Bikefitting
Bevor wir einsteigen, ein paar Fragen, die jede und jeder für sich selbst beantworten sollte:
- Habe ich beim oder nach dem Radfahren schon einmal Rücken-, Sitz- oder Gelenksschmerzen gehabt?
- Kann ich lange Strecken beschwerdefrei durchfahren?
- Passen die Anbauteile an meinem Rad (Lenker, Vorbau, etc.) zu mir und meinem Fahrstil?
- Möchte ich meinen Leistungsoutput verbessern/optimieren?
- Habe ich beim Radkauf eine Beratung und eventuelle Anpassung bekommen?
- Hat mein Rad mehr als ein Monatsgehalt gekostet?
Wer bei einer dieser Fragen (es gibt noch einige mehr!) ins Grübeln kommt, sollte über die Möglichkeit eines Bikefittings nachdenken! (Was der Preis des Rades damit zu tun hat, dazu kommen wir noch).
Bikefitting - wozu?
Eigentlich geht es ja "nur" darum, das Rad in seinen Einstellungen an die körperlichen und trainingstechnischen Bedürfnisse des Fahrers und dessen Körper anzupassen. Ein vermeintlich kleiner und unbedeutender Schritt also - offenbar so klein und unbedeutend, dass viel von uns ihn einfach überspringen. Für viele ist die richtige Einstellung des Rads auch schon abgeschlossen, wenn die Sattelhöhe halbwegs richig eingestellt ist - wie war das? Ferse aufs Pedal und durchstrecken, dann ist alles gut? Nicht gut!!
Bikefitting ist zurecht gerade ein sehr präsentes Thema. Es macht doch auch viel mehr Sinn, sich um die richtigen Einstellungen des Rades zu kümmern, bevor irgendwo Schmerzen auftreten, bevor irgendein Gelenk irreversibel abgenutzt ist, bevor wir uns "falsche" Bewegungsmuster angewöhnen. Viele von uns verbringen ohnehin schon den Großteil des Tages sitzend vor dem Bildschirm, von dort bringen wir schon genügend Belastungen unseres Körpers mit in die Freizeit - auf dem Rad sollten wir uns dann zumindest wohlfühlen können und unsere Schmerzen, Belastungen und Fehlstellungen nicht noch verstärken. Rund die Hälfte der Bikefittings finden erst statt, nachdem Probleme aufgetaucht sind - nicht gut!
Grob die andere Hälfte der Bikefittings hat den Zweck, die Leistungen zu optimieren, die wir am Rad erbringen. Auch hier ist es mit der grundsätzlich richtigen Sitzposition nicht getan - eine Vielzahl von (Gelenks-)Winkeln und Längenverhältnissen bestimmen, wie effektiv wir unsere wertvollen Watt auf das Rad übertragen können und wie effizient die Leistung auch dort hinkommt, wo sie im Endeffekt hin soll.
Das Bewußtsein für die Notwendigkeit eines Bikefittings scheint im Allgemeinen zu steigen - das ist eine gute Sache. Auch und gerade dem Hobbysportler - die wir unsere wertvolle Freizeit dem Radsport verschrieben haben - sollte eine angenehme & schmerzfreie aber gleichzeitig etwas leistungsoptimierte Position auf dem Rad ein Anliegen sein.
Bikefitting - Ablauf
Schauen wir uns das Ganze etwas detaillierter an! Christoph und Lukas von P.bike waren so freundlich, mich bei einem Bikefitting über die sachkundige Schulter schauen zu lassen (Cafe und viele dumme Fragen meinerseits inklusive) ;)
1. Der Fahrer
Am Beginn steht die Aufnahme von einigen Grunddaten zum Fahrer. In diesem Fall bekommt Ironman Robert ein Bikefitting für seine Triathlon-Maschine. Die biometrischen Daten (Körpermaße) sind schon mal der erste wesentliche Input für das Bikefitting-Computersystem, das bei P.bike in Verwendung ist. Die relevanten Körperteile von Robert werden mittels Laserpunkten bemessen.
Auch die Frage nach Verletzungen, Vor-Schädigungen, Fehlstellungen oder bekannten Einschränkungen im Bewegungsapparat wird hier abgehandelt. Jede und jeder von uns ist schon mal gestürzt, manche schleppen vielleicht eine "Erinnerung" an frühere Tage mit sich herum, die wenigsten von uns "funktionieren" 100% planmäßig... Derartiges Wissen muss entsprechend ins System eingepflegt werden, das betroffene Gelenk wird uns später noch sehr dankbar sein.
Genauso zum Fahrer gehören auch die individuellen Ansprüche, die man an sich selbst im Sport stellt. Ist man Genussfahrer, sportlich ambitioniert oder zu 100% auf Wettkampf getrimmt? Stack & Reach - hä?? Das Rad gibt schon einiges vor, aber beim Bikefitting geht es vor allem auch darum, dass Rad an die jeweiligen sportlichen Bedürfnisse anzupassen. Also gleich raus damit und ehrlich sein, was man eigentlich will am Rad (und was nicht).
2. Das Rad
Auch das Rad wird mit Laser vermessen. Eckpunkte und Positionen der relevanten Anbauteile (Sattel, Vorbau, Lenker), Tretlagerposition, Kurbellängen - alle jene Punkte, die auf die Position am Rad einen Einfluss haben.
3. Die Einstellungen
This is where the magic happens - mit den Maßen von Roberts Körper und jenen des Rads gefüttert, berechnet die Software nun eine dem vorher angegebenen Einsatzzweck entsprechende optimale Sitzposition und schlägt gleichzeitig auch die notwendigen Korrekturen an den einzelnen Teilen vor - also Sattel x cm nach vorne, Sattelstütze y cm raus und Lenker z cm nach oben. Klingt großartig oder?
Ganz so einfach ist es dann aber doch wieder nicht - eine gehörige Portion Know-How ist notwendig, um - bei allem Technologievertrauen - die Individualität jedes einzelnen Radlers und jeder einzelnen Radlerin zu berücksichtigen. Sobald also die vom System vorgeschlagenen grundlegenden Einstellungen vorgenommen sind, geht es ins Detail. Will der Radler das überhaupt so? Wie weit weicht man von den vorigen Einstellungen ab? Haben wir uns teilweise falsche Dinge so sehr antrainiert, dass man mit einer Änderung nur Schaden anrichten würde? Passen die Einstellungen zu meinem Fahrstil? Ist meine Muskulatur imstande, neue Belastungen zu verkraften (Nacken!)? All das gilt es hier Schritt für Schritt herauszufinden und in den Einstellungen entsprechend zu berücksichtigen.
Christoph ist Sportwissenschaftler und weiß wovon er spricht. Erst im Gespräch kommt man drauf, wie die Vorschläge des Bikefitting-Computers umzusetzen sind - und dafür nimmt er sich auch die notwendige Zeit. Er erklärt eine wesentliche Unterscheidung zwischen dem hinteren System aus Sitzposition, Sitzwinkel und Tretlager und auf der anderen Seite dem gesamten Vorbau-Lenker-System. Der hintere Bereich ist an sich einmal anhand der Körpermaße einzustellen und danach mehr oder weniger unverrückbar - für die optimale Kraftübertragung auf das Pedal gibt es nun einmal einen gewissen Knie-Winkel und der ändert sich im Grunde nicht, egal auf welchem Rad man sitzt. Veränderungen an der Front des Rads geben hingehen den Ausschlag, wie sportlich/aerodynamisch/gestreckt man auf dem Rad sitzt oder eben schon liegt.
4. Die Pedalplatten
Klein aber mit großer Auswirkung - gerade deshalb sollte man die Pedalplatten keinesfalls vernachlässigen! Die Ausrichtung und Montage der Platten an der Schuhsohle ist ohnehin schon eine wacklige Angelegenheit, wenn man zuhause auf dem Sofa sitzt und versucht, die drei Schrauben gleichzeitig anzuziehen, ohne dabei die Platte wieder großartig zu verschieben. Dabei geht es auch hier um Millimeter - in alle Richtungen.
Das Großzehengelenk ist im Regelfall rund einen Zentimeter vor der Pedalachse positioniert - am Einfachsten ist, man markiert sich das Großzehengelenk am Schuh mit einem Klebeband. Die seitliche Positionierung ist dann etwas Spielerei. Im Sinne der Aerodynamik kann man grundsätzlich versuchen, möglichst weit nach innen - zum Pedal - zu rücken, allerdings bitte genug Platz lassen, damit man nicht mit den Schuhen an der Kurbel streift. Etwas heikel kann es werden, wenn Gelenksprobleme oder Fehlstellungen bekannt oder vorhanden sind. Dann geht es darum, in kleinen Schritten den richtigen Winkel der Pedalplatten zur Fußachse zu finden. Jeder, der schon einmal eine Runde mit falsch eingestellten Cleats absolviert hat, weiß, dass schon eine kleine Veschiebung zu Knieschmerzen führen kann. Also hier besser sorgfälitg arbeiten. Wer - so wie ich - mehrere Paar Schuhe hat, ist natürlich gut bedient, alle Schuhe möglichst ähnlich einzustellen.
Christoph nimmt hier eine Plastik-Schablone von Ergon zuhilfe, damit fällt zumnidest die gröbste Wacklerei beim Anschrauben weg :)
5. Das Ausprobieren
Nachdem mittlerweile alles vermessen, besprochen und eingestellt ist, heißt es nur noch "Aufsitzen!" und ausprobieren. Vorerst im Geschäft, auf der Rolle!
Robert tritt in neuer Position zum ersten Mal kräftig in die Pedale. Die eine oder andere Änderung kann sich gleich gehörig auf die Sitzposition auswirken und damit auch auf das Gefühl, wie man sich auf dem Rad fühlt. Hier sind das Feedback und die Kommunikation wichtig - Christoph schaut aufmerksam auf die Bewegungen von Robert, wie sich das Rad verhält, wie sich die Gelenkswinkel darstellen, wie sich Robert anstellt. Dieser wiederum versucht sich auf dem Rad "auszubreiten", unterschiedliche Positionen einzunehmen, einmal stärker, einmal schwächer zu treten, aus dem Sattel zu gehen, zu "hören" und zu "fühlen"!
Manche Änderungen werden sofort in ein lautes "Aha" münden, andere werden Probleme lösen - vielleicht sogar jene, von denen man vorher gar nicht gewußt hat, dass sie ein Problem waren. Andere Dinge werden nicht auf Anhieb funktionieren oder sich zu Beginn "komisch" anfühlen. Diese Dinge wiederum vor dem individuellen Hintergrund jedes Einzelnen zu besprechen und darauf einzugehen ist ein Schlüssel zu einem guten Bikefitting. Im Idealfall sollten wir alle halbwegs auf unsere Körper hören können, und verstehen, wenn wir eindeutige Signale zugeschickt bekommen.
6. Der Nachlauf
Robert wird mit seinen neuen Einstellungen ein paar Ausfahrten unternehmen und dann noch einmal zu Christoph in den P.bike-Store kommen. Jedes Bikefitting ist ein Lernprozess - für den Radler, aber natürlich auch für den "Bikefitter". Änderungen an einzelnen Teilen sind mit ein paar Drehungen des Inbusschlüssels erledigt - die Auswirkungen dieser Änderungen können aber oft erst nach ein paar Kilometern - manchmal sogar erst nach vielen Kilometern - gespürt, bewertet und eingeschätzt werden.
Wie so oft heißt es im Endeffekt: "Es gibt nicht DIE richtige Position am Rad", es geht vielmehr darum, die geeignete Position für den individuellen Körper und Einsatzzweck zu finden. Dieser Prozess muss dementsprechend auch erlauben, dass man nach ein paar Ausfahrten noch einmal zurückkommt, um Feedback abzugeben und vielleicht doch noch die eine oder andere Schraube nachzudrehen.
Bikefitting - Was gibt es noch zu sagen?
Statisches vs. Dynamisches Bikefitting
Oben wird ein statisches Bikefitting beschrieben - eine von vielen unterschiedlichen Varianten, wie man heutzutage ein Bikefitting durchführen kann.
Viele haben schon vom berühmten "Retül" gehört, dem Frankenstein unter der Rädern, an dem jedes Teil in alle erdenklichen Positionen gebracht werden kann, auf der anderen Seite gibt es mittlerweile sogar Apps zum Download, die im eigenen Wohnzimmer ein Bikefitting (vermeintlich) ermöglichen. Die Varianten sind hier zahlreich.
Beim dynamischen Bikefitting werden hingegen Marker an bestimmten Punkten des Körpers angebracht, mit Kameras werden dann die tatsächlichen Bewegungen auf dem Rad aufgenommen und bestimmt und dementsprechend dann die Einstellungen variiert - ein System, das auch bei Pbike zur Anwendung kommt (mehr dazu bald!)
Wesentlich und grundsätzlich ist jedoch: Bikefitting, ja bitte machen! Wie, in welcher Form und wo ist zweitrangig. erkundigt euch in eurem Umfeld, sprecht mit euren Freunden, holt Informationen ein. Ein gutes Bikefitting kostet nicht die Welt - vor allem im Verhältnis zum Kaufpreis der meisten Räder!
Rennrad vs. Zeitfahrer/Triathlonrad
Robert hat sich in diesem Fall ein Zeitfahrrad anpassen lassen. Warum haben wir das gemacht? Ganz einfach, die Komplexität und der Anspruch, ein Triathlonrad zu "fitten" ist noch einmal höher als bei einem normalen Rennrad. Die Verstellmöglichkeiten sind vor allem an der Lenker-Vorbau-Einheit noch einmal komplexer.
Aber wie schon zuvor erwähnt: Manche grundlegende Einstellungen sind unabhängig vom Radtyp. Nicht unabhängig vom Radtyp ist allerdings, dass ein Bikefitting sehr viel Sinn macht. :)
Aufmerksamen Lesern mag außerdem nicht entgangen sein, dass wir hier ein Canyon (also ein Versenderrad) in den Shop gebracht haben. Ohne hier auf die Diskussion "Versand versus stationärer Handel" einzugehen - gerade bei Versenderrädern macht es Sinn, ein Bikefitting vorzusehen. Natürlich kann ein Bikefitting nach dem Kauf beim Versender kein komplett unpassendes Rad passend machen - eine vorherige Probefahrt oder eine sehr gute Kenntnis der eigenen Körpermaße ist noch immer essentiell - aber gerade bei Versenderbikes wird eine genaue Anpassung auf die individuellen Bedürfnisse in den meisten Fällen notwendig sein. Der Vorteil des Handels hingegen liegt hier auf der Hand - nämlich "alles aus einer Hand"!
P.bike
Christoph Pulz führt den Familienbetrieb P.bike im 9. und 17. Wiener Gemeindebezirk. Er und sein Team bieten Verkauf und vielfältiges Service in einer sympathischen und entspannten Atmosphäre. Davon soll sich aber am Besten jede und jeder ihr/sein eigenes Bild machen - zum Beispiel beim Season Opening im Shop in der Boltzmanngasse Ecke Alserbachstraße vom 30.03.-01.04-17. (Link zum Facebook-Event: hier)