Letztes Jahr habe ich an dieser Stelle über ein statisches Bikefitting berichtet, das Robert mit seinem Zeitfahrrad bei Pbike absolviert hat. Der Artikel hat viel und dankenswerterweise auch durchwegs positives Feedback erzeugt. Ich nehme das einmal als Zeichen, dass das Thema auf Interesse stößt und dass Bikefitting doch die Wichtigkeit erfährt, die ihm gebührt.
In besagtem Artikel (hier nachzulesen) war über das sogenannte "statische" Bikefitting zu lesen. Dabei werden Körpermaße genommen, zusätzlich Fahrgewohnheiten ins System eingepflegt und danach stellt man nach Vorgabe des Computers das Rad entsprechend ein. Voila - schon hat man ein Rad, das den Körpermaßen entsprechend eingestellt ist. Damit ist grundsätzlich sichergestellt, dass die Position auf dem Rad annäherungsweise stimmt und man eine gute Ausgangsbasis dafür hat, die Position sukzessive weiter zu verbessern. Denn ein statisches Bikefitting benötigt ein Ausprobieren der getroffenen Einstellungen "in der freien Wildbahn". Die "richtige" Position oder zumindest die für ein Individuum "geeignete" wird erst durch Wiederholungen und regelmäßiges Trial & Error gefunden. Deshalb ist ein Bikefitting auch grundsätzlich nicht "zu Ende", wenn man nach den ersten Adaptierungen den Shop wieder verlässt.
Eine Möglichkeit, die Annäherung an die ideale Position weiterzutreiben, ist das dynamische Bikefitting. Dazu habe ich mich zu Christoph Pulz - dem Inhaber von Pbike in Wien - begeben, um mein Rad auf den Letztstand zu bringen.
Dynamisches Bikefitting
Viele Teile des dynamischen Fittings sind ähnlich wie beim statischen, dennoch gehen wir hier noch einmal der Reihe nach alles durch! Bevor wir daher zur dynamischen Komponente kommen, hier noch einmal die wesentlichen Schritte des Bikefittings.
Fahrer
Zu Beginn steht der Fahrer im Mittelpunkt, schließlich ist es ein Individuum, das hier sein oder ihr Rad eingestellt haben möchte. Insofern sind alle persönlichen Merkmale wichtig, die später ins Bikefitting einfließen müssen. Das sind natürlich einmal biometrische Daten - Körpergröße, Gewicht, gleichzeitig aber Dinge wie Job und Gesundheit. Keine Angst, Job & Einkommen haben keine Auswirkung auf den Preis des Bikefittings... Sehr wohl ist aber relevant, ob man sein Tagesgeschäft stehen am Fließband abspult oder vor dem Computer sitzend. Außerdem fragt Christoph bei dieser Bestandsaufnahme auch Vorbelastungen, Erkrankungen, Fehlstellungen und etwaige Wehwehchen ab, um ein gutes Gesamtbild zu bekommen.
Nehmen wir meine Wenigkeit: Ich bin sehr groß und schwer, sitze im Büro und zuhause mehrere Stunden am Tag vor dem Computer und hatte in meiner Jugend einen Wachstumsschub, der mir entlang der Wirbelsäule einige kleinere Probleme eingebracht hat. Alles Informationen, die für meine Position am Rad und die damit verbundenen Einstellungen absolut relevant sind. Dass ich der ungedehnteste und am meisten verkürzte Mensch der Welt bin, lasse ich gekonnt unter den Tisch fallen. Christoph wird diesen Umstand aber spätestens 30 Minuten später bei der Videoanalyse ohnehin von selbst bemerken...
Rad
Der fahrbare Untersatz wird genauso vermessen wie der Körper des Fahrers oder der Fahrerin. Auch das Rad hat - je nach Hersteller, Einsatzzweck und sportlicher Auslegung - einen eigenständigen Charakter. Mittels Laserpunkten werden - wie schon beim statischen Fitting auch - relevante Punkte des Rads erfasst - Lenkerposition, Sattelposition, Tretlager, usw.
Einstellungen
Die Daten des Rads gepaart mit jenen des Fahrers oder der Fahrerin werden jetzt ins Computerprogramm geschüttet. Dazu kann man noch einen gewünschten Einsatzzweck angeben, vom Komfortfahrer ohne jegliche Überhöhung bis hin zu negativen Vorbauwinkeln a la Mark Cavendish und einer Überhöhung, dass World Tour-Fahrern schwindlig wird.
Während der Rechner rechnet, trinke ich meinen zweiten Espresso und überlege, ob es gut war, die rennmäßige Position auszuwählen. Aber keine Angst, Bikefittings sind ein iterativer Prozess - es gibt immer ein Vor und Zurück. Zumindest solange man nicht gleich den Gabelschaft auf die minimale Länge absägt.
Die Werte, die der Computer ausspuckt, werden dann wiederum auf das Rad übertragen - Sattel etwas nach hinten, Sattelneigung einstellen, beim Lenker einen Spacer rausnehmen. Wer ein Bikefitting für ein neues Rad macht, tut dies übrigens idealerweise ganz am Anfang - wer auf den Fotos ganz genau schaut, kann erkennen, dass auf dem BMC noch kein Lenkerband drauf ist und die hydraulischen Bremsleitungen noch nicht verbunden sind. Der Händler bzw. die Person, die das Rad nach dem Fitting fertig zusammenbaut, wird euch danken - ansonsten müsste man das Lenkerband wieder runternehmen, die Leitungen neu verlegen oder - bei hydraulischen Scheibenbremsen - neu kürzen oder gar neu einziehen.
Fertig! Das Rad ist an die Körpermaße und den gewünschten Einsatzzweck angepasst. Aber jetzt geht es erst richtig los - ab zum dynamischen Teil!
Dynamik!
Wer schon mal ein Making of-Video von Videospiel-Animationen oder Filmen gesehen hat, der kennt die kleinen Marker schon, die am Körper angebracht und gefilmt werden. Mit solchen Markern steht Christoph jetzt vor mir. Schulter, Ellbogen, Handgelenk, Hüfte, Knie, Knöchel und Fußballen - überall dort kommt einer der Marker hin. Derart präpariert setzt man sich nun aufs (eingestellte) Rad, jeweils von vorne und von der Seite wird man von Scheinwerfern angestrahlt - die Marker sollen ja schön im Licht leuchten - und gefilmt.
Nach wenigen Minuten des Einfahrens geht es darum, die für einen selbst übliche oder durchschnittliche Position einzunehmen und einfach mal gemütlich dahinzuradeln. Die Marker werden dabei gefilmt und am Display vor Christoph dargestellt. Er kann dabei jede Einstellung des Videos anhalten, zurückspulen und im Detail analysieren.
Und dann kommt der wesentliche Punkt! Beim dynamischen Bikefitting dreht sich alles um Körperwinkel. Der Winkel zwischen Oberkörper und Oberschenkel ist kein unmittelbar relevanter für die Leistungsentfaltung, gibt aber einen Eindruck davon, ob die Sitzposition in Bezug auf Überhöhung und Reach in Ordnung ist - wobei meistens spürt man das ohnehin, auch ganz ohne Video.
Der Kniewinkel - zwischen Ober- und Unterschenkel - ist hingegen für die Leistungsentfaltung zuständig. Nur mit einem guten Winkel während der Tritt-Bewegung ist eine effiziente und kraftvolle Entfaltung möglich.
Ähnliches gilt für den Winkel zwischen Unterschenkel und Fuß, dabei ist vor allem der Effekt auf den runden Tritt bemerkbar - sprichwörtliches "Runtertreten vs. spitzeln". Wer hier eine eingeschränkte Beweglichkeit hat, der verschenkt Leistung. Wobei natürlich nicht nur der reine Leistungsgedanke im Vordergrund stehen soll, vielmehr ist auch eine anatomisch korrekte und "gesunde" Position wichtig - wir alle wollen ja noch viele weitere Jahre möglichst beschwerdefrei unterwegs sein.
Es gibt Bereiche, in denen sich diese Winkel idealerweise bewegen sollten. Diese hier im Detail aufzuschreiben hat allerdings wenig Sinn, da es dann doch eine sehr individuelle Sache ist und die eigenen Bedürfnisse und körperlichen Eigenheiten jedenfalls starken Einfluss darauf haben, ob etwas "passt" oder "nicht passt".
Das gleiche Prozedere wiederholt Christoph mit mir noch einmal bei vollem Druck aufs Pedal - kein gemütliches Dahinfahren mehr sondern Vollgas. Die Erfahrung zeigt, dass bei höherem Druck automatisch mehr Spannung in die Position kommt und die Haltung dadurch besser wird. Das Gleiche gilt für den Tritt - bis zu dem Punkt, an dem er aufgrund hoher Frequenzen wieder unsauber zu werden droht.
Mein Ergebnis? Wie anfangs schon erwähnt, bemerkt Christoph schon nach wenigen Tritten meine Ungedehntheiten im Waden- und Achilles-Bereich und zeigt mir am Monitor sehr anschaulich, wie das denn wäre, wenn... Etwas dehnen, Gymnastik und Beweglichkeitstraining und schon könnte mein Tritt um einiges schöner aussehen. Und damit auch meine Kraftentfaltung - und damit auch meine Position am Rad insgesamt - und damit mein Spaß am Rad. Denn am Ende ist es immer wieder wichtig, hervorzuheben: es handelt sich schlicht und ergreifend um ein einzelnes, komplexes System. Oft genug schon war der Grund für einen eingeschlafenen Fuß irgendwo im Rücken zu suchen, oder die Hände tun weh, weil die Sitzposition am Allerwertesten nicht passt. Es gilt daher, auch die kleinen Dinge zu beachten, nichts zu unterschätzen.
Ausprobieren
Auch beim dynamischen Biekfitting kommt man ums Ausprobieren nicht herum. Raus auf die Straße, eine lange Runde drehen, eine kürzere, intensive Runde drehen. Erst nach einigen (hundert) Kilometern werden manche Änderungen bewusst wahrgenommen. Wer hier auf seinen Körper hören kann und Signale zu deuten versteht, ist klar im Vorteil.
Ich werde das BMC jetzt auf ein paar Ausfahrten durch die freie Wildbahn scheuchen und dann zu Christoph zurückkommen. Entweder um noch ein paar Dinge (weiter) zu optimieren oder aber um einfach noch einen Café zu trinken. ;)
Bikefitting bei Pbike
Christoph bietet bei Pbike sowohl statisches als auch dynamisches Bikefitting an und ist als Sportwissenschaftler auch hervorragend dafür geeignet, Ratschläge zu erteilen. Wer grundsätzlich zu einem Bikefitting kommt, hat die richtige Entscheidung getroffen, nämlich den Spaß am Radfahren zu erhöhen. Wer bei Pbike sagt, er hätte den Bikefitting-Artikel auf 169k erhöht zusätzlich die Chance auf einen der guten Cafés! ;)
Wer Interesse an dem Thema hat, schaut entweder auf der Homepage von Pbike oder gleich direkt im Geschäft in 1090 Wien vorbei oder aber verfolgt aufmerksam die Facebook-Seite von Pbike. Dort wird es in Kürze Informationen zu einem Info-Abend zum Thema Bikefitting geben, bei dem es neben zahlreichen wertvollen Einblicken und Informationen auch die Möglichkeit auf Vergünstigungen und Gewinne geben wird. Dranbleiben sollte sich hier jedenfalls lohnen...