Giro Empire E70 Knit
Grundsätzlich bin ich ja sehr froh, dass der Radsportzirkus neben all seinen tod-ernsten (und manchmal etwas langweiligen) Facetten auch immer wieder spezielle Charaktere hervorbringt. Der aktuelle Weltmeister Peter Sagan ist in diesem Zusammenhang immer das vielzitierte Aushängeschild. Heute geht es aber um andere...
Über Taylor Phinney mag man denken was man will - er ist definitiv eine außergewöhnliche Person, auch wenn ich bei manchen seiner Interviews entweder an meiner Auffassungsgabe oder an seinen Aussagen zweifeln muss. Für eines bin ich Taylor Phinney allerdings sehr dankbar. Es ist rund fünf Jahre her, als er - noch auf seinem BMC sitzend - den Giro Empire anzog und damit in erster Linie für Verwunderung sorgte. Anhand der vielen Klettverschlüsse, "Boas" und Ratschen war der Anblick von Schnürsenkeln (vlg. Schuhbandln) anachronistisch und auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar. Cool ausgeschaut hat es aber bereits am ersten Foto, daran besteht kein Zweifel!
Wenig später war der Empire ACC am Fuß von Bradley Wiggins zu sehen - auch einer jener Charaktere, die im Radsport nicht so oft zu finden sind. Wiggo wählte die schwarz-weiße Lackschuh-Optik des Empires und war damit - in meinen Augen - noch einmal schicker unterwegs als Taylor Phinney. Ich war hin und weg - das war der Weg zu meinem ersten Giro-Schuh.
Schnüren?
Das Schnüren war die eigentliche Neuerung, mit allen Vor- und Nachteilen.
Die Vorteile? Üblicherweise schnürt man die Schuhe recht fest zu, wenn man aufs Rad steigt. Mit einer Ratsche oder einem Boa-Verschluss geht das sehr gut, allerdings verteilt sich der so entstehende Druck auf relativ wenig Punkte am Fuß bzw. Rist. Gleiches beim Klettverschluss - zwei oder drei Punkte am Fuß fangen hier den ganzen Druck ab. Beim Empire verteilt sich der Druck dagegen auf sieben Schlaufen und wirkt dadurch viel gleichmäßiger auf den Fuß. Ich habe hier den direkten Vergleich mit den Rapha Climbers Shoes (an sich ein toller Schuh), bei dem ich allerdings auf längeren Fahrten Probleme mit Druckpunkten am oberen Klettverschluss bekomme. Gleichmäßigere Druckverteilung also. Ich finde auch die Bewegung des Fußes innerhalb des Schuhs angenehmer, weil die Schnürung hier doch etwas mehr Spielraum zulässt, allerdings ohne dass sich dadurch die Schnürung an sich lockert.
Nachteile? Es dauert länger, als am Drehverschluss zu drehen oder zwei, drei Klettverschlüsse zu schließen. Und für manche mag es (in Rennsituationen?) tatsächlich ein Problem sein, dass man den Schuh während der Fahrt natürlich nicht so einfach neu schnüren kann, um ihn zum Beispiel enger zu machen. Für Radfahrer wie mich stellt das ja wiederum nur eine gelungene Ausrede für einen zusätzliche Foto- oder Café-Stop dar. ;)
Geschmackssache? Ich finde den Style von Schnürschuhen einfach großartig, während mir Schuhe mit Drehverschlüssen, kombiniert mit Ratschen und Klettverschlüssen immer irgendwie zu "technisch" ausgesehen haben.
Tatsache! Jedenfalls ausräumen kann man alle Zweifel, dass ein Schnürschuh der Belastung am Rad nicht standhält - vor allem dem Zug bei der Aufwärtsbewegung des Fußes, genauso wird es nicht passieren, dass ein Schuhband in den Antrieb kommt und sich verheddert. Und einmal zugeschnürt, hält das ganze auch auf langen Touren.
Technisches
Seit dem ersten Modell wirbt Giro mit dem niedrigen Gewicht der Schuhe und tatsächlich fühlt sich jeder Giro am Fuß recht locker und flockig an. Der Empire SLX bringt 175 Gramm auf die Waage, der Empire ACC (mit etwas festerem Obermaterial) 215 Gramm und der Empire Knit 250 Gramm (jeweils in Größe 42,5 laut Hersteller). Spitzenreiter im Hause Giro ist der Prolight Techlace mit 150 Gramm, der ist aber kein reiner Schnürschuh und fällt daher aus der Betrachtung raus - auch der Preis des Techlace liegt mit 400 Euro schon in "schwierigen" Sphären. Wichtiger ist ohnehin das Gefühl, mit dem man den Schuh trägt. Und auf rein subjektiver Ebene fühlen sich alle Empire-Modelle leicht an, nicht zuletzt auch (wiederum) wegen der Schnürung.
Die Sohle besteht bei allen Empires aus Karbon aus dem Hause Easton. Giro gehört zum Markenreigen von Easton-Bell - es wird hier also auf hausinterne Technologien zurückgegriffen. E70 und E90 bezeichnen die Qualitätsstufen der Karbonsohlen von Easton, wobei höher hier besser ist. E90-Sohlen sind etwas leichter und dabei gleichzeitig noch einen Tick steifer, außerdem bauen E90-Sohlen etwas niedriger. Weil vorhin schon mal vom Rapha-Schuh die Rede war: Auch Rapha verbaut die E90-Sohlen in den Climbers Shoes. Die Verschraubungen für die Cleats sind hochwertig und haltbar - wichtig, wenn man den Schuh im Dauereinsatz hat. Auch die Fersensockel können ausgetauscht werden, wenn sie vom Gehen abgenützt sind.
Im Schuh drinnen findet man eine sehr nützliche Innensohle, die mit den mitgelieferten Inlays an den Fuß bzw. das Fußgewölbe angepasst werden kann.
Knit
Die ganze "Knit"-Geschichte hat sich in den letzten Jahren durch viele Bereiche der Sportartikel-Industrie gezogen. Nike war hier meines Wissens der Initiator und hat bei jedem seiner Produkte zumindest mal versucht, ein Knit-Modell herauszubringen. In manchen Bereichen war der Sinn und Zweck erkennbar und damit auch ein gewisser wirtschaftlicher Erfolg anzunehmen, an anderen Stellen weniger - diese Schuhe waren recht schnell und stark verbilligt in den Outlet-Centers dieser Welt zu finden.
Aus meiner Sicht hat die Knit-Technologie zwei Vorteile. Nummer eins ist ein hohe Flexibilität im Material und dadurch eine gute Passform und Druckverteilung. Nummer zwei ist eindeutig Atmungsaktivität. Nachteile? Über die Haltbarkeit des Materials - vor allem bei größerer Belastung in Richtungen, auf die das Material nicht unbedingt ausgelegt ist oder aber an den Verbindungen zwischen Knit und "normalem" Material - war Unterschiedliches zu hören. Grund genug, den Giro Empire Knit kritisch zu betrachten, treten doch beim Radeln sehr hohe Zugbelastungen auf.
Giro hat hier aus meiner Sicht einen recht konservativen Mittelweg gewählt. Das Knit-Material bei Giro ist nicht so Socken-ähnlich, wie man das von Nike kennt, sondern mit zusätzlichen (harten) Kunststoff-Fasern verwoben. Dadurch erhöht sich natürlich die Steifigkeit des Materials und Verschleiß- oder Ermüdungserscheinungen sollten dadurch kein Problem sein. Abstriche muss man dafür bei Geschmeidigkeit und Passform machen, das Material ist hier einfach zu steif, um sich wie die oben erwähnte Socke an den Fuß anzuschmiegen. Anprobieren ist hier jedenfalls zu empfehlen.
"Schmäh"?
Goldener Mittelweg also - ist die Knit-Technologie beim Empire daher nur ein Marketing-Gag? Jein.
Ein Mehrwert gegenüber dem konventionellen Empire-Material ist nicht wirklich wahrnehmbar, die Knit-freien Empire-Modelle sind in Bezug auf Passform und Komfort schon großartig aufgestellt, das Knit-Material kann hier aus meiner Sicht keinen zusätzlichen Nutzen schaffen. Sehr wohl besser ist die Belüftung, Öffnungen im Material sind Öffnungen im Material. Punkt. Auf der Bahn (im warmen Dusika-Stadion) oder zuhause - schwitzend - auf der Rolle ist man für jede Belüftung dankbar und hier spielt der Schuh durchaus seine Stärken aus.
Und um den Kreis zu schließen, kommen wir zuletzt noch einmal zum Style - wie gesagt Geschmacksache. Mir gefällt der Empire sehr, auf der verzweifelten Suche nach Individualisierungsmöglichkeiten bin ich dankbar für derartige Akzente :)
An dieser Stelle also ein großes "+" für den Giro Empire als solches, es lohnt sich aus meiner Sicht, alle Modelle näher unter die Lupe zu nehmen. Der Knit ist eine besondere Spielart, mit der man einen besonderen Look ergattern kann, nebenbei ist der Knit (mit 230 Euro) auch die billigste Einstiegsmöglichkeit in die Welt der Empire-Modelle.
Anzusehen zum Beispiel bei Pbike in 1090 Wien.