"DNF" beim Super Giro Dolomiti

Oft heißt es ja, Geschichten des Scheiterns wären besser und spannender als jene der Sieger… In diesem Geiste möchte ich das Wochenende des Super Giro Dolomiti aufarbeiten, das mir das erste „DNF“ meiner sogenannten Rennkarriere beschert hat.

Giro

Es hat großartig begonnen, so wie eigentlich jeder Tag und jedes Wochenende in Osttirol immer positiv verläuft! Das Wochenende vor dem Rennen gastierte der Giro d´Italia in Südtirol, da lag ein Ausflug nach Olang zum Start natürlich nahe. Das Panorama der Dolomiten gepaart mit Profiradsport ist ein herrlicher Mix und näher an die österreichische Grenze kann eine Grande Tour auch gar nicht kommen. Auch wenn die Situation am Start etwas unübersichtlich war (der Parkplatz mit den Teambussen und Fahrern befand sich rund 2-3 Kilometer von der Startlinie entfernt) und damit nur die Möglichkeit blieb, die Fahrer am Weg zur Startaufstellung kurz abzupassen – der Start einer Giro-Etappe ist immer ein Ereignis, in Italien noch einmal mehr, da die Menschen auf die Straße gehen, gerne mittendrin dabei sind und Radsport dann doch noch etwas mehr l(i)eben, als wir das tun.

Bora

Zeitgleich waren auch die Fahrer des Teams Bora-Hansgrohe in Osttirol – Höhentrainingslager stand dort auf dem Programm. Mit von der Partie unter anderem die österreichische Phallanx Konrad, Pöstlberger, Mühlberger. Spontane Einfälle bringen oft die besten Ergebnisse, der Kamerarucksack war ohnehin dabei – und so ergab sich die Möglichkeit, die Jungs von Bora auf einer Trainingsfahrt auf den Glockner zu begleiten. Fotomotive der besten Art tun sich auf und der Auslöser der Kamera rattert nur so vor sich hin! Dass ich bei all dem Fotografieren nicht zum Radfahren komme, ist eine andere Geschichte – aber dazu kommen wir noch…

Dolomitenrundfahrt

Leser*innen von 169k wissen mittlerweile, dass ich oft und liebend gerne in Osttirol bin. Die Dolomitenradrundfahrt, die jedes Jahr Anfang Juni stattfindet, war daher schon immer etwas Besonderes in meinem Kalender – ist sie doch so etwas wie mein zweites Heimrennen. Die Strecke über den Gailberg, durchs Lesachtal und zurück nach Lienz kenne ich mittlerweile ganz gut – sowohl die positiven als auch die weniger positiven Aspekte. Wobei „weniger positiv“ natürlich eine Frage der Perspektive ist. Mit genügend Training und mentaler Stärke, kann einem das Lesachtal nichts anhaben. Erst wenn man angeschlagen, müde oder nicht ganz so fit ist, rächen sich die rund 20 „Hügel“, die sich in einem ständigen Auf und Ab auf einer Länge von rund 40 Kilometern aneinanderreihen. Irgendwo müssen diese 1.400 Höhenmeter ja auch versteckt sein. Die Lesachtalrunde bin ich also schon ein paar Mal gefahren, sowohl als Trainings- oder Genussrunde als auch im Rennen bei der Dolomitenradrundfahrt. Am Rennwochenende steht allerdings noch eine zweite Option zur Verfügung, der Super Giro Dolomiti.

Super Giro Was?

Viele verwechseln ihn beim ersten Mal Hören mit dem Maratona d´les Dolomites, dieser Riesenveranstaltung jenseits der Grenze, die immer Anfang Juli auf dem Programm steht und mit mehreren tausend Teilnehmern, Fernsehübertragung und mythenbehafteten Anstiegen zu einem der größten Radsportevents der Welt zählt. Der Super Giro Dolomiti gibt sich da weitaus bescheidener, obwohl er sich nominell keineswegs verstecken muss. Um ein anderes großes Radsportevents als Vergleich heranzuziehen – der Super Giro weist ungefähr die gleichen Zahlen auf wie der Ötztaler Radmarathon. Auf rund 230 Kilometern versammelt der Super Giro rund 5.000 Höhenmeter, die Charakteristik der Strecke ist allerdings eine andere als beispielsweise beim Ötztaler. Die Anstiege sind mitunter kürzer, die Belastung abwechslungsreicher, die Steigungen giftiger. Die Tatsache, dass der Super Giro Anfang Juni stattfindet, setzt zudem voraus, dass man recht fit aus dem Frühjahr kommt.

Die „Ur-Strecke“ des Super Giro führt über Gailberg und Plöckenpass nach Italien, über den Lanzenpass – eine alte, schmale Militärstraße mit bis zu 19% steilen Rampen – weiter Richtung Osten bevor man über das Nassfeld wieder nach Österreich gelangt und schließlich durch Gail-, Lesach- und Pustertal zurück nach Lienz fährt. Je nach Definition eines „Berges“ sind derer fünf oder sechs zu überwinden, von kurz & flach über länger & flach bis hin zu kurz & sehr steil und lange & steil. Die Gegend südlich der Dolomiten bzw. Karawanken ist allerdings eine raue und als solche jeden Winter aufs Neue unzähligen Wettersituationen ausgesetzt, die einem einwandfreien Zustand der Straßen nicht unbedingt zuträglich sind. Schnee, Eis, Unwetter, Felsstürze und allerlei mehr sind dort keine Seltenheit, dementsprechend musste auch der Super Giro mit seiner Strecke schon mehrmals ausweichen. Kein Problem, stehen doch im näheren Umkreis Alternativen zur Verfügung, die auch Hand und Fuß haben – hat da jemand „Zoncolan“ gesagt? Der Lanzenpass ist dabei so etwas wie das schwächste Glied – schon in seiner Grundauslegung als alte Militärstraße nicht gerade für den Massenverkehr dimensioniert, besteht außerdem bei Schäden, Felsstürzen und Ähnlichem bei den italienischen Behörden keine allzu große Dringlichkeit, Dinge dort schnell wieder zu richten. 2016 wurde deshalb schon einmal auf den Monte Zoncolan ausgewichen – bei wem an dieser Stelle keine Alarmglocken klingeln, der schau sich auf Youtube einmal ein paar Videos zum Monte Zoncolan an oder das Strava-Segment des Anstiegs von Ovaro aus!

Ende 2018 wurde dann noch das halbe Lesachtal bei Unwettern weggespült, die Spuren davon sind auf den Straßen bis heute sichtbar. Im Besonderen in Form einer Ersatzstraße, die vor Maria Luggau errichtet werden musste, um die Passage des Lesachtals überhaupt erst zu ermöglichen. Für das Rennen 2019 kursierten im Vorfeld daher unterschiedliche Varianten. Zuerst wurde kommuniziert, dass die „Ur-Strecke“ aufgrund von massiven Schäden am Lanzenpass nicht befahren werden kann und es wurde der Monte Zoncolan (analog zu 2016) als Ersatz auserkoren – ein Raunen und eine Mischung aus Angst und Begeisterung ging durch die Foren. Kurz darauf wurde allerdings der Zoncolan wieder von der Karte gestrichen, da auch dieser angeblich Frost- und andere Winterschäden aufweisen würde. Es wurde eine Ersatzschleife über Arta Terme und Paularo entworfen, die dann allerdings für die hartgesottenen „Höhenmeterfresser“ fast an eine Enttäuschung grenzte – so war es zumindest in vereinzelten Postings zu lesen. Andererseits war die neue Strecke mit rund 210 Kilometern und 4.800 Höhenmetern für Leute wie mich noch immer eine sehr große Nummer und angesichts eines regnerischen Frühjahrs und dadurch fehlenden Trainingskilometern nicht ganz unwillkommen!

Das Rennen!

Im Vergleich zur kürzeren Dolomitenradrundfahrt ist das Starterfeld des Super Giro Dolomiti noch etwas überschaubarer. Das hat Nachteile – die Wahrscheinlichkeit, in einer späteren Phase des Rennens noch mit einer gut funktionierenden Gruppe fahren zu können, sinkt dramatisch - aber auch Vorteile: Die Startphase ist entspannt und völlig unproblematisch. Ohne jegliche Zwischenfälle oder brenzlige Situationen rollt das Feld aus Lienz hinaus in Richtung Oberdrauburg. Die Temperaturen zum Start um 6:30 sind frisch und angenehm bei rund 13 Grad - warm genug, um die Jacke schon vor dem Start auszuziehen und auf Ärmlinge zu verzichten. Das Wetter ist ein wesentlicher Faktor – auch da gab es in den vergangenen Jahren schon alles, was der Himmel zu bieten hat. Gewitter, Wolkenbrüche, Temperaturstürze, große Hitze, Wind – die hohen Berge der (Lienzer) Dolomiten sind hier nicht zu unterschätzen, eine Nofall-Jacke mitzuführen ist grundsätzlich eine intelligente Option.

Bis Oberdrauburg gilt es, das Rennen zu genießen und in der großen Gruppe mit knapp über 40 Km/h Schnitt dahinzugleiten – es wird dieser Abschnitt der erste und letzte sein, in dem man in den Genuss eines ausgeprägten Windschattens kommt. Ab dem Gailberg – also den Bergen – wird nunmehr jede*r ihr und sein Tempo fahren, größere Gruppen werden sich keine mehr finden. Der Gailberg ist nominell keine allzu große Herausforderung, je nachdem in welchem Tempo man ihn befährt. Erfahrungsgemäß sind es ja oft die kleineren Hügel oder sogar die Flachpassagen, in denen man sich vernichtet – während alles und jeder auf die großen Prüfungen vorbereitet ist, vergisst man nur allzu oft, dazwischen mit seinen Kräften zu haushalten. Nach dem Gailberg geht es hinunter nach Kötschach-Mauthen, von hier entstammt meine Mutter – Grund genug, dort jedes Mal kurz unbestimmt in die Gegend zu winken, wenn ich vorbeifahre. Durch Kötschach geht es weiter Richtung Süden und für mich auf unbekanntes Terrain. So oft ich schon in Lienz und im Gailtal war, noch nie hat es mich hier über die Grenze verschlagen. Den Anstieg auf den Plöckenpass habe ich mir im Vorfeld auf Strava angeschaut, auch hier war nichts dabei, was mich nominell riesig erschreckt hätte. Umso mehr überraschen mich die hohen Steigungsprozente im Anstieg, die ihren Höhepunkt im stockfinsteren Tunnel vor der Passhöhe erreichen – 17%? Der Wahoo hat kein Signal mehr und jegliche Messung von Geschwindigkeit und Anstieg bleibt stehen. Ich werde nie erfahren, wie steil es dort wirklich ist, gefühlt zu steil, um gemütlich bergauf zu kurbeln. Mir schwant Böses, vielleicht waren die durchschnittlichen Steigungen auf Strava ein Ergebnis der nicht aufgezeichneten Steigungen in den Tunnels? Dann müsste ich auch meine Einschätzung über die Südseite des Plöcken erneuern, dort hat Strava überhaupt nur 4% Durchschnittssteigung ausgegeben! Aber alles zu seiner Zeit, davor gilt es noch, andere Prüfungen zu meistern.

Bei der Labe oben am Plöcken fülle ich meine Flaschen auf und richte einen Riegel her, den ich dann während der Abfahrt essen kann. Dabei hab ich ein neues System entwickelt: Ich nehme den Riegel (z.B. meinen ClifBar) aus der Verpackung und stecke nur den Riegel unter den Beinabschluss meiner Hose. Von dort kann ich jetzt Stück für Stück vom Riegel abbrechen und in Ruhe essen. Es hat mich immer gestresst, den Riegel komplett in der Hand halten zu müssen während dem Fahren, vor allem weil die ClifBars ja keine Riegel sind, die man schnell einmal kaut und hinunterschluckt. Im Vorfeld habe ich mich ja mit meiner Ernährungsberaterin Caro vorbereitet und auch für dieses Rennen ein paar Dinge ausprobiert. Die Ernährung während des Rennens war ein Teil davon, wann ich welche Riegel und Gels zu mir nehmen soll, entnehme ich vertrauensvoll dem Plan, den mir Caro noch per Mail zugeschickt hat.

Es geht vom Plöcken hinunter Richtung Paluzza, es rollt gut, der Tacho zeigt immer irgendetwas über 40 an. Habe ich die Abfahrt noch alleine begonnen, haben sich rund um mich nun noch ein paar Fahrer zusammengefunden, gemeinsam geht’s dann doch nochmal schneller und im Nu ist der südlichste Punkt der Strecke bei Arta Terme bzw. Cedarchis erreicht. Es geht sofort wieder bergauf auf eine kleine Straße, die sich den Hang entlang schmiegt und moderat aber stetig ansteigt. Der plötzlich fehlende Fahrtwind lässt mich recht unvermittelt spüren, dass es mittlerweile recht heiß geworden ist. Die Sonne strahlt am blauen Himmel, wir sind südlich der Karnischen Alpen, es hat knapp unter 30 Grad. Zu viert fahren wir die Straße entlang, das Tempo nicht sonderlich hoch, der Weg an sich nicht besonders anspruchsvoll. Ich lasse die kleine Labe aus, an die wir gemeinsam kommen – blöde Idee, wie sich später herausstellen soll. Bevor ich allerdings über die Tragweite irgendwelcher Entscheidungen nachdenken kann, beginnt eine abwechslungsreiche Zwischenabfahrt durch kleine Dörfer, vorbei an gutbesetzten Cafés, durch flowige Kurven, weiter hinein ins Tal. Paularo erscheint am Ende des Tals, der Wendepunkt der Strecke – auf der Originalstrecke würde man hier zum Lanzenpass abzweigen. Ich habe mir vor dem Rennen ein paar Abschnitte der Strecke auf Google Street View angesehen – nicht wegen irgendwelchen Details sondern um einen generellen Eindruck zu bekommen. Von Paularo ist mir in Erinnerung geblieben, dass es sehr steil zur Kirche hinauf geht, dann aber oben eine Art Hochplateau kommen soll. Wäre meine Recherche da nur mal ausführlicher gewesen… Den Stich zur Kirche von Paularo hinauf – mit seinen knapp 20% Steigung – konnte ich da noch irgendwie überwinden, dass danach allerdings kein Hochplateau sondern weitere fünf Kilometer mit rund 12% folgen würden, war fatal!

Worst comes to worst

Da war ich nun im Anstieg von Paularo nach Ligosullo. Manche jener, die sich im Vorfeld noch beschwert hatten, dass der Monte Zoncolan nicht Teil der Strecke war, sind hier wohl eines Besseren belehrt worden. Gut, der Monte Zoncolan ist noch einmal ein Kaliber ärger, aber das war mir persönlich in diesem Moment nicht einmal ein schwacher Trost. Und spätestens hier dämmerte mir auch zum ersten Mal, dass ich bis dorthin viel zu wenig getrunken UND zusätzlich auch noch die letzte Labe ausgelassen hatte - Bravo, Martin! Caro hatte mir im Vorfeld auch gesagt, ich solle viel trinken – „No na…“, aber warum mach ich es dann nicht? Die Flüssigkeitsreste aus meinen Flaschen hatte ich am Ende des Anstiegs schon längst bis auf den letzten Tropfen in mich geleert, mein Flüssigkeitshaushalt und damit auch mein Kreislauf waren an dieser Stelle allerdings schon nachhaltig beleidigt. Da half auch die Akut-Ration Extra-Wasser und Iso-Drink bei der nächsten Labe nichts mehr. Ich kenne meinen Körper mittlerweile ganz gut und weiß in den meisten Situationen, wie ich gewisse Signale zu deuten habe.

Und dann kam noch ein Punkt dazu, den ich ganz ohne Gram und Reue akzeptieren muss: ich hatte im Jahr 2019 einfach noch nicht genug Kilometer in den Beinen. Mit etwas mehr Fitness und Power wären solche Tiefs noch eher zu übertauchen gewesen, hätte ich über den schmerzenden Rücken und Nacken eher hinweggesehen, wären die noch bevorstehenden (100) Kilometer weniger respekteinflößend gewesen.

Nach der Labe in Ligosullo waren Downhill-Kilometer angesagt - immer eine willkommene Gelegenheit, sich etwas auszuruhen und oft schaut die Welt nach einer kurzen Abfahrt schon wieder ganz anders aus als wenn man gerade erst am Ende eines Anstiegs erschöpft aus dem Sattel gestiegen ist. Waren bei der Labe noch einige Leute um mich herum, war ich in der Abfahrt plötzlich mutterseelenalleine. Erste Zweifel kamen auf, ob ich denn noch auf der richtigen Strecke war – die Abfahrt war verwinkelt, die Kehren eng, bei einer der etlichen Abzweigungen hätte man schon falsch abbiegen können… Endlich kam aber wieder eines der Streckenmarkierungsschilder in den Blick und die Fahrt konnte ungehindert fortgesetzt werden – ich hätte da keinen Meter wieder bergauf zurückfahren wollen.

In Paluzza war schließlich die Bundesstraße wieder erreicht, auf der wir eine Stunde zuvor hinuntergekommen waren. „What went down, must go up“ – oder so ähnlich, die gleiche Strecke wieder hoch zu müssen, auf der man zuvor runtergefahren ist, kann eine psychische Herausforderung sein. An dieser Stelle war ich ohnehin schon eher im Sparmodus unterwegs, daher: in den ersten Gang schalten und locker den Berg raufkurbeln. Die Aussicht auf 16 Kilometer Anstieg hinauf bis zum Plöckenpass und zur nächsten (notwendigen) Labe haben mich dann allerdings gebrochen. Die Temperaturanzeige am Wahoo begann bei 30 Grad im noch halbwegs geschützten Paluzza und zeigte einen Maximalwert von 38 Grad mitten im Anstieg zum Plöcken, auf den direkt vom Süden schön die Sonne draufknallte. Auch wenn der Wahoo hier mehr Grad anzeigte, als es wirklich waren… 20 Grad mehr als beim Start wenige Stunden zuvor und meine wenig intelligente Flüssigkeitsversorgung taten das ihrige. Es dauerte gefühlt mehrere Stunden, bis ich oben am Plöcken Richtung Labe rollte. Der Entschluss, das Rennen nicht fertigzufahren, war zu diesem Zeitpunkt schon gefällt – ich hatte ja genug Zeit, im Anstieg meine Gedanken zu sortieren, Argumente abzuwägen und Optionen durchzudenken. Ich kenne das Lesachtal und weiß, welche Herausforderungen dort noch auf die Fahrer*innen warten - auch wenn ich weiterfahren hätte wollen, es wäre nicht wirklich zielführend gewesen. 1.400 Höhenmeter noch bis ins Ziel? – zu viel für mich an diesem Tag.

Oben am Plöcken reicht ein kurzer Anruf bei der Familie in Lienz und der Abholservice setzt sich dankenswerterweise in Bewegung. Die Abfahrt vom Plöcken nehme ich noch mit, quasi Ausrollen denke ich mir. Der (wirklich) schlechte Belag in der Abfahrt und die wenigen kurzen Gegensteigungen räumen die letzten Zweifel aus, ob ich nicht doch weiterfahren hätte sollen. Ich bin müde und fertig, rolle am Streckenposten in Kötschach vorbei, der mich verzweifelt auf die (richtige) Strecke zurücklotsen will.

Mein privates Taxi rollt auf den Kirchenvorplatz von Kötschach während ich auf der Mauer liege und meine Beine hochlagere. Mein Schwager ist so lieb und holt mich ab, reagiert verständnisvoll und tröstet mich mit Aussicht auf die bevorstehende Grillerei im Garten. Wobei Trost brauche ich an dieser Stelle keinen, das Rennen vorzeitig zu beenden stürzt mich weder in eine existenzialistische Krise noch lässt es mich am meiner grundsätzlichen Leistungsfähigkeit oder am Spaß des Radfahrens zweifeln.

Ursachen?

Die Ursachenforschung ist ebenso schnell erledigt bzw. hatte ich genügend Zeit, im Anstieg zum Plöcken darüber nachzudenken.

Nummer 1: Ich habe schlecht gehaushaltet. Während die feste Ernährung gut funktioniert hat, habe ich einfach nicht genug getrunken. Und da kann mir eigentlich keiner helfen, Caro kann noch so oft sagen „Viel trinken“. Man sollte sich halt auch daran halten! So reizvoll es auch ist, an Laben flott vorbeizufahren, stehenbleiben und nachfüllen stellt die bessere Lösung dar – vor allem, wenn es um die Entscheidung zwischen Gesamtrang 245 und 238 geht.

Nummer 2: Ich habe schlicht und ergreifend zu wenig Kilometer gesammelt in meinem bisherigen Jahr 2019. Egal, wo die Gründe dafür liegen und warum es sich da und dort vielleicht nicht so ausgegangen ist, wie es geplant war. Ein Rennen über 210 Kilometer mit etlichen Höhenmetern bedarf einfach eines gewissen Trainingszustands, hier habe ich das Ganze vielleicht etwas zu sehr auf die leichte Schulter genommen.

Wie geht’s weiter?

Googelt man „DNF“ kommen Ergebnisse wie „Disjunktive Normalform“, „Deutsch-Norwegische Freundschaftsgesellschaft“ oder „Duke Nukem Forever“. Leider lässt sich aus keinem dieser Akronyme ein unterhaltsamer Schlusssatz für diesen Blogpost basteln. Ich probiers einfach mal mit „Dieses Rennen Nochmal Fahren“!

Disclaimer

Die Teilnahme fand auf Einladung des Veranstalters statt, die Rennfotos wurden durch Sportograf gemacht.

Race Around Austria 2018

Zehn Mal Race Around Austria - die Geschichte des Rennens war in Sankt Georgen allgegenwärtig. Auf dem riesigen Screen im Startbereich waren die Meilensteine der bisherigen Historie zu sehen - die Erstbefahrung von Manfred Guthardt, die Jungfernfahrt des Rennens in der heutigen Form von Christoph Strasser vor zehn Jahren und die Sieger*innen der letzten Austragungen. Das Geburtstagsgeschenk machte man sich schließlich selbst - Österreichische Meisterschaften auf der Langstrecke und damit Meistertrikots, auf die viele der Teilnehmer hofften.

Die Veranstaltung selbst ist mittlerweile großartig eingespielt. Die Impressionen und Eindrücke, die ich beim RAA 2017 sammeln konnte, haben sich dieses Jahr bestätigt bzw. noch einmal verstärkt. Eine professionelle Organisation, die auch gleichzeitig eine der nettesten und sympathischsten im Veranstaltungskalender ist, entspannte und geerdete Teilnehmer, eine Gemeinde, die das RAA mit Haut und Haar mitträgt und damit insgesamt eine positive Stimmung, die sich auf alle Beteiligten überträgt - egal ob man die 2.200 Kilometer lange Extrem-Strecke fährt, entlang der Strecke fotografiert oder als Zuschauer das Spektakel genießt.

Ich habe mein RAA 2018 anders organisiert als im Vorjahr. War ich 2017 noch alleine mit dem Auto unterwegs - immer "auf der Jagd" nach Fahrern, um diese an möglichst spektakulären Orten abzulichten - war das Motto für dieses Jahr "Weniger ist Mehr". Weniger Kilometer im Auto, weniger Stress, weniger unterschiedliche Locations - mehr Überblick, mehr Kontrolle, mehr produktive Zeit. Die daraus entstandenen Fotos und Geschichten können daher immer nur Momentaufnahmen sein, Kurzberichte vom Start, von unterwegs und aus dem Ziel, fragmentarisch, punktuell aufgenommen aber dennoch (hoffentlich) einen recht umfassenden Eindruck des Race Around Austria vermittelnd.

Die Extrem-Strecke

Die Extrem-Strecke verläuft über eine Distanz von rund 2.200 Kilometern entlang der Grenzen Österreichs, dabei werden ganz nebenbei auch noch rund 30.000 Höhenmeter abgespult. Keine einfache Herausforderung - dementsprechend sind hier die Könner des Ultracycling-Fachs versammelt und all jene, die schon eine erkleckliche Anzahl an Kilometern in ihrem Radler-Leben gesammelt haben, um diese Herausforderung absolvieren zu können. Das Jahr 2018 war klimatisch und wettertechnisch deutlich besser als das Vorjahr - 2017 war das Rennen noch von Hitze, Unwettern, Hagel, Sturm, Regen und Schnee geprägt. Entsprechend schneller waren die Teilnehmer diesmal unterwegs, die erbrachten Leistungen damit allerdings um keine Deut geringer!

Anna Bachmann

Als Rookie am Start sprintete Anna geradezu vom Start weg auf die lange Strecke. Die erste Nacht wurde noch bei starkem Regen absolviert, das tat dem spannende Zweikampf mit Isabel Pulver allerdings keinen Abbruch. Wenn man das Tracking am Computer oder auf dem Smartphone verfolgte, so lagen die zwei Punkte der Fahrerinnen fast immer neben- oder sogar übereinander. Am Ende konnte sich Anna aber doch deutlich durchsetzen und rollte mit neuem Streckenrekord bei den Damen ins Ziel zurück in Sankt Georgen.

Markus Hager

Markus konnte im Vorjahr das Rennen für sich entscheiden und war dementsprechend mit der Startnummer "1" am Start in Sankt Georgen. Ich hatte das Glück, Markus im Sommer besser kennenzulernen und fieberte daher mit ihm mit, als er die Startrampe herunterrollte und auch jedes Mal, wenn ich ihm und seinem Team auf der Strecke begegnete. Seinen Vorjahressieg konnte er 2018 trotz besserer Fahrzeit nicht verteidigen. Der Zeitgewinn ist übrigens auch zu einem guten Teil auf den Umstand zurückzuführen, dass Markus (nach bereits atemberaubenden 40 Minuten im Vorjahr) dieses Mal "0" (in Worten: "NULL") Minuten geschlafen hat - in mehr als drei Tagen!  

Patric Grüner

Patric begleitete der Nimbus des ewigen Zweiten beim Race Around Austria, finishte er doch 2014, 2015 und 2016 jeweils "nur" auf dem zweithöchsten Treppchen. Auch bei der Ausgabe 2018 sah es längere Zeit nach einem guten aber eben nicht ersten Platz aus, sogar eine Beendigung des Rennens stand im Raum. Dann sah Patric den bis dahin Führenden - Rainer Steinberger - am Straßenrand stehen und aufgeben, sagte sich "Gegen den Markus Hager verliere ich nicht noch einmal" und riskierte. In einem Höllentempo durchquerte er sein Heimatland Tirol und machte sich als Führender auf in Richtung Ziel. Der Fluch des Zweiten war also gebrochen, Patric überglücklicher Sieger des Race Around Austria 2018. 2019 steht beim ihm das Race Across America am Programm - mit einem RAA-Titel in der Tasche macht die Vorbreitung darauf sicher noch mehr Spaß!

Philipp Reiterits

Immer wieder denke ich gerne an das Kennenlernen mit Philipp zurück, als Jan und ich im Mai 2016 am Glockner auf einen Radler mit RAA-Kapperl gestoßen sind. Seitdem durfte ich letztes Jahr seine Premiere auf der 1.500er-Strecke bewundern, ihn besser kennenlernen und auch seine Vorbereitungen auf den diesjährigen Start auf der Extrem-Strecke mitverfolgen. Philipp hat das Rennen stark gestartet, musste in Vorarlberg jedoch aufgrund eines sogenannten "Shermers Neck" absteigen. Dabei ermüdet die Nackenmuskulatur dermaßen, dass man den Kopf nicht mehr hochhalten kann. Philipp hat allerdings bereits nach wenigen Tagen seinen Start beim RAA 2019 angekündigt - ich freue mich schon jetzt, ihn wieder auf der Startrampe und auf der Strecke zu treffen.

4er-Teams

Die Viererteams waren 2018 zahlreich vertreten, war dies doch eine der Kategorien, in denen ein Meistertrikot zu gewinnen war. Glamour erhielt die Startbühne durch den Start des "Hill Racing Teams", sportlich konkurrierte dieses das ganze Rennen über mit dem Team "CLR Sauwald Cofain 699" - letzteres konnte am Ende den Bewerb für sich entscheiden.

Die Challenge

Die 560 Kilometer rund um Oberösterreich gelten als "Einstiegsdroge" in den Ultra-Radsport und bieten eine gute Gelegenheit, das Ganze einmal auszuprobieren. Dementsprechend ist viel los auf der "kurzen" Strecke und es tummeln sich zahlreiche - auch bekannte - Gesichter auf der Startrampe. Zu allem Überfluss dürfte ich Michi Nussbaumer - dem Veranstalter des RAA höchstpersönlich - meine Teilnahme im nächsten Jahr zugesagt haben - so sehr lässt man sich von der tollen Stimmung am Start mitreissen.

Christoph Strasser

Über "Straps" braucht man nicht mehr allzu viele Worte verlieren - er ist der Großmeister des "Weitradlfoarns" (wie es einer seiner Hashtags ausdrückt). Mit nach eigenen Angaben noch etwas müden Beinen ist er von seinem fünften Race Across America-Sieg nach Oberösterreich gekommen, um das Staatsmeistertrikot auf der Langdistanz zu gewinnen. Fragen nach Sieg und auch Streckenrekord spielte Christoph zu Beginn noch herunter - tatsächlich kann auf der kurzen Strecke der Challenge schon ein falsches Abbiegen oder ein technischer Defekt über den Sieg entscheiden. Am Ende war es dann der erwartete Sieg auf der Challenge mit einer fabelhaften neuen Rekordzeit, die wohl in den nächsten Jahren keiner knacken wird können. Und jedes Mal, wenn ich Christoph treffe, bin ich wieder positiv überrascht, wie normal, geerdet und sympathisch er ist - trotz oder gerade wegen seiner Erfolge. In Kürze wird es übrigens auf 169k mehr von Christoph und seiner gerade erschienenen Biographie "Der Weg ist weiter als das Ziel" zu lesen geben.

Barbara Mayer

Im Palmarés von Babsi leuchtet 2018 alles bronze, silber und golden - egal ob Staatsmeisterschaften Straße, Zeitfahren, Mountainbike, Salzkammergut-Trophy... Alles was Barbara angeht, endet erfolgreich - und die WM im September kommt ja erst noch. In fabelhafter Rekordzeit umrundete sie Oberösterreich und sicherte sich damit das Staatsmeistertrikot. Und dabei war immer ein Lächeln auf ihren Lippen zu sehen - so vermittelt man Freude am Sport und an der Leistung! Meine tiefe Verneigung!

geradeaus.at

Tina und Andy bloggen gemeinsam als geradeaus.at über ihre Erlebnisse, denen sie mit der RAA-Challenge im Jahr 2018 ein großes Kapitel hinzugefügt haben. Das ganze Jahr über konnte man auf ihrem Blog alles über Training, Equipment, Vorfreude aber auch die Schattenseiten der Rennvorbereitung lesen. Am Tag X lieferten die beiden dann eine großartige Leistung ab und bewiesen am meisten sich selbst, was alles möglich ist. Ein erster emotionaler Rückblick ist auf der Seite geradeaus.at nachzulesen.

Team Chase

2017 waren sie noch als Team Chase gemeinsam am Challenge-Start, für 2018 hatte man sich ein Rennen Mann gegen Mann - Felix gegen Berni - zurechtgelegt. Die Vorbereitung verlief jedoch nicht ganz so (gleichmäßig) wie geplant, dementsprechend wurde es nicht das Rennen gegeneinander sondern "nur" gegen die Zeit und die anderen Teilnehmer. Felix konnte sich - mit einer Zielankunft an seinem Geburtstag - zudem den großartigen vierten Platz sichern. 

Die 1500er

Die mittlere Runde führt über 1.500 Kilometer entlang der Grenzen des Landes, spart aber den Westteil Österreichs aus. Logistisch und vom Timing her war das Fotografieren der 1.500er eine Herausforderung, vor die Linse bekam ich großteils nur das Führungsduo Franz Scharler und Christian Gammer. Letzterer konnte das Rennen für sich entscheiden und wurde in Sankt Georgen als Sieger gefeiert.

Lesachtal

Großglockner

Exkurs: Rennradfahren rund um Sankt Georgen

Wer so wie ich etwas früher Richtung Attersee reist, kommt außerdem noch in den Genuss großartiger Rennradstrecken. Entlang der wunderschönen Seeufer (Atter-, Mond-, Wolfgang- und Fuschlsee) ist der Verkehr zugegebenermaßen ein kleiner bis mittelgroßer Spaßhemmer, wer sich aber "eine Reihe nach hinten" begibt, kommt in den Genuss menschen- und autoleerer Güterwege, pittoresker Landschaften und herausfordernder Höhenmeter. Als Abschluss hier ein paar Bilder zur Inspiration - Oberösterreich, Attergau, Race Around Austria, wir sehen uns spätestens im August 2019!

Lesachtal-Runde

So kämpft man sich Kilometer für Kilometer durch das Lesachtal, hin- und hergerissen zwischen Entzückung und Ermüdung, Staunen und Raunen, erstem Gang und großem Blatt. Alle 200 Meter erinnert die Markierung auf der Asphaltoberfläche daran, dass man noch einen weiten Weg vor sich hat.

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