Festive 500 - DNF

So wie 2020 insgesamt ein recht holpriges Jahr war, so war auch mein Festive 500-Versuch von schwierigen äußeren Rahmenbedingungen geprägt. Bereits im letzten Jahr war es eine besondere Challenge, die 500 Kilometer zwischen Weihnachten und Neujahr in den Alpen abzuspulen. Die Temperaturen rund um Lienz waren herausfordernd und für mich eine besonders harte Nuss, die ich aber irgendwie knacken konnte.

2020 kamen Rekordschneefälle dazu, die zwar wie eine willkommene Abwechslung wirken mögen, tatsächlich aber hinderlich sind. Viele der Routen und Streckenvarianten fallen auf diese Weise weg - Waldwege, schlecht/nicht geräumte Seitenstraßen aber genauso Berge und Pässe (alleine schon wegen der kalten Abfahrt!). Was also romantisch und abenteuerlich wirkt, ist in Wahrheit nicht ganz so prickelnd :)

Allerdings waren auch die Temperaturen eine Herausforderung - bei bis zu minus 13 Grad kommen auch die besten Schuhe und Handschuhe an ihre Grenzen und begrenzen so die Zeit, die man draußen auf dem Rad verbringen möchte. Dennoch sind die Festive 500 jedes Jahr wieder eine schöne Motviationshilfe, aufs Rad zu steigen, wenn man sonst vielleicht eher vor dem Ofen oder dem Weihnachtsbaum liegen bleiben würde. Aber es soll eben “nur” eine Motivationshilfe sein, allzu sehr sollte man sich nicht zwingen müssen - schließlich geht es ja auch noch um den Spaß am Radfahren!

Race Around Austria Challenge Unsupported

01:30 Uhr ist keine gute Zeit für wohlüberlegte Entscheidungen - vor allem wenn man schon seit zehn Stunden im Sattel sitzt, noch 330 Kilometer bis zur Ziellinie fehlen und man in einem Wartehäuschen einer Busstation liegt und darauf wartet, dass sich der Kreislauf erfängt... Doch wie ist es soweit gekommen??

# Prolog

Nach drei Jahren des Fotografierens beim Race Around Austria war 2020 das Jahr der Teilnahme - irgendwann kommt man einfach nicht mehr aus. Und die neue Kategorie "Unsupported" war genau der richtige letzte Anreiz für eine Teilnahme - kein Team, das man organisieren muss, kein Auto, das man mieten muss, keine Verpflichtungen anderen gegenüber.

Ich weiß nicht genau, ob man meine Vorbereitung auch so nennen kann. Ich habe versucht, zwischen Corona, Homeoffice und Familie möglichst viel Zeit im Sattel zu verbringen. Das war in meinen Augen wichtiger und sinnvoller als ein strukturierter Trainingsplan, der wohl nicht so gut mit meiner (zwangsläufig) spontanen Zeitplanung funktioniert hätte. Bis zum RAA sind es dann doch rund 6.000 Kilometer geworden - ein Wert, der mich grundsätzlich recht optimistisch auf den August zugehen hat lassen. Zwei Dinge konnte ich nicht wie geplant oder gewünscht umsetzen: Ich wollte mehr lange Ausfahrten machen, um mich und meinen Körper an längere Belastungen zu gewöhnen - geworden ist es dann nur eine richtig lange Ausfahrt, der 300er nach Mariazell. Ebenfalls nicht ausprobieren konnte ich längere Nachtfahrten - sowohl als Test für meine Lampen und deren Akkus als auch für mich in psychologischer Hinsicht.

Ausreichend (oder wahrscheinlich zu viel) habe ich in Gedanken über mein Equipment investiert. Das Streckenstudium auf diversen Karten hat mir viel Spaß gemacht und war fast so gut wie eine echte Probefahrt (auch wenn man natürlich kein richtiges Gefühl für die Route bekommt...). Auch in Detailfragen wie Akkulaufzeiten, Kalorienbilanzen, Taschenvolumen und Pack-Varianten hab ich mich mit großer Freude vertieft, einiges vermutlich schon "zer-dacht" und da und dort über das Ziel hinausgeschossen.

Am Ende kommt das Event dann schnell näher und näher und so richtig bereit wird man nie sein... Die Ungeduld, endlich losfahren zu können und nicht mehr an dieses oder jenes denken zu müssen hat die letzten zwei Wochen vor dem Rennen überwogen. Dass ich die ersten beiden Tage der RAA-Woche noch die anderen Teilnehmer fotografieren konnte, war als Ablenkung durchaus willkommen und hilfreich. Mit Nora und ihrem Team und Michael, der wie ich in der Unsupported-Kategorie am Start stand, konnte man sich außerdem noch vortrefflich die Stunden vor dem Rennen schön gestalten. Die Stimmung war zwischen Vorfreude und Begeisterung bis hin zum gegenseitigen "Anstacheln" wie es früher in der Schule vor wichtigen Schularbeiten üblich war.

# I: St. Georgen - Schärding

Um 15:28 am Mittwoch sind alle diese Gedanken und Unsicherheiten wie verflogen. Moderator und Freund Oliver schickt mich mit motivierenden Worten die Startrampe hinunter und schon nach den ersten Metern durch St. Georgen ist man plötzlich ganz alleine, tritt beständig in die Pedale und es ist schlicht und ergreifend nicht greifbar, was da nun vor einem liegt. 560 Kilometer und 6000+ Höhenmeter sind eine Kategorie, die so einfach nicht fassbar ist, wenn man zuvor noch nie solche Distanzen zurückgelegt hat. 300 sind mittlerweile eine Kategorie, an der sich viele abgearbeitet haben. Aber sind 560 nun so wie 300 nur etwas länger? Kommt man in einen Flowzustand und die Kilometer verfliegen nur so? Oder sind 560 einfach fast doppelt so viel wie 300 und es wird einfach eine einzige große Quälerei?

Die ersten 100 Kilometer des Rennen führen durch das relativ flache Innviertel, das Terrain liegt mir - dennoch bin ich etwas überrascht, dass beim ersten Stop bei einer Tankstelle bei Suben ein 30er-Schnitt auf meinem Tacho aufscheint. Verbunden mit den heißen Temperaturen des späten Nachmittags dräut mir, dass das eventuell ein zu schneller und zu ressourcenraubender Start ins Rennen war.

# II: Sauwald (Schärding - Passau)

Aus Schärding klettert man kurz über eine 16%-Rampe die Stadt hinaus, nach 100 Kilometern des Drückens im Sitzen sind die ersten Höhenmeter fast eine Erleichterung. Es ist ca. 19:30 und ich radle in einen wunderbaren Sonnenuntergang, die Felder rechts und links von mir scheinen golden und es wirkt wie eine schöne, lange Ausfahrt, die gemütlich in den Abend hineinführt. Kurz vor Schardenberg treffe ich auf Sylvia aus dem Wiener Verein Mitzi and Friends, die mit Familie am Straßenrand steht und alle Fahrerinnen und Fahrer anfeuert - das gibt Kraft und wird nur der erste von vielen Momenten sein, in dem man Energie aus großartigen Anfeuerungen erhält. Die Abfahrt Richtung Passau - hinunter zur Donau - fließt dahin und flott bin ich bei Kilometer 130 angelangt.

# III: Passau - Niederranna

Es folgen 30 Kilometer entlang der Donau, die Szenerie - obwohl landschaftlich sehr ansprechend - wird eintöniger: links Donau, rechts Wald. Die Sonne zeichnet sich mittlerweile nur noch als dunkelroter Streifen am Horizont hinter mir ab, ansonsten senkt sich jetzt die Nacht über mich. Seit 20:00 gelten die Nachtregeln des Rennens, das bedeutet, dass vorne und hinten am Rad die Lichter eingeschaltet sein müssen. Und während die Fahrer mit Betreuerfahrzeug im Scheinwerferlicht desselben unterwegs sind, müssen die Lampen der Unsupported-Fahrer*innen so stark sein, dass sie ein gefahrloses Vorankommen auch in der finstersten Nacht ermöglichen (entsprechende Akkukapazitäten inklusive).

Um 21:00 erreiche ich die Donaubrücke bei Niederranna, die das Ende der flachen Kilometer markiert und den Beginn des berühmt-berüchtigten Mühlviertels. "Ende" ist auch ein Stichwort, das mein Körper sich denkt. Als Familienvater habe ich mich in den letzten zwei Jahren an eher frühes Schlafengehen gewöhnt, dementsprechend zeigt mein Körper recht wenig Bereitschaft, weiterhin vollen Betrieb zu ermöglichen.

# IV: Mühlviertel (Niederranna - Ulrichsberg)

Müde und mit einem von den hohen Temperaturen zu Beginn des Rennens ermatteten Kreislauf kurble ich die erste größere Steigung des Rennens hinauf - rund vier Kilometer direkt von der Donau hinauf in ein Dorf namens "Dorf". Oben angekommen brauche ich erst einmal eine Pause, irgendwie hat die Akklimatisierung an Nacht und frischere Temperaturen noch nicht funktioniert. Ich setze mich zu einer Busstation, entspanne meinen Rücken, trinke ein Ensure und beobachte die Challenge-Fahrer*innen, die in der Deckung ihrer Betreuerfahrzeuge an mir vorbeirollen. Ich habe übrigens zu keinem Zeitpunkt - auch später im Rennen - nie den Eindruck, "überholt" zu werden wenn jemand an mir vorbeifährt. Vielmehr ist es ein Miteinander, ein gemeinsames Bewältigen dieser Prüfung, man sitzt auf gewisse Art und Weise im gleichen Boot.

Die Landschaft des Mühlviertels und dessen Schönheit kenne ich von früher - jetzt ist alles was ich sehe, der Lichtkegel meiner Lupine Piko und weiter als 10-20 Meter reicht der auf höchster Stufe auch nicht. Aus der Finsternis rechts und links von mir tönt jedoch immer wieder spontanes Klatschen oder Johlen. Und dann sind da noch die Fan-Zonen: Von der Stimmung in Julbach hat man schon vor dem Start gehört, dass jedoch in so gut wie jedem Ort auf dem Weg dahin auch schon Menschen auf den Straßen stehen und alles und jeden anfeuern, was dort vorbeikommt, darauf war ich keinesfalls vorbereitet. Anfeuerungen, Musik, Klatschen, Rattern, Jugendliche, die über hunderte Meter mitlaufen - das alles verleiht einem vielleicht keine Superkräfte aber es hilft enorm, die schwierigen Stunden in der Nacht leichter absolvieren zu können. Wie soll man stehenbleiben oder schlappmachen, wenn alle 500 Meter jemand steht, der sich für einen die Seele aus dem Leib brüllt...

Nach harten 35 Kilometern ständigen Auf und Abs (ständig!), ist Ulrichsberg erreicht, die erste Timestation des Rennens und mit knapp 200 Kilometern ist zumindest schon ein gutes Drittel absolviert.

# V: Ulrichsberg - Vorderweißenbach

Die Strecke von Ulrichsberg bis Vorderweißenbach bin ich - etwas abgeändert und großteils in die andere Richtung - schon einmal gefahren aber mitten in der Nacht bringt einem die vermeintliche Streckenkenntnis nicht wirklich viel. Und haben die Fans im Mühlviertel noch für Zerstreuung und Kurzweil gesorgt, ist man nun endgültig alleine mit dem Geräusch der Wildwarnvorrichtungen an den seitlichen Fahrbahnbegrenzern, die einen mit einem freundlichen Piepsen begrüßen, sobald der Lichtstrahl auf die Sensoren fällt. Seit Beginn des Mühlviertels hat sich mein Kreislauf nicht wirklich erfangen und dass ich um diese Zeit sonst üblicherweise sanft vor mich hin schlummere, macht die Situation nicht besser. Die Essensaufnahme wird zunehmend schwieriger - ein Thema, auf das ich besonderen Wert legen wollte, weiß ich doch von mir selbst, dass hier meine größte Achillesferse liegt. Meinen Mix aus Riegeln, Gels und Ensure-Flüssignahrung habe ich auf nur noch Ensure reduziert, beim Gedanken an einen der süßen Riegel wird mir schlecht. Unterbrochen durch einige kleinere Pausen von zwei bis drei Minuten arbeite ich mich bis Haslach vor, kurble noch stetig den Anstieg nach St. Stefan und Afiesl hinauf, nur um auf der darauffolgenden Abfahrt zu merken, dass ich wohl doch eine etwas längere Pause einlegen sollte. Der Körper ist im Notbetrieb, es ist kalt geworden und statt im untersten Bereich weiterzutreten möchte ich meinem Körper die Möglichkeit bieten, sich zu erholen. In einem geräumigen Bushäuschen irgendwo bei Vorderweißenbach drehe ich meine Lampen ab, knülle mein Gilet zu einem Polster zusammen und stelle mir einen Timer auf 20 Minuten ein. Ich schlafe tatsächlich in der Sekunde ein und erst der Ton des Telefons weckt mich wieder auf. Ich stelle noch einen Timer - diesmal 15 Minuten -, doch die warte ich nicht mehr zur Gänze ab. Schlafen geht nicht mehr, ich zittere ob der Kälte und merke, dass ein längerer Stop an dieser Stelle keine positiven Effekte mehr bringen würde.

# VI: Vorderweißenbach - Freistadt

Die ersten Meter nach der Pause sind etwas beschwerlich, der Körper ist abgekühlt und das grundsätzliche Gefühl, dass ich jetzt gerade in einem kuscheligen Bett besser aufgehoben wäre, ist nicht verflogen. Die folgenden 25 Kilometer sind für mich mit die schwersten des Rennens - es ist stockfinstere Nacht, andere Teams sind weit und breit nicht zu sehen und die Topographie hat sich zwar etwas gemäßigt, auf und ab geht es trotzdem noch die ganze Zeit. Die einzige Ablenkung bietet ein Unsupported-Kollege, dessen Licht auszugehen droht und das er - mangels USB-Kabel - nicht nachladen kann. Nach einem beruhigenden Blick auf den Ladestand meines Test-Garmin 1030 Plus verschenke ich mein USB-Kabel und setze meine Fahrt fort. Ich habe in den den letzten Stunden in Gedanken immer wieder einmal kurz nach potentiellen Ausreden gesucht, erfundene Defekten und Probleme durchgespielt - ohne Konsequenzen. Aber dass jemand tatsächlich ohne Licht im Mühlviertel strandet und mit der Weiterfahrt auf das Ende der Nachtphase um 06:30 warten muss, das möchte ich dann doch verhindern.

In Rainbach im Mühlkreis erwachen die Sinne dann wieder - zwangsläufig. Wer hätte gedacht, dass tschechische Sattelschlepper, die einem auf Autobahnausweichrouten ansonsten eher versuchen, das Leben zu nehmen, in diesem Fall eher für das notwendige Zurückkehren ins Leben sorgen...

In Freistadt treffe ich auf Nora und ihr Team, ein großartiger Lichtblick in dieser düsteren Nacht! Sie haben mich während meiner Ruhepause im Bushäuschen überholt. Ich geselle mich dazu, mache eine kurze Pause und schnorre Wasser von ihren Begleitern. Meine nächtliche Krise ist - hier in Freistadt um 04:00 Uhr früh durchstanden!

# VII: Freistadt - Enns

Die folgenden 40 Kilometer geht es tendenziell bergab, soviel habe ich mir vom Höhenprofil gemerkt. Und auch die Worte von Erwin Mayer - dem Organisator des King of the Lake - hallen in meinen Ohren: er meinte, bis Freistadt muss man überleben, danach fährt man sinngemäß nur noch heim. Ab Pregarten spielt sich am Horizont ein leichter Anflug von Dämmerung ab, das Ende der Nacht ist damit absehbar und diese große Prüfung damit vor ihrem Ende. Beginnender Pendlerverkehr Richtung Enns zeugt vom baldigen Beginn der 06:00 Uhr Frühschicht, meine Schicht dauert an dieser Stelle bereits zwölf Stunden, in denen ich allerdings auch die Hälfte der Distanz der RAA Challenge zurückgelegt habe. Der Blick auf die Zahlen am Display des Radcomputers ist damit gar nicht so schlecht und im Wesentlichen ganz zufriedenstellend, wenn es denn in dieser Manier so weitergeht.

Bei Mauthausen wird die Donau gequert, starker Frühverkehr mit hohem LKW-Anteil setzt ein. Bei einer JET-Tankstelle ist es Zeit für etwas Festes zwischen den Zähnen. Auch wenn ein Speck-Käse-Mayonaise-Baguette nicht wirklich im Sinne der Leistungsentfaltung ist, die Seele dankt es in hohem Maße.

# VIII: Enns - Steyr

Von Enns bis Steyr ist man kurz in Niederösterreich unterwegs - übrigens nicht der einzige Ausflug in ein Nachbarbundesland bei der Race Around Austria Challenge (zu Beginn ist man kurz in Salzburg unterwegs, der Fuß des Hengstpasses liegt in der Steiermark). Knapp 40 Kilometer geht es in den ersten Morgenstunden zwischen goldenen Feldern hindurch und über kleine Wege und Straßen Richtung Voralpen. Die Licht-Stimmung ist ähnlich wie rund um Schärding rund 12 Stunden zuvor und ich lasse kurz die Gedanken schweifen, was in dieser Zeitspanne alles passiert ist. Immer wieder ertappe ich mich, wie ich in Gedanken die fehlenden Kilometer durchgehe, darüber nachdenke, was noch alles kommt, noch alles fehlt und wie "mühsam" das alles werden würde. Diese Gedanken gilt es sofort und in der Sekunde beiseite zu schieben. Es zählt immer nur der nächste Stop, das nächste Zwischenziel, das ich mir auf meinem Aufkleber auf meinem Vorbau notiert habe, die nächste Tankstelle oder der nächste Brunnen. Reicht schon, dass mein Körper und meine Beine nie wieder so richtig aus dem Not-Modus zurückgekehrt sind. Da muss zumindest der Kopf noch weiterhin einwandfrei funktionieren!

In Steyr ist Kilometer 340 erreicht, bei der Firma Hrinkow Bikes ist das sogenannte Depot situiert. Der Veranstalter des RAA hat - hauptsächlich aus Sicherheitsgründen - eine Möglichkeit vorgesehen, Vorräte, Gewand oder was auch immer man benötigt, in einer Box in Steyr zu hinterlegen. Puristen mögen an dieser Stelle einwenden, dass das Ganze dann nicht mehr unsupported ist. Auf der einen Seite haben sie damit recht, auf der anderen Seite ist es aber auch egal, weil gleiche Möglichkeit für alle und für die erste Austragung eines derartigen Rennens ist eine Rückfallebene sicher kein Fehler. In Steyr stehend ist mir das in diesem Moment aber ohnehin gleichgültig! Ich fasse aus meiner Box neue Ensure-Flaschen, die mich bis ins Ziel ausreichend versorgen sollen, Riegel und Gels greife ich erst gar nicht mehr an. Frische Flaschen ersetzen die klebrigen, schmutzigen, benützten. Ein Blick auf die Boxen, die außer meiner noch im Depot auf ihre Abholung warten, zeigt mir, dass ich platzierungstechnisch wohl nicht mehr allzu viel herausholen kann. Aber das war von Anfang an nicht der Plan also wird auch dieser Gedanke wieder verworfen.

# IX: Steyr - Hengstpass

Über die folgenden 60 Kilometer durch das Ennstal möchte ich am liebsten gar nicht allzu viel schreiben! Es würde mich entweder traurig oder aggressiv machen... Irgendwie hatte ich diesen Abschnitt in meiner Rennplanung entweder nicht genau genau angeschaut (auf der Karte und im Höhenprofil) oder ich habe mich massiv verschätzt. Gerechnet habe ich mit einer zwar mühsamen aber annehmbaren Anfahrt auf das Gesäuse, die mit ein paar wenigen Steigungsprozenten dahinschmiert. Tatsächlich geht es dort in einem durch bergauf und bergab, kleinere Hügel, größere Hügel, lange Geraden, kleinere Hügel, größere Hügel. Uhrzeitbedingt war der Verkehr recht stark und auch die mittlerweile aufgegangene Sonne sorgte wieder für höhere Temperaturen. Geholfen haben mir die Challenge-Teams, die rund um mich - einmal vor mir, einmal hinter mir - unterwegs waren. Geholfen haben sie mir sowohl physisch - durch Wasser in meine leeren Flaschen -, als auch psychisch, durch deren Anwesenheit. Martin und Ariane "kenne" ich etwas besser von Instagram und Strava, hier ist es ungemein hilfreich, wenn jemand in der Nähe ist. Nicht, dass sie mir großartig helfen könnten aber es ist schon ein gutes Gefühl, dass da noch jemand unterwegs ist, der vielleicht in einer ähnlichen Situation ist wie man selbst.

# X: Hengstpass - Micheldorf

Altenmarkt markiert das Ende des Ennstals und das Tor zur nächsten Prüfung. Der Hengstpass ist nominell keine allzu große Herausforderung, einzig die Länge von mehr als 20 Kilometern schreckt ab. Die Steigung ist zu Beginn sehr moderat und zieht erst im oberen Teil an, dann ist es aber auch schon wieder vorbei. Problem an der Sache ist eher, dass man an dieser Stelle bereits 400 Kilometer in den Beinen hat. Wie Nora in ihrem Blogbeitrag ganz richtig angemerkt hat, sind die schnellen Fahrer*innen hier unterwegs, wenn es gemütliche Nacht- oder Morgentemperaturen hat. Ist man - so wie ich - dort kurz vor Mittag, dann steht dort schon einmal die Luft bei lauschigen 30 Grad. Aber auch da waren wieder Challenge-Fahrer in meiner Nähe, die mir das Gefühl geben konnten, nicht alleine in diesem Boot zu sitzen.

Am Hengstpass angekommen gibt es die Möglichkeit für eine kurze Pause und das Auffüllen der Flaschen. Ensure reinhauen und weiter gehts! Die Abfahrt nach Windischgarsten ist schön aber zu kurz, als dass man sich hier großartig erholen könnte. Wie die Auffahrt zum Hengstpass ist auch die Abfahrt nicht mit großen Steigungsprozenten gesegnet, insofern rollt man nicht allzu lange gemütlich dahin sondern muss recht bald wieder kräftig in die Pedale treten.

Apropos kräftig in die Pedale treten: War bei der Anfahrt zum Hengstpass nach Süden noch ein lästiger Gegenwind zu spüren, so hätte man für den Abschnitt vom Hengstpass weg (Richtung Norden!) dann wohl Rückenwind erwarten können. Aber weit gefehlt, auch die 35 Kilometer Richtung Kirchdorf an der Krems kam der Wind von vorne und bremste die letzten Anflüge von Leistungsentfaltung nachhaltig. Bei der Tankstelle in St. Pankraz hatte ich schon vor dem Rennen eine Rast eingeplant, Tankstellen nahe Autobahnabfahrten sind nicht nur 24 Stunden geöffnet sondern bieten auch ein gutes Sortiment. Ein Coca Cola und ein Croissant später sieht die Welt fast immer etwas besser aus - so hangelt man sich von Kilometer zu Kilometer, Station zu Station. Den Rest der Strecke kenne ich vom Fotografieren der Challenge recht gut - ob das nun ein Vorteil oder Nachteil ist, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht restlos geklärt.

# XI: Ziehberg - Hochlecken

"Noch 100 Kilometer!" war der Gedanke beim Blick auf den Garmin, die Übersetzung ("Bei deinem Schnitt bist du also noch gute vier Stunden unterwegs") galt es wiederum schnell zu verbannen. Der Ziehberg war einfacher zu fahren als befürchtet, beim Fotografieren und Befahren mit dem Auto hat sich dieser tatsächlich schwieriger "angefühlt". Einzig die 38 Grad, die der Garmin anzeigte, ließen mich kurz an dem Vorhaben zweifeln. Aber schwarze Wolken am Horizont waren schon zu diesem Zeitpunkt ein recht deutlicher Indikator dafür, dass zumindest das Hitzeproblem alsbald gelöst sein sollte.

Ein Salzstangerl in einer Bäckerei in Scharnstein sorgte für etwas zu Kauen und eine kleine Portion Salz, die Abfahrt nach Gmunden für etwas Abwechslung und das nahende Donnergrollen für etwas Aufregung. Aus Gmunden hinaus zieht sich der Anstieg Richtung Hochlecken recht mühsam dahin, jedoch wünscht man sich, dass es lang so schmierig weitergegangen wäre, wenn man vor der kurzen 13%-Rampe steht, die es am Weg zum Attersee noch zu überwinden gilt. Einsetzender Regen sorgte für Abkühlung, Bedingungen an die ich mich bei vielen Ausfahrten in den letzten Wochen und Monaten gewöhnen konnte. Nora wollte beispielsweise gar nicht mehr mit mir fahren gehen, weil es bei mir immer zu regnen beginnt...

Heimweh setzte dann auch noch meine internen Sicherheitsregularien außer Kraft und so konnte ich es auf regennasser Fahrbahn hinunter zum Attersee noch einmal richtig krachen lassen. ;)

# XII: Attersee - St. Georgen

In Steinbach am Attersee geht es auf die Uferstraße und plötzlich taucht vor mir ein Unsupported-Kollege auf, den ich in den vergangenen Stunden schon mehrmals in unterschiedlichen Situationen getroffen habe. Wir plaudern kurz nebeneinander fahrend - er ist zweimal gestürzt, hat auch mehrere Krisen durchlebt. Es klingt blöd, aber es beruhigt, dass es anderen auch nicht viel besser geht als mir. Der Sieger der Unsupported Kategorie ist übrigens seit fast sieben Stunden im Ziel - er hatte also "nur" eine längere Ausfahrt, während wir hier in den Genuss einer bewusstseinserweiternden, tageüberdauernden, lebensverändernden Erfahrung kommen.

Es ist dies die Strecke des großartigen King of the Lake, das bedeutet, dass man hier eigentlich nicht gemütlich fahren kann, sondern irgendwie draufdrücken "muss". Der kurze Anstieg in Unterach, dann Richtung Mondsee, noch ein kleiner Schupfer - hier bin ich wenige Wochen zuvor erst bei meiner Österreich-Tour gefahren, bekanntes Terrain also. Bei der Abzweigung in Innerschwand sehe ich mich quasi schon im Ziel. Und wie als Strafe ziehen mir die letzten Meter bergauf hier noch einmal alles aus den Beinen, was da noch irgendwo im letzten Winkel versteckt war. Erst bei Kilometer 556 - also nach dem letzten Anstieg bei Oberwang - ist das Rennen tatsächlich in trockenen Tüchern. Naja, "trocken" nicht, denn es regnet mittlerweile wieder aber die letzten Meter bis zur Ortstafel von Sankt Georgen geht es bergab und das Heimweh mobilisiert noch einmal ein paar Körner. Meine "Zieldurchfahrt" bei der Ortstafel absolviere ich alleine, eigentlich wird man hier abgeholt und eskortiert. Aber auch mein Tracker war müde und hat eine Pause eingelegt, daher war auch die RAA-Crew überrascht, als ich plötzlich vor ihnen gestanden bin. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht werde ich dann von drei Motorrädern über die Hauptstraße St. Georgens Richtung Ziel geleitet, Menschen klatschen und feuern an - egal wie schnell oder langsam man war, ob man vorne ist oder hinten, Erster oder Letzter. Die Ankunft auf der Bühne - auf der ich 26,5 Stunden früher losgestartet bin - rührt mich sehr, in drei Jahren Race Around Austria ist doch eine große Zugehörigkeit zu diesem Event und den großartigen Menschen dahinter entstanden!

# Epilog

Duschen, ins Bett legen und 13 Stunden später wieder aufwachen - das ist direkt nach meinem Zieleinlauf passiert. Schmerzen in Händen/Handgelenken und dem Allerwertesten, die mich die letzten Stunden des Rennens plagten, waren am nächsten Tag im Wesentlichen wieder verflogen. Geblieben ist ein tiefsitzender subtiler Schmerz im Nacken und Rücken, der einfach durch die lange Position am Rad zustandekommen ist. Nie zuvor hatte ich auf einer Ausfahrt Schmerzen in den Fußsohlen, beim RAA allerdings schon nach wenigen Stunden - den Grund kenne ich bis heute nicht, meine linke Sohle hat sich allerdings knapp eine Woche lange etwas bamstig angefühlt. Oft heißt es "Schmerzen vergehen, der Ruhm bleibt" oder so ähnlich... Das stimmt natürlich, auch wenn der "Ruhm" ein grundsätzlich überschaubarer ist. Die Wertigkeit einer Aufgabe wie der Race Around Austria Challenge legt man grundsätzlich selbst fest. Ich mache mir wenig aus Trophäen oder Urkunden, mir ist wichtiger, dass ich mit mir selbst zufrieden bin und mich in die Spiegel schauen kann. Und das kann ich auf jeden Fall.

Mein Körper ist recht bald in einen Modus gegangen, in dem er eine beständige Leistung erbringen kann. Dass diese beständige Leistung im Endeffekt recht niedrig war und viel niedriger als das, was ich unter "normalen" Umständen zu leisten vermag, ist eine andere Geschichte. Ernährung wird immer ein Thema sein, an dem ich arbeiten kann, die Geschichte mit dem "Arbeiten in der Nacht" könnte man im Vorfeld sicher auch besser trainieren. Sehr zufrieden bin ich mit meiner mentalen Leistung und darin liegt wohl auch einer der Schlüssel zu derartigen Vorhaben. Nicht das Handtuch zu werfen, wenn Dinge schwierig werden, wenn etwas weh tut, wenn die Aussichten nicht rosig sind und die Herausforderung fraglos eine große ist, das habe ich glücklicherweise geschafft. Es ist wohl dieses Zusammenspiel von Geist und Körper - gute Leistungen wird man nur erbringen können, wenn beides passt. Je besser man trainiert ist, desto besser der Output des Körpers (und wenn es nur der Notmodus ist) - je stärker der Kopf, desto "einfacher" wird die Herausforderung bewältigt. Mein Respekt vor den Sportler*innen, die die Challenge, die 1.500 Kilometer oder die Extreme-Distanz über 2.200 Kilometer absolvieren, ist durch meine eigene Teilnahme noch einmal enorm angewachsen. Mir war vorher schon klar, dass hier unglaubliche Leistungen erbracht werden, aber auch meine kühnsten Vorstellungen waren noch recht weit von der Wahrheit entfernt. Das alles hilft mir dabei, gute Fotos von den Sportler*innen zu machen - was ich übrigens im nächsten Jahr beim Race Around Austria wieder machen werde... ;)

Strava

Fotos: Race Around Austria, Elisa Haumesser, Reinhard Eisenbauer, Wolfgang Haidinger

11 Zwift-Tips in Zeiten von Corona

“When life gives you lemons, make lemonade!” - so oder so ähnlich könnte man es ausdrücken. Für das Fahren auf der Rolle gibt es mittlerweile so viele unterschiedliche Varianten und Spielereien, dass die berühmte “weiße Wand” irgendwie ihren Schrecken verloren hat. Die derzeitige Aussicht auf mehrere Wochen Indoor-Radeln mag dennoch nicht die rosigste sein…

Ich fahre ja gerne auf Zwift und bewege mich mit Freude zwischen virtuellen Trikots, Strecken und anderen Radlern, die zeitgleich auf der ganzen Welt in ihren Kämmerchen und Kellern sitzen und genauso schwitzen wie ich. Über Trainingseffekte, Realitätsgehalt und dergleichen möchte ich an dieser Stelle nicht mehr schreiben - hier wurde bereits das meiste gesagt und ich habe aufgehört, jene bekehren zu wollen, die Zwift nur als reine Spielerei sehen wollen.

Für die kommenden Tage und Wochen brauche allerdings auch ich eine Perspektive, Ziele und kleine Incentives. Daher habe ich mir ein paar Dinge überlegt und möchte diese gerne mit euch teilen, in der Hoffnung, dass für jeden etwas Zerstreuung, Unterhaltung und Training dabei ist.

#stayathome

I - Meet-Ups

Nicht nur Großveranstaltungen und Rennen sind abgesagt, auch die wöchentliche Gruppenfahrt oder der Clubride sind unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht durchführbar. Nun ist die “Gesellschaft” auf Zwift natürlich eine andere, schließlich rollt niemand direkt neben einem. Dennoch bieten Zwift-Rides die Möglichkeit, mit Gleichgesinnten, ähnlich Trainierten und Schnellen unterwegs zu sein. Dazu stehen zahllose Zwift-Events zur Auswahl, bei denen man sich jeder erdenklichen Art von Training, Ausfahrt oder Rennen hingeben kann.

Wer es gerne etwas intimer haben möchte, kann auf die Funktion der Meet-Ups zurückgreifen. Dabei können bis zu 50 Radlerinnen und Radler zu einer gemeinsamen Ausfahrt eingeladen werden. Strecke, Länge und Tempo werden dabei vom Organisator festgelegt, das ganze erfolgt mehr oder weniger demokratisch, niederschwellig und ohne Zugangsbarrieren. (Im Vergleich dazu ist ein wahrer Kraftakt notwendig, um einen offiziell gelisteten Zwift-Ride zu bekommen). Voraussetzung ist, mit dem Organisator oder der Organisatorin des Rides auf Zwift befreundet zu sein - nur so kann man auch zum Meet-Up eingeladen werden. Die Einladungen scheinen in der App ganz oben auf und können eigentlich nicht übersehen werden (Erinnerungsfunktionen und dergleichen inklusive).

Der Ride selbst funktioniert wie gewohnt, der Ride Leader ist eindeutig als solcher erkennbar, man sieht die anderen, die Abstände und die Strecke. Einzig die Trikots werden nicht angeglichen, beim Bewegen durch die Zwift-Welten ist daher nicht auf den ersten Blick erkennbar, welcher Avatar zur eigenen Gruppe gehört und welcher nicht. Bei maximal 50 Teilnehmer*innen hat man aber ohnehin recht schnell herausgefunden, wer in der gleichen Gruppe fährt und wer nicht.

Für die kommenden Wochen sind einige Club-Ausfahrten bereits in derartige Meet-Ups “umgewandelt” - bspw. der Sonntags-Ride des Vienna International Cycling Clubs oder die Puppyton Rides. Außerdem veranstaltet beispielsweise auch das Profi-Team Hrinkow Meet-Ups, bei denen man auch noch in den Genuss des Windschattens von Radprofis kommen kann.

II - Touren & Etappenveranstaltungen

Zwift selbst bietet regelmäßig organisierte Veranstaltungen an, die motivationssteigernd wirken und zahlreiche Variationen des vermeintlich bereits bekannten Contents bieten. Allen voran ist die Tour de Zwift zu nennen, die einmal im Jahr über sieben Etappen in allen Spielwelten Zwifts stattfindet. Derzeit läuft gerade die Tour of Watopia über fünf Etappen, jeweils unterteilt in eine flache Etappe, eine Bergankunft, etwa schnelles, und so weiter. Einsteigen ist hier noch möglich, ein Nachholen von verpassten Rides natürlich auch.

Auch wenn diese Fahrten meist nicht als Rennen betitelt sind, geht es dort doch recht anspruchsvoll zur Sache. Und auch wenn man es locker angehen lassen möchte, wird man vom Herdenverhalten mitgetrieben, will den Vordermann einholen, noch eine Platzierung gewinnen und die Wattwerte in die Höhe schrauben.

III - Challenges

Ganz ohne Druck geht es hingegen bei den Challenges zu. Hier sind grundsätzlich zeitlich begrenzte Aktionen und die drei großen Zwift-internen Aufgaben zu unterscheiden. Bei letzteren gibt es zwei kilometer-bezogene Challenges, bei denen lediglich eine gewisse Distanz abzuspulen ist: “Ride California” führt dabei über 1.284 Kilometer, bei der “Tour Italy” sind dann schon 2.000 Kilometer zurückzulegen. Allseits bekannt ist hingegen die Everesting Challenge, bei der zuerst ein “normales” Everesting zu absolvieren ist und in einem weiteren Schritt dann das Erreichen von insgesamt 50.000 Höhenmetern, um an das heißbegehrte Tron Concept-Bike zu gelangen. Bei diesen drei Challenges ist zu beachten, dass gefahrene Kilometer und Höhenmeter jeweils nur für die Aufgabe zählen, die gerade aktiviert ist! Das ist auch der Grund, warum ich mein Tron-Bike noch nicht habe, weil ich sehr lange herumgefahren bin, ohne dass die Everesting-Challenge aktiv war.

Zeitlich begrenzt und meistens an aktuelle Ereignisse, Events oder Aktionen geknüpft sind hingegen jene Challenges, die immer wieder einmal in Zwift aufpoppen. Fahre “2.900 Höhenmeter mit einem MTB” und gewinne ein Scott RC Spark im Rahmen der Absa Cape Epic Challenge, “verbrenne 10.000 Kalorien in einem Monat”, fahre x Kilometer auf dieser und jener Strecke mit dem Zwift-Zeitfahrrad und ähnliches. Dabei kann man sich gut und selbst einteilen, ob, wann und wie man diese Aufgaben erfüllen möchte. Für Unterhaltung und Abwechslung ist auf diesem Wege allerdings gesorgt, besteht die Challenge doch oft aus Dingen, die man sonst wahrscheinlich nicht so schnell machen würde oder die man so einfach nicht am Radar hat.

IV - Badges

Ich bin ein großer Freund von Gamification und damit auch von Badges, Levelaufstiegen und Belohnungen. Zwift animiert die Userin und den User zu einer Vielzahl von Dingen und diese werden in der Regel auch mit einem Badge belohnt. Erzielte Wattleistungen, abgespulte Kilometer, erhaltene “Ride-Ons” und regelmäßige Zwift-Besuche - das alles wird mit virtuellen Trophäen und wertvollen XP-Points aufgewogen. Für einzelne Ziele erhält man auch neues In-Game-Equipment. “Klassiker” sind dabei natürlich die 100 und die 160-Kilometer-Challenge - für diese wäre ja jetzt gerade genug Zeit.

Recht neu und ein weites Betätigungsfeld sind die Route Achievements. Bei denen bekommt man für jede Route, die man abfährt einen Badge und XP-Points. Wer so wie ich eine ausgeprägte Sammelleidenschaft für Badges hegt, kann in diesen Tagen zum Beispiel der Reihe nach die unterschiedlichen Strecken auf Zwift abfahren und dafür gute XP-Punkte und Badges einheimsen. Wichtig dabei (und etwas umständlich) ist, dass pro Zwift-Session nur ein derartiger Route-Badge gesammelt werden kann. Will man einen weiteren Route-Badge holen, muss man vorher kurz die Aktivität beenden und eine neue starten. Eine kurze und flache Runde ist entsprechend schnell und einfach geholt, während die harten Brocken (“Four Horseman”, “Uber-Pretzel”) mit 100+ Kilometern und entsprechend Höhenmetern natürlich mehr XP bringen. Ein rascher Levelaufstieg ist auf diesem Weg garantiert.

V - Trainingsprogramme

Es steht außer Frage, dass Zwift für strukturiertes und kontrolliertes Training sehr gute Rahmenbedingungen bietet. Ohne Umwelteinflüsse, Steigungen und rote Ampeln kann man sich ohne Ablenkung auf das wattgesteuerte Training konzentrieren. Die Suche nach Streckenabschnitten, die sich für einen 20-Minunten-Test eignen erübrigen sich damit weitgehend.

Zwift bietet eine Reihe von Trainings-Sessions aber auch mehrtätigen oder sogar mehrwöchigen Trainingsprogrammen. Diese kann man sich durchaus einmal näher ansehen, alle zielen auf unterschiedliche Bereiche des Trainings oder der Leistungsentfaltung ab. Und die Rolle bietet auch die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren, die man im Freien sonst nicht so ohne weiteres versuchen kann oder möchte - zum Beispiel einseitiges Pedalieren.

VI - TT-Bikes/TT-Position

Ein Fixtermin in meinem jährlichen Renn- und Eventplan ist der King of the Lake - das einzigartige Einzelzeitfahren rund um den Attersee. Allerdings waren meine bisherigen Versuche auf dem Zeitfahrer eher von Nackenschmerzen und Positionsschwierigkeiten geprägt. Daher hatte ich schon letzten Herbst den Plan geschmiedet, mein Zeitfahrrad auf die Rolle einzuspannen und dort über den Winter etwas an der Position zu arbeiten. Wobei “an der Position arbeiten” in meinem Fall nicht bedeutet, die letzten Hundertstel rauszuholen sondern einfach meinem Rücken möglichst schonend beizubringen, dass er über eine längere Zeit in dieser Position verharren soll. Sich dabei nicht aufs Fahren konzentrieren zu müssen, sondern sich auf der Rolle statisch an diese Verrenkung heranzutasten, ist ein großer Vorteil. Und es kann ein “Projekt” sein, dem man sich in den nächsten Tagen und Wochen annimmt. Auf dass der King of the Lake im September schon wieder in jener Zeit liegt, in der Veranstaltungsabsagen kein Thema mehr sind.

In Zwift spielen Zeitfahrräder auch insofern eine besondere Rolle, als auf diesen kein Windschatten zu nützen ist. Wer daher auf Zwift die Schwierigkeit seiner Ausfahrten und Rides steigern möchte, steigt einfach mal auf ein Zeitfahrrad. Das Zwift-eigene TT-Bike ist von Beginn an freigeschaltet, die Maschinen von BMC, Specialized und Canyon (bis hin zum fürchterlich aussehenden Diamond Back) kann man hingegen freischalten bzw. in-game erwerben (dazu gleich noch mehr). Noch ein positiver Nebeneffekt: Am TT-Bike erhält man bei der Durchfahrt eines Bogens (Start, Ziel, Wertung, usw.) immer Bonus-XP.

VII - Anderes Rad - Anderer Untergrund

Doch auch noch weitere Radgattungen haben in den letzten Monaten Einzug auf Zwift gehalten. Crosser, Gravel- und Mountainbikes durchmischen die Räder des virtuellen Pelotons. Und damit diese Maßnahme nicht nur rein optischer Natur ist, wurde auch der Rollwiderstand der unterschiedlichen Untergrundbeschaffenheiten entsprechend angepasst. Die Erdfahrbahn des Jungle Circuit ist beispielsweise auf einem MTB um vieles schneller zu bewältigen als mit einem klassischen Rennrad. Einfach mal ausprobieren - auch hier sind einige Räder schon von Beginn an verfügbar, andere muss man sich erst verdienen.

VIII - Eigenen Style entwickeln

Der In-Game-Shop in Zwift ist mir grundsätzlich sehr sympathisch, nützt er doch als Währung kreditkartenschonende Schweißtropfen. Mit jedem Kilometer auf Zwift sammelt man diese und hat man sein Konto weit genug aufgefüllt, kann man sich um Schweißtropfen neue Rahmen und Laufräder “kaufen”. Voraussetzung für manche Teile ist außerdem ein gewisses Level.

Auf diesem Wege kann man sich sukzessive “seine” Teile zusammensuchen und so seinen eigenen Stil auf Zwift festlegen. Das mag vielleicht infantil und überflüssig klingen, ich schaue allerdings gerne auf einen Avatar, der mir auch gefällt. Und vielleicht fährt meine Spielfigur auch mit dem gleichen Rad wie jenes, das bei mir im Vorzimmer steht. Oder man erarbeitet sich sein virtuelles Traumrad. Brillen, Helme, Handschuhe, Sockenfarben und ein Haufen Trikots bieten nahezu unbegrenzte Kombinationsmöglichkeiten. Und auch meine grauen Haare kann ich in Zwift mit Stolz reproduzieren…

IX - Ernährung

Nicht ganz unter Laborbedingungen aber doch kontrolliert und mit einem ständigen Sicherheitsnetz (namens Küche oder Badezimmer) kann man auf der Rolle auch noch andere Dinge erproben. Ernährungsstrategien, Verträglichkeiten, Nüchterntrainings, neue Riegel und Gels, andere Geschmacksrichtungen und noch vieles mehr. All diese Dinge sollte man vor einem Rennen oder Event versucht und herausgefunden haben, warum sollte man das nicht in Ruhe und Sicherheit auf der Rolle machen. Und wo wenn nicht dort, kann man sich fünf Trinkflaschen nebeneinander aufstellen, ohne dass die Transportkapazitäten an ihre Grenzen gelangen.

X - Eigene GPX-Strecken nachfahren

Nicht 100% Zwift-relevant aber jedenfalls ein Thema für die Rolle ist das Nachfahren von Strecken über den Radcomputer. Wahoo bietet hier beispielsweise die Möglichkeit, einen vorhandenen GPX-Track schnell und problemlos nachzufahren - inklusive Simulation der Steigungen. Dabei ist es egal, ob man diese Strecke schon einmal selbst gefahren ist, sich einen GPS-Track von jemand anderem besorgt (z.B. als Download von Strava oder GPSies) oder einen Track über ein entsprechendes Routenplanungstool anlegt.

Der Wahoo verbindet sich mit dem Kickr, sobald dieser in der Nähe ist und mit wenigem Knopfdrücken steht man schon am Start der virtuellen Route. Auf diesem Wege kann man den Mont Ventoux hinaufradeln, die gewohnte Greifenstein-Runde nachfahren oder aber sich auf ein spezielles Event vorbereiten. Einfach das GPX-File eines Teilnehmers oder einer Teilnehmerin vom letztjährigen Radmarathon besorgen und schon kann es losgehen. Nicht nur Formel 1-Piloten schauen sich vorher die Rennstrecke auf der Playstation an. Ich habe mir beispielsweise die Route der Race Around Austria Challenge rund um Oberösterreich als GPX angelegt und diese Route in 40km-Abschnitte eingeteilt. Auf diesem Wege kann ich nun die Strecke meines Projekts kennenlernen - natürlich nicht mit dem 100%-igen Realitätsgrad aber zumindest als Annäherung. Vorsicht ist hier nur geboten, wenn man einen Routenplaner mit mäßiger oder schlechter Kartengrundlage verwendet, dann werden Steigungen nämlich oft nicht realitätsgetreu (sondern eher sprunghaft) dargestellt und auch entsprechend an den Rollentrainer weitergeleitet. Bei mir haben sich tatsächlich gefahrene Strecken (als gpx-File) am besten bewährt.

XI - Zwift Run

Wer den Luxus eines Laufbands genießt, kann - etwas außer Radler-Konkurrenz - natürlich auch die Lauf-Funktionen von Zwift ausprobieren. Die Lauf-Sektion der Software kommt in den Genuss ständiger Weiterentwicklungen und auch das Publikum und die Nutzer*innen werden täglich mehr. Das Lauf-Universum auf Zwift gleicht grundsätzlich jenem des Radfahrens - mit den gleichen Challenges, Badges, anderen und zusätzlichen Strecken und dem gleichen Motivationsschub, wie es auch beim Radeln der Fall ist.

Ride On!

Wer noch Tipps zum Setup von Zwift braucht, findet eventuell hier ein paar Ratschläge!

Festive 500-Tagebuch

24. Dezember 2019

Weihnachten! Das Fest der Liebe, des Friedens und der Familie ist gleichzeitig der Start von "Festive 500". Und während Friede (ein Gefühl, das sich bei mir im Sattel einstellt) und Liebe (eindeutige Assoziation mit dem Radeln) noch mit dem Radfahren in Verbindung gebracht werden können, steht die Familie in diametralem Gegensatz zu den Opfern, die man für die Festive 500 erbringen muss. Es gilt, 500 Kilometer zwischen Weihnachten und Silvester abzuspulen - an jenen acht Tagen also, an denen normalerweise Herumknotzen, Fernsehen und Kekse Essen im Vordergrund stehen.

500 Kilometer an acht Tagen ergibt 62,5 Kilometer pro Tag. Macht man einen Tag Pause, sind es bereits über 70 Kilometer pro Tag, bei zwei Aussetzern schon gut 80. "Veranstaltet" wird das ganze von Rapha und Strava, wobei das zwischendurch auch einmal hin- und hergewechselt hat.

Warum man sich das antun sollte? Naja, es gibt einen virtuellen Pokal auf Strava und wenn man sich entsprechend bei Rapha meldet, einen physischen Stoff-Badge, der dann - so wie alle derartigen Trophäen, die ich in meiner Laufbahn errungen habe - in irgendeiner Lade verstaubt. Wichtiger sind in meinen Augen allerdings andere "Belohnungen": der ultimative Sieg gegen den inneren Schweinehund - rauszugehen, während andere vor dem Ofen sitzen bleiben, Kalorien zu verbrennen, während andere vielleicht noch einmal auf den Keksteller greifen, sich ins Radgewand zu schmeißen, während andere den Tag im Pyjama verbringen.

Tag 1 bringt mir gut 72 Kilometer bei 750 Höhenmetern. Von Lienz aus fahre ich nach Osten, der vorhergesagte Föhnsturm hat mich meine Routenplanung adaptieren lassen, tatsächlich bleibt der Wind allerdings aus - also weder Qualen durch Gegenwind noch großartige Begünstigung durch Rückenwind. Auf der ansonsten wild befahrenen B100 durch das Drautal scheint auch eine Art Weihnachtsfrieden eingekehrt sein - während alle ihre letzten Einkäufe tätigen oder schon auf dem Weg zu den Freunden und Verwandten sind, kann ich in Ruhe auf der Bundesstraße dahinrollen. Für Abwechslung sorgen kurze Abstecher weg von der Bundesstraße und hinauf auf die benachbarten Hänge des Kärntner Drautals. Irschen, Dellach und Berg im Drautal liegen malerisch am Hang und genießen die klimatischen Vorzüge der Sonnseite - Plusgrade und herrlicher Sonnenschein, während auf der Schattseite Reif, Schnee, Eis und Grade um den Gefrierpunkt vorherrschen.

Ab Greifenburg wird das Tal weiter, der Schnee weniger und bei leichten Plusgraden fährt es sich noch einmal etwas leichter. Sachsenburg markiert den Zusammenschluss von Drau- und Mölltal, von hier aus geht es auf dem Drauradweg Richtung Spittal an der Drau. Abseits von vielbefahrenen Straßen ist man hier auf Güter- und Feldwegen, kleinen Straßen und Radwegen unterwegs. Die geplante Runde um den Millstätter See muss aufgrund von Zeitgründen ausfallen, von Spittal an der Drau gehts per Zug zurück nach Osttirol.

Tag 1: 72,4 KM; 14% der Festive 500 erreicht

25. Dezember 2019

Tag 2 meiner Festive 500 bringt die Verschärfung eines Festive 500-Aspekts, den ich im Vorfeld wohl nicht zu Ende gedacht habe. Natürlich macht es einen riesigen Unterschied, WO man die 500 Weihnachtskilometer abspulen möchte. Es gibt da in Singapur oder Indonesien diesen einen Radfahrer, der jedes Jahr in den ersten Stunden der Festive 500 die kompletten 500 Kilometer abspult. Jetzt ist die Bewältigung der großen Distanz natürlich an sich eine enorme Leistung, bei lauen und gemütlichen Temperaturen fällt dies allerdings leichter als bei jenen Witterungsbedingungen, die uns in einem durchschnittlichen Winter in den Alpen oder in Mitteleuropa begegnen. Man hat daher mit widrigen Bedingungen zu rechnen - egal ob das Regen und Nebel, Schnee und Eis oder Minusgrade sind. Ich verbringe die Feiertage mittlerweile traditionell in Osttirol - schön zum Skifahren, schön zum Langlaufen aber auf dem Rad wird man im Dezember eher schief angeschaut. Hinzu kommt, dass die letzten Jahre klimatisch sehr gutmütige Weihnachten produziert haben, schneefrei und verhältnismäßig warm. Mit diesen Erfahrungswerten bin ich im Vorfeld auch meine Touren- und Routenplanung angegangen. Die Realität von 2019 sieht allerdings anders aus: Radwege sind plötzlich gespurte Langlaufloipen, Wege im Schatten der Berge sind ob des Eises nahezu unbefahrbar und die Temperaturen sind für ein Weichei aus der Stadt wie mich doch eher außerhalb des Wohlfühlbereichs.

Meine via Komoot zusammengebastelten Routen und Wege sind daher nur bedingt brauchbar, viele von den "epischen" Bildern und Abenteuern, die ich im Sinne hatte, zerbrechen an der Realität des alpinen Winters.

Tag 2 zwingt mich wetter- und zeitbedingt zu einer meiner Standard-Runden, wenn ich in Osttirol mit dem Rad unterwegs bin, der Talboden-Runde. Dabei wird der Lienzer Talboden nach allen Seiten hin mehr oder weniger ausgefahren, mit ein paar kleinen "Schupfern" drinnen, etwas Bundesstraße und schönen Nebenwegen. Wieder ist es auf der Schattseite frisch und eisig, in der Sonne etwas wärmer und wunderschön, wie direkt von einer Postkarte abgemalt. Die Runde nütze ich gleich auch um festzustellen, welche meiner Wege und Radwege befahrbar sind oder nicht. Isel- und Pustertal fallen leider flach, einzig das Drautal kann am Radweg befahren werden. 54 Kilometer und knapp 480 Höhenmeter später werden die nassen Kleidungsstücke über den Ofen gehängt und mit der Familie gemeinsam auf Weihnachten angestoßen.

Nach zwei Tagen stehen 126 Kilometer in den Büchern, mein "Guthaben" beträgt einen Kilometer - nicht gerade ein großer Polster...

Tag 2: 125,5 KM; 25% der Festive 500 erreicht

26. Dezember 2019

Manchmal kommt es anders als man denkt... - zum Beispiel, dass nach 10 Kilometern das Vorderrad zu wabern beginnt, die Luft langsam weniger wird, das Fahrgefühl nicht mehr ganz so souverän ist. Mein BMC URS Testbike ist als Tubeless aufgesetzt, daher ist es erstmal kein Problem, weiterzufahren. Ich möchte nämlich nicht bei Minusgraden auf der Schattseite des Tals am Rad herumhantieren sondern lieber auf einer gemütlichen Bank in der Sonne. Doch auch daraus wird nichts, die Luft ist draussen. In Oberdrauburg wird der Reifen inspiziert, nachgepumpt, geflucht. Der Mantel kommt runter, Milch überall - irgendwie werde ich mit Tubeless nicht warm... Schaden am Reifen kann ich keinen finden, auch das Ventil scheint noch ganz und dicht, dennoch bleibt die Luft nicht drinnen. Ersatzschlauch habe ich natürlich einen mit, gewechselt ist auch schnell - die Finger werden in wenigen Momenten an der frischen Luft klamm. Das Aufpumpen der großvolumigen Schläuche dauert mit der Handpumpe eine gefühlte Ewigkeit und beim Abziehen der Pumpe passiert es - das Ventil geht mit und die Luft ist wieder draußen. Doch damit nicht genug, hat sich auch noch das Ventil in der Pumpe verkeilt. Mit Betteln und Bitten, Gewalt und Fluchen und meinen eiskalten Fingern bekomme ich es auch nicht mehr heraus. 19,3 statt der geplanten 120 Kilometer werfen natürlich auch meinen kompletten Festive 500-Plan über den Haufen. Aber wenn schon stranden, dann zumindest gleich neben dem Bahnhof. Also mit dem Zug zurück nach Lienz und Wunden lecken - der luftlose Walk of Shame vom Bahnhof zurück nach Hause ist genug für die geschundene Ehre.

Die Familie ist währenddessen hin- und hergerissen zwischen Empathie und Mitleid für den offensichtlich geistig umnachteten Radfahrer, unterstützender Motivation und Ärger über die stundenlangen Abwesenheiten. Dennoch stellt sich kurzfristig so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl ein, welches dann auch gleich in ein gemeinsames Brainstorming darüber mündet, wie denn die fehlenden Kilometer des heutigen Tages am besten wettgemacht werden können. Vorhergesagter Schnee, Regen und starker Wind gepaart mit der Aussicht auf einen weiteren "Patschen" führen zur Idee, in der Nähe des Zuhauses zu bleiben und hier irgendwie Kilometer abzuspulen. Unterschiedliche Runden und Varianten werden diskutiert, am Ende entscheide ich mich für eine Runde direkt vor dem Haus, auf der ich am nächsten Tag ein paar Kilometer wiedergutmachen kann.

Tag 3: 145,8 KM; 29% der Festive 500 erreicht

27. Dezember 2019

Vier Stunden sind heute eingeplant, der Blick aus dem Fenster ist nicht sehr verheißungsvoll - leichtes Tröpfeln und Wind, aber daran habe ich mich mittlerweile irgendwie gewöhnt. Und tatsächlich ist es so, dass mit der richtigen Kleidung viel vom Schrecken des schlechten Wetters verloren geht. (Und ja, ich hasse den Spruch "Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Ausrüstung"). In weiser Voraussicht habe ich meinen halben Kleiderkasten nach Osttirol mitgeschleppt, alles was nach Winter aussieht, nach Merino riecht oder mit Primaloft gefüllt ist.

An den Füßen Merino-Socken (Fingerscrossed oder Isadore), Heizpads auf die Zehen und die dicken Fizik-Winterschuhe. Zwei Hosen (RH77 und Isadore), die jeweils mit flauschigem Thermo-Material ausgeführt sind. Einzige Schwachstelle - wie leider bei fast allen Hosen, die ich bisher hatte - ist die goldene Mitte. Ich hoffe meine Zeugungsfähigkeit wird darunter nicht allzu sehr leiden.

Der Oberkörper bekommt drei Schichten gegönnt - Merino Baselayer (Isadore), Langarmtrikot (Isadore, RH77) und darüber noch eine Jacke (Isolation - RH77/Isadore oder aber die Primaloft Jacke von Löffler). Auf den Kopf kommt meine alte Rapha-Haube, die Hände bekommen auch zwei Lagen - einen Merino Liner-Handschuh von Rapha und darüber die großartigen weil langen und dichten Isadore-Handschuhe). Dieses Setup variiere und mische ich durch, je nachdem, was ich gerade für wichtig erachte - tatsächlich sind die Unterschiede allerdings gering. Am Körper selbst sind maximal die ersten Kilometer frisch, sobald man allerdings auf Betriebstemperatur ist oder stetig vor sich hin pedaliert, wird es meistens angenehm warm oder zumindest erträglich. Probleme treten dagegen an den äußeren Enden des Körpers auf: Zehen werden kalt, egal wie gut man sie verpackt, unabhängig der Zahl der Wärmepads oder der Qualität der Schuhe. Die Frage ist hier nicht "ob", sondern eher "wann". Den Moment des Erfrierens hinauszuzögern ist also die eigentliche Aufgabe. Gleiches gilt für die Hände, die - wie die Füße auch - ständig dem Fahrtwind ausgesetzt sind. Ich helfe mir mit häufigem Umgreifen am Lenker, damit nicht ständig die gleichen Stellen exponiert sind und fahre ab und zu für ein paar Meter freihändig und verstecke dabei die Hände unter den Achseln oder hinter dem Rücken.

Derart vorbereitet besteht mein 4. Tag der Festive 500 aus der am Vorabend ausbaldowerten Idee, vor der Haustüre Runden zu fahren. Der ausgesuchte Kurs ist 1,7 Kilometer lang, führt teilweise auf einem Radweg, zumeist aber - auf weihnachtsbedingt leergeräumten Straßen - durch ein nahes Gewerbegebiet. Pausen zur Verpflegung, zum Aufwärmen oder im Falle eines Defekts kann ich jederzeit zuhause einlegen - so eine Möglichkeit eines Boxenstopps beruhigt. Bei jeder Passage der imaginären Start- und Ziellinie drücke ich auf den Lap-Button meines Wahoos, dieser zeigt jeweils um die 4 Minuten Fahrzeit für die 1.740 Meter. Die Menschen, die mir auf meinem Rundkurs begegnen, auch sie schwanken zwischen Verwunderung und Mitleid - vor allem jene, die nicht innerhalb der vier Minuten Rundenzeit wieder verschwunden sind, denen ich also mehrmals begegne. Die Mitarbeiter des Autohauses an der Strecke kennen sich irgendwann gar nicht mehr aus, ignorieren aber wohl den Radler, der da seine Runden dreht. Auch die Angestellten der Bäckerei kümmern sich nicht um mich, umgekehrt weht mir aber in jeder Runde der Duft frischgebackenes Brotes um die Nase.

Bis zum Mittagessen möchte ich fahren, so viele Kilometer wie möglich für die Festive 500 hamstern. Unterwegs bleibt viel Zeit zum Nachdenken, ich erfinde das "1. Internationale Peggetz Winterkriterium" mit mir als einzigem Starter (mit dementsprechend aussichtsreichen Gewinnchancen!), rekapituliere die ersten Tage der Festive 500 und kann auch abseits des Radelns den einen oder anderen Gedanken wälzen. Das Format eines Kriteriums wird meiner Meinung nach ja wieder an Attraktivität gewinnen und hoffentlich auch eine Art Renaissance erleben. Große Attraktivität für Zuschauer gepaart mit einem erheblich geringeren Organisationsaufwand sind eine Kombination, mit denen große Rennen und Rundfahrten zunehmend ihre Probleme haben (vor allem mit zweiterem). Ein richtiges Rennen würde wohl über eine kürzere Distanz führen als mein Experiment hier, ich genieße aber die körperliche und mentale Herausforderung. Stetiges Abspulen von Runden hat mir noch nie große Probleme bereitet, so stehen am Ende dann auch 58 Runden auf dem Wahoo und mit 101 Kilometern kann ich mein Festive 500-Konto wieder etwas aufbessern.

Tag 4: 247,0 KM; 49% der Festive 500 erreicht

28. Dezember 2019

Für diesen Tag ist besseres Wetter vorhergesagt - im Sinne von weniger Wolken und mehr Sonne. Allerdings gesellen sich tiefe Temperaturen und starker Nordwestwind dazu. Die Routenplanung ergibt daher - wie schon am ersten Tag - einen "Transfer Ride", also eine Rückfahrt mit dem Zug. Noch einmal durchs Drautal zu fahren reizt mich nicht - es wäre dies das vierte Mal innerhalb von vier Tagen und den Abschnitt bis Oberdrauburg muss ich ohnehin wieder zurücklegen. Die erste Challenge des Tages soll der Gailbergsattel werden, an sich keine große Prüfung aber unter winterlichen Bedingungen und bei knappen Minusgraden doch nicht ganz so ohne. Am Gailbergsattel angekommen bläst dann tatsächlich der Wind - viel stärker als geplant und aus allen Richtungen, sodass ich kurz mein heutigen Vorhaben zu zweifeln beginne. Am Sattel selbst scheint mir die Sonne ins Gesicht und alle Zweifel sind verflogen. Ein kurzer Abstecher auf der Abfahrt vom Gailbergsattel führt mich - traditionell - zu den Wurzeln einer meiner Familienhälften nach Laas und bringt eine kurze Verschnaufpause, bevor es in die restliche Abfahrt nach Kötschach hinuntergeht. Ich rolle den Berg nur hinunter, reduziere sogar bewusst die Geschwindigkeit, weil der eisige Fahrtwind meine Finger und Zehen ans Limit bringt. Es fühlt sich an, als würden Nadeln in die Finger und Zehen stechen und das eigentlich Grausliche daran ist, dass man während der Fahrt weder durch Positionswechsel noch durch andere Maßnahmen Linderung bewirken kann.

Ich erreiche das Gailtal unter einer dicken Decke von Nebel, die zwar da und dort die Sonne durchblitzen lässt, gleichzeitig sind aber auch die Temperaturen noch weit in den Minusgraden und der Radweg, der mich gen Osten führen soll ist unter einer fragwürdigen Schnee- und Eisschicht verborgen. Die ersten 10-15 Kilometer friere ich mich über den Radweg, unter Reif und Schnee verborgene kleine Eisplatten lassen meinen Puls immer wieder kurz hochschießen. Erst kurz vor Tröpolach ist der Nebel endgültig verschwunden und die einzige Trübung der Sonne erfolgt durch die Schneekanonen des Skigebiets am Nassfeld, dass sich über meiner rechten Schulter erhebt.

Um nicht permanent auf der Schattseite fahren zu müssen und meiner Seele auch etwas Sonnenschein zu gönnen, fahre ich nicht auf dem offiziellen Radweg sondern auf einem Begleitweg der Gail. Mit meinem Gravelbike bin ich für derartigen Untergrund grundsätzlich perfekt ausgerüstet, jedoch bringt die Sonne mit sich, dass die schmelzende Schneedecke den darunterliegenden lehmigen Erdboden in eine zähe Masse verwandelt, die einiges an Kraft erfordert. Mein Durchackern dieser Wege richtet auch mein Rad entsprechend zu, URS erträgt allerdings mit stoischer Gelassenheit meine Schmutzattacken auf Tretlager, Antrieb und Rahmen und verrichtet einwandfrei seinen Dienst.

Bei Hermagor wechsle ich auf den Drauradweg 3a, eine weitere Ader des in Kärnten sehr gut ausgebauten Radwegenetzes. Auf den unberührten und mit Schnee bedeckten Wegen, die vor mir liegen, entdecke ich plötzlich Reifenspuren und wähne mich nicht mehr als einzigen Verrückten, der hier mit dem Rad unterwegs ist. Ich finde den gesuchten Radfahrer nicht, für meinen Kopf ist es allerdings eine willkommene Abwechslung - schließlich bin ich schon recht lange alleine auf meinen Wegen unterwegs.

Vor mir erhebt sich der Dobratsch, der Villacher Hausberg und damit kann ich ungefähr erahnen, wie weit mich der heutige Tag noch führt. Am Fuße des Dobratsch führt der Radweg durch wunderbare Nadelwälder, über asphaltierte und geschotterte Wege, wellig und flott geht es dahin - ich bin kurz in so etwas wie einem Flow, bin ganz bei mir selbst. Bei Arnoldstein beginnt es zu rauschen, das Geräusch kommt näher und nach dem Überqueren einer Brücke, fährt man für kurze Zeit neben der Autobahn, die sich an dieser Stelle aus Italien Richtung Villach und Klagenfurt schlängelt. Dieser Streckenabschnitt ist mir noch von der Tour de Franz im Sommer in Erinnerung, da hatte es allerdings rund 30 Grad mehr. Die Fußgeherfrequenz steigt, mit ihr auch Hunde, Pferde und andere Gesellschaft - man nähert sich der Stadt. Noch immer entlang der Gail führt der Radweg bis an den Stadtrand von Villach, das heutige Etappenziel ist erreicht. Richtung Bahnhof benütze ich einen der vielen Radwege in der Stadt, zuerst steuere ich noch fälschlicherweise den Westbahnhof an, danach den "richtigen" Hauptbahnhof. Ich überfalle eine Tankstelle am Weg und nehme alles mit, was aus Plunder, Nougat, Cola und Marmelade besteht und warte auf meinen Zug zurück nach Lienz.

Tag 5: 370,1 KM; 74% der Festive 500 erreicht

29. Dezember 2019

Es ist Sonntag und damit Tag des Herrn. Die einen gehen in die Kirche, die anderen - scheinbar nicht minder religiös - beten den österreichischen Ski-Gott an, der in Form des Damen-Skiweltcups in Lienz Halt macht. Auch ich fröhne einer Art Spiritualität beim Radfahren, obwohl der Blick aufs Thermometer eher an Kasteiung und Selbstgeißelung denken lässt. Bei -8 Grad bin ich noch nicht oft in meinem Leben nach draußen gegangen, um Rad zu fahren. Festive 500 kümmert sich allerdings nicht um derartige Befindlichkeiten und somit verlasse ich unter leichtem Kopfschütteln der Familie das Haus, um - nun bereits zum fünften Mal - im Talboden Richtung Oberdrauburg zu fahren. Dank Skirennen läuft der Verkehr nur in eine Richtung, die Bundesstraße lässt mich vergleichsweise rasch ein paar Kilometer sammeln. Auf der Rückfahrt wirft mir die Schattseite über eine knappe Stunde die vollen -7 oder -8 Grad entgegen, ich überlege kurz aufzuhören oder irgendwo einzukehren, doch Pausen machen das ganze Unterfangen nicht wirklich einfacher. Und halbwegs aufgewärmt wieder aufs Rad zu steigen ist in vielen Fällen die größere Qual als das Weitermachen.

Ich lege einen kurzen Stopp beim Zielhang des Skirennens ein, auch als Nicht-Fan haben derartige Ereignisse natürlich ihren Reiz. Der weitere Weg führt heute hinein ins Iseltal und wieder zurück. Meine Hoffnung auf einen schneegeräumten Isel-Radweg erfüllt sich leider nicht, auf der Bundesstraße ist es eher spaßbefreit aber immerhin scheint die Sonne, -4 Grad sind da schon eine bedeutende Verbesserung.

80 Kilometer stehen am Ende auf dem Wahoo, genau was ich wollte. Damit bleiben für die letzten beiden Tage noch 50 Kilometer, die für die Erreichung der Aufgabe fehlen. Und nebenbei wurde auch noch die eigene Vorgabe erfüllt, zumindest an einem der acht Tage nicht fahren zu müssen und stattdessen etwas mit der Familie unternehmen zu können.

Wie auch schon an den letzten Tagen hat sich bei niedrigen Temperaturen ein massives Problem ergeben, jenes der Verpflegung nämlich. Gels sind an sich keine Herausforderung, ihre Konsistenz ist auch bei niedrigen Temperaturen nahezu unverändert und damit auch deren Verzehr. Bei Riegeln wird die Sache mitunter schon etwas komplizierter. Wer schon einmal versucht hat, einen halbgefrorenen Clifbar oder Powerbar runterzubekommen, weiß wovon ich spreche. Mein Tipp ist so einfach wie banal, nämlich den Riegel möglichst nah am Körper zu tragen und damit warm zu halten. Die Trikottaschen unter der Jacke reichen dafür in der Regel aus, alles was außen liegt ist zu exponiert. Richtig schwer wird es allerdings mit den Trinkflaschen, diese sind permanent den niedrigen Temperaturen ausgesetzt. Ein Rucksack mit einer Trinkblase, die nahe am Körper anliegt, wäre ein gangbarer Weg aber mit Rucksack fühle ich mich am Rennrad nicht wohl. Thermo(s)flaschen sind auch eine Variante, allerdings halten derartige Flaschen die Flüssigkeit auch nur minimal länger warm (außer es sind dezidierte Thermosflaschen). Und dann gibt es da noch den Mpemba-Effekt, demzufolge es - frei interpretiert - auch keinen Sinn macht, besonders warme Getränke in normale Flaschen einzufüllen, da diese noch schneller abkühlen als kühle. Ich habe so gut wie nichts getrunken bei meinen Ausfahrten, weil meine Flaschen stets innerhalb von kurzer Zeit so kalt waren, dass nur noch kleine Schlücke möglich waren, ohne dass einem auch noch innerlich ganz kalt wird. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie man das am besten handhabt.

Tag 6: 450,3 KM; 90% der Festive 500 erreicht

30. Dezember 2019

Finale! Eigentlich bin ich ja mit allerhand Routen, Ideen und Bildern von epischen Abenteuern nach Osttirol gekommen. Man ist von Instagram und dergleichen ja mittlerweile auch schon insofern verklärt, als jedes Unterfangen "außergewöhnlich", "besonders" oder eben "epic" sein muss. Eine normale Ausfahrt in schöner Umgebung ist da vermeintlich ja schon fast nichts mehr, über das man berichten könnte. Die Realitäten des Osttiroler Winters haben mich aber in Demut gelehrt, genauso wie die Erkenntnis, dass 500 Kilometer innerhalb einer Woche keine einfache Aufgabe darstellen.

Und so mache ich mich erneut auf den Weg durch den Lienzer Talboden, die Strecken zu wiederholen und immer wieder abzufahren empfinde ich dementsprechend auch nicht als Schande sondern schlicht und ergreifend als Maximum dessen, was unter diesen Rahmenbedingungen möglich ist. Und mit dieser Einstellung fällt es auch wieder leicht, das Schöne zu sehen: die Berge, die Sonne, die Landschaft, die Kirchen an den Berghängen, die Höfe auf den Hügeln - all das, wofür es keine epischen Abenteuer braucht sondern nur den Schritt vor die Tür.

Gut 54 Kilometer später kann ich die hartnäckigen Minusgrade endgültig vergessen, den Heimathafen ansteuern aber nicht ohne vorher noch bei der Tankstelle eine Flache Sekt in meine Trikottasche zu stecken. Die Erledigung der Festive 500 soll einen würdigen Abschluss erfahren.

Ein letztes Mal den Wahoo synchronisieren, die Fotos des Tages bearbeiten und das Ganze auf Komoot und auf Strava hochladen - das ist mittlerweile zum Ritual geworden. Auf der Seite der Festive 500-Herausforderung wandert der Balken nach rechts, erreicht die 100% und überschreitet diese Grenze geringfügig. Ein Fenster poppt auf, Gratulation zur absolvierten Challenge, Halleluja.

Tag 7: 504,9 KM; 101% der Festive 500 erreicht

31. Dezember 2019

8:30, zum ersten Mal seit acht Tagen muss ich nicht darüber nachdenken, wohin ich heute fahre, was ich anziehe oder wie weit ich fahren sollte. Zum ersten Mal kann ich das machen, was der Rest der Familie und vermutlich so gut wie jeder andere Mensch in Osttirol zu dieser Jahreszeit macht, wenn er Sport machen will - in meinem Fall ein paar Runden auf den Langlauf-Skiern.

Zurück von der Skating-Runde folgt auf Strava eine kurze Krise. Plötzlich scheinen in meiner Challenge nur noch 495 Kilometer statt der tatsächlich gefahrenen 505 auf, Erreichungsgrad 98%. Schnell mache ich Screenshots von allen Mails und Nachrichten, die ich bereits bekommen hatte, in denen samt und sonders steht, dass ich die Herausforderung absolviert habe. Mal schauen, was meine Anfrage an Strava bringt... Auch bei eventuellen Ungenauigkeiten oder Neuberechnungen sollte ich mit 505 Kilometern auf der sicheren Seite sein. Was ich allerdings in den letzten Tagen erlebt habe, kann mir ohnehin keiner mehr nehmen. Ebenso wie es an sich völlig egal wäre, ob ich dafür nun ein virtuelles Abzeichen oder einen kleinen Stoff-Aufnäher bekomme. Die Tatsache, dass ich für 500 Kilometer am Rad gesessen bin, bringt ohnehin mehr mit als nur das formale Absolvieren der Challenge. Ich konnte ohne jegliches schlechtes Gewissen Kekse in mich hineinstopfen, war gemütlich im Ausdauermodus unterwegs und hab dementsprechend (hoffentlich) schon eine kleine Trainingsbasis fürs Frühjahr gelegt und hab einen großen Kampf gegen den inneren Schweinehund gewonnen.

Tipps

Abschließend möchte ich die Erkenntnisse meiner Festive 500-Woche in einige Tipps fließen lassen, für folgende Jahre und andere Radlerinnen und Radler, die eventuell etwas Inspiration brauchen.

Möglichst früh, möglichst viel

Gerade die ersten beiden Tage sind oft für Feierlichkeiten reserviert. Wer allerdings schon zu Beginn aussetzt oder Kilometer auf später verschiebt, tut sich nichts Gutes. Es steigt damit der Druck und die anfangs noch vorhandene Freude an der Herausforderung wird vermutlich zunehmend schwinden.

Routenwahl

Die Routenwahl ist aus zweierlei Gründen relevant. Einerseits hat die Tourenplanung großen Einfluss darauf, wie schnell man die 500 Kilometer erreicht - flach gewinnt vor bergig. Zweiter Aspekt ist das Klima - je nachdem, in welcher Region man unterwegs ist, kann man sich mit einer geschickten Routenwahl das Leben einfacher oder lebenswerter gestalten. Lange Abfahrten bei niedrigen Temperaturen tun dem Körper nichts Gutes.

Rad

Natürlich auch in Abhängigkeit der Region, des Terrains und der Pläne ist die Wahl des geeigneten Rads essentiell. Ich war sehr glücklich mit der Wahl des Gravelbikes von BMC, es war der exakt richtige Erfüllungsgehilfe für meine Challenge. Sich nicht um (speziell im Winter) schlechten Asphalt kümmern zu müssen, Schotter und Splitt auf der Straße ignorieren zu können und auch auf Schnee und Eis etwas mehr Sicherheit zu genießen, ist das eine. Bei der Routenwahl auch Schotter, Erde und Waldwege miteinbeziehen zu können, das andere - eine enorme Bereicherung der Routenvielfalt und des damit verbundenen Fahrspaßes.

Rücklicht

Es mag banal erscheinen aber ich habe für die Festive 500 ein neues Rücklicht angeschafft. Dieses hat Leuchtstufen, die ehrlicherweise mit keinem Gesetz der Welt mehr vereinbar sein dürften, allerdings hat es mir die Sicherheit gegeben, mit der ich auch auf viel befahrenen Bundesstraßen und bei schlechten Lichtverhältnissen beruhigt unterwegs war.

Rahmentasche

Auch neu für mich war die Rahmentasche, wobei ich mich ja grundsätzlich eher gegen allzu viel Ballast und Gepäck auf dem Rad ausspreche. Hintergedanke war, immer einen trockenen Ersatz-Baselayer mitzuführen, eine weitere Jacke und eine Außenschicht, Ersatzschlauch und Werkzeug nicht im Trikot verstauen zu müssen und auf langen Touren auch etwas mehr Verpflegung mitzuführen. Die wasserdichte Ortlieb-Tasche konnte alle diese Erwartungen erfüllen, war ein praktischer Begleiter und hat sich auf diesem Wege wohl auch für künftige Herausforderungen wie das Race Around Austria Unsupported qualifiziert.

Gesellschaft

Was ich nicht hatte, kann wohl ein großer Vorteil bei der Bewältigung von 500 Kilometern in acht Tagen sein - Gesellschaft, jemand, der mitleidet, jemand der motiviert und mitfühlt.

Familie

Die Familie kann natürlich auch motivieren und unterstützen, wird jedoch nie die "Innensicht" haben, das verstehen, was man am Rad durchlebt und die Motive, warum man das ganze auf sich nimmt. Umgekehrt ist es essentiell, der Familie auch etwas zurückzugeben - die Entbehrungen und die Abwesenheit sind immerhin beträchtlich!

Keinen Druck machen

Entspannt zu bleiben ist wohl auch ein Schlüssel zum Erfolg. Egal, ob man mit den Kilometern hinten ist, ob man ein technisches Problem hat oder aber - wie oben erwähnt - Sorge hat, weil man “nur” vermeintlich ereignislos und unberichtenswert auf allseits bekannten Wegen hin- und herrollt. Spaß haben, genießen und das Ganze zu spüren, sollte im Vordergrund stehen. Und rechtfertigen muss man sich sowieso immer nur vor sich selbst!

Genießen und Feiern

Ganz in diesem Sinne gilt es natürlich auch, den Erfolg entsprechend zu zelebrieren. 500 Kilometer sind in meinem Fall rund 10 Prozent meiner aktuellen Jahreskilometerleistung. Angesichts meines Fitnesszustands bin ich daher auch aus sportlicher Sicht mit meinen Festive 500 sehr zufrieden. Schwerer wiegen allerdings trotzdem die Erlebnisse und die Dinge, die mir durch den Kopf gegangen sind, während ich rund 21 Stunden auf dem Rad gesessen bin. Damit kann ich mit aufgeräumten Gedanken und einem durchgelüfteten Hin in ein neues Jahr starten!

Race Around Austria - Challenge "Unsupported"

(Autor: Race Around Austria)

Oftmalig wurde der Wunsch vieler Athleten an uns herangetragen, das Race Around Austria auch “unsupported”, also ohne Betreuer und Begleitfahrzeug zu absolvieren. Schon alleine aufgrund von Sicherheitsbedenken haben wir bisher immer davon Abstand genommen, ein Rennen mit einer Länge zwischen 560 und 2.200 Kilometer ohne Betreuer auszutragen. Richtig ernsthaft befasst haben wir uns mit diesem Thema dann zu Jahresbeginn 2019, zumal die Rennen in Europa vermehrt auch eine derartige Kategorie anbieten. In Italien ist dies schon länger der Fall, auch die Tortour in der Schweiz ermöglicht eine unbegleitete Teilnahme an der Challenge seit geraumer Zeit.

Für uns als Veranstalter war klar, dass wir eine solche Kategorie nur dann andenken, wenn wir Sicherheitsbedenken auf ein absolutes Minimum reduzieren können. Dazu zählt einerseits die Ausrüstung, andererseits aber auch ein sinnvoller Modus und eine 100%ige Sicherheit hinsichtlich technischer Voraussetzungen. Wir führten einerseits zu diesem Thema Gespräche mit unserem GPS-Partner Perfect Tracking und überlegten uns gemeinsam mit dem Amt der OÖ Landesregierung, ob eine Durchführung rechtlich möglich und genehmigungsfähig ist, denn das RAA ist ein Rennen und daher auch mit zahlreichen Auflagen genehmigungspflichtig. Gleichzeitig klärten wir mit der Landespolizeidirektion ab, welche Ausrüstung am Rad erforderlich sein muss und holten hier eine Stellungnahme ein. Vor allem die Nachtfahrt in entlegenem Gebiet ohne notwendige Infrastruktur und Versorgungsmöglichkeit zwischen 19:00 Uhr und 07:00 Uhr stellt nicht nur Organisation, sondern auch Teilnehmer vor eine Herausforderung. Natürlich benötigt es dazu auch ein Sicherheitskonzept: Was tun, wenn es einen Tag lang stark regnet und die Temperaturen stark fallen? Auch hier ist man als Veranstalter gefordert, egal ob ein Teilnehmer mit oder ohne Begleitfahrzeug unterwegs ist.

Zur „Pro“-Entscheidung haben uns mehrere Aspekte bewogen:

• GPS-Tracker für 30h am Rad: Von unserem GPS-Dienstleister gibt es ausfallsichere, autarke und gleichzeitig leichte GPS-Geräte, die am Rad fixiert werden können und mit akzeptablem Gewicht (ähnlich eines Mobiltelefons) idente Sendeleistungen und Sendeintervalle wie unsere herkömmlichen Tracker besitzen. Im Falle eines wirklichen Ausfalls können wir auf Standortapps zurückgreifen. Das Mitführen eines Smartphones mit Powerbanks ist unbedingt erforderlich.

• Ein praktikabler Startmodus: Die Challenge Unsupported wird vor der eigentlichen RAA Challenge, und zwar um 15:00 Uhr gestartet. Sollte es also zu Notfällen auf der Strecke kommen, kann man damit rechnen, dass auch in entlegenen Gebieten jemand vor Ort ist und ein gewisser „Betrieb“ herrscht.

• Nicht zuletzt sind mittlerweile die Licht- und Navigationsgeräte technisch weit ausgereift.

• Ein Depot bei Halbzeit des Rennens: Schon bei der Planung wurde uns klar, dass das Credo „Eine Tankstelle hat in Österreich zwischen 06:00 Uhr und 22:00 Uhr offen“ nicht unbedingt Gültigkeit hat. Viele Tankstellen wurden auf Automatentankstellen umgestellt, die meisten schließen an unserer Strecke bereits um 19:00 Uhr. Spätestens nach unserer Testfahrt sind wir uns sicher, dass die Möglichkeit, bei Start und Ziel eine Kiste befüllen zu können, die dann bei der Firma Hrinkow Bikes in Steyr hinterlegt werden kann, eine wichtige – auch sicherheitstechnische – Komponente mitten in der Nacht ist, vor allem dann, wenn das Wetter nicht mitspielt. Das Depot ist auch für die Rennleitung wichtig: Während beim Rennen mit Begleitfahrzeug die Crew jederzeit entscheiden kann, ob der Teilnehmer die Fahrt fortsetzen kann, ist dies beim Unsupported-Rennen nicht der Fall. Alleine deshalb ist zumindest ein Checkpoint gerade zu dieser Uhrzeit notwendig.

Nicht zuletzt wollten wir die Challenge Unsupported auch testen, deshalb haben wir vergangenes Wochenende (12/13. Oktober) unseren Moderator Oliver auf die Strecke geschickt. Begleitet wurde er von einem Media Car, das aber nicht in die Fahrt eingriff und keine Betreuungsaufgaben übernahm.

Trotz Oktober hatten wir für die Testfahrt unnatürlich schönes und trockenes Wetter. Klar ist, dass ein Unsupported-Rennen gerade bei Regen extrem werden kann. Die Temperaturen waren auch in der zweiten Nachthälfte noch erträglich und nur knapp unter dem zweistelligen Bereich. Kein Regen, kein Nebel, im Gegenteil: Am Morgen wehte kräftiger Südföhn, der vor allem vom Hengstpass bis Kirchdorf unser Versuchskaninchen ordentlich beschleunigte. Das waren zugegebenen Normbedingungen, mit denen man beim Rennen selbst nicht unbedingt rechnen kann.

Trotzdem konnten wir für unsere ersten Unsupported-Teilnehmer einiges mitnehmen:

Bekleidung

Das Depot in Steyr eignet sich für das Hinterlegen von Bekleidung (mit Ausnahme bei Regenwetter) kaum, höchstens als Backup. Generell muss die Bekleidung für das Rennen wohl sehr kurzfristig gewählt werden, nachdem man aber im August wohl damit rechnen kann, dass man sich um 20:30 Uhr für die Nacht, und um 08:00 für den Tag an- und umziehen muss, ist alles an Bekleidung am Rad mitzuführen. Zuviel Risiko würden wir nicht eingehen, aber ob Regen oder nicht, darauf kann man sich mit einer guten Vorschau sicher einstellen.

Verpflegung

Wie oben schon erwähnt ist die Servicedichte auf der Strecke sehr eingeschränkt, auch am Tag. Hier heißt es vorausplanen und ein gutes Konzept zurechtlegen. Gesehen haben wir, dass jeder Supermarktbesuch wirklich viel Zeit kostet. Hier kommt wieder unser Depot ins Spiel, das so ausgelegt wurde, dass man sich mitten in der Nacht, genau bei Halbzeit die Taschen wieder gut füllen kann und mit der entsprechenden Ernährung möglicherweise sogar bis zu 200km weit kommt. Schwierig könnte allerdings auch die Suche nach Trinkwasser werden. Die Brunnendichte ist keine hohe, die meisten Ortsbrunnen sind mit „Kein Trinkwasser“ versehen. Ein Tipp sind mitunter Friedhöfe, hier gibt es oft eine Füllmöglichkeit. Auch hier heißt es: Gut planen, denn oftmalig kommt man gar nicht in Ortszentren, sondern fährt auf Umfahrungen, abseits von Geschäften.

Taschen

Sehr bewährt hat sich die große Satteltasche und die Tasche am Oberrohr.

Beleuchtung und Strom

Vorgeschrieben sind zwei Garnituren Licht. Je heller desto besser, vor allem beim Rücklicht. Mit der Strecke am Computer gab es kaum Navigationsprobleme, wenn man sich die Strecke zudem gut einprägt, erwischt man auch intuitiv schnell die richtige Abzweigung. Ohne ordentliche Powerbank geht sich die Navigation am Computer allerdings nicht aus. Auf das Routebook als Backup wurde kaum zurückgegriffen, viel mehr wurde es dafür genutzt, sich hinsichtlich Kilometer zu orientieren. Eventuell schadet hier eine eigene Marschtabelle am Oberrohr nicht.

Sichtbarkeit

Auch hier gibt es die klassischen RAA-Regeln und zusätzlich notwendige Ausrüstung (permanente Warnweste, auch am Tag). Mit unserem Media-Car haben wir aber gesehen, dass man gerade auf den Beinen, an den Rohren und am Helm (!) nie genug gute Reflektoren haben kann. Kein Autofahrer rechnet um 03:00 Uhr mit einem Radfahrer, zusätzliche Leuchtaufkleber schaden daher nie. Bei Warnwesten ist darauf zu achten, dass diese mit zahlreichen Reflektoren versehen ist. Ein gelber Anstrich alleine ist in der Nacht nicht sichtbar, hier zählt alleine die Reflektorfläche. Nachträglich würden wir sicher auf einen Warngurt zurückgreifen, der z.B. auf Amazon gut erhältlich ist, weniger Wind-Angriffsfläche hat und besser reflektiert als der bekannte Warnlatz, den man auf den Bildern sieht. Zudem ist er stufenlos einstellbar und je nach Bekleidung (Hitze mit 30°C oder mit einer Jacke) gut zu tragen.

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Dass das neue Format eine durchaus interessante Kategorie werden wird, davon sind wir nach unserer Testfahrt jedenfalls überzeugt. Nicht als Konkurrenz zur klassischen Challenge, vielmehr als Ergänzung und Möglichkeit, mit weniger technischem Aufwand beim Race Around Austria dabei zu sein. Mit einem klaren Fokus auf den Finishergedanken. Wir freuen uns auf 2020!

Daten und Fakten

CHALLENGE UNSUPPORTED
Modus: Einzelstart ohne Windschatten, ohne aktive Hilfe von außen, 1 Depot bei KM 330
Start: Mittwoch, 12. August 2020 (voraussichtlich 15:00-16:00 Uhr) im Minutentakt
Ort: St. Georgen im Attergau
Länge: 563km
Karenzzeit: 29 Stunden (1 Stunde mehr als bei der klassischen Challenge)
Erforderlicher Schnitt: 19,41 km/h
Kontingent: Max. 50 Solostarter
Anmeldestart: 15. Februar 2020, 09:00 Uhr

Infos: www.racearoundaustria.at

Ernährung (Teil II)

Während ich diese Zeilen schreibe, esse ich mein gestern Abend angesetztes Birchermüsli. Das Mittagessen für heute habe ich schon in eine Tupperware-Dose gepackt, auch die Jause ist schon verstaut. Endlich ein adäquater Einsatzbereich für meine Musettes – die praktischen kleinen Umhängetaschen, die auch im Profi-Peloton an den Versorgungsstationen an die Fahrer gereicht werden.

Mehr als vier Monate ist es nun schon her, dass ich bei Caroline Schlinter-Maltan “Büro für Ernährung” meine Ernährungsberatung begonnen habe. Wie sich das angelassen hat, ist hier im ersten Teil zu lesen. Es ging mir von Anfang an um zwei Aspekte, die natürlich miteinander zusammenhängen aber von der Motivation her grundsätzlich schon unterschiedlich sind. Punkt 1 ist das allgemeine Wohlbefinden, die alltägliche Ernährung, die Frage nach dem „Richtig“ oder „Falsch“, dem „Gut“ und Böse“. Ich wollte Varianten und Alternativen zu meinen eingefahrenen Gewohnheiten, neue Impulse und Hinweise. Punkt 2 betrifft die sportliche Leistungsfähigkeit, speziell im Hinblick auf den Ausdauersport und – ganz persönlich – in der Vorbereitung auf meine Race Around Austria Challenge.

Wohlbefinden

Fangen wir mit dem allgemeinen Wohlbefinden an – was habe ich in den vergangenen vier Monaten gelernt? Eines gleich vorweg: Ich habe meine Ernährung nicht unbedingt grundlegend umgestellt. Ich gehe nach wie vor (aber seltener) zum Burgerbrater mit dem goldenen M, ich esse nach wie vor einen Schokoriegel, wenn ich darauf Lust habe und ich „brauche“ nach wie vor ab und zu meine Portion Chips (meistens um ein grottiges Fernsehprogramm am Hauptabend zu kompensieren). In meinem Hinterkopf war und ist noch immer irgendwie verankert, dass ich mich nicht einschränken, nicht auf Dinge verzichten möchte, die ich mag. Ob ich diese Dinge tatsächlich brauche oder ob es da nicht bessere Alternativen gibt, beginne ich übrigens nach und nach zu hinterfragen. An dieser Stelle bin ich besonders gespannt, was nach dem halben Jahr Ernährungsberatung am Schluss herauskommen wird. Der Mensch ist – gerade auch bei der Ernährung – ein Gewohnheitstier. Und so schnell man sich gewisse Dinge abgewöhnen kann (auch wenn das manchmal „weh tut“), so schnell freundet man sich auch mit neuen an.

Ein zweiter Aspekt, der für mich absolut zentral ist und der sich über die letzten Monate herauskristallisiert hat, heißt, sich bewusst zu machen, was man isst! Bei mir haben dazu in sehr großem Maße die Ernährungsprotokolle beigetragen, die ich während der ersten Monate meiner Ernährungsberatung geführt habe. Aufzuschreiben, was man isst, wieviel und wann, ist nicht nur für die Ernährungsberaterin relevant, sondern öffnet einem auch selbst die Augen. Sich zu belügen hat an dieser Stelle natürlich keinen Sinn, das würde jeglichen Verbesserungsprozess zunichtemachen. Sobald man aber – vielleicht auch noch in einem deutlichen Muster – sieht, wo etwaige Defizite in der Ernährung liegen, ist man schon einen großen Schritt weiter. Egal ob das regelmäßig schwere Mahlzeiten am späten Abend sind, Süßigkeiten oder irgendetwas anderes, was einem im Ernährungsprotokoll auffällt. Diese Dinge zu erkennen, muss noch nicht zwangsläufig heißen, diese sofort abzudrehen oder beheben zu müssen – in meinen Augen geht es vorrangig einmal darum, zu wissen, was man macht. Beim Aufzeigen entsprechender Alternativen ist dann ja glücklicherweise die Ernährungsberaterin zur Stelle.

Und wenn wir schon beim Bewusstmachen sind… Natürlich geht es in einem weiteren Schritt auch darum, welche Qualität an Lebensmitteln man zu sich nimmt. Auch dabei kann das Ernährungsprotokoll sehr hilfreich sein. Wie hoch ist der Anteil an verarbeiteten Lebensmittel, die man zu sich nimmt? Welche Zutaten stammen aus biologischem Anbau? Woher kommt mein Essen eigentlich? Ohne hier in irgendwelche dogmatischen Positionen und Anschauungen zu verfallen – es sollte ohnehin jede*r für sich entscheiden, was am besten passt -, ein paar Dinge sind schon aus purer Logik zu hinterfragen: Wie kann ein Hühnerschnitzel im Supermarkt 99 Cent kosten und unter welchen Bedingungen können Lebensmittel derartig billig produziert werden – und dann kostet auch das Katzen- oder Hundefutter mit Hühnerfleisch noch das Doppelte… Naja.

Maßnahmen

Was habe ich also konkret gemacht? Ehrlicherweise (noch) nicht allzu viel konkretes. Viele Dinge sind mir bewusst geworden (siehe oben), die tatsächlichen Änderungen in meinen Gewohnheiten waren aber bis dato vermeintlich gering.

Ich habe genau genommen sogar mehr gegessen – nämlich mehr zum Frühstück und vor allem zu Mittag. Was erst einmal paradox klingt, hat bei mir allerdings die Auswirkung gehabt, dass ich insgesamt satter war und dadurch häufig auf meine Vormittags- und/oder Nachmittagsjause verzichten konnte. Dass diese eingeschobenen Zwischen-Snacks oft Plunder oder Süßes waren, muss ich an dieser Stelle nicht extra erwähnen... Der Gusto war noch immer da aber die Notwendigkeit nicht mehr so oft. Und wenn man dann diesen klitzekleinen Moment des Schwachwerdens übertauchen kann, hat man schon gewonnen – immerhin ist es nur ein Gusto, kein Hunger! Beim Frühstück habe ich ein gewisses Maß an Variation eingeführt – das traditionelle Marmeladenbrot wird nun ab und zu durch Porridge oder Haferflocken-Mischungen mit Joghurt und Früchten ersetzt. Ehrlicherweise sättigen mich diese Dinge immer sehr unterschiedlich - speziell wenn ich am Vorabend Sport gemacht habe, stellen sich nach einem solchen Frühstück oft schon früher wieder Hungergefühle ein. Und das wars dann eigentlich auch schon für den Moment. Manche Dinge muss man sich erst langsam erarbeiten, Gewohnheiten nach und nach abbauen, sich auf Neues einlassen. Aber was das betrifft, ist meine Reise ja noch nicht zu Ende.

Die Waage

Mein keksinduziertes Wintergewicht von knapp über 90 Kilogramm ist eines, das mir bei der Bewältigung von Anstiegen mit dem Rad nicht unbedingt entgegenkommt. (Dass sich dieses Gewicht auf 1,94 Meter verteilt, lässt das Ganze vielleicht weniger plump wirken, ändert aber nichts an der grundlegenden Geschichte). Trotzdem war Gewichtsabnahme für mich kein vorrangiges Thema. Einerseits weil ich durchs Radfahren im Frühling immer recht schnell wieder bei meinem „Sommergewicht“ von rund 86 Kilogramm lande, andererseits bringt eine bewusstere Ernährung fast zwangsläufig eine kleine Gewichtsreduktion mit sich. Um das Ganze schwarz auf weiß zu haben, wurde ich im Februar bei meinem ersten Termin bei Caroline gewogen – inkl. Körperfett, viszeralem Fett, Verteilung des Fetts, Knochen- und Muskelmasse, Körperwasser und vielem mehr. Bei meiner letzten Sitzung stand wiederum die Waage da, auch um einen möglichen (und hoffentlich vorhandenen) Fortschritt zu messen und die Maßnahmen daran entsprechend auszurichten. Und siehe da: alle Werte haben sich in geringem Maß verbessert - manche schneller als gedacht, bei anderen wird noch etwas Arbeit notwendig sein. Aber ein Stoffwechselalter von 25 Jahren klingt schon mal nicht so schlecht. ;)

Leistung

Neben dem Wohlbefinden und dem guten Gewissen zählen aber auch sportliche Leistungen. Nachdem die Eckpfeiler der Ernährungsberatung durch Caroline perfekt abgesteckt waren (Ernährungsprotokolle, langsames Heranführen an Alternativen im Alltag), war der Radsport das nächste große Thema. Es gibt im Internet unzählige Artikel, Meinungen und Weltanschauungen, was ernährungstechnisch richtig, falsch, gut und böse ist. Wie immer ist es schwierig, sich in diesem Wulst an Meinungen zurechtzufinden, professionelle Hilfe daher unerlässlich. Ich zähle und verlasse mich dabei voll und ganz auf Caroline, sie hat viel Erfahrung mit AusdauersportlerInnen und außerdem: Probieren geht über Studieren.

Das große Ziel für 2019 ist das Race Around Austria. Ein 24-Stunden-Rennen stellt an den menschlichen Körper außergewöhnliche Anforderungen. Davon konnte ich mich auch noch einmal selbst überzeugen, als ich Anfang Mai Philipp Reiterits als Betreuer beim Race Around Niederösterreich begleiten durfte. Alleine schon zu sehen, wie und was er während des Rennens aß und trank, war aufschlussreich – egal ob es jetzt zu wenig oder zu viel war, ob Flüssignahrung besser oder schlechter als Riegel oder Gels ist. Mir ist jedenfalls klar, dass für ein derartiges Unterfangen die Ernährung von elementarer Bedeutung ist. Der Körper braucht Treibstoff, diesen zur Verfügung zu stellen und dann idealerweise auch noch in der richtigen und bekömmlichen Form, ist Ziel meines Unterfanges „sportliche“ Ernährungsberatung. Im Idealfall fühlt man sich während der Anstrengung nicht müde und leer sondern – im wahrsten Sinne der Wortes - immer „gut gefüllt“ und versorgt.

Super Giro Dolomiti

Doch bis zum RAA dauert es noch (wenn ich gerade darüber nachdenke eigentlich nur noch erschreckend kurze) zwei Monate. Jedenfalls Zeit genug, im Vorfeld noch ein paar Dinge auszuprobieren. Es macht ja auch wenig Sinn, bei einem 24h-Rennen erstmals etwas Neues zu versuchen – da sollte im Vorfeld schon klar sein, was funktioniert und was nicht. Das bringt uns zum Super Giro Dolomiti, der am 9. Juni im Kalender eingetragen ist. Gut 200 Kilometer und knapp 5.000 Höhenmeter sind dabei durch Osttirol, Kärnten und das benachbarte Italien zurückzulegen. Eine hervorragende Gelegenheit, einen vorher abgestimmten Ernährungsplan für das Rennen auszuprobieren.

Caro hat mir vor mehreren Wochen eine Liste mit ihrer Meinung nach wertigen Riegeln und Gels zukommen lassen. Es lag an mir, einige davon auszuwählen und bei lockeren Ausfahrten zu testen. Der Geschmack muss passen, die Konsistenz, die Handhabung – alles Faktoren, die einen Einfluss darauf haben, ob man ein Produkt mag oder nicht. Dies ist keine Werbung oder Einschaltung, aber ich werde beim Super Giro Dolomiti mal mit Clif Bar Gels und Riegeln an den Start gehen, in meinen Flaschen sind Iso-Pulver von High5 und Winforce verrührt. Es gilt, diese Mischung im Rennbetrieb über rund acht Stunden auszuprobieren (vielleicht werden es auch neun…). Eine Schwierigkeit bei langen Rennen ist, dass man nur schwer die Möglichkeit hat, unterwegs auf seine eigenen Produkte zurückzugreifen. Eine Variante wäre, alles Essen in die Trikottaschen zu stopfen, aber für die Trinkflaschen ist das nicht möglich. Labestationen an der Strecke sind zwar vorhanden, manchmal aber eher unberechenbar in Bezug auf deren „Verpflegungsqualität“. Ich versteh übrigens nicht, warum immer mehr Marathons dazu übergehen, an Laben zugeschraubte 0,5 Liter Mineralwasserflaschen zu verteilen… Ist da jemals schon selbst wer mit dem Rad gefahren? Idealerweise hat man ein Team oder Freunde im Gepäck, die sich bereitwillig an die Strecke stellen und einen an geeigneten Punkten mit frischen Flaschen versorgen.

Vorbereitungswoche

Eigentlich hätte ich es mir denken können, ich war aber dennoch etwas überrascht, als mir Caro dann einen Ernährungsplan für die Woche vor dem Wettkampf schickte. Darin ist minutiös und aufs Gramm genau aufgelistet, was ich wann zu essen habe – wie zum Beispiel das Birchermüsli jetzt gerade. Mit einer derartigen Vorgabe war ich – planloses Wesen… - noch nie konfrontiert. Zwei Tage dieser Woche abgespult, kann ich nun – unzählige Einkäufe und Vorkochen später – sagen, dass ich mich zurechtfinde im Ernährungsplan, mich vorbehaltslos auf den Plan eingelassen habe und irrsinnig gespannt bin, ob und welche Wirkung diese Vorbereitungswoche am Renntag entfalten wird. Und Gott sei Dank hat Caro nichts draufgeschrieben, was ich partout nicht runterbringe…

Mahlzeit! Fortsetzung folgt!

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160 Kilometer Zwift

“Wenn du alleine zuhause bist, kommst du auf blöde Ideen”, schreibt mir Nora (alias Unicorn Cycling) kurz nachdem ich meine Aktivität auf Strava hochgeladen habe. Und ganz falsch liegt sie damit nicht…

Auf meinem Computer sind unzählige Listen abgespeichert - Listen mit möglichen Themen für den Blog, Routenvorschlägen, lose Ideen aber auch recht konkreten To-Dos. Über das Jahr schreibe ich hier alles rein, was mir so einfällt und über den Weg läuft. Zwift bietet zum Aufrechterhalten der Motivation in-game einige Herausforderungen und Missionen - von “tritt soundso viel Watt” über “fahre an soundso vielen Tagen” bis hin zu “fahre 100 bzw. 160 km”. Seit Zwift Teil meiner Winter-Trainingsroutine ist, sind daher die Zwift-Challenges auch auf meiner To-Do Liste präsent. So weit so gut…

“Masochist” ist beispielsweise erreicht, wenn man 25 Mal Alpe du Zwift gefahren ist…

Parallel dazu ist man ja Mitglied in diversen Facebook-Gruppen, die größte deutschsprachige Community in Bezug auf Zwift sind die “Zwift Riders Germany”. Scrollt man dort durch die letzten Beiträge wird einem regelrecht schwindlig, angesichts der Marathonleistungen, die da in beeindruckender als auch erschreckender Regelmäßigkeit abgeliefert werden. 100 Kilometer? Pffff… Rennen da und dort - kein Problem. 160 Kilometer am Stück? Mindestens eine*r pro Tag! Als Radler, dessen Zwift-Horizonte üblicherweise bei 40 Kilometern enden, beginnt man an dieser Stelle zu rätseln. Ist das schwer? Macht das Spaß? Ist das normal? Warum macht man das? Zeit für einen Selbstversuch!

100 Kilometer

Das “Metric Century” - wie die 100 Kilometer auf Zwift so schön heißen - habe ich schon mehrmals hinter mich gebracht - der Erstversuch ist hier nachzulesen. Die Distanz kennt man vermutlich von längeren Ausfahrt draußen und weiß daher auch grob, was da auf einen zukommt. Auf Zwift bzw. auf der Rolle ist die Dynamik natürlich eine andere - nämlich keine, und das ist die größte Herausforderung. Längere Distanzen auf der Rolle fallen in erster Linie schwerer, weil die Position auf dem Rad statischer ist - man wechselt weniger oft die Haltung, durch die fehlenden Bewegungen des Rads ist auch der eigene Körper weniger in Bewegung. Man geht weniger oft aus dem Sattel, dadurch ist das Ganze auch für die Muskulatur eintöniger (=ermüdender). Auch fehlende Umwelteinflüsse machen es mitunter schwieriger - auch der beste Ventilator kann keinen echten Fahrtwind simulieren.

Die ersten Kilometer gehen ja leicht von der Hand, man rollt entspannt durch die virtuellen Zwift-Welten. Man denkt sich: “Das wird doch ein Klacks”, so schnell springt die Kilometeranzeige am Bildschirm weiter. Bei Kilometer 20 oder 30 beginnt man allerdings zu grübeln. 45-60 Minuten im Sattel - 25 Kilometer abgespult… Unweigerlich beginnt man hochzurechnen - 20 Kilometer sind ein Fünftel von 100 Kilometer, vier Stunden im Sattel oder gar noch länger?

Hier lohnt es sich, VOR Fahrtantritt ein paar Dinge zu überlegen! Meine ersten 100 Kilometer bin ich damals quasi alleine gefahren, bis auf gelegentlichen Windschatten von anderen Fahrern auf der Strecke. Damals war ich 3:36 h unterwegs, auf dem Greater London Loop - über 1.000 Höhenmeter waren es am Ende. Aus diesen Rahmenbedingungen lassen sich unmittelbar einige Schlüsse ziehen.

Alleine oder Event?

Bei einem der vielen Events in Zwift findet man grundsätzlich immer Gleichgesinnte, die Ausfahrten des “World Bicycle Relief” bieten beispielsweise regelmäßig Fahrten über 100 Kilometer. Ist man als Teil einer derartigen Gruppe unterwegs, kann man jedenfalls am schnellsten die lange Distanz abspulen. Ich bin bei einem dieser Events mitgefahren, ausgeschrieben waren 100 Kilometer bei 2,5 Watt/Kilogramm. Das Tempo ist hoch, die Leistung muss man auf die Pedale bringen - denn ist der Windschatten der Gruppe erst einmal weg, dann bringt das Ganze nichts mehr und man ist erst recht wieder alleine unterwegs. Als Belohnung für das Leiden spult man die 100 Kilometer in guten zwei bis zweieinhalb Stunden ab. Ein Schnitt von über 40 km/h ist (für mich) natürlich völlig unrealistisch und in Bezug auf meine Leistungen draußen illusorisch aber da muss man sich bei Zwift ohnehin immer selbstkritisch und vernünftig einordnen.

Auf sich alleine gestellt dauert die Bewältigung der 100 Kilometer natürlich entsprechend länger, dafür erarbeitet man sich jeden Kilometer. Will man sich also psychisch abhärten - so wie es Rollentraining vor allem auch vor Zwift immer war, für den ist die Einzelkämpfer-Variante sicher eine gute Option.

Rad und Windschatten?

Wenn man schon alleine unterwegs ist, kann man - quasi strafverschärfend - auch das Zwift Zeitfahrrad benützen. Dieses muss nicht extra freigeschaltet werden und steht ab Beginn zur Verfügung. Angaben von Zwift zufolge ist man mit dem TT-Bike geringfügig flotter unterwegs, Nachteil ist dafür, dass man keinen Windschatten von anderen Fahrern nutzen kann. Außerdem verhalten sich Power-Ups auf dem Zeitfahrer anders: Windschatten, Federgewicht, usw. sind nicht verfügbar, stattdessen erhält man jedes mal zehn Erfahrungspunkte, wenn man ein Banner durchfährt.

Das Zwift TT-Bike

Streckenwahl?

Entscheidend über die Mühen der Herausforderung ist die Wahl der Strecke. Zehn Mal Alpe du Zwift ist eine gute Everesting-Challenge, wird die 100 Kilometer aber recht beschwerlich machen. “Flach und schnell” sollte das Motto lauten - London Loop, Flat Volcano, Richmond eignen sich dazu mit ihren moderaten Höhenmetern sehr gut.

25 Runden um den Vulkan

Wer die 100 Kilometer gleich mit einer anderen Challenge verbinden möchte, stellt sich an die Startlinie des Volcano Circuit auf Watopia. Es gibt Badges für fünf, zehn und 25 Runden durch den Vulkan. Bei 4,2 Kilometern Rundenlänge sind das rund 20, 42 oder eben 104 Kilometer. Die Höhenmeter halten sich dabei angenehm in Grenzen, die zwei kurzen Rampen kennt man nach wenigen Runden auswendig und kann sich entsprechend darauf einstellen. Gleichzeitig gibt es keine langen Bergab-Passagen, in denen man sich ausruhen kann - es heißt also, die ganze Zeit gleichmäßig weiter zu treten.

Für Experimentierfreudige ist Zwift sehr tolerant bei der Zählung der Runden - es kann zwischendurch unterbrochen werden, es kann die Route variiert werden, sogar Richtungswechsel sind möglich. Solange eine Runde beendet wird, zählt sie für die Challenge. Eine Tafel beim Runden-Banner zeigt die aktuelle Rundenzahl und sorgt dafür, dass der Überblick nicht verloren geht.

Auch hier vergehen die ersten Runden wie im Flug und man sieht sich schon am Ziel der Herausforderung. Aber es wird zäh, der Rundenzähler bewegt sich scheinbar nicht mehr so schnell, auch hier beginnt man zu grübeln, hochzurechnen, abzuschätzen. Mit dem Zwift-TT-Bike und zwischen 2,0 und 2,5 Watt/Kilogramm dauert eine Runde rund 7:20 Minuten, die 25 Runden daher ziemlich genau drei Stunden.

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Rad oder Trikot gibt es für die Erledigung der Challenge keines, lediglich die Badges für die entsprechende Rundenanzahl und die Beruhigung, etwas von der To-Do-Liste streichen zu können.

160 Kilometer

Hat man die 104 Kilometer einmal erreicht, stellt sich die Frage: Weiterfahren oder nicht? 160 Kilometer sind die größte Distanz, für die man auf Zwift belohnt wird - auf neudeutsch “Metric Century” genannt. Meistens ist man spätestens ab diesem Punkt auf sich alleine gestellt, organisierte Events über derartige Distanzen sind mir keine oder nur selten untergekommen.

Hilfreich ist an dieser Stelle, sein Gehirn entweder komplett abzuschalten oder irgendwie auszutricksen. Sobald man aber zum Nachdenken anfängt, wird es haarig. Nochmal 56 Kilometer? Weiter als man normalerweise auf Zwift unterwegs ist jetzt noch obendrauf? Und nochmal: Auf der Rolle sind die Gesetze andere als draußen. Nicht, dass das eine besser oder einfacher ist, als das andere - einfach anders!

Weitertreten also, in einem Stadium, in dem jede*r von uns wohl schon ein paar Mal war. Auf der einen Seite der Ehrgeiz und Wille, das Ding zu Ende zu bringen - auf der anderen Seite die Couch, der Kühlschrank und die Badewanne, noch dazu alles im Nebenzimmer! So kurbelt man in Trance die fehlenden Kilometer herunter.

Nach 25 Runden um den Vulkan hab ich genug von der eintönigen Strecke und biege ab - die Abwechslung bezahle ich mit zusätzlichen Höhenmetern, aber die Zerstreuung durch eine neue Umgebung und andere Fahrer hilft enorm. Man könnte an dieser Stelle auch auf ein anderes Bike wechseln und wieder den Windschatten der anderen Fahrer ausnützen. Ich entscheide mich für meine persönliche Durchhaltestrategie - ab und zu dringt dann doch der Ehrgeiz durch. Wenn ich im August 2019 die Race Around Austria Challenge fahren möchte, kann ich ruhig auch etwas für meine Kopf und meine Psyche tun…

Die letzten Kilometer vergehen plötzlich wieder wie im Flug, “Heimweh” nennt man das wohl. 157, 158, 159, 160 Kilometer - die letzten zwei nochmal Gas geben. Wäre doch schon langsam an der Zeit, dass die Geschichte ein Ende nimmt. Die “160” scheinen zentral auf dem Bildschirm auf, aber kein Achievement, kein Badge! Teile meines Gehirns beginnen bereits in Panik zu verfallen - erst während des Ausrollens, bei Kilometer 161, blinkt der Bildschirm auf und ich bekomme mein Achievement. To-Do abgehakt.

Mission Accomplished - allerdings erst bei 161 Kilometern!

Das begehrte Century-Trikot

Ausrüstung

Fünf Stunden auf der Rolle sollten zumindest halbwegs gut vorbereitet sein. Kette schmieren, Akkus von Powermeter, Di2 und Herzfrequenzgurt laden, Wasser auffüllen, Handtücher und Wechselgewand bereitlegen.

Meine BMC Roadmachine war die ganzen fünf Stunden lang sehr komfortabel - trotz der wenigen Positionswechsel hatte ich keinerlei Sitzprobleme oder Ähnliches. Wenn es zu zwicken beginnt, dann in Nacken oder Rücken. Auch der Wahoo Kickr hat die fünf Stunden Dauerseinsatz völlig unaufgeregt zur Kenntnis genommen.

Fünf Stunden und 161 Kilometer ergeben einen Schnitt von 32,3 km/h - absolut illusorisch, diesen Schnitt draußen auch nur annähernd über den halben Zeitraum halten zu können… Aber so ist der Algorithmus von Zwift - man sollte sich selbst gut genug einschätzen können, um nicht im Frühjahr an der Realität zu verzweifeln! 200 Watt waren ein grobes Ziel, 191 Watt Schnitt waren es am Ende.

Wichtig ist eine gute und regelmäßige Verpflegung. Auch wenn die Küche gleich nebenan ist, war es mir irgendwie ein Anliegen, nicht zwischendurch einfach ins Nebenzimmer zu spazieren, um mich zu verpflegen. Daher waren sieben Trinkflaschen mit Wasser bereitgestellt, zwei Packungen Powerbar Powergel Shots, ein Wingman- und ein Roobar Riegel. Die verbrauchten 3.200 Kalorien hab ich dadurch sicher nicht wieder zugeführt, aber ein kleines Kalorien-Defizit ist nach Weihnachten schon in Ordnung :)

Klare Empfehlung gibt es außerdem für eine Hose zum Wechseln - bei mir passiert nach rund 60 Kilometern. Socken und Handtuch kann man sich auch ein zweites (Paar) zurechtlegen - je nach Lust, Laune und Schweißbächen.

Würde ich es wieder tun?

Nein.

Ich habe ein gutes Durchhaltevermögen, Spaß auch an monotonen Herausforderungen und erfreue mich grundsätzlich am Training. Aber alles in allem war es am Ende doch etwas zu lang, zu monoton und zu anstrengend (so blöd das jetzt auch klingt - anstrengend ist im Sinne des Fahrens auf der Rolle zu verstehen, diese sind mit dem Fahren draußen einfach nicht vergleichbar). 100 Kilometer werden für mich in Zukunft die Grenze auf Zwift sein, mehr kann sein - für Challenges, Badges und Artikel wie diesen - muss aber nicht.

Ride On! ;)

Race Around Austria 2018

Zehn Mal Race Around Austria - die Geschichte des Rennens war in Sankt Georgen allgegenwärtig. Auf dem riesigen Screen im Startbereich waren die Meilensteine der bisherigen Historie zu sehen - die Erstbefahrung von Manfred Guthardt, die Jungfernfahrt des Rennens in der heutigen Form von Christoph Strasser vor zehn Jahren und die Sieger*innen der letzten Austragungen. Das Geburtstagsgeschenk machte man sich schließlich selbst - Österreichische Meisterschaften auf der Langstrecke und damit Meistertrikots, auf die viele der Teilnehmer hofften.

Die Veranstaltung selbst ist mittlerweile großartig eingespielt. Die Impressionen und Eindrücke, die ich beim RAA 2017 sammeln konnte, haben sich dieses Jahr bestätigt bzw. noch einmal verstärkt. Eine professionelle Organisation, die auch gleichzeitig eine der nettesten und sympathischsten im Veranstaltungskalender ist, entspannte und geerdete Teilnehmer, eine Gemeinde, die das RAA mit Haut und Haar mitträgt und damit insgesamt eine positive Stimmung, die sich auf alle Beteiligten überträgt - egal ob man die 2.200 Kilometer lange Extrem-Strecke fährt, entlang der Strecke fotografiert oder als Zuschauer das Spektakel genießt.

Ich habe mein RAA 2018 anders organisiert als im Vorjahr. War ich 2017 noch alleine mit dem Auto unterwegs - immer "auf der Jagd" nach Fahrern, um diese an möglichst spektakulären Orten abzulichten - war das Motto für dieses Jahr "Weniger ist Mehr". Weniger Kilometer im Auto, weniger Stress, weniger unterschiedliche Locations - mehr Überblick, mehr Kontrolle, mehr produktive Zeit. Die daraus entstandenen Fotos und Geschichten können daher immer nur Momentaufnahmen sein, Kurzberichte vom Start, von unterwegs und aus dem Ziel, fragmentarisch, punktuell aufgenommen aber dennoch (hoffentlich) einen recht umfassenden Eindruck des Race Around Austria vermittelnd.

Die Extrem-Strecke

Die Extrem-Strecke verläuft über eine Distanz von rund 2.200 Kilometern entlang der Grenzen Österreichs, dabei werden ganz nebenbei auch noch rund 30.000 Höhenmeter abgespult. Keine einfache Herausforderung - dementsprechend sind hier die Könner des Ultracycling-Fachs versammelt und all jene, die schon eine erkleckliche Anzahl an Kilometern in ihrem Radler-Leben gesammelt haben, um diese Herausforderung absolvieren zu können. Das Jahr 2018 war klimatisch und wettertechnisch deutlich besser als das Vorjahr - 2017 war das Rennen noch von Hitze, Unwettern, Hagel, Sturm, Regen und Schnee geprägt. Entsprechend schneller waren die Teilnehmer diesmal unterwegs, die erbrachten Leistungen damit allerdings um keine Deut geringer!

Anna Bachmann

Als Rookie am Start sprintete Anna geradezu vom Start weg auf die lange Strecke. Die erste Nacht wurde noch bei starkem Regen absolviert, das tat dem spannende Zweikampf mit Isabel Pulver allerdings keinen Abbruch. Wenn man das Tracking am Computer oder auf dem Smartphone verfolgte, so lagen die zwei Punkte der Fahrerinnen fast immer neben- oder sogar übereinander. Am Ende konnte sich Anna aber doch deutlich durchsetzen und rollte mit neuem Streckenrekord bei den Damen ins Ziel zurück in Sankt Georgen.

Markus Hager

Markus konnte im Vorjahr das Rennen für sich entscheiden und war dementsprechend mit der Startnummer "1" am Start in Sankt Georgen. Ich hatte das Glück, Markus im Sommer besser kennenzulernen und fieberte daher mit ihm mit, als er die Startrampe herunterrollte und auch jedes Mal, wenn ich ihm und seinem Team auf der Strecke begegnete. Seinen Vorjahressieg konnte er 2018 trotz besserer Fahrzeit nicht verteidigen. Der Zeitgewinn ist übrigens auch zu einem guten Teil auf den Umstand zurückzuführen, dass Markus (nach bereits atemberaubenden 40 Minuten im Vorjahr) dieses Mal "0" (in Worten: "NULL") Minuten geschlafen hat - in mehr als drei Tagen!  

Patric Grüner

Patric begleitete der Nimbus des ewigen Zweiten beim Race Around Austria, finishte er doch 2014, 2015 und 2016 jeweils "nur" auf dem zweithöchsten Treppchen. Auch bei der Ausgabe 2018 sah es längere Zeit nach einem guten aber eben nicht ersten Platz aus, sogar eine Beendigung des Rennens stand im Raum. Dann sah Patric den bis dahin Führenden - Rainer Steinberger - am Straßenrand stehen und aufgeben, sagte sich "Gegen den Markus Hager verliere ich nicht noch einmal" und riskierte. In einem Höllentempo durchquerte er sein Heimatland Tirol und machte sich als Führender auf in Richtung Ziel. Der Fluch des Zweiten war also gebrochen, Patric überglücklicher Sieger des Race Around Austria 2018. 2019 steht beim ihm das Race Across America am Programm - mit einem RAA-Titel in der Tasche macht die Vorbreitung darauf sicher noch mehr Spaß!

Philipp Reiterits

Immer wieder denke ich gerne an das Kennenlernen mit Philipp zurück, als Jan und ich im Mai 2016 am Glockner auf einen Radler mit RAA-Kapperl gestoßen sind. Seitdem durfte ich letztes Jahr seine Premiere auf der 1.500er-Strecke bewundern, ihn besser kennenlernen und auch seine Vorbereitungen auf den diesjährigen Start auf der Extrem-Strecke mitverfolgen. Philipp hat das Rennen stark gestartet, musste in Vorarlberg jedoch aufgrund eines sogenannten "Shermers Neck" absteigen. Dabei ermüdet die Nackenmuskulatur dermaßen, dass man den Kopf nicht mehr hochhalten kann. Philipp hat allerdings bereits nach wenigen Tagen seinen Start beim RAA 2019 angekündigt - ich freue mich schon jetzt, ihn wieder auf der Startrampe und auf der Strecke zu treffen.

4er-Teams

Die Viererteams waren 2018 zahlreich vertreten, war dies doch eine der Kategorien, in denen ein Meistertrikot zu gewinnen war. Glamour erhielt die Startbühne durch den Start des "Hill Racing Teams", sportlich konkurrierte dieses das ganze Rennen über mit dem Team "CLR Sauwald Cofain 699" - letzteres konnte am Ende den Bewerb für sich entscheiden.

Die Challenge

Die 560 Kilometer rund um Oberösterreich gelten als "Einstiegsdroge" in den Ultra-Radsport und bieten eine gute Gelegenheit, das Ganze einmal auszuprobieren. Dementsprechend ist viel los auf der "kurzen" Strecke und es tummeln sich zahlreiche - auch bekannte - Gesichter auf der Startrampe. Zu allem Überfluss dürfte ich Michi Nussbaumer - dem Veranstalter des RAA höchstpersönlich - meine Teilnahme im nächsten Jahr zugesagt haben - so sehr lässt man sich von der tollen Stimmung am Start mitreissen.

Christoph Strasser

Über "Straps" braucht man nicht mehr allzu viele Worte verlieren - er ist der Großmeister des "Weitradlfoarns" (wie es einer seiner Hashtags ausdrückt). Mit nach eigenen Angaben noch etwas müden Beinen ist er von seinem fünften Race Across America-Sieg nach Oberösterreich gekommen, um das Staatsmeistertrikot auf der Langdistanz zu gewinnen. Fragen nach Sieg und auch Streckenrekord spielte Christoph zu Beginn noch herunter - tatsächlich kann auf der kurzen Strecke der Challenge schon ein falsches Abbiegen oder ein technischer Defekt über den Sieg entscheiden. Am Ende war es dann der erwartete Sieg auf der Challenge mit einer fabelhaften neuen Rekordzeit, die wohl in den nächsten Jahren keiner knacken wird können. Und jedes Mal, wenn ich Christoph treffe, bin ich wieder positiv überrascht, wie normal, geerdet und sympathisch er ist - trotz oder gerade wegen seiner Erfolge. In Kürze wird es übrigens auf 169k mehr von Christoph und seiner gerade erschienenen Biographie "Der Weg ist weiter als das Ziel" zu lesen geben.

Barbara Mayer

Im Palmarés von Babsi leuchtet 2018 alles bronze, silber und golden - egal ob Staatsmeisterschaften Straße, Zeitfahren, Mountainbike, Salzkammergut-Trophy... Alles was Barbara angeht, endet erfolgreich - und die WM im September kommt ja erst noch. In fabelhafter Rekordzeit umrundete sie Oberösterreich und sicherte sich damit das Staatsmeistertrikot. Und dabei war immer ein Lächeln auf ihren Lippen zu sehen - so vermittelt man Freude am Sport und an der Leistung! Meine tiefe Verneigung!

geradeaus.at

Tina und Andy bloggen gemeinsam als geradeaus.at über ihre Erlebnisse, denen sie mit der RAA-Challenge im Jahr 2018 ein großes Kapitel hinzugefügt haben. Das ganze Jahr über konnte man auf ihrem Blog alles über Training, Equipment, Vorfreude aber auch die Schattenseiten der Rennvorbereitung lesen. Am Tag X lieferten die beiden dann eine großartige Leistung ab und bewiesen am meisten sich selbst, was alles möglich ist. Ein erster emotionaler Rückblick ist auf der Seite geradeaus.at nachzulesen.

Team Chase

2017 waren sie noch als Team Chase gemeinsam am Challenge-Start, für 2018 hatte man sich ein Rennen Mann gegen Mann - Felix gegen Berni - zurechtgelegt. Die Vorbereitung verlief jedoch nicht ganz so (gleichmäßig) wie geplant, dementsprechend wurde es nicht das Rennen gegeneinander sondern "nur" gegen die Zeit und die anderen Teilnehmer. Felix konnte sich - mit einer Zielankunft an seinem Geburtstag - zudem den großartigen vierten Platz sichern. 

Die 1500er

Die mittlere Runde führt über 1.500 Kilometer entlang der Grenzen des Landes, spart aber den Westteil Österreichs aus. Logistisch und vom Timing her war das Fotografieren der 1.500er eine Herausforderung, vor die Linse bekam ich großteils nur das Führungsduo Franz Scharler und Christian Gammer. Letzterer konnte das Rennen für sich entscheiden und wurde in Sankt Georgen als Sieger gefeiert.

Lesachtal

Großglockner

Exkurs: Rennradfahren rund um Sankt Georgen

Wer so wie ich etwas früher Richtung Attersee reist, kommt außerdem noch in den Genuss großartiger Rennradstrecken. Entlang der wunderschönen Seeufer (Atter-, Mond-, Wolfgang- und Fuschlsee) ist der Verkehr zugegebenermaßen ein kleiner bis mittelgroßer Spaßhemmer, wer sich aber "eine Reihe nach hinten" begibt, kommt in den Genuss menschen- und autoleerer Güterwege, pittoresker Landschaften und herausfordernder Höhenmeter. Als Abschluss hier ein paar Bilder zur Inspiration - Oberösterreich, Attergau, Race Around Austria, wir sehen uns spätestens im August 2019!

Race Around Austria 2017

Rennrad fahren - schön und gut. Die 50k-Morgenrunde ist nett, das 100k-Rennen herausfordernd, die 250k-Radetappenreise malerisch. Wir alle bewegen uns und unser Rad auf unterschiedlichen Distanzen durch die Welt, auf unterschiedlichen Leistungsniveaus, mit verschiedenen Ambitionen und variierenden Ehrgeiz-Levels. Und dann gibt es da noch Ultra-Cycling!

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