Auch wenn die Frühjahrsklassiker im Rahmen des ambitionierten Rennkalenders der UCI im Herbst nachgeholt werden sollen - die regnerischen April-Wochenenden in Nordfrankreich und Belgien sind uns dieses Jahr durch die Lappen gegangen. Und auch wenn im Oktober die Wetterverhältnisse ähnlich bescheiden sein sollten wie im April - Frühling und Herbst sind einfach zwei unterschiiedliche Dinge.
Flandern und allgemein die Frühjahrsklassiker sind natürlich etwas Spezielles. Man erinnert sich gerne an Peter Sagan, der bei 40 km/h am Vorbau seines Rades herumschraubt, an schmutzverkrustete Gesichter und vielleicht etwas weniger gern an den obskuren Dämpfer am Hinterbau des Pinarello der Sky-Mannschaft. Aber auch die Bekleidung für die Frühjahrsklassiker unterscheidet sich von jener des Sommers. Nicht zuletzt konnte man auch am Outfit einzelner Fahrer erkennen, was deren Rolle im Rennen sein wird. Tom Boonen erklärte einmal, dass jener Fahrer, der die Beinlinge über der Hose trägt, in die Fluchtgruppe gehen wird, während jene, die sich erst später schichtweise ausziehen müssen, gemütlicher ins Rennen starten konnten. Es war und liegt einfach immer ein besonderer Reiz über den Rennen des Frühlings.
Hervorgestochen ist in all diesen Jahren oft ein bestimmtes Kleidungsstück, das - egal ob nun von Sportful oder der Schwestermarke Castelli gefertigt - durch seine Vielseitigkeit und Funktionalität viele Freunde unter den Profis als auch Hobbyfahrerinnen und -fahrern gefunden hat. Bei Castelli heißt die Jacke “Gabba”, bei Sportful firmiert die Produktlinie unter “Fiandre”, passend zu den Frühjahrsklassikern. Einige Profis waren sogar so von der Qualität der Kleidungsstücke überzeugt, dass sie ungelabelte Versionen trugen, um die eigenen Sponsoren nicht zu verprellen.
Die Besonderheiten von “Fiandre”
Was ist nun so besonders an den Trikots, Jacken und Hosen mit dem prägnanten roten Strich? Sportful selbst sagt, sie haben das Feedback der Profis eingeholt, denn die vertragen keine Kompromisse. Wenn man sich die unterschiedlichen Rennen ansieht und bei welchen variablen Witterungen die Pros im Sattel sitzen, bekommt man schon eine Ahnung davon, was ein Fiandre-Kleidungsstück können sollte. Die eigentliche Herausforderung ist allerdings jene der “eierlegenden Wollmilchsau”, also des vermeintlichen Alleskönners. Das Kunststück besteht also nicht (nur) in der Beherrschung der Einzeldisziplinen “kalt”, “warm”, “nass”, “trocken”, “windig” sondern in der Kombination all jener Faktoren - “maximale Variabilität” wäre der korrekte Marketingsprech.
So eine Jacke zu testen, bedeutet normalerweise sich in recht ungemütliche Situationen zu begeben, sprich bei Regen und Kälte aufs Rad zu steigen und zu prüfen, wie lange die Jacke dem Wetter standhält. Sich unter die laufende Dusche zu stellen, mag wie eine plausible Alternative klingen, ist jedoch nicht dasselbe und für einen Test auch irgendwie unwürdig. Dann kam noch Corona und der damit verbundene Lockdown dazu, womit große Teile des Frühjahrs für Ausfahrten draußen überhaupt nicht mehr in Frage kamen. (In diesem Fall) Glücklicherweise war auch der Juni wettertechnisch ein einziges Drama, wodurch dann doch noch der eine oder andere standesgemäße Test möglich war. Und statt die Geschichte chronologisch oder nach Kleidungsstücken zu strukturieren, möchte ich hier einfach ein paar “Use Cases” aufzeigen, in denen die Teile bei mir im Einsatz waren.
Use Cases
Gravel bei Sonne und 12 Grad
Sportful hat zwar eine eigene Gravel-Kollektion namens “Giara” im Programm (mehr dazu im Laufe des Sommers), aber es spricht natürlich nichts dagegen, das Rennradgewand auch mit ins Gelände zu nehmen - Funktionalität ist nun einmal Funktionalität. Bei Temperaturen um die 10 Grad bin ich persönlich ein riesiger Fan von kurzen Thermo-Bibs und tatsächlich war mir dieses Kleidungsstück (lustigerweise unabhängig vom Hersteller) immer das liebste und wichtigste. Eine kurze Hose mit aufgerauhtem Thermo-Material hält warm, wo es notwendig ist, engt aber nicht ein, wo man Bewegungsfreiheit haben möchte - rund um das Knie nämlich.
Obenrum sind 10 Grad eine spannende Angelegenheit, findet man hier doch alles vom Kurz-Kurz-Fahrer bis hin zur Winterausrüstung. Temperaturwahrnehmung ist letztendlich auch etwas sehr individuellles, dementsprechend schwierig bis unmöglich ist es, hier ein allgemein gültiges Rezept zu finden. Layering für die notwendige Flexibilität und natürlich die Vielseitigkeit und Funktionalität der Kleidungsstücke sind hier die wesentlichen Faktoren. Sportful geht hier einen - auf den ersten Blick - ungewöhnlichen Schritt, und bietet die Fiandre Trikots und Jacken auch als Kurzarm-Varianten an. Der Sinn einer kurzärmeligen Thermo-Jacke mag sich erst auf den zweiten Blick erschließen, wer jedoch einmal hinter die Möglichkeiten dieser Variante geblickt hat, wird sofort ein Fan (so wie ich)! In Kombination mit einem guten Baselayer und Ärmlingen hat man auf diese Weise ein Kit beisammen, das für so gut wie jede nur denkbare Situation geeignet ist. Zu kalt? Ärmlinge drauf. Gut temperiert? Ärmlinge runter. Warm am Oberkörper? Reißverschluss auf. Gerade bei wechselhaften Bedingungen kann man sich so ohne viel Interaktion und Herumwurschteln an die Umgebung anpassen.
In den Bergen bei 8 Grad
Was in der Ebene funktioniert, macht natürlich auch in den Bergen Sinn. Dort wo sich Wetterbedingungen noch schneller ändern können und auch die Konsequenzen eines Wetterwechsels mitunter schwerwiegender sind, ist eine gute Ausrüstung noch mehr wert. Mit einem dickeren Baselayer ist man auch für Gipfeltemperaturen und frische Abfahrten gewappnet. Das Sportful-Trikot ist mir zum ersten Mal bei den BORA-Profis ins Auge gestochen, die sich für die lange Abfahrt vom Großglockner das Fiandre-Jacket übergeworfen haben.
Wer auf Nummer sicher gehen möchte, kann natürlich auch mehrere Fiandre-Teile übereinander anziehen. Das mag vielleicht nicht unbedingt im Sinne des Erfinders sein, auf meiner Tour in Osttirol waren die vielen Möglichkeiten des An- und Ausziehens, Auf- und Zumachens jedenfalls gut und hilfreich.
Von 13 auf 31 Grad in 150 Kilometern
Ein Kleidungsstück zu entwerfen, dass nur unter gewissen Bedingungen gut sein muss, ist glaube ich mitunter keine allzu große Kunst. Bei einer längeren Tour über 150 Kilometer, die bei 13 Grad in den Bergen startet und im Flachland bei gut 30 Grad endet, sind allerdings andere Qualitäten gefragt. Die Fiandre-Oberflächen sorgen dafür, dass man vor den Elementen geschützt ist - Wind und Wasser kommen gar nicht erst bis zum Körper durch. Während man in anderen Jacken jedoch von innen schwitzt und es dann fast schon egal scheint, ob man von draußen oder drinnen völlig durchnässt ist, ist hier die Atmungsaktivität sehr gut gegeben. Mir persönlich wird recht schnell heiß beim Fahren, gleichzeitig habe ich es aber gerne angenehm warm - ich bin also tendenziell immer etwas zu dick angezogen. Dann bin ich natürlich extra dankbar, wenn mir mein Gewand ein gutes Maß an Temperaturregulierung erlaubt und mich nicht von einem Aufguss zum nächsten schickt. Auch die Hose ist warm genug und schützt vor widrigen Wetterbedingungen und kühlen Temperaturen, fühlt sich aber dennoch nicht dick an oder trägt unnötig auf - da gehts ja tatsächlich auch stark um eine individuelle Wahrnehmung und ein Wohlfühlen.
Über 20 oder spätestens bei 25 Grad ist die Fiandre-Kollektion natürlich nur mehr bedingt die richtige Wahl. Ist man nur in der Sonne unterwegs, plant keine außergewöhnlichen Ausflüge oder sind die Rahmenbedingungen tatsächlich stabil und kalkulierbar, greift man einfach zur normalen Ausrüstung - spezielle Funktionen für das Frühjahr, Wind und Regen sind da schlicht und ergreifend nicht notwendig. Das soll allerdings nicht heißen, dass die Fiandre-Kleidungsstücke dort nicht (mehr) funktionieren. Aber ich habe es ohnehin schon gesagt, es geht vielmehr um den Mix und die Abwechslung von Wettersituationen und -bedingungen. Nach meiner Ankunft bei 31 Grad hatte ich schöne Salzränder an Armen und Beinen - die hätte ich in leichterem Gewand zwar auch gehabt, aber dank Fiandre war ich auch in den kühlen Morgenstunden auf den ersten Kilometern durch die Berge gut geschützt.
Ein Tag im Sattel bei Frühlingswetter
Die wahre Bewährungsprobe war die Wallfahrt nach Mariazell über mehr als 300 Kilometer. Nicht nur große Temperaturunterschiede sondern auch unklare Wettersituationen, feuchte Straßen, dunkle Wolken, starker Wind und wunderbare Abendsonne waren der Rahmen für diese Unternehmung. Als Teil meiner Vorbereitung auf die Race Around Austria-Challenge hatte ich meine Rahmentasche aufs Rad geschnallt und diese mit allerlei Ersatzgewand und Jacken vollgestopft, um dies und das auszuprobieren, einzelne Teile zu testen und natürlich auch eine Rückfallebene zu haben, sollte ein Unwetter über unsere Gruppe hereinbrechen. Tatsächlich war ich den ganzen Tag mit dem Sportful Light Jacket über einem einfachen Baselayer unterwegs - von 12 Grad um 6 Uhr früh, zu 24 Grad in der Mittagssonne und wieder zurück zu 16 Grad während des Sonnenuntergans um 21:30 Uhr. Einzig nach der Mittagspause verlangte der Körper nach zusätzlicher Wärme in Form einer weiteren Schicht - aber nach wenigen Kilometern zurück auf dem Rad, war diese genauso schnell wieder in der Tasche verstaut.
Ebenfalls am Morgen waren außerdem die Fiandre Handschuhe im Einsatz, die dafür sorgen, dass die Hände warm und trocken bleiben. Gerade auf den äußersten Extremitäten kühlt man oft sehr schnell aus, diese entsprechend zu schützen (und das von Anfang an und nicht erst wenn es zu spät ist!), hilft immens und wirkt sich auf den Gesamtkomfort aus.
Der Regen-Test
Manchmal muss man sich zu Dingen überwinden - zum Beispiel die Regenfestigkeit einer Jacke zu testen. Mit Blick auf die Wettervorhersage und einem Schielen auf die schwarzen Wolken vor dem Fenster, stand als Abschluss noch eine Fahrt im Regen auf dem Programm - schließlich möchte ich wissen, ob und wie Dinge funktionieren, ob Pressetexte die Wahrheit sagen, Laborbedingungen hin oder her. Es hat genau zehn Minuten gedauert und die Front, auf die ich zugefahren bin, hat sich mit Gewitter, Hagel, heftigem Regen und Windböen über mich ergossen. Mit dem Sicherheitsnetz des nahen Zuhauses und zahlreichen Unterstellmöglichkeiten für den Fall der Fälle macht so eine Fahrt im Regen ja auch Spaß. Das Wissen, hier und jetzt unterwegs zu sein, wenn andere längst das Weite suchen, verleiht ein besonderes Gefühl. Ganz ohne Leichtsinn kann man auf diese Weise ruhig einmal durch einen Sommerregen fahren und versuchen, das richtig zu genießen (Pro-Tipp!). ;)
Mein kurzer Ausflug war nur bedingt zu genießen - zu heftig waren Regen und Wind, aber für den Test der Fiandre-Jacke war es genau richtig. Die ersten Regentropfen bildeten nur kleine oberflächliche Flecken auf der Jacke, perlten ab oder verschwanden sofort wieder. Das gibt einen Hinweis darauf, was passiert, wenn man in leichtem Regen oder Nieseln unterwegs ist. Die Technologie der Oberflächenbehandlung - nicht umsonst mit dem Namen “NoRain” - sorgt dafür, dass man sehr lange trocken bleibt. Erst bei größeren Mengen beginnt das Material langsam nass zu werden, wobei der Körper oder der Baselayer darunter fühlbar länger trocken bleibt. Nach meinem Abenteuer-Ausflug war beim Ausziehen zwar die Jacke durchnässt, der Baselayer jedoch staubtrocken. Die Jacke - kurz aufgehängt - war nach rund 10 Minuten ebenso wieder trocken und bereit für neuen Unsinn.
Fazit, Größen und Preise
Das Ganze zusammenzufassen ist nicht einfach, dazu sind zu viele individuelle und persönliche Variablen im Spiel. Ohne mich irgendwie verrenken zu müssen, kann ich jedenfalls einmal festhalten, dass das “Fiandre Light Norain Jacket SS” zum allerbesten gehört, was jemals den Weg in meinen Kleiderschrank gefunden hat (und dieser Schrank ist erschreckend gut gefüllt…). Die Variabilität und Flexibilität entspricht dem, was Sportful vermeintlich großmundig formuliert, besonders in der Short Sleeve Variante spielt die Jacke in meinen Augen alle Trümpfe aus. Die Ärmel sind perfekt lang, die Bündchen und Abschlüsse sind angenehm und breit, die Verarbeitung ist sehr gut und auch die gedeckten Farben (und speziell das dunkle Grün) finde ich großartig. Der Preis von 130 Euro ist für das Gebotene absolut in Ordnung, bei der Größe sollte man sicherheitshalber genau nachmessen und die Größentabelle konsultieren. Ich trage üblicherweise L und war bei Sportful schon fast bei XL - ich habe trotzdem L genommen und es passt gerade so. Manchmal muss ich den Bauch etwas einziehen, wenn mir jemand entgegenkommt…
Die “Fiandre Pro Jacket SS” (sie gibt es wie das Light-Jacket auch mit langen Ärmeln) bietet spürbar dickeres Material und damit noch etwas mehr Schutz und Wärme. Auch hier ist aber der Begriff “Jacket” mitunter etwas irreführend, handelt es sich doch eher um ein dickeres Trikot. Alles was im Absatz davor steht, trifft auch hier zu - zusätzlich bietet die Pro Jacket am Hals noch einen zusätzlichen Schutz in Form eines vergrößerten Bündchens. Das klingt unspektakulär, sorgt aber für zusätzlichen Schutz vor Regen und Kälte im sensiblen Bereichs des Nackens und Halses. Die Pro Jacket kommt auf 210 Euro, ist aber an Tagen um die 10 Grad herum eine hervorragende Wahl und jeden Cent wert. Bei meinem Modell war der Reißverschluss etwas schwergängig, dieser ist größer und wuchtiger als beim Light Jacket, damit man ihn auch mit Handschuhen gut fassen kann.
Die Fiandre Norain Pro Bibshort möchte ich in meinem Kleiderkasten ebenso nicht mehr missen. Hosen leben natürlich in erster Linie immer von der Qualität und Passform des Sitzpolsters - während ersteres bei Sportful außer Frage steht ist zweiteres natürlich eine individuelle Angelegenheit. Für mich persönlich ist der Sitzpolster auf der breiten Seite und spürbarer als andere Polster, wenn man unterwegs ist. Dennoch waren die 300 Kilometer am Stück für mein Sitzfleisch kein Problem - die Hose mit dem Sitzpolster hat dazu einen guten Beitrag geleiset. Auch hier sorgt die “Norain”-Technologie dafür, dass Regen abperlt oder die Hose zumindest längere Zeit nicht klatschnass wird. Einziges Manko bei der Hose sind die aus meiner Sicht oben etwas zu schmalen Träger - diese behalten beim Tragen nicht wirklich ihre Form und bilden eher einen Wulst als eine schöne Auflagefläche auf den Schultern. (Eine Sache, die mir in letzter Zeit übrigens bei mehreren Marken aufgefallen ist). Die Pro-Variante der Fiandre Norain Bibs kostet 140 Euro, die “normale” 110. Auch hier sollte man bei den Größen genauer hinschauen - statt meiner üblichen Größe L habe ich hier vorsorglich XL gewählt und auch diese Größe ist bei mir auf der engen Seite!.
Bleibt zum Abschluss die Empfehlung, sich die Finadre-Kollektion jedenfalls näher anzusehen, wenn man eine vielseitige, schlagkräftige und schicke Kleidung für die Übergangszeit sucht (und sind wir uns ehrlich: in unseren Breitengraden ist 75% des Jahres Übergangszeit!). Wer es etwas billiger haben möchte, könnte übrigens auch der Sportful-Fabrik im italienischen Fonzaso einen Besuch abstatten und bei der Gelegenheit gleich auch den Monte Grappa, den Passo Manghen und den Croce d´Aune unter die Räder nehmen. ;)
Disclaimer
Weitere Infos bei Sportful, die beschriebenen Teile wurden von Sportful für den Test zur Verfügung gestellt.