"1.000k/24h" Christoph Strasser

„Die Beine sind super. Eher unwahrscheinlich, dass ich noch einbreche“

Die Person, die das formuliert und an sein Betreuerfahrzeug weitergibt, muss nicht mehr weiter vorgestellt werden. Der Begriff „Ultracycling“ ist fest mit seiner Person verbunden, er hat sämtliche einschlägigen Rennen gewonnen und Bestmarken neu gesetzt. Und nachdem es mit neuen Zielen dann immer schwieriger wird, bleiben nur noch vermeintlich unmögliche über. Und in dem quasi ultimativen Vorhaben - nämlich 1.000 Kilometer innerhalb von 24 Stunden abzuspulen - fallen diese Worte des Hauptdarstellers Christoph Strasser und zwar bereits nach 700 Kilometern. Die Tragweite der Aussage ist sowohl im Mikrokosmos dieses Rekordversuchs beachtlich als auch im großen Kontext eines Sportlers, der sich über viele Jahre dorthin gearbeitet hat, wo er jetzt steht. Spulen wir daher kurz zurück!

Wer ist Christoph Strasser?

Wer schon einmal einen der unterhaltsamen und aufschlussreichen Vorträge von Christoph Strasser gehört hat, kennt große Teile der Geschichte. Ebenso jene, die das Buch „Der Weg ist weiter als das Ziel“ gelesen haben. Das Leben des Hauptdarstellers wird häufig in Episoden und Erlebnissen aus dem Race Across America erzählt. Das mag auf den ersten Blick irgendwie vereinfacht wirken, jedoch sind es offenbar genau diese Erlebnisse, die den Sportler Strasser geprägt haben, ihn Dinge lernen, ihn jubeln, büßen, fluchen, verlieren oder gewinnen ließen. Und auch wenn die Episoden für sich alleine und losgelöst nur launige Erzählungen sind, in ihrer Gesamtheit erklären sie mitunter ganz gut, wie dieser Mensch tickt.

Wer viel - oder im Fall von Christoph Strasser quasi alles - gewinnt, ist mitunter in einer schwierigen Situation. Alle Augen sind auf einen gerichtet, die Möglichkeit des Scheiterns wird von allen Beteiligten und Kommentatoren in den Hintergrund gerückt, vielmehr rechnen eigentlich alle mit einem neuen Rekord, einer Pulverisierung des bisherigen Ergebnisses und idealerweise auch noch einer Deklassierung des restlichen Starterfelds. Schwierig natürlich auch für alle anderen Starterinnen und Starter, die sich neben Strasser an eine Startlinie stellen, aber was im Hauptdarsteller vorgeht, kann man nur erahnen. Und an dieser Stelle tritt dann üblicherweise ein bescheidener und bodenständiger Christoph Strasser auf die Bühne und entschuldigt sich geradezu für seine Leistungen. Das alles wirkt mitunter etwas surreal und auch der eine oder andere Zweifel an den Motiven von „Straps“ kann da und dort aufkommen, schließlich wird doch auch er gewinnen wollen. Es ist ein komplizierter Spagat, der hier zu vollführen ist. „Ich möchte durch meine Ergebnisse andere motivieren und zeigen, was möglich ist“ setzt er dann noch nach und in vielen anderen Sportarten würde man sich umdrehen und beleidigt fortgehen, aber Ultracycling tickt da anders. Es gibt bei Rennen wie dem RAAM grundsätzlich kein Preisgeld, damit erfolgt - wenn man so will - eine natürlich Auslese des Startfelds. Nur wer über einen ernsthaften inneren Antrieb und die entsprechende Motivation verfügt, wird sich das dazugehörige Training und die langen Stunden im Sattel antun. Dementsprechend ticken die Starterinnen und Starter im Bereich Ultracycling anders als die und der herkömmliche Radmarathonfahrende. Die meisten sind auf einer Art Suche - entweder nach einer besonderen körperlichen Erfahrung oder aber dem Kennenlernen des eigenen Körpers und Geistes. Und der gleichen Logik folgend stehen dann auch Dinge wie Neid oder Missgunst eher im Hintergrund und man freut sich mehr mit den späteren Siegern als dass man den eigenen Leistungen hinterhertrauert.

Corona?

An einem Gegner kommt allerdings auch ein Sportler wie Christoph Strasser nicht vorbei… COVID! Und während ein World Tour-Fahrer vermutlich genauso unter der Unsicherheit und abgesagten Veranstaltungen leidet, so stellt die Pandemie mit ihren Einschränkungen für Strasser als One-Man-Show ein existenzielles Risiko dar - keine Rennen, keine Planung, keine Leistungen, keine Vorträge, keine Events. Diese Unsicherheit zieht sich durch große Teile des Buches und verdeutlicht, welche wirtschaftlichen und auch psychologischen Auswirkungen Corona auf uns haben kann. Sicherlich könnte man an dieser Stelle ins Feld führen, dass ein Rekordversuch - so kühn er auch sein mag - im Kontext einer globalen Gesundheitskrise wohl nicht so wichtig sein kann. Aber wie immer sieht man selten den gesamten Kontext einzelner Handlungen und so ist es auch in diesem Fall. Das Buch beschreibt an dieser Stelle sehr gut die Suche - nach dem Sinn, nach dem Plan und nach der geeigneten Strecke. Für einen Sportler, für den es als logisches nächstes Ziel nur die 1.000 Kilometer innerhalb von 24 Stunden gibt, dreht sich nunmal alles um dieses Projekt. Auch hier offenbart das Buch spannende Einblicke in die Psyche von Strasser - das allgegenwärtige und vielstrapazierte Wort „Resilienz“ ist wohl etwas, das Straps über Jahre und mehrere RAAMs hinweg gelernt und nahezu perfektioniert hat.

Training

Und so trainiert er, organisiert, trainiert, plant, trainiert und trainiert noch mehr. Es entstehen im Buch spannende Einblicke in den Trainingsalltag, aktuelle und abgehängte Trainingspartner, Umfänge, Intensitäten, Trainingsplanung und dazugehörige Alternativen. Die teils absurden Zahlen und Werte werden dadurch nicht weniger beeindruckend oder abschreckend, lassen aber erkennen, dass hier ein Sportler über viele Jahre eine Entwicklung durchgemacht hat und sein System immer weiter zu optimieren sucht. Nicht dass es dabei keine Möglichkeit mehr gibt, zu scheitern - auch hier bietet das Buch „1000k/24“ den Gegenbeweis -, allerdings haben es Strasser und seine Crew geschafft, die Unwägbarkeiten auf ein Minimum zu reduzieren oder zumindest Antworten darauf parat zu haben.

1000k/24

Und so findet sich der ehemalige Zivildiener (in Österreich ist man damit quasi noch immer „Wehrdienstverweigerer“) letztendlich auf einem Militär-Flugfeld nahe seiner steirischen Heimat Kraubath wieder - am Fliegerhorst in Zeltweg. Die eigentliche Generalprobe für den in den USA geplanten Weltrekordversuch wird angesichts von Einreisebeschränkungen zum Hauptevent und zum Tag X. Und die Chronologie (und das Ergebnis) dieses Unterfangens ist am besten und im Detail im Buch nachzulesen - von einer Vielzahl an Weltrekorden, die bereits nach wenigen Stunden eingestellt sind, über eine kurz geballte Faust bei der Durchfahrt bei KM 1.000 bis hin zum „Weiterdrücken“, um die Latte für etwaige Nachfolgende noch ein Stück höher zu legen. Das Staunen nimmt kein Ende und man verschwendet keinen Gedanken daran, wie das in Arizona gewesen wäre, wo aufgrund der Seehöhe errechnete 40 Watt weniger notwendig gewesen wären, um die gleiche Leistung zu erbringen…

Was kommt danach?

Es hat (zumindest aus der Außensicht) fast etwas Tragisches, dass man nach einem erfolgreichen Rekord oder Projekt schon wieder ein nächstes, noch besseres einfordert oder erwartet. Strasser selbst geht mit dieser Situation professionell um, freut sich über das Erreichte, richtet aber auch seinen Blick schon wieder nach vorne. Die Frage ist in diesem Falle nur: Wie kann man das realistischerweise noch toppen?

Auf die Frage nach dem „Danach“ gibt das Buch einige Hinweise (sowohl privater als auch sportlicher Natur), konkrete Antworten muss man sich allerdings zwischen den Zeilen suchen. Spannend die Überlegungen und Vergleiche mit Lachlan Morton, der mit seiner „Alt Tour“ dem Grundgedanken des Unsupported Ultra Cycling recht nahe kommt, dem Profi-Peloton der World Tour-Fahrer und den derzeit angesagten Ultraevents. Gerade das Abgeben von Verantwortung, das Straps und seine Crew über Jahre perfektioniert haben wäre vermutlich eine enorme Herausforderung, würde sich Strasser nun an die Startlinie eines Unsupported-Rennens stellen. Aber ausschließen kann man an dieser Stelle wohl nichts - und es ist sehr wahrscheinlich, dass Straps in irgendeiner Form der Herausforderung gewachsen sein würde. Wer so viele Dinge im und abseits des Sattels erlebt hat, hat wohl für die meisten Situationen ein Rezept parat.

Lesestoff!

Eine kurze Rezension kann niemals wiedergeben, was in einem Buch im Detail alles drinnensteht. Und ich habe Vorträge von Straps gesehen und gehört, sein letztes Buch „Der Weg ist weiter als das Ziel“ gelesen und schon einige Mal mit ihm geplaudert. Und es gibt immer neue Facetten zu entdecken und weitere Geschichten, die darauf warten, erzählt zu werden: Über das RAAM, Reto Schoch, Rollentraining, erfrorene Zehen und Finger, das Race Around Niederösterreich, Mentalcoaching, Vorbilder, Drücken bis zum Schluss, Materialoptimierung, und und und!

Sitzfleisch

Und zusätzlich zum Buch sei an dieser Stelle auch noch dringend auf „Sitzfleisch“ verwiesen, den Podcast, den Christoph Strasser und Florian Kraschitzer zu Beginn der Pandemie ins Leben gerufen haben. Auch dort wartet viel Anekdotisches und Aufschlussreiches aus dem Erfahrungsschatz eines Ultrasportlers und natürlich der vielen spannenden Gäste im Podcast-Studio!

Gewinnspiel

Und es gibt natürlich ein (signiertes!) Exemplar des Buchs „1000k/24“ von David Misch und Christoph Strasser zu gewinnen - zur Verfügung gestellt von Ultracyclingshop.com und Covadonga Verlag.

Alle Teilnehmenden werden auch für den 169k-Newsletter eingetragen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, keine Barablöse. Die Teilnahme ist bis inkl. 31.01.2022 möglich, die Bekanntgabe des Gewinners bzw. der Gewinnerin erfolgt auf der Facebook-Seite von 169k und per Mail.

Buchtipp: Jonas Deichmann "Cape to Cape"

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich zum ersten Mal von Jonas Deichmann gehört habe. 2018 redeten plötzlich alle von diesem einen Typen, der solo und unsupported auf der Panamericana unterwegs ist - dort wo andere Extremsportler ähnliche Unterfangen mit Support gestartet hatten. Die Art und Weise, wie Jonas seine Abenteuer anlegt und darüber berichtet, hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen: unaufgeregt, unprätentiös und sympathisch.

Jonas in Wien

Sprung um zwei Jahre nach vorne und ich sitze Jonas in Wien gegenüber. Er ist zu einem Vortrag über sein Cape to Cape-Projekt gekommen, angereist ist er (natürlich) mit dem Rad. Der Podcast, den wir bei dieser Gelegenheit aufgenommen haben, ist übrigens hier zu finden und hören. Das Interesse an dem Vortrag war riesig, die Tickets blitzschnell ausverkauft. Viele wollen wissen, was einen dazu bringt, unsupported und über riesige Distanzen durch die Welt zu radeln. 2017 über 16.000 Kilometer einmal quer über die eurasische Landmasse, 2018 über 23.000 Kilometer einmal die Panamericana von Norden nach Süden und 2019 eben jene 18.000 Kilometer vom Nordkap bis ans Kap der guten Hoffnung.

Cape 2 Cape

18.000 Kilometer von ganz oben nach ganz unten auf dem Erdball klingen nach einer unfassbaren Größe. Auch wenn man in seinem Leben schon einmal 100, 300 oder 500 Kilometer unterwegs war oder sich über mehrere Tage auf eine lange Radreise begeben hat, wird man diese Dimesion nicht richtig fassen können. Aber wenn Jonas sagt, dass auch die längste Reise mit einer ersten Pedalumdrehung beginnen muss, dann klingt das absolut einleuchtend und wie das Selbstverständlichste auf der Welt. Und dass jeder einen Kilometer fahren kann und auch zehn Kilometer. Und dass 18.000 Kilometer ja nur viele “10 Kilometer” nacheinander sind. Es wird schnell klar, wie das hier funktioniert und wie Jonas tickt. Wie viele andere Extremsportler oder im Speziellen Ultra-Radfahrer hält auch Jonas zahlreiche Vorträge, die neben einem Bericht über seine Projekte naturgemäß auch eine starke Motivations-Komponente aufweisen. Positives Denken, Selbstkontrolle und Motivationsfähigkeit sind sichtlich wichtige Eigenschaften, die Jonas zu dem machen, was er ist und mit ermöglichen, was er leistet.

Das Cape to Cape-Projekt orientiert sich in Strecke und Planung an dem früheren Weltrekord, der bei 102 Tagen gelegen hat. Vom Nordkapp geht es durch Finnland und Russland Richtung Iran, am afrikanischen Kontinent dann durch Ägypten, Sudan, Äthiopien, Kenia, Tansania, Sambia, Botswana und Südafrika.

Auf ein derartiges Vorhaben hinzutrainieren ist eigentlich nicht möglich, vielmehr gilt es eine derartige Grundausdauer aufzubauen, dass der Körper bei großen Distanzen und langen Tagen nicht schlapp macht. Deshalb lebt Jonas mehr oder weniger im Sattel, bestreitet alle seine Reisen zu Vorträgen und dergleichen mit dem Rad und kommt so auf gut 50.000 Jahreskilometer. Und so kennt er offenbar seinen Körper und seine Leistungsfähigkeit sehr gut und setzt sich für den neuen Weltrekord ein Ziel von 75 Tagen!

Die Reise

Wer so eine lange Reise tut, hat natürlich viel zu erzählen. Dementsprechend möchte ich auch nicht die ganzen Highlights vorwegnehmen - dafür sind das Buch, einer der Vorträge von Jonas oder auch der Podcast besser geeignet. Aber ein paar Blitzlichter aus dem Buch gibt es hier trotzdem. ;)

Am Start steht neben Jonas noch Philipp Hympendahl, der Jonas als Fotograf begleitet und sich selbst auch auf dieses Abenteuer einlässt, obwohl er leistungstechnisch (vermeintlich) nicht die gleichen Voraussetzungen und Vorbereitung mitbringt wie Jonas. Er wird das Projekt Cape to Cape am Ende zwar nicht beenden können, jedoch gibt das Buch sehr spannende Einblicke darüber, wie sich Kopf, Körper und Seele während eines derartigen Projekts entwickeln, welche Krisen und Phasen durchgemacht werden. Dieser Kontrast zwischen dem professionellen, mental austrainierten und positiven Jonas Deichmann und dem “normaleren” und damit nachvollziehbareren Philipp Hympendahl verleiht dem Buch eine zusätzliche Ebene.

Foto: Philipp Hympendahl

Wie wenn alle Klischees von Russland bestätigt würden, spielen sich für die beiden Radler dort Dramen ab. Körperlicher Natur, in Bezug auf Infrastruktur und Verkehr und natürlich auch mentaler Natur, wenn davon die Rede ist, dass “nur noch” 3.000 Kilometer zurückgelegt werden müssen, bis Russland wieder vorbei ist. Und eine Begegnung zwischen Jonas und dem Rückspiegel eines Autos machen das Ganze auch nicht viel besser.

Das Gegenteil von bedienten Klischees und Vorurteilen zeigt der Iran, in dem die beiden tolles Essen, die nettesten Menschen und eine ausschweifende Gastfreundlichkeit erfahren. (Was im Übrigen auch viele, viele Reisende aus anderen Bereichen und Ländern bestätigen).

In Ägypten endet für Fotograf Hympendahl die Fahrt mit einer massiven Lebensmittelvergiftung und einem damit verbundenen, körperlichen Einbruch. Jonas ist ab diesem Zeitpunkt alleine unterwegs und strampelt direkt in die Sahara hinein. Ägypten selbst wird Jonas aufgrund der zahlreichen Polizeikontrollen, Checkpoints und aufreibenden Eskorten in gemischter Erinnerung bleiben.

Mitlaufende Kinder, die Jonas immer wieder mit Steinen bewerfen, werden die Durchquerung von Äthiopien zu einem schwierigen Unterfangen machen. Da wirken politische Unruhen, Mobs auf den Straßen und Barrieren aus brennenden Autoreifen fast harmlos dagegen.

Foto: Philipp Hympendahl

Botswana wird Jonas mit einer guten Infrastruktur und der Sichtung von einigen imposanten (wilden) Tieren wieder sanft stimmen. Jedoch wird auch er froh sein, IN der Polizeiwache übernachtet zu haben, anstatt draußen zu campen - in der gleichen Nacht wurde der Hund der Polizeiwache vor der Tür nämlich von einem Löwen angefallen und gefressen.

Und so fliegt man beim Lesen des Buchs gleichsam durch die unterschiedlichen Länder Afrikas und ist gefangen in Jonas Erlebnissen und Erzählungen, sodass man fast verwundert ist, als er schon auf der Zielgerade in Cape Town ist. Dort erwartet ihn wieder Philipp, der - erholt von den Strapazen - seinen Kollegen im Ziel willkommen heißt.

Foto: Philipp Hympendahl

Der Mensch Jonas Deichmann

Ein Interview mit Jonas Deichmann am Ende des Buchs gibt dann noch einmal einen Einblick in den Menschen. Man erkennt - wenn auch nur ansatzweise - was es benötigt, um derartige Leistungen vollbringen zu können. Ob man das nun will oder nicht, oder gut findet oder nicht, das sei jedem selbst überlassen. Es ist jedoch sehr faszinierend, wie sich Persönlichkeiten zu solchen Projekten treiben lassen oder besser sich selbst dazu anstiften.

Und auch das Zusammenspiel zwischen Jonas und Philipp Hympendahl zeigt an vielen Stellen, wie unterschiedlich Menschen funktionieren können. Nicht nur einmal wird Philipp von Jonas zum Weitermachen animiert und motiviert, wenn es besonders hart wird oder sich starke Schmerzen einstellen. Philipp ist aber an anderen Stellen auch Mal genervt vom scheinbar grenzenlosen Optimismus von Jonas Deichmann. Dass dieser sich damit selbst am Leben hält und so zum Weitermachen motiviert und Krisen überwinden kann, ist eine spannende (und für Jonas sichtlich erfolgreiche) Strategie.

Triathlon 360

Eine derartige Strategie wird Jonas dann auch benötigen, wenn man sich seine kommenden Projekte vergegenwärtigt. Seinen Ironman rund um Deutschland hat er gerade abgeschlossen, wobei der ja quasi nur Trainingszwecken gedient hat.

Das nächste Meisterstück soll der “Triathlon 360” werden, ein 120-facher Ironman rund um den Globus. Zum Radfahren kommen da schnell nochmal 456 Kilometer Schwimmen und 5.040 Kilometer Laufen dazu. Wer da die Bilder aus “Forrest Gump” vor Augen hat, der mit langem Bart mitten durch Amerika läuft, liegt nicht allzu falsch. Und wer Jonas einmal persönlich gehört oder gesehen hat, zweifelt auch nicht wirklich daran, dass er auch dieses Vorhaben erfolgreich abschliessen wird.

Start zum Triathlon rund um die Welt ist übrigens am 26. September 2020 in München.

Gewinnspiel

Es gibt ein Exemplar des Buchs “Cape to Cape” von Jonas Deichmann, Philipp Hympendahl und Tim Farin zu gewinnen. Dieses ist gerade im Delius Klasing Verlag erschienen. Amazon-Link.

Die Teilnahme ist bis 23.09.2020 möglich. Unter allen Einsendungen wird ein Exemplar des Buchs verlost, der/die Gewinner*in wird per Mail verständigt und auf der Facebook-Seite von 169k bekanntgegeben. Es ist keine Barablöse möglich und es besteht kein Rechtsanspruch. Das Verlosungsexemplar wurde von Delius Klasing zur Verfügung gestellt.

Christoph Strasser - "Der Weg ist weiter als das Ziel"

Man kann schon einmal die Jahreszahlen durcheinanderbringen… Verletzung in diesem Jahr, Triumphfahrt in jenem, das Duell mit Reto Schoch im einen, Lungenprobleme im anderen, Streckenrekord hier, „DNF“ dort. Wir befinden uns mitten drinnen in der Biographie von Christoph Strasser mit dem Titel „Der Weg ist weiter als das Ziel“. Dass Christophs Wege weit sind, ist hinlänglich bekannt, gut 4.800 Kilometer durchmisst das Race Across Amerika den nordamerikanischen Kontinent von West nach Ost. Und schnell wird klar, dass das Leben und Wirken von Strasser eng und unmittelbar mit dem „RAAM“ verknüpft ist. Das Race Across America ist aber nur ein Schauplatz, der im Buch beleuchtet wird. Ebenso wichtig und für den interessierten Leser und die Leserin umso spannender sind die Blicke hinter die Kulissen des Ultraradfahrers Strasser. Doch der Reihe nach…

Interessant und aufschlussreich beginnt die Geschichte - eine Biographie eben - bei Elternhaus, Kindheit und Jugend. Strasser erzählt launig von seinen ersten Begegnungen mit dem Rad, den mit dem Rad zurückgelegten Wegen zwischen Großeltern und Eltern, dem Aufwachsen in der steirischen Ortschaft Kraubath und dem Erwachsenwerden. Was bei diesen Episoden mitschwingt sind wichtige Zwischentöne, die helfen, den Radsportler und sein heutiges Schaffen besser zu verstehen. Auf der Suche nach grundsätzlichen Charakterzügen, Wertehaltungen und Weltanschauungen wird man nunmal am ehesten in der Jugend und dem frühen Erwachsensein fündig. Und hier zeigt sich bereits, wo die Reise für Christoph Strasser hingeht: geerdet, bescheiden, fleissig und dabei zielstrebig stellt er sich dar - und wer ihn schon einmal persönlich kennenlernen durfte, erkennt, dass er auch heute noch so ist.

Anfänge

Großartig sind die Episoden, wo Strasser mit dem alten Mountainbike seiner Jugend beim ersten 24-Stunden-Rennen an der Startlinie steht - wenig Augenmerk auf Material, Kleidung oder Aussehen. Und genau das ist es, was manche von uns heutzutage vielleicht vermissen. Die Unschuld, sich einfach aufs Rad zu setzen und loszufahren, sich nicht um Strava, Wattwerte oder Sockenfarbe kümmern zu müssen, sondern die Essenz des Sports zu spüren. Bei diesen 24h-Rennen im steirischen Fohnsdorf trifft Strasser auch zum ersten Mal auf Wolfgang Fasching - 2002 hat Fasching gerade zum dritten Mal das Race Across America für sich entschieden, ist damit also der zu diesem Zeitpunkt größte Ultraradsportler seiner Zeit.

Die Unschuld bleibt vorerst erhalten, auch wenn Strasser bei seinen Teilnahmen immer erfolgreicher wird. 24h-Kraftwerkstrophy in Theiss, Race Across the Alps, 24h von Kelheim - die Wege dorthin werden mit dem Camper in Angriff genommen, die Crews sind aus Freunden und frühen Wegbegleitern zusammengestellt und die Ergebnisse werden besser und besser. Aus losen Bekanntschaften werden Teamkollegen bzw. Crewmitglieder, die teilweise bis heute mit an Bord sind, auf sportlicher Ebene macht sich Strasser nach und nach einen Namen und steht plötzlich Seite an Seite mit vermeintlich unerreichbaren Idolen wie Jure Robic oder Marko Baloh am Podest.

Vorbilder

Jure Robic kommt große Bedeutung im Leben Strassers zu. 2007 treffen sie beim Race Around Slovenia aufeinander, fahren gegeneinander aber irgendwie auch miteinander. Grundsätzlich zieht sich durch das gesamte Buch und auch das Leben von Strasser, dass mit den meisten Fahrern und vermeintlichen Konkurrenten ein sehr gutes bis freundschaftliches Verhältnis gepflegt wird. Zu klein der Sport, zu gering die Teilnehmerzahlen, zu ähnlich die gemeinsamen Interessen und Zielvorstellungen. Freilich bekommt niemand etwas geschenkt und auf dem Rad zählen Leistungen und Ergebnisse, dennoch wiegt die gemeinsame Ausübung des Sports schwerer als kleine persönliche Animositäten. Abgesehen davon ist es auch etwas anderes, ob man sich in einem großen geschlossenen Fahrerfeld bewegt, oder aber auf sich allein gestellt bzw. mit seiner Crew mehrere hundert Kilometer lang alleine unterwegs ist.

Robic dominierte über Jahre den Ultraradsport, gewann die meisten Rennen mehrfach und souverän und war Strassers Vorbild. „War“, weil Robic leider bei einem Trainingsunfall im Jahr 2010 verstarb. Die Aufeinandertreffen von Strasser und Robic sind zahlreich: zuerst der unbekannte Rookie mit dem souveränen Meister, später der beharrliche Herausforderer, dann der tatsächliche Konkurrent auf Augenhöhe, plötzlich jener Fahrer, der die Titel wegschnappt. Die ultimativen Duelle waren aufgrund des frühzeitigen Tods von Robic nicht mehr möglich, in Erinnerung bleibt Strasser der Ausspruch von Robic: „Du wirst einmal das RAAM gewinnen“. Strasser versuchte - bewusst und unbewusst - die Lücke zu füllen, die Robic hinterlassen hatte - mit seinen Leistungen aber auch als Sportsmann und Aushängeschild einer ganzen Sportart.

Race Across America

2009 startet die Beziehung Strassers mit dem Race Across America. Der Erzählstrang des Buchs orientiert sich am Verlauf eines RAAMs und dessen Abschnitten und Time Stations. Der Start an der Westküste im kalifornischen Oceanside, die ersten Kilometer nach Borrego Springs (inkl. des berühmt-berüchtigten „Glass Elevators“, die langen Gerade durch menschenleere Landstriche, die große Hitze und die kalten Nächte, die Rocky Mountains, Kansas und wiederum lange Geraden, die Appalachen und schließlich die letzten Kilometer bis zum Ziel in Annapolis. Strassers Erzählungen sind detailliert und sparen nicht mit selbstkritischen, spannenden, aufschlussreichen und lustigen Anekdoten aus dem Sattel und dem Betreuerauto.

Dabei springen die Erzählungen recht sprunghaft zwischen den unterschiedlichen Teilnahmen (2009, 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2017 und 2018) hin und her - so schnell, dass man als Leser teilweise den Überblick verliert, wo und an welchem Zeitpunkt der Geschichte man sich gerade befindet. Das tut dem Lesespaß allerdings überhaupt keinen Abbruch, zu intensiv sind Strassers Erzählungen, man fühlt sich wie ein Betreuer oder Zuschauer, der direkt im Rennen mit dabei ist.

So lebt man mit Strasser mit, wenn er von Duellen mit anderen Fahrern erzählt, seinen Zustand am Rad sehr bildlich beschreibt oder aber über seine Gefühlswelten vor, während und nach dem Rennen berichtet. Zweikämpfe haben in der Historie der Strasser´schen RAAMs zahlreich stattgefunden. Mit Freunden - Severin Zotter, David Misch - Kollegen wie Gerhard Gulewitz und Marko Baloh oder aber mit ungeliebten Konkurrenten wie dem Schweizer Reto Schoch. Bei letzterem ist sogar dem an sich sehr besonnenen und ruhigen Strasser die Wut anzumerken, wenn es um die einschneidenden Erlebnisse des RAAM 2012 geht. Aber Strasser wäre nicht Strasser, wenn er nicht auch in diesen Erlebnissen etwas Positives sehen würde - das Duell mit Schoch und die Lehren daraus haben ihn zu einem besseren Fahrer gemacht, die Motivation zurückzukommen war ungleich größer.

Der Zielstrich des RAAM!

Die Zustände des Radlers Christoph Strasser, die dieser während den acht Tagen des RAAM durchlebt sind mit die unterhaltsamsten Geschichten im Buch, auch wenn die Dramatik der Situation und der körperliche und geistige Zustand eigentlich keinen humorigen Beigeschmack mit sich bringen. Da werden schon einmal Straßenmarkierungen zu nicht aufgerolltem Klopapier, eigene Crew-Mitglieder werden nicht mehr als solche erkannt, nach einem Lenkerbandwechsel wird auch das Rad nicht mehr als das eigene identifiziert. Einmal fragt Strasser seine Crew, warum diese ihn immer und immer wieder den gleichen Anstieg hinauf schickt, obwohl dieser natürlich jedesmal ein anderer ist, Bauarbeiter werden mit Fangruppen verwechselt und beim Anblick des RAAM-Fotografen steuert Strasser gleich direkt in einen Acker hinein (und hofft dabei, dass das wenige Meter hinter ihm fahrende Betreuerauto diesen Fauxpas nicht bemerkt hat).

Während geistige Zustände in erster Linie auf den Schlafmangel zurückzuführen sind, ist natürlich auch der Körper des Radsportlers während einem RAAM extremen Herausforderungen ausgesetzt. Ein wunder Hintern und Probleme mit den Handgelenken sind dabei noch die geringeren Probleme. Lungenerkrankungen bis hin zum Ödem - weswegen auch Strasser eine seiner RAAM-Teilnahmen abbrechen musste, Probleme mit dem Wasserhaushalt, die zu gefährlichen Einlagerungen im Körper führen können und natürlich mögliche Verletzungen als Folgewirkung von Stürzen oder Unfällen sind nicht immer vermeidbar. Der beim RAAM verpflichtende Arzt in jedem Team kann bestimmte Auswirkungen abfedern oder mildern, Vorbeugung und entsprechend richtige Reaktionen bei auftretenden Symptomen sind jedoch der Schlüssel, dass man diese Sportart auch über einen längeren Zeitraum ausüben kann und nicht nachhaltige Schäden davonträgt. Immerhin dauert es mehr als zwei Tage, bis nach einem RAAM der Gleichgewichtssinn wieder zu 100% funktioniert, Gefühl in Zehen und Fußsohlen kommt ebenfalls erst nach und nach zurück. Sechs Wochen dauert es insgesamt, bis der Körper wieder auf dem Leistungsniveau von vor dem Rennen angelangt ist.

Der Faktor Team

Ausführlich - und das absolut zurecht im Sinne der Bedeutung - wird die Notwendigkeit des richtigen Teams skizziert. Ein Team ist jedenfalls keine lose Ansammlung von Adjutanten sondern integraler Bestandteil des Unterfangens und laut Strasser (neben Körper und Geist) zu 34% verantwortlich für ein erfolgreiches Rennen. Die Menschen an Strassers Seite sind dort schon lange am Werken, haben ebenfalls bereits große Erfahrung bei Langstreckenrennen und wickeln eine derartige Herausforderung hochprofessionell ab. Die Aspekte, die die Crew dabei zu behandeln hat, sind mannigfaltig und für den gemeinen Beobachter von außen oft gar nicht sofort erkennbar. Neben eher offensichtlichen Aufgaben wie Nahrungsversorgung oder medizinischem Beistand kommt natürlich der „Unterhaltung“ und Motivation des Fahrers enorme Bedeutung zu. Dass dieser Fahrer diese Hilfestellungen manchmal nicht oder nur sehr unwillig annimmt steht auf einem anderen Blatt Papier und ist eine große Herausforderung für Crewmitglieder - hier passiert aber zumindest im Team Strasser nichts, was sich nicht durch ein Bier nach dem Rennen reparieren doer geradebiegen ließe.

Soziales

Natürlich nicht Teil des Teams sind die anderen Fahrer, die zumeist als Gegner, sehr oft aber auch als Freunde und gute Kollegen Teil der Geschichte sind. Hervorgehoben und im Buch auch entsprechend gewürdigt werden David Misch und Severin Zotter. Misch beendete das RAAM selbst als Rookie of the Year, bestritt mit Strasser gemeinsam einige Rennen im Team und - in seiner Funktion als Autor - interviewte er Strasser für sein zuletzt erschienenes Werk „Intensität“. Zotter gewann das RAAM als Strasser nicht zur Stelle war und gesundheitsbedingt das Rennen aufgeben musste. In Zotter wuchs ein ernstzunehmender Konkurrent für Strasser heran, dieser widmete sich jedoch nicht zu 100% dem Ultraradsport sondern behielt seinen Job als Sozialarbeiter und plante die Gründung einer Familie. Diese Episode ist ein spannender Einblick in das Leben eines Ultraradsportlers in dem Sinne, dass es jedenfalls schwer ist, auf mehreren Kirtagen gleichzeitig zu tanzen und die Entscheidung FÜR eine Sache mitunter auch eine Entscheidung GEGEN eine andere darstellt.

Race Around Austria

Das Race Around Austria ist nicht nur mir ein persönliches Anliegen und eine Freude sondern auch Christoph Strasser. Davon zeugen zahlreiche Teilnahmen und Siege und eine entsprechende Wertschätzung, die in einem eigenen Kapitel des Buchs zu lesen ist. Das von Michael Nussbaumer ins Leben gerufene Event in der heutigen Form gilt als eines der schwersten Ultra-Radrennen in Europa und der ganzen Welt. Zur Geschichte des RAA habe ich an anderer Stelle schon mehr geschrieben - Strasser war einer der beiden Protagonisten, die 2008 die ursprünglich von Manfred Guthardt erprobte Österreich-Umrundung auf deren Wiederholbarkeit testeten und das Race Around Austria in der heutigen Form ermöglichten.

Die Atmosphäre des Race Around Austria wird im Vergleich zum RAAM als unglaublich beschrieben - während im Ziel des RAAM ein Official und einige Team- oder Familienmitglieder warten, werden in Sankt Georgen im Attergau ja sämtliche Fahrer durch das gleichzeitig stattfindende Marktfest gelotst - ein Ankommen, das keiner der Teilnehmer so schnell wieder vergisst. Auch nicht vergessen wird Strasser wohl die Teilnahme als Vierer-Team im Jahr 2013 - die Geschichten dazu sind nicht ganz jugendfrei und sollten daher am besten im Buch selbst nachgelesen werden.

Sportliche Ausflüge

Es ist natürlich maßlose Untertreibung, an dieser Stelle von „Ausflügen“ zu sprechen, vielmehr ist jedes Unterfangen von Strasser verbunden mit körperlichen und geistigen Höchstleistungen, die keinerlei Ähnlichkeit mit entspannten Ausflügen aufweisen.

In Erinnerung bleibt jedenfalls der 24h-Weltrekord auf der Bahn im Schweizer Grenchen. Wenn Strasser selbst das Kapitel mit „Gschissn und Richtig Gschissn“ bezeichnet, dann soll das schon was heißen… Zuerst noch wegen einer Erkältung verschoben, spulte Strasser in 24 Stunden 941,8 Kilometer ab - gleichbedeutend mit 3.767 Runden auf der 250 Meter langen Radbahn. Für Strasser retrospektiv das „Irrste“, was er jemals gemacht hat. Die Rekord-Urkunde bekam Strasser vom vorherigen Rekordhalter Marko Baloh überreicht, mit ehrlicher Freude - ein unfehlbarer Indikator für das gute Verhältnis, das Strasser zu seinen Kollegen pflegte und pflegt.

Die Stadt Wien bekommt an dieser Stelle übrigens - zu Recht! - ihr Fett weg. Bürokratische Prügel, die dem Team Strasser im Vorfeld in den Weg gelegt wurden, verhinderten, dass der Weltrekordversuch im Wiener Ferry-Dusika-Stadion stattfindet.

Humorig - aber auch hier mit eigentlich ernstem Hintergrund - liest sich die Episode rund um den 24h-Weltrekord am Berliner Tempelhof. Die Strecke war nur sporadisch abgesperrt, das Wetter war nicht gerade einladend, der Wind bösartig. Trotzdem zog Strasser die Nummer durch, der Weltrekord betrug danach 896,2 Kilometer. Die magische Marke von 900 Kilometer hat Strasser in der Zwischenzeit übrigens pulverisiert - die 24h-Weltmeisterschaften in Borrego Springs fanden gerade erst im Oktober 2018 und damit nach Fertigstellung des Buchs statt.

Charakteristika eines “Weiradlfoaras”

Was ist notwendig, um Ultraradfahrer auf derart hohem Niveau zu sein? Das Buch kann diese Frage natürlich nicht erschöpfend beantworten - abgesehen davon, dass viele Aspekte absolut individuell sind und daher nicht von einer Person auf die andere gemünzt werden können. Strasser legt eine absolute und starke intrinsische Motivation an den Tag - dies spiegelt sich in allen seinen Aussagen, Ansichten und Taten wider. Stetige Verbesserung der eigenen Person und Leistungen steht absolut im Vordergrund, wobei - aus meiner Sicht absolut essentiell und mit ein Alleinstellungsmerkmal von Strasser - auch eine große Portion Bescheidenheit und Demut erhalten bleibt.

Strasser hat sich in den letzten Jahren an die Spitze des Ultra-Radsports hinaufgearbeitet. Konkurrenten oder Herausforderer sind Mangelware. Was auf den ersten Blick als Glücksfall erscheint, offenbart auf den zweiten Blick großen Druck, Motivationslöcher und viel notwendiges Durchhaltevermögen. Keiner spricht mehr von Durchkommen oder vom olympischen „Dabeisein ist alles“, sondern nur noch von Pflichtsiegen und verbesserten Streckenrekorden. Die Mutter sagt etwa „Super Junge, dann kann endlich ein anderer gewinnen“, als bekannt wird, dass Strasser 2016 nicht beim RAAM antreten kann. Ständig Favorit zu sein ist schön, aber kein Garant dafür, dass man diese Rolle auch weiterhin einnimmt. Positiv formuliert heißt das bei Strasser, immer weiter hart an sich zu arbeiten, um den Moment hinauszögern zu können, in dem ein Besserer kommt.

Kritiker werfen Strasser gar vor, die Gegner zu verhöhnen, in dem er Stunden und Tage Abstand zwischen sich und seinen Verfolgern herstellt. In seinen Augen ist allerdings genau das Gegenteil der Fall: Für Strasser zeugt es von Respekt gegenüber den anderen Teilnehmer*innen, dass er gut vorbereitet und top motiviert an die Startlinie kommt. Im Jahr 2018 war das beim Race Across America gut ersichtlich: Die Konkurrenz war „überschaubar“, der Druck des fünften Siegs groß, die Motivation aber schwierig aufrecht zu erhalten. Funktioniert hat es dann trotzdem, aber nicht „eh“ sondern „obwohl“!

Und außer Radfahren? Was sonst noch?

„Das Rad und ich - das ist etwas Längerfristiges“ meint Strasser und der Romantiker in mir frohlockt ob der einfachen aber so authentischen Botschaft. Völlig unromantisch allerdings (oder vielleicht gerade auch wieder romantisch!) ist allerdings, dass es im Ultraradsport im Wesentlichen keine Preisgelder gibt. Das erscheint auf den ersten Blick fatal und mag es aus wirtschaftlicher Sicht auch sein, andererseits erhält dieser Umstand eine gewisse Unschuld der Szene und der Rennen und - sehr wesentlich angesichts der erbrachten Leistungen - verleitet es weniger zur Verwendung unlauterer Mittel, um einen Sieg herbeizuführen. Tatsächlich wird dies durch bis dato fehlende positive Dopingergebnisse weitgehend untermauert.

Wie finanziert man sein Leben als Ultra-Radrennfahrer, wenn die sportlichen Erfolge keine entsprechende Entlohnung versprechen? Die Antwort liegt in Büchern und Vorträgen, ersteres zu erklären ist ob dieses Artikels glaube ich obsolet, zweiteres hat sich Strasser sukzessive erarbeitet. Vorab steht man vor einem Dilemma: Trainieren, um die sportlichen Erfolge zu garantieren oder mit Vorträgen und anderen Aktivitäten Geld verdienen (dafür aber Trainingszeit zu opfern)? Strasser hat einen erfolgreichen Mittelweg gefunden - offensichtlich!

Seine Vorträge handeln von seinen Abenteuern und dienen dazu, Motivation und Herangehensweise von Strasser bei seinen Projekten zu erläutern. Es sind keine klassischen Motivationsseminare - obwohl manch Aussage von Strasser durchaus Potential für ein Motivationsposter hätte („Wer glaubt etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden“, „Knappe Niederlagen gehören im Sport zum Motivierendsten, was es gibt“, „Wenn ich erfolgreich sein will, muss ich auch echte Leistung bringen“). Im Kontext seiner Erfahrungsberichte und gepaart mit der natürlichen Authentizität nimmt man ihm gerne ab, worüber er spricht. Ganz abgesehen davon ist ja wenig Hokuspokus an der Sache, meistens geht es doch nur darum, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen und von anderen zu lernen. „Wollen“ wird man schon müssen, aber wer nicht „will“, wird wohl weder dieses Buch lesen noch in einen Vortrag eines Ultraradsportlers gehen (obwohl ich es ihm oder ihr wünsche).

Gewinnspiel

Es wird ein signiertes Exemplar des Buchs “Der Weg ist weiter als das Ziel” von Christoph Strasser unter allen Teilnehmenden verlost. Das Buch wurde von Christoph Strasser, Ultracyclingshop.com und Egoth Verlag zur Verfügung gestellt.

Alle Teilnehmenden werden auch für den 169k-Newsletter eingetragen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, keine Barablöse. Die Teilnahme ist bis inkl. 20.11.2018 möglich, die Bekanntgabe des Gewinners bzw. der Gewinnerin erfolgt auf der Facebook-Seite von 169k und per Mail.

"Intensität" von David Misch

Ich würde ja gerne schreiben, dass ich mich noch genau daran erinnern kann, als es an diesem oder jenen Tag, genau um diese Uhrzeit Klick gemacht hat. Aber ich kann Zeitpunkt und Auslöser nicht mehr genau festmachen, als sich bei mir irgendein mysteriöser Schalter umgelegt hat. Ab diesem Moment waren manche Dinge irgendwie anders: Erzählungen über tagelange Radtouren lösten bei mir plötzlich kein Kopfschütteln mehr aus, Geschichten über Schlafentzug schockierten mich weniger als zuvor, Berichte von “Qualen" bei der Bewältigung einer hunderte Kilometer langen Strecke machten plötzlich geradezu Lust, selbst sofort in den Sattel zu steigen.

Ultracycling, aber auch jede andere Sportart, die eine ähnliche Hingabe und Zuwendung abverlangt, ist ein Feld, über das man hervorragend philosophieren kann. Wie sonst soll man manche Ausprägungen “rational” erklären? Zwangsläufig sieht man sich mit Fragen konfrontiert wie “Ist das noch normal?”, “Ist das nicht gesundheitsschädlich?” oder “Wo liegt der Sinn dieser Aktionen?”. Diese grundlegenden Fragen zu beantworten und die vielen Zwischentöne und Nuancen zu beleuchten ist eine große Herausforderung, zumal Motive und Herangehensweisen höchst unterschiedlich sind. Als gemeinsamer Nenner lässt sich jedoch der Begriff “Intensität” ermitteln, geht es doch immer um ein bewusstes Erleben, Steigern oder Erfahren.

David Misch - selbst Ultra-Radsportler und Autor des schönen Buchs “Randoneé” - hat sich unter ebenjenem Titel “Intensität” daran gemacht, den Themenkomplex fundierter zu betrachten. Und er tut dies nicht alleine, sondern mit Hilfe von zahlreichen Protagonisten ebendieser “intensiven” Erlebniswelten - Radfahrern, Läufern, Tauchern, Bergsteigern und Paragleitern. In siebzehn Interviews versucht Misch, einen Einblick in die Gedankenwelt dieser Personen zu erlangen - immer mit dem Ziel, die Motivation, Herangehensweise und die damit verbundenen Hoffnungen und Ängste zu erfahren, die in der Verwirklichung von immer extremeren Projekten liegen. Das resultiert in teilweise ernüchternden, manchmal erwartbaren aber oft auch überraschenden Geschichten, denn mit Hobby-Psychologie alleine kommt man nicht weiter, wenn man auf der Suche nach Erklärungen für diese Höchstleistungen ist.

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Die Interviews

Es macht natürlich keinen Sinn, hier zu versuchen, das Buch klassisch zusammenzufassen, zu unterschiedlich sind dafür die einzelnen Gespräche und Erfahrungen. Eine gemeinsame Klammer um alle Interviews zu spannen ist ebenso nicht möglich, einerseits hat jede Person in dem Buch ihre Alleinstellungsmerkmale, andererseits führt ja schon der Autor selbst am Anfang des Buchs aus, dass es nicht möglich ist, alle Projekte der Protagonisten in einen gemeinsamen Topf zu werfen.

Für eine Rezension eine schwierige Aufgabe… Bevor ich daher auf jedes der gefühlt 2.000 Fähnchen eingehe, das ich bei der Lesung des Buches eingeklebt habe - “Das könnte für die Rezension interessant sein!”, “Das hier auch”, “Naja, das hier eigentlich auch noch” - versuche ich ein paar der Aspekte aus den einzelnen Interviews hervorzuheben, die mich persönlich entweder berührt, verwundert oder überrascht haben und hoffentlich Lust aufs Lesen machen - ohne roten Faden, Wertung oder Reihenfolge…

Momentaufnahmen

Quälerei

Rainer Predl - den ich übrigens 2017 beim Race Around Austria vor der Linse hatte - ist Pragmatiker. Bei ihm scheint der Lustgewinn nicht primärer Antrieb zu sein bzw. geht es ihm neben der Leistung jedenfalls nicht um landschaftliche Schönheit oder andere Genüsse. Er scheint getrieben davon, Leistung erbringen zu müssen und schreckt dabei auch vor Selbstzerstörung nicht zurück, obwohl sein Körper schon sämtliche Alarmsignale aktiviert hat. Leistung und Tempo sind für ihn die einzigen Messgrößen, nur Finishen alleine ist für ihn persönlich noch kein Ziel. Doch wer hier eine emotionslose Maschine vermutet liegt falsch, ist doch ein Mindestmaß an Reflexion essentiell, wenn man sich in solchen Extremen bewegt. Bewundernswert finde ich daher die Anekdote, in der Predl ein Rennen aufgab, als er sich bewusst wurde, dass sich viele andere Läufer über ihre vernünftigen Grenzen hinaus verausgaben und er “nicht mehr Teil dieser Horrorshow sein wollte”.

Social Media-Druck

Ein sehr spannender Aspekt wird von Florian Grasel - unter dem Pseudonym “Trailbeard” einer der erfolgreichsten Trailrunner - eingebracht, und zwar der Druck, der durch soziale Medien entsteht. Im Extremsport bedeutet das, sich tagtäglich mit neuen Rekorden, Projekten und Versuchen konfrontiert zu sehen, gut produziert, hervorragend dokumentiert und vermeintlich auch recht einfach nachzumachen und damit auf eine Art und Weise die Leistungen wieder relativierend. Die eigene Social Media-Präsenz ist dabei zugleich Fluch und Segen, ist es doch ohne entsprechenden Internetauftritt heutzutage schwierig, Leistungen zu vermarkten und Sponsoren zu finden. Der permanente Druck des Produzierens neuer Inhalte - die im Idealfall auch noch spektakulär sein sollen - ist allerdings enorm. Da kann das persönliche Erleben schon einmal fast durch den Rost fallen.

Suchtpotential

RAAM-Sieger Severin Zotter arbeitet als Sozialarbeiter in Graz und hat in dieser Funktion auch mit zahlreichen Suchterkrankten zu tun. Er widerlegt in seinem Interview auf spannende und eloquente Art und Weise die Hypothese, dass viele (Extrem-)Sportler aus einem Suchtverhalten heraus handeln, immer neue Rekorde und Extreme suchen, vergleichbar mit dem “nächsten Schuss” - und es finden sich in “Intensität” auch andere Sportler, die in das gleiche Horn stoßen. Die meisten der Protagonisten sind überlegte, rational handelnde, berechnende und sämtliche Eventualitäten abwägende Individuen. Von unüberlegten, sinnlos riskanten oder irrationalen Handlungen sind alle weit entfernt - wesentlich ist der im Vorfeld grob abgesteckte Rahmen, in denen sich deren Aktivitäten bewegen. Und wenn schon Sucht, dann erwähnt Zotter Sport als Suchtprävention - hier wird schlimmstenfalls eine gefährliche Sucht gegen eine weitaus harmlosere getauscht.

Übermenschliche Leistungen

Immer wieder kommt auch das Thema Doping zur Sprache - überall dort verständlich, wo Leistungen über die Vorstellungskraft eines externen Betrachters hinausgehen. Christoph Strasser - gerade frisch gebackener Staatsmeister im Ultracycling beim Race Around Austria - berichtet von seinen Sorgen, dass die Stimmung ihm gegenüber kippen könnte, angesichts der Leistungen, die er auf beständig hohem Niveau erbringt. und er sieht dabei ein systemisches Versagen - sobald mehr Geld im Spiel ist, “bleibt kein Platz für Idealismus, für den vielzitierten olympischen Gedanken”. Dass das Race Across America nach wie vor ohne Preisgelder auskomme, sei in diesem Sinne als Vorteil zu werten, um die Unschuld und auch Unbekümmertheit der Szene zu bewahren. Denn Fakt ist auch - und das auch abseits des klassischen Dopings: wer bei einem mehrere tausend Kilometer langen Rennen betrügen wollte, der wird das schaffen - trotz Referees und Regularien.

Christoph Strasser bei der Race Around Austria Challenge 2018

Immer weiter

Warum läuft oder fährt man immer weiter und weiter - wie kommt es zustande, dass man sich an die Startlinie eines (unvorstellbaren) 20-fach Ironman stellt? Xandi Meixner beschriebt, dass sie vom Konzept des “immer schneller” in einer bestimmten Disziplin zum “immer weiter” gewechselt hat - eine vermeintlich grundlegende Entscheidung zwischen zwei Entwürfen von Sport, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Für Meixner nimmt die Entscheidung für das “immer weiter” auch Druck von ihr, falls in einem Jahr einmal nicht die entsprechenden Leistungssteigerungen auftreten.

Ambivalenz

Ambivalent ist das Bild, das von Michael Strasser entsteht, wenn man seine Interviewpassagen studiert. Es ist schwierig, sich zwischen Top-Leistungssportler, Narziss, Sozialprojekt und Öffentlichkeitsarbeit ein stimmiges Bild zu machen. Er wirkt getrieben von der absoluten und permanenten Leistungsoptimierung wobei gleichzeitig der Eindruck entsteht, dass an anderen Stellen Dinge zu kurz kommen. Auch wenn ein gewisser Pragmatismus bei monumentalen Projekten wie dem aktuell laufenden “Ice2Ice” natürlich notwendig ist, um so etwas erfolgreich abzuwickeln.

Das Buch

Die Zielgruppe für dieses Buch ist breit gefächert. Sport-Interessierte, Hobbyathleten mit Ambitionen, Partner und Angehörige und alle Menschen, die verstehen wollen, was in Extremsportlern vor sich geht. Das Buch beschönigt nichts - nicht dass dies notwendig wäre, leugnet nichts, wertet aber auch nicht. Die Protagonisten sprechen aus ihren Innersten, allzu viele Kommentare sind dazu nicht notwendig. Es bleibt genügend Spielraum für den Leser und die Leserin, die Aussagen für sich selbst zu deuten und damit auch die Möglichkeit, sich selbst wiederzufinden.

Autor und Buch verzichten auf jegliche Effekthascherei. Die enthaltenen Bilder der Protagonisten verdeutlichen lediglich, in welchem Umfeld sich diese bewegen und untermauern damit deren Aussagen. Die Interviews selbst sind so verfasst, als säße man mit am Tisch - auch hier bedürfen die Worte der Interviewpartner keiner zusätzlichen Stilmittel oder Dramatisierungen, die “Intensität” des Gesagten reicht hier absolut aus, um das Buch nicht weglegen zu wollen.

Übrigens hat im Egoth Verlag vor kurzem auch Christoph Strasser ein Buch veröffentlicht - eine Biographie mit dem Titel “Der Wer ist weiter als das Ziel”. Eine Rezension und das dazugehörige Gewinnspiel gibt es in Kürze hier auf 169k.net

Neben dem Rezensionsexemplar wurde vom Egoth Verlag noch ein Exemplar zur Verlosung zur Verfügung gestellt. Alle vollständig ausgefüllten und abgeschickten Formulare nehmen automatisch an der Verlosung teil. Es besteht kein Rechtsanspruch und es ist keine Barablöse möglich. Mit Absenden des untenstehenden Formulars erfolgt außerdem eine Eintragung des Absenders in den Verteiler des 169k-Newsletter. Die Bekanntgabe des Gewinners oder der Gewinnerin erfolgt auf der Facebook-Seite von 169k.net, die Teilnahmefrist endet am 30.09.2018.

Lesetipps - Covadonga

Mittlerweile liegen so viele spannende und schöne (Rad)Bücher bei mir zuhause, dass es nicht mehr ausreicht, nur den traditionellen vor-weihnachtlichen Ex Libris-Blogbeitrag zu schreiben. Hier also eine kleine Auswahl von neuen und nicht mehr ganz so neuen Büchern - diesmal aus dem Covadonga Verlag.

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Der Radfahrer und sein Schatten - Olivier Haralambon

Ein ruhiges, entschleunigtes und philosophisches Buch legt der Franzose Olivier Haralambon vor. In vierzehn Kapitel arbeitet er sich durch das Dasein als Radfahrer, die Wahrnehmung während des Fahrens, die Intensität von Rennen und die Dynamik des Pelotons. Auch wenn manchen Stellen des Textes schon fast etwas zu viel Pathos anhaftet, die Sprache des Autors beruhigt und führt gemächlich durch die Welt des Radfahrens und des Radsports. Dinge, über die man sich wahrscheinlich noch nie so richtig Gedanken gemacht hat, werden hier zum ersten Mal formuliert. Früher oder später findet sich jede*r in diesem Buch wieder - egal ob es die ersten Tritte in die Pedale als Kind sind, das erste Rennen, das man - wenn auch nur für ganz kurze Zeit - an der Spitze des Pelotons anführt oder die Erhabenheit der Fortbewegung auf dem Rad als solche.

Das Rad schmiegt sich dem unnützen Körper an, baut ihn auf und gibt ihm eine Bestimmung. Allein die Tatsache, aufs Rad zu steigen, erhöht augenblicklich den unbedeutenden Fußgänger, erleuchtet verwachsene Körper, die sich als lebende Kathedralen errichten, wodurch auch kleine unscheinbare, in ihrer Straßenkluft unbeholfen wirkende Männer plötzlich alles um sich überragen. Die Haltung des Radfahrers entkleidet und offenbart ihn. Ob der Champion sein Dress trägt oder nicht, nackt ist er immer.

Wer also herausfinden möchte, warum stark zu sein und schnell zu fahren zwei grundverschiedene Dinge sind, wie vermeintliche "Rohlinge in Wahrheit empfindsam sind wie Tänzerinnen" oder ein Rad nicht erwählt wird, sondern sich ganz natürlich aufdrängt, dem seien die vierzehn Kapiteln nahegelegt. Es ist ein willkommener Kontrapunkt zu Leselisten und Bücherregalen, die vollgestopft sind mit Watt, Pulsschlägen und Ernährungsstrategien.

Olivier Haralambon - "Der Rennradfahrer und sein Schatten", Eine kleine Philosophie des Straßenradsports. 166 Seiten - EUR 16,80 - Covadonga Verlag

Velominati - Die Regeln

Seit vielen Jahren schon schwirren sie durch den Äther der Radsportwelt - "The Rules". Du sollst nicht..., du darfst nicht…, 10 Gebote? Nein, 95 Regeln sollte der Radfahrer kennen. Ob er immer alle befolgt, ist eine andere Geschichte. Ein Augenzwinkern hie und da und eine gewisse Portion Selbstironie sind wohl auch angebracht, wenn man sich durch den Codex der Velominati durcharbeitet. Wer frei von Schuld sei, werfe den ersten Stein. Das Rad schon mal auf den Kopf gestellt? Die Beine nicht rasiert? Den "Local Bike Shop" hintergangen? Ja, ja und ja. Außerdem sind meine Brillenbügel immer über den Helmriemen (und nicht darunter - Regel #37), ich fahre bei Rennen mit, ohne jegliche Chance zu gewinnen (verstößt gegen #70) und bei mir kommt die Familie dann meistens doch vor dem Radfahren (und nicht danach, wie das Regel #11 postuliert).

Aber eigentlich ist es egal, ob es um das Rad geht, die Ästhetik oder das Leiden (so die Einteilung der Kapitel) - es ist gut, sich zurechtzufinden und die Regeln zu kennen. Neben einigen Regeln, die tatsächlich nur mit Augenzwinkern zu lesen sind, findet man doch auch viele nützliche und wertvolle Hinweise. Ob man dadurch sein Verhalten ändert oder nicht, Dinge vielleicht anders angeht als sonst oder einfach nur die Mitfahrer*innen und Vereinskolleg*innen besser versteht, ist natürlich freigestellt. Und dann gibt es da natürlich jene Regeln, die mittlerweile in allgemeines Kultur- und Sprachgut übergegangen sind: die berühmte N+1 Regel für die ideale Anzahl an Rädern, die vielzitierte Regel #5: Harden the f*** up! oder auch Greg Lemonds Ausspruch "Es wird nicht einfacher, du wirst nur schneller" (#10).

Was den Mehrwert des Buches ausmacht, sind die Erklärungen und Hintergrundinformationen zu den einzelnen Regeln. Hier wird auf mehreren Seiten ausgeführt, wie manche Dinge historisch gewachsen sind, wie der Radsport früherer Jahre bis heute sein Erbe verteidigt oder aber warum es einfach keinen Sinn macht, weiße Radhosen zu tragen.

Das Buch ist also als Enzyklopädie zu sehen, voll mit Informationen und Tipps, die das Leben am Rad entweder schöner oder schneller, sicher aber unterhaltsamer machen. Und auch wer nicht selbst am Rad sitzt, wird in diesem Buch viele wertvolle Erkenntnisse finden - und manche Verhaltensweisen von Freund*innen und Partner*innen erscheinen dann vielleicht nicht mehr ganz so skurril.

Velominati - "Die Regeln", 312 Seiten - EUR 14,80 - Covadonga Verlag

Walter Jungwirth - Tausend Kilometer Süden

Die Mille du Sud ist ein mythenbehaftetes Brevet in den französischen Alpen. Insider haben schon von der Prüfung gehört, die hier auf trainierte Radlerbeine wartet. Auf - wie der Name schon sagt - tausend Kilometern werden hier berühmte Berge unter die Räder genommen, es ist eine Fernfahrt - kein Rennen, Selbstversorgung ist das Gebot der Stunde. Außerdem sind alle Teilnehmer gleich - es gibt ein Limit von 100 Stunden für den Randonneur, die Strecke zu bewältigen, darüberhinaus gibt es aber keine Zeitnehmung, keine Wertung und keine Ergebnisse.

Der Autor arbeitet sich in dem Buch über die Strecke der Mille du Sud - intensive Erlebnisse, Freundschaften, stille Momente und - unvermeidlich - Leiden säumen seinen Weg. Es ist kein klassischer Rennbericht, der hier abgefasst wurde. Es sind vielmehr Momentaufnahmen, Beobachtungen und Eindrücke des Fahrers, die sich zu einem spannenden und nicht zuletzt auch romantischen Gesamtbild zusammenfügen. Als Leser ist man als Passagier dabei, sitzt quasi am Gepäckträger des Autors - man passt sich an den Takt des Radfahrens an, lebt mit dem Fahrer mit, fühlt sich, wie wenn man selbst dabei wäre.

Auch die Einblicke in die Strapazen, die Motivation des Autors und sein Weg zum Radfahren und zur Mille du Sud sind absolut lesenswert, bieten die Möglichkeit, über die eigenen Motive zu reflektieren, machen am Ende aber einfach Lust darauf, selbst in die Pedale zu treten. Es müssen ja nicht gleich 1.000 Kilometer und 16.000 Höhenmeter durch den südlichen Alpenbogen sein...

Walter Jungwirth - "Tausend Kilometer Süden - Eine Erzählung vom Radfahren in den Bergen", 160 Seiten - EUR 14,80 - Covadonga Verlag

Ex Libris (Buchtipps)

Weihnachten naht... :)

Falls ihr noch auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken seid - für jemand anderen oder für euch selbst - hier sind einige Bücher, die ich im gerade zu Ende gehenden Jahr gelesen habe. Sie haben allesamt mehr oder weniger mit dem Radfahren zu tun, sind zwar teilweise nicht brandaktuell aber alle zusammen absolut lesens- und ansehenswert!

Rennradfieber

"Rennradfieber - Lust und Leidenschaft auf dünnen Reifen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines schnellen Sports" - herausgegeben von Othmar Pruckner und Wolfgang Gerlich

Bereits letztes Jahr im Falter Verlag erschienen, sagt der Untertitel eigentlich alles, was man über dieses Buch wissen muss. Rund 250 großformatige Seiten, vollgepackt mit kurzen Geschichten über die unterschiedlichsten Aspekte unseres geliebten Radsports. Unter den Autoren finden sich alte Bekannte, Prominente und - für mich ist das jedenfalls ein zusätzliches Zuckerl - jede Menge Freunde aus Wien - näher dran an der Geschichte war man also selten...

Thematisch könnte der Blumenstrauß bunter nicht sein: Österreichischer Radsport in der Vergangenheit und Gegenwart, Spielarten des Radler-Daseins von Rennrad über Cyclocross bis zum Randonnée, Gefühle und sehr persönliche Erlebnisse, die einzelne von uns mit dem Radfahren verbinden und technische Einblicke vom Rad an sich bis hin zu elektronischen Gadgets. Die Autoren scheuen dabei auch nicht vor sperrigen oder schwierigen Themen wie "Doping im Hobbyradsport" oder persönlichen Verlusten zurück. Garniert sind die Geschichten mit hervorragenden Bildern und Aufnahmen - auch hier wird man das eine oder andere bekannte Gesicht oder eine schon mal durchmessene Kurve entdecken. Besonders hervorzuheben ist die bildgewaltige Serie von Philipp Forstner - hier ist kein erklärender Text notwendig.

Wer an sämtlichen Facetten des Radsports interessiert ist, findet an den kurzweiligen Geschichten jedenfalls schnell Gefallen. Ich habe auch jene Kapitel aufmerksam aufgesogen, die mich ob ihrer Überschrift jetzt nicht unbedingt angelockt hätten - für mich ein eindeutiges Qualitätsmerkmal. Auch Nicht-RadfahrerInnen nützen die im Buch skizzierten Einblicke in die Radler-Seele, können sie doch den einen oder anderen Grund erklären, weshalb wir alle dem "Rennradfieber" verfallen sind!

Legends of Steel - Bengt Stiller

Bengt Stiller ist Fotograf aus Hamburg und lebt derzeit in Wien. Als leidenschaftlicher Radfahrer und Fotograf hat er mit "Legends of Steel" seine beiden Vorlieben verbunden und letztes Jahr einen mächtigen Bildband über Stahlräder, legendäre Rennen und Rahmenbauer vorgelegt.

Wo Stahlräder noch verehrt werden, zeigt sich anschaulich in den Kapiteln über die italienische Institution "L´Eroica", dem Rennen durch die Toskana auf alten Stahlrennern. Die Veranstaltung hat in den letzten Jahren eine enorme Anhängerschaft gefunden, mittlerweile existieren zahlreiche Ableger in allen Teilen der Welt. Als österreichisches Pendant wird auch die großartige "In Velo Veritas" mit einem eigenen Kapitel gewürdigt, in der jedes Jahr ein anderer Abschnitt des Weinviertels unter die - teils mehrere Jahrezente alten - Reifen genommen wird.

Nicht unbedingt mit alten Stahlrädern wird Paris - Roubaix in Verbindung gebracht - die Königin der Frühjahrsklassiker. An Emotion, Tradition und Pathos wird Paris-Roubaix allerdings von keiner Veranstaltung getoppt. Der Autor weiß in diesem Fall wovon er spricht, ist er doch selbst das Hobby-Rennen mitgefahren. Einem anderen Mythos wird ebenso bildgewaltig Tribut gezollt - dem Mont Ventoux. Mythenumranktes Ungetüm mitten in der französischen Provence.

Wer Interesse an der Arbeit von Bengt Stiller hat, dem bietet sich im Radlager noch bis 23.12.2016 die Möglichkeit, die dort ausgestellten Bilder der Reihe "RUHEPULS: 180" zu bestaunen.

Der Schweiß der Götter - Benjo Maso

Der Untertitel verspricht nicht weniger als die Aufarbeitung der "Geschichte des Radsports" - ein hehres Ziel! Und so beginnt das Buch auch bei den Anfängen des Radfahrens und des Radsports, beschreibt - als Ergebnis einer sichtlich detaillierten Recherche des Autors - sehr genau die Rahmenbedingungen und Umstände, unter denen die ersten Rad-Wettfahrten abgehalten wurde. Keineswegs mit dem Prestige heutiger Sportveranstaltungen vergleichbar, wurden die Rennfahrer über unmenschliche Distanzen, auf fragwürdigen Wegen und unter unwürdigen Strapazen quer durch ganze Länder geschickt - die damaligen Etappen mit einer Länge von mehreren 100 Kilometern.

Rivalitäten zwischen Fahrern und Nationen stehen schon damals auf der Tagesordnung, es sind einzelne Ereignisse, die bekannte Namen hervorbringen - Namen, die noch heute bei jedem Radsportfan die Augen aufflackern lassen. Zur Mythenbildung trägt auch die Tatsache bei, dass Ereignisse nicht wirklich objektiv und ausreichend dokumentiert sind, mündliche Weitergabe verbunden mit dem Stille-Post-Prinzip überhöht so manchen Sachverhalt.

Ökonomische Interessen, zunehmende Professionalisierung und die spätere Zuhilfenahme leistungssteigernder Mittel bilden den Erzählstrang für den Radsport der Gegenwart.

Das Buch enthält zahlreiche spannende Fakten und Anekdoten, die einen tieferen Einblick in die Entwicklung des Radsport geben und so dazu beitragen, dass mancher Sachverhalt vielleicht etwas besser verstanden und eingeordnet werden kann. Andere Informationen können vielleicht maximal in einem Rad-Quiz nützlich sein, haben aber keinen direkten Einfluss auf die Geschichte. Andererseits, die Geschichte von Eugène Christophe, der bei der Tour de France 1913 bei der Abfahrt vom Tourmalet einen Gabelbruch erlitt, über 10 Kilometer zur nächsten Schmiede ging, dort eigenhändig seine Gabel im Feuer der Schmiede reparierte und dann obendrein noch bestraft wurde, weil ein Junge für ihn den Blasebalg bediente (und fremde Hilfe verboten war)... - solche Geschichten kann man nicht erfinden. Und wenn doch, dann wollen wir bitte in dieser Illusion gelassen werden!

Gironimo! - Tim Moore

Der Autor stöbert in der Historie des Radsports und stößt auf das vermeintlich härteste Radrennen, das jemals ausgetragen wurde - den Giro d´Italia von 1914. Der Plan ist schnell gereift, 100 Jahre später will Tim Moore mit Original-Equipment die damalige Strecke nachfahren.

Es beginnt eine Odysee durch Radläden, Flohmärkte und Sammlerbörsen - immer auf der Suche nach den richtigen (alten) Radteilen, der Zusammenbau ist eine Geschichte für sich - Tim Moores begrenztes Schraubertalent trägt zum Gaudium des Lesers bei - Familienkrisen inklusive.

Einmal auf dem Rad stößt Moore schnell an seine Grenzen - waren die damaligen Giro-Etappen doch mehrere hundert Kilometer lang - und "mehrere" steht in diesem Fall nicht für 200 sondern für 500 Kilometer! Die Routenwahl stellt ihn vor große Herausforderungen, da vom Giro 1914 nur fragmentarische Aufzeichnungen existieren. Als die eigentlichen Herausforderungen stellen sich jedoch ohnehin eher italienische Autofahrer, Mücken und enge Hosen heraus - jeweils unterhaltsam beschrieben, sodass man froh ist, nicht in seiner Haut zu stecken.

Was das Fahrrad betrifft, stellt sich heraus, dass das alte Material mehr aushält als befürchtet. Einzig ein gebrochener Sattel, Bremsbeläge, die sich nach einigen Bremsungen aufgelöst haben und der einzige vorhandene Gang (heute würde man Singlespeed sagen) begleiten den Leser auf der gesamten Reise.

Moore orientiert sich bei seinem persönlichen Giro an dem Sieger von 1914 Alfonso Calzolari und vergleicht deren beider Situation auf jeder Etappe. Der Rückstand von Moore auf seinen Konkurrenten - der das Rennen 100 Jahre vor ihm fährt - wächst mit jedem Tag kontinuierlich, sodass die Leistungen der Fahrer von damals absolut unmenschlich erscheinen.

Das Buch ist sehr unterhaltsam geschrieben und liest sich dementsprechend auch sehr kurzweilig und schnell. Einzig die Be- und Erschaffung des Rades ist meiner Meinung nach etwas zu lang und detailliert beschrieben, aber rollt man erst einmal mit Moore durch Italien, nimmt auch der Lesespaß schnell wieder an Fahrt auf!

Bekenntnisse eines Nachtsportlers - Wigald Boning

Im Zuge des Versuchs meiner Mutter, mein Hobby zu verstehen, hat sie mir die "Bekenntnisse eines Nachtsportlers" von Wigald Boning geschenkt. Wigald Boning? War das nicht der deutsche Komiker? Komisch angezogen? Seltsamer Humor? Und da war noch diese Band "Die Doofen"... Alles nicht so wirklich mein Ding. Dementsprechend lange ist das Buch ungelesen auf meinem Nachttisch gelegen. Doch man lässt sich ja gerne vom Gegenteil überzeugen! Fakt ist, Boning ist als Autor extrem gewitzt und wortgewandt - keine Spur von plattem Humor oder konfusem Sprechdurchfall.

Boning beschließt im Jahr 2000 - während er Heike Drechsler bei Olympia Gold gewinnen sieht, dass er von der Couch aufstehen und Sport machen wird. Was danach folgt? Laufversuche, Marathontraining, Marathons, Ultraläufe, Berglauf, Ski-Langlauf über 50 km, Bergläufe mit Spitzensportlern, laufende Alpenüberquerungen, 24-Stunden Mountainbike-Rennen und und und.

Er erzählt humorvoll und unterhaltsam, wie er seine Trainingseinheiten aus Zeitgründen in die Nacht verlegt, vor dem Frühstück auf einen Berg läuft, während Drehtagen in Hotels im Stiegenhaus seine Trainingseinheiten absolviert und was für Folgen das alles für sein Privat- und Berufsleben hat. Große Empfehlung, ich war sehr positiv überrascht!

Weihnachtseinkauf?

Für den Fall, dass euch meine Leseempfehlungen ansprechen und ihr das eine oder andere Buch kaufen wollt, möchte ich noch Folgendes loswerden:

Ich bin keineswegs Amazon-Hasser - manchmal hat das durchaus auch seine Vorteile - aber beim Radkauf gibt es die Devise "Support your LBS". Heißt es dort "Local Bike Shop", möchte ich daraus "Local BOOK Shop" machen. Es gibt zahlreiche Buchläden in Wien und Umgebung, die nur darauf warten, euch mit literarischen und lyrischen Schmankerln zu versorgen - nützt diese Möglichkeit!

In Wien existiert für uns Radfreunde außerdem ein besonderes Kleinod - die "Buchhandlung im Stuwerviertel". Die Jungs dort haben große Freunde am Radfahren und sorgen auch dafür, dass immer genug Radsport- und Fahrradbücher für uns auf Lager sind. Schaut bei ihnen in der Stuwerstraße oder auf Facebook vorbei - sie freuen sich darauf, euch bei euren Besorgungen zur Seite zu stehen!