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Martin Blum von der Mobilitätsagentur Wien im Interview

Die Mobilitätsagentur ist in Wiens erste Anlaufstelle, wenn es um Fuß- oder Radverkehr geht. Martin Blum ist in der Funktion des Radverkehrsbeauftragten in erster Linie für den Alltagsverkehr zuständig, natürlich besitzt aber auch der Freizeitverkehr (Touren, Rennrad, Mountainbike) einen hohen Stellenwert, der bei unterschiedlichen Überlegungen entsprechende Relevanz zeigt. Im Gespräch mit 169k spricht Martin Blum über Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Alltags- und Freizeitradler*innen, die Entwicklungen der letzten Jahre und Radfahren als Teil eines urbanen Theaters.

Was ist der Status Quo in Bezug auf Radfahren in Wien - bist du grundsätzlich zufrieden, worüber freust du dich, wo siehst du noch Verbesserungsbedarf?

Es wird besser und besser in Wien zu radeln, in vielen Teilen der Stadt kann man schon sehr gut voran kommen - vor allem im Alltag. Und es wird daran gearbeitet, dass auch noch jene Stellen verbessert werden, wo man sich jetzt denkt „das ist mir ein bissl zu steil, da im Alltag zu fahren…“

Woran orientiert man sich dabei sinnvollerweise im internationalen Vergleich?

Städte zu vergleichen ist immer etwas heikel, weil jede Stadt einzigartig ist, eine eigene Struktur hat, unterschiedliche Kulturen, sich unterschiedliche Verkehrsmittel etabliert haben. Sinnvollerweise schaut man eher auf das Funktionieren bestimmter Teilbereiche. Beim Radfahren ist natürlich immer ein Blick auf die skandinavischen Städte angebracht (z.B. Stockholm und Kopenhagen), die haben allerdings nur ein Drittel der Größe Wiens und sind daher auch wieder nur bedingt vergleichbar. Wir schauen natürlich auch sehr stark nach Deutschland: Hamburg, München, Berlin. Im Vergleich zu den deutschen Städten ist Wien eine sehr gute „Öffi-Stadt“ - kulturell geprägt. Und Wien hat beim Radverkehr in den 80er Jahren eigentlich wieder von Null gestartet. Es hat ja schon ein Radwegenetz gegeben, das allerdings im Zuge der Massenmotorisierung schrittweise abgebaut wurde und erst mit dem Ringradweg wiederauferstanden ist - und jetzt geht es Jahr für Jahr weiter voran.

Was sind die aktuellen Ziele und Zahlen?

Wir haben derzeit sieben Prozent Radverkehrsanteil - wobei man hier stark differenzieren muss: In den Innenbezirken sind wir bei etwa 15%, in den Außenbezirken entsprechend darunter. Während es sich also in den Innenbezirken deutlich nach oben entwickelt, haben wir in den äußeren Bereich noch viel zu tun, was schnelle und komfortable Radfahrmöglichkeiten betrifft.

Wer ist der oder die Wiener Radfahrende? Weiß man, wer das ist?

Ja grundsätzlich schon. Die Radfahrenden sind natürlich eine sehr diverse Gruppe, zusammengesetzt aus allen möglichen Schichten und Gruppen - das ergibt ein sehr buntes Bild. Man braucht auch nur einmal an einem schönen Sommerwochenende auf die Donauinsel zu schauen, was da für unterschiedliche Menschen unterwegs sind. Tendenziell ist der Wiener Alltagsradfahrer eine Spur häufiger männlich als weiblich, er ist gut gebildet (meistens Matura oder Hochschulabschluss) und hat ein überdurchschnittliches Einkommen. Was ja zu einem gewissen Grad auch paradox ist, weil Radfahren ein dermaßen egalitäres und niederschwelliges Transportmittel ist und damit gerade allen Gruppen gleichermaßen zur Verfügung steht. Man bekommt günstig Räder, man kann ohne Kosten mit dem Fahrrad unterwegs sein, wenn man etwas handwerkliches Geschick besitzt, kann mann auch ein Service oder kleinere Reparaturen selbst durchführen.

Muss ein Radfahrer gleichzeitig immer ein Kämpfer sein - sich seine Position erstreiten?

Es gibt natürlich sehr unterschiedliche Radfahrer - das Sicherheitsthema ist jedenfalls vorhanden. Allen Gruppen gemein ist, dass man entsprechend verwundbar ist - es gibt keine Knautschzone, dementsprechend ist da eine hohe Sensibilität vorhanden. Und es ist wichtig, das wir in unserer Stadtplanung und Straßengestaltung genau auf diesen Aspekt Rücksicht nehmen. Für mich ist ein positives Zeichen, wenn auf der Straße immer mehr Radfahrer*innen unterwegs sind, die auch eine gewisse Ruhe und Souveränität ausstrahlen, die „ganz normal“ Rad fahren, in der Alltagskleidung.

Trotzdem ist das Ganze nach wie vor emotional aufgeladen - im Zusammenleben der unterschiedlichen Verkehrsarten und mitunter auch unter den Radfahrenden selbst. Welche Möglichkeiten gibt es da, weiter zu ent-emotionalisieren?

Es menschelt halt überall. Redet man mit Leuten, die in den späten 80ern in Wien mit dem Rad unterwegs waren, erzählen sie, dass sich alle Radfahrer untereinander gekannt haben. Und vom Autoverkehr wurde man damals wirklich noch geradezu physisch genötigt, teilweise abgedrängt und beschimpft. Heute ist das insofern anders, als die Radfahrenden mittlerweile schon eine kritische Masse erreicht haben. Wenn ein Auto rechts abbiegt, dann schauen Autofahrer zuerst, ob auf dem Radweg wer kommt - das ist jetzt mehr im Verhalten verinnerlicht. Redet man mit jenen, die schon seit vielen Jahren im Wiener Alltag das Rad nutzen, die spiegeln einem schon zurück, dass sich einiges stark verbessert hat. Es geht ja insgesamt auch um das Thema, eine lebenswerte Stadt für alle zu schaffen. Da gehört auch dazu, das Tempo in der Stadt zu reduzieren, dass an Hauptstraßen getrennte Radwege zur Verfügung stehen (das ist mittlerweile auch die gefestigte planerische Meinung), Lücken im Radwegenetz zu schließen (z.B. die Linke Wienzeile) und vieles mehr. Insgesamt gibt es immer noch viel zu tun - große Aufgaben warten hier noch auf uns. Eine Herausforderung ist auch, jene aufs Fahrrad zu holen, die jetzt noch nicht zu den 7 % Radverkehrsanteil gehören. Was braucht es, um die zu erreichen? Welche Voraussetzungen wünschen sich die? Das ist sehr spannend und ich hoffe, dass wir hier in den nächsten Jahren noch eine Schritt weiter kommen.

Ich würde mir ja auch wünschen, dass die Radfahrenden selbst mehr dafür tun würden, die positiven Seiten des Radfahrens nach außen zu tragen. Sicher ist es ärgerlich, wenn der Radweg zugeparkt ist, aber ich würde selbst lieber lesen wollen „bin schnell dort und dort hingekommen und hatte Spaß dabei“ …

Ja, das Fahrrad ist ein großartiges Verkehrsmittel, man ist in der Stadt schnell - wirklich schnell, und tut seiner Gesundheit etwas Gutes. Sicher, in der kalten Jahreszeit muss man sich mitunter in der Früh überwinden, aber sobald man die ersten Tritte gemacht hat, passt es. Das ist eine sehr positive Emotion und hier ist es wichtig, das nach außen zu transportieren. So kann man auch Leute gewinnen. Da kann Kommunikationsarbeit natürlich auch in großem Maße helfen, die positiven Aspekte in den Vordergrund zu stellen.

Wenn da wer lächelnd an mir vorbeifährt, dann bin ich ja eher gewillt, das auch auszuprobieren…

Ja genau! Letztendlich ist das Fahrrad auch ein bisschen eine Bühne in der Stadt. Man sitzt am Fahrrad und präsentiert sich, man ist Teil des urbanen Theaters und das ist ja was Positives. Man fährt völlig verbunden zu seiner Umgebung und in einer Geschwindigkeit die meines Erachtens nach menschen- und stadtverträglich ist.

Zum Freizeitradeln. Welchen Beitrag kann Freizeitradeln zur Masse der Radfahrenden beitragen, auch zur Verankerung von Radfahren in Kultur und Gesellschaft? Oder ist der Rennradfahrer vielleicht sogar der, der in der Freizeit Rad fährt und danach mit dem Auto in die Arbeit fährt?

Positiv ist jedenfalls, dass es eine große Gruppe an Menschen gibt, die sich in der Freizeit aufs Rad setzen. Es gibt ein riesiges Angebot, egal ob das jetzt die Donauinsel ist, das Weinviertel, Donauradweg oder Neusiedler See. Die Menschen genießen das, kaufen sich Fahrräder, um das noch besser erleben zu können. Gleich ist das bei den Rennradfahrer*innen, da hat sich in den letzten Jahren massiv etwas entwickelt, die Leute wollen etwas spüren und erleben und erfahren. Und wenn man sich dann vor Augen führt, dass es diesen Bruch gibt: „Ja, in der Freizeit schon, aber im Alltag nicht“. Liegt das an den Bedingungen in der Stadt, die aktuell vorherrschen, dass es da diesen Bruch gibt? Wenn man es in der Freizeit macht, dann sollte es ja auch im Alltag eine Freude sein…

Jede*r Freizeitradler*in ist also ein*e potentielle*r Alltagsradler*in?

Genau, da gibt es riesiges Potential! Und wenn wir die Stadt noch ein Stück radfreundlicher machen, werden sicher viele sagen „Ja , ich fahre auch im Alltag mit dem Rad!“ Es gibt auch Umfragen, die belegen, dass für viele Menschen das Fahrrad das „Lieblingsverkehrsmittel“ ist, aber nicht jenes, mit dem sie zwingend zur Arbeit fahren wollen. Diesen Umstand gilt es zu ändern, die Leute sind da jedenfalls empfänglich.

Wie verträgt sich Alltagsradeln und Freizeitradeln in Bezug auf Infrastruktur - wie groß ist das Konfliktpotential aufgrund des Nutzungsmixes? (v.a. Donaukanal, Donauinsel, usw.)

Zu Stoßzeiten oder an einem schönen Wochenende erzeugt es natürlich mitunter Stress, wenn Rennradler*innen mit hohen Geschwindigkeiten auf Radwegen oder gemischten Wegen unterwegs sind, da gibt es auch Kinderspielplätze oder andere Stellen, wo andere Dinge unvermittelt passieren können. Umgekehrt gibt es viele Zeiten, wo man absolut ungestört unterwegs sein kann.

Ich sage immer, man muss gedanklich seine Tour beim Einlaufbauwerk am Donaukanal beenden - es macht keinen Sinn, mit Tempo 35 weiterzufahren. Da wird wohl keine gemischte Infrastruktur jemals dafür geeignet sein.

Ja, das stimmt. Die dezidierte Sportausübung ist da einfach eine andere Geschichte, da appelliere ich auch an Vernunft und Verständnis der Radler*innen, dass das Flächen sind, wo man rücksichtsvoll unterwegs sein sollte.

Die Frage, was die beiden Gruppen sich voneinander abschauen können, ist dann eigentlich schon beantwortet - dass der Freizeitradler ein potentieller Alltagsradler ist und sich vielleicht inspirieren lässt, wenn er in der Stadt andere lächelnd an den Autos vorbeifahren sieht. Umgekehrt spricht natürlich nichts dagegen, dass der Alltagsradler zuhause sein Stadtrad abstellt und noch eine Runde auf dem Freizeitrad dreht.

So ist es. Was schon ein Potential hat, - da sind wir in Wien noch recht am Anfang: wir haben auf der Favoritenstraße stadtauswärts über den Laaer Berg Richtung Süden einen großen Radweg, wo man durchaus auch als Rennradfahrer*in unterwegs sein kann, weil er entsprechend großzügig geplant und gut trassiert ist. Die Stadt Wien hat ein Bündel von 13 hochrangigen Radverbindungen definiert, die das Stadtzentrum mit dem Umland verbinden, die jetzt nach und nach zur Umsetzung kommen. Und die richten sich auch an den „sportlicheren Alltagsradler“, der über längere Strecken in die Arbeit fährt. Teilweise springen auch die Unternehmen auf diesen Zug auf, es gibt Infrastrukturen von Nasszellen bis hin zu speziellen Garderoben usw. In so einem Gesamtpaket kann man die sportlichen Radfahrenden vielleicht auch für den täglichen Weg in die Arbeit gewinnen.

Mir war ja als reiner Rennradfahrer lange gar nicht bewusst, wo genau die Radwege in Wien verlaufen - zu sehr ist man auf Straßen fixiert. Da fährt man schon mal die Neuwaldeggerstraße hinein und plagt sich über Gleise und Kopfsteinpflaster, dabei wäre hinter der Alszeile ein gut ausgebauter Radweg. Seitdem ich weiß, das es diese Einfahrt nach Wien gibt, ist das Zurückkommen nach Wien entspannter und ruhiger. Da könnten sich Rennradler*innen vielleicht etwas kundiger machen, wo die Radwege sind, sofern die eben auch mit dem Renner gut nutzbar sind.

Absolut. Es gibt da tolle Dinge wie auch die Heatmap der Bike-Citizens, da sieht man auch recht gut wo die Leute unterwegs sind.

Heatmap Wien (bikecitizens.net)

Etwas ähnliches gibt es von Strava, die bieten ja tatsächlich mit ihren Daten auch Kooperationen mit Stadtverwaltungen an.

Ja es gab diesbezügliche Anfragen, aber da sind die Daten tatsächlich zu sport- und freizeitbezogen, der Alltagsverkehr war nicht entsprechend abgebildet.

Welche Initiativen gibt es konkret, um noch mehr Menschen für das Radfahren zu begeistern?

„Radelt zur Arbeit“ startet als „Wien radelt“ in einem neuen Format durch, mittelfristig soll das eine österreichweite Motivationskampagne für das Radfahren werden, die auch entsprechend durchschlagskräftig ist. Es ist sehr wichtig, den Menschen etwas Motivation zu geben. Es gibt weiterhin die jährlich aktualisierte „Radkarte Wien“ - ich freue mich immer, wenn ich jemanden sehe, der mit der Radkarte Wien in der Hand unterwegs ist - auch Touristen. Die Karte kann man übrigens bei der Mobilitätsagentur gratis bestellen. Und auch in Zeiten digitaler Karten ist eine Papierkarte noch immer eine gute Möglichkeit, um sich einen Überblick zu verschaffen über die räumliche Situation und unterschiedliche Routen. Und auf der Homepage „Fahrrad Wien“ gibt es den Rad-Routenplaner.

Durch den habe ich tatsächlich schon Radwege gefunden, von deren Existenz ich vorher nichts gewusst habe - wo ich plötzlich komplette Wege auf Radwegen zurücklegen kann statt auf Straßen.

Absolut, und man lernt dabei auch noch die eigene Stadt und neue Ecken kennen!

Das Bike Festival steht vor der Tür - welchen Stellenwert hat das Festival als Saisonstart, Statement und Symbol?

Wien kann sich als Stadt glücklich schätzen, so ein großes Rad Festival zu haben. Es ist der symbolische Saisonauftakt, eine Motivationshilfe, aufs Rad zu steigen. Die Radparade ist mittlerweile ein Fixpunkt mit mehreren tausend Radfahrenden auf der Wiener Ringstraße. Und trotz der Menge an Menschen merkt man, wie ruhig es plötzlich auf der Straße ist. Und man kann sich natürlich bei den Ständen eine Überblick verschaffen über neue Produkte und Trends.

Zum Abschluss: Wie fährst du in fünf Jahren in die Arbeit?

Mit dem Fahrrad natürlich! ;)