Die Dolomiten - Eine Liebesgeschichte

Um 7:30 morgens am Passo Valparola überkommt es mich! Die Schönheit der Landschaft übermannt mich, ich stelle das Auto ab, steige aus und genieße die noch menschenleere Passhöhe, die Steintürme ringsherum und den Ausblick auf den gegenüberliegenden Gebirgsstock. Und ich denke an den Schweizer Architekten Le Corbusier, der einmal gesagt hat: “Die Dolomiten sind die schönste Architektur der Welt!” Die Tatsache, dass ich mit dem Auto hier bin und nicht mit dem Rad ist wohl ein klassischer Anfängerfehler oder mangelnde Vorbereitung. Ich bin nämlich zum ersten Mal hier - und dass man beim ersten Mal nicht gleich alle Highlights mitnehmen kann oder einem das Eine oder Andere durch die Finger schlüpft, ist entschuldbar. Sprechen wir aber besser über jene Dinge, die ich geschafft habe!

Dolomiten

Als klassische Einleitung würden hier nun Ausführungen über die Namensgebung (der französische Geologe de Dolomieu), die räumliche Ausdehnung (Pustertal - Sextental - Piave - Valsugana - Etsch - Eisack), die Geologie (markante Riffe aus Kalkstein und Dolomit) und das Klima (angenehm von April bis Oktober) der Dolomiten stehen. Das kann ich aber gut und gerne überspringen, sind die Dolomiten doch einer jener klassischen “Sehnsuchtsorte”, die jede Radlerin und jeder Radler aus Magazinen, Zeitschriften, Filmen und von den großen Rundfahrten kennt.

Regelmäßige Leser*innen meines Blogs wissen, dass ich einen Gutteil meiner Urlaubs- und Ferienzeit in Osttirol verbringe und genau dort lag bisher - wenn man so will - das “Problem”. Die Lienzer Dolomiten sind so etwas wie ein Vorgarten der “richtigen” Dolomiten, bieten aber schon so viel Spektakuläres und Spannendes, dass man dort schon wochen- und monatelang unterwegs sein könnte. Dazu kommt noch, dass man sich ja selten eine Unterkunft in 100 Kilometern Entfernung von “Zuhause” bucht, das Urlaubsziel also quasi “zu nahe” ist… Dass diese Denkweise ein großer Fehler ist, zeigt sich grundsätzlich schon an den vielen Bildern, die man alljährlich vom Giro d´Italia sieht, den Berichten in Rennradmagazinen und auch den vielen Timelines auf Instagram und Facebook. Wie Schuppen von den Augen fällt es einem jedoch, wenn man in die Pedale einklickt, den Radcomputer startet und der Blick nach oben schweift und sich vor den Augen die Gipfel der Dolomiten auftun - höchstpersönlich und real. In diesem Moment ist sofort klar, dass hier mehr passiert als nur Radfahren.

Homebase Cortina

Die Dolomiten umfassen ein großes Gebiet und am liebsten würde man mit einigen wenigen Ausfahrten und Touren die ganze Gegend abdecken. Klickt man sich durch die einschlägigen Routenportale kommt man schnell zu der Erkenntnis, dass das so wohl nicht möglich sein wird - zu schnell überschreiten die Höhenmeterzahlen Dimensionen, die den Oberschenkeln nicht mehr zuträglich wären. Die Gegend rund um Innichen, Toblach und Bruneck kenne ich bereits, im Sinne eines sukzessiven Vorarbeitens bietet sich daher ein Start in Cortina an. Dass diese Reise nicht die letzte sein wird ist ohnehin klar - andere Ort werden daher sowieso noch folgen.

Als James Bond-Fan ist mir Cortina vor allem durch Roger Moore, die Bobbahn und das Eis-Stadion in Erinnerung (“For Your Eyes Only” wurde 1981 teilweise in Cortina gedreht). Länger zurück und definitiv (noch weiter) vor meiner Zeit waren die Olympischen Winterspiele 1956, die stark zum besonderen Status von Cortina beigetragen haben und der Stadt eine Aura verliehen haben, die sie mit anderen klassischen Wintersportorten wie St. Moritz verbindet. Und nicht zuletzt thront direkt über der Stadt die Tofana, die mit dem gleichnamigen “Tofana-Schuss” ein Highlight der alljährlich stattfindenden Herren Ski-Abfahrt bildet. Genau an dieser Stelle werden im Februar 2021 auch die alpinen Ski-Weltmeisterschaften stattfinden, auf die sich die Stadt jetzt schon sichtlich vorbereitet. Während einer Gondelfahrt auf die Tofana kann man bereits jetzt die unterschiedlichen Maßnahmen begutachten - von Sicherheitszäunen über Modernisierungen bis hin zur Revision der Gondelbahnen. Ich persönlich war auf Skiern immer recht wackelig unterwegs und das Gefälle der Abfahrtspiste kann einem den Angstschweiß auf die Stirn treiben - bei aller Schönheit des Winters und des Wintersports bleibe ich also vorerst doch lieber beim Radfahren.

Touren

Wie schon eingangs erwähnt, ist die Routenauswahl nicht gerade einfach. Hinter jeder Ecke lauert ein Highlight, dies und jenes “muss” man eigentlich mitnehmen, wenn man schon in der Gegend ist - das Gebiet ist riesig, die Möglichkeiten ebenso. Für meinen Einstieg in die Dolomiten habe ich drei Touren ausgewählt: eine vor der Haustüre von Cortina, den Klassiker “Sella Ronda” und - meiner neuen Leidenschaft Gravel Rechnung tragend - eine tolle Runde auf Schotter.

Giau & Falzarego

Von Cortina d´Ampezzo klettert man erst einmal einige Höhenmeter hinauf in den kleinen Ort Pocol, wo sich die Abzweigung zu Passo Giau und Falzarego befindet. Als Dolomiten-Neuling erhöht sich er Herzschlag bereits, wenn man die Straßen- und Pass-Schilder zum ersten Mal in den Blick bekommt. Ich entscheide mich für den Uhrzeigersinn - meine Recherchen haben ergeben, dass das offenbar die schönere Richtung sein soll. In der Anfahrt zum Passo Giau geht es zuerst etwas überraschend - bergab. Ich weiß nicht warum, aber in meiner Vorstellung oder Erinnerung war und ist der Passo Giau einer der Schwierigeren der Dolomiten - immer wieder einmal Teil des Giro d´Italia und für Hobbyfahrer eine ernsthafte Prüfung. Umso überraschender finde ich, dass man bei 8-9 Prozent durch pittoreske Kehren und mit wunderbaren Ausblicken Meter für Meter recht gemütlich nach oben kurbeln kann. Wenn man den Wald verlässt, steigt auch der Gradient, mehr als 13% zeigt der Wahoo allerdings nie an. Und knapp 9 Kilometer und 800 Höhenmeter später hat man auch schon die Passhöhe erreicht. Ein Espresso und eine kurze Pause bieten sich - wie eigentlich auf jeder Passhöhe - an, man sollte jedoch nicht außer Acht lassen, dass es auch im Sommer frisch werden kann auf 2.200 Metern Höhe. Und frisch wird es spätestens bei der grandiosen Abfahrt hinunter Richtung Caprile! Durch fast 30 Kehren arbeitet man sich zurück ins Tal, der Straßenbelag ist gut und die Kurven sind außen leicht erhöht - das ist wohl das, was man eine Flow-Abfahrt nennt! Und jetzt dämmert mir auch, dass der schwierige Anstieg auf den Giau wohl auf dieser Seite hier liegt, die Steigungsprozent im oberen Teil sind doch bedeutend höher als auf der Seite, die ich für die Auffahrt gewählt habe.

Die Straßenschilder im Tal wecken Sehnsüchte. Über Selva die Cadore, Caprile und den Passo Fedaia könnte man hier - vorbei an der Marmolada - Richtung Canazei radeln, aber das wäre zu viel für den Anfang. Hängt man an den Passo Giau noch den Falzarego dran, kann man sich den Weg ganz hinunter ins Tal sparen und am Berghang bis Cernadoi entlangradeln.

Von dort sind es rund 8 Kilometer und 700 Höhenmeter bis zum Falzarego. Über dessen Geschichte und die dazugehörige Sage vom Reich der Fanes bin ich schon vor Jahren einmal gestolpert und ich finde sie so schön, dass es geradezu fahrlässig wäre, sie hier nicht kurz zu erwähnen.

Die Fanessage schildert den Konflikt zwischen den aggressiven männlichen Angehörigen des Königshauses und den friedlichen weiblichen. Erstere sind im Bündnis mit dem Volk der Adler, letztere mit dem Volk der Murmeltiere. Die Könige der Fanes können mit ihrer Kriegspolitik das Reich der Fanes immer weiter ausdehnen. Doch dadurch entsteht ein Gegenbündnis von immer mehr Nachbarvölkern. Auf der Seite der Gegner kämpft auch der Zauberer Spina de Mul. Die Fanesleute haben als Kriegshelden Dolasilla, die Königstochter, und Ey de Net (Nachtauge). Letzterer will Dolasilla heiraten und wird daraufhin vom König verstoßen. Dolasilla hat eine Anzahl unfehlbarer Pfeile und einen weißen Panzer. Ihr wurde geweissagt, dass sie nicht in die Schlacht ziehen dürfe, sollte sich der Panzer einmal schwarz verfärben, weil sie sonst sterben müsse.

Die Entscheidungsschlacht rückt immer näher. Durch eine List kann Spina de Mul Dolasilla ihre unfehlbaren Pfeile abnehmen, die er dann an Schützen des Gegenbündnisses verteilt. Am Morgen vor der Schlacht sieht Dolasilla, dass sich ihr Panzer schwarz verfärbt hat. Doch die verzweifelten Fanesleute bedrängen sie, in die Schlacht zu ziehen. Zunächst können in der Schlacht die feindlichen Bogenschützen Dolasilla nicht finden, weil sie nach einem weißen Panzer suchen und nicht wissen, dass sich dieser schwarz verfärbt hat. Doch schließlich erkennen sie Dolasilla, schießen die unfehlbaren Pfeile auf sie ab und töten sie. Damit ist die Schlacht für die Fanesleute verloren. Mit knapper Not kann sich die Königin mit einer kleinen Schar mit Hilfe der Murmeltiere in die unterirdischen Gänge der Fanes zurückziehen. Der König aber, der verräterisch Sache mit den Feinden gemacht hat, wird zu Stein und ist seitdem als falscher König (altlad. falza rego) am Falzaregopass zu sehen.
— Sage vom Reich der Fanes (Wikipedia)

Der Schweiß tropft auf das Oberrohr, auch wenn die Steigung niemals über 10 Prozent klettert. Zuerst arbeitet man sich über lange Kehren durch den Wald hinauf, recht abrupt wechselt die Charakteristik dann auf alpin und man sieht vor sich einige Kehren und Gallerien, die man auf dem Weg zur Passhöhe noch zu bewältigen hat. Spätestens hier erscheint erstmals der “falsche König”, eine der markanten Steinspitzen, die die unverwechselbare Optik der Dolomiten ausmachen. Auf der Passhöhe gibt es neben Espresso und Panini auch eine Gondelbahn zum Lagazuoi und ein Freiluftmuseum, das den Ersten Weltkrieg zum Thema hat. Man bewegt sich hier immerhin auf historischem Boden und hier am Falzarego im Speziellen, haben doch die österreichischen Truppen Stellungen am Berg angelegt, die von den italienischen Soldaten im Fels untergraben und dann gesprengt wurden. Die Spuren der Dolomitenfront des Ersten Weltkriegs begleiten einen übrigens - sofern man sich für Geschichte interessiert - vielerorts.

Die Abfahrt vom Falzarego zurück nach Cortina ist flott und recht geradlinig, fährt man doch auf der “Dolomiten-Bundesstraße”, die eine Hauptverkehrsroute in Ost-West-Richtung darstellt. Abhängig von Jahreszeit und Wochentag ist der Verkehr hier dicht und auch der eine oder andere Linienbus verkehrt hier. Generell muss man hier etwas umdenken, wenn man es gewöhnt ist, dass Pässe und Bergstraßen sonst eher als Touristenattraktion oder Mautstraßen ausgeführt sind.

“Dolomiti Gravel”

Gravel ist mittlerweile mehr als nur ein Trend, das habe auch ich diesen Sommer sukzessive erkannt. Egal wo man unterwegs ist, ein Gravelbike eröffnet vielfältige neue Möglichkeiten und kann da, wo das Rennrad eventuell an seine Grenzen stößt, noch weitere Horizonte erschließen. Abseits der Straßen tun sich dann auch neue Welten auf, man trifft andere Menschen, ist vielleicht “leiser” unterwegs, spürt die Natur unmittelbarer und findet auch den einen oder anderen Weg, der noch nicht so oft befahren worden ist.

Damit werden auch die weitläufigen Radweg-Netze nutzbar, die sich durch alle Gegenden der Welt schlängeln und meistens auch noch gut organisiert und beschildert sind. Im Falle der Dolomiten bietet sich dafür die aufgelassene Eisenbahn-Trasse von Cortina bis Toblach an. Gleich vom alten Bahnhofsgebäude weg fährt man - getrennt von jeglichem Verkehr - in Ruhe und mit sehr moderater Steigung aus Cortina hinaus. Während einem anfangs noch andere Radler, Spaziergänger oder Läufer entgegenkommen, ist man spätestens nach drei Kilometern ganz alleine und bei sich und hat genügend Zeit und Muße, sich die Ruhe und Schönheit der Gegend anzuschauen. Bahntrassen haben ja systembedingt an sich, dass sie nur geringe Steigungen aufweisen, so rollt man entspannt am Hang auf der Schotterpiste entlang und genießt den Ausblick auf die umliegenden Berge, während unten auf der Bundesstraße der Verkehr rollt. Die Straße ist außerdem nicht im allerbesten Zustand, hier erspart man sich also doppelt etwas. Allerdings kommt man nur mit einem Gravelbike in den Genuss dieses Weges, für ein Rennrad ist der Schotter an vielen Stellen zu grob oder tief. Es geht durch ehemalige Tunnel, eine Holzbrücke überquert eine Schlucht, die Zeit vergeht wie im Flug, wenn man die Augen öffnet und die Landschaft in sich aufsaugt. Nach einigen Kilometern erreicht man den Passo Cimabanche, der mit 1.530 Metern und den wenigen Höhenmetern bis dorthin den Namen “Pass” fast gar nicht verdient. Aber hier treffen die Verkehrswege aufeinander, der weitere Radweg bis Toblach, die Straße zu den drei Zinnen, die Bundesstraße Toblach-Cortina und auch die alte Schotterstraße zur Plätzwiese nimmt dort ihren Beginn.

Auf rund sieben Kilometern sind hier gut 500 Höhenmeter zurückzulegen und man kann sich schwer vorstellen, wie hier im Ersten Weltkrieg Unmengen von Nachschub hinaufgekarrt wurden. Die Steigung ist eher unregelmäßig, ebenso ist es der Untergrund. Erstere ist unten eher flach, zieht aber stellenweise auf bis zu 15% an während über der Baumgrenze konstante 9-10% anstehen. An manchen Stellen finden sich Reste einer Art Fahrbahnoberfläche, darauf folgen grobe Schotterabschnitte durchsetzt mit felsigen Brocken, über die man eher mit breiteren Reifen rollen möchte. Ein Gravelbike mit einer kleinen Übersetzung bekommt man hier gut den Berg hinauf, das Gros der Mitfahrer und Überholten sitzt allerdings auf Mountainbikes - die fahren dann in der Regel aber auch noch weiter in die Berge hinauf…

Unter dem Blick des beeindruckenden Monte Cristallo erreicht man das Dürrensteinhaus und das Sperrwerk Plätzwiese - ein weiteres Relikt aus dem Ersten Weltkrieg. Ich bin bei Gott kein Kriegs- oder Geschichtsfan, aber wenn man sich gedanklich etwas darauf einlässt, werden einem schon die Umstände und Rahmenbedingungen bewusst, unter denen hier vor gut 100 Jahren aufs Ärgste miteinander gekämpft wurde. Und so hautnah und eingebettet hat man tatsächlich selten die Gelegenheit, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Hier oben auf der pittoresken Alm, auf der man gerade steht und den Frieden und die Ruhe genießt, haben österreichischen Truppen 1915 einfach ein eigenes Dorf komplett niedergeschossen, nur um freie Schussbahn auf den damaligen Feind zu haben - absurd und unvorstellbar.

Apropos Frieden und Ruhe: Die Plätzwiese hier auf knapp 2.000 Metern Höhe ist einer der schönsten Orte, an denen ich in meinem bisherigen Leben war. Allerdings finden das auch sehr, sehr viele andere Menschen und so empfiehlt es sich, eher in den früheren Stunden des Tages hier aufzuschlagen. Und wer wie ich über Schluderbach und die Südseite hier herauf kommt, hat auch noch die ruhigere Variante gewählt. Die Nordseite ist nämlich teilweise mit dem Auto befahrbar und diese Auffahrt ist auch asphaltiert - dementsprechend wälzen sich dort die Horden gen Berg. Ich fahre nach der Schotterpiste, die über die Alm führt, über ebenjene Straße hinunter, habe dabei keine Zeit für Fotos, bin nämlich viel zu sehr damit beschäftigt, die Kehren und Ausblicke der Flow-Abfahrt zu genießen, gleichsam froh, von den Menschenmassen wieder etwas Abstand zu gewinnen.

Ein menschenleerer Pragser Wildsee im Mai 2019

Menschenmassen sind (leider) auch ein Thema, wenn man sich mit dem benachbarten Pragser Wildsee befassen möchte. Dieser ist - ob seiner “Instagramability” - zu einem heißbegehrten Motiv und Besuchsort geworden, dementsprechend ist dieses Juwel leider überlaufen. Wer dorthin möchte, muss früh dran sein - ab einer gewissen Besucherzahl sperrt die Polizei bereits beim Kreisverkehr im Tal die Zufahrt. Im Pustertal angekommenen geht es etwas entspannter zu, auf dem Radweg parallel zur Bundesstraße radelt es sich angenehm bis nach Toblach. Birkenkofel und dahinter die Dreischusterspitze bieten die perfekte Kulisse für eine Kaffeepause in der Innenstadt, bevor es wieder in die Berge geht.

Zurück auf der aufgelassenen Bahnstrecke steigt die Strecke langsam wieder an Richtung Passo Cimabanche - dort waren wir am Beginn dieses Tages schon einmal. Man rollte am Toblacher See vorbei, passiert den Dürrensee und muss sich spätestens dort entscheiden, welches Bergpanorama imposanter ist: jenes der Drei Zinnen, des Monte Cristallo oder das des Monte Piana. Der Radweg führt über feinen Schotter und ist mit dem Gravelbike hervorragend und flott zu fahren - vorausgesetzt man achtet auf die anderen Radwegbenützer, die dort bei schönem Wetter recht zahlreich unterwegs sind. Wer möchte, kann hier auf Schotter wieder nach Cortina zurückrollen.

Als Highlight bietet sich jedoch noch eine kleine Zusatzschleife zu einer der Ikonen der Dolomiten an - den Drei Zinnen. Sanft ansteigend geht es dabei Richtung Col Sant´Angelo, nur auf den letzten Metern stellt sich hier der Berg etwas steiler auf. Am Misurina-See durchtaucht man kurz einen touristischen Hotspot - von der kurzen Rast über Souvenir-Shops bis zu einem Picknick auf einer der zahlreichen Bänke ist hier alles dabei und möglich. Hartgesottene zweigen auf die Straße zum Rifugio Auronzo ab, einer Hütte, die direkt unter den Drei Zinnen liegt. Der großartige Name der Straße - “Superstrada Panoramica” - bedeutet “super” im Sinne von Super-Aussicht aber auch super-steil und -anstrengend!

Auf der Rückfahrt nach Cortina überquert man schließlich noch den Passo Tre Croci, der an sich nicht sonderlich spektakulär oder anspruchsvoll zu fahren ist, einzig der Ausblick auf den imposanten Monte Cristallo, den man hier quasi umrundet, beeindruckt doch sehr. Flott geht es zurück hinunter nach Cortina und unter die wohlverdiente Dusche. Das Gravelbike ermöglicht in diesem Fall eine tolle Mischung aus asphaltierten und losen Oberflächen und es bleibt der Eindruck, dass es da wohl noch unzählige spannende und schöne Wege gibt, die man abseits der befestigten Straßen finden kann.

Sella Ronda

Die Runde um den Sella-Stock ist mehr oder weniger die Benchmark für eine Dolomiten-Radtour. Der große Maratona dles Dolomites nimmt die berühmten vier Pässe unter die Räder und besonders reizvoll ist der autofreie Sellaronda Bike Day, bei dem die knapp 60 Kilometer lange Runde ganz alleine den Radler*innen und Familien gehört. Wo man die Tour beginnt ist eigentlich egal, auch die vier zu überwindenden Pässe bleiben immer gleich: Grödner Joch, Sellajoch, Passo Pordoi und Passo di Campolongo.

In Corvara beginnt der Anstieg aufs Grödner Joch und im Vergleich zu Cortina geht es hier emsiger und wuseliger zur Sache - Touristen ziehen auf E-Bikes und Tourenrädern Richtung Berge, Wanderer warten auf einen der vielen Linienbusse, Motorrad-Gruppen wollen die gleichen Kurven genießen wie die Radfahrer*innen und allzu viel Platz bieten die vorhandenen Straßen nicht. Daher gilt auch hier im Wesentlichen, früh zu kommen, die Randzeiten zu nützen (da ist eh auch das Licht am Schönsten) und den August (Ferragosto!) eher zu meiden. Die Steigung aufs Grödner Joch ist sehr moderat und es kurbelt sich locker hinauf - zuerst über lange Kehren, dann über engere, gestapelte.

Vom Grödner Joch fließt die Abfahrt durch schön zu fahrende Kehren hinunter bis zur Abzweigung zum Sellajoch. Während auf der linken Seite der Sellastock mit seinem höchsten Gipfel Piz Boè residiert, liegt vor einem der monolithische Langkofel, ein Steinblock wie aus dem Bilderbuch! Die Steigung liegt meistens zwischen 5 und 10 Prozent, aber man ist ohnehin eher mit Schauen und Staunen beschäftigt, so beeindruckend ist die Landschaft rundherum. Spätestens hier wird mir klar, dass ich mein Herz an die Dolomiten verloren habe und ärgere mich fast ein bisschen, dass es so lange gedauert hat, bis ich zum ersten Mal hierher gekommen bin.

Meine Euphorie erfährt allerdings einen jähen Dämpfer, als sich unter schauerlichem Geknirsche meine rechte Pedalplatte löst, ich noch zwei Schrauben davonpurzeln höre und meine persönliche Sella Ronda am Sellajoch zu einem jähen Ende kommt. Es ist natürlich ärgerlich, wenn ein derartiger Defekt passiert. Besonders ärglich ist es allerdings, wenn man sich gerade exakt bei der Hälfte einer Runde befindet… Ich entscheide mich fürs Zurückfahren übers Grödnerjoch, weiß ich dort doch immerhin was mich erwartet und dort sollte ich auch weidwund mit einer Pedalplatte drüber kommen. Den Passo Pordoi - den höchsten Dolomitenpass - hebe ich mir einfach fürs nächste Mal auf, den möchte ich voll und ganz genießen können. Und das Auslassen des Campolongo sollte ebenso vorerst verkraftbar sein, ist dieser vierte Pass der Sella-Runde doch eher einer, den man zum “Fertigmachen” der Tour braucht.

Trotz Verkürzung meiner Sella Ronda bleiben massig Eindrücke zurück - so geballt ist alles hier versammelt. Die Berge, die Gipfel, die Straßen mit ihren unzähligen Kehren, die Menschen, die Orte und die Landschaft - nicht zuletzt treffen am Gipfel des Piz Boè drei italienischen Regionen aufeinander (Südtirol, Veneto und Trentino), wie wenn alle Linien auf diesen einen Punkt zulaufen würden. Ich fahre jedenfalls noch einmal um den Sellastock - entweder entspannt beim Bike Day oder vielleicht auch etwas ambitionierter beim Maratona!

Tipps und Erfahrungen

Ich wurde von den Dolomiten in ihren Bann gezogen! Es ist ein riesiges Gebiet, das es hier zu erkunden gilt und das an vielen Ecken ganz unterschiedliche und variantenreiche Gesichter offenbart. Unzählige Möglichkeiten habe ich hier nicht einmal ansatzweise erwähnt - Bikeparks in Cortina oder am Kronplatz, E-Bike-Touren, Langlaufen und Skifahren im Winter, Wandern, Geschichte, Kultur, Vielfältigkeit der Regionen, alte Sagen und Legenden, vergessene Völker, mythenbeladene Täler, Bademöglichkeiten oder sich einfach auf eine Bank oder Wiese zu setzen und die Landschaft auf sich wirken zu lassen. Genug, um mehrere Urlaube zu füllen und einen Haufen guter Geschichten für Zuhause mitbringen zu können.

Den August als Reisezeit - so wie ich es hier gemacht habe - würde ich in Zukunft eher meiden, während Ferragosto “gehört” das Land der eigenen Bevölkerung und der verbleibende Platz eignet sich nur bedingt zum Radfahren. Durch das milde Klima (bei aller alpiner Rauheit natürlich!) bietet sich aber bereits der frühe Mai aber auch der späte September oder sogar Oktober noch für einen Abstecher an - dort hat man dann jedenfalls mehr Platz auf den Straßen und auf den berühmten Gipfeln der Dolomiten.

Anreisetechnisch kann man sich entweder über die Südautobahn und dann über Tolmezzo und entlang des Tagliamento durch die karnischen Alpen heranarbeiten und wird dort wilde und ruhigere Gefilde vorfinden. Kommt man - so wie ich - über Osttirol und das Pustertal in die Dolomiten, findet man sich gleich im Herz der schroffen Steingebilde wieder und alle Möglichkeiten und Berge stehen einem offen. Die dritte Variante ist eine Anfahrt über die Brennerautobahn und Sterzing, wo man mit Rosengarten und Plose noch einmal eine etwas andere Charakteristik vorfindet.

Bis bald und ci vediamo! Wir sehen uns definitiv bald wieder!

Disclaimer

Die Reise fand in Zusammenarbeit und auf Einladung der Italienischen Zentrale für Tourismus in Österreich - ENIT statt.