Tour de France - Mythos und Legende

Die Tour de France ist in vollem Gange, die "große Schleife" ist schon bei der Halbzeit angekommen. Es soll hier aber nicht darum gehen, die aktuellen Ereignisse und Ergebnisse zu kommentieren - das machen wir ohnehin täglich vor dem Fernseher und in allen möglichen (sozialen) Medien. Vielmehr soll dieser Beitrag kurz die Geschwindigkeit aus der täglichen Tour-berichterstattung nehmen und auf ein kleines aber feines Büchlein hinweisen.

Bereits 1977 erschien eine Sammlung von Glossen, verfasst von Antoine Blondin. Es war die Zeit, in der Tour-Etappen noch mehrere hundert Kilometer umfassten, Reißnägel auf der Straße (ausgestreut von Konkurrenten) noch nicht so lange Geschichte waren und vor allem die Medienberichterstattung noch nicht im Sekundentakt erfolgte. Blondin war einer jener Journalisten, die in einem Auto sitzend das Peloton begleiteten und das Geschehene dokumentierten und vor allem kommentierten. 

Wobei es eigentlich nicht richtig ist, Blondin als Journalisten zu bezeichnen. Als Schriftsteller hatte er zuvor schon mehrere Bücher geschrieben, auch bei der Tour konzentrierte es sich auf die Geschichten, die die Rundfahrt schreibt, auf die Menschen am Rande der Strecke, auf die Legendenbildung, die im Hintergrund des Offensichtlichen abläuft.

Die Begeisterung Blondins für den Radsport im Allgemeinen und die Tour de France im Speziellen zeigt sich schon früh und lässt sich am besten mit seinen eigenen Worten schildern:

Als mir Marcel Prousts Fragebogen vorgelegt wurde, antwortete ich auf die Frage nach meiner Lieblingsbeschäftigung: “Die Tour de France verfolgen”, was im Milieu der Provinzliteraten ungläubiges Stirnrunzeln hervorrief. Marcel Proust hatte seinerzeit geantwortet: Lieben und der Romancier Francois Mauriac wenig später: Träumen.

Das Buch umfasst auf gut 70 Seiten einige Geschichten aus der Feder und aus dem Blickwinkel Blondins. So begegnet man wieder DER Geschichte schlechthin: Eugene Christophe, der seine gebrochene Gabel in einer Schmiede am Col du Tourmalet selbst wieder repariert und trotzdem bestraft wird, weil der Junge des Schmieds ihm das Feuer angefacht hat - und er damit verbotenerweise fremde Hilfe angenommen hat. Außerdem Lauredi, der nach einem Sturz mit quasi offener Schädeldecke noch mit einem Stundenmittel von 40 km/h ins Etappenziel fährt geleitet von einem Mannschaftskollegen. Blondin gewährt einen Einblick in die Geisteswelt des Schweizers Hollenstein, während er verzweifelt aber auch erleichtert im Besenwagen des Rennens sitzt. Besonderen Unterhaltungswert hat auch die Geschichte, in der die Pressevertreter als Betreuerfahrzeug für den Deutschen Junkermann einspringen müssen und ihren Schützling - freundlich ausgedrückt - eher suboptimal versorgen.

Alles in allem eine ideale Lektüre für einen verregneten Nachmittag, an einem Tour-Ruhetag ein geeignetes Substitut für die Fernsehübertragung aus Frankreich. Und natürlich auch ein feines Geschenk für die radverliebte (bessere) Hälfte.

Antoine Blondin - "Tour de France - Mythos und Legende", erschienen im Egoth Verlag im Juli 2018. Das Rezensionsexemplar wurde vom Egoth Verlage zur Verfügung gestellt.