"1.000k/24h" Christoph Strasser

„Die Beine sind super. Eher unwahrscheinlich, dass ich noch einbreche“

Die Person, die das formuliert und an sein Betreuerfahrzeug weitergibt, muss nicht mehr weiter vorgestellt werden. Der Begriff „Ultracycling“ ist fest mit seiner Person verbunden, er hat sämtliche einschlägigen Rennen gewonnen und Bestmarken neu gesetzt. Und nachdem es mit neuen Zielen dann immer schwieriger wird, bleiben nur noch vermeintlich unmögliche über. Und in dem quasi ultimativen Vorhaben - nämlich 1.000 Kilometer innerhalb von 24 Stunden abzuspulen - fallen diese Worte des Hauptdarstellers Christoph Strasser und zwar bereits nach 700 Kilometern. Die Tragweite der Aussage ist sowohl im Mikrokosmos dieses Rekordversuchs beachtlich als auch im großen Kontext eines Sportlers, der sich über viele Jahre dorthin gearbeitet hat, wo er jetzt steht. Spulen wir daher kurz zurück!

Wer ist Christoph Strasser?

Wer schon einmal einen der unterhaltsamen und aufschlussreichen Vorträge von Christoph Strasser gehört hat, kennt große Teile der Geschichte. Ebenso jene, die das Buch „Der Weg ist weiter als das Ziel“ gelesen haben. Das Leben des Hauptdarstellers wird häufig in Episoden und Erlebnissen aus dem Race Across America erzählt. Das mag auf den ersten Blick irgendwie vereinfacht wirken, jedoch sind es offenbar genau diese Erlebnisse, die den Sportler Strasser geprägt haben, ihn Dinge lernen, ihn jubeln, büßen, fluchen, verlieren oder gewinnen ließen. Und auch wenn die Episoden für sich alleine und losgelöst nur launige Erzählungen sind, in ihrer Gesamtheit erklären sie mitunter ganz gut, wie dieser Mensch tickt.

Wer viel - oder im Fall von Christoph Strasser quasi alles - gewinnt, ist mitunter in einer schwierigen Situation. Alle Augen sind auf einen gerichtet, die Möglichkeit des Scheiterns wird von allen Beteiligten und Kommentatoren in den Hintergrund gerückt, vielmehr rechnen eigentlich alle mit einem neuen Rekord, einer Pulverisierung des bisherigen Ergebnisses und idealerweise auch noch einer Deklassierung des restlichen Starterfelds. Schwierig natürlich auch für alle anderen Starterinnen und Starter, die sich neben Strasser an eine Startlinie stellen, aber was im Hauptdarsteller vorgeht, kann man nur erahnen. Und an dieser Stelle tritt dann üblicherweise ein bescheidener und bodenständiger Christoph Strasser auf die Bühne und entschuldigt sich geradezu für seine Leistungen. Das alles wirkt mitunter etwas surreal und auch der eine oder andere Zweifel an den Motiven von „Straps“ kann da und dort aufkommen, schließlich wird doch auch er gewinnen wollen. Es ist ein komplizierter Spagat, der hier zu vollführen ist. „Ich möchte durch meine Ergebnisse andere motivieren und zeigen, was möglich ist“ setzt er dann noch nach und in vielen anderen Sportarten würde man sich umdrehen und beleidigt fortgehen, aber Ultracycling tickt da anders. Es gibt bei Rennen wie dem RAAM grundsätzlich kein Preisgeld, damit erfolgt - wenn man so will - eine natürlich Auslese des Startfelds. Nur wer über einen ernsthaften inneren Antrieb und die entsprechende Motivation verfügt, wird sich das dazugehörige Training und die langen Stunden im Sattel antun. Dementsprechend ticken die Starterinnen und Starter im Bereich Ultracycling anders als die und der herkömmliche Radmarathonfahrende. Die meisten sind auf einer Art Suche - entweder nach einer besonderen körperlichen Erfahrung oder aber dem Kennenlernen des eigenen Körpers und Geistes. Und der gleichen Logik folgend stehen dann auch Dinge wie Neid oder Missgunst eher im Hintergrund und man freut sich mehr mit den späteren Siegern als dass man den eigenen Leistungen hinterhertrauert.

Corona?

An einem Gegner kommt allerdings auch ein Sportler wie Christoph Strasser nicht vorbei… COVID! Und während ein World Tour-Fahrer vermutlich genauso unter der Unsicherheit und abgesagten Veranstaltungen leidet, so stellt die Pandemie mit ihren Einschränkungen für Strasser als One-Man-Show ein existenzielles Risiko dar - keine Rennen, keine Planung, keine Leistungen, keine Vorträge, keine Events. Diese Unsicherheit zieht sich durch große Teile des Buches und verdeutlicht, welche wirtschaftlichen und auch psychologischen Auswirkungen Corona auf uns haben kann. Sicherlich könnte man an dieser Stelle ins Feld führen, dass ein Rekordversuch - so kühn er auch sein mag - im Kontext einer globalen Gesundheitskrise wohl nicht so wichtig sein kann. Aber wie immer sieht man selten den gesamten Kontext einzelner Handlungen und so ist es auch in diesem Fall. Das Buch beschreibt an dieser Stelle sehr gut die Suche - nach dem Sinn, nach dem Plan und nach der geeigneten Strecke. Für einen Sportler, für den es als logisches nächstes Ziel nur die 1.000 Kilometer innerhalb von 24 Stunden gibt, dreht sich nunmal alles um dieses Projekt. Auch hier offenbart das Buch spannende Einblicke in die Psyche von Strasser - das allgegenwärtige und vielstrapazierte Wort „Resilienz“ ist wohl etwas, das Straps über Jahre und mehrere RAAMs hinweg gelernt und nahezu perfektioniert hat.

Training

Und so trainiert er, organisiert, trainiert, plant, trainiert und trainiert noch mehr. Es entstehen im Buch spannende Einblicke in den Trainingsalltag, aktuelle und abgehängte Trainingspartner, Umfänge, Intensitäten, Trainingsplanung und dazugehörige Alternativen. Die teils absurden Zahlen und Werte werden dadurch nicht weniger beeindruckend oder abschreckend, lassen aber erkennen, dass hier ein Sportler über viele Jahre eine Entwicklung durchgemacht hat und sein System immer weiter zu optimieren sucht. Nicht dass es dabei keine Möglichkeit mehr gibt, zu scheitern - auch hier bietet das Buch „1000k/24“ den Gegenbeweis -, allerdings haben es Strasser und seine Crew geschafft, die Unwägbarkeiten auf ein Minimum zu reduzieren oder zumindest Antworten darauf parat zu haben.

1000k/24

Und so findet sich der ehemalige Zivildiener (in Österreich ist man damit quasi noch immer „Wehrdienstverweigerer“) letztendlich auf einem Militär-Flugfeld nahe seiner steirischen Heimat Kraubath wieder - am Fliegerhorst in Zeltweg. Die eigentliche Generalprobe für den in den USA geplanten Weltrekordversuch wird angesichts von Einreisebeschränkungen zum Hauptevent und zum Tag X. Und die Chronologie (und das Ergebnis) dieses Unterfangens ist am besten und im Detail im Buch nachzulesen - von einer Vielzahl an Weltrekorden, die bereits nach wenigen Stunden eingestellt sind, über eine kurz geballte Faust bei der Durchfahrt bei KM 1.000 bis hin zum „Weiterdrücken“, um die Latte für etwaige Nachfolgende noch ein Stück höher zu legen. Das Staunen nimmt kein Ende und man verschwendet keinen Gedanken daran, wie das in Arizona gewesen wäre, wo aufgrund der Seehöhe errechnete 40 Watt weniger notwendig gewesen wären, um die gleiche Leistung zu erbringen…

Was kommt danach?

Es hat (zumindest aus der Außensicht) fast etwas Tragisches, dass man nach einem erfolgreichen Rekord oder Projekt schon wieder ein nächstes, noch besseres einfordert oder erwartet. Strasser selbst geht mit dieser Situation professionell um, freut sich über das Erreichte, richtet aber auch seinen Blick schon wieder nach vorne. Die Frage ist in diesem Falle nur: Wie kann man das realistischerweise noch toppen?

Auf die Frage nach dem „Danach“ gibt das Buch einige Hinweise (sowohl privater als auch sportlicher Natur), konkrete Antworten muss man sich allerdings zwischen den Zeilen suchen. Spannend die Überlegungen und Vergleiche mit Lachlan Morton, der mit seiner „Alt Tour“ dem Grundgedanken des Unsupported Ultra Cycling recht nahe kommt, dem Profi-Peloton der World Tour-Fahrer und den derzeit angesagten Ultraevents. Gerade das Abgeben von Verantwortung, das Straps und seine Crew über Jahre perfektioniert haben wäre vermutlich eine enorme Herausforderung, würde sich Strasser nun an die Startlinie eines Unsupported-Rennens stellen. Aber ausschließen kann man an dieser Stelle wohl nichts - und es ist sehr wahrscheinlich, dass Straps in irgendeiner Form der Herausforderung gewachsen sein würde. Wer so viele Dinge im und abseits des Sattels erlebt hat, hat wohl für die meisten Situationen ein Rezept parat.

Lesestoff!

Eine kurze Rezension kann niemals wiedergeben, was in einem Buch im Detail alles drinnensteht. Und ich habe Vorträge von Straps gesehen und gehört, sein letztes Buch „Der Weg ist weiter als das Ziel“ gelesen und schon einige Mal mit ihm geplaudert. Und es gibt immer neue Facetten zu entdecken und weitere Geschichten, die darauf warten, erzählt zu werden: Über das RAAM, Reto Schoch, Rollentraining, erfrorene Zehen und Finger, das Race Around Niederösterreich, Mentalcoaching, Vorbilder, Drücken bis zum Schluss, Materialoptimierung, und und und!

Sitzfleisch

Und zusätzlich zum Buch sei an dieser Stelle auch noch dringend auf „Sitzfleisch“ verwiesen, den Podcast, den Christoph Strasser und Florian Kraschitzer zu Beginn der Pandemie ins Leben gerufen haben. Auch dort wartet viel Anekdotisches und Aufschlussreiches aus dem Erfahrungsschatz eines Ultrasportlers und natürlich der vielen spannenden Gäste im Podcast-Studio!

Gewinnspiel

Und es gibt natürlich ein (signiertes!) Exemplar des Buchs „1000k/24“ von David Misch und Christoph Strasser zu gewinnen - zur Verfügung gestellt von Ultracyclingshop.com und Covadonga Verlag.

Alle Teilnehmenden werden auch für den 169k-Newsletter eingetragen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, keine Barablöse. Die Teilnahme ist bis inkl. 31.01.2022 möglich, die Bekanntgabe des Gewinners bzw. der Gewinnerin erfolgt auf der Facebook-Seite von 169k und per Mail.

Race Around Austria 2019

Es war die 11. Ausgabe des Race Around Austria und meine dritte. Nachdem ich 2017 und 2018 - mit meinen Kameras ausgestattet – durch die Lande gerast bin, mit der Livetracking-Seite auf dem Telefon geöffnet, immer Ausschau haltend nach den Fahrerinnen und Fahrern, idealerweise auch noch an einer fototechnisch günstigen Stelle, hätte 2019 mein erstes Mal im Sattel werden sollen. Schon bei meinem Erstkontakt mit dem RAA bin ich dem Reiz des „Weitradlfoarns“ (wie Christoph Strasser es so schön nennt) erlegen und wollte seitdem immer selber in die Pedale treten. Die Strapazen, Anstrengungen und Entbehrungen, die man auch als Fotograf beim RAA mitbekommt und an vielen Gesichtern leicht ablesen kann vermengen sich zu einem Amalgam, das wohl nur leibhaftig „erfahren“ werden kann, so wie auch der Jubel und die Freudenmomente jener, die mitten durch das Attergauer Marktfest nach langer Fahrt wieder zurück zur Start- und Zielbühne rollen. Die Leistungen der Finisher*innen kann man bewundern, man kann sich mit ihnen freuen – was es aber wirklich bedeutet, nach 560, 1.500 oder gar 2.200 Kilometern wieder am Startort anzukommen, bleibt nur jenen vorbehalten, die sich tatsächlich auf die Reise machen.

Genau das wollte ich machen, erfahren und spüren. Allerdings war meine Vorbereitung, die ich in klassischer 169k-Manier etwas zu sehr auf die leichte Schulter genommen hatte, von Beginn an zu wenig ambitioniert, meine Konsequenz nicht ausgeprägt genug, die zeitlichen Ressourcen nicht ausreichend. Beim Super Giro Dolomiti im Juni dann der Weckruf, dass mit der bisherigen „Vorbereitung“ wohl kein Rennen zu gewinnen sein wird – der Rücken tat nach wenigen Stunden weh, die Beine waren schwer. Ohne Gram musste ich anerkennen, dass im Vorfeld für eine Herausforderung wie die Race Around Austria Challenge mehr Anstrengung und Training stehen muss, als ich mir bis dahin vorgestellt hatte. Zusätzlich fiel mir noch ein Satz aus Christoph Strassers Buch ein, der sinngemäß aussagt, dass viele Leute ihre (vermeintliche) mentale Stärke als Ausrede verwenden, um über körperliche Defizite (zu wenig Training, zu wenig KM, …) hinwegzutäuschen. Ein Umstand, mit dem man sich im Endeffekt keinen Gefallen tut. Während der Österreich Rundfahrt im Juli konnte ich Christoph noch einmal persönlich zu diesem Satz befragen und sein kurzes Nicken hat bei mir innerlich einen kleinen Schalter umgelegt, mit dem ich meine Pläne für die Challenge 2019 mehr oder weniger ad acta gelegt habe. Diese kleine „Bestätigung“ von außen habe ich offenbar gebraucht, um Sicherheit über meine bereits länger gewälzten Gedanken zu gewinnen. (Nicht falsch verstehen! Christoph hat mir das RAA nicht ausgeredet und ich habe auch keinen externen „Schuldigen“ gesucht oder gebraucht, aber mit jemandem darüber zu reden, war jedenfalls sehr hilfreich.) Und so packe ich Anfang August meine Koffer und Taschen und fahre statt auf Trainingsrunden lieber noch mit der Familie auf Urlaub, statt Ausdauernahrung ist Reiseproviant im Gepäck, die Tasche mit den Rad-Ersatzteilen weicht dem Fotorucksack – und das ist gut so. Es ist die Rolle, die ich bereits seit zwei Jahren kenne, in der ich mich wohlfühle und die mir beim Race Around Austria bis jetzt schon immer tolle Momente gebracht hat - #wecreateemotion eben.

12. August und die ersten Starterinnen und Starter rollen von der Rampe im Zentrum von Sankt Georgen. An den Eckdaten des Rennens hat sich nichts Grundlegendes geändert: Die Race Around Austria Challenge führt über eine Distanz von 560 Kilometern einmal rund um Oberösterreich und stellt so etwas wie den Einstieg ins Ultracycling dar, benötigt man für diese Strecke doch ungefähr 24 Stunden. Die beiden größeren Runden spannen hingegen den Bogen weiter – auf 2.200 Kilometern umrundet man Österreich in seiner vollen Pracht, auf der etwas kürzeren 1.500 Kilometer-Runde „erspart“ man sich den (angeblich etwas bergigen) Westteil der Strecke über Gerlos, Kühtai, Silvretta, Hochtannberg und Fernpass. An den Startzeiten und –blöcken hat das OK-Team des Rennens etwas geschraubt, sodass alle Teilnehmer möglichst rund um das Marktfest in Sankt Georgen von Samstag auf Sonntag ankommen. Es ist dieses Marktfest, das neben einigen anderen Aspekten, die Einzigartigkeit dieses Rennens ausmacht und stellvertretend für die tolle Stimmung steht, die den Fahrerinnen und Fahrer dabei hilft, die scheinbar unglaubliche Zahl an Kilometern abzuspulen. Während beim größten und wichtigsten Ultracycling-Rennen der Welt, dem Race Across America – außer den eigenen Betreuern und ein paar wahrlich eingefleischten Fans so gut wie niemand bei Start und Ziel vorzufinden ist, tragen die ganze Gemeinde Sankt Georgen, das Umland, das Bundesland und auch einige Stationen entlang der weiten Strecke rund um Österreich das Rennen voll und ganz mit, unterstützen die Organisation und helfen auf diese Weise mit, das Rennen für alle Beteiligten zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen. Man merkt meine Liebe zu diesem Rennen, und dabei bin ich es noch nicht einmal gefahren… ;)

An dieser Stelle möchte ich auch schon aufhören zu schwadronieren und lieber die Bilder der diesjährigen Austragung des Race Around Austria sprechen lassen!

Am Start

Unterwegs auf der Strecke

Im Ziel

Christoph Strasser beim RAAM

Wenige Tage vor dem Start des Race Across America hat Christoph Strasser noch die Zeit gefunden, ein paar Fragen zu beantworten und plaudert dabei - gewohnt sympathisch und offen - aus dem Nähkästchen… Über das Race Across America, Rekorde, Ziele und die Zeit danach.

Das Race Across America (RAAM) steht vor der Tür, wie haben die letzten zwei Wochen für dich ausgeschaut?

Genau zwei Wochen vor dem Start bin ich in Kalifornien - genauer in Borrego Springs - bei ca. Kilometer 140 der RAAM Strecke, das ist quasi der erste Ort, den man in der Wüste passiert. Ich hab mir schon lange abgewöhnt, über das Wetter zu jammern, aber man kann ganz nüchtern feststellen, dass das Wetter in Österreich sehr bescheiden war und hier ist es doch sehr warm und der Sprung ist recht groß und darauf muss man sich einstellen. Es hat hier momentan „nur“ 100 Grad Fahrenheit, das sind rund 37 Grad, wir hatten aber auch schon mal 40 Grad. Die Trainings, die jetzt schon noch fünf bis sechs Stunden umfassen, laufen eher puls- als wattgesteuert, weil der Puls viel höher ist und nach zwei bis drei Stunden stark zu steigen beginnt. Aber das wird von Tag zu Tag besser. Ich mache noch mittelschwere Intervalle bei 75-80 % FTP, außerdem Anstiege im Kraftausdauerbereich aber keine Spitzenintervalle mehr. Die letzten Wochen zuhause (ca. 1 Monat vor dem Rennen) habe ich einen Peak von 38 Wochenstunden gehabt, in Borrego Springs bin ich noch bei ca. 25, das geht runter auf 20 und die letzten Tage vor dem Start sind es dann nur noch zwei Stunden.

Unser Motel hat einen kleinen Pool, in dem man gut regenerieren kann. Und außerdem eine kleine Küche, in der wir immer selbst kochen. Da sind mir frische Zutaten und viel Gemüse wichtig. Niemals essen gehen, weil man da nie weiß, was man genau bekommt. Es darf auch schon mal ein Burger sein, zumindest einmal gehört das als Ritual dazu. Wir sind jetzt zu dritt da, zwei Betreuer mit mir, die jetzt auch selber noch etwas zum Radeln kommen - sie sind dann eh acht Tage eingesperrt im Auto, jetzt bekommen sie noch ein bisschen Auslauf. Wir haben die drei Räder mit, die werden alle testgefahren, dann gibt es ein kleines Service (Kette tauschen, putzen, Reflektoren aufkleben, Satteleinstellungen, Reservesattel testen - da gibts viele Stellschrauben an denen man dreht). Das sind die Dinge, die neben meinen Trainings-Einheiten die Tage vor dem Rennen füllen. Am Start muss man absolut erholt und klar im Kopf stehen.

Es ist deine neunte Teilnahme und du visierst den sechsten Sieg an (und wärst damit alleiniger Rekordhalter). Du musst das Rennen mittlerweile auswendig kennen und weißt auch, welche Strapazen auf dich zukommen. Wie motivierst du dich (noch immer) für das Rennen?

Es stimmt, dass ich es auswendig kenne - das liegt daran, dass sich die Strecke jetzt quasi seit einem Jahrzehnt nicht geändert hat. Der Vorteil ist, dass man weiß, worauf man sich einstellt, man kann jeden Streckenabschnitt optimieren, weiß wo man auf welches Rad wechseln soll, kennt alle Parkbuchten, weiß Plätze für Pausen, wo das Wohnmobil für eine Stunde Schlaf in Ruhe stehen kann. Natürlich wäre es attraktiver und spannender, wenn sich die Route wieder mal ein wenig ändern würde. Wolfgang Fasching ist beispielsweise einmal im Norden in Portland gestartet und ist in Florida ins Ziel gefahren, da war die Route eine ganz andere. Da kann man dann allerdings die Zeiten überhaupt nicht miteinander vergleichen - andere Berge, andere Landstriche, ein anderes Rennen.

Ich kenne großteils die Strapazen, die auf mich zukommen - auch wenn immer wieder neue Dinge passieren, mit denen man nicht rechnet. Ich kenne aber auch die positiven Aspekte, die immer wieder bei einem Rennen auftreten und die eigentlich auch immer überwiegen. Das ist schon eine sehr, sehr große Motivation. Es ist ein sehr angenehmer und aufregender Ausnahmezustand, in dem man da ist. Man trainiert das ganze Jahr darauf hin und es ist sehr erfüllend, sich jeden Tag seinem Ziel nach und nach anzunähern. Das Erlebnis des Rennens an sich, die Hochs und Tiefs, die man mit seinem Team erlebt und durchsteht, die vielen Menschen, die man trifft und die einen anfeuern - es sind nicht viele Fans, aber die wenigen, die das mitverfolgen sind dafür umso enthusiastischer und intensiver dabei. Es ist jedes Jahr anderes Wetter, teilweise andere Betreuer, neue Konkurrenten - es ist immer ein anderes Rennen, eine neue Challenge und eine neue Erfahrung!

Man kann den Vergleich anstellen mit einem Schifahrer, der jedes Jahr den Nachtslalom in Schladming bestreitet oder die Hahnenkammabfahrt runterfährt. Es ist trotzdem jedes Jahr eine große Sache, beim größten Radrennen der Langstreckenszene dabei zu sein, das ist eine große Ehre. Und wenn ich mich dafür entscheide, eine Saison zu fahren, dann möchte ich da auch die größten oder das größte Rennen fahren und das ist halt das RAAM - vom Mythos her, vom Stellenwert her. Dass das Race Around Austria (RAA) beispielsweise von den Zuschauern vor Ort, von der Organisation und der Professionalität her in einer höheren Liga ist und einfach einzigartig geil ist, muss natürlich auch erwähnt werden.

Ich schaue gerne Tennis, ich schaue gerne Fussball - es gibt in vielen Sportarten Leute, die schon viel gewonnen haben, ob das Nadal, Federer oder Djokovic sind (wie jetzt gerade bei den French Open) und seit Jahrzehnten das Ganze dominieren. Die spielen im Prinzip glaube ich alle, weil sie den Sport lieben, das Leben mit dem Sport lieben, das ist die Grundmotivation. Und so ist das auch bei mir. Nur auf Erfolge und Rekorde loszugehen, würde zu wenig Motivation bringen. Ich hab auch unter dem Jahr Wege gefunden, mich zu motivieren, an mir zu arbeiten, im Training alles zu geben, mit meinem Coach Trainingsziele zu definieren. Mir sind auch kleinere Rennen wie z.B. das Zeitfahren in Mörbisch oder der King of the Lake wichtig, weil ich darauf hintrainieren kann, darin einen Sinn sehe, ein besserer Radfahrer zu werden. Wenn ich etwas machen würde, nur um meinen Bekanntheitsgrad zu steigern oder das marketingtechnsich auszuschlachten, dann dürfte ich schon lang nicht mehr beim RAAM mitfahren, weil im Prinzip jedes Jahr die gleiche Geschichte für die Medien nicht wirklich mehr interessant wäre. Ich mache das aber nicht aus diesem Grund, sondern weil ich das Rennen geil finde!

Wie wichtig ist dir der Rekord der meisten RAAM-Siege?

Der Rekord ist mir ehrlich gesagt schon wichtig. Es waren mir die letzten Jahre viele Dinge nicht wichtig, wenns um Erfolge und Rekorde geht. Ich mache das, was ich gerne mache und wenn man sich dabei selbst treu ist und über Jahre etwas konsequent und langfristig macht, dran bleibt und eine Ausdauer hat in seiner mentalen Einstellungen, dann kommen die Erfolge sowieso früher oder später. Die sind nicht das Ziel an sich, sondern die Folge davon, wenn man tut was man mag.

Aber jetzt ist ein Punkt erreicht, wo mir das schon wichtig ist, einen sechsten Sieg zu schaffen, weil ich selber eigentlich noch immer nicht glauben kann, dass ich überhaupt schon fünf mal gewonnen heb. Ich hab das noch so lebhaft in Erinnerung vor mir, als ich vor mittlerweile zehn Jahren zum ersten Mal am Start gestanden bin. Und irgendwie schließt sich jetzt zehn Jahre später der Kreis und es gibt diese einmalige Chance, vor allem auf drei Siege in Folge - das ist für mich etwas ganz Besonderes. Es ist sehr selten, das jemand die Möglichkeit für so etwas hat - und das hat bis jetzt noch niemand geschafft, weil es glaube ich auch ein Problem mit der Langzeitmotivation ist. Wenn man schon ein paar Siege auf seinem Konto hat, schrumpft irgendwie der Hunger, an sich zu arbeiten.

Startest du danach noch weiter beim RAAM?

Das kann oder will ich jetzt noch nicht sagen. Ich konzentriere mich jetzt einmal voll und ganz auf dieses Rennen. Was sicher ist: Wenn es mir heuer nicht gelingt, dann möchte ich beim RAAM auf jeden Fall wieder teilnehmen. Und ich möchte heuer so fahren, als wäre es mein letztes Mal, als wäre es meine letzte Chance dort etwas ganz geniales abzuliefern und mein bestes zu geben. Ob es dann das letzte Mal ist, wird man sehen. Sollte aber ein sechster Sieg gelingen, dann werde ich sicher darüber nachdenken, ob ich in Zukunft nicht andere sportliche Herausforderungen beim Ultracycling (also andere Rennen) in Angriff nehme. Aber das ist alles noch zu weit weg - jetzt heißt es einmal, nächste Woche fit am Start zu stehen, vielleicht so fit wie noch nie zuvor und einfach acht Tage Vollgas „owedrucken“.

Wie ordnest du dich rund um Wolfgang Fasching ein – seinen Rekord, bei jeder Teilnahme aufs Podium zu fahren – kannst du ja nicht mehr erreichen?

Da möchte ich etwas weiter ausholen. Es hat viele große Fahrer gegeben, die gerade dem RAAM einen Stempel aufgedrückt haben. Zum Beispiel Franz Spilauer, 1987 Dritter und 1988 Sieger, war der erste Österreicher, der das Rennen bei uns bekannt gemacht und der erste Europäer überhaupt, der das RAAM gewonnen hat. Er hat definitiv Pionierarbeit gearbeitet und damit dazu beigetragen, dass das RAAM bei uns in Österreich so bekannt ist. Und Wolfgang Fasching hat dann mit acht Teilnahmen, drei Siegen und einem Podium bei jeder Teilnahme natürlich ganz was Einzigartiges geschafft - immer ins Ziel zu kommen und immer ganz vorne dabei zu sein. Das ist wiederum von der sportlichen Leistung her wesentlich höher einzuschätzen.

Unter dem Aspekt muss ich auch meine derzeitigen Leistungen sehen. Mir ist schon bewußt, dass ich rein von den Zahlen her jetzt schon gewaltige Sachen geschafft habe, aber ich muss auch Danke sagen an meine Vorgänger, die Ultracycling in Österreich bekannt gemacht haben. 2003 war der letzte Sieger aus den USA beim RAAM, seitdem gab es sechs Siege für Österreich, fünf für Slowenien durch Jure Robic, drei mal Schweiz und einmal Deutschland durch Pierre Bischof. Seit 2003 waren nur diese Länder erfolgreich und dort finden auch die meisten 24h- und Ultra-Rennen statt, dort ist der Sport erfolgreich. Es gibt die Veranstaltungen, die neuen Fahrer kommen nach - das ist glaube ich der Grund, warum diese Nationen dort so gut sind. Wolfgang ist immer noch ein großes Vorbild - sportlich und menschlich - und deshalb glaube ich auch, dass man unsere Leistungen nicht unbedingt vergleichen kann.

Es hat aber natürlich in der Zeit seitdem auch viele technischen Fortschritte gegeben. Und das ist jedenfalls eine Stärke von mir, meinem Team und meinem Ausstatter Specialized. Der hat mich beispielsweise überredet, das Rennen einmal mit einem Zeitfahrer zu versuchen, und seitdem ist es quasi Standard, dass jeder Fahrer ein Rennrad und ein Zeitfahrrad dabei hat. Wir haben sehr viele Dinge ausprobiert, verfeinert und dazugelernt, die es zu Zeiten von Wolfgang Fasching in dieser Form noch nicht gegeben hat oder noch nicht Stand der Technik waren.

Welche Menschen 1. allgemein und 2. auf dem Rad inspirieren und motivieren dich?

Inspirierende Menschen sind für mich ganz allgemein Menschen, die trotz Schicksalsschlägen oder Unfällen mit Verletzungen und/oder Behinderung - vielleicht im Rollstuhl sitzend - nicht aufgeben und darum kämpfen, ein gutes Leben zu führen. Das ist für mich immer etwas sehr bewegendes, vor allem wenn solche Menschen z.B. dann auch an Langstreckenradrennen erfolgreich teilnehmen. Das ist immer sehr, sehr bewegend.

Ein persönliches Vorbild für mich im Sportbereich ist der Tennisspieler Roger Federer. Extremsportler, Kletterer oder ähnliche Charaktere faszinieren mich nicht so stark wie er. Federer vereint sehr viel in seiner Persönlichkeit. Er hat mittlerweile wirklich alles gewonnen, trotzdem ist er nach wie vor hoch motiviert, findet immer wieder neue Methoden, verschließt sich keiner neuen Herangehensweise, entwickelt neue Schläge und Spielweisen. Er ist ein echter Sir, höflich, cool, nett, am Boden geblieben - wenn man nach den Medien geht und Menschen, die sein Umfeld kennen. Sein Verhalten ist absolut edel und ich finde er ist eine riesengroße Inspiration auch für mich, der mit Tennisspielen im Grunde überhaupt nichts am Hut hat, außer dass ich alle Tennisspiele der Saison verfolge. Das ist ein cooler Sport, wo Mann gegen Mann, Persönlichkeit gegen Persönlichkeit antritt - alle Hochs und Tiefs und wie sich das abwechselt, das finde ich sehr faszinierend.

Einen Radfahrer als besonderes Vorbild habe ich auch, das war natürlich Jure Robic. Mit dem habe ich mich in meinen Anfangsjahren oft gemessen - Wolfgang Fasching hat ja mit dem Radfahren aufgehört, bevor es bei mir richtig gut gelaufen ist. Robic hat zwei Dinge vereint: zum einen ein absolut netter Mensch, umgänglich, cooler Typ, lustig - aber wenn er am Rad gesessen ist, war er eine Kampfmaschine, da ist nur nach vorne geschaut worden, keine unnötigen Pausen, kein Smalltalk, keine unnötigen Höflichkeiten, das ist nur Vollgas gefahren worden. Und das Ganze mit einem Tempo und einer Intensität, wo ich mir früher gedacht habe, das ist ja unglaublich, bei einem derart langen Rennen wie dem RAAM. Mittlerweile hab ich selber am eigenen Köper erlebt, dass man - mit richtig gutem Training und vielen Jahren im Sport - irrsinnig schnell und sehr, sehr lange fahren. Aber er war für mich insofern ein Vorbild: „Sei ein netter Kerl, aber wennst am Radl bist: sei a Maschin!“ In beiderlei Hinsicht hab ich immer versucht, mir von ihm eine Scheibe abzuschneiden.

Was sind die wichtigsten Punkte, die du aus deinen bisherigen Teilnahmen gelernt hast und jetzt umsetzen möchtest?

Gelernt hab ich soviel, dass das mittlerweile ein Buch gefüllt hat. Die wichtigste Sache ist die körperliche Fitness, das wird oft unterschätzt. Man hört sehr oft, es spielt sich das meiste im Kopf ab - das möchte ich etwas relativieren. Im Kopf musst du wissen, „warum mache ich das, wo will ich in ein paar Jahre stehen, und wie wichtig ist das für mich und vielleicht mein weiteres Leben“. Man muss über gewisse Dinge Klarheit im Kopf haben, darf keine offenen Fragen oder Konflikte mit sich herumtragen. Mentale Stärke wird aber oft als Ausrede verwendet, für Leute, die körperlich vielleicht nicht so fit sind oder nicht so viel Zeit zum Trainieren haben. Aber die körperliche Fitness brauchst du, das ist die absolute Basis und du kannst nur dann richtig schnell fahren, wenn du irrsinnig viel trainiert hast. Da hab ich mich von Jahr zu Jahr weiterentwickelt, denke ich.

Ich habe auch gemerkt, wie wichtig ein eingespieltes Team ist - du hast es glaube ich in deinem Bericht über das RAN ansatzweise miterlebt, was das ausmacht. Das Team muss so eingespielt sein, dass man ein gemeinsames Ziel hat, es darf keine unterschiedlichen Interessen im Betreuerteam geben. Ein eigenes Kapitel sind natürlich die Abläufe - wie das Team arbeitet, dass man nicht unnötig irgendwo eine Minute steht, dass man keine Fehler macht. Zwischenmenschliche Fähigkeiten sind notwendig, wenn die Phasen kommen, in denen der Radfahrer verwirrt, übermüdet und dünnhäutig wird - dann braucht man einfach Leute, die mit solchen Situationen auch umgehen können.

Ausrüstung ist natürlich auch eine eigene Thematik. Es ist mittlerweile etabliert, mit einem Zeitfahrrad und einem Rennrad unterwegs zu sein, ich habe sogar drei Räder - das Roubaix, das Tarmac und das Shiv, von meinem Ausstatter Specialized zur Verfügung gestellt. Komfort, Leichtigkeit und Aerodynamik sind die drei wichtigsten Punkte bei den Rädern.

Man braucht ein großes Ziel, aber man muss auch flexibel sein. Es gibt so viele Faktoren, die das von außen beeinflußen, das Ziel möglicherweise verhindern. Dann muss man im Kopf in der Lage sein, auf Plan B oder C umzuschalten, was dann schwierig ist, weil man sich natürlich unterbewusst auf ein Ziel einstimmt. Und wenn man nach zwei oder drei Tagen merkt, ich kann das nicht mehr erreichen, weil gewisse Faktoren nicht mehr mitspielen, dann besteht die Gefahr, dass man frustriert ist. Da arbeite ich sehr stark an mir selbst, dass ich - auch wenns nicht so gut läuft wie erträumt - trotzdem dranbleibe und nicht beginne zu resignieren.

Hat sich zu den Vorjahren etwas verändert? (Streckenänderungen oder ähnliches)

Nein, es gibt keine Änderungen. Die Strecke ist gleich, hie und da eine Baustelle, hie und da eine Umleitung. Das Wetter war sehr schlecht, es gab Überflutungen und einige Straßen sind kaputt. Man muss schauen, wie das Wetter wird, was die Wochenverfassung hergibt - wobei das mit der Trainingssteuerung gut auf den Punkt gebracht werden kann. Ansonsten werden wir das gleich angehen wie im Vorjahr, hoffentlich gleich gut und im Idealfall noch um eine Spur schneller.

Welchen Stellenwert hat das Team für dich und allgemein bei einem derartigen Unterfangen?

Einen unglaublich hohen Stellenwert. Ich hab für mich eine Aufschlüsselung, die lautet: 33% körperliche Fitness, 33% geistige Fitness und Motivation (auch unter dem Jahr, um zu trainieren) und 34% das Team. Weil die können mir - wenns mir körperlich und mental schlecht geht - helfen, achten auf meine Gesundheit, entscheiden, wann Pause gemacht wird, überwachen meine Nahrungsaufnahme… Im Prinzip tun die alles für mich - mein Job ist nur, rechts und links runterzutreten, munter zu bleiben, aufs Team zu hören und keinen Starrsinn zu entwickeln. Und ich glaube es ist eine meiner und unserer größten Stärken, dass ich loslassen und vertrauen kann und nicht alles unter Kontrolle haben muss. Viele andere Radfahrer können das nicht, wollen immer selbst alle Entscheidungen treffen, und das hat nach meinen Beobachtungen nie oder nur sehr selten zum Erfolg geführt.

Woran denkt man nach ein paar Tagen auf dem Rad – wie lenkt man sich ab, oder ist man in einer Art Trance?

Das ist einfach erklärt - hoffentlich an gar nichts. Idealerweise hat man Freude, hat Betreuer die einen Spaß machen, Musik, die man hören kann, Gespräche, die einen ablenken. Wenn man zum Nachdenken anfängt, ist das schlecht! Man muss aber eigentlich die Frage anders stellen, nämlich wie man das ein ganzes Jahr lang aushält, in der Vorbereitung. Wenn sieben Stunden Ergometertraining am Plan stehen, das sind die wirklich harten Geschichten - wo ich mich oft selber frage, wie schaffe ich das. Aber da hab ich ein Ziel vor Augen und Ablenkung (Fernsehen, Trainingskollegen, Musik…) und im Rennen ist es dann eigentlich recht spannend, weil es Konkurrenten, Zwischenstände und Berichterstattung in den sozialen Medien gibt. Über Facebook kommen Nachrichten und Kommentare, Leute teilen mir mit, wie sehr sie durch meine Leistungen motiviert werden und wie sehr sie mir die Daumen drücken. Der Zuspruch von außen hilft mir schon sehr - aus ganz eigener Kraft würde ich niemals so eine Leistung abrufen können oder mit so wenig Schlaf durchkommen.

Ernährungstechnisch setzt du weiterhin auf Ensure Flüssignahrung? Wie individuell ist Ernährung, wie findet jede*r am besten heraus, was ihm/ihr am besten passt?

Ja, ich setzte weiterhin (und das mittlerweile seit einem Jahrzehnt) auf Ensure Flüssignahrung, und auf das GS High Energizer Getränk, bei dessen Entwicklung ich mit dabei war - das sind die zwei Dinge, die ich zu mir nehme, abgesehen von einigen Nahrungsergänzungen (z.B. Panaceo mit Guarana, was beim Munterbleiben hilft, Magnesium, Salztabletten…) Aber Ernährung ist individuell, so wie auch Trainingsplanung individuell ist - es verträgt nicht jeder das gleiche. Aber ein Grundmotto sollte immer gelten - auch wenn es nicht Flüssignahrung ist: so leicht verdaulich, wie möglich (da ist Flüssignahrung natürlich optimal, weil der Magen nichts zu tun hat und mehr Energie für die Muskulatur zur Verfügung steht) und es sollten damit 300-500 Kalorien pro Stunden geliefert werden, damit man seine Leistung aufrecht erhalten kann. Welche Produkte da genau passen, muss man aber einfach ausprobieren.

Was sind deine Pläne für 2019 nach dem RAAM?

Ich möchte auf jeden Fall beim Race Around Austria dabei sein, eventuell in einem Zweierteam, wobei sich das erst nach dem RAAM final entscheiden wird. Im September findet der King of the Lake statt und eine Woche später gibts in Holland eine Art Monster-Zeitfahren über 140 Kilometer - das möchte ich gerne machen. Ich möchte aber auch noch einmal versuchen, in 24h die 1.000 Kilometer zu knacken. Es ist da tatsächlich noch nichts konkretes geplant aber darauf will ich mich nach dem RAAM vorbereiten. Die Frage wird sein, wo man sowas machen kann - auf der Indoorbahn wird das nicht funktionieren, vielleicht eine Outdoorbahn oder irgendein lässiger, abgesperrter Kurs. Viele Fragezeichen noch, ich bin mir aber sicher, dass es bei körperlich und ausrüstungstechnisch perfekten Bedingungen möglich ist, die 1.000 km an einem Tag zu knacken. Das ist noch eines meiner Lebensziele, das ich mit dem Radfahren erreichen will.

Wohin geht dein Weg mittel/langfristig? Ist das RAAM noch steigerbar (ohne dass es irgendwann „absurd“ wird – Stichwort DecaUltraIronmans usw.)

Da hab ich noch keinen genauen Plan. Ich konzentriere mich aufs Hier und Jetzt, aufs jeweils nächstgrößere Ziel. Wenn ich zu weit in die Zukunft denke, habe ich zu wenig Zeit für das Hier und Jetzt. Ich werde sicher weiter Radfahren, auch wenn das RAAM dann nicht mehr mein Saisonhöhepunkt sein sollte. Das RAAM ist grundsätzlich schon steigerbar, ich sehe das nicht von der Distanz her - man sieht bei anderen Menschen, dass weiter fahren kein Problem ist und ich weiß auch, dass ich weiter fahren könnte. Ich frage mich aber eher, wie schnell ich noch fahren kann auf den langen Distanzen. Für mich wäre es ein größerer Erfolg, bei einem 24h Rekordversuch noch ein paar Kilometer draufzulegen, bei einem RAAM die Durchschnittsgeschwindigkeit um noch ein paar Zehntel zu erhöhen oder nochmal unter acht Tagen zu bleiben. Das zu schaffen hat für mich mehr Reiz und hat einen größeren Stellenwert als eine doppelte oder dreifache Strecke zu fahren, was funktionieren würde, aber mich in der Form nicht unbedingt interessiert.

1.000km in 24h? Möglich bzw. dein nächstes/ultimatives Projekt?

Für mich ist es ein Ziel, wie richtige Radfahrer in der Pro Tour, Rennfahren auf die lange Strecke zu bringen. Ich glaube, dass man das auf 1.000 Kilometern in 24 Stunden auch zuspitzen kann. Aber wie vorhin schon gesagt, die Dinge sind hier erst in Planung. Es wird wieder Windkanaltests bei Specialized usw. geben, aber die größte Frage betrifft natürlich die Streckenwahl.

Gibt es andere Bereiche des Radsports, die dich reizen?

Sehr stark Zeitfahren - auch die kürzere Strecken, weil ich die Physik dahinter sehr spannend finde, die Mischung aus Aerodynamik und Leistung. Es ist die ehrlichste Disziplin, kein Taktieren, kein Windschatten, es gibt nur die Strecke, das Rad und dich. Vielleicht interessiert mich das auch besonders, weil ich dagegen Langzeitbelastungen (Schlafentzug, lange Zeiträume) schon so oft erlebt habe und da schon viel herausgefunden habe, wie man das schaffen kann. Aber die neuen Herausforderungen sind für mich diese klassischen Zeitfahren, die finde ich echt, echt cool.

Interessieren dich „Michael Strasser-Projekte“?

Ich hab den Wettkampf sehr gerne, ich finde es so cool, wenn Rennen stattfinden, wenn man sich auf einen fairen, ehrlichen, sich gegenseitig respektierenden Wettkampf einlässt, sich mit anderen Leuten misst, die gleiche Strecke absolviert und Wetterbedingungen hat und dann einfach schaut, wer kann schneller die Strecke zurücklegen. Das ist für mich der Grundgedanke des sportlichen Wettkampfs und das würde mir bei derartigen „Abenteuern“ etwas fehlen.

Michael Strasser macht das wirklich gut, er hat eine gute Vermarktung, eine Charity-Aktion dabei, von anderen in dieser Szene hört man eher weniger. Überhaupt ist die Vermarktung ein Schlüssel bei Projekten dieser Art: Wolfgang Fasching ist quer durch Russland und dabei 480 Kilometer am Tag gefahren. Amanda Coker - eine junge Amerikanerin - hat über ein Jahr lang täglich 380 km zurückgelegt, da hat kaum einer etwas davon mitbekommen. Da ist die Vermarktung ein ganz wichtiger Faktor, und das macht der Michi Strasser ganz großartig. Trotzdem bin ich persönlich mehr begeistert von Rennen und werde in Zukunft auch bei Veranstaltungen bleiben oder bei der Auslotung, was in 24h auf einer vorgegebenen Strecke möglich ist, wo es auch schon seit Jahrzehnten immer wieder Rekordversuche gibt, ähnlich dem Stundenweltrekord bei den Straßenfahrern.

Stichwort Zeitfahren: Ausbaufähig für dich? King of the Lake, Neusiedler bist du ja ganz vorne dabei. Wie schaffst du es (zb beim KOTL) über eine Stunde so gut zu sein, obwohl du ja vermutlich mehr für die lange Belastung trainierst?

Ich arbeite hart daran, ein paar Watt zuzulegen und ein paar Sekunden dazuzugewinnen. Extrem viel herausholen werde ich nicht mehr - ich bin jetzt 36 Jahre alt, da wird man nicht mehr so viel schneller. Ich werde bei der Sitzposition noch einiges herauskitzeln - alleine auch schon für die 1.000 Kilometer. Ich trainiere viel im intensiven Bereich nachdem ich jahrelang hauptsächlich Ausdauer trainiert habe, mittlerweile sind viele hochintensive Einheiten dabei.

Und warum ich auf eine Stunde so schnell fahren kann ist auch zusätzlich leicht erklärt: Ich wiege 80 Kilo und kann 400 Watt treten, das sind 5 Watt/Kg und damit ein Wert, den viele gut trainierte Radfahrer schaffen. Das heißt, das ist kein besonders außergewöhnlicher Wert, sonst würd ich die Tour de France fahren können. Mit 5 Watt/Kilo ist man aber ein guter Zeitfahrer - ich mag Zeitfahren und finde es cool, bin viel am Zeitfahrer unterwegs und arbeite an meiner Position. Außerdem bin ich mir sicher, dass man nur dann ganz schnell sein kann bei Langstreckenrennen, wenn man auch Zeitfahren trainiert, denn dort lernt man auch in der Ebene anzudrücken. Am Berg ist es viel einfacher ein Intervall zu trainieren… Die langen Rennen werden hauptsächlich in der Ebene entschieden und nicht in den Bergen, dort kann man sich maximal zerstören. Speed und Tempo macht man aber im Flachen!

Wie wichtig ist es für dich, deine Leistungsdaten und Trainingsumfänge offenzulegen, nach außen zu kommunizieren? Und was bekommst du da für Feedback?

Offenlegen von Trainingsdaten finde ich wichtig, auch wenn ich Strava nicht am Handy installiert habe, mich nur alle drei Monate einlogge, mein Passwort immer vergesse und dort auch nur einer Person folge. Aber zusätzlich zu WhatsApp, Facebook, Instagram usw. ist mir das als zusätzliche Plattform ehrlicherweise auch zu viel. Trotzdem möchte ich viele Sachen offenlegen und zeigen, welches Training dahintersteckt, warum diese guten Leistungen auf der Langstrecke zustande kommen. Zu verheimlichen gibt es nichts, es muss ohnehin jeder für sich selber trainieren, es gibt ja auch keinen fixen Trainingsplan, der zum Erfolg führt. Um sein letztes Potential auszuschöpfen bedarf es jedenfalls einer individuellen Trainingsplanung.

Tauscht du dich regelmäßig mit irgendwelchen anderen Radsportlern aus, hast du gute Freunde im Radsport als solches – oder „arbeitest du das ganze Jahr alleine vor dich hin“?

An sich sehr gerne, „Problem“ ist, dass ich das als Vollzeitjob mache und da nur sehr wenig Andere mitkönnen, vor allem auch vom Zeitbudget her. Da bleibt dann nichts anderes über, als alleine zu trainieren. Ich habe aber im Keller eine zweite Walze stehen, wo wir im Winter oft zu zweit fahren und plaudern können und dabei auch jeder sein eigenen Tempo fahren kann.

Bemerkst du einen „Boom“ (oder zumindest Zuwachs) bei Ultraradsportevents (RAN, RAA, Glocknerman usw.), wie siehst du die zunehmende Massentauglichkeit solcher Veranstaltungen?

Der Boom ist definitiv sichtbar, die absolute Dichte an der Spitze ist aber eher wieder etwas weniger geworden. 2013 waren z.B. sechs Österreicher beim RAAM am Start, das war quasi der Gipfel der Leistungsdichte. Durch die Rennen - v.a. RAA, 24h-Rennen - finden sich auch in Österreich immer mehr Teilnehmer, trotzdem ist es nicht wirklich möglich, den Sport - wie das z.B. beim Trailrunning der Fall ist - richtig zu boomen. Rennen wie ein RAAM bringen einfach so einen logistischen Aufwand mit sich, dass hier nie ein derartiger Massenmarkt entstehen wird können. Wahrscheinlich würde auch der Charme, das Puristische und Abenteuerliche etwas verloren gehen, insofern ist es glaub ich auch gut wie es ist.

Die RAA Challenge ist sicher ein Format, das tauglich und schaffbar für eine größere Menge an Menschen ist. Umso länger und selektiver die Rennen werden, desto geringer die Teilnehmerzahlen. Aber der ganze Sport hat sich im letzten Jahrzehnt prächtig entwickelt und ich hoffe, dass es in dieser Tonart weitergeht.

Ist “Weitradlfahren” das „bessere“ Wettkämpfen (also „besser“ als „Schnellfahren“) (was macht für dich den Reiz der Langstrecke aus)?

Es ist einfach eine andere Art von Wettkampf. Für mich ist auch der Vergleich mit den anderen Fahrern wichtig, aber der Fokus liegt auf dem Bewältigen der Strecke und weniger im Besiegen der Gegner. Es ist leichter zugänglich, man braucht keine Teams, in denen man sich qualifizieren muss, es ist ein sehr puristischer und individueller Sport und das ist sehr schön so. Und es ist dann doch auch ein Erfolg über sich selbst, über den inneren Schweinehund, die Zweifel, die Tiefs, die man zwischendurch erlebt. Sich da durchzukämpfen, ist ein sehr persönlicher Erfolg, den jeder für sich feiern kann, ganz unabhängig von der Platzierung, die dann in der Rangliste steht. Und das macht den Sport so beliebt - weil es zweitrangig ist, ob man in der Rangliste einen Platz weiter vorne oder hinten ist. Für mich ist das natürlich schon ein anderes Thema, weil ich das zu meinem Lebensmittelpunkt gemacht habe.

Welchen Stellenwert hat (gutes) Material auf der Langstrecke? (Beim RAA zb. wird ja teilweise mit Shimano 105 oder ähnlichem gefahren, während man im Wienerwald manchmal den Eindruck gewinnt, man könne ohne Dura Ace und Hochprofilfelgen keinen Meter fahren…) ;)

Material ist an sich schon sehr wichtig, aber erst, wenn man sein absolutes Leistungspotential ausschöpfen oder seine Performance maximieren will. Für einen RAA- oder RAAM-Sieg braucht es sicher Topmaterial, aber das hindert natürlich niemanden, mit einem alten Stahlrad an den Start zu gehen um ein persönliches Ziel zu erreichen. Man wird vielleicht hie und da weniger „Hinternweh“ haben, weniger eingeschlafene Finger, ein bissl schneller Bergauffahren können - aber das ist für ein persönliches Finish überhaupt nicht wichtig. Material ist da das Mittel zum Zweck aber nicht die Voraussetzung. Der Ultraradsport ist da grundsätzlich recht unprätentiös.

Kann man mentale Stärke trainieren? Gibt es Tricks, zu fokussieren/sich zu konzentrieren, die du anwendest oder empfehlen kannst?

Das kann man definitiv trainieren und ist ein ganz wichtiger Faktor. Es ist eine gute Sache zu wissen, warum man etwas macht, weil Momente kommen, wo es einem schlecht geht, wo man keine Lust mehr hat, keinen Sinn mehr darin sieht. Und wenn man sich erst einmal die Sinnfrage stellt, hat man schon ein massives Problem. Die Sinnfrage für sich schon im Vorfeld zu klären, ist extrem wichtig. Man muss sie beantworten können („Warum tu ich mir den Schas an?“), wenn man mitten in der Nacht aufgeweckt wird.

Man kann sich in der Hinsicht auch mit mentalen Übungen verbessern, da geht es viel um die Definition des eigenen Ziels. Zum Beispiel aufzuschreiben, welche kleinen Schritte man schafft, weil man am Schluss dann sieht, was man dafür investiert hat und das Ziel wird dadurch einen höheren Stellenwert bekommen. Wenn ich mir bewusst bin, dass ich jahrelang für Etwas gearbeitet habe, dann werde ich es auch nicht so schnell aufgeben - im Gegensatz zu „Schnell-Schnell-Aktionen“. Umso mehr auf dem Spiel steht, umso eher wird man durchbeissen. In meinem Fall steht sehr viel auf dem Spiel - dass ich davon leben kann, dass ich Vorträge halten kann, Sponsoren finde… da ist Aufgeben keine Option!

Eine gute Übung ist - egal ob am Heimtrainer oder auf der Couch - zehn Minuten die Augen zu schließen und den Moment zu visualisieren, wenn man über die Ziellinie fährt - wie es sich anfühlen wird, was die Betreuer sagen werden, wie es dort riechen wird, was man sich dort gönnen wird, wie der Moment dieser Ankunft ausschauen wird. Wenn diese Momente im inneren Kopfkino immer wieder erlebt werden und man quasi abspeichert, wie schön dieser Moment sein wird, dann kann man darauf zurückgreifen, wenn es dann mal nicht so rund läuft. Dann wird das Unterbewusstsein sagen, wie toll das im Ziel sein wird, genau so, wie man sich das vorgestellt hat und die Motivation weiterzumachen wird da sein. Eine ganz einfache Übung, mit der man sich sehr viel helfen und Gutes tun kann. Am besten einfach mal auf dem Heimtrainer zehn Minuten die Augen zumachen und sich das Ganze vorstellen - und zehn Minuten mit geschlossenen Augen sind eine lange Zeit!

Wie hast du dir deine Bescheidenheit und „Erdung“ erhalten über die Jahre?

Das selbst zu beantworten, ist schwierig. Grundsätzlich ist es einen Persönlichkeitsfrage - ich wollte immer das machen, was mir Spaß macht, Radfahren! Dass mit der Zeit diese Bekanntheit entstanden ist und ich für viele Leute eine Vorbildfunktion einnehme, das stresst mich ehrlicherweise auch manchmal. Ich habe etwas gefunden, was ich gerne mache und was gut läuft - ich bin aber deshalb kein besserer Mensch, und hab deshalb keinen Grund zu glauben, besser zu sein als jemand anderer. Ja, ich kann schnell und weit Radfahren, aber ich kann viele andere Sachen nicht gut - so hat jeder Mensch seine Stärken und Schwächen und braucht aus diesem Grund nicht glauben, dass er oder sie anderen Menschen überlegen ist.

Danke Christoph für das Interview und Alles Gute für das Race Across America!

Unter diesem Link ist die Livetracking Seite des Race Across America zu finden, am 11.06. um 12 Uhr Ortszeit fällt im kalifornischen Oceanside der Startschuss. Begleitet Christoph (virtuell) auf seinem Rennen über den Kontinent und schickt ihm eure Nachrichten und Unterstützung auf den Social Media-Kanälen!

Race Around Niederösterreich 2019

Weitra, 19 Uhr, die Frisur hält schon lange nicht mehr. Der Regen hat gerade etwas nachgelassen, seit mehreren Stunden streifen wir bereits durch die Stadt, im Hintergrund dumpf hörbar eine Lautsprecherstimme, die nach und nach Rennfahrer auf die Strecke schickt. Warum Weitra, wer sind „wir“ und welches Rennen ist hier im Gang?

Ich kenne Philipp Reiterits jetzt schon mehrere Jahre - wir lernten uns vor dem Race Around Austria 2017 zufällig auf der Großglockner Hochalpenstraße kennen, ich fotografierte ihn beim RAA 2017, im Jahr darauf wiederholte sich das Ganze. Ich verfolgte mit Interesse, dass er sich für die Premiere des Race Around Niederösterreich anmeldete, als er dafür noch einen zusätzlichen Betreuer suchte, schlug ich zu. Die Entscheidung war spontan getroffen - oft sind das ja sowieso die besten, der Termin in meinem Kalender blockiert und die Motivation da! Auch im Hinblick auf meine eigene Teilnahme an der diesjährigen Race Around Austria Challenge war der Gedanke naheliegend, mir das Ganze auch aus Sicht eines Betreuers vorab anschauen zu können - jeder Aspekt, der mir hilft, ein derartiges Rennen zu verstehen und zu durchschauen, ist mir recht und hilfreich.

Wer weder Race Around Austria Challenge noch Race Around Niederösterreich kennt… Die Rennen ähneln sich (und dann doch wieder nicht - aber dazu später mehr). Beim Race Around Niederösterreich geht es laut Veranstalter über eine Distanz von 600 Kilometern mehr oder weniger die Grenzen von Niederösterreich entlang, dabei werden ganz nebenbei noch rund 6.000 Höhenmeter unter die Räder genommen. Start und Ziel ist in der Braustadt Weitra, eine willkommene Abwechslung - für die Radler*innen, die sonst vielleicht nicht in dieses Eck Österreichs kommen, aber auch für die Stadt und die Region, die aufgrund der jahrzehntelangen geografischen Randlage ruhig etwas mehr ins Zentrum der Ereignisse gerückt werden darf.

#ran

Es ist die Premiere des Race Around Niederösterreich, man hat sich einige Dinge beim Race Around Austria abgeschaut. Positiverweise - warum sollte man funktionierende Systeme nicht teilweise übernehmen. Womit die Veranstalter allerdings nicht gerechnet haben, ist, wieviele Enthusiasten sich an diesem Tag in Weitra versammelt haben. Es sind insgesamt fast 100 aktive Sportler*innen involviert, weit über den Erwartungen für ein Eventformat, bei dem manche nach wie vor nur den Kopf schütteln, ob der Anforderungen und Eckdaten. Neben Solostartern machen sich auch Zweier- und Dreierteams bereit, letztere sollen vor allem die Eintrittsschwelle senken und derartige Bewerbe leichter für eine größere Masse zugänglich machen.

Jetzt stehen wir also zu viert hinter dem Rathaus von Weitra und warten darauf, in der Startreihenfolge vorzurücken. Im Begleiterauto von Startnummer 53 sitzen Michael und Silvia. Michael ist - so wie ich - Neuling in einem Betreuerteam bei einem derartigen Rennen, Silvia - Philipps Mutter - hat hingegen schon mehrfache Race Around Austria-Navigationserfahrung. Allzu viel haben wir uns im Vorfeld eigentlich nicht ausgemacht, jede*r ist für alles zuständig, jede*r schaut auf alles, im Notfall macht jede*r alles. Möglichst unbelastet von diesen scheinbar nebensächlichen Fragen streunt Philipp vor dem Betreuerauto rund um sein Rad, streckt sich, dehnt sich, schaut zum Himmel - wohin die Wolken sich gerade bewegen, geht auf die Toilette, schaut sich seine Konkurrenten an, geht noch eine Runde um das Auto. Er wird gleich auf die Bühne und Startrampe des Rennens gerufen werden, einen ersten Tritt in die Pedale tun und die darauffolgenden rund 24 Stunden nicht mehr damit aufhören. Und plötzlich öffnet sich die Wolkendecke, die Sonne blendet uns in den Augen und eine wunderschöne Abendstimmung läutet ein einmaliges Erlebnis für uns alle ein.

Und schon ist Philipp im Sattel seines Cervelo, fährt durch das Tor des Stadtplatzes Weitra und weiter auf die hügeligen Landstraßen des Waldviertels. Ich springe nach ein paar Fotos vom Start in die offene Tür des Betreuerautos und wir reihen uns hinter Philipp ein. Es ist kurz nach 20:00, in der Sprache des Race Around Niederösterreich bedeutet das „Nacht“ - das wiederum heißt, dass bis zum Beginn des nächsten Tages um 6:30 das Betreuerauto hinter dem Fahrer zu bleiben hat bzw. umgekehrt der Radler sich immer im Lichtkegel des Betreuerautos befinden muss. Das heißt, möglichst nicht stehenzubleiben, denn eine Pause des Autos bedeutet auch eine für den Fahrer. Außerdem - und das ist schon die erste Erkenntnis für uns Neulinge im Betreuerauto - ist es keineswegs ganz trivial, knapp hinter einem Radfahrer herzufahren. Nicht zu viel Abstand aber auch nicht den Radler mit dem Auto überfahren, Tempowechsel antizipieren, aufmerksam bleiben.

1/4

Die Strecke des Rennens ist grob in vier Teile gegliedert. Die Nacht verbringen wir im hügelig-kurvigen Waldviertel entlang der tschechischen Grenze, ab Retz wird es hingegen flach und gerade. Über kleinere Landes- und Bundesstraßen kämpft sich Philipp durch den Regen - die romantische Abendstimmung beim Start ist relativ schnell wieder dem Tiefdruckgebiet gewichen, dass uns auch zuvor schon den ganzen Tag begleitet hat. Im Auto ist die Stimmung gut, auf den ersten Kilometern versucht jeder für sich in seine Rolle hineinzufinden. Ohne so etwas zuvor schon gemacht zu haben, bin ich auf der Suche nach Anhaltspunkten, Aufgaben, einer Mission - fotografiert hab ich am Start, jetzt im Dunklen hinter dem Fahrer sind die Möglichkeiten endenwollend. Michael sitzt am Lenkrad, Silvia navigiert - ich fühle mich kurzzeitig etwas nutzlos auf der Rückbank. Ich erinnere mich an die Bücher von Christoph Strasser und David Misch, in denen auch die Betreuerteams und deren Aufgaben immer wieder Thema sind - auch dass der Radler serviciert werden muss, die Crew an Dinge denken sollte, um die sich der Fahrer nicht kümmern müssen soll. Meine Mission soll ab diesem Zeitpunkt lauten, mich um Philipps Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr zu kümmern. Es ist kalt und regnerisch - kein Wetter, bei dem man bereitwillig und viel trinken möchte. Dementsprechend muss Philipp nicht nur daran erinnert werden, stündlich eine Portion Ensure zu sich nehmen sondern auch, regelmäßig zu trinken. Nach vorne funken, Flaschen vorbereiten und aus dem Auto reichen - schon hat mein Betreuerleben wieder einen Sinn.

Laa an der Thaya, Poysdorf und Hohenau an der March bieten wenig landschaftliche Abwechslung, zwischen Mitternacht und 3:00 früh stehen diese Faktoren aber nicht unbedingt im Vordergrund. Kurz vor Hohenau fahren wir durch Hausbrunn, wo wir auf die eingefleischte Fanbasis von Philipp stoßen. Er kommt aus Hausbrunn und die Tatsache, dass das Rennen vor seiner Haustüre vorbeifährt, war mit ein Grund für seine Teilnahme. Während sich Philipp einen Motivationsschub von seiner Frau abholt, nützt das Betreuerteam die wenigen Minuten für eine Fahrerwechsel, ein kurzes Radservice, neue Flaschen und eine Portion „Ensure“.

Ensure“ ist ein wichtiges Stichwort, steht dieser Name doch für eine der möglichen Verpflegungsstrategien bei derartigen Herausforderungen. Eigentlich ein Flüssignahrungsmittel für Patienten nach Kiefer- und Zahnbehandlungen, schwören viele Ausdauersportler auf die einfach Verabreichung, Verdauung und Handhabung der kleinen Plastikflaschen. Einzig die bescheidene Auswahl zwischen nur zwei Geschmacksrichtungen und die mehr oder weniger Einseitigkeit der Nahrung kann man als Nachteil ins Feld führen. Auf der anderen Seite ist das “Verspeisen” von einem Gel pro Stunde nicht weniger einseitig und für die Verdauung eine ebenso große Herausforderung. Hier wird man vermutlich immer darauf hinweisen müssen, dass Ernährung bei so einem Event immer schwierig und jedenfalls immer eine individuelle Angelegenheit sein wird, die man idealerweise mehrmals ausprobiert und über einen längeren Zeitraum für sich entwickelt.

2/4

Der Regen hat aufgehört, es ist das, was man im Allgemeinen als „stille Nacht“ bezeichnet. Es ist finster, ruhig und die Menschen, die in den unbeleuchteten Häusern entlang der Straße schlafen, merken nichts von dem, was vor ihrer Haustüre vorgeht. Bei Hohenau ist das Rennen knapp 200 Kilometer alt, mehr als viele von uns in ihrem Leben als längste Ausfahrt vorweisen können. Immer wenn man im Betreuerauto von Müdigkeit übermannt wird, blickt man kurz durch die Windschutzscheibe und sieht vor sich Philipp, wie er ruhig aber ohne Unterlass in die Pedale tritt. Die Konsequenz und Beständigkeit, mit der er nach und nach die Kilometer abspult, ist beeindruckend und dieses Gefühl wird sich im Laufe des Rennens noch verstärken.

Von Hohenau geht es Richtung Süden, wobei sich auch entlang dieser Bundesstraße die landschaftlichen Reize eher in Grenzen halten. Sierndorf, Dürnkrut, Mannersdorf an der March und Marchegg vermögen nicht, die Monotonie der Nacht zu durchbrechen - einzig die bevorstehende Donauüberquerung bei Bad Deutsch-Altenburg und die langsam beginnende Morgendämmerung versprechen Abwechslung. Für Bruck an der Leitha wird uns per WhatsApp von der Rennleitung eine kurze Kontrolle des Rads und des Betreuerautos angekündigt. Nachdem alle Teams von dieser kurzen Anhaltung betroffen sind, hat keiner davon einen Nachteil zu befürchten und Sicherheitsaspekte stehen hier jedenfalls im Vordergrund. Eine richtige Kennzeichnung der Teilnehmer*innen ist sowohl für die Sicherheit der beteiligten Personen wichtig als auch für die Genehmigungsfähigkeit (und damit den Fortbestand) von Veranstaltungen wie dem Race Around Niederösterreich.

Ich bin in und rund um Baden aufgewachsen und habe dort auch einige Kilometer am Rennrad abgespult. Gemieden habe ich dabei möglichst immer die Bundesstraße 60, die von Götzendorf über Weigelsdorf und Pottendorf Richtung Wiener Neustadt führt. Meistens dicht bevölkert von PKW- und LKW-Lenkern, die eine bedrohlich niedrige Toleranzschwelle gegenüber Radfahrenden aufweisen, hat man in der Regel versucht, auf niederrangige Landstraßen oder andere Route auszuweichen. Während der Morgenstunden dieses Samstags ist dieses Thema glücklicherweise weniger dramatisch, die Kilometer bis nach Wiener Neustadt verlaufen ruhig und auch wenn sich statt Sonne wiederum Wolken breit machen, der neue Tag bringt auch neue Energien bei Fahrer und Crew. Durch Wiener Neustadt plagen wir uns an mehreren (roten!) Ampeln vorbei auf die längste Gerade des Race Around Niederösterreich (und vielleicht sogar Österreichs?) - die Neunkirchner Allee. Gut neun Kilometer gerade wie ein Strich liegt die B17 vor uns, Motivation bieten jedoch gelbe Blinklichter, die einige hundert Meter vor uns aufblitzen und nicht weniger als ein bevorstehendes Überholmanöver und damit einen gewonnen Platz im Rennen bedeuten.

Was wir im Betreuuerauto fast übersehen haben - es ist nach 6:30, gemäß Regelbuch ist also die Nacht vorüber und wir müssen nicht mehr wie ein Schatten hinter dem Fahrer unterwegs sein. Sogenanntes „Leapfrogging“ ist ab jetzt angesagt, also Vorfahren und auf den Fahrer warten, anfeuern, gegebenenfalls verpflegen - und weiter vorfahren. Wir nützen diese Möglichkeit auf dem Weg Richtung Semmering, der nächsten Timestation und Labe, außerdem so etwas wie der Wendepunkt des Rennens. Es schüttet mittlerweile - dass am Tag nach dem Rennen im Süden Niederösterreichs leichter Schneefall herrschen wird, hilft Philipp und uns in diesem Moment auch nicht weiter. Der Anstieg auf den Semmering ist nominell nicht der schwierigste, einzig auf einer Länge von knapp einem Kilometer liegt die Steigung bei rund 10%. Während sich Philipp Meter für Meter zur Timestation vor dem Hotel Panhans bei KM 376 vorarbeitet, stoppen wir kurz in Maria Schutz - ein (oder zwei) Krapfen vom Klosterwirt gehen immer! ;)

3/4

Ab dem Semmering geht es in die niederösterreichischen Voralpen - Adlitzgräben (mit der berüchtigten „Kalten Rinne“), Reichenau, Höllental, Kalte Kuchl, Sankt Aegyd. Motorradfahrer, die ansonsten das Leben eines Radenthusiasten in dieser Region nicht unbedingt einfacher machen, bleiben bei diesen Wetterverhältnissen aus - der Regen hat zwar wieder einmal aufgehört aber „freundlich“ geht anders und die nassen Straßen sorgen dafür, dass es in diesem Fall eben „von unten“ nass bleibt.

Philipp ist nach wie vor gut drauf, spult seine Kilometer ab, tritt seine Watt. Silvia hat noch keine Minute geschlafen, kontrolliert gewissenhaft das Routebook und wacht über jede mögliche Streckenabweichung, Michael sitzt seit dem Semmering wieder hinter dem Lenkrad. Bei einer kurzen Pause (Richtig: Ensure und neue Trinkflasche) plaudere ich mit Philipp über seinen Zustand und die bevorstehende Strecke. Er ist vorab fast die komplette Strecke in irgendeiner Form abgefahren, die Prüfung namens „Gscheid“, die nun vor uns liegt, sagt ihm allerdings zu meiner Überraschung nichts. Mir schwant Böses, bin ich doch schon einmal gröber an diesem Anstieg gescheitert (mit weit weniger Kilometern in den Beinen als Philipp jetzt). Die Sorge ist allerdings unbegründet, auch diese Prüfung wird scheinbar problemlos abgespult. Mir fällt anscheinend innerlich ein Stein von Herzen, sodass mir - zurück im Auto - innerhalb von wenigen Sekunden und nach ca. 36 Stunden Wachsein die Äuglein zufallen. Mein Schlaf wird jäh von den Worten unterbrochen: „Trinkflasche, Ensure und frische Handschuhe!“ Ich greife zur Seite, springe aus dem Auto, erledige den Job, steige zurück ins Auto und bin in der Sekunde wieder eingeschlafen - ein gewisser Automatismus schein eingekehrt zu sein.

Ich wache bei einer Tankstelle in Ybbs wieder auf, muss mich kurz orientieren, Philipp fährt nach wie vor wie eine Maschine durchs Land. Das Auto wird getankt, Verpflegung für die Crew gekauft, die Strecke gecheckt - Philipp hat uns in der Zwischenzeit überholt und die Tatsache, dass wir (bei „normalem Autofahr-Tempo) mehrere Kilometer brauchen, um ihn wieder einzuholen, unterstreicht einmal mehr seine Leistungsfähigkeit (und natürlich auch die jeder/s anderen Sportler*in in diesem Rennen).

4/4

Nach meiner Stunde Schlaf sind wir in Ybbs wieder an der Donau angekommen, haben mehrere Regionen Niederösterreichs durchquert, unterschiedliche Landschaften gesehen und kommen nun in noch eine neue Ecke. Alleine die Tatsache, welche Vielfalt sich in 600 Kilometern Strecke verpacken lässt, birgt einen Großteil der Magie solcher Veranstaltungen. Gut, etwas ähnliches ist grundsätzlich auch schon bei 150 oder 200 Kilometer-Runden möglich aber auf einer derartigen Länge, bei der zum Beispiel vier unterschiedliche Viertel eines ganzen Bundeslands durchmessen werden können, gehen sich schon einige Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse aus. Der Abschnitt von Ybbs Richtung Norden (und damit zurück Richtung Weitra im Waldviertel) ist zusätzlich reizvoll, weil es einen normalerweise nicht so schnell in diese Gegend verschlägt - keine größeren Städte, keine Verkehrsachsen, viel Landschaft, viel zu Entdecken.

Das Yspertal beginnt lieblich, die letzten 80 Kilometer bis zum Ende der Runde scheinen machbar und keine großen Fragezeichen aufzugeben. Philipp wirkt zuversichtlich, freut sich über das trockene Wetter und den damit versöhnlichen scheinenden Endspurt. Worte, die nicht ohne Folgen bleiben - das beginnende Waldviertel begrüßt uns mit kurzen aber unerbittlichen Anstiegen, nach jedem Hügel folgt zwar eine Abfahrt, die allerdings nur darauf wartet, durch den nächsten Anstieg abgelöst zu werden. Die Wege sind schmal, die Kurven eng - bei uns fährt die Sorge mit, was nach dem nächsten Hügel auf uns warten mag. Zu allem Überfluss und wie als Strafe für Philipps Zuversicht, öffnen sich auch wieder die Schleusen des Himmels und es schüttet die letzten 2,5 Stunden des Rennens wie aus Kübeln.

Man merkt Philipp die Anstrengung an, man könnte auch vermuten, „es freut ihn nicht mehr wirklich“… Seine Beine sind seit gut 22 Stunden in Bewegung, die verbleibenden 30-40 Kilometer klingen nach „schnell mal zu Ende fahren“, bedeuten aber im Grunde gleich viel, wie eine flotte Greifenstein-Runde. Und wieder versuche ich, mich an die Lektüre meiner Strasser-Bücher und die darin enthaltenen Pflichten der Begleit-Crew zu erinnern. Die für das Rennen eingerichtete WhatsApp-Gruppe mit Philipps Familie und Freunden versorgt uns mit Motivationsbotschaften aber es ist augenscheinlich, dass drastischere Maßnahmen notwendig sind. Stichwort „Christoph Strasser“: Der erfolgreichste (und gleichzeitig sympathischste) Ultra-Radler der Gegenwart ist nicht nur eines meiner Vorbilder sondern auch ein sehr großes für Philipp. Nach einer kurzen Nachricht vibriert mein Handy und eine Audiobotschaft von Christoph trudelt via WhatsApp ein. Fenster auf, Handy raus und auf Play drücken - Philipps Augen weiten sich, eine derartige Reaktion hätten wir mit unseren Anfeuerungen nie erreichen können. Für die letzten 10-15 Kilometer ist offenbar wieder etwas Energie gefunden. Philipp weist uns an, vorzufahren - er meint, damit wir ihn an der Ziellinie erwarten können, ich glaube eher, er möchte die letzten Kilometer alleine „genießen“. Das Schloss Weitra erscheint am Horizont, die letzten Meter rollt man bergab darauf zu.

Die Ziellinie zwischen Kreisverkehr und Raiffeisen Bank weist wenige prunkvolle Elemente auf, aber wie auch die Leistung auf der Strecke zu einem Großteil im Kopf passiert, ist auch die Ziellinie in erster Linie eine symbolische. Runter vom Rad, abklatschen, Decke über den durchnässten Fahrer, Tee. Wir wissen nicht, wie lange wir im Endeffekt gebraucht haben oder welche Platzierung Philipp erzielt hat. Es ist aber auch egal - bei Philipp und auch den anderen Fahrern, die sich im Zielbereich aufhalten, ist erkennbar, dass hier mehr passiert ist, als das profane Überfahren einer aufgemalten Ziellinie.

Meine Geschichte/Philipps Geschichte

Eine kurze Beichte: Nachdem ich nun diese Zeilen (wie immer recht planlos und ungeordnet) niedergeschrieben habe, überkommt mich das Gefühl, dass ich hier „meine“ Geschichte erzählt habe, obwohl ich eigentlich über Philipps Rennen schreiben wollte. Das stimmt zu einem gewissen Grad, als dies die einzige Perspektive ist, die ich zweifellos und wahrheitsgetreu wiedergeben kann. Was in einem Menschen vorgeht - sowohl physisch als auch psychisch, der eine derartige Distanz in einem runterkurbelt, kann ich beim besten Willen nicht wiedergeben. Es war für mich absolut beeindruckend, Philipp beim Erbringen seiner Leistung zuzuschauen, ihm zu helfen und ihn - im Rahmen meiner sehr begrenzten Möglichkeiten - zu unterstützen. Die Tatsache, dass ich zwischendurch einmal völlig weggeknickt bin und einfach nicht wach bleiben konnte und Philipp in dieser Zeit munter und fleissig weitergetreten hat, weckt in mir tiefe Gefühle des Respekts.

Es tut mir leid, aber ich bin nicht qualifiziert, hier Philipps Geschichte zu erzählen - dazu muss sich wohl jede*r selbst in den Sattel setzen und sich in ein derartiges Unterfangen begeben. Ich für meinen Teil, der ich ja laut Homepage des Race Around Austria für die Challenge im August angemeldet bin, „freue“ mich schon darauf, diese Erfahrung selbst sammeln zu können. Lernen konnte ich beim RAN einiges - vom Organisatorischen über Ernährungsfragen bis hin zu ganz elementaren Erkenntnissen wie zum Beispiel, dass 24 Stunden wirklich, wirklich lang sein können.

Veranstaltung

Das Race Around Austria (mit der Challenge rund um Oberösterreich) hat nun über mehrere Jahre vorgemacht, wie das Format erfolgreich umgesetzt werden kann. Georg und Christian haben mit dem Race Around Niederösterreich dieses Konzept mehr als erfolgreich auf ein weiteres Bundesland übertragen, einiges Neues hinzugefügt und ein absolut überzeugendes Gesamtpaket geschnürt, das bereits im ersten Jahr der Austragung eine große Meute an Radler*innen angezogen hat. Der Erfolg der Veranstaltung spricht auch für den Erfolg des Formas im Allgemeinen, den Hunger der Radfahrenden nach spannenden, herausfordernden und vielleicht auch etwas abenteuerlichen Formaten. Bei allen Marathons und Rennen, die es übers Jahr verteilt gibt, verstehe und teile ich auch den Wunsch, etwas „Anderes“ zu machen, weit statt schnell zu fahren, die Grenzen des Landes und des eigenen Körpers und Geists auszuloten.

Das Race Around Niederösterreich ist also gekommen, um zu bleiben und das ist gut so. Wer möchte als nächstes Bundesland einsteigen? ;)

Was bringt 2019

Wie der Keks-Teller meiner Schwiegermutter füllen sich dieser Tage auch wieder laufend jene Listen mit Vorsätzen und Plänen, die man sich fürs anlaufende Jahr vornimmt, auf die Fahnen heftet oder gar lauthals in die Welt hinausschreit (auf dass diese Verbindlichkeit nicht zum Verhängnis wird). Neben rein keks-induzierten Vorsätzen - bei mir dauert die “Reparatur” der weihnachtlichen Gewichtszunahme erfahrungsgemäß mehrere Wochen - möchte ich wie jedes Jahr einige meiner Ideen für 2019 formulieren, wie immer ohne Reihung, Wertigkeit und endgültige Verbindlichkeit. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass sich viele Dinge erst unterjährig und meistens auch recht spontan ergeben, einige davon stellen sich dann als die besten Unternehmungen heraus - besser als man sie je hätte planen können…

Zwift

Mit ein paar Ausdauereinheiten auf der Rolle werde ich erst einmal die überzähligen Kilos beseitigen, die sich zuletzt angesammelt haben. Ich setze hier wie gehabt auf Zwift, die Trainingsplattform bietet aus meiner Sicht den besten Mix aus Leistung, Abwechslung und Spaß. Um den virtuellen Welten allerdings auch einmal einen Offline-Anstrich zu verpassen, freue ich mich besonders darauf, dass die alljährliche “Zwift x Wahoo-Tour” 2019 auch in Wien Halt machen wird. Am 18. Jänner 2019 bin ich daher im “WeXelerate” zu finden, gemeinsam mit ein paar anderen Verrückten, Begeisterten und Fans.

Weitradln

Es geht chronologisch weiter und gleichzeitig bildet der Februar so etwas wie einen Startschuss in die “ernste” Saisonplanung. Ich habe mir einen Vortrag von Christoph Strasser am 16. Februar im Audimax in Wien ausgesucht, der für mich symbolisch als Startpunkt für mein größtes Vorhaben 2019 dienen soll - mein persönliches Race Around Austria. Wer soll mich geistig und psychologisch besser auf ein derartiges Projekt einstimmen, als Mr. Weitradlfoarn Christoph Strasser.

Nach zwei Jahren, die ich das Race Around Austria mit der Kamera begleitet habe, kann ich 2019 nicht mehr anders, als selbst in die Pedale zu treten. Zu verlockend war und ist das Gefühl bei jedem Starter, der die Rampe in St. Georgen verlässt, mich selbst auf den Weg zu machen. Es wird die Einsteigervariante werden - die Race Around Austria Challenge, bei der 560 Kilometer rund um Oberösterreich zurückzulegen sind. Wie das funktioniert, haben Tini und Andi von geradeaus.at im vergangenen Jahr eindrucksvoll vorgemacht. Ich hoffe, dass sie mich mit wertvollen Tipps unterstützen, genauso wie ich jede und jeden ausfragen und ausquetschen werde, der mir in den letzten Jahren beim RAA begegnet ist und mir sachdienliche Hinweise geben kann. Die Vorbereitung macht jedenfalls schon einmal Spaß, hab ich doch schon während der Weihnachtsfeiertage etwas Zeit gehabt, mir über ein paar Dinge Gedanken zu machen und Pläne zu schmieden.

Wie genau die Vorbereitung für das RAA aussehen wird, ist noch nicht fixiert. Es gibt hier weder einen Trainingsplan noch irgendwelche anderen Vorgaben, einziger Plan ist derzeit, möglichst viele Kilometer auf dem Rad zu verbringen. Der Rest ergibt sich auf der Reise dorthin - wer an dieser Stelle ob dieses Auswuchses an Chaos und Planlosigkeit die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, der sei beruhigt… Bis jetzt bin ich so ganz gut gefahren und habe auch vor, das so weiterzuführen. Mir ist nun einmal wichtig, dass auch der Weg zum Ziel Freude bereiten soll und nicht nur die Zieleinfahrt… Da wird sich aber bestimmt noch einiges tun in den nächsten Monaten und ich werde natürlich entsprechend berichten - hier und auf allen anderen Kanälen!

Rennkalender

Damit bis zum “D-Day” Mitte August auch sicher einige längere und flottere Einheiten dabei sind , hab ich den Rennkalender durchstöbert, um mir folgende Veranstaltungen vorzumerken: Osttirol im Juni bleibe ich treu, allerdings ist der Plan, statt der Dolomitenradrundfahrt auf die längere Strecke des Super Giro Dolomiti zu wechseln. Auch auf die längere Strecke wechseln werde ich bei den Wachauer Radtagen im Juli. Hier wird mein Verein - PBIKE - wohl wieder die inoffiziellen Vereinsmeisterschaften austragen, außerdem ist die Veranstaltung vor den Toren Wiens mittlerweile zu einem Fixtermin in meinem Radjahr geworden.

Wachauer Radtage (c) Sportograf

Offen ist, ob derzeit kursierende Ideen (Verbindlichkeit irgendwo zwischen Schnapsidee und Hirngespinst) Realität werden, und wir als Verein bei einem der Langstreckenrennen an den Start gehen, die Juni und Juli in den Rennkalendern zu finden sind. Glocknerman am 20. Juni oder Kaindorf am 20. Juli sind zwei dieser Möglichkeiten. Ein Start dort würde eine gute Vorbereitung auf das Race Around Austria bedeuten, außerdem nimmt das Team wohl etwas den Schrecken vor der Herausforderung. Kaindorf bietet neben dem klassischen 24h-Rennen auch die Möglichkeit eines 6h- oder 12h-Rennens, also auch eine Einstiegsmöglichkeit “light”. Hier müssen allerdings noch einige Vereinsabende vergehen, bis diese Ideen endgültig spruchreif sind und danach möglicherweise Realität werden.

Mitunter etwas gemütlicher geht es bei zwei anderen Veranstaltungen zur Sache, die ich mir ebenfalls einmal mit Bleistift in meinen Kalender eingetragen habe. Nummer 1 ist die In Velo Veritas, die Fahrt mit klassischen Stahlrennern durchs niederösterreichische Weinviertel. In den letzten Jahren stand ich vor dem schier unlösbaren Problem, dass In Velo Veritas und Dolomitenradrundfahrt immer am gleichen Wochenende stattfanden, und ich dabei (auch familienbedingt) immer Osttirol den Vorzug gegeben habe. 2019 finden die beiden Veranstaltungen an unterschiedlichen Terminen statt, Gelegenheit also, endlich wieder einmal mein Select “Weltrekordrad” auszumotten, mein Wolltrikot anzuziehen und von einer weingetränkten Labe zur nächsten zu radeln. Die gleichen Akteure sind auch beim zweiten Vorhaben am Werk, einer Fernfahrt von Wien nach Hamburg, die zur Feier des 150-jährigen Bestehens des ABC Altonaer Bicycle Club anhebt.

Mit ein paar mehr Trainingskilometern und der absolvierten Race Around Austria Challenge stehen im September schließlich noch zwei weitere Aufgaben an. Beim Velorun in meiner ehemaligen Heimatstadt Baden gilt es wieder, auf meinen damaligen Hausrunden einige “Personal Bests” in die Höhe zu heben. Und auch beim King of the Lake - dem Zeitfahren rund um den Attersee - ist eine neue Bestzeit fällig, wieder auf dem Zeitfahrer nämlich, nachdem ich ja dieses Jahr mit den Rennrad unterwegs war.

Bucket-List

Abseits von Rennen und organisierten Veranstaltungen harren auch unzählige Projekte auf meiner ganz persönlichen Rad-Bucketlist ihrer Erfüllung. Je nachdem, wann sich was und wie ausgeht, besteht die Speisekarte aus Vrsic und Mangart als Vorspeise, Stelvio als Hauptgang und ein paar Dolomitenpässen als Dessert. Auch der Mont Ventoux übt einen großen Reiz aus, hier ist aber die Anreise einfach sehr, sehr, sehr weit…

Fotos

Neben aktiver Zeit im Sattel ist mir auch Zeit hinter der Kamera wichtig. Ich bin jedenfalls wieder mit Kamera und Telefon bei der Österreich-Rundfahrt im Juli mit von der Partie - es waren tolle Erfahrungen, die ich bei meiner Premiere in diesem Jahr sammeln konnte, das möchte ich fortsetzen.

Aber auch beim Wiener Bahnorama im Dusika-Stadion, den VICC-Rennen auf der Donauinsel und wann immer es die Zeit erlaubt, werde ich mich mit der Kamera auf die Lauer legen, um den einen oder anderen Schnappschuss zu erhaschen.

Fotos werden demnach auch ein wesentlicher Pfeiler der Inhalte von 169k bleiben. Daneben möchte ich aber noch andere Bereich erschließen - erste Videos sind in Arbeit, Interviews ebenso. Für 2019 sind hier einige Neuerungen und Schmankerl vorgesehen, dranbleiben lohnt sich also!

N+1?

“Brauchen” wäre in diesem Zusammenhang sowieso das falsche Wort, “wollen” passt auch nicht so wirklich, hab ich doch für fast jeden Einsatzzweck geeignetes Gerät. Ein Zeitfahrer steht immer wieder mal auf der Wunschliste, für Race Around Austria und King of the Lake wäre so ein Rad außerdem schon ganz praktisch. Meinen Crosser habe ich hingegen ein bisschen auf “Adventure-Bike” umgebaut (näheres hier in Kürze) - die Idee dahinter ist, ein Rad für alle Einsatzzwecke zu haben (Straße, Cross und MTB light). Hier bin ich noch etwas am Tüfteln, da diese Einsatzbereiche einfach unterschiedliche Anforderungen mit sich bringen, die mitunter nicht ganz einfach unter einen Hut zu bringen sind. Abhängig davon, ob ich mit meiner derzeitigen Plattform (dem alten Crosser) das Auslangen finde oder nicht, wird es hier vielleicht ein N+1-Aufbau-Projekt geben.

So irgendwie “N+0,5” wird es im Frühjahr aber jedenfalls geben. Damit der Nachwuchs auch Radluft schnuppern kann und gleichzeitig die Trainings-Zeiteinteilung etwas effektiver wird, ist ein Radanhänger in Anschaffung - nicht für Gran Fondos, sehr wohl aber für kurze Ausfahrten auf der Donauinsel oder ähnliches. N+0,1 hingegen wird das erste Laufrad für den Junior - fast so schön, wie ein Rad für sich selbst zu kaufen!

Laufen

Sowohl aufgrund des Trainingseffekts als auch aus Zeitgründen, werde ich 2019 auch wieder öfters die Laufschuhe schnüren. Mit ein paar Kollegen wird es eine Staffel beim Vienna City Marathon im April geben, darüber hinaus möchte ich abseits ausgetretener Pfade mit Rucksack und GPS höher hinaus - in die Berge nämlich. Ob das dann Trailrunning ist oder Wandern oder schnelles Spazieren ist nebensächlich, das Naturerlebnis und die Berge stehen dabei im Vordergrund,

Neben allen Leistungen soll nämlich auch 2019 wieder die Freude als wesentlicher Antriebsgrund im Vordergrund stehen. Platzierungen sind mir seit jeher relativ egal, Rekorde sowieso - wichtiger das Erlebnis, die Erfahrung und die Erkenntnis, was man alles leisten kann und möchte (und leisten kann, WENN man es denn möchte).

In diesem Sinne einen schönen Start ins neue Jahr. Ich hoffe, den einen oder die andere (wieder) zu treffen - egal ob an einer Startlinie, bei einer Ausfahrt oder bei einer anderen Gelegenheit. Ich freu mich!

Christoph Strasser - "Der Weg ist weiter als das Ziel"

Man kann schon einmal die Jahreszahlen durcheinanderbringen… Verletzung in diesem Jahr, Triumphfahrt in jenem, das Duell mit Reto Schoch im einen, Lungenprobleme im anderen, Streckenrekord hier, „DNF“ dort. Wir befinden uns mitten drinnen in der Biographie von Christoph Strasser mit dem Titel „Der Weg ist weiter als das Ziel“. Dass Christophs Wege weit sind, ist hinlänglich bekannt, gut 4.800 Kilometer durchmisst das Race Across Amerika den nordamerikanischen Kontinent von West nach Ost. Und schnell wird klar, dass das Leben und Wirken von Strasser eng und unmittelbar mit dem „RAAM“ verknüpft ist. Das Race Across America ist aber nur ein Schauplatz, der im Buch beleuchtet wird. Ebenso wichtig und für den interessierten Leser und die Leserin umso spannender sind die Blicke hinter die Kulissen des Ultraradfahrers Strasser. Doch der Reihe nach…

Interessant und aufschlussreich beginnt die Geschichte - eine Biographie eben - bei Elternhaus, Kindheit und Jugend. Strasser erzählt launig von seinen ersten Begegnungen mit dem Rad, den mit dem Rad zurückgelegten Wegen zwischen Großeltern und Eltern, dem Aufwachsen in der steirischen Ortschaft Kraubath und dem Erwachsenwerden. Was bei diesen Episoden mitschwingt sind wichtige Zwischentöne, die helfen, den Radsportler und sein heutiges Schaffen besser zu verstehen. Auf der Suche nach grundsätzlichen Charakterzügen, Wertehaltungen und Weltanschauungen wird man nunmal am ehesten in der Jugend und dem frühen Erwachsensein fündig. Und hier zeigt sich bereits, wo die Reise für Christoph Strasser hingeht: geerdet, bescheiden, fleissig und dabei zielstrebig stellt er sich dar - und wer ihn schon einmal persönlich kennenlernen durfte, erkennt, dass er auch heute noch so ist.

Anfänge

Großartig sind die Episoden, wo Strasser mit dem alten Mountainbike seiner Jugend beim ersten 24-Stunden-Rennen an der Startlinie steht - wenig Augenmerk auf Material, Kleidung oder Aussehen. Und genau das ist es, was manche von uns heutzutage vielleicht vermissen. Die Unschuld, sich einfach aufs Rad zu setzen und loszufahren, sich nicht um Strava, Wattwerte oder Sockenfarbe kümmern zu müssen, sondern die Essenz des Sports zu spüren. Bei diesen 24h-Rennen im steirischen Fohnsdorf trifft Strasser auch zum ersten Mal auf Wolfgang Fasching - 2002 hat Fasching gerade zum dritten Mal das Race Across America für sich entschieden, ist damit also der zu diesem Zeitpunkt größte Ultraradsportler seiner Zeit.

Die Unschuld bleibt vorerst erhalten, auch wenn Strasser bei seinen Teilnahmen immer erfolgreicher wird. 24h-Kraftwerkstrophy in Theiss, Race Across the Alps, 24h von Kelheim - die Wege dorthin werden mit dem Camper in Angriff genommen, die Crews sind aus Freunden und frühen Wegbegleitern zusammengestellt und die Ergebnisse werden besser und besser. Aus losen Bekanntschaften werden Teamkollegen bzw. Crewmitglieder, die teilweise bis heute mit an Bord sind, auf sportlicher Ebene macht sich Strasser nach und nach einen Namen und steht plötzlich Seite an Seite mit vermeintlich unerreichbaren Idolen wie Jure Robic oder Marko Baloh am Podest.

Vorbilder

Jure Robic kommt große Bedeutung im Leben Strassers zu. 2007 treffen sie beim Race Around Slovenia aufeinander, fahren gegeneinander aber irgendwie auch miteinander. Grundsätzlich zieht sich durch das gesamte Buch und auch das Leben von Strasser, dass mit den meisten Fahrern und vermeintlichen Konkurrenten ein sehr gutes bis freundschaftliches Verhältnis gepflegt wird. Zu klein der Sport, zu gering die Teilnehmerzahlen, zu ähnlich die gemeinsamen Interessen und Zielvorstellungen. Freilich bekommt niemand etwas geschenkt und auf dem Rad zählen Leistungen und Ergebnisse, dennoch wiegt die gemeinsame Ausübung des Sports schwerer als kleine persönliche Animositäten. Abgesehen davon ist es auch etwas anderes, ob man sich in einem großen geschlossenen Fahrerfeld bewegt, oder aber auf sich allein gestellt bzw. mit seiner Crew mehrere hundert Kilometer lang alleine unterwegs ist.

Robic dominierte über Jahre den Ultraradsport, gewann die meisten Rennen mehrfach und souverän und war Strassers Vorbild. „War“, weil Robic leider bei einem Trainingsunfall im Jahr 2010 verstarb. Die Aufeinandertreffen von Strasser und Robic sind zahlreich: zuerst der unbekannte Rookie mit dem souveränen Meister, später der beharrliche Herausforderer, dann der tatsächliche Konkurrent auf Augenhöhe, plötzlich jener Fahrer, der die Titel wegschnappt. Die ultimativen Duelle waren aufgrund des frühzeitigen Tods von Robic nicht mehr möglich, in Erinnerung bleibt Strasser der Ausspruch von Robic: „Du wirst einmal das RAAM gewinnen“. Strasser versuchte - bewusst und unbewusst - die Lücke zu füllen, die Robic hinterlassen hatte - mit seinen Leistungen aber auch als Sportsmann und Aushängeschild einer ganzen Sportart.

Race Across America

2009 startet die Beziehung Strassers mit dem Race Across America. Der Erzählstrang des Buchs orientiert sich am Verlauf eines RAAMs und dessen Abschnitten und Time Stations. Der Start an der Westküste im kalifornischen Oceanside, die ersten Kilometer nach Borrego Springs (inkl. des berühmt-berüchtigten „Glass Elevators“, die langen Gerade durch menschenleere Landstriche, die große Hitze und die kalten Nächte, die Rocky Mountains, Kansas und wiederum lange Geraden, die Appalachen und schließlich die letzten Kilometer bis zum Ziel in Annapolis. Strassers Erzählungen sind detailliert und sparen nicht mit selbstkritischen, spannenden, aufschlussreichen und lustigen Anekdoten aus dem Sattel und dem Betreuerauto.

Dabei springen die Erzählungen recht sprunghaft zwischen den unterschiedlichen Teilnahmen (2009, 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2017 und 2018) hin und her - so schnell, dass man als Leser teilweise den Überblick verliert, wo und an welchem Zeitpunkt der Geschichte man sich gerade befindet. Das tut dem Lesespaß allerdings überhaupt keinen Abbruch, zu intensiv sind Strassers Erzählungen, man fühlt sich wie ein Betreuer oder Zuschauer, der direkt im Rennen mit dabei ist.

So lebt man mit Strasser mit, wenn er von Duellen mit anderen Fahrern erzählt, seinen Zustand am Rad sehr bildlich beschreibt oder aber über seine Gefühlswelten vor, während und nach dem Rennen berichtet. Zweikämpfe haben in der Historie der Strasser´schen RAAMs zahlreich stattgefunden. Mit Freunden - Severin Zotter, David Misch - Kollegen wie Gerhard Gulewitz und Marko Baloh oder aber mit ungeliebten Konkurrenten wie dem Schweizer Reto Schoch. Bei letzterem ist sogar dem an sich sehr besonnenen und ruhigen Strasser die Wut anzumerken, wenn es um die einschneidenden Erlebnisse des RAAM 2012 geht. Aber Strasser wäre nicht Strasser, wenn er nicht auch in diesen Erlebnissen etwas Positives sehen würde - das Duell mit Schoch und die Lehren daraus haben ihn zu einem besseren Fahrer gemacht, die Motivation zurückzukommen war ungleich größer.

Der Zielstrich des RAAM!

Die Zustände des Radlers Christoph Strasser, die dieser während den acht Tagen des RAAM durchlebt sind mit die unterhaltsamsten Geschichten im Buch, auch wenn die Dramatik der Situation und der körperliche und geistige Zustand eigentlich keinen humorigen Beigeschmack mit sich bringen. Da werden schon einmal Straßenmarkierungen zu nicht aufgerolltem Klopapier, eigene Crew-Mitglieder werden nicht mehr als solche erkannt, nach einem Lenkerbandwechsel wird auch das Rad nicht mehr als das eigene identifiziert. Einmal fragt Strasser seine Crew, warum diese ihn immer und immer wieder den gleichen Anstieg hinauf schickt, obwohl dieser natürlich jedesmal ein anderer ist, Bauarbeiter werden mit Fangruppen verwechselt und beim Anblick des RAAM-Fotografen steuert Strasser gleich direkt in einen Acker hinein (und hofft dabei, dass das wenige Meter hinter ihm fahrende Betreuerauto diesen Fauxpas nicht bemerkt hat).

Während geistige Zustände in erster Linie auf den Schlafmangel zurückzuführen sind, ist natürlich auch der Körper des Radsportlers während einem RAAM extremen Herausforderungen ausgesetzt. Ein wunder Hintern und Probleme mit den Handgelenken sind dabei noch die geringeren Probleme. Lungenerkrankungen bis hin zum Ödem - weswegen auch Strasser eine seiner RAAM-Teilnahmen abbrechen musste, Probleme mit dem Wasserhaushalt, die zu gefährlichen Einlagerungen im Körper führen können und natürlich mögliche Verletzungen als Folgewirkung von Stürzen oder Unfällen sind nicht immer vermeidbar. Der beim RAAM verpflichtende Arzt in jedem Team kann bestimmte Auswirkungen abfedern oder mildern, Vorbeugung und entsprechend richtige Reaktionen bei auftretenden Symptomen sind jedoch der Schlüssel, dass man diese Sportart auch über einen längeren Zeitraum ausüben kann und nicht nachhaltige Schäden davonträgt. Immerhin dauert es mehr als zwei Tage, bis nach einem RAAM der Gleichgewichtssinn wieder zu 100% funktioniert, Gefühl in Zehen und Fußsohlen kommt ebenfalls erst nach und nach zurück. Sechs Wochen dauert es insgesamt, bis der Körper wieder auf dem Leistungsniveau von vor dem Rennen angelangt ist.

Der Faktor Team

Ausführlich - und das absolut zurecht im Sinne der Bedeutung - wird die Notwendigkeit des richtigen Teams skizziert. Ein Team ist jedenfalls keine lose Ansammlung von Adjutanten sondern integraler Bestandteil des Unterfangens und laut Strasser (neben Körper und Geist) zu 34% verantwortlich für ein erfolgreiches Rennen. Die Menschen an Strassers Seite sind dort schon lange am Werken, haben ebenfalls bereits große Erfahrung bei Langstreckenrennen und wickeln eine derartige Herausforderung hochprofessionell ab. Die Aspekte, die die Crew dabei zu behandeln hat, sind mannigfaltig und für den gemeinen Beobachter von außen oft gar nicht sofort erkennbar. Neben eher offensichtlichen Aufgaben wie Nahrungsversorgung oder medizinischem Beistand kommt natürlich der „Unterhaltung“ und Motivation des Fahrers enorme Bedeutung zu. Dass dieser Fahrer diese Hilfestellungen manchmal nicht oder nur sehr unwillig annimmt steht auf einem anderen Blatt Papier und ist eine große Herausforderung für Crewmitglieder - hier passiert aber zumindest im Team Strasser nichts, was sich nicht durch ein Bier nach dem Rennen reparieren doer geradebiegen ließe.

Soziales

Natürlich nicht Teil des Teams sind die anderen Fahrer, die zumeist als Gegner, sehr oft aber auch als Freunde und gute Kollegen Teil der Geschichte sind. Hervorgehoben und im Buch auch entsprechend gewürdigt werden David Misch und Severin Zotter. Misch beendete das RAAM selbst als Rookie of the Year, bestritt mit Strasser gemeinsam einige Rennen im Team und - in seiner Funktion als Autor - interviewte er Strasser für sein zuletzt erschienenes Werk „Intensität“. Zotter gewann das RAAM als Strasser nicht zur Stelle war und gesundheitsbedingt das Rennen aufgeben musste. In Zotter wuchs ein ernstzunehmender Konkurrent für Strasser heran, dieser widmete sich jedoch nicht zu 100% dem Ultraradsport sondern behielt seinen Job als Sozialarbeiter und plante die Gründung einer Familie. Diese Episode ist ein spannender Einblick in das Leben eines Ultraradsportlers in dem Sinne, dass es jedenfalls schwer ist, auf mehreren Kirtagen gleichzeitig zu tanzen und die Entscheidung FÜR eine Sache mitunter auch eine Entscheidung GEGEN eine andere darstellt.

Race Around Austria

Das Race Around Austria ist nicht nur mir ein persönliches Anliegen und eine Freude sondern auch Christoph Strasser. Davon zeugen zahlreiche Teilnahmen und Siege und eine entsprechende Wertschätzung, die in einem eigenen Kapitel des Buchs zu lesen ist. Das von Michael Nussbaumer ins Leben gerufene Event in der heutigen Form gilt als eines der schwersten Ultra-Radrennen in Europa und der ganzen Welt. Zur Geschichte des RAA habe ich an anderer Stelle schon mehr geschrieben - Strasser war einer der beiden Protagonisten, die 2008 die ursprünglich von Manfred Guthardt erprobte Österreich-Umrundung auf deren Wiederholbarkeit testeten und das Race Around Austria in der heutigen Form ermöglichten.

Die Atmosphäre des Race Around Austria wird im Vergleich zum RAAM als unglaublich beschrieben - während im Ziel des RAAM ein Official und einige Team- oder Familienmitglieder warten, werden in Sankt Georgen im Attergau ja sämtliche Fahrer durch das gleichzeitig stattfindende Marktfest gelotst - ein Ankommen, das keiner der Teilnehmer so schnell wieder vergisst. Auch nicht vergessen wird Strasser wohl die Teilnahme als Vierer-Team im Jahr 2013 - die Geschichten dazu sind nicht ganz jugendfrei und sollten daher am besten im Buch selbst nachgelesen werden.

Sportliche Ausflüge

Es ist natürlich maßlose Untertreibung, an dieser Stelle von „Ausflügen“ zu sprechen, vielmehr ist jedes Unterfangen von Strasser verbunden mit körperlichen und geistigen Höchstleistungen, die keinerlei Ähnlichkeit mit entspannten Ausflügen aufweisen.

In Erinnerung bleibt jedenfalls der 24h-Weltrekord auf der Bahn im Schweizer Grenchen. Wenn Strasser selbst das Kapitel mit „Gschissn und Richtig Gschissn“ bezeichnet, dann soll das schon was heißen… Zuerst noch wegen einer Erkältung verschoben, spulte Strasser in 24 Stunden 941,8 Kilometer ab - gleichbedeutend mit 3.767 Runden auf der 250 Meter langen Radbahn. Für Strasser retrospektiv das „Irrste“, was er jemals gemacht hat. Die Rekord-Urkunde bekam Strasser vom vorherigen Rekordhalter Marko Baloh überreicht, mit ehrlicher Freude - ein unfehlbarer Indikator für das gute Verhältnis, das Strasser zu seinen Kollegen pflegte und pflegt.

Die Stadt Wien bekommt an dieser Stelle übrigens - zu Recht! - ihr Fett weg. Bürokratische Prügel, die dem Team Strasser im Vorfeld in den Weg gelegt wurden, verhinderten, dass der Weltrekordversuch im Wiener Ferry-Dusika-Stadion stattfindet.

Humorig - aber auch hier mit eigentlich ernstem Hintergrund - liest sich die Episode rund um den 24h-Weltrekord am Berliner Tempelhof. Die Strecke war nur sporadisch abgesperrt, das Wetter war nicht gerade einladend, der Wind bösartig. Trotzdem zog Strasser die Nummer durch, der Weltrekord betrug danach 896,2 Kilometer. Die magische Marke von 900 Kilometer hat Strasser in der Zwischenzeit übrigens pulverisiert - die 24h-Weltmeisterschaften in Borrego Springs fanden gerade erst im Oktober 2018 und damit nach Fertigstellung des Buchs statt.

Charakteristika eines “Weiradlfoaras”

Was ist notwendig, um Ultraradfahrer auf derart hohem Niveau zu sein? Das Buch kann diese Frage natürlich nicht erschöpfend beantworten - abgesehen davon, dass viele Aspekte absolut individuell sind und daher nicht von einer Person auf die andere gemünzt werden können. Strasser legt eine absolute und starke intrinsische Motivation an den Tag - dies spiegelt sich in allen seinen Aussagen, Ansichten und Taten wider. Stetige Verbesserung der eigenen Person und Leistungen steht absolut im Vordergrund, wobei - aus meiner Sicht absolut essentiell und mit ein Alleinstellungsmerkmal von Strasser - auch eine große Portion Bescheidenheit und Demut erhalten bleibt.

Strasser hat sich in den letzten Jahren an die Spitze des Ultra-Radsports hinaufgearbeitet. Konkurrenten oder Herausforderer sind Mangelware. Was auf den ersten Blick als Glücksfall erscheint, offenbart auf den zweiten Blick großen Druck, Motivationslöcher und viel notwendiges Durchhaltevermögen. Keiner spricht mehr von Durchkommen oder vom olympischen „Dabeisein ist alles“, sondern nur noch von Pflichtsiegen und verbesserten Streckenrekorden. Die Mutter sagt etwa „Super Junge, dann kann endlich ein anderer gewinnen“, als bekannt wird, dass Strasser 2016 nicht beim RAAM antreten kann. Ständig Favorit zu sein ist schön, aber kein Garant dafür, dass man diese Rolle auch weiterhin einnimmt. Positiv formuliert heißt das bei Strasser, immer weiter hart an sich zu arbeiten, um den Moment hinauszögern zu können, in dem ein Besserer kommt.

Kritiker werfen Strasser gar vor, die Gegner zu verhöhnen, in dem er Stunden und Tage Abstand zwischen sich und seinen Verfolgern herstellt. In seinen Augen ist allerdings genau das Gegenteil der Fall: Für Strasser zeugt es von Respekt gegenüber den anderen Teilnehmer*innen, dass er gut vorbereitet und top motiviert an die Startlinie kommt. Im Jahr 2018 war das beim Race Across America gut ersichtlich: Die Konkurrenz war „überschaubar“, der Druck des fünften Siegs groß, die Motivation aber schwierig aufrecht zu erhalten. Funktioniert hat es dann trotzdem, aber nicht „eh“ sondern „obwohl“!

Und außer Radfahren? Was sonst noch?

„Das Rad und ich - das ist etwas Längerfristiges“ meint Strasser und der Romantiker in mir frohlockt ob der einfachen aber so authentischen Botschaft. Völlig unromantisch allerdings (oder vielleicht gerade auch wieder romantisch!) ist allerdings, dass es im Ultraradsport im Wesentlichen keine Preisgelder gibt. Das erscheint auf den ersten Blick fatal und mag es aus wirtschaftlicher Sicht auch sein, andererseits erhält dieser Umstand eine gewisse Unschuld der Szene und der Rennen und - sehr wesentlich angesichts der erbrachten Leistungen - verleitet es weniger zur Verwendung unlauterer Mittel, um einen Sieg herbeizuführen. Tatsächlich wird dies durch bis dato fehlende positive Dopingergebnisse weitgehend untermauert.

Wie finanziert man sein Leben als Ultra-Radrennfahrer, wenn die sportlichen Erfolge keine entsprechende Entlohnung versprechen? Die Antwort liegt in Büchern und Vorträgen, ersteres zu erklären ist ob dieses Artikels glaube ich obsolet, zweiteres hat sich Strasser sukzessive erarbeitet. Vorab steht man vor einem Dilemma: Trainieren, um die sportlichen Erfolge zu garantieren oder mit Vorträgen und anderen Aktivitäten Geld verdienen (dafür aber Trainingszeit zu opfern)? Strasser hat einen erfolgreichen Mittelweg gefunden - offensichtlich!

Seine Vorträge handeln von seinen Abenteuern und dienen dazu, Motivation und Herangehensweise von Strasser bei seinen Projekten zu erläutern. Es sind keine klassischen Motivationsseminare - obwohl manch Aussage von Strasser durchaus Potential für ein Motivationsposter hätte („Wer glaubt etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden“, „Knappe Niederlagen gehören im Sport zum Motivierendsten, was es gibt“, „Wenn ich erfolgreich sein will, muss ich auch echte Leistung bringen“). Im Kontext seiner Erfahrungsberichte und gepaart mit der natürlichen Authentizität nimmt man ihm gerne ab, worüber er spricht. Ganz abgesehen davon ist ja wenig Hokuspokus an der Sache, meistens geht es doch nur darum, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen und von anderen zu lernen. „Wollen“ wird man schon müssen, aber wer nicht „will“, wird wohl weder dieses Buch lesen noch in einen Vortrag eines Ultraradsportlers gehen (obwohl ich es ihm oder ihr wünsche).

Gewinnspiel

Es wird ein signiertes Exemplar des Buchs “Der Weg ist weiter als das Ziel” von Christoph Strasser unter allen Teilnehmenden verlost. Das Buch wurde von Christoph Strasser, Ultracyclingshop.com und Egoth Verlag zur Verfügung gestellt.

Alle Teilnehmenden werden auch für den 169k-Newsletter eingetragen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, keine Barablöse. Die Teilnahme ist bis inkl. 20.11.2018 möglich, die Bekanntgabe des Gewinners bzw. der Gewinnerin erfolgt auf der Facebook-Seite von 169k und per Mail.

Race Around Austria 2018

Zehn Mal Race Around Austria - die Geschichte des Rennens war in Sankt Georgen allgegenwärtig. Auf dem riesigen Screen im Startbereich waren die Meilensteine der bisherigen Historie zu sehen - die Erstbefahrung von Manfred Guthardt, die Jungfernfahrt des Rennens in der heutigen Form von Christoph Strasser vor zehn Jahren und die Sieger*innen der letzten Austragungen. Das Geburtstagsgeschenk machte man sich schließlich selbst - Österreichische Meisterschaften auf der Langstrecke und damit Meistertrikots, auf die viele der Teilnehmer hofften.

Die Veranstaltung selbst ist mittlerweile großartig eingespielt. Die Impressionen und Eindrücke, die ich beim RAA 2017 sammeln konnte, haben sich dieses Jahr bestätigt bzw. noch einmal verstärkt. Eine professionelle Organisation, die auch gleichzeitig eine der nettesten und sympathischsten im Veranstaltungskalender ist, entspannte und geerdete Teilnehmer, eine Gemeinde, die das RAA mit Haut und Haar mitträgt und damit insgesamt eine positive Stimmung, die sich auf alle Beteiligten überträgt - egal ob man die 2.200 Kilometer lange Extrem-Strecke fährt, entlang der Strecke fotografiert oder als Zuschauer das Spektakel genießt.

Ich habe mein RAA 2018 anders organisiert als im Vorjahr. War ich 2017 noch alleine mit dem Auto unterwegs - immer "auf der Jagd" nach Fahrern, um diese an möglichst spektakulären Orten abzulichten - war das Motto für dieses Jahr "Weniger ist Mehr". Weniger Kilometer im Auto, weniger Stress, weniger unterschiedliche Locations - mehr Überblick, mehr Kontrolle, mehr produktive Zeit. Die daraus entstandenen Fotos und Geschichten können daher immer nur Momentaufnahmen sein, Kurzberichte vom Start, von unterwegs und aus dem Ziel, fragmentarisch, punktuell aufgenommen aber dennoch (hoffentlich) einen recht umfassenden Eindruck des Race Around Austria vermittelnd.

Die Extrem-Strecke

Die Extrem-Strecke verläuft über eine Distanz von rund 2.200 Kilometern entlang der Grenzen Österreichs, dabei werden ganz nebenbei auch noch rund 30.000 Höhenmeter abgespult. Keine einfache Herausforderung - dementsprechend sind hier die Könner des Ultracycling-Fachs versammelt und all jene, die schon eine erkleckliche Anzahl an Kilometern in ihrem Radler-Leben gesammelt haben, um diese Herausforderung absolvieren zu können. Das Jahr 2018 war klimatisch und wettertechnisch deutlich besser als das Vorjahr - 2017 war das Rennen noch von Hitze, Unwettern, Hagel, Sturm, Regen und Schnee geprägt. Entsprechend schneller waren die Teilnehmer diesmal unterwegs, die erbrachten Leistungen damit allerdings um keine Deut geringer!

Anna Bachmann

Als Rookie am Start sprintete Anna geradezu vom Start weg auf die lange Strecke. Die erste Nacht wurde noch bei starkem Regen absolviert, das tat dem spannende Zweikampf mit Isabel Pulver allerdings keinen Abbruch. Wenn man das Tracking am Computer oder auf dem Smartphone verfolgte, so lagen die zwei Punkte der Fahrerinnen fast immer neben- oder sogar übereinander. Am Ende konnte sich Anna aber doch deutlich durchsetzen und rollte mit neuem Streckenrekord bei den Damen ins Ziel zurück in Sankt Georgen.

Markus Hager

Markus konnte im Vorjahr das Rennen für sich entscheiden und war dementsprechend mit der Startnummer "1" am Start in Sankt Georgen. Ich hatte das Glück, Markus im Sommer besser kennenzulernen und fieberte daher mit ihm mit, als er die Startrampe herunterrollte und auch jedes Mal, wenn ich ihm und seinem Team auf der Strecke begegnete. Seinen Vorjahressieg konnte er 2018 trotz besserer Fahrzeit nicht verteidigen. Der Zeitgewinn ist übrigens auch zu einem guten Teil auf den Umstand zurückzuführen, dass Markus (nach bereits atemberaubenden 40 Minuten im Vorjahr) dieses Mal "0" (in Worten: "NULL") Minuten geschlafen hat - in mehr als drei Tagen!  

Patric Grüner

Patric begleitete der Nimbus des ewigen Zweiten beim Race Around Austria, finishte er doch 2014, 2015 und 2016 jeweils "nur" auf dem zweithöchsten Treppchen. Auch bei der Ausgabe 2018 sah es längere Zeit nach einem guten aber eben nicht ersten Platz aus, sogar eine Beendigung des Rennens stand im Raum. Dann sah Patric den bis dahin Führenden - Rainer Steinberger - am Straßenrand stehen und aufgeben, sagte sich "Gegen den Markus Hager verliere ich nicht noch einmal" und riskierte. In einem Höllentempo durchquerte er sein Heimatland Tirol und machte sich als Führender auf in Richtung Ziel. Der Fluch des Zweiten war also gebrochen, Patric überglücklicher Sieger des Race Around Austria 2018. 2019 steht beim ihm das Race Across America am Programm - mit einem RAA-Titel in der Tasche macht die Vorbreitung darauf sicher noch mehr Spaß!

Philipp Reiterits

Immer wieder denke ich gerne an das Kennenlernen mit Philipp zurück, als Jan und ich im Mai 2016 am Glockner auf einen Radler mit RAA-Kapperl gestoßen sind. Seitdem durfte ich letztes Jahr seine Premiere auf der 1.500er-Strecke bewundern, ihn besser kennenlernen und auch seine Vorbereitungen auf den diesjährigen Start auf der Extrem-Strecke mitverfolgen. Philipp hat das Rennen stark gestartet, musste in Vorarlberg jedoch aufgrund eines sogenannten "Shermers Neck" absteigen. Dabei ermüdet die Nackenmuskulatur dermaßen, dass man den Kopf nicht mehr hochhalten kann. Philipp hat allerdings bereits nach wenigen Tagen seinen Start beim RAA 2019 angekündigt - ich freue mich schon jetzt, ihn wieder auf der Startrampe und auf der Strecke zu treffen.

4er-Teams

Die Viererteams waren 2018 zahlreich vertreten, war dies doch eine der Kategorien, in denen ein Meistertrikot zu gewinnen war. Glamour erhielt die Startbühne durch den Start des "Hill Racing Teams", sportlich konkurrierte dieses das ganze Rennen über mit dem Team "CLR Sauwald Cofain 699" - letzteres konnte am Ende den Bewerb für sich entscheiden.

Die Challenge

Die 560 Kilometer rund um Oberösterreich gelten als "Einstiegsdroge" in den Ultra-Radsport und bieten eine gute Gelegenheit, das Ganze einmal auszuprobieren. Dementsprechend ist viel los auf der "kurzen" Strecke und es tummeln sich zahlreiche - auch bekannte - Gesichter auf der Startrampe. Zu allem Überfluss dürfte ich Michi Nussbaumer - dem Veranstalter des RAA höchstpersönlich - meine Teilnahme im nächsten Jahr zugesagt haben - so sehr lässt man sich von der tollen Stimmung am Start mitreissen.

Christoph Strasser

Über "Straps" braucht man nicht mehr allzu viele Worte verlieren - er ist der Großmeister des "Weitradlfoarns" (wie es einer seiner Hashtags ausdrückt). Mit nach eigenen Angaben noch etwas müden Beinen ist er von seinem fünften Race Across America-Sieg nach Oberösterreich gekommen, um das Staatsmeistertrikot auf der Langdistanz zu gewinnen. Fragen nach Sieg und auch Streckenrekord spielte Christoph zu Beginn noch herunter - tatsächlich kann auf der kurzen Strecke der Challenge schon ein falsches Abbiegen oder ein technischer Defekt über den Sieg entscheiden. Am Ende war es dann der erwartete Sieg auf der Challenge mit einer fabelhaften neuen Rekordzeit, die wohl in den nächsten Jahren keiner knacken wird können. Und jedes Mal, wenn ich Christoph treffe, bin ich wieder positiv überrascht, wie normal, geerdet und sympathisch er ist - trotz oder gerade wegen seiner Erfolge. In Kürze wird es übrigens auf 169k mehr von Christoph und seiner gerade erschienenen Biographie "Der Weg ist weiter als das Ziel" zu lesen geben.

Barbara Mayer

Im Palmarés von Babsi leuchtet 2018 alles bronze, silber und golden - egal ob Staatsmeisterschaften Straße, Zeitfahren, Mountainbike, Salzkammergut-Trophy... Alles was Barbara angeht, endet erfolgreich - und die WM im September kommt ja erst noch. In fabelhafter Rekordzeit umrundete sie Oberösterreich und sicherte sich damit das Staatsmeistertrikot. Und dabei war immer ein Lächeln auf ihren Lippen zu sehen - so vermittelt man Freude am Sport und an der Leistung! Meine tiefe Verneigung!

geradeaus.at

Tina und Andy bloggen gemeinsam als geradeaus.at über ihre Erlebnisse, denen sie mit der RAA-Challenge im Jahr 2018 ein großes Kapitel hinzugefügt haben. Das ganze Jahr über konnte man auf ihrem Blog alles über Training, Equipment, Vorfreude aber auch die Schattenseiten der Rennvorbereitung lesen. Am Tag X lieferten die beiden dann eine großartige Leistung ab und bewiesen am meisten sich selbst, was alles möglich ist. Ein erster emotionaler Rückblick ist auf der Seite geradeaus.at nachzulesen.

Team Chase

2017 waren sie noch als Team Chase gemeinsam am Challenge-Start, für 2018 hatte man sich ein Rennen Mann gegen Mann - Felix gegen Berni - zurechtgelegt. Die Vorbereitung verlief jedoch nicht ganz so (gleichmäßig) wie geplant, dementsprechend wurde es nicht das Rennen gegeneinander sondern "nur" gegen die Zeit und die anderen Teilnehmer. Felix konnte sich - mit einer Zielankunft an seinem Geburtstag - zudem den großartigen vierten Platz sichern. 

Die 1500er

Die mittlere Runde führt über 1.500 Kilometer entlang der Grenzen des Landes, spart aber den Westteil Österreichs aus. Logistisch und vom Timing her war das Fotografieren der 1.500er eine Herausforderung, vor die Linse bekam ich großteils nur das Führungsduo Franz Scharler und Christian Gammer. Letzterer konnte das Rennen für sich entscheiden und wurde in Sankt Georgen als Sieger gefeiert.

Lesachtal

Großglockner

Exkurs: Rennradfahren rund um Sankt Georgen

Wer so wie ich etwas früher Richtung Attersee reist, kommt außerdem noch in den Genuss großartiger Rennradstrecken. Entlang der wunderschönen Seeufer (Atter-, Mond-, Wolfgang- und Fuschlsee) ist der Verkehr zugegebenermaßen ein kleiner bis mittelgroßer Spaßhemmer, wer sich aber "eine Reihe nach hinten" begibt, kommt in den Genuss menschen- und autoleerer Güterwege, pittoresker Landschaften und herausfordernder Höhenmeter. Als Abschluss hier ein paar Bilder zur Inspiration - Oberösterreich, Attergau, Race Around Austria, wir sehen uns spätestens im August 2019!