Beim Race Around Austria Mitte August hab ich mit einigen Leuten über meine Challenge-Teilnahme 2020 geplaudert und wurde unter anderem gefragt, was ich an meinem Setup zu damals ändern würde. Schnelle Antwort: Auflieger! Und es klingt heute fast etwas merkwürdig, aber irgendwie waren Auflieger vor zwei Jahren noch kein so großes Thema. Es gab Zeitfahrer und Rennräder und nur die wenigsten haben sich auf ihren Renner Aero Bars montiert. Erst mit dem Boom von (soften) Ultra-Events, dem Aufkommen von Gravel-Endurance-Events und Bikepacking auf langen Strecken sind Auflieger in der Masse angekommen. Und heute wird man entlang der Donau nicht (oder zumindest seltener) schief angeschaut, wenn man am Rennradlenker noch extra Fühler montiert hat. Und sogar am Gravelbike sind Auflieger angekommen, auch wenn dort der Einsatzbereich noch etwas spezifischer ist.
Wozu das Ganze?
Klar, vom Zeitfahrer kommend geht es um Geschwindigkeit und geringen Luftwiderstand. Auflieger bringen den Oberkörper nach unten, die Arme nach vorne und die Schultern zusammen – die Angriffsfläche für den fiesen Wind von vorne wird geringer, die Geschwindigkeit steigt. Wer schon einmal auf einem Zeitfahrer gesessen ist, wird wissen wie toll es sich anfühlt, wenn man ohne viel Anstrengung mit 35 oder 40 km/h dahingleitet. Zur besseren Aerodynamik kommt allerdings noch ein zweiter ganz wesentlicher Effekt hinzu, der für mich persönlich noch weit wertvoller ist, als die Aero-Geschichte: die zusätzliche (Griff)Position. Besonders auf langen oder mehrtägigen Touren ist es Gold wert, eine zusätzliche Position am Rad zur Verfügung zu haben, um die Belastung für Körper und Gelenke zu reduzieren oder besser zu verteilen.
Wie funktionierts?
Wer sich auf die Suche nach Extensions macht, wird im Internet als erstes überwältigt von einer schwer überschaubaren Menge an Bauformen, Längen und Biegungen. Am einfachsten sind drei Hauptgruppen zu unterscheiden:
„klassische“ Auflieger, wo zwei voneinander getrennte Rohre nach vorne zeigen,
Aero-Bars, die auf irgendeine Art miteinander verbunden sind, ein „U“ oder Viereck bilden und mindestens die gleichen Positionen erlauben wie klassische Auflieger und
Sonderformen wie die Aero Bars von „Ride Farr“, die eher nur eine Erweiterung der Griffpositionen am Lenker sind und nicht den vollen Funktionsumfang von Aufliegern bieten.
Säumen wir das Pferd von hinten auf: Die dritte Gruppe - kleine Aero Bars oder Aufsätze – bieten im Normalfall eine oder mehrere zusätzliche Griffpositionen. Hände und Oberkörper gehen dadurch nicht so weit nach vorne bzw. unten – damit ist der aerodynamische Vorteil nicht so groß. Gruppe 2 („nicht-klassische“ Auflieger) sind auf den ersten Blick manchmal etwas einschüchternd, weiß man doch oft nicht, wo hinten und vorne, oben und unten ist. Die Holme sind dabei oft speziell geformt, sodass sich rein aus der Optik der Modelle nicht immer ergibt, welche Eigenschaften und Vorteile die Auflieger genau mitbringen. Kern ist in meinen Augen die Frage, wie lange die Holme nach vorne gehen und damit eine Auflieger-Position erreicht werden kann. Auf Nummer Sicher geht man hingegen mit der ersten Gruppe, den klassischen Aufliegern mit zwei parallelen Holmen, wie man sie im Endeffekt vom Zeitfahrer kennt. Aber auch hier steckt der Teufel im Detail, findet man doch alles von „I“-Form über „J“-Form und diversen „S“-Biegungen. Die Buchstaben beschreiben dabei einfach die Form der Holme und geben damit einen Hinweis auf die mögliche Position am Rad. Ein „I“-förmiger Holm wird dabei den Körper am weitesten nach vorne zwingen, ein „J“ oder „L“ hingegen erlaubt etwas mehr Komfort. Mehrfach Biegungen erlauben außerdem unterschiedliche Griffpositionen. Vom Anschauen im Internet wird man hier leider nur selten richtig schlau und Ausprobieren im Fahrradgeschäft geht auch nicht auf die Schnelle. Wer seinen Körper und seine Möglichkeiten (und Limits!) kennt, ist hier jedenfalls im Vorteil, ansonsten muss man sich tatsächlich einfach herantasten. Oder natürlich Freunde fragen, ob man sich die Auflieger schnell mal für eine Proberunde ausborgen kann.
Die verfügbaren Modelle unterscheiden sich außerdem nach ihren Verstell- und Individualisierungsmöglichkeiten. Dies betrifft vor allem die Einstellung der Arm-Pads. Diese sind insofern sehr wichtig, als sie das Hauptgewicht der Last tragen und einen entsprechenden Komfort in der richtigen Position bieten sollen. Dazu kann man diese in der Regel sowohl seitlich als auch der Länge nach mittels Schrauben verschieben. Bessere Modelle bieten hier meistens einen größeren Einstell-Bereich.
Die nächste Hürde ist die Montage am Lenker. Auch hier lohnt sich ein genauer Blick auf das Modell und den Lieferumfang. Positionen auf dem Rad sind eine individuelle Angelegenheit und auch - oder gerade mit – Aufliegern sei auch hier auf die Sinnhaftigkeit eines Bikefittings hingewiesen. Auflieger am Rennrad sind jedoch was anderes als Auflieger am Zeitfahrer. Am TT-Bike ist die Sitzposition eine andere und die Hüfte ist offener, wodurch man mit dem Oberkörper und den Armen eine tiefere Position fahren kann. Auf dem Rennrad ist der Sattel weiter hinten, die Hüfte damit mehr gebeugt und eine allzu tiefe Montage der Extensions wird den Hüftbeuger an seine Grenzen bringen. Praktisch daher, wenn bei den gekauften Extensions Spacer dabei sind, mit deren Hilfe man das ganze Setup etwas nach oben bringen kann, ohne sich gleich den ganzen Lenker umdrehen zu müssen. Und wer längere Touren unternehmen möchte, wird ohnehin nicht die ultra-sportliche Position als oberste Prämisse haben.
Der Blick auf die Produktliste ausgewählter Auflieger zeigt außerdem ein großes Preisgefälle zwischen Aluminium- oder Carbon-Extensions. Erstere bewegen sich irgendwo rund um die 100-150 Euro, während der Kohlenstoff einen weitaus tieferen Griff in die Geldbörse bedingt (ab 250 Euro – nach oben offen; Custom 3D-Drucke kommen bei 2-3000 Euro zu liegen). Es kann sein, dass ich ein unschlagbares Argument FÜR Carbon übersehe, ansonsten sehe ich allerdings keinen Grund, warum man nicht zu einem Alu-Modell greifen sollte. Der Gewichtsunterschied ist in meinen Augen vernachlässigbar.
Bei der Montage am Lenker sind neben den Fitting-Aspekten auch technische und „logistische“ zu beachten. Zum Beispiel sollte man bei Carbon-Lenkern tunlichst das maximal zulässige Drehmoment beachten. Mich persönlich ärgert oder verwundert etwas, dass durch den Einsatz von integrierten Vorbau-Lenker-Kombinationen bei vielen Herstellern keine Extensions montiert werden können. Die dabei verbauten Teile sind fast immer oval oder abgeflacht und erlauben daher keine Montage von klassischen Aufliegern. Ebenso sollte man sich darüber in Klaren sein, wie man sein Cockpit organisieren möchte. Ein Radcomputer mit klassischem Front-Mount geht sich mit Auflieger eventuell nicht mehr aus. In diesem Fall muss in den meisten Fällen eine neue Halterung für die Montage direkt an den Extensions her. Und wer an längere Touren und Bikepacking denkt, muss sich auch im Klaren sein, dass sich die Schlaufen von Lenkertaschen meistens genau an jener Position des Lenkers befinden, wo jetzt die Extensions angeschraubt sind. (Hier gibt es auf der anderen Seite aber sehr praktische und funktionale Taschen, die an den Extensions montiert werden – zB von Cyclite).
Oben ist es schon einmal erwähnt, hier kommt es nochmal – weil es wichtig ist. ;) Gerade wenn man länger oder schneller fahren möchte, lohnt es sich, mit einem Profi gemeinsam die Sitzposition und mögliche Einstellungen im Rahmen eines Bikefittings zu diskutieren. Wie bei allen Einstellungen wird sich auch bei Extensions erst nach einigen Kilometern herauskristallisieren, was gut oder weniger gut funktioniert. Aber eine vernünftige Ausgangsposition lässt sich mit einem Fitting jedenfalls definieren.
Ebenfalls erst an die Position gewöhnen müssen, wird sich der Körper. Wer – wie ich (mea maxima culpa, ich weiß… ) – wenig bis kein Augenmerk auf die Oberkörper- und Nackenmuskulatur legt, wird dies mit Extensions doppelt und dreifach spüren. Die Position auf den Aufliegern spricht nun einmal andere Muskelpartien an, und diese zu trainieren und bei Laune zu halten, fördert nachhaltig die Freude am Radfahren. Bringt ja nichts, in der Aero-Position 5 Watt zu sparen, wenn man diese Position dann nur 2 Minuten halten kann…
Bremsen und Schalten sind Dinge, die mit Extensions etwas Umdenken und Aufmerksamkeit erfordern. Technisch gesehen hat die oder der einen Vorteil, die oder der eine elektronische Schaltung am Rad montiert hat, die sich mit sogenannten „Blips“ oder zuschaltbaren Fernsteuerungen ergänzen lässt. Mit solchen an den Enden der Extensions kann man auch in der geduckten Position frisch und fröhlich drauf los schalten. Ale anderen müssen zum Schalten umgreifen auf die Hoods. Gleiches gilt – unabhängig vom Schaltsystem – für die Bremsen! Und da für das Reagieren, Umgreifen auf die Hoods und Betätigen der Bremsen etwas Zeit notwendig ist, sind Extensions in Gruppenfahrten oder auf bestimmten Streckenabschnitten nicht allzu empfehlenswert. Denn mit einem Sturz ist zweifellos jeder Aerodynamik- oder Komfortgewinn obsolet.
Fazit
Auflieger oder Extensions sind als aerodynamische Optimierung und als Komfortgewinn eine sinnvolle Anschaffung, wenn man denn einen Einsatzbereich für sich sieht. Ich habe die Auflieger sowohl am Gravelbike als auch am (Komfort)Rennrad als angenehmes Extra schätzen gelernt – mehr als Komfortgewinn und zusätzliche Griffposition denn als Optimierung der Aerodynamik. Ich gerate bei zu niedriger Montage an meine muskuläre Grenze und habe daher die Überhöhung meines Lenkers stark reduziert. Wichtig ist, die richtige Form für die eigenen Bedürfnisse zu finden – leider ist ein Ausprobieren von unterschiedlichen Modellen de facto nicht möglich. Ich bin am Ende bei Zipp-Aluminium-Extension gelandet, die auch etwas höher bauen und damit ein Greifen des Oberlenkers ohne Einschränkungen erlauben. Und am Wichtigsten: Man kann einen Pizza-Karton drauflegen!