Was haben meine Festive 500, die Bikepacking-Tour durch Österreich und die Race Around Austria Challenge Unsupported miteinander zu tun? Ja - lange Distanzen, Anstrengung und eine kleine Portion Masochismus. Aber auch die Bikepacking-Taschen von Ortlieb.
Begonnen hat es damit, dass ich für die Festive 500 im Winter ein "Notfallpaket" mit dabei haben wollte, das die Kapazitäten meiner Trikottaschen jedenfalls gesprengt hätte. Bei Pbike - dem Shop meines Vertrauens - war schnell eine Ortlieb Framebag besorgt und schon nach der ersten Ausfahrt war ich in das Teil verliebt - einfach anzubringen, wasserfest, robust und praktisch. In der Eiseskälte Osttirols waren im Frame-Pack immer Ersatzkleidung, Essen und Werkzeug dabei. Ich, der ich normalerweise ohne Taschen am Rad auskomme und über mehrere Jahre eine ausgeklügelte Raumaufteilungsstrategie für meine Trikottaschen entwickelt habe, war überrascht über die neue Freiheit, nichts am Rücken tragen zu müssen, alles dabei haben zu können und dabei auf nichts zu verzichten.
Mit der Umplanung des Jahres 2020 infolge der Corona-Pandemie ist bei mir dann - wie bei so vielen anderen auch - Bikepacking als wunderbare Alternative aufgekommen. Es war schon lange auf meiner To-Do-Liste aber Wochenenden während des Sommers waren schon in den vergangenen Jahren meistens immer für Events, Rundfahrten oder Marathons "blockiert". Für meinen Bikepacking-Ausflug hat die Ortlieb-Rahmentasche dann auch entsprechend Zuwachs bekommen - eine Satteltasche, die Lenkerrolle plus zusätzlicher Add-On-Tasche und die kleine Oberrohr-Tasche. Vollgepackt war ich damit durch Österreich unterwegs - während ich wetterbedingt nicht meine ganze Ausrüstung zum Einsatz bringen konnte (und damit wohl auf einiges an Gepäck verzichten hätte können...), so war der Regen zumindest dafür gut, die Wetterbeständigkeit der Taschen zu erproben!
Und letztendlich noch die Race Around Austria Challenge, bei der ich ebenfalls mit Rahmen- und Oberrohrtasche unterwegs war. Nach langem Hin- und Herüberlegen war das für mich die ideale Kombination.
Die Ortlieb Taschen im Detail
Frame-Pack Toptube
Für mich das Herzstück des Setups ist die Rahmentasche. Diese wird unter dem Oberrohr ins Rahmendreieck gespannt, steht damit nicht im Wind und stört auch sonst in keinerlei Weise. Das Volumen gibt Ortlieb mit vier Litern an, tatsächlich passt recht viel hinein: Werkzeug, Schlauch, Regenjacke, Baselayer, Riegel und Gels, Wertsachen-Beutel oder aber auch sechs Flaschen Ensure-Flüssignahrung! ;)
Zu beachten ist, wie man die Tasche packt bzw. was man wohin steckt. Die Tasche besitzt keine Innenaufteilung oder innenliegende Fächer. Wirft man daher alles nur wahllos hinein, besteht die Gefahr von Klumpenbildung und die wiederum kann die Tasche so ausbeulen, dass man im schlimmsten Fall mit den Oberschenkeln daran streift. Aber es ist keine Wissenschaft… - einfach die Dinge zusammenrollen, überlegt verstauen und etwas Tetris-Skills anwenden, dann passt das alles gut!
Der Reissverschluss ist - zumnidest bei meinem Modell - schwergängig, ein irrtümliches Öffnen ist ausgeschlossen. Umgekehrt empfiehlt es sich jedenfalls stehenzubleiben, wenn man etwas aus der Tasche braucht - eine Bedienung während der Fahrt habe ich ausprobiert, empfehlen kann ich sie aber nur bedingt.
Die Befestigung im Rahmendreieck erfolgt einfach mittels Klettverschlüssen - drei am Oberrohr, jeweils ein zusätzlicher nach vorne zum Steuerrohr und einer nach hinten. Damit kann man alles auf so gut wie jeden Rahmen einstellen, einzig der vordere Klettverschluss wird etwas kurz, wenn - wie bei modernen Karbonrahmen mittlerweile üblich - ein sehr dickes Steuerrohr verbaut ist. Genauer hinsehen sollte man bei kleineren Rahmen. Hier kann es sein, dass sich bei montierter Rahmentasche keine oder nur noch eine Trinkflasche ausgeht. Kalkuliert man das von Beginn an ein, lohnt sich vielleicht eher ein alternatives Trinksystem - dann kann man auch gleich zur Rahmentasche greifen, die das gesamte Rahmendreieck ausfüllt.
Wie für alle anderen Produkte aus der Ortlieb-Bikepacking-Serie gilt, dass die Tasche wasserdicht ist - die Nähte sind versiegelt, das Außenmaterial abweisend. Schlaues Detail ist ein kleines Loch am Ende des Reissverschlusses, durch das man beispielsweise das Kabel des Lampen-Akkus stecken kann. Und der Griff des Reissverschlusses wird in einer passenden Lasche verstaut, so baumelt dieser während der Fahrt nicht herum oder kommt dem Oberschenkel in die Quere.
Handlebar-Pack
Die Lenkerrolle gibt es mit 9 oder 15 Litern Volumen. Wer mit dem Rennrad oder Gravel-Bike unterwegs ist, wird sich für die kleinere entscheiden (müssen), denn nur diese passt zwischen einen Rennrad- oder Gravellenker. Auch hier geht die Montage leicht von der Hand. Klett- und zusätzliche Klick-Verschlüsse werden am Oberlenker angebracht, für extra Halt sorgt ein Band um das Steuerrohr. Im Lieferumfang enthalten ist außerdem ein kleiner Spacer aus Schaumstoff, der die Tasche vom Steuerrohr fernhält und so Kontaktpunkte und Reibung mit dem Rahmen reduziert. Befestigt man Lenkerrolle und Rahmentasche gleichzeitig, muss man darauf achten, dass sich die beiden Bänder ums Steuerrohr nicht in die Quere kommen bzw. überlegen, welche Tasche man unterwegs eventuell vom Rad abnehmen möchte, sodass man nicht jedesmal von Neuem die Befestigungen übereinander schlichten oder auseinander dividieren muss :)
Die neun Liter Volumen reichen für eine kompakte Isomatte und einen Schlafsack, die man eingerollt leicht in der Tasche unterbringen kann. Alternativ kann man natürlich auch Gewand dort unterbringen, alles was gut “stopfbar” ist. Beim Packen und Verschließen sollte man darauf achten, dass man zum Unterlenker hin noch etwas Platz lässt, damit man dort auch den Lenker gut greifen kann. Bei (Gravel-)Lenkern mit Flare ist das weniger ein Thema. Dort funktioniert auch das Aus- und Einpacken der Tasche besser wenn diese noch am Rad montiert ist. Bei einem konventionellen Rennradlenker muss man die Tasche in der Regel abnehmen um sie auszuräumen, da man die seitlichen Verschlüsse sonst nicht ausrollen kann.
Auch hier ist die Tasche absolut wasserdicht, die Roll-Verschlüsse an beiden Seiten sind abgedichtet und alles was in der Tasche ist, bleibt gut geschützt. Wer mit einer Lenkerrolle unterwegs ist, muss sich natürlich darüber im Klaren sein, dass diese “im Wind steht”, und zwar richtig. Der Luftwiderstand des Systems wird merklich erhöht.
Accessory-Pack
Wem der Luftwiderstand eh schon egal ist und noch zusätzlichen Stauraum benötigt, kann an der Lenkerrolle noch eine Zusatztasche anbringen. Diese ist mit den integrierten Ösen und Haken kinderleicht und schnell montiert (und unterwegs auch wieder abgenommen). Die Zusatztasche eignet sich daher sehr gut für jene Dinge, die man eher schneller zur Hand oder immer bei sich haben möchte.
Der Verschluss der Tasche erfolgt mit einem zentralen Gurt in der Mitte der Tasche. Das ist einfach in der Handhabung, erfodert aber viel Sorgfalt beim Einrollen des Obermaterials - bei mir waren fast immer unschöne Ecken vorhanden, die dann nach oben wegstehen. Ehrlicherweise habe ich das aber bis dato nur im Stehen ausprobiert - für meine Touren war die Tasche bis jetzt noch nicht im Einsatz, weil ich den zusätzlichen Stauraum nicht gebraucht habe.
Seat-Pack
Die klassische Satteltasche gibt es ebenfalls in zwei Größen: 11 oder 16,5 Liter, wobei die größere zwei (statt einem) Befestigungsgurte hat und zusätzlich elastische Gummizüge an der Oberseite, um zum Beispiel leichte Schlapfen oder Flip-Flops zu befestigen. Ich persönlich bin ja kein Freund von allzu großen und weit ausladenden Satteltaschen, weil diese beim Fahren und vor allem im Wiegetritt zum Schwanken neigen. Für mich reicht daher das kleinere Modell mit elf Litern aus, wobei das schon eine beträchtliche Menge ist und die Tasche mit den diversen Gurten sehr gut anpassbar ist auf die jeweilige Beladung. Benötigt man nur den halben Stauraum, zurrt man die Tasche einfach auf die halbe Größe zusammen. Besonders schlau finde ich den verschließbaren Luftauslass an der Oberseite - diesen öffnet man vor dem Packen, dann räumt man seine Habseligkeiten in die Tasche, verschließt sie, drückt noch einmal alles fest zusammen und hört zu, wie die Luft aus dem Ventil entweicht. Auf diese Weise erhält man eine kompakte Satteltasche, die eben möglichst klein baut und dadurch nicht unnötig Schwungmasse aufbauen kann.
Der Verschluss wird eingerollt und zugeklippt, dadurch ist auch dieses System wasserdicht. Reflektoren an der Rückseite bieten zusätzliche Sicherheit und an den Schlaufen an der Rückseite lässt sich ein Licht montieren.
Cockpit-Pack
Am vielseitigsten und alltagstauglichsten wäre prinzipiell die kleine Oberrohrtasche namens “Cockpit-Pack”, leider ist diese aber auch der schwächste Teil der Serie (ausgehend von einem hohen Niveau allerdings). Zwei Dinge stören mich an der kleinen Tasche, die an sich ein perfekter Begleiter wäre - wasserdicht, kompakt und griffbereit. Zum einen ist da die Befestigung, die nicht so optimal funktioniert wie bei den anderen Taschen. Ein Klettverschluss um das Oberrohr sowie ein weiterer um das Lenkrohr bzw. die Spacer unterm Vorbau sollen die Oberrohrtasche an ihrem Platz halten. In der Praxis war der feste Halt allerdings nicht immer gewährleistet - nicht dass die Tasche runterfallen würde sondern dass sie leicht schief stand oder etwas zur Seite kippte. Das ist dann auch tatsächlich deswegen ein Problem (und das ist der zweite Punkt). weil die Tasche durch ihre Form sehr breit ist und bei einer leichten Schrägstellung dann die Oberschenkel die Tasche berühren. Das kann beim Fahren stören - bei meiner Österreich-Runde war das beispielsweise im Wiegetritt der Fall, weil ich dabei das Rad seitlich hin und her bewege. Was die Befestigung betrifft, so hätte mein Gravel-Bike am Oberrohr sogar zwei Schrauben, an denen man noch Zubehör montieren könnte, aber offenbar gibt es hier in der Industrie noch keine Verständigung auf eine gemeinsame Vorgehensweise - vielleicht werden wir hier für bestimmte Segmente in naher Zukunft einen Standard sehen.
Die Tasche selbst ist in Bezug auf Qualität und Verarbeitung einwandfrei - wasserdicht, mit einer hohen Gummilippe am Verschluss und einem Reissverschluss, der auch während der Fahrt bedient werden kann. Ein iPhone passt mit Ach und Krach gerade noch hinein, Riegel, Gels und Kreditkartenetui und dergleichen aber jedenfalls sehr gut. Bei meinen Erkundungen waren dort außerdem diverse kleine Kabel und Adapter verstaut, die ich gegebenenfalls schnell bei der Hand haben wollte und die ich nicht endlos in den Untiefen der größeren Taschen suchen wollte.
Einen Vielseitigkeits-Sonderpreis verdient das Cockpit-Pack für die Möglichkeit, auch als Satteltasche verwendet werden zu können. Bei einem Mountainbike-Urlaub in Osttirol hatte ich keinen Flaschenhalter am Rad (nicht fragen warum…), die Flasche wandete kurzerhand in die Trikottasche, das Werkzeug und die Jacke von ebendort direkt in die unter dem Sattel montierte Oberrohrtasche. Michael von Starbike ist mit diesem Setup sogar sein Race Around Austria so angegangen.
Meine Erfahrungen und was ich wofür verwende
Jede*r packt anders und das ist auch gut so, ist es doch auch eine recht individuelle Sache. Ich für meinen Teil richte mich natürlich nach der Herausforderung und dem Projekt. Als erstes schnalle ich die Rahmentasche aufs Rad, danach zusätzlich die Oberrohrtasche. Das ist für mich ein Setup, das das Verhalten meines Rades nicht bis wenig beeinflusst. und dabei kann man trotzdem das Wichtigste mit sich führen. Schließlich bin ich so auch meine Race Around Austria Challenge gefahren. Danach schnalle ich die Rahmentasche auf die Sattelstütze, diese bietet viel zusätzlichen Stauraum und durch die flexibel Größe auch eine gute Variabilität. Erst wenn die Satteltasche voll oder zu schwer wird, würde ich zur Lenkerrolle greifen. Bei der Lenkertasche ist der zusätzliche Luftwiderstand doch so spürbar, dass ich diese erst als “last resort” verwenden würde.
Was man wo hineinpackt, auch darüber lässt sich vortrefflich diskutieren und es wird auch hier individuelle Vorlieben geben. Eine gemeinsame Sichtweise ist aber insoweit vorhanden, als man üblicherweise schwere(re) Dinge in die Rahmentasche packt, Schlafsack und Isomatte in die Lenkerrolle und Gewand in die Satteltasche. Wertsachen sind üblicherweise in einer Oberrohr- oder Zusatztasche gut aufgehoben.
Bei meinen Touren mit den Ortlieb-Taschen war das Wetter jeweils recht “bescheiden”, von daher kann ich jedenfalls die Wasserfestigkeit der Produkte bescheinigen. Bei der Oberrohrtasche bürge ich auch für eine Wasserdichtheit, wobei diese weniger vom Wetter selbst auf die Probe gestellt wurde sondern eher durch sturzbachartige Schweißströme von meinem Kopf und Oberkörper.
Die Qualität ist hervorragend und die Verarbeitung einwandfrei. Nichts ist unsauber vernäht, nichts steht weg oder ist im Weg. Die Montage ist eigentlich selbsterklärend, bei jedem Gurt und Klettverschluss ist klar, was dieser zu tun hat und wo dieser hingehört. Hängt man sich allerdings alle Taschen zugleich ans Rad, kann es schon einmal recht eng werden - da sollte man sich kurz Gedanken machen, in welcher Reihenfolge man was montiert und wo jeder Gurt am Ende liegen wird. Besondern rund ums Steuerrohr sammeln sich dann eine Vielzahl von Gurten und Verschlüssen. Auch die Positionierung von Radcomputer und Lichtern will überlegt sein - so ist logischerweise die Lenkerrolle jeder Lichthalterung unter dem Vorbau oder unter dem Computer-Mount im Weg.
Ortlieb liefert zu den Taschen auch diverse Ersatz- und Zusatzgurte mit. So kann man notfalls auch eine improvisierte Halterung oder Befestigung basteln. Umgekehrt sind die vorhandenen Gurte (vor allem an Lenkerrolle und Satteltasche) teilweise recht lang, sodass stellenweise nicht mehr ganz klar ist wo diese hingehören oder verstaut werden sollen. Das letzte was man möchte, sind schlackernde Gurte oder am Ende sogar Dinge, die sich in den Laufrädern verfangen können.
Ebenfalls ein Thema sind empfindliche Karbonrahmen, die eventuell durch die Befestigungsgurte der Taschen abgenützt oder sogar beschädigt werden könnten. Ortlieb selbst gibt an, dass die eigenen Produkte auch für Karbonrahmen und -sattelstützen geeignet sind. Ich selbst konnte an meinen Rädern keinerlei Abnützung oder Spuren entdecken. Die Klettverschlüsse und Gurte haben in der Regel eine “weiche” Seite, im Normalfall wendet man diese dem Rahmen zu und nicht den aufgerauhten Klettverschluss. Wer hier auf Nummer sicher gehen möchte, kann unter den Befestigungen noch transparente Kleber anbringen, dann kommt der Rahmen gar nicht mehr mit den Taschen in Berührung.
Im “täglichen” Gebrauch wird vor allem die Rahmentasche für mich eine tolle Erweiterung bleiben, sobald das mitgeführte Gepäck die Kapazität der Trikottaschen übersteigt. Satteltasche und Lenkerrolle werden mich hingegen nur auf ausgedehnten Touren begleiten. Und von denen hab ich noch einige vor - bin ich doch gerade erst auf den Geschmack gekommen… ;)
Disclaimer
Handlebar-Pack, Accessory-Pack, Seat-Pack und Cockpit-Pack wurden mir von Ortlieb für diesen Test zur Verfügung gestellt.