Mühlviertler Alm mit dem Rennrad (im Gästehaus Weitblick)

Rainer ist ein Typ, der Dinge einfach macht! Sympathisch und offen geht er an Themen heran, aber auch mit der notwendigen Hartnäckigkeit und Ausdauer. In einer Region, die über Jahrzehnte an der Peripherie der Zentren gelegen ist und erst durch ein Zusammenwachsen von Menschen, Regionen und Identitäten näher ans Zentrum gerückt wurde, ist ein gewisses Durchhaltevermögen auch notwendig.

Wir befinden uns in der Region „Mühlviertler Alm“, einem Zusammenschluss an acht Gemeinden im Bezirk Freistadt zu einer gemeinsamen Tourismusregion. Und Rainer ist neben seinem Brotberuf und diversen Vereinsfunktionen noch umtriebiger Unternehmer und leidenschaftlicher Radfahrer. Um die Vorzüge seiner Heimat einem breiteren Publikum bekanntzumachen, hat er mit anderen Unternehmern der Region ein Paket aus Mountainbike- und Rennradtouren geknüpft und bringt dabei sein Know-How aus der Region ein. Und als Tüpfelchen auf dem „i“ hat Rainer das Gästehaus Weitblick in Sankt Leonhard geschaffen, eine Unterkunft, die Radfahrenden einen idealen Ausgangspunkt für Touren in die Region bietet. Und damit sind wir – mit einigen Umwegen – am Startpunkt dieser Geschichte: Ich durfte Rainer nämlich in St. Leonhard im Gästehaus Weitblick besuchen und drei seiner Touren abfahren – in einer Region, die für mich neu war, in einer Landschaft, die unberührt und pur ist und in einem Terrain, in dem man keine Angst vor reichlich Höhenmetern haben sollte.

Die Mühlviertler Alm & Sankt Leonhard

Natur, Natur, Natur! Davon gibt es zwischen Freistadt, tschechischer Grenze und niederösterreichischem Waldviertel ausreichend. Die Charakteristik der Region bietet einiges – bergig und hügelig, Almen, Hochplateaus, Moore, Wälder und Gräben, die Flüsse über tausende Jahre in die Landschaft gegraben haben. Sankt Leonhard liegt auf einer Kuppe und bildet so etwas wie die zentrale Aussichtsplattform über die Region Mühlviertler Alm. Nach Osten – Richtung Niederösterreich und Waldviertel – verdichtet sich die Natur weiter zu einem Fast-Urwald, Richtung Süden wird es etwas welliger, bis man sich im Bezirk Perg langsam der Abrisskante des Mühlviertels und dem beginnenden Donauraum nähert.

Abschalten fällt hier sehr leicht, man ist schnell bei sich und absolut ungestört. Wanderer (unter anderem auf dem Johannes- oder auch dem Jakobsweg), Wintersportler und Familien wissen das schon länger zu schätzen. Aber auch Radfahrende sollen in den Genuss der unberührten Natur und der Ruhe kommen. Für Mountainbiker gibt es bereits zahlreiche Angebote, aber auch Rennradlerinnen und Rennradlern bietet sich ein breites Spektrum an Herausforderungen. Im Osten schneidet sich die Aist mit dem gleichnamige Tal wie eine Schneise durch die Landschaft und bildet somit einen natürlichen Trenner, während rund um Freistadt die Landschaft etwas aufgeht. Und wer Richtung Norden und ehemaligen Eisernen Vorhang eine landschaftliche Zuspitzung im Sinne einer natürlichen Barriere zum Nachbarland vermutet, wird von einer sich öffnende Landschaft und wunderbar welligen Hochebenen überrascht.

Straßen & Wege, Charakteristik

Die Straßen selbst sind eher auf der schmalen Seite, dem wenigen Verkehr „geschuldet“ – wobei, das nehmen wir Radfahrenden natürlich sehr gerne zur Kenntnis. Autos und andere Verkehrsteilnehmer*innen trifft man in sehr überschaubaren Dosen, generell wird eher Rücksicht genommen. Klimatisch kann es im rauen Norden schon etwas extremer zugehen – das äußert sich dann auf unterschiedliche Art und Weise. Wo Schnee und Eis im Winter die Straßen beherrschen, kann es schon zum einen oder anderen Frostaufbruch kommen und Risse in der Fahrbahn sind nichts ungewöhnliches. Angesichts dessen befinden sich die Straßen in der Region allerdings in einem sehr guten Zustand, das Frühjahr nützt man, um Schäden zu reparieren. Apropos Auswintern: Je nach Jahreszeit ist auf den ausgebrachten Rollsplitt zu achten, der dem Radfahren natürlich nur bedingt zuträglich ist. Mitte/Ende April hat sich dieses Problem allerdings zumeist erledigt. Wie in Oberösterreich üblich – zumindest kenne ich persönlich es nur aus Oberösterreich in diesem Ausmaß – wird de facto jeder Hof, jede Siedlung und jeder Weiler von einem asphaltierten Güterweg erschlossen. Die Variationen und Kombinationsmöglichkeiten potenzieren sich damit und man kann sich in 99% der Fälle darauf verlassen, auf einer befestigten Straße seine Runden ziehen zu können. Dementsprechend macht ein Gravel-Bike in einer derartigen Region verhältnismäßig wenig Sinn – wer ins Gelände möchte, nimmt dann gleich das Mountainbike.

Wer mit dem Rad hier her kommt, sollte sich allerdings einer Tatsache bewusst sein: Es geht hier entweder bergauf oder bergab – flache Strecken sucht man hier mehr oder weniger vergeblich. Die Steigungen und Höhenmeter haben allerdings einen eigenen Charakter. Der Gradient bewegt sich häufig zwischen 2 und 6 Prozent, lassen sich also recht gut „wegdrücken“. Außerdem sind Anstiege meist eher kurz. Eurosport-Kommentatoren würden dazu „Rollerberge“ sagen. Man muss also keine (leichtgewichtige) Bergziege sein, um hier reüssieren zu können, vielmehr sammelt man oft eher unbemerkt Höhenmeter und wundert sich nach Ende der Tour, wo die 1.500 Höhenmeter genau herkommen. Natürlich muss einem auch das irgendwie liegen – wer lange und steile Anstiege gewöhnt ist, könnte auch mit so einer Charakteristik ein Problem bekommen, Radler*innen aus dem Osten Österreichs sollten solche Höhenmeter aber eigentlich liegen. Steiler und etwas knackiger werden die Anstiege im Süden der Mühlviertler Alm (beispielsweise bei Blasenstein – siehe Tour unten), wo etwas giftigere Stiche warten.

Zusammenfassend eignen sich die Straßen der Mühlviertler Alm hervorragend fürs Rennrad – die Variationsmöglichkeiten sind groß, der Verkehr gering und man hat seine angenehme Ruhe. Höhenmeter sammelt man reichlich, dementsprechend ist es jedenfalls vorteilhaft eine gewisse Fitness mit ins Mühlviertel zu bringen. Und je nachdem wie lange man unterwegs sein möchte, ist auch auf ausreichende Verpflegung zu achten, da nicht jede Ortschaft über die entsprechende Infrastruktur verfügt bzw. nicht an jeder größeren Straße eine Tankstelle auf Kundschaft wartet.

Jedenfalls meiden sollte man die Bundesstraßen B38 (Verkehrsachse Freistadt – Sandl – Karlstift – Richtung Groß-Gerungs) und die B125, die von Freistadt Richtung Linz führt – angesichts der Vielzahl an Wegen sollte das allerdings kein schwerwiegendes Problem darstellen.

„Tour de Alm“ & offizielle Routen

Wie bereits erwähnt haben Rainer und andere Herbergsbetriebe der Region ein Netzwerk an Routen entwickelt und zusammengestellt, das eine gute Auswahl für jedwede Leistungsstufe und Präferenz erlaubt. Von der 40 Kilometer-Runde bis zur Tour über 160 Kilometer ist alles dabei, auch verlängern oder verkürzen ist angesichts der vielen Querverbindungen und Wege kein Problem. Die Übersicht mit den Routen liegt in den beteiligten Betrieben auf, beim Gästehaus Weitblick von Rainer erhält man die Tracks auch gerne als GPX-Files, die man schnell auf seine Computer laden kann. Am oberen Ende der Skala befindet sich die „Tour de Alm“. In der Mountainbike-Version gibt es diese schon seit längerer Zeit, mit 188 Kilometern und 5.410 Höhenmetern als Mehrtagestour konzipiert und auf beschilderten Strecken zu befahren. Die Rennradversion der Tour de Alm wartet mit 182 Kilometern und 3.976 Höhenmetern auf, stellt also für eine Tagestour ein ordentliches Pensum dar. Dafür durchquert man dabei einmal das gesamte Gebiet der Mühlviertler Alm (inkl. einem kleinen Exkurs nach Niederösterreich) und bekommt auch das gesamte landschaftliche und kulturhistorische Spektrum der Region zu spüren (inkl. Land und Leute, Architektur und natürlich Natur!). Die Rennradtour ist im Gegensatz zur MTB-Tour (noch) nicht beschildert, aber auch hier gibt es die entsprechenden GPX-Files.

Gästehaus Weitblick

Dem Gästehaus war ein etwas holpriger Start beschieden, fiel die Eröffnung doch zeitlich mit der COVID-Krise zusammen. Doch trotz widriger Umstände und dank Rainers Leidenschaft konnte das Projekt einen erfolgreichen Start hinlegen. Sechs Zimmer bieten eine geräumige und komfortable Unterkunft, Haus und Einrichtung wurden von regionalen Betrieben gefertigt bzw. eingebaut – die Regionalität findet man übrigens in vielen Details wieder (in der ganzen Region, nicht nur im Gästehaus). Für Radlerinnen und Radler gibt es einen absperrbaren Raum, um den fahrbaren Untersatz zu verstauen, GPX-Files gibt’s (im Idealfall) vom Chef persönlich an der Rezeption, Werkzeug zum Schrauben oder für den Notfall liegt im Radraum, Schläuche im Fall eines Platten gibt es beim Automat vor der Türe, abgerundet wird das Ganze auch noch durch einen Wäscheservice. Es handelt sich um ein Gästehaus ohne Restaurant, vor den Zimmern bietet ein voll ausgestatteter Aufenthaltsraum aber Küche, Kühlschrank, Weinschrank und Pizzaofen – man wird also weder verhungern noch verdursten. Fürs Frühstück erhält man Jetons, die im Cafe gegenüber einlösbar sind – funktioniert einwandfrei, und vom Tisch des Kaffeehauses hat man übrigens einen wunderbaren Ausblick in die Region! In Summe merkt man die Freude der Betreiber, Menschen und im speziellen Radfahrende in die Region und ins Gästehaus zu locken, gleichzeitig herrscht ein angenehmer Pragmatismus vor – man hat es nicht notwendig, mit allerlei Firlefanz aufzuwarten sondern konzentriert sich aufs Wesentliche.

Mein Zimmer - circa 1,5 Minuten, nachdem ich angekommen bin…

Touren

Aus einer Auswahl von elf Touren konnte ich während meines dreitägigen Aufenthalts die „Tanner Moor-Runde“, die „Liebenau-Runde“ und die Tour nach St. Thomas am Blasenstein testen und während etwas Beschreibung natürlich nie schaden kann, sollen doch in erster Linie die Bilder und die tolle Landschaft für sich sprechen!

„Tanner Moor“

Die Runde durchs Tanner Moor ist so etwas wie die Standard-Runde, die jede Besucherin und jeder Besucher auf dem Rennrad als erste Empfehlung bekommt. Bietet sie doch auf 66 Kilometern eine kompakte und komprimierte Zusammenfassung der Vorzüge der Region und deren Vielfältigkeit. Wellig und durch Wälder geht es zuerst hinauf nach Kaltenberg, durch Unterweißenbach und dann wellig durch das Tanner Moor. Dieses bietet eine einzigartige und eigene Landschaft als Hochebene, durchzogen von kleinen Seen und Lacken mit spezifischer Vegetation – Moore sind da ganz etwas eigenes und eigentlich mit wenig anderen Landschaften vergleichbar – muss man selbst gesehen haben. In Liebenau hat man den höchsten Punkt der Tour erreicht und auch gleichzeitig einen der Dorfbrunnen, an dem man seine Flaschen gut auffüllen kann (liegt etwas versteckt neben der Straße). Zwischen Maxldorf und Schöneben tun sich spannende (Hoch-)Ebenen auf, die einen weiten Ausblick Richtung Süden und etwas Befreiung von der vermeintlichen Enge des Waldes bieten. Noch ein kleiner Anstieg nach Harrachstal und es geht bergab zurück Richtung St. Leonhard zum Gästehaus. Wie schon erwähnt liegt dieses mit einer herrlichen Fernsicht oben in Sankt Leonhard, man hat daher bei jedem Heimkommen noch ein paar Höhenmeter zurückzulegen, bevor man im Gästehaus die Füße hochlagern kann.

„Liebenau-Runde“

Die Liebenau-Runde führt vom Gästehaus und St. Leonhard aus auf einer anderen Route nach Liebenau, als das die Tanner Moor-Runde macht und bietet dabei leicht abgeänderte Perspektiven auf das, was man am Vortag gesehen hat – ein Straße weiter rechts oder links und die Dinge werden in ein anderes Licht gerückt (oder so manche Abfahrt oder Steigung). Nach Schöneben biegt man rechts auf ein Netz von kleinen Güterwegen, auf denen man großartig und ruhig vor sich hin pedalieren kann, bis man in Sandl wieder auf Zeichen von Zivilsation stößt. Und die können durchaus einen kleinen Schock hervorrufen, mündet man doch aus der angenehmen Ruhe des Waldes für wenige Meter (es sind wirklich nur 200 Meter) auf die bereits oben erwähnte Bundesstraße B38. Auf dieser donnert der Schwerverkehr zwischen tschechischer Grenze und dem Waldviertel (und weiter Richtung Zwettl) und man fühlt sich wie aus seiner Trance gerissen und kann kurz nicht verstehen, woher der Lärm und der Verkehr kommen. Ein Nahversorger lädt zum Auffüllen der Vorräte auf, bevor man schnell wieder auf die Güterwege flüchtet und mit ein paar Metern Abstand zur Bundesstraße auch gleich wieder seinen Frieden findet.

Vorbei an einem kleinen Skigebiet steigt man noch ein paar Meter an und erwartet sich insgeheim eine landschaftliche Kulmination zur ehemaligen dichten Grenze hin, allerdings geht kurz vor Windhaag die Landhscaft auf, alles wird weit, die Berge werden zu Hügeln und Wellen und die Region zeigt eines ihrer anderen Gesichter. Dementsprechend entspannter radelt es sich nun entlang der Staatsgrenze bis kurz vor Wullowitz (bekannt aus Grenzwartezeiten früherer Fernseh- und Radionachrichten) bevor die Route nach Süden schwenkt und über Rainbach Richtung Freistadt führt. Hier befindet man sich übrigens kurz auf bzw. neben der Challenge-Strecke des Race Around Austria – bei meiner Challenge war es allerdings tiefste Nacht und es war wenig von der umliegenden Landschaft zu erkennen. Wer in die Zwickmühle eines Defekts kommen sollte oder aber einfach bei einem Kaffee mit einem mehrfachen, erfolgreichen Starter bei der Österreich Rundfahrt plaudern möchte, kehrt bei Martin Fischerlehner (Radsport Fischerlehner) in Freistadt ein – die paar Meter Umweg zahlen sich aus.

Von Freistadt geht es über Lasberg (den Radweg neben der Landesstraße nutzen!) und Sankt Oswald wieder „hinein“ in die Mühlviertler Alm – man merkt den landschaftlichen Wechsel von der offenen Gegend rund um Freistadt hinein ins „Verschlossenere“. Die Straßen sind hier teilweise in etwas mäßigerem Zustand und je nach Tageszeit kann auch der Verkehr etwas zunehmen, es bleibt aber alles in erträglichem Maß. Über eine flowige Abfahrt und den (unvermeidlichen) letzten kleinen Aufstieg nach St. Leonhard gelangt man wieder zu Gästehaus.

„St. Thomas am Blasenstein“

Führten die ersten beiden Touren Richtung Norden, eröffnen sich im Süden neue Aspekte und Perspektiven. Nach einer langen und flotten Abfahrt vom Leonharder Berg ordnet man sich entlang der Waldaist ein und kommt in den Genuss einiger tatsächlich nahezu flacher Meter, bevor man links wegbiegt und über welliges Terrain nach Bad Zell gelangt. Bad Zell ist als Kur- und Wallfahrtsort bekannt, man sollte jedenfalls von der durchgehenden Hauptstraße abbiegen und über den Dorfplatz rollen, der von historischen Bürgerhäusern eingefasst ist. Wenig später quert man zum ersten Mal die Naarn – neben der Aist der zweite wichtige Flusslauf der Region –, klettert über einen anspruchsvollen Anstieg nach Rechberg und über einen weiteren kleinen (und steilen) Güterweg nach St. Thomas am Blasenstein. Neben der wechselvollen Geschichte des Ortes sticht natürlich die Pfarrkirche in prominenter Lage hervor – wer Zeit und Lust hat, kann sich dort den „luftg´selchten Pfarrer“ anschauen, eine Mumie die Mitte des 19. Jahrhunderts zum ersten mal erwähnt wurde und allerlei Anlass zu Mythen und Legenden bietet. Bei klarer Sicht kann man auch einen Blick auf den Ötscher und das Alpenvorland erhaschen.

Auf einer gut ausgebauten Straße geht es schnell bergab und flach bis kurz vor Mühltal, wo man rechts über einen steilen „Schupfer“ (kann man auch umfahren) und Pierbach ins Naarntal kommt und ab jetzt auf einem kleinen Güterweg entlang der Naarn radelt. Die Naarn biegt zwar irgendwann einmal nach rechts ab, man wird aber kurz darauf mit einem neuen Anblick belohnt – jenem auf die Burgruine Ruttenstein, die hoch über dem Weg thront. Der Weg um den Kogel, auf dem die Burg steht, steigt mehr und mehr an und nach einem letzten Blick zurück auf die Ruine erlangt die Straße wieder jene Charakteristik, die wir von der Mühlviertler Alm kennen. Waldstücke wechseln sich mit offenen Hochebenen ab, über Mötlas, Unterweißenbach und Pieberbach geht es wellig wieder zurück zum Startpunkt in St. Leonhard beim Gästehaus Weitblick.

Alle Infos zu den Routen auf meinem Komoot-Profil, alle Infos zum Gästehau Weitblick hier: https://www.gaestehaus-weitblick.at/

Race Around Austria 2018 - II

Es geht weiter mit der Vorberichterstattung zum extremen Rennen rund um Österreich bzw. entlang der österreichischen Grenzen. Waren beim ersten Posting die Mannen vom Team Chase im Schweinwerferkegel, so geht es in diesem Beitrag um die Ursprünge des "RAA", die Organisation und einen Teil der Strecke. Da aber ohne Fahrer*innen bekanntlich gar nichts geht und das beste Rennen erst durch seine Teilnehmer*innen zu wahrem Leben erwacht, kommen natürlich auch diesmal die Menschen nicht zu kurz. Aber der Reihe nach...

Zeitmaschine - 1988 

Foto: Race Around Austria

Genau vor 30 Jahren wurde dieses Bild aufgenommen. Es zeigt Manfred Guthardt am höchsten Punkt der Strecke - dem Hochtor am Großglockner. Er war zu diesem Zeitpunkt dabei, sein Projekt "Rund um Österreich" zu realisieren. Er nahm sich dabei neun Tage Zeit, teilte die Strecke in entsprechende Etappen und nahm sich damals noch etwas mehr Zeit für die Nachtruhe. Dafür fuhr er penibel jede Grenzstraße Österreichs ab - während das heutige Race Around Austria "nur" mehr die grenznahen Straßen befährt und auf Sackgassen und Umwege weitgehend verzichtet. Nach etwas mehr als 2.600 Kilometern war Guthardts Projekt vollendet, der Grundstein für das Race Around Austria gelegt.

2008 wurde die Idee wieder aufgenommen, Christoph Strasser begab sich auf die Spuren des Jahres 1988 und umrundete Österreich in knapp 100 Stunden. 2018 - zehn Jahre später - steht nun die zehnte Ausgabe des RAA auf dem Programm, in voller Blüte und mit den Strecken, wie wir sie seit einigen Jahren kennen und lieben. Und bei Manfred Guthardt schließt sich dabei wieder der Kreis. Wenn einer die Idee für ein derartiges Projekt hat und sich dafür dermaßen akribisch an die Routenplanung macht, dann ist er prädestiniert dafür, Streckenchef des Race Around Austria zu sein! Wer also im August in Sankt Georgen am Attergau auf Manfred trifft, sollte sich jedenfalls einige seiner Geschichten anhören und staunen.

Mühlviertel

Standortwechsel nach Schöneben im Mühlviertel. Der Tag beginnt auf 920 Metern Höhe - wenige Meter weiter die tschechische Grenze, über uns der Aussichtsturm mit Blick auf den Moldaustausee und angenehme Temperaturen. Das Hotel Innsholz steht für Urlaub, Ausflug, Radfahren und allerlei Annehmlichkeiten im wunderschönen Böhmerwald. Die Leidenschaft fürs Weit-Radeln wird hier gelebt - Inhaber Peter Gruber ist der einzige Radler, der bis dato alle unterschiedlichen Strecken des Race Around Austria bestritten hat. Dass er dabei fast durchwegs auf dem Stockerl gestanden ist, sollte man ihm sehr hoch anrechnen und ihn dementsprechend nicht unterschätzen, wenn er in Radmontur neben einem steht. Als Sponsor des Race Around Austria trägt er außerdem auch abseits seiner sportlichen Leistungen zum Gelingen des Rennens bei. 

Schöneben klingt schön und eben - schön ist es, wunderschön sogar. Der Eiserne Vorhang war hier jahrzehntelang quasi vor der Haustür, von der einstigen Randlage in Österreich ist man aber geografisch ins Zentrum Europas gerückt. Erhalten blieb aber eine gewisse Unschuld und eine wild-romantische Landschaft. Gemeinsam mit den angrenzenden Alm- und Wiesengebieten Tschechiens, dem hügeligen Mühlviertel, pittoresken Stauseen und kleinen Ortschaften fällt es schwer, sich hier nicht wohl zu fühlen. "Eben" ist es allerdings nicht in Schöneben, bzw. braucht es einiges an Energie und Leidensfähigkeit, zum Hotel Innsholz zu kommen. Knapp 400 Höhenmeter auf gut drei Kilometern muss man von Ulrichsberg aus hinter sich bringen, bevor man sich wohlverdient auf die Hotelterrasse fallen lassen kann. 

Stiche wie diese waren es, die Manfred Guthardt auf seiner RAA-Erstbefahrung durchwegs mitgenommen hat - anstrengend aber der Mission geschuldet, die grenzen des Landes auszuloten. Heute fährt das RAA "unten" in Ulrichsberg durch - auch wenn derartige Prüfungen nicht mehr am Programm des Rennens stehen, stellt das Mühlviertel doch die erste große Prüfung des Rennens dar. Auf der langen Strecke des RAA werden hier die ersten paar tausend Höhenmeter gesammelt. Michael Nußbaumer - Organisator des Race Around Austria - erzählt oft und gerne von Teilnehmern, die sich im Glauben in Sicherheit wiegen, dass die ersten Anstiege beim Großglockner kommen. 

RAA-Weekend

Bleibt noch der Grund warum sich hier im Innsholz in Schöneben ein paar verrückte Radler*innen treffen - es ist quasi ein Feriencamp für RAA-Teilnehmer und Freunde, das hier stattfindet und die Besetzung lässt wenig zu wünschen übrig.

Darunter Markus Hager aus Bayern, der im Jahr 2017 bei seiner dritten Teilnahme den Sieg auf der Extrem-Strecke einfahren konnte. In spannenden Erzählungen und einem Vortrag am Abend teilt er gerne seine Erfahrungen, Erkenntnisse und Tipps mit Interessierten und Aspiranten. Lernen kann man dabei einiges, sich abschauen auch ein paar Dinge. Ob man allerdings auch alles so machen kann und will ist die andere Sache. Hager fuhr bei seinem Sieg rund 90 Stunden rund um Österreich, dabei legte er ganze drei Schlafpausen ein - diese dauerten jeweils unfassbare zehn Minuten. Während sich also meinereiner in der Früh noch einmal umdreht und wartet, bis das Telefon oder der Wecker erneut zu klingeln beginnt, hat sich Markus Hager in dieser Zeitspanne dermaßen erholt, dass er wieder fit genug ist, ein paar hundert Kilometer weiter zu radeln. 

Bewundernswerter ist aus meiner Sicht aber noch die Herangehensweise von Markus. Training erfolgt bei ihm regelmäßig aber verhältnismäßig unstrukturiert - ohne Trainingsplan, ohne Wattmessung, dafür mit Freude an der Bewegung und Spaß an der Sache. Das soll natürlich kein Freibrief sein, nur so vor sich hin zu fahren oder zu leben, aber zumindest für mich persönlich ist es irgendwie beruhigend, zu wissen, dass es auch ohne überbordendes "Zerdenken" und mit Spaß an der Sache geht.

2018 ist Markus wieder am Start, bereit für die Titelverteidigung des Race Around Austria. Hier bekommt er dieses Jahr allerdings Konkurrenz von Philipp Reiterits. Jan und ich waren im Mai 2017 auf dem Weg zum Hochtor, als wir auf den leeren Straßen auf einen anderen Radler trafen, der sich knapp vor uns die Straße hocharbeitete. Das Race Around Austria-Cap unter seinem Helm interpretierten wir als Einladung, über Radfahren, das RAA und unser aller Projekte zu plaudern. Wir machten ein paar Fotos als Erinnerung und wenig später trennten uns unsere Wege wieder. Jan und ich fuhren wieder zurück, Philipp setzt seine RAA-Streckenerkundung fort. Ich traf Philipp am Start des RAA im August wieder, auf der Startbühne, bereit seinen Traum umzusetzen. Philipp fuhr 2017 die 1.500 Kilometer lange Strecke, lernte dabei "Ultracycling" aus der ersten Reihe kennen - Hagel und Unwetter inklusive. 2018 geht er auf die 2.200 Kilometer lange Reise des RAA Extrem, gut vorbereitet und überlegt.

Tina und Andy sind den meisten am besten bekannt als "geradeaus.at" - dort betreiben sie einen Radblog und bieten Einblicke in ihre Touren, ihr Leben auf und neben dem Rad und garnieren das ganze mit großartigen Fotos. Die beiden haben sich Anfang des Jahres dafür entschieden, als Paar die RAA Challenge zu bestreiten - gut 560 Kilometer rund um Oberösterreich. Die Challenge stellt im Allgemeinen die Einstiegsdroge ins RAA-Universum dar - legal und in der Regel auch nicht ungesund. Auf ihrem Blog kann man alles über die intensiven Vorbereitungen für ein derartiges Vorhaben erfahren, eine Vorstellung vom notwendigen Trainingspensum bekommen, aber auch viele organisatorische Fragen (und die Antworten darauf) finden. 

169k beim Race Around Austria

Mich fasziniert seit jeher die Bewältigung längerer Strecken mit dem Rad. Letztes Jahr hatte ich die Möglichkeit, als fliegender Reporter mit Kamera und Laptop durchs Feld zu pflügen, die Protagonisten kennenzulernen und die Stimmung in mich aufzusaugen. Und ich für meinen Teil kann jedenfalls behaupten, mit dem RAA-Virus infiziert zu sein. Sobald ich im Raum mit Teilnehmer*innen bin, bekomme ich Lust darauf, mich anzumelden. Auch wenn ich Geschichten über Schlafentzug, lange Nachtschichten oder Schlechtwetter höre, mindert das nicht meine Motivation, in der Sekunde aufs Rad zu steigen. 

Nächstes Jahr werd ich dem Ruf wohl folgen. Dieses Jahr greife ich aber zuvor nochmal zur Kamera. Im August, im wunderschönen Attergau - mit hunderten anderen, deren Adrenalin und Enthusiasmus wieder auf mich überschwappen und ich werde wieder mit jedem und jeder einzelnen mitfiebern, als wenn es mein eigenes Rennen wäre! Ich freu mich schon!