King of the Lake 2020

Dass ich hier am Attersee um 15:26 auf der Startrampe stehe - übrigens fast auf die Minute die gleiche Startzeit wie beim Race Around Austria ein Monat früher - ist im Jahr 2020 nichts Selbstverständliches. Und dass die Atterbiker unter der Leitung von OK-Chef Erwin Mayer alles erdenklich Mögliche in die Wege geleitet haben, um den großartigen King of the Lake nicht zum Corona-Opfer werden zu lassen, ist ihnen sehr, sehr hoch anzurechnen. Angesichts steigender Infektionszahlen und strengerer Maßnahmen war es doch eine Zitterpartie für den Veranstalter, der neben Festzelt, großen Siegerehrungen und Ziellabe auch Dinge wie die große Videowall im Zielbereich zum Opfer gefallen sind.

Dabei kommt dem King of the Lake sein ureigenstes Konzept zugute, das ihn auch weltweit so einmalig macht - das Einzelzeitfahren, mit Betonung auf ein coronafreundliches “Einzel”! Alleine schon die Abstandsregeln beim Überholen und das strikte Windschattenverbot implizieren einen infektionsmindernden Mindestabstand zwischen den Teilnehmenden.

Außer der gestaffelten Abholung der Startunterlagen, den strengen Zutrittskontrollen zum Startbereich und dem fehlenden Sich-gegenseitig-vor-dem-Start-wahnsinnig-machen ist alles beim Alten. Der See ist noch immer wunderschön, das Wetter - jetzt schon ein fast bedrohliche Strähne lang - schön, die Straße um den See für den Verkehr gesperrt. Und auch der Reiz der 47,2 Kilometer langen Strecke, den eigenen FTP-Wert auf seinen Realitätsgehalt zu überprüfen ist noch immer da. Fast 1.400 Starterinnen und Starter sind auf der Nennliste angeführt, erstmals dabei ist zum zehnjährigen Jubiläum des “KOTL” eine Kategorie für 10er-Staffeln.

Reduziert aufs Maximum

Es ist der KOTL an sich schon eine reduzierte Sache - im Sinne des einsamen Kampfes, der klaren Aufgabenstellung und der Tatsache, dass es nicht wirklich Ausreden und Ausflüchte gibt. Unter dem Corona-Regime ist das Konzept noch einmal gestraffter. Man geht zum Start, kämpft sich um den See, schnappt nach der Ziellinie kurz nach Atem und fährt wieder vom Start-/Zielbereich weg. Das mag einsam und unromantisch klingen, ist es aber in keinster Weise, vielmehr spiegelt es ganz gut den Kampf gegen sich selbst wider, den man beim KOTL zu führen hat.

Man trifft sich danach ohnehin mit seinen Freunden, Kollegen oder Partnern, spricht über das Geschehene, vergleicht die Leistungen und denkt darüber nach, was man vielleicht noch anders hätte machen können. Gut, im Festzelt ginge das in größerer Runde, zwangloser und feucht-fröhlicher. Aber aus meiner Sicht ist es absolut verkraftbar, in diesem Jahr auf das Zelt zu verzichten, wenn das heißen würde, dass es den KOTL sonst gar nicht geben würde.

Das Rennen

Die bekanntermaßen flachere und einfachere erste Hälfte der Strecke lädt zum Über-Pacen ein. Man fühlt sich noch frisch, der Wind unterstützt zumeist etwas und man fühlt sich an, als würde man die Welt niederreißen. Nach 20 Kilometern ist man am Südende des Sees angelangt und die kleinen Hügel beginnen, zuerst harmlos und zum Drüberrollen, dann mit der Umfahrung Unterach der erste “richtige” Anstieg. Spätestens hier bekommt man dann zum ersten Mal eine Indikation, wie der Körper an diesem Tag wirklich tickt. Und es befällt einen die erste Ahnung, dass die restlichen 20 Kilometer wohl nicht die angenehmsten des Tages werden dürften. Direkt am Ufer fährt man den See entlang, der Wind kommt nun von schräg vorne - die Straße ändert ständig die Richtung, der Wind ebenso.

In Parschallen wartet die aus meiner Sicht schwerste Prüfung des gesamten Kurses, die zuerst noch schmierend ansteigende Straße endet in einem kurzen Stich hinauf in den Ort. Für mich ist das jedes Jahr der größte Rhythmusbrecher und so etwas wie der Anfang vom Ende. Zell, Nussdorf, Altenberg, Attersee und Unterbuchberg vollstrecken dann eigentlich nur noch, was zuvor schon begonnen hat. Es sind keine langen Anstiege sondern vielmehr kleinste und kleine Rampen, schmierende Abschnitte, die hier sukzessive und nachhaltig alles aus den Beinen ziehen, was da eventuell noch vorhanden wäre.

Und während ich auf den ersten 30 Kilometern des Rennens gefühlt noch ganz gut dabei war, sinken meine Wattzahlen und meine Durchschnittsgeschwindigkeit mit beeindruckender Konsequenz und Schnelligkeit nach unten. Das langsame Sterben manifestiert sich auch an den immer zahlreicheren Fahrerinnen und Fahrern, die an mir vorbeirauschen - wer hier noch fest aufs Pedal drückt, hat entweder sehr gut trainiert oder sich das Ganze auch um einiges besser eingeteilt. Oder beides.

In Buchberg wartet noch der berüchtigte Stich mit 13%, der zwar nominell abschreckt, wenn man aber mit einem gewissen Tempo dorthinkommt, kann man sich mit einigen festen Tritten recht souverän über den Hügel retten. Danach ist man gefühlt schon fast im Ziel, muss nur noch beim Hotel Attersee bei der Einfahrt nach Seewalchen Fassung bewahren und danach ins Ziel hinunterrollen. Die gut verteilt stehenden Zuschauer*innen sorgen dafür, dass man auf den letzten Metern noch einmal in den Oberschenkeln nach ein paar Watt sucht und dann ist es auch schon wieder vorbei.

Wunden lecken?

1:17:39 sind 40 Sekunden langsamer als meine Zeit von 2019. Letztes Jahr hatte ich weniger Jahreskilometer in den Beinen, war generell etwas schlechter drauf und hatte auch mehr Probleme mit der Position am Zeitfahrer. Insofern bin ich mit meiner 2020er-Zeit nur bedingt zufrieden oder hätte mir eigentlich eine Verbesserung erwartet. Ausreden hätte ich genug bzw. hab ich mir die schon haufenweise während der letzten Kilometer des Rennens zurechtgelegt: Zu viele Ausdauer-Kilometer fürs Race Around Austria trainiert, stressige zwei Wochen vor dem Rennen gehabt, zu wenig gegessen vor dem Start und natürlich immer der Wind (diesmal nicht - wie gewohnt - recht gerade aus dem Norden sondern seltsam schräg und etwas drehend).

Aber eigentlich brauche ich gar keine Ausrede. Ich bin sehr froh, dass der King of the Lake 2020 überhaupt stattgefunden hat und schätze das Engagement und das Durchhaltevermögen des Veranstalters sehr, sehr hoch! Ob es für mich am Ende der 455. Platz ist oder der 369. oder der 214. ist nebensächlich. Ich möchte - wie immer - mit mir selbst zufrieden sein und wenn man weiß, was man (theoretisch) noch besser machen könnte, kann man auch leichter damit umgehen. Ob man die Lust und Energie hat, diese theoretischen Potentiale auch zu heben, ist Geschmackssache.

Diejenigen, die sich mit solchen profanen Fragen nicht auseinandersetzen (müssen), waren auch dieses Jahr wieder schnell und sehr schnell unterwegs. Kurz vor Renn-Ende sah es schon danach aus, als würden alle Kings und Queens des Vorjahres ihre Kronen behalten dürfen, bis ganz am Ende dann mit Tobias Häckl ein neues Gesicht ganz oben stehen durfte.

2021?

Wie es mit Corona weitergeht, wissen wir alle noch nicht. Dass ich bei einem King of the Lake 2021 wieder am Start stehen möchte, weiß ich jedoch mit absoluter Sicherheit! Und jetzt wo die Race Around Austria Challenge von meiner Bucket List gestrichen ist, entsteht plötzlich Raum für etwas Neues - vielleicht ein paar mehr Stunden auf dem Zeitfahrer und etwas zielgerichtetes Training auf die Stundenbelastung? Wer weiß… ;)

Disclaimer

Die Teilnahme erfolgte auf Einladung des Veranstalters.

Fotos: Eigene und Sportograf

Die Fotos, die ich vor und nach meinem Rennen gemacht habe, sind auf der Facebook-Seite von 169k in einem Album gesammelt!