Sportful Fiandre

Auch wenn die Frühjahrsklassiker im Rahmen des ambitionierten Rennkalenders der UCI im Herbst nachgeholt werden sollen - die regnerischen April-Wochenenden in Nordfrankreich und Belgien sind uns dieses Jahr durch die Lappen gegangen. Und auch wenn im Oktober die Wetterverhältnisse ähnlich bescheiden sein sollten wie im April - Frühling und Herbst sind einfach zwei unterschiiedliche Dinge.

Flandern und allgemein die Frühjahrsklassiker sind natürlich etwas Spezielles. Man erinnert sich gerne an Peter Sagan, der bei 40 km/h am Vorbau seines Rades herumschraubt, an schmutzverkrustete Gesichter und vielleicht etwas weniger gern an den obskuren Dämpfer am Hinterbau des Pinarello der Sky-Mannschaft. Aber auch die Bekleidung für die Frühjahrsklassiker unterscheidet sich von jener des Sommers. Nicht zuletzt konnte man auch am Outfit einzelner Fahrer erkennen, was deren Rolle im Rennen sein wird. Tom Boonen erklärte einmal, dass jener Fahrer, der die Beinlinge über der Hose trägt, in die Fluchtgruppe gehen wird, während jene, die sich erst später schichtweise ausziehen müssen, gemütlicher ins Rennen starten konnten. Es war und liegt einfach immer ein besonderer Reiz über den Rennen des Frühlings.

Hervorgestochen ist in all diesen Jahren oft ein bestimmtes Kleidungsstück, das - egal ob nun von Sportful oder der Schwestermarke Castelli gefertigt - durch seine Vielseitigkeit und Funktionalität viele Freunde unter den Profis als auch Hobbyfahrerinnen und -fahrern gefunden hat. Bei Castelli heißt die Jacke “Gabba”, bei Sportful firmiert die Produktlinie unter “Fiandre”, passend zu den Frühjahrsklassikern. Einige Profis waren sogar so von der Qualität der Kleidungsstücke überzeugt, dass sie ungelabelte Versionen trugen, um die eigenen Sponsoren nicht zu verprellen.

Die Besonderheiten von “Fiandre”

Was ist nun so besonders an den Trikots, Jacken und Hosen mit dem prägnanten roten Strich? Sportful selbst sagt, sie haben das Feedback der Profis eingeholt, denn die vertragen keine Kompromisse. Wenn man sich die unterschiedlichen Rennen ansieht und bei welchen variablen Witterungen die Pros im Sattel sitzen, bekommt man schon eine Ahnung davon, was ein Fiandre-Kleidungsstück können sollte. Die eigentliche Herausforderung ist allerdings jene der “eierlegenden Wollmilchsau”, also des vermeintlichen Alleskönners. Das Kunststück besteht also nicht (nur) in der Beherrschung der Einzeldisziplinen “kalt”, “warm”, “nass”, “trocken”, “windig” sondern in der Kombination all jener Faktoren - “maximale Variabilität” wäre der korrekte Marketingsprech.

So eine Jacke zu testen, bedeutet normalerweise sich in recht ungemütliche Situationen zu begeben, sprich bei Regen und Kälte aufs Rad zu steigen und zu prüfen, wie lange die Jacke dem Wetter standhält. Sich unter die laufende Dusche zu stellen, mag wie eine plausible Alternative klingen, ist jedoch nicht dasselbe und für einen Test auch irgendwie unwürdig. Dann kam noch Corona und der damit verbundene Lockdown dazu, womit große Teile des Frühjahrs für Ausfahrten draußen überhaupt nicht mehr in Frage kamen. (In diesem Fall) Glücklicherweise war auch der Juni wettertechnisch ein einziges Drama, wodurch dann doch noch der eine oder andere standesgemäße Test möglich war. Und statt die Geschichte chronologisch oder nach Kleidungsstücken zu strukturieren, möchte ich hier einfach ein paar “Use Cases” aufzeigen, in denen die Teile bei mir im Einsatz waren.

Foto: Nora Turner // Unicorn Cycling

Use Cases

Gravel bei Sonne und 12 Grad

Sportful hat zwar eine eigene Gravel-Kollektion namens “Giara” im Programm (mehr dazu im Laufe des Sommers), aber es spricht natürlich nichts dagegen, das Rennradgewand auch mit ins Gelände zu nehmen - Funktionalität ist nun einmal Funktionalität. Bei Temperaturen um die 10 Grad bin ich persönlich ein riesiger Fan von kurzen Thermo-Bibs und tatsächlich war mir dieses Kleidungsstück (lustigerweise unabhängig vom Hersteller) immer das liebste und wichtigste. Eine kurze Hose mit aufgerauhtem Thermo-Material hält warm, wo es notwendig ist, engt aber nicht ein, wo man Bewegungsfreiheit haben möchte - rund um das Knie nämlich.

Obenrum sind 10 Grad eine spannende Angelegenheit, findet man hier doch alles vom Kurz-Kurz-Fahrer bis hin zur Winterausrüstung. Temperaturwahrnehmung ist letztendlich auch etwas sehr individuellles, dementsprechend schwierig bis unmöglich ist es, hier ein allgemein gültiges Rezept zu finden. Layering für die notwendige Flexibilität und natürlich die Vielseitigkeit und Funktionalität der Kleidungsstücke sind hier die wesentlichen Faktoren. Sportful geht hier einen - auf den ersten Blick - ungewöhnlichen Schritt, und bietet die Fiandre Trikots und Jacken auch als Kurzarm-Varianten an. Der Sinn einer kurzärmeligen Thermo-Jacke mag sich erst auf den zweiten Blick erschließen, wer jedoch einmal hinter die Möglichkeiten dieser Variante geblickt hat, wird sofort ein Fan (so wie ich)! In Kombination mit einem guten Baselayer und Ärmlingen hat man auf diese Weise ein Kit beisammen, das für so gut wie jede nur denkbare Situation geeignet ist. Zu kalt? Ärmlinge drauf. Gut temperiert? Ärmlinge runter. Warm am Oberkörper? Reißverschluss auf. Gerade bei wechselhaften Bedingungen kann man sich so ohne viel Interaktion und Herumwurschteln an die Umgebung anpassen.

In den Bergen bei 8 Grad

Was in der Ebene funktioniert, macht natürlich auch in den Bergen Sinn. Dort wo sich Wetterbedingungen noch schneller ändern können und auch die Konsequenzen eines Wetterwechsels mitunter schwerwiegender sind, ist eine gute Ausrüstung noch mehr wert. Mit einem dickeren Baselayer ist man auch für Gipfeltemperaturen und frische Abfahrten gewappnet. Das Sportful-Trikot ist mir zum ersten Mal bei den BORA-Profis ins Auge gestochen, die sich für die lange Abfahrt vom Großglockner das Fiandre-Jacket übergeworfen haben.

Patrick Konrad 2019 im Light Jacket SS (und schon damals mit Mund-Nasen-Schutz…)

Wer auf Nummer sicher gehen möchte, kann natürlich auch mehrere Fiandre-Teile übereinander anziehen. Das mag vielleicht nicht unbedingt im Sinne des Erfinders sein, auf meiner Tour in Osttirol waren die vielen Möglichkeiten des An- und Ausziehens, Auf- und Zumachens jedenfalls gut und hilfreich.

Von 13 auf 31 Grad in 150 Kilometern

Ein Kleidungsstück zu entwerfen, dass nur unter gewissen Bedingungen gut sein muss, ist glaube ich mitunter keine allzu große Kunst. Bei einer längeren Tour über 150 Kilometer, die bei 13 Grad in den Bergen startet und im Flachland bei gut 30 Grad endet, sind allerdings andere Qualitäten gefragt. Die Fiandre-Oberflächen sorgen dafür, dass man vor den Elementen geschützt ist - Wind und Wasser kommen gar nicht erst bis zum Körper durch. Während man in anderen Jacken jedoch von innen schwitzt und es dann fast schon egal scheint, ob man von draußen oder drinnen völlig durchnässt ist, ist hier die Atmungsaktivität sehr gut gegeben. Mir persönlich wird recht schnell heiß beim Fahren, gleichzeitig habe ich es aber gerne angenehm warm - ich bin also tendenziell immer etwas zu dick angezogen. Dann bin ich natürlich extra dankbar, wenn mir mein Gewand ein gutes Maß an Temperaturregulierung erlaubt und mich nicht von einem Aufguss zum nächsten schickt. Auch die Hose ist warm genug und schützt vor widrigen Wetterbedingungen und kühlen Temperaturen, fühlt sich aber dennoch nicht dick an oder trägt unnötig auf - da gehts ja tatsächlich auch stark um eine individuelle Wahrnehmung und ein Wohlfühlen.

Über 20 oder spätestens bei 25 Grad ist die Fiandre-Kollektion natürlich nur mehr bedingt die richtige Wahl. Ist man nur in der Sonne unterwegs, plant keine außergewöhnlichen Ausflüge oder sind die Rahmenbedingungen tatsächlich stabil und kalkulierbar, greift man einfach zur normalen Ausrüstung - spezielle Funktionen für das Frühjahr, Wind und Regen sind da schlicht und ergreifend nicht notwendig. Das soll allerdings nicht heißen, dass die Fiandre-Kleidungsstücke dort nicht (mehr) funktionieren. Aber ich habe es ohnehin schon gesagt, es geht vielmehr um den Mix und die Abwechslung von Wettersituationen und -bedingungen. Nach meiner Ankunft bei 31 Grad hatte ich schöne Salzränder an Armen und Beinen - die hätte ich in leichterem Gewand zwar auch gehabt, aber dank Fiandre war ich auch in den kühlen Morgenstunden auf den ersten Kilometern durch die Berge gut geschützt.

Ein Tag im Sattel bei Frühlingswetter

Die wahre Bewährungsprobe war die Wallfahrt nach Mariazell über mehr als 300 Kilometer. Nicht nur große Temperaturunterschiede sondern auch unklare Wettersituationen, feuchte Straßen, dunkle Wolken, starker Wind und wunderbare Abendsonne waren der Rahmen für diese Unternehmung. Als Teil meiner Vorbereitung auf die Race Around Austria-Challenge hatte ich meine Rahmentasche aufs Rad geschnallt und diese mit allerlei Ersatzgewand und Jacken vollgestopft, um dies und das auszuprobieren, einzelne Teile zu testen und natürlich auch eine Rückfallebene zu haben, sollte ein Unwetter über unsere Gruppe hereinbrechen. Tatsächlich war ich den ganzen Tag mit dem Sportful Light Jacket über einem einfachen Baselayer unterwegs - von 12 Grad um 6 Uhr früh, zu 24 Grad in der Mittagssonne und wieder zurück zu 16 Grad während des Sonnenuntergans um 21:30 Uhr. Einzig nach der Mittagspause verlangte der Körper nach zusätzlicher Wärme in Form einer weiteren Schicht - aber nach wenigen Kilometern zurück auf dem Rad, war diese genauso schnell wieder in der Tasche verstaut.

Ebenfalls am Morgen waren außerdem die Fiandre Handschuhe im Einsatz, die dafür sorgen, dass die Hände warm und trocken bleiben. Gerade auf den äußersten Extremitäten kühlt man oft sehr schnell aus, diese entsprechend zu schützen (und das von Anfang an und nicht erst wenn es zu spät ist!), hilft immens und wirkt sich auf den Gesamtkomfort aus.

Der Regen-Test

Manchmal muss man sich zu Dingen überwinden - zum Beispiel die Regenfestigkeit einer Jacke zu testen. Mit Blick auf die Wettervorhersage und einem Schielen auf die schwarzen Wolken vor dem Fenster, stand als Abschluss noch eine Fahrt im Regen auf dem Programm - schließlich möchte ich wissen, ob und wie Dinge funktionieren, ob Pressetexte die Wahrheit sagen, Laborbedingungen hin oder her. Es hat genau zehn Minuten gedauert und die Front, auf die ich zugefahren bin, hat sich mit Gewitter, Hagel, heftigem Regen und Windböen über mich ergossen. Mit dem Sicherheitsnetz des nahen Zuhauses und zahlreichen Unterstellmöglichkeiten für den Fall der Fälle macht so eine Fahrt im Regen ja auch Spaß. Das Wissen, hier und jetzt unterwegs zu sein, wenn andere längst das Weite suchen, verleiht ein besonderes Gefühl. Ganz ohne Leichtsinn kann man auf diese Weise ruhig einmal durch einen Sommerregen fahren und versuchen, das richtig zu genießen (Pro-Tipp!). ;)

Mein kurzer Ausflug war nur bedingt zu genießen - zu heftig waren Regen und Wind, aber für den Test der Fiandre-Jacke war es genau richtig. Die ersten Regentropfen bildeten nur kleine oberflächliche Flecken auf der Jacke, perlten ab oder verschwanden sofort wieder. Das gibt einen Hinweis darauf, was passiert, wenn man in leichtem Regen oder Nieseln unterwegs ist. Die Technologie der Oberflächenbehandlung - nicht umsonst mit dem Namen “NoRain” - sorgt dafür, dass man sehr lange trocken bleibt. Erst bei größeren Mengen beginnt das Material langsam nass zu werden, wobei der Körper oder der Baselayer darunter fühlbar länger trocken bleibt. Nach meinem Abenteuer-Ausflug war beim Ausziehen zwar die Jacke durchnässt, der Baselayer jedoch staubtrocken. Die Jacke - kurz aufgehängt - war nach rund 10 Minuten ebenso wieder trocken und bereit für neuen Unsinn.

Fazit, Größen und Preise

Das Ganze zusammenzufassen ist nicht einfach, dazu sind zu viele individuelle und persönliche Variablen im Spiel. Ohne mich irgendwie verrenken zu müssen, kann ich jedenfalls einmal festhalten, dass das “Fiandre Light Norain Jacket SS” zum allerbesten gehört, was jemals den Weg in meinen Kleiderschrank gefunden hat (und dieser Schrank ist erschreckend gut gefüllt…). Die Variabilität und Flexibilität entspricht dem, was Sportful vermeintlich großmundig formuliert, besonders in der Short Sleeve Variante spielt die Jacke in meinen Augen alle Trümpfe aus. Die Ärmel sind perfekt lang, die Bündchen und Abschlüsse sind angenehm und breit, die Verarbeitung ist sehr gut und auch die gedeckten Farben (und speziell das dunkle Grün) finde ich großartig. Der Preis von 130 Euro ist für das Gebotene absolut in Ordnung, bei der Größe sollte man sicherheitshalber genau nachmessen und die Größentabelle konsultieren. Ich trage üblicherweise L und war bei Sportful schon fast bei XL - ich habe trotzdem L genommen und es passt gerade so. Manchmal muss ich den Bauch etwas einziehen, wenn mir jemand entgegenkommt…

Die “Fiandre Pro Jacket SS” (sie gibt es wie das Light-Jacket auch mit langen Ärmeln) bietet spürbar dickeres Material und damit noch etwas mehr Schutz und Wärme. Auch hier ist aber der Begriff “Jacket” mitunter etwas irreführend, handelt es sich doch eher um ein dickeres Trikot. Alles was im Absatz davor steht, trifft auch hier zu - zusätzlich bietet die Pro Jacket am Hals noch einen zusätzlichen Schutz in Form eines vergrößerten Bündchens. Das klingt unspektakulär, sorgt aber für zusätzlichen Schutz vor Regen und Kälte im sensiblen Bereichs des Nackens und Halses. Die Pro Jacket kommt auf 210 Euro, ist aber an Tagen um die 10 Grad herum eine hervorragende Wahl und jeden Cent wert. Bei meinem Modell war der Reißverschluss etwas schwergängig, dieser ist größer und wuchtiger als beim Light Jacket, damit man ihn auch mit Handschuhen gut fassen kann.

Die Fiandre Norain Pro Bibshort möchte ich in meinem Kleiderkasten ebenso nicht mehr missen. Hosen leben natürlich in erster Linie immer von der Qualität und Passform des Sitzpolsters - während ersteres bei Sportful außer Frage steht ist zweiteres natürlich eine individuelle Angelegenheit. Für mich persönlich ist der Sitzpolster auf der breiten Seite und spürbarer als andere Polster, wenn man unterwegs ist. Dennoch waren die 300 Kilometer am Stück für mein Sitzfleisch kein Problem - die Hose mit dem Sitzpolster hat dazu einen guten Beitrag geleiset. Auch hier sorgt die “Norain”-Technologie dafür, dass Regen abperlt oder die Hose zumindest längere Zeit nicht klatschnass wird. Einziges Manko bei der Hose sind die aus meiner Sicht oben etwas zu schmalen Träger - diese behalten beim Tragen nicht wirklich ihre Form und bilden eher einen Wulst als eine schöne Auflagefläche auf den Schultern. (Eine Sache, die mir in letzter Zeit übrigens bei mehreren Marken aufgefallen ist). Die Pro-Variante der Fiandre Norain Bibs kostet 140 Euro, die “normale” 110. Auch hier sollte man bei den Größen genauer hinschauen - statt meiner üblichen Größe L habe ich hier vorsorglich XL gewählt und auch diese Größe ist bei mir auf der engen Seite!.

Bleibt zum Abschluss die Empfehlung, sich die Finadre-Kollektion jedenfalls näher anzusehen, wenn man eine vielseitige, schlagkräftige und schicke Kleidung für die Übergangszeit sucht (und sind wir uns ehrlich: in unseren Breitengraden ist 75% des Jahres Übergangszeit!). Wer es etwas billiger haben möchte, könnte übrigens auch der Sportful-Fabrik im italienischen Fonzaso einen Besuch abstatten und bei der Gelegenheit gleich auch den Monte Grappa, den Passo Manghen und den Croce d´Aune unter die Räder nehmen. ;)

Disclaimer

Weitere Infos bei Sportful, die beschriebenen Teile wurden von Sportful für den Test zur Verfügung gestellt.

Bekleidung in der kalten Jahreszeit

Wie jedes Jahr möchte auch diesmal wieder mein persönliches Best-Of an Winterkleidung mit euch teilen. Von mir getestet, ausgeführt und begutachtet, wie immer völlig subjektiv! Und um auch diesen Punkt gleich vorwegzunehmen: Ja, einige der hier genannten Produkte habe ich über Kooperationen zur Verfügung gestellt bekommen - wenn sie allerdings ihren Zweck nicht gut erfüllen würden, wären sie weder Teil meiner Garderobe noch dieses Blogposts.

Fingerscrossed Merino Socken

Ich persönlich hab es ja gerne warm. Sobald mir kalt wird - und mit „kalt“ meine ich, dass auch nur ein Quadratzentimeter meiner Körperoberfläche unangenehme Kälte über einen längeren Zeitraum erleidet - dann werde ich unrund und habe nur noch begrenzt Spaß am Radeln. Überhitzung hingegen ist in meiner Welt nur ein selten auftretendes Phänomen, dazu fahre ich im Winter offenbar zu wenig intensiv - verausgaben kann man sich da besser bei Einheiten auf Zwift. Kopf, Finger und Zehen sind an der frischen Winterluft nicht nur bei mir die empfindlichsten Körperstellen, wie ich bei einer kurzen Blitzumfrage in meinem Freundeskreis feststellen konnte. Diesen Teilen daher wohlige Wärme zukommen zu lassen, bürgt für lang anhaltenden Spaß im Sattel. 

Für untenrum schwöre ich auf Merino-Socken. Merinowolle ist schon lange kein Geheimtipp mehr - für Wolle vergleichsweise flauschig und weich, tolle Klima-Eigenschaften und weitgehende Geruchsneutralität! Punkt. Je höher der Merino-Anteil, desto besser - vor allem die Geruchs-Neutralität steht und fällt mit diesem Umstand. Fingerscrossed ist an sich eher für bunte und gemusterte Socken bekannt, sehr diskret kommen dagegen die Deep Winter Merino Socken daher - schwarz nämlich. Sogar die obligatorische Niete am linken oberen Sockenrand ist dezent angegraut. In der extrawarmen Version sind die Bereiche von Zehen über Sohle bis über die Ferse noch mit zusätzlich flauschigem Material versehen, dadurch bleiben sogar meine Füße im Winter schön warm. Die Frage, ob Socken nun über oder unter der Hose getragen werden, möchte ich hier nicht weiter erörtern - da könnte ich ja genauso gut eine Diskussion eröffnen, ob Canon oder Nikon besser ist oder iOS oder Android oder Beatles oder Stones... (Canon, iOS und Stones, falls es wen interessiert!) 

Thermopad Zehenwärmer

Wir bleiben bei den Füßen und senken die Temperatur noch um ein paar Grad. Dann lege ich üblicherweise noch ein Scheibchen oben drauf und gönne mir einen Satz Wärmepads in meinen Schuhen. Ich habe vor zwei Jahren einen Artikel dazu auf Bikeboard.at gelesen, dann gleich die Zehenwärmer von Thermopad bestellt und sie seitdem nicht mehr losgelassen. Es handelt sich um Einwegprodukte, die Pads geben laut Hersteller bis zu 8 Stunden Wärme ab. Ob diese Dauer auch eingehalten werden kann, habe ich nicht überprüft, da wird mir vorher irgendwo anders so kalt, dass ich wieder nach Hause fahre. Aber bei meinen Ausfahrten über 3-4 Stunden funktionieren die Pads jedenfalls einwandfrei. Die Aktivkohle in den Pads wird durch Sauerstoff aktiviert, das heißt man packt die Wärmer kurz vor dem Fahren aus, lässt sie ein paar Minuten liegen und klebt sie dann auf die Zehen oder Füße. Wichtig ist, die Pads vordem Anbringen lange genug „atmen“ zu lassen - ich packe die Pads einfach aus, bevor ich mich anziehe. Ankleiden im Winter ist sowieso eine Prozedur, die ein paar Minuten dauert, bis dahin haben sich auch die Pads schön aufgeheizt. Klebt man die Pads direkt aus der Packung auf und schlüpft in den Schuh, dann kommt nicht mehr ausreichend Luft zu den Pads und diese werden nicht richtig warm. Entgegen der gängigen Anwendung und auch den Bildern auf der Homepage des Herstellers und der Verpackung, klebe ich die Pads oben auf meine Zehen bzw. meinen Vorfuß anstatt unten. Die Wärmeentfaltung funktioniert dort genauso gut, allerdings erspart man sich den „Knubbel“ unter den Zehen. Das Pad trägt schon ein paar Millimeter auf und zumindest bei mir war es so, dass ich ein unten angeklebtes Pad beim Treten bemerke. Thermopad hat außer den Zehenwärmern auch noch alle möglichen anderen Wärmer im Sortiment (von Hand über Rücken bis hin zur ganzen Fußsohle), diese habe ich allerdings nicht ausprobiert - mir reichen die warmen Zehen :)

Fizik Artica R5

Eine vermeintliche Glaubensfrage betrifft hingegen die Wahl zwischen Überschuhen und Winterschuhen. Es gibt für beide Varianten unterschiedliche Pros und Cons. Ich persönlich habe mich vor 2 Jahren am MTB für Winterschuhe entschieden, letztes Jahr dann auch am Rennrad. Überschuhe habe ich mir trotzdem behalten, aber eher für den Notfall in wärmeren Phasen des Jahres oder als Backup am Berg. Ich sehe den Vorteil der Winterschuhe in der einfacheren Handhabung: Anziehen, fertig! Wie schon oben erwähnt, wird das Anziehen im Winter ohnehin schon oft genug zur Tortur - meist ist man schon kräftig verschwitzt, bevor man überhaupt noch bei der Haustür draußen ist. In meine Winterschuhe schlüpfe ich hinein und fertig. 

Da ich auf großem Fuß lebe, besteht für mich ein weiterer Vorteil darin, dass Winterschuhe weniger dick auftragen als dicke Socken, Winterschuhe plus Überschuhe. Das habe ich zum ersten Mal gemerkt, als ich bei unterschiedlichen Rädern mit dem Fuß an der Kettenstrebe angekommen bin, weil durch Schuh + Überschuh einfach zu viel Material da war. 

Dabei hatte meine Beziehung zu Winterschuhen einen durchwachsenen Start. Meine ersten MTB-Winterschuhe von Mavic konnten sich dadurch „auszeichnen“, dass sie unten bei den Cleats ungefiltert und recht direkt die kalte Winterluft hereinließen und damit das Prinzip Winterschuh ad absurdum führten. Auch eine (nur optional erhältliche) dickere Einlegesohle konnte das System nicht retten. Die Mavic-Winterschuhe fürs Rennrad hingegen (das Nachfolgemodell) waren in diesen Belangen besser, auch wenn mir dort noch immer zu viel Luft von unten reingekommen ist. Gore Tex und Dichtheit an der Oberseite sind eben nur die halbe Miete, wenn von unten Wasser und Kälte eindringen können. Glücklich bin ich erst, seit ich bei Winterschuhen zu Fizik gewechselt bin - ich glaube der Name des Modells „Artica“ hat die Eiskönigin in mir angesprochen...

Auch wenn die „Schnürung“ des Fizik (sie ist eher ein Zugsystem) auf den ersten Blick etwas irritiert, der Fuß hat im Schuh einen sehr guten Halt. Die Isolierung ist einwandfrei, eine wasserdichte Außenhaut mit Reißverschluss besorgt den Rest. Und - oh Wunder! - von unten kommt keine Kälte an die Fußsohle, auch mit der mitgelieferten Innensohle. Das Profil an der Sohle ist ausreichend, um auch im Winter voranzukommen, wenn man einmal neben dem Rad steht und nicht darauf sitzt - wobei man auch hier, wie bei allen Radschuhen, keinen Sonderpreis für Anmut und Eleganz gewinnen wird. Bei Mountainbike-Schuhen und gleichzeitig Verwendung von Crankbrothers oder Shimano-Cleats ist mir aufgefallen, dass man aufgrund des recht hohen Profils jedenfalls die mitgelieferten Spacer unter die Cleats schrauben sollte, damit man leichter ein- und ausklicken kann. Darunter leider allerdings wiederum das angenehme Gehen in den Schuhen, weil die Cleats leicht über das Profil der Sohle überstehen - Vorsicht auf glatten Böden!

Wenn wir schon kurz über Crankbrothers reden, ich habe meine Shimano SPDs gegen Crankbrothers Eggbeater Pedale getauscht, was gerade auch im Winter und bei Schnee & Matsch von Vorteil ist. Zum einen sind die minimal schlankeren Cleats etwas weniger schmutzanziehend, vor allem aber ist der Einstieg in die Pedale leichter, da man von vier Seiten einklicken kann - da kann man fast nicht danebenhauen!

Löffler Bike ISO-Jacke Primaloft Mix 

Genug von den Füßen gesprochen, kommen wir zum Oberkörper. Auch hier habe ich in den vergangenen Jahren schon einiges ausprobiert. Das Zwiebelprinzip habe ich dabei immer angewendet, weil es am praktischsten ist und die größte Flexibilität bietet. Allerdings habe ich die Kombinationen variiert - dick über dünn, dünn über dick, Jacke direkt über Baselayer, usw. Ich werde hier auch weiterhin Dinge ausprobieren und es ist nicht ausgeschlossen, dass ich einen neuen „optimalen“ Zustand herausfinde - momentan ist aber meine Lösung für kalte Tage ein Merino Baselayer, darüber ein (eher dünnes) Langarmtrikot und außen noch eine Jacke. Die Jacke ist für die Hauptfunktion des Wetterschutzes zuständig, mit unterschiedlichen Modellen und Funktionalitäten kann man sich hier den tatsächlichen Wetterbedingungen anpassen - dünne Regenjacke, dichte Outer-Shell, gefütterte Primaloft-Jacke.

Besonders in Herz geschlossen, - wie erinnern uns an meine oben bereits erwähnte Wärme-Bedürftigkeit - habe ich Primaloft-Jacken, weil diese eine zusätzlich Isolation und damit Kuscheligkeit bieten. Für intensive Fahrten mögen diese Jacken dem einen oder der anderen zu warm und dick sein, für mich allerdings passt das in der Regel sehr gut. Es muss natürlich auch nicht „Primaloft“ sein, hierbei handelt es sich ja nur um ein Patent - andere Marken nennen ihre Technologien anders, die Funktion ist aber meistens eine ähnliche. Vorteil gegenüber der klassischen Daune ist, dass Primaloft auch bei Nässe noch funktioniert, nicht so verklumpt wie Daune und auch entsprechend schneller trocknet. Dass Primaloft-Fasern mittlerweile zu einem großen Teil aus recycelten Plastikflaschen erzeugt werden, passt außerdem auch ganz gut ins derzeitige Bild.

Auch unter dem Lichte der Nachhaltigkeit steht mein Plan, dort wo es möglich ist, auch regionale und lokale Produkte einzusetzen oder zumindest ausfindig zu machen - in Zeiten der Globalisierung ist das ja mitunter nicht so einfach. Bei Radbekleidung stößt man dabei in Österreich sehr schnell auf Löffler, einem Unternehmen, dass seinen Hauptsitz und seine Produktion im oberösterreichischen Ried im Innkreis hat. Während dazu noch ein gesonderter Blogpost in der Serie „Made in Austria“ folgen wird, soll es hier um die Primaloft-Jacke von Löffler gehen, die sämtliche kalten Temperaturen gekonnt vom Oberkörper fernhält. Dafür im Einsatz ist die „Primaloft Gold“-Faser, die die technologische Speerspitze von Primaloft darstellt und dementsprechend den höchsten Qualitätsstandard für sich beansprucht. Im Design ist die Jacke eher klassisch gehalten und in mehreren Farben erhältlich, wobei wenn schon Winter, dann in Signalfarbe! In grellem Gelb fällt es schwer, im Grau und Weiß des Herbsts und Winters übersehen zu werden - ein nicht zu unterschätzender Faktor, wenn man auch in der dunklen Jahreszeit sicher vorankommen möchte. Besonders gut gefallen mir die Abschlüsse an Armen und Hals, diese sind breit und gut verarbeitet, bieten dementsprechend sowohl Komfort als auch Schutz vor den Elementen - hatte ich in der Form noch bei keinem anderen Produkt! Die Tasche an der Brust ist praktisch, zum Beispiel für das Handy, wenn man seine winterlichen Heldentaten für Instagram festhalten möchte. ;) Sonst kann man dort kälteempfindliche oder wertvolle Dinge verstauen. Am Rücken befindet sich eine große Tasche in der Mitte, diese dient gleichzeitig als Tasche für die Jacke selbst - wird diese nicht gebraucht, kann man sie einfach „in sich selbst“ hineinstopfen und per Reißverschluss zumachen. Die Jacke ist recht weit nach unten gezogen, wenn man ansonsten eher Aero-Schnitt gewöhnt ist - bei kalten Temperaturen aber jedenfalls von Vorteil. Trotz allem ist der Schnitt sportlich, nichts ist im Weg, nichts flattert.

Weil schöne Fotos von anderen besser sind, als verwackelte Selfies: Hier Oliver in der Löffler-Jacke während der Nacht auf unserer Race Around Austria-Testfahrt rund um Oberösterreich. (Er trägt hier noch ein reflektierendes Gilet drüber!)

Noch einmal Oliver bei der RAA-Testfahrt bei knackigen Morgen-Temperaturen am Ziehberg.

Isadore Ovada Deep Winter Baselayer

Unter der Jacke ist je nach Wetter Spielraum für unterschiedliche Lösungen. Fixstarter in meinem Setup ist jedoch der Merino Baselayer von Isadore, der sich im letzten Winter bereits einen Platz in meinem Herzen erarbeitet hat. Weiches Merino, ein hoher Kragen und ein isolierter Brustbereich sind die Zutaten, die dieses Kleidungsstück für mich zum essentiellen Begleiter machen. Der Schweiß wird gut verarbeitet, der Baselayer wird nie so durchnässt sein, dass man klimatisch in eine Notlage gerät. Das Material fühlt sich auf der Haut gut an - egal ob trocken oder nass - und trocknet Merino-entsprechend schnell. Die Isolierung im Brustbereich bietet zusätzlichen Schutz, falls der Wind doch einmal irgendwo einen Weg durch die Außenschicht finden sollte. Mit dem hohen Kragen erspart man sich hingegen in vielen Fällen (bei gemäßigten Temperaturen) einen extra Buff für den Hals oder ein Halstuch. Das finde ich persönlich wieder gut, weil ich nicht gerne mit einem dicken Wulst um den Hals unterwegs bin und mich dabei irgendwie immer in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt fühle. An den Ärmel-Enden sind noch Schlaufen für die Daumen angebracht, damit auch ja nichts verrutschen kann. Ich verwende diese allerdings (auch bei anderen Kleidungsstücken) nicht bzw. kann ich diese nicht gescheit verwenden, weil meine Arme dafür irgendwie zu lange sind - große Menschen, unklare Proportionen...

Das ist übrigens der zweitwärmste/zweitbeste Merino Baselayer von Isadore ;)

Zum Abschluss - und das ist nichts Neues, weil schon bei mehreren Gelegenheiten vorgebracht - möchte ich noch mein persönliches „last resort“, mein letztes Mittel gegen die Kälte erwähnen: Coldcream! Wer sich schon einmal bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in eine längere Abfahrt begeben hat oder bei eisigem Wind unterwegs war, kennt das Gefühl, wenn die Haut auf den Wangen zu spannen beginnt und die Kälte auf der Stirn sich bis in den Kopf hinein bohrt. Etwas Kältecreme vor dem Wegfahren strategisch gut platziert auftragen, und die Welt schaut schon wieder anders aus. Wichtig ist dabei, auf Produkte zu verzichten, die auf Wasser basieren (Wasser... Minusgrade...Hm?). Wer dennoch nicht auf reine Erdölerzeugnisse setzen will (und das wäre die naheliegende Alternative), ist bei Weleda ganz gut bedient, da ist außerdem noch Honig drinnen, das pflegt und riecht gut!

Ich hoffe, die eine oder andere Ausführung kann dabei helfen, die richtige Ausrüstung und Motivation für den Winter zu finden. Es geht im Endeffekt auch nicht darum, jeden Tag draußen zu fahren - und das sagt einer, der den Großteil des Winters auf Zwift Island verbringt. Aber es sind diese einzelnen Ausfahrten im Winter und bei Kälte, die gut geplant und auch gut ausgerüstet angegangen werden wollen. Und es sind gleichzeitig die Ausfahrten, die im Nachhinein oft als besondere Erlebnisse in Erinnerung bleiben. „Kannst du dich noch erinnern? Damals als es so kalt war und wir trotzdem fahren gegangen sind, ...“

Links

Fingerscrossed Merino Deep Winter, 30,00 Euro, fingerscrossed.design
Thermopad Zehenwärmer, 1,20 - 1,79 Euro (je nach Anzahl), www.thermopad.de
Fizik Artica R5, 200,00 Euro, www.fizik.com
Löffler Bike ISO-Jacke Primaloft Mix, 199,99 Euro, www.loeffler.at
Isadore Ovada Deep Winter Baselayer, 89,00 Euro, isadore.com