# III: Passau - Niederranna
Es folgen 30 Kilometer entlang der Donau, die Szenerie - obwohl landschaftlich sehr ansprechend - wird eintöniger: links Donau, rechts Wald. Die Sonne zeichnet sich mittlerweile nur noch als dunkelroter Streifen am Horizont hinter mir ab, ansonsten senkt sich jetzt die Nacht über mich. Seit 20:00 gelten die Nachtregeln des Rennens, das bedeutet, dass vorne und hinten am Rad die Lichter eingeschaltet sein müssen. Und während die Fahrer mit Betreuerfahrzeug im Scheinwerferlicht desselben unterwegs sind, müssen die Lampen der Unsupported-Fahrer*innen so stark sein, dass sie ein gefahrloses Vorankommen auch in der finstersten Nacht ermöglichen (entsprechende Akkukapazitäten inklusive).
Um 21:00 erreiche ich die Donaubrücke bei Niederranna, die das Ende der flachen Kilometer markiert und den Beginn des berühmt-berüchtigten Mühlviertels. "Ende" ist auch ein Stichwort, das mein Körper sich denkt. Als Familienvater habe ich mich in den letzten zwei Jahren an eher frühes Schlafengehen gewöhnt, dementsprechend zeigt mein Körper recht wenig Bereitschaft, weiterhin vollen Betrieb zu ermöglichen.
# IV: Mühlviertel (Niederranna - Ulrichsberg)
Müde und mit einem von den hohen Temperaturen zu Beginn des Rennens ermatteten Kreislauf kurble ich die erste größere Steigung des Rennens hinauf - rund vier Kilometer direkt von der Donau hinauf in ein Dorf namens "Dorf". Oben angekommen brauche ich erst einmal eine Pause, irgendwie hat die Akklimatisierung an Nacht und frischere Temperaturen noch nicht funktioniert. Ich setze mich zu einer Busstation, entspanne meinen Rücken, trinke ein Ensure und beobachte die Challenge-Fahrer*innen, die in der Deckung ihrer Betreuerfahrzeuge an mir vorbeirollen. Ich habe übrigens zu keinem Zeitpunkt - auch später im Rennen - nie den Eindruck, "überholt" zu werden wenn jemand an mir vorbeifährt. Vielmehr ist es ein Miteinander, ein gemeinsames Bewältigen dieser Prüfung, man sitzt auf gewisse Art und Weise im gleichen Boot.
Die Landschaft des Mühlviertels und dessen Schönheit kenne ich von früher - jetzt ist alles was ich sehe, der Lichtkegel meiner Lupine Piko und weiter als 10-20 Meter reicht der auf höchster Stufe auch nicht. Aus der Finsternis rechts und links von mir tönt jedoch immer wieder spontanes Klatschen oder Johlen. Und dann sind da noch die Fan-Zonen: Von der Stimmung in Julbach hat man schon vor dem Start gehört, dass jedoch in so gut wie jedem Ort auf dem Weg dahin auch schon Menschen auf den Straßen stehen und alles und jeden anfeuern, was dort vorbeikommt, darauf war ich keinesfalls vorbereitet. Anfeuerungen, Musik, Klatschen, Rattern, Jugendliche, die über hunderte Meter mitlaufen - das alles verleiht einem vielleicht keine Superkräfte aber es hilft enorm, die schwierigen Stunden in der Nacht leichter absolvieren zu können. Wie soll man stehenbleiben oder schlappmachen, wenn alle 500 Meter jemand steht, der sich für einen die Seele aus dem Leib brüllt...
Nach harten 35 Kilometern ständigen Auf und Abs (ständig!), ist Ulrichsberg erreicht, die erste Timestation des Rennens und mit knapp 200 Kilometern ist zumindest schon ein gutes Drittel absolviert.
# V: Ulrichsberg - Vorderweißenbach
Die Strecke von Ulrichsberg bis Vorderweißenbach bin ich - etwas abgeändert und großteils in die andere Richtung - schon einmal gefahren aber mitten in der Nacht bringt einem die vermeintliche Streckenkenntnis nicht wirklich viel. Und haben die Fans im Mühlviertel noch für Zerstreuung und Kurzweil gesorgt, ist man nun endgültig alleine mit dem Geräusch der Wildwarnvorrichtungen an den seitlichen Fahrbahnbegrenzern, die einen mit einem freundlichen Piepsen begrüßen, sobald der Lichtstrahl auf die Sensoren fällt. Seit Beginn des Mühlviertels hat sich mein Kreislauf nicht wirklich erfangen und dass ich um diese Zeit sonst üblicherweise sanft vor mich hin schlummere, macht die Situation nicht besser. Die Essensaufnahme wird zunehmend schwieriger - ein Thema, auf das ich besonderen Wert legen wollte, weiß ich doch von mir selbst, dass hier meine größte Achillesferse liegt. Meinen Mix aus Riegeln, Gels und Ensure-Flüssignahrung habe ich auf nur noch Ensure reduziert, beim Gedanken an einen der süßen Riegel wird mir schlecht. Unterbrochen durch einige kleinere Pausen von zwei bis drei Minuten arbeite ich mich bis Haslach vor, kurble noch stetig den Anstieg nach St. Stefan und Afiesl hinauf, nur um auf der darauffolgenden Abfahrt zu merken, dass ich wohl doch eine etwas längere Pause einlegen sollte. Der Körper ist im Notbetrieb, es ist kalt geworden und statt im untersten Bereich weiterzutreten möchte ich meinem Körper die Möglichkeit bieten, sich zu erholen. In einem geräumigen Bushäuschen irgendwo bei Vorderweißenbach drehe ich meine Lampen ab, knülle mein Gilet zu einem Polster zusammen und stelle mir einen Timer auf 20 Minuten ein. Ich schlafe tatsächlich in der Sekunde ein und erst der Ton des Telefons weckt mich wieder auf. Ich stelle noch einen Timer - diesmal 15 Minuten -, doch die warte ich nicht mehr zur Gänze ab. Schlafen geht nicht mehr, ich zittere ob der Kälte und merke, dass ein längerer Stop an dieser Stelle keine positiven Effekte mehr bringen würde.
# VI: Vorderweißenbach - Freistadt
Die ersten Meter nach der Pause sind etwas beschwerlich, der Körper ist abgekühlt und das grundsätzliche Gefühl, dass ich jetzt gerade in einem kuscheligen Bett besser aufgehoben wäre, ist nicht verflogen. Die folgenden 25 Kilometer sind für mich mit die schwersten des Rennens - es ist stockfinstere Nacht, andere Teams sind weit und breit nicht zu sehen und die Topographie hat sich zwar etwas gemäßigt, auf und ab geht es trotzdem noch die ganze Zeit. Die einzige Ablenkung bietet ein Unsupported-Kollege, dessen Licht auszugehen droht und das er - mangels USB-Kabel - nicht nachladen kann. Nach einem beruhigenden Blick auf den Ladestand meines Test-Garmin 1030 Plus verschenke ich mein USB-Kabel und setze meine Fahrt fort. Ich habe in den den letzten Stunden in Gedanken immer wieder einmal kurz nach potentiellen Ausreden gesucht, erfundene Defekten und Probleme durchgespielt - ohne Konsequenzen. Aber dass jemand tatsächlich ohne Licht im Mühlviertel strandet und mit der Weiterfahrt auf das Ende der Nachtphase um 06:30 warten muss, das möchte ich dann doch verhindern.