Buchtipp: Jonas Deichmann "Cape to Cape"

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich zum ersten Mal von Jonas Deichmann gehört habe. 2018 redeten plötzlich alle von diesem einen Typen, der solo und unsupported auf der Panamericana unterwegs ist - dort wo andere Extremsportler ähnliche Unterfangen mit Support gestartet hatten. Die Art und Weise, wie Jonas seine Abenteuer anlegt und darüber berichtet, hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen: unaufgeregt, unprätentiös und sympathisch.

Jonas in Wien

Sprung um zwei Jahre nach vorne und ich sitze Jonas in Wien gegenüber. Er ist zu einem Vortrag über sein Cape to Cape-Projekt gekommen, angereist ist er (natürlich) mit dem Rad. Der Podcast, den wir bei dieser Gelegenheit aufgenommen haben, ist übrigens hier zu finden und hören. Das Interesse an dem Vortrag war riesig, die Tickets blitzschnell ausverkauft. Viele wollen wissen, was einen dazu bringt, unsupported und über riesige Distanzen durch die Welt zu radeln. 2017 über 16.000 Kilometer einmal quer über die eurasische Landmasse, 2018 über 23.000 Kilometer einmal die Panamericana von Norden nach Süden und 2019 eben jene 18.000 Kilometer vom Nordkap bis ans Kap der guten Hoffnung.

Cape 2 Cape

18.000 Kilometer von ganz oben nach ganz unten auf dem Erdball klingen nach einer unfassbaren Größe. Auch wenn man in seinem Leben schon einmal 100, 300 oder 500 Kilometer unterwegs war oder sich über mehrere Tage auf eine lange Radreise begeben hat, wird man diese Dimesion nicht richtig fassen können. Aber wenn Jonas sagt, dass auch die längste Reise mit einer ersten Pedalumdrehung beginnen muss, dann klingt das absolut einleuchtend und wie das Selbstverständlichste auf der Welt. Und dass jeder einen Kilometer fahren kann und auch zehn Kilometer. Und dass 18.000 Kilometer ja nur viele “10 Kilometer” nacheinander sind. Es wird schnell klar, wie das hier funktioniert und wie Jonas tickt. Wie viele andere Extremsportler oder im Speziellen Ultra-Radfahrer hält auch Jonas zahlreiche Vorträge, die neben einem Bericht über seine Projekte naturgemäß auch eine starke Motivations-Komponente aufweisen. Positives Denken, Selbstkontrolle und Motivationsfähigkeit sind sichtlich wichtige Eigenschaften, die Jonas zu dem machen, was er ist und mit ermöglichen, was er leistet.

Das Cape to Cape-Projekt orientiert sich in Strecke und Planung an dem früheren Weltrekord, der bei 102 Tagen gelegen hat. Vom Nordkapp geht es durch Finnland und Russland Richtung Iran, am afrikanischen Kontinent dann durch Ägypten, Sudan, Äthiopien, Kenia, Tansania, Sambia, Botswana und Südafrika.

Auf ein derartiges Vorhaben hinzutrainieren ist eigentlich nicht möglich, vielmehr gilt es eine derartige Grundausdauer aufzubauen, dass der Körper bei großen Distanzen und langen Tagen nicht schlapp macht. Deshalb lebt Jonas mehr oder weniger im Sattel, bestreitet alle seine Reisen zu Vorträgen und dergleichen mit dem Rad und kommt so auf gut 50.000 Jahreskilometer. Und so kennt er offenbar seinen Körper und seine Leistungsfähigkeit sehr gut und setzt sich für den neuen Weltrekord ein Ziel von 75 Tagen!

Die Reise

Wer so eine lange Reise tut, hat natürlich viel zu erzählen. Dementsprechend möchte ich auch nicht die ganzen Highlights vorwegnehmen - dafür sind das Buch, einer der Vorträge von Jonas oder auch der Podcast besser geeignet. Aber ein paar Blitzlichter aus dem Buch gibt es hier trotzdem. ;)

Am Start steht neben Jonas noch Philipp Hympendahl, der Jonas als Fotograf begleitet und sich selbst auch auf dieses Abenteuer einlässt, obwohl er leistungstechnisch (vermeintlich) nicht die gleichen Voraussetzungen und Vorbereitung mitbringt wie Jonas. Er wird das Projekt Cape to Cape am Ende zwar nicht beenden können, jedoch gibt das Buch sehr spannende Einblicke darüber, wie sich Kopf, Körper und Seele während eines derartigen Projekts entwickeln, welche Krisen und Phasen durchgemacht werden. Dieser Kontrast zwischen dem professionellen, mental austrainierten und positiven Jonas Deichmann und dem “normaleren” und damit nachvollziehbareren Philipp Hympendahl verleiht dem Buch eine zusätzliche Ebene.

Foto: Philipp Hympendahl

Wie wenn alle Klischees von Russland bestätigt würden, spielen sich für die beiden Radler dort Dramen ab. Körperlicher Natur, in Bezug auf Infrastruktur und Verkehr und natürlich auch mentaler Natur, wenn davon die Rede ist, dass “nur noch” 3.000 Kilometer zurückgelegt werden müssen, bis Russland wieder vorbei ist. Und eine Begegnung zwischen Jonas und dem Rückspiegel eines Autos machen das Ganze auch nicht viel besser.

Das Gegenteil von bedienten Klischees und Vorurteilen zeigt der Iran, in dem die beiden tolles Essen, die nettesten Menschen und eine ausschweifende Gastfreundlichkeit erfahren. (Was im Übrigen auch viele, viele Reisende aus anderen Bereichen und Ländern bestätigen).

In Ägypten endet für Fotograf Hympendahl die Fahrt mit einer massiven Lebensmittelvergiftung und einem damit verbundenen, körperlichen Einbruch. Jonas ist ab diesem Zeitpunkt alleine unterwegs und strampelt direkt in die Sahara hinein. Ägypten selbst wird Jonas aufgrund der zahlreichen Polizeikontrollen, Checkpoints und aufreibenden Eskorten in gemischter Erinnerung bleiben.

Mitlaufende Kinder, die Jonas immer wieder mit Steinen bewerfen, werden die Durchquerung von Äthiopien zu einem schwierigen Unterfangen machen. Da wirken politische Unruhen, Mobs auf den Straßen und Barrieren aus brennenden Autoreifen fast harmlos dagegen.

Foto: Philipp Hympendahl

Botswana wird Jonas mit einer guten Infrastruktur und der Sichtung von einigen imposanten (wilden) Tieren wieder sanft stimmen. Jedoch wird auch er froh sein, IN der Polizeiwache übernachtet zu haben, anstatt draußen zu campen - in der gleichen Nacht wurde der Hund der Polizeiwache vor der Tür nämlich von einem Löwen angefallen und gefressen.

Und so fliegt man beim Lesen des Buchs gleichsam durch die unterschiedlichen Länder Afrikas und ist gefangen in Jonas Erlebnissen und Erzählungen, sodass man fast verwundert ist, als er schon auf der Zielgerade in Cape Town ist. Dort erwartet ihn wieder Philipp, der - erholt von den Strapazen - seinen Kollegen im Ziel willkommen heißt.

Foto: Philipp Hympendahl

Der Mensch Jonas Deichmann

Ein Interview mit Jonas Deichmann am Ende des Buchs gibt dann noch einmal einen Einblick in den Menschen. Man erkennt - wenn auch nur ansatzweise - was es benötigt, um derartige Leistungen vollbringen zu können. Ob man das nun will oder nicht, oder gut findet oder nicht, das sei jedem selbst überlassen. Es ist jedoch sehr faszinierend, wie sich Persönlichkeiten zu solchen Projekten treiben lassen oder besser sich selbst dazu anstiften.

Und auch das Zusammenspiel zwischen Jonas und Philipp Hympendahl zeigt an vielen Stellen, wie unterschiedlich Menschen funktionieren können. Nicht nur einmal wird Philipp von Jonas zum Weitermachen animiert und motiviert, wenn es besonders hart wird oder sich starke Schmerzen einstellen. Philipp ist aber an anderen Stellen auch Mal genervt vom scheinbar grenzenlosen Optimismus von Jonas Deichmann. Dass dieser sich damit selbst am Leben hält und so zum Weitermachen motiviert und Krisen überwinden kann, ist eine spannende (und für Jonas sichtlich erfolgreiche) Strategie.

Triathlon 360

Eine derartige Strategie wird Jonas dann auch benötigen, wenn man sich seine kommenden Projekte vergegenwärtigt. Seinen Ironman rund um Deutschland hat er gerade abgeschlossen, wobei der ja quasi nur Trainingszwecken gedient hat.

Das nächste Meisterstück soll der “Triathlon 360” werden, ein 120-facher Ironman rund um den Globus. Zum Radfahren kommen da schnell nochmal 456 Kilometer Schwimmen und 5.040 Kilometer Laufen dazu. Wer da die Bilder aus “Forrest Gump” vor Augen hat, der mit langem Bart mitten durch Amerika läuft, liegt nicht allzu falsch. Und wer Jonas einmal persönlich gehört oder gesehen hat, zweifelt auch nicht wirklich daran, dass er auch dieses Vorhaben erfolgreich abschliessen wird.

Start zum Triathlon rund um die Welt ist übrigens am 26. September 2020 in München.

Gewinnspiel

Es gibt ein Exemplar des Buchs “Cape to Cape” von Jonas Deichmann, Philipp Hympendahl und Tim Farin zu gewinnen. Dieses ist gerade im Delius Klasing Verlag erschienen. Amazon-Link.

Die Teilnahme ist bis 23.09.2020 möglich. Unter allen Einsendungen wird ein Exemplar des Buchs verlost, der/die Gewinner*in wird per Mail verständigt und auf der Facebook-Seite von 169k bekanntgegeben. Es ist keine Barablöse möglich und es besteht kein Rechtsanspruch. Das Verlosungsexemplar wurde von Delius Klasing zur Verfügung gestellt.

Lesetipps - Covadonga

Mittlerweile liegen so viele spannende und schöne (Rad)Bücher bei mir zuhause, dass es nicht mehr ausreicht, nur den traditionellen vor-weihnachtlichen Ex Libris-Blogbeitrag zu schreiben. Hier also eine kleine Auswahl von neuen und nicht mehr ganz so neuen Büchern - diesmal aus dem Covadonga Verlag.

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Der Radfahrer und sein Schatten - Olivier Haralambon

Ein ruhiges, entschleunigtes und philosophisches Buch legt der Franzose Olivier Haralambon vor. In vierzehn Kapitel arbeitet er sich durch das Dasein als Radfahrer, die Wahrnehmung während des Fahrens, die Intensität von Rennen und die Dynamik des Pelotons. Auch wenn manchen Stellen des Textes schon fast etwas zu viel Pathos anhaftet, die Sprache des Autors beruhigt und führt gemächlich durch die Welt des Radfahrens und des Radsports. Dinge, über die man sich wahrscheinlich noch nie so richtig Gedanken gemacht hat, werden hier zum ersten Mal formuliert. Früher oder später findet sich jede*r in diesem Buch wieder - egal ob es die ersten Tritte in die Pedale als Kind sind, das erste Rennen, das man - wenn auch nur für ganz kurze Zeit - an der Spitze des Pelotons anführt oder die Erhabenheit der Fortbewegung auf dem Rad als solche.

Das Rad schmiegt sich dem unnützen Körper an, baut ihn auf und gibt ihm eine Bestimmung. Allein die Tatsache, aufs Rad zu steigen, erhöht augenblicklich den unbedeutenden Fußgänger, erleuchtet verwachsene Körper, die sich als lebende Kathedralen errichten, wodurch auch kleine unscheinbare, in ihrer Straßenkluft unbeholfen wirkende Männer plötzlich alles um sich überragen. Die Haltung des Radfahrers entkleidet und offenbart ihn. Ob der Champion sein Dress trägt oder nicht, nackt ist er immer.

Wer also herausfinden möchte, warum stark zu sein und schnell zu fahren zwei grundverschiedene Dinge sind, wie vermeintliche "Rohlinge in Wahrheit empfindsam sind wie Tänzerinnen" oder ein Rad nicht erwählt wird, sondern sich ganz natürlich aufdrängt, dem seien die vierzehn Kapiteln nahegelegt. Es ist ein willkommener Kontrapunkt zu Leselisten und Bücherregalen, die vollgestopft sind mit Watt, Pulsschlägen und Ernährungsstrategien.

Olivier Haralambon - "Der Rennradfahrer und sein Schatten", Eine kleine Philosophie des Straßenradsports. 166 Seiten - EUR 16,80 - Covadonga Verlag

Velominati - Die Regeln

Seit vielen Jahren schon schwirren sie durch den Äther der Radsportwelt - "The Rules". Du sollst nicht..., du darfst nicht…, 10 Gebote? Nein, 95 Regeln sollte der Radfahrer kennen. Ob er immer alle befolgt, ist eine andere Geschichte. Ein Augenzwinkern hie und da und eine gewisse Portion Selbstironie sind wohl auch angebracht, wenn man sich durch den Codex der Velominati durcharbeitet. Wer frei von Schuld sei, werfe den ersten Stein. Das Rad schon mal auf den Kopf gestellt? Die Beine nicht rasiert? Den "Local Bike Shop" hintergangen? Ja, ja und ja. Außerdem sind meine Brillenbügel immer über den Helmriemen (und nicht darunter - Regel #37), ich fahre bei Rennen mit, ohne jegliche Chance zu gewinnen (verstößt gegen #70) und bei mir kommt die Familie dann meistens doch vor dem Radfahren (und nicht danach, wie das Regel #11 postuliert).

Aber eigentlich ist es egal, ob es um das Rad geht, die Ästhetik oder das Leiden (so die Einteilung der Kapitel) - es ist gut, sich zurechtzufinden und die Regeln zu kennen. Neben einigen Regeln, die tatsächlich nur mit Augenzwinkern zu lesen sind, findet man doch auch viele nützliche und wertvolle Hinweise. Ob man dadurch sein Verhalten ändert oder nicht, Dinge vielleicht anders angeht als sonst oder einfach nur die Mitfahrer*innen und Vereinskolleg*innen besser versteht, ist natürlich freigestellt. Und dann gibt es da natürlich jene Regeln, die mittlerweile in allgemeines Kultur- und Sprachgut übergegangen sind: die berühmte N+1 Regel für die ideale Anzahl an Rädern, die vielzitierte Regel #5: Harden the f*** up! oder auch Greg Lemonds Ausspruch "Es wird nicht einfacher, du wirst nur schneller" (#10).

Was den Mehrwert des Buches ausmacht, sind die Erklärungen und Hintergrundinformationen zu den einzelnen Regeln. Hier wird auf mehreren Seiten ausgeführt, wie manche Dinge historisch gewachsen sind, wie der Radsport früherer Jahre bis heute sein Erbe verteidigt oder aber warum es einfach keinen Sinn macht, weiße Radhosen zu tragen.

Das Buch ist also als Enzyklopädie zu sehen, voll mit Informationen und Tipps, die das Leben am Rad entweder schöner oder schneller, sicher aber unterhaltsamer machen. Und auch wer nicht selbst am Rad sitzt, wird in diesem Buch viele wertvolle Erkenntnisse finden - und manche Verhaltensweisen von Freund*innen und Partner*innen erscheinen dann vielleicht nicht mehr ganz so skurril.

Velominati - "Die Regeln", 312 Seiten - EUR 14,80 - Covadonga Verlag

Walter Jungwirth - Tausend Kilometer Süden

Die Mille du Sud ist ein mythenbehaftetes Brevet in den französischen Alpen. Insider haben schon von der Prüfung gehört, die hier auf trainierte Radlerbeine wartet. Auf - wie der Name schon sagt - tausend Kilometern werden hier berühmte Berge unter die Räder genommen, es ist eine Fernfahrt - kein Rennen, Selbstversorgung ist das Gebot der Stunde. Außerdem sind alle Teilnehmer gleich - es gibt ein Limit von 100 Stunden für den Randonneur, die Strecke zu bewältigen, darüberhinaus gibt es aber keine Zeitnehmung, keine Wertung und keine Ergebnisse.

Der Autor arbeitet sich in dem Buch über die Strecke der Mille du Sud - intensive Erlebnisse, Freundschaften, stille Momente und - unvermeidlich - Leiden säumen seinen Weg. Es ist kein klassischer Rennbericht, der hier abgefasst wurde. Es sind vielmehr Momentaufnahmen, Beobachtungen und Eindrücke des Fahrers, die sich zu einem spannenden und nicht zuletzt auch romantischen Gesamtbild zusammenfügen. Als Leser ist man als Passagier dabei, sitzt quasi am Gepäckträger des Autors - man passt sich an den Takt des Radfahrens an, lebt mit dem Fahrer mit, fühlt sich, wie wenn man selbst dabei wäre.

Auch die Einblicke in die Strapazen, die Motivation des Autors und sein Weg zum Radfahren und zur Mille du Sud sind absolut lesenswert, bieten die Möglichkeit, über die eigenen Motive zu reflektieren, machen am Ende aber einfach Lust darauf, selbst in die Pedale zu treten. Es müssen ja nicht gleich 1.000 Kilometer und 16.000 Höhenmeter durch den südlichen Alpenbogen sein...

Walter Jungwirth - "Tausend Kilometer Süden - Eine Erzählung vom Radfahren in den Bergen", 160 Seiten - EUR 14,80 - Covadonga Verlag