organismus sich enorm schnell auf solche Herausforderungen ein- und umstellen kann, sind kleinere oder größere Komplikationen wahrscheinlich. Ein zwickendes Knie, das die Belastung nicht gewohnt ist, ein Hintern, der sonst eher nur 2-3 Stunden im Sattel sitzt, Handgelenke, die nach mehreren Stunden kapitulieren wollen und mit zunehmendem Alter natürlich auch eine mangelnde Regnerationsfähigkeit.

Dass diese Dinge auftreten kann man nicht verhindern, wie man damit umgeht kann man jedoch sehr wohl selbst steuern. Wesentlich ist aus meiner Sicht, dass man auf seinen Körper hört, in sich hineinspürt und die Signale auch entsprechend (richtig) deutet. Über einen Schmerz einfach “drüberzufahren” macht weder aus gesundheitlicher Sicht Sinn noch wird die weitere Tour damit ein Freudenerlebnis werden. Zu unterscheiden, was wesentlich ist, wo weitere Schäden auftreten könnten oder wann es wohl besser ist, die Tour abzubrechen, ist nicht einfach aber wichtig. Und auch hier sei wieder erwähnt - und da muss ich mich auch selbst ab und zu an der Nase nehmen -, es ist nicht wichtig, ob auf Strava eine runde Zahl oder der vollgemachte Hunderter oder ein neuer Personal Record steht. Die Gesundheit geht hier jedenfalls vor.

9/ Flexibel bleiben

Eine Portion Flexibilität kann unterwegs jedenfalls nicht schaden - egal ob es um Routenänderungen geht, zusätzliche Pausen, Wetterkapriolen, technische Defekte oder das vorzeitige Ende einer Tour. Im Regelfall ist man nicht auf der Jagd nach Rekorden oder Erfolgen, etwas Gelassenheit und Gleichmut erleichtert hier das Leben unterwegs enorm. Das mag in anderen Teilen der Welt anders sein - beim Bikepacken in Kirgistan oder in Südamerika mag der nächste Schlafplatz oder Brunnen lebensentscheidend sein, hier in der Mitte Europas muss man sich über solche Dinge jedoch keine allzu großen Sorgen machen.

Dementsprechend sollte man auch bei kleineren Hindernissen nicht die Nerven wegschmeissen oder sich selbst unter Druck setzen, sondern ruhig und besonnen die Alternativen durchgehen. Anzuerkennen, dass man bestimmte Dinge - beispielsweise das Wetter - nicht beeinflussen kann, ist allemal besser, als daran zu verzweifeln. Auf meiner Tour musste ich wegen eines Unwetters eine Etappe früher beenden. Für den Folgetag musste ich die Route entsprechend adaptieren und dafür einen Berg auslassen, den ich eigentlich als eines der Highlights mitnehmen wollte. Aber hier zu verzweifeln macht genauso wenig Sinn wie am nächsten Tag daran zu scheitern, doch die ganze Tour fahren zu wollen (mit zusätzlichen Höhenmetern und Stunden im Sattel). Manchmal sind Heldensagen zwar die besseren Geschichten, aber nur wenn sie gut ausgehen.

10/ Genießen

Über allem sollte dieses eine Wort stehen - Genießen! Ohne Jagd auf Bestzeiten oder KOMs und mit dem Bewusstsein für die Landschaft und Gegend, durch die man gerade fährt, öffnen sich einem auf Tour so viele Möglichkeiten. Sicher geht es irgendwie auch um Kilometer, die man sammelt und Trainingseffekte, die darin versteckt sind, aber - Achtung, hier wird es noch einmal esotherisch - in meinen Augen liegt der eigentliche Sinn solcher Touren darin, größer zu werden! Etwas zu lernen - über sich selbst und über die Regionen, durch die man fährt. Davon zehrt man jedenfalls länger, als von einem 49. Platz auf einer Strava-Rangliste irgendeines Segments.

Festive 500-Tagebuch

24. Dezember 2019

Weihnachten! Das Fest der Liebe, des Friedens und der Familie ist gleichzeitig der Start von "Festive 500". Und während Friede (ein Gefühl, das sich bei mir im Sattel einstellt) und Liebe (eindeutige Assoziation mit dem Radeln) noch mit dem Radfahren in Verbindung gebracht werden können, steht die Familie in diametralem Gegensatz zu den Opfern, die man für die Festive 500 erbringen muss. Es gilt, 500 Kilometer zwischen Weihnachten und Silvester abzuspulen - an jenen acht Tagen also, an denen normalerweise Herumknotzen, Fernsehen und Kekse Essen im Vordergrund stehen.

500 Kilometer an acht Tagen ergibt 62,5 Kilometer pro Tag. Macht man einen Tag Pause, sind es bereits über 70 Kilometer pro Tag, bei zwei Aussetzern schon gut 80. "Veranstaltet" wird das ganze von Rapha und Strava, wobei das zwischendurch auch einmal hin- und hergewechselt hat.

Warum man sich das antun sollte? Naja, es gibt einen virtuellen Pokal auf Strava und wenn man sich entsprechend bei Rapha meldet, einen physischen Stoff-Badge, der dann - so wie alle derartigen Trophäen, die ich in meiner Laufbahn errungen habe - in irgendeiner Lade verstaubt. Wichtiger sind in meinen Augen allerdings andere "Belohnungen": der ultimative Sieg gegen den inneren Schweinehund - rauszugehen, während andere vor dem Ofen sitzen bleiben, Kalorien zu verbrennen, während andere vielleicht noch einmal auf den Keksteller greifen, sich ins Radgewand zu schmeißen, während andere den Tag im Pyjama verbringen.

Tag 1 bringt mir gut 72 Kilometer bei 750 Höhenmetern. Von Lienz aus fahre ich nach Osten, der vorhergesagte Föhnsturm hat mich meine Routenplanung adaptieren lassen, tatsächlich bleibt der Wind allerdings aus - also weder Qualen durch Gegenwind noch großartige Begünstigung durch Rückenwind. Auf der ansonsten wild befahrenen B100 durch das Drautal scheint auch eine Art Weihnachtsfrieden eingekehrt sein - während alle ihre letzten Einkäufe tätigen oder schon auf dem Weg zu den Freunden und Verwandten sind, kann ich in Ruhe auf der Bundesstraße dahinrollen. Für Abwechslung sorgen kurze Abstecher weg von der Bundesstraße und hinauf auf die benachbarten Hänge des Kärntner Drautals. Irschen, Dellach und Berg im Drautal liegen malerisch am Hang und genießen die klimatischen Vorzüge der Sonnseite - Plusgrade und herrlicher Sonnenschein, während auf der Schattseite Reif, Schnee, Eis und Grade um den Gefrierpunkt vorherrschen.

Ab Greifenburg wird das Tal weiter, der Schnee weniger und bei leichten Plusgraden fährt es sich noch einmal etwas leichter. Sachsenburg markiert den Zusammenschluss von Drau- und Mölltal, von hier aus geht es auf dem Drauradweg Richtung Spittal an der Drau. Abseits von vielbefahrenen Straßen ist man hier auf Güter- und Feldwegen, kleinen Straßen und Radwegen unterwegs. Die geplante Runde um den Millstätter See muss aufgrund von Zeitgründen ausfallen, von Spittal an der Drau gehts per Zug zurück nach Osttirol.

Tag 1: 72,4 KM; 14% der Festive 500 erreicht

25. Dezember 2019

Tag 2 meiner Festive 500 bringt die Verschärfung eines Festive 500-Aspekts, den ich im Vorfeld wohl nicht zu Ende gedacht habe. Natürlich macht es einen riesigen Unterschied, WO man die 500 Weihnachtskilometer abspulen möchte. Es gibt da in Singapur oder Indonesien diesen einen Radfahrer, der jedes Jahr in den ersten Stunden der Festive 500 die kompletten 500 Kilometer abspult. Jetzt ist die Bewältigung der großen Distanz natürlich an sich eine enorme Leistung, bei lauen und gemütlichen Temperaturen fällt dies allerdings leichter als bei jenen Witterungsbedingungen, die uns in einem durchschnittlichen Winter in den Alpen oder in Mitteleuropa begegnen. Man hat daher mit widrigen Bedingungen zu rechnen - egal ob das Regen und Nebel, Schnee und Eis oder Minusgrade sind. Ich verbringe die Feiertage mittlerweile traditionell in Osttirol - schön zum Skifahren, schön zum Langlaufen aber auf dem Rad wird man im Dezember eher schief angeschaut. Hinzu kommt, dass die letzten Jahre klimatisch sehr gutmütige Weihnachten produziert haben, schneefrei und verhältnismäßig warm. Mit diesen Erfahrungswerten bin ich im Vorfeld auch meine Touren- und Routenplanung angegangen. Die Realität von 2019 sieht allerdings anders aus: Radwege sind plötzlich gespurte Langlaufloipen, Wege im Schatten der Berge sind ob des Eises nahezu unbefahrbar und die Temperaturen sind für ein Weichei aus der Stadt wie mich doch eher außerhalb des Wohlfühlbereichs.

Meine via Komoot zusammengebastelten Routen und Wege sind daher nur bedingt brauchbar, viele von den "epischen" Bildern und Abenteuern, die ich im Sinne hatte, zerbrechen an der Realität des alpinen Winters.

Tag 2 zwingt mich wetter- und zeitbedingt zu einer meiner Standard-Runden, wenn ich in Osttirol mit dem Rad unterwegs bin, der Talboden-Runde. Dabei wird der Lienzer Talboden nach allen Seiten hin mehr oder weniger ausgefahren, mit ein paar kleinen "Schupfern" drinnen, etwas Bundesstraße und schönen Nebenwegen. Wieder ist es auf der Schattseite frisch und eisig, in der Sonne etwas wärmer und wunderschön, wie direkt von einer Postkarte abgemalt. Die Runde nütze ich gleich auch um festzustellen, welche meiner Wege und Radwege befahrbar sind oder nicht. Isel- und Pustertal fallen leider flach, einzig das Drautal kann am Radweg befahren werden. 54 Kilometer und knapp 480 Höhenmeter später werden die nassen Kleidungsstücke über den Ofen gehängt und mit der Familie gemeinsam auf Weihnachten angestoßen.

Nach zwei Tagen stehen 126 Kilometer in den Büchern, mein "Guthaben" beträgt einen Kilometer - nicht gerade ein großer Polster...

Tag 2: 125,5 KM; 25% der Festive 500 erreicht

26. Dezember 2019

Manchmal kommt es anders als man denkt... - zum Beispiel, dass nach 10 Kilometern das Vorderrad zu wabern beginnt, die Luft langsam weniger wird, das Fahrgefühl nicht mehr ganz so souverän ist. Mein BMC URS Testbike ist als Tubeless aufgesetzt, daher ist es erstmal kein Problem, weiterzufahren. Ich möchte nämlich nicht bei Minusgraden auf der Schattseite des Tals am Rad herumhantieren sondern lieber auf einer gemütlichen Bank in der Sonne. Doch auch daraus wird nichts, die Luft ist draussen. In Oberdrauburg wird der Reifen inspiziert, nachgepumpt, geflucht. Der Mantel kommt runter, Milch überall - irgendwie werde ich mit Tubeless nicht warm... Schaden am Reifen kann ich keinen finden, auch das Ventil scheint noch ganz und dicht, dennoch bleibt die Luft nicht drinnen. Ersatzschlauch habe ich natürlich einen mit, gewechselt ist auch schnell - die Finger werden in wenigen Momenten an der frischen Luft klamm. Das Aufpumpen der großvolumigen Schläuche dauert mit der Handpumpe eine gefühlte Ewigkeit und beim Abziehen der Pumpe passiert es - das Ventil geht mit und die Luft ist wieder draußen. Doch damit nicht genug, hat sich auch noch das Ventil in der Pumpe verkeilt. Mit Betteln und Bitten, Gewalt und Fluchen und meinen eiskalten Fingern bekomme ich es auch nicht mehr heraus. 19,3 statt der geplanten 120 Kilometer werfen natürlich auch meinen kompletten Festive 500-Plan über den Haufen. Aber wenn schon stranden, dann zumindest gleich neben dem Bahnhof. Also mit dem Zug zurück nach Lienz und Wunden lecken - der luftlose Walk of Shame vom Bahnhof zurück nach Hause ist genug für die geschundene Ehre.

Die Familie ist währenddessen hin- und hergerissen zwischen Empathie und Mitleid für den offensichtlich geistig umnachteten Radfahrer, unterstützender Motivation und Ärger über die stundenlangen Abwesenheiten. Dennoch stellt sich kurzfristig so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl ein, welches dann auch gleich in ein gemeinsames Brainstorming darüber mündet, wie denn die fehlenden Kilometer des heutigen Tages am besten wettgemacht werden können. Vorhergesagter Schnee, Regen und starker Wind gepaart mit der Aussicht auf einen weiteren "Patschen" führen zur Idee, in der Nähe des Zuhauses zu bleiben und hier irgendwie Kilometer abzuspulen. Unterschiedliche Runden und Varianten werden diskutiert, am Ende entscheide ich mich für eine Runde direkt vor dem Haus, auf der ich am nächsten Tag ein paar Kilometer wiedergutmachen kann.

Tag 3: 145,8 KM; 29% der Festive 500 erreicht

27. Dezember 2019

Vier Stunden sind heute eingeplant, der Blick aus dem Fenster ist nicht sehr verheißungsvoll - leichtes Tröpfeln und Wind, aber daran habe ich mich mittlerweile irgendwie gewöhnt. Und tatsächlich ist es so, dass mit der richtigen Kleidung viel vom Schrecken des schlechten Wetters verloren geht. (Und ja, ich hasse den Spruch "Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Ausrüstung"). In weiser Voraussicht habe ich meinen halben Kleiderkasten nach Osttirol mitgeschleppt, alles was nach Winter aussieht, nach Merino riecht oder mit Primaloft gefüllt ist.

An den Füßen Merino-Socken (Fingerscrossed oder Isadore), Heizpads auf die Zehen und die dicken Fizik-Winterschuhe. Zwei Hosen (RH77 und Isadore), die jeweils mit flauschigem Thermo-Material ausgeführt sind. Einzige Schwachstelle - wie leider bei fast allen Hosen, die ich bisher hatte - ist die goldene Mitte. Ich hoffe meine Zeugungsfähigkeit wird darunter nicht allzu sehr leiden.

Der Oberkörper bekommt drei Schichten gegönnt - Merino Baselayer (Isadore), Langarmtrikot (Isadore, RH77) und darüber noch eine Jacke (Isolation - RH77/Isadore oder aber die Primaloft Jacke von Löffler). Auf den Kopf kommt meine alte Rapha-Haube, die Hände bekommen auch zwei Lagen - einen Merino Liner-Handschuh von Rapha und darüber die großartigen weil langen und dichten Isadore-Handschuhe). Dieses Setup variiere und mische ich durch, je nachdem, was ich gerade für wichtig erachte - tatsächlich sind die Unterschiede allerdings gering. Am Körper selbst sind maximal die ersten Kilometer frisch, sobald man allerdings auf Betriebstemperatur ist oder stetig vor sich hin pedaliert, wird es meistens angenehm warm oder zumindest erträglich. Probleme treten dagegen an den äußeren Enden des Körpers auf: Zehen werden kalt, egal wie gut man sie verpackt, unabhängig der Zahl der Wärmepads oder der Qualität der Schuhe. Die Frage ist hier nicht "ob", sondern eher "wann". Den Moment des Erfrierens hinauszuzögern ist also die eigentliche Aufgabe. Gleiches gilt für die Hände, die - wie die Füße auch - ständig dem Fahrtwind ausgesetzt sind. Ich helfe mir mit häufigem Umgreifen am Lenker, damit nicht ständig die gleichen Stellen exponiert sind und fahre ab und zu für ein paar Meter freihändig und verstecke dabei die Hände unter den Achseln oder hinter dem Rücken.

Derart vorbereitet besteht mein 4. Tag der Festive 500 aus der am Vorabend ausbaldowerten Idee, vor der Haustüre Runden zu fahren. Der ausgesuchte Kurs ist 1,7 Kilometer lang, führt teilweise auf einem Radweg, zumeist aber - auf weihnachtsbedingt leergeräumten Straßen - durch ein nahes Gewerbegebiet. Pausen zur Verpflegung, zum Aufwärmen oder im Falle eines Defekts kann ich jederzeit zuhause einlegen - so eine Möglichkeit eines Boxenstopps beruhigt. Bei jeder Passage der imaginären Start- und Ziellinie drücke ich auf den Lap-Button meines Wahoos, dieser zeigt jeweils um die 4 Minuten Fahrzeit für die 1.740 Meter. Die Menschen, die mir auf meinem Rundkurs begegnen, auch sie schwanken zwischen Verwunderung und Mitleid - vor allem jene, die nicht innerhalb der vier Minuten Rundenzeit wieder verschwunden sind, denen ich also mehrmals begegne. Die Mitarbeiter des Autohauses an der Strecke kennen sich irgendwann gar nicht mehr aus, ignorieren aber wohl den Radler, der da seine Runden dreht. Auch die Angestellten der Bäckerei kümmern sich nicht um mich, umgekehrt weht mir aber in jeder Runde der Duft frischgebackenes Brotes um die Nase.

Bis zum Mittagessen möchte ich fahren, so viele Kilometer wie möglich für die Festive 500 hamstern. Unterwegs bleibt viel Zeit zum Nachdenken, ich erfinde das "1. Internationale Peggetz Winterkriterium" mit mir als einzigem Starter (mit dementsprechend aussichtsreichen Gewinnchancen!), rekapituliere die ersten Tage der Festive 500 und kann auch abseits des Radelns den einen oder anderen Gedanken wälzen. Das Format eines Kriteriums wird meiner Meinung nach ja wieder an Attraktivität gewinnen und hoffentlich auch eine Art Renaissance erleben. Große Attraktivität für Zuschauer gepaart mit einem erheblich geringeren Organisationsaufwand sind eine Kombination, mit denen große Rennen und Rundfahrten zunehmend ihre Probleme haben (vor allem mit zweiterem). Ein richtiges Rennen würde wohl über eine kürzere Distanz führen als mein Experiment hier, ich genieße aber die körperliche und mentale Herausforderung. Stetiges Abspulen von Runden hat mir noch nie große Probleme bereitet, so stehen am Ende dann auch 58 Runden auf dem Wahoo und mit 101 Kilometern kann ich mein Festive 500-Konto wieder etwas aufbessern.

Tag 4: 247,0 KM; 49% der Festive 500 erreicht

28. Dezember 2019

Für diesen Tag ist besseres Wetter vorhergesagt - im Sinne von weniger Wolken und mehr Sonne. Allerdings gesellen sich tiefe Temperaturen und starker Nordwestwind dazu. Die Routenplanung ergibt daher - wie schon am ersten Tag - einen "Transfer Ride", also eine Rückfahrt mit dem Zug. Noch einmal durchs Drautal zu fahren reizt mich nicht - es wäre dies das vierte Mal innerhalb von vier Tagen und den Abschnitt bis Oberdrauburg muss ich ohnehin wieder zurücklegen. Die erste Challenge des Tages soll der Gailbergsattel werden, an sich keine große Prüfung aber unter winterlichen Bedingungen und bei knappen Minusgraden doch nicht ganz so ohne. Am Gailbergsattel angekommen bläst dann tatsächlich der Wind - viel stärker als geplant und aus allen Richtungen, sodass ich kurz mein heutigen Vorhaben zu zweifeln beginne. Am Sattel selbst scheint mir die Sonne ins Gesicht und alle Zweifel sind verflogen. Ein kurzer Abstecher auf der Abfahrt vom Gailbergsattel führt mich - traditionell - zu den Wurzeln einer meiner Familienhälften nach Laas und bringt eine kurze Verschnaufpause, bevor es in die restliche Abfahrt nach Kötschach hinuntergeht. Ich rolle den Berg nur hinunter, reduziere sogar bewusst die Geschwindigkeit, weil der eisige Fahrtwind meine Finger und Zehen ans Limit bringt. Es fühlt sich an, als würden Nadeln in die Finger und Zehen stechen und das eigentlich Grausliche daran ist, dass man während der Fahrt weder durch Positionswechsel noch durch andere Maßnahmen Linderung bewirken kann.

Ich erreiche das Gailtal unter einer dicken Decke von Nebel, die zwar da und dort die Sonne durchblitzen lässt, gleichzeitig sind aber auch die Temperaturen noch weit in den Minusgraden und der Radweg, der mich gen Osten führen soll ist unter einer fragwürdigen Schnee- und Eisschicht verborgen. Die ersten 10-15 Kilometer friere ich mich über den Radweg, unter Reif und Schnee verborgene kleine Eisplatten lassen meinen Puls immer wieder kurz hochschießen. Erst kurz vor Tröpolach ist der Nebel endgültig verschwunden und die einzige Trübung der Sonne erfolgt durch die Schneekanonen des Skigebiets am Nassfeld, dass sich über meiner rechten Schulter erhebt.

Um nicht permanent auf der Schattseite fahren zu müssen und meiner Seele auch etwas Sonnenschein zu gönnen, fahre ich nicht auf dem offiziellen Radweg sondern auf einem Begleitweg der Gail. Mit meinem Gravelbike bin ich für derartigen Untergrund grundsätzlich perfekt ausgerüstet, jedoch bringt die Sonne mit sich, dass die schmelzende Schneedecke den darunterliegenden lehmigen Erdboden in eine zähe Masse verwandelt, die einiges an Kraft erfordert. Mein Durchackern dieser Wege richtet auch mein Rad entsprechend zu, URS erträgt allerdings mit stoischer Gelassenheit meine Schmutzattacken auf Tretlager, Antrieb und Rahmen und verrichtet einwandfrei seinen Dienst.

Bei Hermagor wechsle ich auf den Drauradweg 3a, eine weitere Ader des in Kärnten sehr gut ausgebauten Radwegenetzes. Auf den unberührten und mit Schnee bedeckten Wegen, die vor mir liegen, entdecke ich plötzlich Reifenspuren und wähne mich nicht mehr als einzigen Verrückten, der hier mit dem Rad unterwegs ist. Ich finde den gesuchten Radfahrer nicht, für meinen Kopf ist es allerdings eine willkommene Abwechslung - schließlich bin ich schon recht lange alleine auf meinen Wegen unterwegs.

Vor mir erhebt sich der Dobratsch, der Villacher Hausberg und damit kann ich ungefähr erahnen, wie weit mich der heutige Tag noch führt. Am Fuße des Dobratsch führt der Radweg durch wunderbare Nadelwälder, über asphaltierte und geschotterte Wege, wellig und flott geht es dahin - ich bin kurz in so etwas wie einem Flow, bin ganz bei mir selbst. Bei Arnoldstein beginnt es zu rauschen, das Geräusch kommt näher und nach dem Überqueren einer Brücke, fährt man für kurze Zeit neben der Autobahn, die sich an dieser Stelle aus Italien Richtung Villach und Klagenfurt schlängelt. Dieser Streckenabschnitt ist mir noch von der Tour de Franz im Sommer in Erinnerung, da hatte es allerdings rund 30 Grad mehr. Die Fußgeherfrequenz steigt, mit ihr auch Hunde, Pferde und andere Gesellschaft - man nähert sich der Stadt. Noch immer entlang der Gail führt der Radweg bis an den Stadtrand von Villach, das heutige Etappenziel ist erreicht. Richtung Bahnhof benütze ich einen der vielen Radwege in der Stadt, zuerst steuere ich noch fälschlicherweise den Westbahnhof an, danach den "richtigen" Hauptbahnhof. Ich überfalle eine Tankstelle am Weg und nehme alles mit, was aus Plunder, Nougat, Cola und Marmelade besteht und warte auf meinen Zug zurück nach Lienz.

Tag 5: 370,1 KM; 74% der Festive 500 erreicht

29. Dezember 2019

Es ist Sonntag und damit Tag des Herrn. Die einen gehen in die Kirche, die anderen - scheinbar nicht minder religiös - beten den österreichischen Ski-Gott an, der in Form des Damen-Skiweltcups in Lienz Halt macht. Auch ich fröhne einer Art Spiritualität beim Radfahren, obwohl der Blick aufs Thermometer eher an Kasteiung und Selbstgeißelung denken lässt. Bei -8 Grad bin ich noch nicht oft in meinem Leben nach draußen gegangen, um Rad zu fahren. Festive 500 kümmert sich allerdings nicht um derartige Befindlichkeiten und somit verlasse ich unter leichtem Kopfschütteln der Familie das Haus, um - nun bereits zum fünften Mal - im Talboden Richtung Oberdrauburg zu fahren. Dank Skirennen läuft der Verkehr nur in eine Richtung, die Bundesstraße lässt mich vergleichsweise rasch ein paar Kilometer sammeln. Auf der Rückfahrt wirft mir die Schattseite über eine knappe Stunde die vollen -7 oder -8 Grad entgegen, ich überlege kurz aufzuhören oder irgendwo einzukehren, doch Pausen machen das ganze Unterfangen nicht wirklich einfacher. Und halbwegs aufgewärmt wieder aufs Rad zu steigen ist in vielen Fällen die größere Qual als das Weitermachen.

Ich lege einen kurzen Stopp beim Zielhang des Skirennens ein, auch als Nicht-Fan haben derartige Ereignisse natürlich ihren Reiz. Der weitere Weg führt heute hinein ins Iseltal und wieder zurück. Meine Hoffnung auf einen schneegeräumten Isel-Radweg erfüllt sich leider nicht, auf der Bundesstraße ist es eher spaßbefreit aber immerhin scheint die Sonne, -4 Grad sind da schon eine bedeutende Verbesserung.

80 Kilometer stehen am Ende auf dem Wahoo, genau was ich wollte. Damit bleiben für die letzten beiden Tage noch 50 Kilometer, die für die Erreichung der Aufgabe fehlen. Und nebenbei wurde auch noch die eigene Vorgabe erfüllt, zumindest an einem der acht Tage nicht fahren zu müssen und stattdessen etwas mit der Familie unternehmen zu können.

Wie auch schon an den letzten Tagen hat sich bei niedrigen Temperaturen ein massives Problem ergeben, jenes der Verpflegung nämlich. Gels sind an sich keine Herausforderung, ihre Konsistenz ist auch bei niedrigen Temperaturen nahezu unverändert und damit auch deren Verzehr. Bei Riegeln wird die Sache mitunter schon etwas komplizierter. Wer schon einmal versucht hat, einen halbgefrorenen Clifbar oder Powerbar runterzubekommen, weiß wovon ich spreche. Mein Tipp ist so einfach wie banal, nämlich den Riegel möglichst nah am Körper zu tragen und damit warm zu halten. Die Trikottaschen unter der Jacke reichen dafür in der Regel aus, alles was außen liegt ist zu exponiert. Richtig schwer wird es allerdings mit den Trinkflaschen, diese sind permanent den niedrigen Temperaturen ausgesetzt. Ein Rucksack mit einer Trinkblase, die nahe am Körper anliegt, wäre ein gangbarer Weg aber mit Rucksack fühle ich mich am Rennrad nicht wohl. Thermo(s)flaschen sind auch eine Variante, allerdings halten derartige Flaschen die Flüssigkeit auch nur minimal länger warm (außer es sind dezidierte Thermosflaschen). Und dann gibt es da noch den Mpemba-Effekt, demzufolge es - frei interpretiert - auch keinen Sinn macht, besonders warme Getränke in normale Flaschen einzufüllen, da diese noch schneller abkühlen als kühle. Ich habe so gut wie nichts getrunken bei meinen Ausfahrten, weil meine Flaschen stets innerhalb von kurzer Zeit so kalt waren, dass nur noch kleine Schlücke möglich waren, ohne dass einem auch noch innerlich ganz kalt wird. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie man das am besten handhabt.

Tag 6: 450,3 KM; 90% der Festive 500 erreicht

30. Dezember 2019

Finale! Eigentlich bin ich ja mit allerhand Routen, Ideen und Bildern von epischen Abenteuern nach Osttirol gekommen. Man ist von Instagram und dergleichen ja mittlerweile auch schon insofern verklärt, als jedes Unterfangen "außergewöhnlich", "besonders" oder eben "epic" sein muss. Eine normale Ausfahrt in schöner Umgebung ist da vermeintlich ja schon fast nichts mehr, über das man berichten könnte. Die Realitäten des Osttiroler Winters haben mich aber in Demut gelehrt, genauso wie die Erkenntnis, dass 500 Kilometer innerhalb einer Woche keine einfache Aufgabe darstellen.

Und so mache ich mich erneut auf den Weg durch den Lienzer Talboden, die Strecken zu wiederholen und immer wieder abzufahren empfinde ich dementsprechend auch nicht als Schande sondern schlicht und ergreifend als Maximum dessen, was unter diesen Rahmenbedingungen möglich ist. Und mit dieser Einstellung fällt es auch wieder leicht, das Schöne zu sehen: die Berge, die Sonne, die Landschaft, die Kirchen an den Berghängen, die Höfe auf den Hügeln - all das, wofür es keine epischen Abenteuer braucht sondern nur den Schritt vor die Tür.

Gut 54 Kilometer später kann ich die hartnäckigen Minusgrade endgültig vergessen, den Heimathafen ansteuern aber nicht ohne vorher noch bei der Tankstelle eine Flache Sekt in meine Trikottasche zu stecken. Die Erledigung der Festive 500 soll einen würdigen Abschluss erfahren.

Ein letztes Mal den Wahoo synchronisieren, die Fotos des Tages bearbeiten und das Ganze auf Komoot und auf Strava hochladen - das ist mittlerweile zum Ritual geworden. Auf der Seite der Festive 500-Herausforderung wandert der Balken nach rechts, erreicht die 100% und überschreitet diese Grenze geringfügig. Ein Fenster poppt auf, Gratulation zur absolvierten Challenge, Halleluja.

Tag 7: 504,9 KM; 101% der Festive 500 erreicht

31. Dezember 2019

8:30, zum ersten Mal seit acht Tagen muss ich nicht darüber nachdenken, wohin ich heute fahre, was ich anziehe oder wie weit ich fahren sollte. Zum ersten Mal kann ich das machen, was der Rest der Familie und vermutlich so gut wie jeder andere Mensch in Osttirol zu dieser Jahreszeit macht, wenn er Sport machen will - in meinem Fall ein paar Runden auf den Langlauf-Skiern.

Zurück von der Skating-Runde folgt auf Strava eine kurze Krise. Plötzlich scheinen in meiner Challenge nur noch 495 Kilometer statt der tatsächlich gefahrenen 505 auf, Erreichungsgrad 98%. Schnell mache ich Screenshots von allen Mails und Nachrichten, die ich bereits bekommen hatte, in denen samt und sonders steht, dass ich die Herausforderung absolviert habe. Mal schauen, was meine Anfrage an Strava bringt... Auch bei eventuellen Ungenauigkeiten oder Neuberechnungen sollte ich mit 505 Kilometern auf der sicheren Seite sein. Was ich allerdings in den letzten Tagen erlebt habe, kann mir ohnehin keiner mehr nehmen. Ebenso wie es an sich völlig egal wäre, ob ich dafür nun ein virtuelles Abzeichen oder einen kleinen Stoff-Aufnäher bekomme. Die Tatsache, dass ich für 500 Kilometer am Rad gesessen bin, bringt ohnehin mehr mit als nur das formale Absolvieren der Challenge. Ich konnte ohne jegliches schlechtes Gewissen Kekse in mich hineinstopfen, war gemütlich im Ausdauermodus unterwegs und hab dementsprechend (hoffentlich) schon eine kleine Trainingsbasis fürs Frühjahr gelegt und hab einen großen Kampf gegen den inneren Schweinehund gewonnen.

Tipps

Abschließend möchte ich die Erkenntnisse meiner Festive 500-Woche in einige Tipps fließen lassen, für folgende Jahre und andere Radlerinnen und Radler, die eventuell etwas Inspiration brauchen.

Möglichst früh, möglichst viel

Gerade die ersten beiden Tage sind oft für Feierlichkeiten reserviert. Wer allerdings schon zu Beginn aussetzt oder Kilometer auf später verschiebt, tut sich nichts Gutes. Es steigt damit der Druck und die anfangs noch vorhandene Freude an der Herausforderung wird vermutlich zunehmend schwinden.

Routenwahl

Die Routenwahl ist aus zweierlei Gründen relevant. Einerseits hat die Tourenplanung großen Einfluss darauf, wie schnell man die 500 Kilometer erreicht - flach gewinnt vor bergig. Zweiter Aspekt ist das Klima - je nachdem, in welcher Region man unterwegs ist, kann man sich mit einer geschickten Routenwahl das Leben einfacher oder lebenswerter gestalten. Lange Abfahrten bei niedrigen Temperaturen tun dem Körper nichts Gutes.

Rad

Natürlich auch in Abhängigkeit der Region, des Terrains und der Pläne ist die Wahl des geeigneten Rads essentiell. Ich war sehr glücklich mit der Wahl des Gravelbikes von BMC, es war der exakt richtige Erfüllungsgehilfe für meine Challenge. Sich nicht um (speziell im Winter) schlechten Asphalt kümmern zu müssen, Schotter und Splitt auf der Straße ignorieren zu können und auch auf Schnee und Eis etwas mehr Sicherheit zu genießen, ist das eine. Bei der Routenwahl auch Schotter, Erde und Waldwege miteinbeziehen zu können, das andere - eine enorme Bereicherung der Routenvielfalt und des damit verbundenen Fahrspaßes.

Rücklicht

Es mag banal erscheinen aber ich habe für die Festive 500 ein neues Rücklicht angeschafft. Dieses hat Leuchtstufen, die ehrlicherweise mit keinem Gesetz der Welt mehr vereinbar sein dürften, allerdings hat es mir die Sicherheit gegeben, mit der ich auch auf viel befahrenen Bundesstraßen und bei schlechten Lichtverhältnissen beruhigt unterwegs war.

Rahmentasche

Auch neu für mich war die Rahmentasche, wobei ich mich ja grundsätzlich eher gegen allzu viel Ballast und Gepäck auf dem Rad ausspreche. Hintergedanke war, immer einen trockenen Ersatz-Baselayer mitzuführen, eine weitere Jacke und eine Außenschicht, Ersatzschlauch und Werkzeug nicht im Trikot verstauen zu müssen und auf langen Touren auch etwas mehr Verpflegung mitzuführen. Die wasserdichte Ortlieb-Tasche konnte alle diese Erwartungen erfüllen, war ein praktischer Begleiter und hat sich auf diesem Wege wohl auch für künftige Herausforderungen wie das Race Around Austria Unsupported qualifiziert.

Gesellschaft

Was ich nicht hatte, kann wohl ein großer Vorteil bei der Bewältigung von 500 Kilometern in acht Tagen sein - Gesellschaft, jemand, der mitleidet, jemand der motiviert und mitfühlt.

Familie

Die Familie kann natürlich auch motivieren und unterstützen, wird jedoch nie die "Innensicht" haben, das verstehen, was man am Rad durchlebt und die Motive, warum man das ganze auf sich nimmt. Umgekehrt ist es essentiell, der Familie auch etwas zurückzugeben - die Entbehrungen und die Abwesenheit sind immerhin beträchtlich!

Keinen Druck machen

Entspannt zu bleiben ist wohl auch ein Schlüssel zum Erfolg. Egal, ob man mit den Kilometern hinten ist, ob man ein technisches Problem hat oder aber - wie oben erwähnt - Sorge hat, weil man “nur” vermeintlich ereignislos und unberichtenswert auf allseits bekannten Wegen hin- und herrollt. Spaß haben, genießen und das Ganze zu spüren, sollte im Vordergrund stehen. Und rechtfertigen muss man sich sowieso immer nur vor sich selbst!

Genießen und Feiern

Ganz in diesem Sinne gilt es natürlich auch, den Erfolg entsprechend zu zelebrieren. 500 Kilometer sind in meinem Fall rund 10 Prozent meiner aktuellen Jahreskilometerleistung. Angesichts meines Fitnesszustands bin ich daher auch aus sportlicher Sicht mit meinen Festive 500 sehr zufrieden. Schwerer wiegen allerdings trotzdem die Erlebnisse und die Dinge, die mir durch den Kopf gegangen sind, während ich rund 21 Stunden auf dem Rad gesessen bin. Damit kann ich mit aufgeräumten Gedanken und einem durchgelüfteten Hin in ein neues Jahr starten!

BMC Urs im Test

Nachdem ich im Sommer diesen Jahres philosophiert und endlich - für mich selbst und nach langem Überlegen - rausgefunden habe, was "Gravel" eigentlich bedeutet, welche Möglichkeiten damit verbunden sind und wohin die Reise gehen könnte, geht es nun um das Material an sich. Dass ich mit den Versuchen, meinen Crosser umzubauen gescheitert bin, lasse ich hinter mir. Vor mir liegen hingegen einige Ideen und Projekte, bei deren Realisierung ich mich gerne eines tatsächlichen Gravel-Bikes bedienen würde - wo nämlich weder Rennrad, Crosser noch MTB-Hardtail 100% hineinpassen. Die Rede ist von längeren Touren, Bikepacking und einem Vordringen in die Berge, ohne dabei größere Kompromisse eingehen zu müssen und gleichzeitig sowohl auf Asphalt als auch auf Schotter- und Waldwegen gleichsam gut vorwärts zu kommen.

Auf die Unterschiede zwischen den Radkategorien bin ich schon an anderer Stelle eingegangen, ebenso auf die Frage ob man unbedingt ein weiteres (spezifisches) Rad braucht (grundsätzlich Nein) oder ob man das nicht auch mit dem Crosser fahren könnte (grundsätzlich Ja). Belassen wir es dabei, dass Präferenzen und Vorlieben unterschiedlich sind, jede und jeder ohnehin für sich selbst entscheiden sollte, was sie oder er braucht und will. Am besten probiert man diese Dinge auch selbst aus, so wie ich das in Osttirol mit meinem Crossbike versucht habe und erst dort - im direkten Einsatz - draufgekommen bin, was ich "brauche" und welches Material dafür am besten geeignet ist.

Apropos selbst versuchen... Während meines Selbstversuchs im Sommer war das neue BMC Gravelbike gerade erst ein paar Wochen vorgestellt. Das Konzept war damals schon vielversprechend und ehrlicherweise hatte ich das Rad schon zu diesem Zeitpunkt ein bisschen in meinem Hinterkopf. Nun konnte ich „URS“ für einige Ausfahrten testen und dabei genau jene Punkte abklopfen, die ich auf meiner geistigen To-Do-Liste gespeichert hatte. Um das, was ich mir vorab zusammengesponnen hatte, zu verifizieren oder mich eines besseren belehren zu lassen.

URS

Urs ist zweifellos Schweizer, sein Name bezieht sich allerdings nicht auf den Bären (Ursus) sondern ist ein Buchstabenwort aus "Unrestricted" und damit der Verweis auf das "Anything goes" und die übergreifenden Disziplinen, die das Rad abdecken soll.

Was unterscheidet jetzt aber URS von den bisherigen - und von mir eher kritisch gesehenen - Gravelbikes, bei denen tendenziell nur breitere Reifen in einen bestehenden Rennradrahmen gehängt wurden?

Am wichtigsten ist wohl die spezielle Geometrie und diese spielt sich in erster Linie an der Front ab. Der Lenkwinkel ist sehr flach, um mehr Laufruhe und eine gute Basis im Gelände zu haben. Die dadurch entstehende Schwerfälligkeit in der Lenkung verhindert BMC durch einen kurzen Vorbau, der die entsprechende Reaktionsfähigkeit des Vorderrads sicherstellt. Im Großen und Ganzen kennt man das von modernen Mountainbike-Geometrien (nicht nur bei BMC), den eigentlichen Ursprung hat der Trend bei den Enduro-Bikes.

Der Rahmen ist eine Neu-Entwicklung und kein adaptierter Rennradrahmen. Die serienmäßig montierten 42mm WTB-Reifen belegen die enorme Reifenfreiheit. Wie auch einige andere Hersteller verbaut BMC ein Federungssystem am Hinterbau, um den Komfort im Sattel noch weiter zu erhöhen. Dabei kommt - wie auch schon bei den Teamelite MTB-Modellen von BMC - ein Elastomer-Element zum Einsatz, dass zwischen Sitzstreben und Sitzrohr unliebsame Schläge abfedern soll. Der Rahmen weist außerdem noch einige gravel- oder geländespezifische Merkmale auf, die das Leben einfacher und sicherer machen sollen: Protektoren für den Rahmen, zusätzliche Ösen und Schrauben für Taschen und Zubehör, eine Kabelführung in der Gabel für einen möglichen Nabendynamo und vieles mehr.

Je nach Ausstattungsvariante kommen noch weitere Goodies dazu: Carbon-Felgen fürs Gelände von DT-Swiss, offroad-spezifische Schaltgruppen, und und und. Ebenfalls abhängig von Modell und Ausstattung ist das Gewicht, das Topmodell fühlt sich mit seinen etwas über 8 Kilogramm beim ersten Mal Anheben erstaunlich leicht an, was natürlich auch der Performance während der Fahrt zugute kommt.

Die Varianten des URS

URS startet bei 2.999 Euro für das Modell "Four" und gipfelt mit 8.999 Euro bei URS "One".

Die Antriebe sind durchwegs als "1x" spezifiziert, je nach Gruppe bekommt man damit 11 oder 12 Gänge. Die Kompatibilität von Cross-, Rennrad und MTB-Gruppen ermöglicht es heutzutage ohne weiteres, einzelne Komponenten unterschiedlicher Gruppen zu kombinieren und dabei auch elektronische Schaltungen einzusetzen (beim URS One und Two). Bei der Übersetzung überrascht, dass nur das Topmodell eine größere Bandbreite bietet, 38x50 ermöglicht auch in steileren Gefilden noch eher ein Fortkommen als 40x42. Die Farben sind grundsätzlich Geschmackssache, gefallen - mir persönlich - aber in ihrer Schlichtheit sehr gut. Die Kontrastfarben an den Gabelholmen sorgen für etwas Abwechslung. Neben Rahmen und Gabel teilen sich auch alle Modelle die gleichen Reifen von WTB mit einer Breite von 42mm.

Meine Eindrücke - URS in Aktion!

Schon nach wenigen Metern merkt man, dass man sich nicht auf einem "verkleideten" Rennrad befindet. Nahe am Crosser aber dennoch anders in der Geometrie, der Straßenlage, Laufruhe und Charakteristik. Auch wenn man vermeintlich nicht geglaubt hat, dass zwischen Rennrad und Crosser noch Platz ist, der URS füllt hier definitiv eine Lücke. Und dass es sich dabei um keine rein marketing-kreierte Lücke handelt merkt man, wenn man mit URS ins Gelände abbiegt. Zugegebenermaßen sind es Feinheiten, aber je länger man im Sattel sitzt und je vielseitiger die Einsatzbereiche sind, umso mehr fallen diese Kleinigkeiten ins Gewicht.

Der Rahmen ist sehr steif und gibt gutes Feedback. Alleine schon der Blick auf den massiven Tretlagerbereich gibt Auskunft über Stabilität und Steifigkeit bei kurzen Antritten als auch bei längerem Krafteinsatz. Verwindungen sind vom Rahmen her keine zu spüren, die Direktheit endet hier (naturgemäß) eher bei den breiten Reifen.

Die Geometrie ist speziell - wie oben schon erwähnt, wird durch den flachen Lenkwinkel der Vorbau kürzer, dadurch wiederum das Oberrohr länger. Wer mit der Anschaffung eines URS liebäugelt, sollte daher aus meiner Sicht vorher den Händler aufsuchen und dort gemeinsam die Maße besprechen. Blindlings die gleiche Größe wie bei anderen Rädern zu nehmen, kann unter Umständen problematisch werden. Mit meinen 1,94 m Körpergröße und einem langen Oberkörper stellt die Wahl der richtigen Größe bei mir grundsätzlich und fast immer eine Herausforderung dar - ich sitze meistens zwischen den beiden Stühlen "Large" und "X-Large". Die Geschichte mit dem flachen Lenkwinkel kenne ich schon von meinem MTB, daher weiß ich halbwegs, wie ich die veränderten Werte in der Geometrie zu interpretieren habe und was diese für die Position auf dem Rad bedeuten. Das "XL" wäre mir in der Praxis oben etwas zu lang und damit würde ich gefühlt einiges an Wendigkeit verlieren, das "L" ist mir oben fast schon etwas zu kurz, dafür fühlt es sich wendig und agil an. (Zum Glück hat PBike einen schlauen Computer mit meinen Körperdaten, um mir bei der Größenwahl zu helfen!)

Um noch kurz beim Rahmen zu bleiben, dieser hat im Tretlagerbereich viel Bodenfreiheit und bietet damit entsprechend viel Spielraum, um über Dinge drüberzufahren oder sich zumindest nicht das Kettenblatt an Mauern, Steinen oder Wurzeln zu beleidigen.

Die Flaschenhalter im Rahmendreieck sind tief positioniert, damit entsteht viel Raum, der zum Beispiel für eine Rahmentasche genützt werden kann. Und - speaking of Bikepacking - URS macht natürlich auch eine hervorragende Figur im Adventure Modus, wenn man außerdem noch Sattel- und Lenkertasche dazumontiert. Zwei Gewinde im vorderen Bereich des Oberrohrs erlauben außerdem noch, dort eine kleine Zusatztasche mitzuführen. So kann der Mehrtagestrip kommen!

Damit eine Lenkertasche oder -Rolle zwischen den Drops Platz hat, werden von BMC Lenker mit "Flare" verbaut, bei denen also die Lenkerenden nach außen gebogen sind. Weiterer Benefit dieser Lösung ist eine bessere Kontrolle über das Rad in schnellen Offroad-Passagen. Lenker mit Flare sind allerdings auch Geschmackssache, so bin ich beispielsweise kein Fan davon und würde bei meinem URS einen konventionellen Lenker draufschrauben. Mich irritiert die Griffposition eher, als dass ich einen wirklichen Nutzen erkennen könnte. Außerdem bin ich bestimmte Griffpositionen vom Rennrad gewöhnt, die ich so auch auf einem URS beibehalten wollte. Und letztlich sind in Unterlenkerposition auch die Schalthebel nicht mehr so gut erreichbar, da diese ebenfalls entsprechend nach außen geneigt sind.

Ansonsten gibt es allerdings am Cockpit absolut nichts auszusetzen: volle Integration aller Leitungen und Kabel, ein aufgeräumtes Erscheinungsbild und die schöne Halterung für Wahoos, Gopros, Garmins und sonstiges Zubehör, die bei integrierten BMC-Vorbauten ohnehin immer dabei ist.

Auf den ersten Blick fällt natürlich das Federelement im Hinterbau auf. BMC hat schon einiges an Erfahrung mit dieser Technologie bei seinen Mountainbikes gesammelt. Es gibt keine offiziellen Angaben über den Federweg oder dergleichen, in der Praxis sieht man das Element jedoch in Bewegung und ein paar Millimeter weit wird da jedenfalls gearbeitet. Die tatsächlichen Federeigenschaften zu beurteilen ist aus meiner Sicht nicht wirklich möglich, da ein weitaus größerer Anteil des Komforts im Sattel aus der ewig langen Sattelstütze und den breiten Reifen kommt, wobei man bei letzteren ja zusätzlich auch noch kräftig am Luftdruck schrauben kann. Insgesamt federt der Hinterbau Schläge und Unebenheiten sehr gut ab, auch Roubaix-artige Kopfsteinpflaster-Passagen fühlen sich so etwas weniger schlimm an. Die Tatsache, dass dem Elastomer im Hinterbau keine Dämpfung gegenübersteht, bedeutet, dass es mitunter zu einem minimalen "Hoppeln" kommen kann, vor allem wenn man in einem leichten Gang unterwegs ist und recht dynamisch mit dem Körper mitarbeitet. Verdirbt nicht den Spaß und kommt auch nur in besonderen Konstellationen vor, Abhilfe kann ein anderes Elastomer-Element schaffen, diese sind nämlich in drei unterschiedlichen Härtegraden erhältlich.

Die WTB-Reifen weisen eine Breite von 42 Millimetern auf, während Crosser traditionell (und regelbedingt) meistens "nur" auf 33ern anrollen. Ich persönlich hätte nicht für möglich gehalten, welchen Unterschied diese zusätzlichen 9 Millimeter ausmachen, sowohl was Komfort als auch Grip angeht. Man kann den Luftdruck noch einmal etwas senken, hat damit in geradezu allen möglichen und unmöglichen Situationen ausreichend Haftung und kann auf diese Weise durch Sandfelder, über groben Schotter und alles andere pflügen, was sich einem in den Weg stellt. Aber auch der Speed auf Asphalt war für diese Reifenbreite eine positive Überraschung und bestärkt mich darin, das Rad als Allzweckgerät für alle Untergründe zu sehen. 

Einige Gravelbikes am Markt bieten die Möglichkeit, 650B-Laufräder zu montieren, um die Vielseitigkeit noch weiter zu erhöhen. Beim URS ist das nicht der Fall, allerdings sehe ich dafür eigentlich auch keinen wirklichen Grund. Auf etwas Unverständnis stößt bei mir, dass BMC zum einen das Schraubenmaß der Steckachsen von 5mm auf 6mm (Inbus) erhöht hat und gleichzeitig keinen Adapter bzw. Hebel zum Lösen der Schraube mehr beilegt. Für den Reifenwechsel während einer meiner Testfahrten war daher die Einkehr in ein Lagerhaus notwendig, um den entsprechenden Inbus auszuborgen, mein Multitool endet - wie viele andere übrigens auch! - bei einem 5er-Inbus. Bei der Gelegenheit - und hier bin ich tatsächlich zu 100% selbst schuld - möchte ich auch noch erwähnen, dass man auch die entsprechenden Schläuche für 42mm-Reifen mitführen sollte. Die Rückfahrt auf einem 28mm-Schlauch war wenig erbaulich... 

Die Schaltung an dem von mir getesteten Topmodell (SRAM XX Eagle AXS Schaltwerk hinten und Red ETAP AXS Schalthebel vorne) funktioniert im Gravel-Einsatz hervorragend. Die Schalthebel von SRAM bieten - im Gegensatz zu Shimano - eine weitaus größere Fläche, sodass man auch mit Handschuhen oder "in der Hitze des Gefechts" einfacher schalten kann. Die zur Verfügung stehenden zwölf Gänge bieten eine große Übersetzungsbandbreite, vor allem das 50er-Ritzel hinten dient entweder als Rettungsring oder als Ermöglicher hoch hinausführender Abenteuer. Wie bei allen 1x-Antrieben sind die Gangsprünge teilweise merklich groß, sodass man ab und zu in die Situation kommt, dass weder der höhere noch der niedrigere Gang so richtig passt. Wer hochalpine Ausflüge oder Reisen mit viel Gepäck im Sinn hat, kann vorne auf ein kleineres Kettenblatt wechseln, damit erhöht sich die Kletterfähigkeit weiter. Schade finde ich, dass nur das Topmodell ab Werk eine größere Übersetzung mitbringt, die höhere Flexibilität würde sicher auch den anderen Modellen zugute kommen.

Als Abschluss sei noch erwähnt, dass URS ein richtiger Eyecatcher ist! Das ist einerseits seiner speziellen Form geschuldet - jeder der genauer hinsieht und vielleicht das Federelement erspäht, erkennt das Spezielle und Ungewohnte an diesem Rad. Ein anderer Faktor ist, dass auf dem gesamten Rad nur ein einziger, zwei Zentimeter großer BMC-Schriftzug angebracht ist, nämlich vorne am Steuerrohr. Keine Logos, keine Schriftzüge und Sticker erzeugen Neugier und Interesse, außerdem bekommt das Rad dadurch ein elegantes und schlichtes Auftreten. Lob an BMC auch für das Selbstvertrauen, nicht das komplette Rad mit Aufschriften zuzukleistern. 

Fazit!

In meinen Augen und nach einigen Ausfahrten auf unterschiedlichem Terrain hat BMC hier tatsächlich etwas Neues geschaffen. URS füllt eine Lücke, die man in der Regel zwar erst finden muss, die in meinem persönlichen Radleben allerdings prominent aufklafft und bis jetzt weder durch Crosser, Rennrad oder Hardtail gefüllt werden konnte.

Auf losem und groben Schotter, auf Waldwegen und Fortstraßen spielt URS seine Stärken aus. Viel Grip kommt von den Reifen, der Komfort aus Federung und Sattelstütze verschont den Fahrer und die Fahrerin und die Geometrie lädt tatsächlich zum Spielen ein - diese Böschung hinauf, hier in den Graben hinunter, warum nicht da drüber... Spaß und Radfahren sind in meinen Augen untrennbar verbunden, mit diesem Rad erweitert man die potentiellen Freundenquellen.

Bei größeren Steinen, Wurzeln und Felsen merkt man die Grenzen des Rades, die Wege bleiben natürlich fahrbar aber man ist langsamer unterwegs als mit einem MTB, muss sich gut um die Linienwahl kümmern und die Muskulatur ermüdet schneller. Auf der Straße hingegen - und mit anderen Reifen sowieso - kann URS auch für einen flotte Rennradrunde herhalten.

Foto: Nora Freitag

Was also fahren mit dem URS? Am besten alles, gleichzeitg und abwechselnd, in einem Urlaub, wo man gerne ein Rad für alles mithaben möchte, auf der Langstrecke, mit Gepäck und Satteltaschen, auf dem Weg zum Nachtlager der Dreitages-Tour, auf Forststraßen und Waldwegen, in den Bergen, wo sanfte Schotterwege dominieren, beim Crossrennen, bei der Gruppenausfahrt am Wochenende auf der Straße. "Unrestricted" hat natürlich auch seine Grenzen aber URS lotet sie auf sympathische Weise aus.

Der Preis für URS ist ein beträchtlicher, 3.000 Euro für ein Rad sind viel Geld. Wer schon fünf Räder in seiner Wohnnug stehen hat, wird sich eventuell schwer tun, noch die richtige Nische zu finden. Wer allerdings nach einem Rad sucht, mit dem man im wesentlichen alles machen kann - und zwar alles konkurrenzfähig - der sollte sich URS näher ansehen. Mir haben die Tage mit URS (außer einem kaputten Schlauch) viel Freude bereitet und ich weiß jetzt, mit welchem Rad ich einige meiner Projekte 2020 in Angriff nehmen möchte ;)

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Dem Gravel-Trend auf der Spur

Im November werde ich 40 Jahre alt, das befähigt mich – neben einem kurzen Schauer des Älterwerdens - zu einigen spannenden Dingen. 1. Ich kann mich bei schlechten Leistungen zunehmend auf mein Alter ausreden. (Scherz, mach ich natürlich nicht – an meinen schlechten Leistungen sind immer noch Chemtrails und Freimaurer schuld). 2. Ich starte bei Wettbewerben in der ersten Masters-Klasse. Nicht, dass das platzierungstechnisch auch nur irgendeinen Vorteil mit sich bringen würde, aber aus der Allgemeinen Klasse „rausgewachsen“ zu sein, gibt einem manchmal ein Gefühl von altersbedingter Souveränität und Gelassenheit. Und 3. kann ich nun Geschichten mit „Damals…“ und „In meiner Jugend war das ja noch…“ beginnen. Die Gelegenheit zu Letzterem möchte ich heute auch gleich beim Schopf packen und brandaktuell über ein Erkenntnis des vergangenen Wochenendes berichten, das ich im Sattel meines (ehemaligen) Crossers in Osttirol und Kärnten verbracht habe.

Damals…

„In meiner Jugend“ also, bestand mein erster Rad-Kontakt darin, die Serien SLX-Bremsen an meinem Hardtail gegen die rote John Tomac-Sonderedition von Magura zu tauschen, die grünen Reifen (waren das Schwalbe-Modelle?) aufzuziehen, die damals so „in“ waren und mit meinen Freunden nach der Schule den Anninger bei Mödling rauf- und runterzufahren. Es war wohl 1996, das heißt es war gut 15 Jahre her, dass in Kalifornien die Herren Ritchey, Breeze und Fisher ihre damaligen Räder umfunktionierten, den Mount Tamalpais runterfuhren und damit – wohl eher unabsichtlich – eine Bewegung starteten, die in den folgenden Jahren ihren Lauf nahm, zum Boom wurde und Mitte der Neunziger Teenager wie mich dazu brachte, mit dem Rad ins Gelände zu fahren. Der alljährlich im Jänner erscheinende „Bike“-Katalog war die Bibel, aus der man sich die einzelnen Teile für sein oder ihr Traumbike zusammensuchte: Klein Attitude, GT Zaskar oder gar das - damals noch ganz arge - Trek OCLV (?) Full Suspension. Während diese Traum-Konfigurationen damals schon Summen erreichten, die auch heute noch als „stolz“ zu bezeichnen wären, war mein fahrbarer Untersatz ein eher profanes Merida Alu-Bike - Hardtail natürlich, von Federgabeln und dergleichen konnte ich damals nur träumen. Die Reifen hatten Dimensionen, die man heute eher am Crosser findet. Auf den Wald- und Forstwegen bedeutete das, sich die Fahrlinie suchen zu müssen, nicht – mir nichts, dir nichts – einfach über jede Unebenheit drüberradieren zu können, mit dem Körper zu arbeiten, aufmerksam zu sein. Es war eine recht puristische Form des Radfahrens, wenn man sich heutige Maßstäbe vergegenwärtigt.

Gute 20 Jahre später – heute! – schaut der Fahrradmarkt anders aus als damals – fragmentiert bis segmentiert, jedenfalls aber spezialisiert. Nahezu jede Nische ist besetzt, jede Entwicklung wird ausgereizt, ob sie das Zeug zum „Trend“ hat, sogenannte „Standards“ dienen allen möglichen Zwecken, aber sicher nicht jenem, etwas über Grenzen hinweg zu standardisieren. Recht präsent und das seit mittlerweile mehreren Jahren ist das Schlagwort „Gravel“. Was damit im Detail umschrieben ist, bleibt mitunter eher unklar. Fest steht, dass im Geburtsland dieses Trends – den USA – die Rennradfahrer den großen Highways ausweichen wollten und anstelle von pittoresken Land(es)straßen wie bei uns, in den Weiten Amerikas nur geschotterte Wirtschaftswege vorfanden, um dort ihrem Hobby zu fröhnen. Damit man trotzdem wie auf dem schnellen Rennrad unterwegs ist, wurde das Gravel-Rad aus der Taufe gehoben - Rennradgeometrie aber mit mehr Reifenfreiheit. In europäischen Gefilden rümpfte man die Nase und zeigte auf den Crosser, der vor allem im nördlicheren Europa immer schon ein guter Weg war, um quasi rennradartig durch den Winter zu kommen. Schaut man sich allerdings die Geometrie des Crossers an, stößt man (abhängig vom Modell natürlich!) auf Unterschiede: so hat der Crosser ein höher liegendes Tretlager und vor allem einen anderen Lenkwinkel und damit ein anderes Fahrverhalten – enge und eckige Crossrennen verlangen nun einmal mehr Wendigkeit als eine kilometerlange Schottergerade. Der Crosser-Markt der letzten Jahre ist in sich wiederum segmentiert, wobei man grob jene Modelle unterscheiden kann, die (aggressiv) für Cross-Rennen angelegt sind (Specialized Crux, Stevens Super Prestige) oder jene, die eine Art Zwitter zwischen Cross-Rennen und leichten Waldwegen aber auch Long-Distance-Commutern darstellen. Die (negativ formuliert) Unentschlossenheit oder aber (positiv formuliert) Vielseitigkeit dieses Teilbereichs wurde auch durch die unterschiedlichen Optionen deutlich, die diese Räder im Aufbau boten: Ösen für Gepäckträger, Schmutzfänger, 1-fach, 2-fach, mitunter sogar noch 3-fach-Option, unterschiedliche Laufradgrößen – man wollte sich bewusst alle Türen offen halten.

Crosser vs. Gravel

Ich habe meinen Crosser (ein Specialized Crux E1) Ende 2015 gekauft und es im Jahr darauf mit großem Enthusiasmus durch ein paar Cyclocross-Rennen bewegt - mit dabei war die letzte Austragung des Münchner Supercross-Rennens unter der Flagge von Rapha. Die Erfolge waren bescheiden, das Gewand sehr schnell sehr dreckig, der Spaß groß! Den Einsatzbereich dieses Rades aber auf die wenigen Cross-Rennen zu reduzieren, wäre schade gewesen. So war ich im Winter im Schnee, bei gutem und schlechtem Wetter in der Lobau unterwegs, auf Schotter-Radwegen und auf Wirtschaftswegen südlich von Wien. Alle diese Aufgaben bewältigte mein Crosser anstandslos. Nächster Schritt waren die Wege meiner Jugend - auf den Anninger, aufs Eiserne Tor aber auch in den Wienerwald, auf den Bisamberg – wohin mich Strava auch immer führt. Auf diesen Waldwegen und Trails stellte sich ein nostalgisches Gefühl ein – jenes, auf dem Mountainbike meiner Jugend unterwegs zu sein. Die Kraftübertragung aber auch die Spürbarkeit des Untergrunds waren sehr direkt, auch hier musste ich mir genaue Gedanken über die Fahrlinie machen, ohne Federung waren außerdem höhere Aufmerksamkeit und Sorge notwendig. Es machte großen Spaß, ich fühlte mich wie ein Purist, der einem alten Geheimnis auf der Spur ist, einer Erfahrung, wie sie heute nicht mehr bekannt ist. Ich sah mich zu Sätzen verleitet wie „Im Wienerwald kann man doch eh alles mit dem Crosser fahren“, „dafür braucht man kein MTB“ oder „das MTB hebt man sich besser für die richtigen Berge auf“. Dass ich diese Sätze jetzt, da ich auch wieder ein modernes Mountainbike mein Eigen nenne, lautstark und ohne Reue revidiere, liegt daran, dass es mit dem Crosser zwar Spaß gemacht hat, mit dem MTB ist es aber noch um ein Vielfaches lustiger. Und ich rede hier grundsätzlich nicht von Auswüchsen des MTB-Marktes mit >160mm Federweg, sondern von modernen Hardtails oder Fullys mit 100 oder 120mm Federweg. Diese sind gewichtsmäßig leicht und bis ins mittelschwere Gelände meiner Meinung nach die beste Wahl. Für Ausfahrten ins Gelände (im Sinne von Mountainbiken) nehme ich daher mein Mountainbike, der Crosser bleibt dafür in der Ecke stehen.

Parallel dazu sind aber neue Horizonte aufgetaucht – Abenteuer, Bikepacking, Langstreckenfahrten und –rennen. Man hörte Slogans wie „Anyroad“, „Allroad“, „go everywhere – fast“ und „no limits“. Die Industrie witterte einen neuen Trend und zog mit, nahm das neue und noch klein vor sich hin blühende Segment „Gravel“ und zeichnete eine Zukunft, in der man ohne ein Gravel-Touring-Bike nicht mehr existieren kann, im Gegenteil: aus dem Alltag erfolgreich ausbrechen kann, seine Grenzen überwinden und neue Abenteuer erleben wird. Alles reizvolle Ausblicke und ich selbst habe mich liebend gerne in diesen Träumen wiedergefunden und mache das auch heute noch - auch wenn es an der Umsetzung bis jetzt noch gescheitert ist. Teilnahmen an Transcontinental Races oder aber auch „einfache“ Overnighter hier in Österreich sind Dinge, die sich auf allen To-Do Listen gut machen! Gehen wir nochmal zum Anfang des Artikels zurück und damit auch zu den Anfängen des Mountainbikes. Den Fahrer und die Fahrerin von Zwängen zu befreien, die Möglichkeiten zu erweitern, fahren zu können, wo man will – egal auf welchem Gelände, das war das Ziel der Pioniere des Mountainbikes. Mit den ersten Hardtails der 90er-Jahre haben sie dieses Ziel einen Schritt weit erreicht. Die Entwicklung des Mountainbikes ist allerdings in eine Richtung abgebogen, die nicht mehr unbedingt diesem Freiheitsgedanken, sondern vielmehr der Ausarbeitung und Weiterentwicklung des Segments „MTB“ entsprochen hat. Den Freiheitsgedanken findet man heutzutage – auch nach Abzug des üblichen Marketing-Sprechs – viel eher im wachsenden Segment der Gravel- und Adventure-Bikes wieder. Unter diesem Gesichtspunkt ist mir der ganze Trend gleich wieder um ein großes Eck sympathischer, auch wenn es nach wie vor hauptsächlich nach Profit für die Radhersteller riecht. Aber auch hier hege ich eher einen pragmatischen Ansatz und vergönne jedem Hersteller den Erfolg beim Beackern des Marktes, der sich die entsprechenden Gedanken um Bedürfnisse und Wünsche der Nutzer*innen und Käufer*innen macht.

Wohin geht die Reise?

Ich habe – angesichts in mir geweckter Sehnsüchte – versucht, meinen Crosser so zu adaptieren, dass daraus ein Allzweck-Rad wird, mit dem ich jegliche Unternehmung – vom Alpencross bis zum vollwertigen Rennrad-Ersatz – in Angriff nehmen kann. Lange habe ich getüftelt, welche Laufräder die geeigneten wären, welche Übersetzung Sinn macht, habe Stunden auf die richtige Reifenwahl verbracht, Teile gekauft, Teile getauscht, Teile wieder verkauft und bin an proprietären Laufrad-Standards verzweifelt (Danke, Specialized, dass ihr genau bei meinem Modell ein Jahr lang einen neuartigen Standard ausprobiert habt). Wie schon erkennbar sein dürfte, war das Projekt „Rad-Umbau“ nicht sonderlich erfolgsträchtig. Nicht, dass ich jetzt mit dem Rad nicht fahren kann oder einen enormen Unterschied spüren würde, wen ich das Rad nicht „zweckmäßig“ einsetze, aber ein paar Dinge hätte ich gerne anders gehabt – in erster Linie etwas mehr „Drang nach vorne“ – und das sagt einer, der dem Drang nach vorne normalerweise nicht die oberste Priorität einräumt. Aber die komfortable Sitzposition des Crossers und der steile Lenkwinkel machen ihn im Vergleich zum Rennrad etwas unruhiger und „kürzer“, dementsprechend ist auch die Sitzposition etwas gedrungener.

Das alles kann ich aber erst behaupten und postulieren, seitdem ich mit dem Rad in Osttirol und Kärnten ein paar Runden gefahren bin, die den Einsatz eines Gravel-Rades – so wie ich ihn interpretiere – rechtfertigen. Es waren flotte Runden auf schlechtem Asphalt, auf grob geschotterten Waldwegen, auf weichen Forststraßen, durch trockene Bachbetten und Furten. Das Rennrad wäre hier vermutlich drübergekommen, unbedingt zumuten hätte ich es ihm nicht wollen. Das Mountainbike (der Argumentation von oben folgend: ein leichtes Hardtail) wäre gleichermaßen am falschen Ort gewesen, hier wären die Anforderungen wieder zu gering gewesen, wie mit „Kanonen auf Spatzen zu schießen“… Bei Runden über 100 Kilometer und mehr wäre das MTB auch nicht die richtige Wahl, wenn beispielsweise nur Abschnitte der Route über unbefestigte Wege führen. Und so hatte ich letzte Woche meinen ganz persönlichen Aha-Moment, meine Gravel-Epiphanie, wo ich zum ersten Mal einen (sinnvollen!) möglichen Einsatzzweck eines Gravel-Rades und gleichzeitig die Unzulänglichkeit meiner Umbauversuche erkannt habe.

Und jetzt?

Selbstverständlich soll nach wie vor jedem und jeder unbenommen sein, mit welchem Untersatz man welche Herausforderungen bestreiten will. Mein Geschwurbel soll weder zum Kauf eines Gravel-Bikes (und damit einer potentiell beziehungsgefährdenden „N+1“-Diskussion) anregen noch irgendjemandem vorschreiben, was gut und richtig wäre. Mir persönlich war aber wichtig, für mich selbst einmal Ordnung in meine Gedanken zu bringen, ein paar Dinge zu sortieren und in Relation zu setzen. Vielleicht wird mich ein Hersteller morgen schon mit einem neuen „Standard“ überraschen, der alle meine Gedanken wieder über den Haufen wirft, vielleicht war es aber auch der Startpunkt einer neuen Reise, wer weiß… J

PS: Ich habe leider keinen fotografischen Beweis meiner jugendlichen Ausflüge gefunden, daher darf ich mit einem feuchten Traum aus meiner Jugend schließen (und die tolle Juli Furtado ist auch auf dem Foto zu sehen):

Juli Furtado in den 90ern auf einem GT Zaskar! Quelle

Juli Furtado in den 90ern auf einem GT Zaskar! Quelle